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luisa_loves_literature
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NRW

Bewertungen

Insgesamt 122 Bewertungen
Bewertung vom 21.12.2020
Fuchs, D: HOLIDAY Reisebuch: Atlas der Naturwunder
Fuchs, Don; Johnen, Ralf; Lammert, Andrea; Miethig, Martina; Schetar, Daniela

Fuchs, D: HOLIDAY Reisebuch: Atlas der Naturwunder


sehr gut

Der Atlas der Naturwunder ist ein wunderbares Buch zum Kopfreisen und Träumen. Er widmet sich in verschiedensten Rubriken der einzigartigen, abwechslungsreichen Schönheit und den besonderen Phänomenen unseres Planeten.

Die Aufmachung und der Aufbau des Bandes sind äußerst gelungen. So sind die besprochenen Naturwunder nach Kontinenten gegliedert – und recht ungewöhnlich - selbst die Antarktis fehlt hier nicht. Die Kapitel zu den Kontinenten werden mit einer recht groben Übersichtskarte eingeleitet und dann noch mal in Unterkapitel wie „Geologie“, „Fauna“, Flora“ und „Wüste“ eingeteilt. Neben diesen offensichtlicheren, erwartbaren Kategorien gibt es aber auch außergewöhnlichere wie „Lost Places“ oder „Wetter & Astronomie“. Besonders die unter diesen Überschriften gelisteten „Sehenswürdigkeiten“ sind oft sehr reizvoll. Jedes Naturwunder wird von einem kurzen Erläuterungstext, einem Tipp zur besten Reisezeit und zum bestmöglichen Erlebnis sowie von mindestens einem hochwertigen und Foto, das bei bekannteren Einträgen durchaus auch mal einen ungewöhnlicheren Blickwinkel präsentiert, begleitet. Die kurzen, lexikonartigen Begleittexte sind aufschlussreich, für meinen Geschmack allerdings etwas eintönig und aufgrund der Kürze auch manchmal zu oberflächlich. Ausgesprochen überzeugend ist hingegen die Auswahl der vorgestellten Naturwunder. Nicht nur die unglaubliche Vielfalt der dargestellten Schönheiten, sondern auch die Tatsache, dass hier so viele „unbekannte“ Plätze gezeigt werden, begeistert sehr. Sicher mag man vielleicht etwas vermissen oder hätte selbst einen anderen Ort hinzugefügt, aber insgesamt bietet der Atlas der Naturwunder sehr anregende und inspirierende Lese- und Blätterstunden. Ein wunderschönes Buch für zukünftige Reiseträume!

Bewertung vom 18.12.2020
Bergsalz
Kalisa, Karin

Bergsalz


schlecht

Bergsalz sollte eine Geschichte über eine Graswurzelbewegung sein. Das war der Roman zu Beginn auch und startete recht verheißungsvoll. Aber ganz schnell wurde aus der Story ein didaktisch ausgerichteter, "visionärer" Flüchtlingsbericht, darauf folgte der Lebensbericht einer jungen Frau mit Bindungsängsten, danach kam eine Geschichte über einen entwurzelten Mann aus dem Norden Englands, gepaart mit einem gewollt humoristischen Einblick in die Kleinstadtpolitik und schließlich eine obskure religiöse Erweckungsgeschichte. Dazu gab es noch "historische" Einschübe zum Bauernaufstand. Und das alles auf knapp 200 Seiten...

Zumindest der Beginn der Geschichte ist ganz nett und passt eigentlich gut in die Adventszeit mit ihrem aufkeimenden Gefühl der Nächstenliebe. Bei "nett" bleibt es aber leider und, wie man meinem kurzen Inhaltsabriss entnehmen kann, tut sich dieser Roman äußerst schwer mit seiner Handlung, denn irgendwie hängt jeder Handlungsstrang in der Luft, alles bleibt unvollendet. Dazu ist die Herangehensweise des Textes an sein Thema sehr konservativ, vorhersehbar und leider auch recht uninteressant. Die Art und Weise wie hier um Zusammenhalt und Gemeinschaft gerade im Flüchtlingsteil geworben wird, ist mir einfach zu platt - das passt eher in ein Kinderbuch. Eine so offen didaktische Funktion in einen Erwachsenenroman einzubinden, erscheint mir sehr unangebracht. Die in der Renaissance angesiedelten Teile lassen sich nur mit sehr viel gutem Willen an das heutige Geschehen binden und die schließlich etablierte Verbindung kann überhaupt nicht überzeugen, im Gegenteil: man muss sich fragen, ob das überhaupt eine Verbindung ist. Das ist schon sehr weit hergeholt. Am Ende erfolgt dann noch ein ziemlich unsäglicher, leider auch unfreiwillig komischer, religiöser Teil.

