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jennyreads

Bewertungen

Insgesamt 23 Bewertungen
Bewertung vom 22.06.2025
Reset
Grandl, Peter

Reset


sehr gut

Reset von Peter Grandl ist ein rasantes und bedrückend realistisches Szenario über eine Welt, in der man der Wahrheit nicht mehr trauen kann. Ein Thriller, der unsere Gegenwart in erschreckend greifbare Zukunft verwandelt.

Was wäre, wenn jede Nachricht, jedes Video, jeder Anruf gefälscht sein könnte? Wenn Deep Fakes nicht mehr von echten Aufnahmen zu unterscheiden sind, nicht für Behörden, nicht für Familien, nicht für dich selbst? Grandl greift diese Frage mit voller Wucht auf und entwickelt daraus eine globale Krise, die sich in kürzester Zeit in eine Katastrophe verwandelt.

Im Zentrum steht der irische Ermittler Valentine O’Brien, der im Chaos des digitalen Zusammenbruchs nach seiner verschwundenen Schwester sucht. Parallel dazu werden international Spezialisten zusammengezogen, die versuchen, eine außer Kontrolle geratene KI zu stoppen bevor alles kollabiert. Durch kurze Kapitel und schnelle Perspektivwechsel bleibt die Spannung konstant hoch. Das Tempo ist ein echter Pluspunkt. Grandl versteht es, mit Cliffhangern und sich zuspitzenden Situationen Sog zu erzeugen.

Besonders gelungen finde ich, wie Reset aktuelle technologische Entwicklungen - künstliche Intelligenz, Fake News, Deep Fakes - literarisch zugespitzt, aber nie völlig unrealistisch verarbeitet. Vieles fühlt sich erschreckend denkbar an. Die Idee, dass unsere digitale Kommunikation zur Waffe wird, ist so klug wie beängstigend umgesetzt.

Ein kleiner Kritikpunkt: Die Fülle an Figuren und Schauplätzen kann gerade zu Beginn etwas überfordern. Manche Charaktere bleiben dabei eher flach, was dem Roman in Bezug auf emotionale Tiefe gelegentlich etwas an Wirkung nimmt. Auch die Auflösung der Geschichte wirkte auf mich im Vergleich zur starken Ausgangslage etwas weniger kraftvoll. Das Ende ist solide, aber nicht ganz so packend wie der Rest.

Trotzdem: Reset ist ein hochaktueller Thriller mit gesellschaftlicher Relevanz, hohem Tempo und einer klaren Botschaft: kritisch denken, hinterfragen, nicht alles glauben. Für Fans von technoiden Verschwörungsthrillern mit internationalem Flair definitiv eine Empfehlung.

Bewertung vom 22.06.2025
Shark Heart
Habeck, Emily

Shark Heart


weniger gut

Ein Hai mit zu wenig Biss

Shark Heart hat mich mit seiner außergewöhnlichen Prämisse sofort neugierig gemacht: Ein frisch verheirateter Mann, der sich langsam in einen weißen Hai verwandelt ...das klingt absurd, tragisch und vielversprechend. Doch je weiter ich las, desto mehr wich meine anfängliche Faszination einer gewissen Ernüchterung.

Die Geschichte rund um Lewis und Wren will viel: eine Liebesgeschichte, eine Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit, Identität, Trauer und familiären Altlasten, alles durchzogen von einem surrealen, fast märchenhaften Ton. Doch gerade in dieser Ambition liegt das Hauptproblem des Romans: er verzettelt sich.

Der Stil wechselt oft und ist mal konventionell erzählend, dann wieder wie ein Theaterstück oder ein Gedicht. Diese stilistischen Experimente wirken nicht immer harmonisch eingebunden, sondern reißen einen stellenweise aus dem Lesefluss. Besonders die Dialoge bleiben oft seltsam distanziert. Trotz der drastischen Situation wirken viele Reaktionen der Figuren erstaunlich kühl und wenig greifbar. Es fiel mir schwer, wirklich mitzufühlen, weder mit Lewis noch mit Wren, obwohl ihr Schicksal zutiefst berührend sein könnte.

Auch die Struktur des Buches lässt die eigentliche Hauptgeschichte aus dem Fokus geraten. Die Nebenhandlung ist für sich genommen nicht uninteressant, trägt aber nur bedingt zur emotionalen Tiefe der Ausgangshandlung bei.

