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Benutzername: 
Gurke
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 162 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2013
In einem Boot
Rogan, Charlotte

In einem Boot


gut

Das Unglück der „Titanic“ ist erst zwei Jahre her, als die junge Grace an Bord der „Zarin Alexandra“ mit ihrem frisch gebackenen Ehemann in die Heimat über den großen Teich aufbricht. Dort hofft sie, ihre Schwiegermutter von sich überzeugen zu können, und ein sorgenfreies Leben an der Seite ihres eroberten Bankiers zu führen.
Zwischen diesen hoffnungsvollen Phantasien liegt allerdings ein trauriges Ereignis, denn das Schiff sinkt eines Nachts und die Rettungsboote reichen erneut nicht für die gesamte Crew. Von dieser dramatischen Sparmaßnahme ahnt Grace erst einmal noch nichts, denn sie sitzt behütet zwischen tapferen Frauen und Männern und hofft, dass ihr Henry ein anderes Boot nehmen konnte.

Nach der Inhaltsangabe habe ich auf einen Roman gehofft, der dort ansetzt, wo der „Titanic“ Blockbuster so tragisch endete. Die Autorin versucht auch gar nicht mit der Dramatik des Untergehens eines riesigen Dampfers zu konkurrieren und so spielt die erste Szene direkt in dem kleinen Wassergefährt, was für die glücklich geretteten in der nächsten Zeit Fluch und Segen zugleich sein wird.
Die Schwierigkeit zeigt sich nämlich schnell darin, dass trotz ihres enormen Glücks die Menschen verzweifeln, immerhin sind die Gedanken an die Lieben allgegenwärtig und die Frage nach dem „Wenn und Aber“ zerfrisst sie regelrecht.
Der Platz ist zu knapp bemessen und ein nahender Sturm zwingt die Besatzung zu einem sehr unmoralischen Vorschlag, denn zum Wohle des Gesamtheit sollen sich einige „freiwillig“ opfern und in den Fluten den Tod suchen. Hinzukommt, dass die Mannschaft kaum Trinkwasser und Nahrungsmittel zur Verfügung hat und die Nerven bald blank liegen, was zur Folge hat, dass selbst an der Führungsposition des erfahrenen Matrosen gezweifelt wird und eine feinfühlige, aber sehr dominante Matrone ihn verdrängen will.
Was nun aber nach einem ausgeklügelten Psychoterror mit spannenden Thrillerelementen auf hoher
See klingt, ähnelt mehr einem Tagebucheintrag, der erstaunlich kühl und sachlich formuliert ist und deswegen einen großen Teil des dramatischen „Zaubers“ verliert.
Die Protagonistin selbst wirkt durch diesen ziemlich distanzierten Erzählstil abgestumpft und berechnet, wodurch ich ihr schon beinahe eine Verurteilung wegen Mordes (der im Prolog erwähnt wird) gegönnt hätte.

Das gefühlt größte Manko, war meine fehlende Vorstellungskraft von dem Ausmaß des Rettungsbootes, welches einen Schlafplatz für erschöpfte Ruderer und sogar Raum für große Fässer geboten hat. Eine Skizze mit Eckdaten, sowie einer Passagierliste, wie sie auf der Autorenhomepage zu finden sind, wären ein nettes Extra für die Leser gewesen.

Die erste Hälfte des Romans hat mir insgesamt ganz gut gefallen, aber danach haben sich leider immer mehr Schwächen durch chaotische Abläufe und langatmige Gespräche bzw. Sticheleien eingestellt, die ihren „krönenden“ Abschluss in einer Farce an Gerichtsverhandlung gefunden haben.
„In einem Boot“ konnte damit leider meine Erwartungen nicht erfüllen, obwohl ich mich sehr auf die Abgründe der menschlichen Seele gefangen in einer sprichwörtlichen Nussschale auf dem blauen, weiten Meer gefreut habe.