Der Schreibstil ist recht umständlich. Unzählige Erläuterungen zum Wind und Wiederholungen in der sowieso spärlichen Innensicht der Figuren verlängern und verlangsamen das Lesen unnötig. Vieles soll poetisch klingen, das funktioniert aber nur selten und in Wahrheit verbergen sich hinter dem zeitweise lyrischen Charakter der Sprache nur leere Füllsätze ohne Bedeutung, wodurch das Problem der Handlungsstringenz auf 200 Seiten verschärft wird. Die teilweise künstlich anspruchsvolle Sprache wird auch nicht durchgängig gehalten, sondern wechselt sich mit einem Stil ab, der Namen nur in Verbindung mit Artikeln verwendet. Darüber hinaus gibt es unzählige Sätze, die über mindestens 14 Zeilen gehen und an die 100 Wörter aufweisen. Meist fragt man sich ratlos am Ende eines Satzes, wie er nochmal begonnenen hat. Zumindest korrespondiert der Stil was dies anbelangt mit der Inhaltsebene - da fragt man sich am Ende auch, wie es nochmal angefangen hat.

Ich hätte mir dringend eine tiefere und komplexere Figurenzeichnung gewünscht, stattdessen ist fast jede Figur austauschbar und es hat den Anschein, als interessiere sich der Text nicht für seine Figuren. Es gibt zahlreiche Figuren, die mal für ein paar Sätze inklusive angerissener Vita auftauchen und dann für immer verschwinden, aber auch wesentlichere Figuren, an die sich der Roman plötzlich ausufernd erinnert.

Insgesamt passt in diesem Buch kaum etwas zusammen - viel verschenktes Potenzial lässt den Eindruck entstehen, dass wir es hier mit einem Roman zu tun haben, der selbst nicht weiß, was er will und deshalb die Lust am Erzählen verliert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.12.2020
2024 Grüne Neue Welt
Fritz, Hanns

2024 Grüne Neue Welt


gut

2024 entwirft das Bild eines neuen, anderen Deutschlands in nicht allzu ferner Zukunft, indem sich der Teenager-Sohn des Bundeskanzlers schwer verliebt und so die Sicherheit seines Vaters und des Landes gefährdet.

Der Roman ist vieles auf einmal: Zukunftsvision (wobei sicherlich darüber diskutiert werden kann, ob utopisch oder dystopisch), Liebesgeschichte, Coming-of-Age, Familienstory, Thriller und politische Debatte. Für ein Erstlingswerk ist das eine ziemliche Liste an Genres, die hier bedient werden, doch weitestgehend glückt die Verquickung dieser Themen, wenn sie auch alle für sich gesehen jeweils mehr Tiefe und Raum verdient und z.T. auch benötigt hätten.

Die Zukunftsvision, die 2024 ausmalt, ist für den Leser eine Herausforderung, da sie dadurch, dass sie an das Jahr 2024 gebunden wird, nicht allzu weit entfernt ist, aber ein ökologisch nachhaltiges Deutschland zeichnet, dass bei allem Idealismus so momentan nicht vorstellbar ist. Die fiktionale Welt, die vorgestellt wird, ist in sich geschlossen, dicht, glaubwürdig und sinnvoll, mir ist sie auf der zeitlichen Achse jedoch einfach zu nah.