Was bleibt, ist ein Buch mit einer kreativen Idee, das seine Eigenwilligkeit den Rest überschattet. Vielleicht ist genau das für manche Leser gerade der Reiz. Für mich jedoch blieb vieles zu blass und unausgearbeitet.

Bewertung vom 09.06.2025
Kokoro
Kempton, Beth

Kokoro


gut

Japanische Stille

Kokoro ist kein klassischer Ratgeber, es ist eher ein sehr persönliches Tagebuch, das zwischen Trauerverarbeitung, Kulturbegegnung und philosophischer Sinnsuche pendelt. Beth Kempton, Japanologin und Autorin, begibt sich nach einer persönlichen Krise auf eine Pilgerreise durch Japan und nimmt die Leser mit auf ihren Weg. Dabei stehen nicht To-do-Listen für ein besseres Leben im Vordergrund, sondern Beobachtungen, Begegnungen und Reflexionen, oft leise, manchmal poetisch, manchmal auch etwas ausufernd.

Was das Buch stark macht, sind die atmosphärischen Beschreibungen des ländlichen Japans. Man spürt Kemptons Liebe zur Sprache, zur Landschaft, zur kulturellen Tiefe des Landes. Ihre Kenntnisse über japanische Begriffe, Schriftzeichen und spirituelle Konzepte wie eben „kokoro“ – ein Wort, das sowohl Herz als auch Geist bedeuten kann – eröffnen neue Perspektiven, auch wenn sie nicht immer leicht zugänglich sind.

Inhaltlich kreist vieles um Verlust, Abschied und den Umgang mit dem Tod. Die Autorin spricht offen über ihre Trauer um ihre Mutter und eine enge Freundin und genau darin liegt die emotionale Wucht des Buches. Wer eher praktische Lebenshilfen oder konkrete Alltagstipps erwartet, wird enttäuscht sein. Dafür bietet Kokoro eher einen meditativen Blick auf das Leben und lädt dazu ein, sich auf die eigenen inneren Fragen einzulassen, auch wenn es dafür keine einfachen Antworten gibt.

Allerdings muss man sich auf die ruhige Erzählweise einlassen können. Nicht jedes Kapitel zieht sofort in den Bann, manche Wiederholungen schleichen sich ein. Und wer mit japanischer Kultur bisher wenig Berührung hatte, wird sich stellenweise vielleicht etwas verloren fühlen, nicht nur wegen der vielen Begriffe und Anspielungen, sondern auch wegen des insgesamt sehr introspektiven Tons.

Kokoro ist ein stilles Buch. Kein lautes Lebenshilfe-Versprechen, sondern eine Einladung zur Selbstreflexion, mit all den offenen Enden, die das Leben mit sich bringt. Für einige mag das genau das Richtige sein. Für andere bleibt es vielleicht zu vage.

Bewertung vom 11.05.2025
Perlen
Hughes, Siân

Perlen


gut

Ein leiser Roman, der wenig erzählt

Siân Hughes’ Perlen beginnt mit einer starken Prämisse: Ein achtjähriges Mädchen wird Zeugin des plötzlichen Verschwindens ihrer Mutter, ein Verlust, der wie ein Echo durch ihr gesamtes weiteres Leben hallt. Marianne bleibt mit ihrem kleinen Bruder und dem emotional überforderten Vater zurück. Was folgt, ist eine Erzählung über Erinnerung, Trauer und die Sehnsucht nach Antworten – und doch verliert sich der Roman streckenweise in der eigenen Zartheit.

Hughes schreibt leise, mit Bedacht, fast meditativ – und genau darin liegt sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Buchs. Die Sprache ist klar und poetisch, viele Passagen haben eine beinahe lyrische Qualität. Besonders gelungen ist, wie Marianne sich die Welt über Gerüche, Märchen und kleine Details der Vergangenheit erschließt. Dabei funktioniert die Erzählung weniger über Handlung als über Stimmung. Doch diese Entscheidung führt auch dazu, dass der Roman stellenweise fast stehen bleibt. Die Erinnerungsfragmente wirken manchmal repetitiv, der Erzählfluss stockt – und die eigentliche Frage, warum die Mutter gegangen ist, verliert an Schärfe.