Die Liebesgeschichte entwickelt sich ausgesprochen schnell, intensiv und fast überstürzt. Da es sich bei dem Pärchen um sehr junge Leute handelt, ist diese Art der amour fou schon nachvollziehbar, mir bereitete sie aber im Gesamtkonstrukt Schwierigkeiten, da sie sich nicht „echt“ genug anfühlte und sich am Ende auch zusätzlich eine logische Leerstelle auftat. Das, mit der Liebeshandlung verbundene, Coming-of-Age sowie der Familienhandlungsstrang, der die veränderte Beziehung zwischen Vater und Sohn betrachtet, sind hingegen überzeugend und sehr gelungen. Sprachlosigkeit und das Haften an Erinnerungen dienen hier der Skizzierung der zerfallenden Beziehungsebene. Der Thriller-Part ist interessant aufgezogen und sorgt im Leseprozess für ein hohes Maß an Spannung und Atemlosigkeit, die auch durch die kurzen Kapitel erreicht wird. Auch wenn manche Szenen im Kontext der Story überzogen wirken mag, hält der Roman hier auf jeden Fall, was er verspricht. Die politische Debatte, die sich zwischen Datenschutz und Nachhaltigkeit entspinnt, ist zudem nicht nur ein reizvolles Gedankenprojekt, sondern vor allem genau im richtigen Maß in den Text eingebunden, sodass Raum für eigene Überlegungen bleibt.

Sprachlich und stilistisch weist der Roman zu Beginn ein paar Stolpersteine auf, die sich aber im Verlauf des Textes verflüchtigen. Ist der Romananfang textlich und auch inhaltlich noch etwas holprig, so gerät er doch relativ schnell in einen guten Fluss, der für eine angenehme Lesbarkeit sorgt.

Insgesamt ein durchaus ansprechendes Debut, das ich aufgrund der Thematik und des Protagonisten Lukas allerdings eher als einen Roman für die Zielgruppe „junge Erwachsene“ einordnen würde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2020
Geheimnisse der Hexen
Légère, Julie;Whyte, Elsa

Geheimnisse der Hexen


gut

Geheimnisse der Hexen ist ein Lexikon, das schlaglichtartig den Ursprung des Hexenmythos und die Geschichte der Hexerei beleuchtet. Dies gelingt vor allem anhand ausgewählter Hexenschicksale und einer Beschreibung des allgemeinen politischen und religiösen Klimas, das zu der jeweiligen Epoche geherrscht hat. Im Anhang finden sich noch einige grundlegende Aspekte der Hexenkunst (Pflanzen, Steine, Amulette und Talismane, Elemente usw.)

Optisch hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen. Sein dunkler, mystischer Einband, das übergroße Format und die reduzierten, stimmigen Illustrationen passen hervorragend zum Thema und unterstützen die Wirkung des Textes. Von diesem bin ich allerdings nicht vollends begeistert. Sicherlich soll es sich hier nicht um eine umfassende Beschreibung handeln, aber die meisten Erklärungen kratzen doch nur an der Oberfläche. So habe ich am Ende der Lektüre das Gefühl, zwar etwas erfahren zu haben, aber die Zusammenhänge erschließen sich letztlich nur wirklich, wenn man auf bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen kann. Wer allerdings nur nach einem sehr leichten Einstieg in das Thema sucht, ist bei diesem Buch durchaus richtig.
Als leicht irritierend habe ich den wechselnde Ton der Beschreibungen wahrgenommen. So schwankt der Text (wenn es sich nicht gerade um die in der Ich-Form geschriebenen Schicksale der als Hexen bekannten Frauen handelt), zwischen einem fast schon kumpelhaftem "wir"-Stil mit der Anrede "Schwester" und einer um neutrale Distanz bemühten trockenen Berichterstattung.
Den Anhang ist eigentlich äußerst interessant, aber die Auswahl erwies sich als sehr mager: nur eine Handvoll Pflanzen und magische Gesteine werden vorgestellt und das in sehr trockenem Ton - da wäre mehr möglich gewesen.

Am schwierigsten gestaltet sich jedoch die Ausmachung der Zielgruppe. Es bleibt völlig unklar, für wen dieses Buch gedacht ist. Ein Kinderbuch ist es definitiv nicht und auch für Jugendliche empfinde ich es als nicht passend. Für Erwachsene hingegen bietet es zu wenig.