Einige der literarischen Bezüge, insbesondere zur mittelalterlichen Dichtung („Pearl“), geben dem Roman Tiefe, aber sie bleiben für viele Leserinnen eher schwer zugänglich. Wer diese Kontexte nicht kennt, wird möglicherweise einige symbolische Ebenen übersehen. Auch Mariannes psychische Entwicklung wird nur angedeutet – ihre Selbstverletzung, das Schwänzen der Schule, ihre Isolation – vieles davon wird beschrieben, ohne dass es wirklich greifbar wird. Als Leser fühlt man sich dadurch manchmal außen vor, als würde man an einer verschlossenen Tür lauschen.

Spannend ist hingegen, wie sich die Erzählung verschiebt, als Marianne selbst Mutter wird. Erst dann beginnt eine zaghafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Das mag realistisch sein – denn nicht jeder Verlust lässt sich erklären –, aber es hinterlässt auch eine gewisse Unzufriedenheit. Besonders da der Roman sich emotional viel zumutet, aber narrativ eher zurückhaltend bleibt.

Perlen ist ein sensibles, literarisch feinfühliges Debüt, das in seiner Melancholie berührt – aber auch Geduld erfordert. Für Leser, die klare Auflösungen oder eine treibende Handlung erwarten, dürfte der Roman trotz seines zarten Tons eher frustrierend wirken.

Bewertung vom 05.05.2025
Killer Potential
Deitch, Hannah

Killer Potential


gut

Jagd nach der Wahrheit

Killer Potential beginnt mit einem echten Knalleffekt: Evie, eigentlich nur zum Nachhilfegeben in Beverly Hills unterwegs, stolpert in ein echtes Albtraumszenario – tote Eltern, eine gefesselte Frau im Haus, Panik, ein Schlag, und plötzlich ist sie nicht mehr bloß Zeugin, sondern mutmaßliche Täterin auf der Flucht. Der Einstieg sitzt: schnell, dramatisch, voller Fragen.

Was als spannungsgeladener Thriller beginnt, entwickelt sich dann aber zunehmend in eine andere Richtung – nämlich zu einem Roadmovie, das mitunter etwas auf der Stelle tritt. Die Flucht dominiert den Mittelteil des Romans, samt gestohlenen Autos, billigen Snacks und zufälligen Begegnungen, während die eigentliche Frage – wer hat die Victors getötet und warum? – eher in den Hintergrund rückt.

Evie, die zu Beginn noch klug, bissig und relativ sympathisch wirkt, verliert zunehmend an Schärfe. Ihre Entscheidungen wirken manchmal schwer nachvollziehbar, ihre Gedanken drehen sich im Kreis. Auch ihre mysteriöse Begleiterin bleibt über weite Strecken eine leere Projektionsfläche. Zwar bekommt sie später mehr Profil, doch das, was man über sie erfährt, bleibt eher durchschnittlich und reiht sich nicht wirklich überzeugend in die Handlung ein.

Was der Geschichte jedoch gelingt, ist die medienkritische Ebene: Wie schnell jemand in der Öffentlichkeit zur Heldin oder zur Monsterfigur gemacht werden kann, wird klug angedeutet. Auch die Frage, wie wir mit Wahrheit und Schuld umgehen – besonders in Zeiten von Social Media – gibt dem Roman eine interessante Dimension, die man sich stärker ausgearbeitet gewünscht hätte.

Am Ende ist Killer Potential ein Buch mit guten Ansätzen, das aber viel von seinem anfänglichen Schwung verliert. Der Thriller ist durchaus unterhaltsam, aber verschenkt zu viel Potenzial, um wirklich lange im Kopf zu bleiben.

Bewertung vom 05.05.2025
Stars
Kullmann, Katja

Stars


weniger gut

Astroglanz ohne Substanz

„Stars“ von Katja Kullmann beginnt mit einer guten Idee: Carla Mittmann, einst Philosophiestudentin mit großen Plänen, steckt seit Jahren im Kundenservice einer Möbelfirma fest. Nebenbei schreibt sie Horoskope – ohne echten Glauben daran, eher aus Pragmatismus. Als plötzlich ein Umschlag mit zehntausend Dollar vor ihrer Tür liegt, nutzt sie die Gelegenheit und wagt den Sprung ins Astrobusiness. Was als Flucht beginnt, entwickelt sich zu einem beruflichen Erfolg – doch bald stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen lenkt: Carla die Sterne, oder umgekehrt?

So vielversprechend diese Ausgangslage klingt, so ernüchternd empfand ich die Umsetzung. Der Roman braucht lange, um in Fahrt zu kommen. Über weite Strecken bleibt die Handlung vage, Ereignisse plätschern dahin, zentrale Fragen – etwa nach dem Ursprung des Geldes oder Carlas innerem Wandel – bleiben eher blass. Die titelgebende Astrologie spielt zwar eine Rolle, aber mehr als Kulisse denn als tragendes Thema. Tiefergehende Einblicke, sei es in die Szene oder in Carlas eigene Überzeugungen, habe ich vermisst.

Kullmann schreibt durchaus reflektiert, streut kluge Beobachtungen und gesellschaftliche Bezüge ein. Doch diese Elemente verlieren sich oft in der allgemeinen Orientierungslosigkeit der Hauptfigur. Carla ist eine Frau, die zwischen Resignation und Aufbruch schwankt – ein realistisches Bild vielleicht, aber literarisch nicht sonderlich mitreißend erzählt.

Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass der Roman zu viel andeutet, ohne etwas wirklich auszuerzählen. Es fehlt ein roter Faden, der Carla und die Leser gleichermaßen durch die Geschichte trägt. Wer sich für leise Bücher interessiert, die eher Stimmungen als Handlung transportieren, könnte hier fündig werden. Für mich persönlich blieb „Stars“ jedoch hinter seinem Potenzial zurück – atmosphärisch interessant, aber ohne bleibenden Eindruck.

Bewertung vom 14.04.2025
Das Licht in den Wellen
Mommsen, Janne

Das Licht in den Wellen


sehr gut

Von Föhr nach Manhattan

Eine Überfahrt über den Atlantik, zwei Frauen, ein Jahrhundert. In Das Licht in den Wellen erzählt Janne Mommsen die Geschichte von Inge Martensen, die mit fast hundert Jahren ein letztes Mal aufbricht. Begleitet von ihrer Urenkelin Swantje geht es per Schiff zurück nach New York, dorthin, wo Inges bewegtes Leben einst eine radikale Wendung nahm – und wo vielleicht auch für Swantje ein Neuanfang liegt.

Im Zentrum des Romans steht eine leise, eindringliche Lebensgeschichte: Inge, aufgewachsen als Bauerntochter auf Föhr, emigriert nach einem nicht näher benannten Einschnitt in jungen Jahren in die USA. Aus der Nordseetochter wird in Manhattan eine ambitionierte, humorvolle und kluge Frau, die mit Kartoffelsalat Herzen und Türen öffnet – bis hin zur Bewirtung prominenter Persönlichkeiten. Doch der Weg dorthin ist alles andere als einfach. Mommsen schildert ein Leben zwischen Anpassung und Selbstbestimmung, zwischen Heimweh und Neugier, zwischen Pflichtgefühl und Freiheitsdrang.

Was das Buch besonders macht, ist nicht allein der historische Stoff, sondern die Art, wie er erzählt wird: warm, klar, mit viel Gespür für Zwischentöne. Der Ton ist durchweg gefühlvoll, ohne ins Sentimentale abzurutschen. Dass der Roman sich über mehrere Zeitebenen entfaltet – Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerungen und Erzählungen – funktioniert dank der Charaktere ausgesprochen gut. Besonders Inge ist eine Protagonistin, die man nicht mehr vergisst: lebensklug, widersprüchlich, mutig. Auch Swantje, die mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen hat, wird mit Sorgfalt gezeichnet – ihr inneres Ringen um Orientierung wirkt nie aufgesetzt, sondern glaubwürdig und berührend.

Das Licht in den Wellen ist ein Roman über Abschiede und Aufbrüche, über das Weitergeben von Erfahrungen und die Kraft, die aus der eigenen Geschichte erwachsen kann. Ein Buch, das Mut macht – nicht, weil es einfache Lösungen bietet, sondern weil es zeigt, wie viel in einem Leben steckt. Und wie befreiend es sein kann, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen – egal, ob mit 20 oder mit 99.