Insgesamt ein Buch, das optisch gefallen mag und auch ein paar Einblicke in die Hexenwelt gibt, aber auf vielen Ebenen eher rätselhaft bleibt.

Bewertung vom 11.12.2020
Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück
Bernstein, Lilly

Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück


sehr gut

Marie und Anna führen trotz des Krieges ein recht geordnetes und komfortables Leben in Köln. Als Maries Mann, der Bäckermeister Matthias, doch noch eingezogen wird, geraten ihre Lebensentwürfe und Zukunftsaussichten ins Wanken. Mit der Stunde Null spitzt sich die Lage in Köln zu und ihre Situation wird immer kritischer, doch Marie und Anna wollen nicht aufgeben.

Trümmermädchen ist ein sehr lehrreicher und lebendiger Roman, der zu einem Großteil im zeitlichen Kontext der Stunde Null und der unmittelbaren Nachkriegs- und Besatzungszeit angesiedelt ist. Diese zeitliche Situierung hat sicherlich einen wesentlichen Anteil am Reiz der Geschichte, denn diese Zeitwahl ist nun doch eher selten. Umso spannender ist die genaue historische Recherche und Ortskenntnis der Autorin, die dem Leser ein Köln präsentiert, das so völlig anders als die heutige neue Stadt ist. Ebenso faszinierend sind die Einblicke in das Chaos, den Hunger, die Trümmer, die diese Zeit, in der das Recht des Stärkeren gilt, ausmachen. Wenn man diesen Roman liest, kann man sich gar nicht vorstellen, dass irgendwann wieder auch nur ein Hauch von Ordnung in dieser zerstörten Stadt herrschen kann.

Die Figuren sind sympathisch und man leidet und fiebert sehr mit, allerdings war mir speziell Marie auch so manches Mal für eine Protagonistin nicht "kantig" genug. Annas Weg ist relativ authentisch, insbesondere die fast schon zornige Abnabelung während ihres Heranwachsen ist überzeugend. Anna und Marie bewegen sich durch eine mitreißende und interessante Geschichte, die sich sehr flüssig und ansprechend liest. Lediglich die Liebeshandlungsteile waren nicht so berührend und etwas blutleer. Obwohl vom Klappentext zentral gesetzt, wirken sie im Gesamtkonstrukt eher wie etwas, was eben zu einem historischen Roman dazugehört und daher seinen Platz in der Handlung finden muss.

Trümmermädchen ist ein sehr lesbarer, äußerst lebendiger und spannender Schmöker, der mit Lokalkolorit überzeugt und wertvolle Lücken im Geschichtswissen anschaulich zu schließen vermag.

Bewertung vom 10.12.2020
Der Buchspazierer
Henn, Carsten Sebastian

Der Buchspazierer


ausgezeichnet

Carl hat sich einen Namen als "Buchspazierer" gemacht, aber er ist alt geworden und seine junge Chefin ist der Ansicht, dass es Zeit ist, ihn wegzurationalisieren. Auf einer seiner Auslieferungstouren lauert ihm die kleine Schascha auf, die ihm mit ihrem ungestümen Wesen und ihrer kindlichen Weitsicht eine neue Perspektive auf sein Leben, seine Kunden und menschliche Beziehungen vermittelt.

Der Buchspazierer hat eigentlich alles, was eine perfekte Weihnachtsgeschichte braucht - bis auf Weihnachten und die richtige Jahreszeit. Denn es geht hier um Liebe, Menschlichkeit, Freundschaft, Mut, Nostalgie, Literatur, Bekehrung, Verzeihen und andere Themen, die allesamt ihren Platz auch in einer Adventsgeschichte finden könnten. Letztlich ist der Roman eine zwar etwas vorhersehbare und sentimentale, aber gelungene und sehr liebevolle Ode an die Literatur, das Lesen, die Bücher und ihre Kraft, Menschen zusammenbringen, zu inspirieren und reicher zu machen. Dabei wird das Wechselspiel zwischen geschriebenem Wort und wahrem Leben sehr deutlich gemacht, denn Bücher können Freunde sein und Anstösse geben, das Leben bereichern und sehr viel schöner machen, aber sie sind eben doch kein ausreichender Ersatz für reale Beziehungen.