Bewertung vom 14.04.2025
Das Parlament der Natur
Darwin, Sarah;Vogel , Johannes;Herrmann, Boris

Das Parlament der Natur


ausgezeichnet

Warum Natur Politik braucht

Sarah Darwin, Johannes Vogel und Boris Herrmann laden zu einem außergewöhnlichen Dialog ein – über das Verschwinden von Arten, die Rolle der Wissenschaft und die politische Sprengkraft der Natur.

Die Grundidee des Buches ist ebenso simpel wie klug: Natur ist nicht nur schön oder nützlich, sie ist zutiefst politisch. Und genau diese politische Dimension steht im Zentrum der Gespräche zwischen der Botanikerin Sarah Darwin (ja, Darwin!), ihrem Mann Johannes Vogel, Direktor des Berliner Naturkundemuseums, und dem Journalisten Boris Herrmann. In klarer, zugänglicher Sprache sprechen sie darüber, warum die Sammlungen in Naturkundemuseen nicht nur Archive der Vergangenheit sind, sondern Werkzeuge für die Zukunft – für Forschung, für Bildung, für Debatten.

In zwei Teilen – Drinnen und Draußen – entfaltet sich das Gespräch mal im Museum zwischen Präparaten, mal unter freiem Himmel im südenglischen Essex. Diese Struktur verleiht dem Buch eine fast filmische Atmosphäre, in der das Persönliche und das Politische immer wieder ineinanderfließen. Herrmann leidet das Gespräch und führt Leser ohne biologischen Hintergrund souverän durch komplexe Themen.

Es geht um weit mehr als nur Biodiversität. Es geht um die großen Fragen: Wie können wir politisch handlungsfähig werden, wenn uns die Zeit davonläuft? Was braucht es, damit Gesellschaften nicht nur erkennen, was auf dem Spiel steht – sondern tatsächlich ins Handeln kommen?

Das Parlament der Natur ist weder Fachbuch noch Manifest. Es ist ein nachdenklicher, dabei zutiefst optimistischer Beitrag zur Debatte um Klima, Artensterben und unsere gemeinsame Verantwortung. Die Gestaltung – mit liebevoll gesetzten Illustrationen, historischen Exponaten und Zeichnungen – verstärkt diesen Eindruck: Hier wird nicht nur gesprochen, hier wird erzählt, gezeigt, erinnert.

Und genau das bleibt: ein Gefühl der Verbundenheit. Mit den Menschen, die Natur bewahren wollen. Mit den Tieren und Pflanzen, die verschwinden. Und mit der Hoffnung, dass wir vielleicht doch noch umsteuern können – wenn wir die richtigen Gespräche führen.

Bewertung vom 07.04.2025
Die Gerüche der Kathedrale
Wauters, Wendy

Die Gerüche der Kathedrale


sehr gut

Der Duft der Vergangenheit

In „Die Gerüche der Kathedrale“ entführt Wendy Wauters ihre Leser mitten hinein in das geschäftige, widersprüchliche Leben rund um die Antwerpener Liebfrauenkirche im 16. Jahrhundert – einem Ort, an dem sich das Heilige und das Alltägliche, das Erhabene und das Grobe eng berührten. Statt klassischer Chronologie oder nüchterner Daten präsentiert Wauters einen atmosphärischen, sinnlich geprägten Zugang zur Geschichte.

Das besondere Augenmerk auf Gerüche – von Weihrauch bis Verwesung – ist kein bloßer Gimmick, sondern Teil eines durchdachten kulturhistorischen Konzepts. Dabei gelingt es der Autorin, wissenschaftliche Tiefe mit anschaulicher Sprache zu verbinden. Die Kathedrale erscheint nicht nur als Ort des Glaubens, sondern auch als Spiegel einer Stadt im Umbruch: Handelsmetropole, religiöser Brennpunkt, sozialer Treffpunkt.

Stärken des Buches sind die interdisziplinäre Herangehensweise und die vielen kleinen historischen Einblicke, die das große Ganze greifbar machen. Durch Illustrationen, Abbildungen und begleitende Materialien (wie Festkalender oder Zeittafeln) wird die Lektüre zusätzlich bereichert.