Außerordentlich gut gefallen haben mir die (bewusst stereotypen) Figuren, die durch ihre Verbindung zu einer bekannten Romanfigur charakterisiert werden. Durch diese äußerst amüsante Gleichsetzung erübrigte sich jede weitere umfassende Darstellung. Darüber hinaus gibt es zahlreiche wunderbare und treffende Beobachtungen zu Literatur, Romanen, Buchgeschmack, Lesetempo etc., die einfach sehr nachvollziehbar, sehr hübsch und unterhaltend sind - das hat wirklich sehr viel Spaß gemacht.

Der Roman spielt virtuos auf der Gefühlsklaviatur und über weite Strecken hängt ein melancholischer Schleier über dem Geschriebenen. Dennoch ist Der Buchspazierer paradoxerweise ein wundervolles Buch für die Seele und ein absoluter Wohlfühlroman. Und auch wenn der Text gerade zum Ende hin fast melodramatisch und etwas kitschig wird, so tut das seinem Charme überhaupt keinen Abbruch. Eine Geschichte wie die Carls kann gar nicht kitschfrei erzählt werden - und im Übrigen: Kitsch tut manchmal auch gut und in diesem Fall ist der Roman so tröstlich wie eine heiße Tasse Kakao. Also kitschig und rührselig? Ja, schon. Aber ganz im Ernst - Who cares? Diese Buch tut einfach gut.

Bewertung vom 07.12.2020
Das Flüstern der Bäume
Christie, Michael

Das Flüstern der Bäume


gut

Der Baum dient in Das Flüstern der Bäume als wenig überraschendes Symbol für Familienstrukturen, obwohl am Ende die Erkenntnis steht, dass Familie wohl eher ein Wald ist, den man vor lauter Bäumen nicht sieht.

Ach, was hatte ich mich auf diesen Roman gefreut…und was war ich schon nach dem ersten Viertel „unterwältigt“ (ich muss dieses Wort hier einfach mal bemühen – es trifft es am besten): Unsympathische Figuren, deren Leben aus Enttäuschungen, Verlusten, Bindungsarmut und Drogenabhängigkeit besteht, „klammern“ sich an Bäume, die ihr Schicksal werden, und wachsen quälend langsam durch einen Plot, der so wenig flexibel ist wie eine deutsche Eiche. Bei aller Sprachkraft, der Fähigkeit, die Weite und Größe Kanadas fühlbar zu machen, und ökologisch-politischen Relevanz – das war alles sehr deprimierend und dazu noch im wahrsten Sinne „Ödnis“. Ein Eindruck, der sich immer wieder bestätigen sollte, und dies trotz des absolut innovativen Aufbaus des Romans, der vom Jahr 2038 rückwärts durch Episoden in den Jahren 2008, 1974, 1934 und 1908 reist und dann wieder in aufsteigender Reihenfolge diese Jahre thematisiert. Die Idee, einen Roman so zu strukturieren, hat mir hervorragend gefallen und auch im Kontext des Themas und der erzählten Geschichte, ist diese Wahl absolut einleuchtend. Darüber hinaus sorgt sie für die Spannung, die man in dem Roman ansonsten weitestgehend vermisst. Um ehrlich zu sein, hat mich diese unglaublich weitschweifige Familiengeschichte erst ab S. 293 mäßig interessiert – leider muss man bis dahin aber erst einmal kommen und auch alles gelesen haben, da man sonst den Anschluss verliert. Zum Ende hin nimmt der Roman tatsächlich an Fahrt auf und besticht auch mit einigen berührenden und traurigen Momenten – besonders der Handlungsstrang um Temple und Everett hat es mir da angetan – aber nochmal: dafür muss man sich durch die Längen der vorangehenden Kapitel kämpfen versinkt aber gleichzeitig in der grenzenlosen Hoffnungslosigkeit einer Dystopie, die nicht nur die Menschheit und Natur zum Tod verdammt, sondern auch das persönliche Schicksal eines jeden Menschen mit dem Label „vergeblich“ versieht. Um zu erkennen, dass es eigentlich immer nur noch schlechter werden kann, braucht man keine 560, meist langatmigen, Seiten und nach der aufzehrenden Lektüre wäre ein wahrer Silberstreif am Horizont auch mal eine nette Abwechslung gewesen.

Für mich ist Das Flüstern der Bäume ein ambitionierter Roman, dem es aber nicht gelingt, seine selbstgesetzten Ziele einzulösen. Drei Sterne gibt es für die großartige Struktur und die Seiten 293 bis 471, sowie das Interpretationspotenzial, das der Roman bietet. Sicherlich könnte ich nun beginnen, genauer über ebendieses zu grübeln und auch verschiedene Ansätze verfolgen, denn die bietet der Roman zuhauf. Aber irgendwie ist dies nach einem Leseerlebnis, das sich mich ob seiner immensen Schwere auf sprachlicher und ihhaltlicher Ebene recht erschöpft zurücklässt, zu viel verlangt – ich komme mir schon so antriebsarm vor wie die Figur des Lomax, der nicht weiß, wie er sich je wieder von seinem Opiumlager erheben soll.

Bewertung vom 05.12.2020
Mr. Crane
Kollender, Andreas

Mr. Crane


gut

Mr. Crane also: eines der großen Talente der amerikanischen Literatur, sehr früh mit Ende 20 an TB verstorben. Doch wer nun ein Psychogramm des Autors am Ende seines Lebens erwartet, wird sich wundern. Eigentlich müsste der Roman vielmehr „Schwester Elisabeth“ heißen, denn nicht Mr. Crane, sondern die Entwicklung und Entfaltung der ihn 1900 in Badenweiler pflegenden Krankenschwester steht im Zentrum dieses sprachlich sehr wunderbaren Romans.

Während des auf zwei Zeitebenen erzählten Geschehens durchlebt Schwester Elisabeth nochmals die für sie alles definierenden Tage im Sommer 1900, die sie zu der Figur werden lassen, die sie am Ende des Buches ist. Auch wenn der Roman vermutlich keinen feministischen Ansatz verfolgt: am Ende des Tages setzt er ein Ausrufezeichen hinter die Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Frau. Irritierenderweise geht dieser Effekt auf Kosten der Protagonistin, die man zu Anfang der Geschichte als sympathische, fürsorgliche und etwas einsame Pflegerin wahrnimmt und am Ende als manipulativen und egozentrischen Charakter erkennt, die auf ihrem Weg den berühmten Autor zu einem Objekt ihrer Bedürfnisse macht. Diese Art der negativ verlaufenden Sympathielenkung findet man nicht häufig, sie ist hier der schonungslosen, ungefilterten Innensicht auf Elisabeths Gedanken und Emotionen geschuldet, auf ihr zielgerichtetes Vorgehen, ihre eigenen Wünsche erfüllt zu sehen. Unbequem wird Elisabeth als Figur vermutlich für den Leser auch dadurch, dass sie im Kontext ihrer Zeit „unangepasst“ wirkt und sich in ihrer Figur eine Vertauschung der Geschlechterrollen anbahnt. Während Crane immer schwächer und abhängiger wird, wird sie dominanter und rücksichtsloser in ihrem Handeln. Auch wenn Elisabeth also nicht meine Gunst erlangt, so ist sie als Figur sehr gut konzipiert.

Schwierigkeiten bereitete mir der obsessive Charakter der Beziehung zwischen Crane und Elisabeth. Ich mag dieses Verhältnis nicht als „Liebe“ bezeichnen, dazu war mir das Verhältnis zu „oversexed“. Sicherlich macht dieser Fokus Sinn, wenn es um die Idee einer Befreiung aus einer restriktiven Gesellschaft und Normenwelt geht, aber gestört hat es mich in dem Ausmaß den es hier einnahm dennoch – aber das ist selbstverständlich Geschmackssache.

Die wundervolle Sprache des Romans, die sehr gelungen und sinnvoll platzierten Bilder, haben mich jedoch begeistert und durch den Text getragen. Wortwahl und Stil haben mich von Anfang an in ihren Bann geschlagen. Was die Art des Schreibens angeht, gehört der Roman zu meinen Lieblingsbüchern in diesem Jahr – aber leider konnte die Story mich nicht ganz so abholen.