Trotzdem verlangt die Lektüre eine gewisse Offenheit: Wer sich einen klassischen Geschichtsabriss oder ein durchgängig erzähltes Sachbuch erwartet, wird möglicherweise irritiert sein. Der Fokus auf das Atmosphärische bringt zwar Nähe, verzichtet aber teilweise auf tiefere analytische Kontexte oder größere historische Linien.

Insgesamt ist „Die Gerüche der Kathedrale“ ein bemerkenswert anderes Geschichtsbuch – sinnlich, durchdacht und ungewöhnlich in seinem Zugriff. Besonders empfehlenswert für Leser, die an Alltagsgeschichte, kultureller Anthropologie oder dem Leben zwischen den Zeilen interessiert sind.

Bewertung vom 31.03.2025
Was ich von ihr weiß
Andrea, Jean-Baptiste

Was ich von ihr weiß


gut

Jean-Baptiste Andreas Roman Was ich von ihr weiß nimmt sich viel vor: Er erzählt die Lebensgeschichte des Bildhauers Mimo, seine künstlerische Entwicklung, seine Beziehung zur freiheitsliebenden Viola und bettet all das in den historischen Kontext Italiens im 20. Jahrhundert ein. Doch trotz dieser vielversprechenden Ausgangslage gelingt es dem Buch nicht immer, eine fesselnde Erzählung daraus zu machen.

Ein zentrales Problem ist das Erzähltempo. Mit über 500 Seiten zieht sich die Handlung stellenweise erheblich. Insbesondere die detaillierten Beschreibungen, die sicher gut recherchiert sind, dominieren den Text so sehr, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen, allen voran die zu Viola, manchmal zu kurz kommen. Viola wird als faszinierende, unkonventionelle Frau eingeführt, bleibt jedoch oft auf Distanz – sowohl zu Mimo als auch zum Leser. Da der Roman aus seiner Perspektive erzählt wird, bleibt sie eine Figur, die er beobachtet, aber deren innere Welt weitgehend verborgen bleibt. Der deutsche Titel Was ich von ihr weiß scheint genau darauf hinzuweisen: Es ist letztlich nur das, was Mimo von ihr versteht, nicht was sie wirklich ausmacht.

Auch die Liebesgeschichte folgt bekannten Mustern: Ein armer, aber talentierter Künstler trifft auf eine reiche, rebellische Adelige, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge auflehnt. Diese Konstellation hätte durchaus Potenzial, doch es fehlt an Überraschungen oder emotionaler Tiefe, die sie über das Klischeehafte hinausheben würden. Die Begegnungen zwischen Mimo und Viola sind oft flüchtig, ihr Verhältnis schwankt zwischen Nähe und Distanz, doch wirklich greifbar wird ihre Verbindung selten.

Ein weiteres Manko ist die Einbettung in die historischen Ereignisse. Zwar wird der Aufstieg des Faschismus thematisiert, doch bleibt er oft eine Kulisse für Mimos persönliche Geschichte, anstatt wirklich in die Handlung integriert zu werden. Während Viola früh die Zeichen der Zeit erkennt, scheint Mimo oft nur reaktiv zu agieren. Hier hätte eine stärkere Auseinandersetzung mit der politischen Dimension der Epoche dem Roman mehr Tiefe verleihen können.

Positiv hervorzuheben ist Andreas Schreibstil. Seine Sprache ist bildhaft und poetisch, ohne ins Überladene abzudriften. Wer sich für kunstvolle Beschreibungen begeistern kann, wird hier auf seine Kosten kommen. Doch wer auf eine packende, emotionale Erzählung hofft, könnte sich an der Langatmigkeit und der distanzierten Figurenzeichnung stören.

Insgesamt ist Was ich von ihr weiß ein ambitionierter Roman mit einer interessanten Grundidee, der jedoch in der Umsetzung nicht immer überzeugt. Die Geschichte verliert sich zu oft in Details und bleibt emotional auf Distanz. Wer sich für das Thema Bildhauerei interessiert und ein Faible für langsame, atmosphärische Erzählungen hat, könnte hier fündig werden – wer jedoch eine fesselnde, tiefgehende Charakterstudie oder eine intensive historische Auseinandersetzung sucht, wird möglicherweise enttäuscht sein.