Bewertung vom 20.11.2020
The Photography Storytelling Workshop (eBook, ePUB)
Beales, Finn

The Photography Storytelling Workshop (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

I thoroughly enjoyed this photography workshop and I’ve learned so much. Finn Beales takes you on a trip through the art of photography, sharing the secrets of the trade and behind-the-scenes insights. Even though there is of course an abundance of technical terms and technicalities, the book constantly kept me interested, which is mostly due to the great pictures that illustrate the points the author makes as well as the many small projects and exercises that are included in the workshop. I especially appreciate that the tasks are very precise, hands-on and easy to follow and try, so that you can really benefit from the attempt and the different techniques and improve your own photography. My favourite part are the explanations about colour theory and the moods and effects that can be created by complementing certain colours. The structure of the whole workshop is remarkably clear and definitely doable for beginners as well as, I believe, more advanced photographers. I highly recommend the workshop to everyone who wants to take and create better pictures.

Bewertung vom 17.11.2020
Das Wörterbuch des Windes
Blazon, Nina

Das Wörterbuch des Windes


sehr gut

Nina Blazons Roman über die Selbstfindung einer Frau Anfang 40 ist eine gelungene Beschreibung eines späten coming of age – unterhaltend, aber nicht seicht, manchmal allerdings zu lang.

Auf den ersten Blick bestand bei Sweas Geschichte sicherlich die Gefahr, dass hier auf allen Ebenen die Klischees einer „Inga Lindström“-Story bedient werden könnten – dies ist jedoch glücklicherweise nicht der Fall. Stattdessen präsentiert Nina Blazon eine sich äußerst zeitgemäß und modern anfühlende Geschichte einer Frau, die im mittleren Lebensabschnitt noch einmal einen Neustart wagt, Vernunft und Bravsein über Bord wirft und sich mit allen Sinnen, Gefühlen und auch Verzweiflung in ihr Leben stürzt. Die Darstellung des Lernprozesses und der damit einhergehenden Unsicherheiten ist authentisch und häufig frech genug, um den Leser auch über die zugegebenermaßen vorhandenen Längen zu tragen – manche Erfahrungen sind schlichtweg redundant, ein wenig Verschlankung hätte dem Roman gut angestanden.

Die Figuren, die den Roman bevölkern, sind gut konzipiert – teils verrückt, teils unbequem –
und alle mit einer Backstory versehen, die nicht nur den jeweiligen Charakter umfassend erläutert, sondern auch den Anreiz zur persönlichen Weiterentwicklung setzt. Obwohl alle Figuren einiges an Schwere und Konflikten erfahren haben, bleibt der Roman stets realistisch-optimistisch ohne allzu verschwenderisch mit Happy Ends umzugehen. Selbst die Anklänge an das Übernatürliche, das in Romanen oftmals eher merkwürdig und wenig sinnvoll erscheint, erhält hier einen durchaus überzeugenden Platz.

Island ist als Handlungsort so prägend und präsent, dass man es eigentlich ebenfalls als eigenständige Figur bezeichnen muss. Der Roman weist so viel Islandgefühl und Islandwirkung auf, dass man sich fast nach Reykjavik transportiert fühlt, und vor allem auch die Besonderheiten der Isländer gut verstehen kann. Das Wechselspiel zwischen dieser einzigartigen Insel und der besonderen Mentalität und Lebensart kommt bei Nina Blazon sehr gut zur Geltung.

Das Wörterbuch des Windes ist ein unterhaltender Roman mit ernsten Untertönen für Islandträumer, der leider zu lang geraten ist. Dies macht sich besonders auch in den letzten Kapiteln bemerkbar. Hier gab es so manchen Satz am Ende eines Kapitels, der sich ebenso gut als Schlusssatz des Romans geeignet hätte, und dem Leser dabei noch Raum zum eigenständigen Weiterdenken gelassen hätte. Stattdessen wird hier zu viel ausformuliert und das Ende immer wieder aufgeschoben, sodass es gerade zum Schluss etwas zäh wirkt.