Bewertung vom 03.10.2013
Zwischen uns das Meer
Hannah, Kristin

Zwischen uns das Meer


sehr gut

Wie reagiert man darauf, wenn die Liebe des Lebens offenbart, dass die Gefühle im Alltag verloren gegangen sind? Trennt man sich räumlich oder auf Zeit oder kämpft man für die Familie und das Aufleben des alten Feuers?
Jolene Zarkades, Soldatin aus Überzeugung, muss mit dieser demütigenden Zurückweisung durch ihren Ehemann Michael leben lernen und dabei noch ihre beiden Töchter bändigen, wobei die eine mitten in der Pubertät und die andere beinahe noch in den Babyschuhen steckt.
Neben ihrer griechischen Schwiegermama kann sich die Waise, die ihre Eltern durch die Alkoholsucht früh verloren hat, auf ihre Kollegin und Seelenschwester Tamy verlassen, doch eine Freundschaft kann keine Herzenswärme und Zärtlichkeit ersetzen. Der Terror in der Welt richtet sich leider nicht nach persönlichen Differenzen und somit gibt der Stützpunkt zur denkbar ungünstigsten Zeit den Befehl zum Abflug in eine Region aus Sand und Blut.

Für den gefühlvollen Schreibstil verdient die Autorin die Höchstpunktzahl und als Leser leidet man sowohl mit der enttäuschten und auf sich alleine gestellten Ehefrau, als auch mit dem überforderten Ehemann und den kleinen Mädchen mit. Ich kann mir vorstellen, dass die US-Schriftstellerin besonders im christlichen Amerika einen wunden Punkt getroffen hat, wenn es darum geht, um die Ehe zu kämpfen bzw. die Menschen, die wir lieben.
Beide Sichtweisen werden auf glaubhafte Weise dargestellt, denn Jolene lässt keine negativen Gefühle zu, geht jedem Streit aus dem Weg und klammert sich verzweifelt an die Vorstellung des selbst geschaffenen Glücks, dagegen kann ein hingebungsvollen Mann mit dem Wunsch nach echter Leidenschaft schon mal die Kontrolle verlieren und aus der heilen Welt ausbrechen wollen.
Die Protagonisten gehen also einmal auf weiblich zurückhaltende und in manchen Fällen sogar sturen Variante mit dem gebrochenen Herz um und der Mann auf eine kühle und reservierte Art. Die Geschlechter zeigen viele Facetten von überspitzt zickig bis depressiv geknickt und so manche Leserin wird sich in Jolenes Trauer wiederfinden, was sie trotz aller Schwierigkeiten zu einer Sympathieträgerin macht.

Eindeutig zu amerikanisch angehaucht waren mir allerdings die Passagen von Jolenes Hubschrauberflügen im irakischen Kriegseinsatz, dieser Ausflug in die Militärabteilung hat mir schon in der Leseprobe nicht gefallen. Es ist zwar wichtig über die Einsätze im Krisengebiet zu berichten, aber die schreckliche Phantasie hat durch Kristin Hannahs Ausführungen sehr viel Futter bekommen, was mir bei einem Liebesroman nicht gefällt, zumal die Befürworter für die zahlreichen Verluste eindeutig in der Überzahl waren.

„Zwischen uns das Meer“ hat für meinen Geschmack zu viel Tiefgang auf politischer Ebene und ein Fokus ausschließlich auf das Ehepaar und die abgebrannten Emotionen wäre vielleicht noch berührender und romantischer gewesen.

Bewertung vom 15.09.2013
Amy's Geheimnis
O'Brien, Deborah

Amy's Geheimnis


gut

Von ihrer aufgeschlossenen Tante in Sydney, die nie mit Kindern gesegnet war, wurde Amy mit allerlei bunten Hüten und Kleidern verwöhnt, aber auch in die von ihrem strenggläubigen Vater verpönte Literatur von Jane Austen eingeführt.
Im Jahre 1872, als Siebzehnjährige, muss das älteste Kind der Duncans ins staubige Millbrooke zurückreisen. Dort soll sie ihrer von einer komplizierten Schwangerschaft gezeichneten Mutter im Haushalt zu helfen und ihre Brüder zu unterrichten.
Nach einem morgendlichen Besuch in der örtlichen Bäckerei schaut die junge Frau in einem asiatisch anmutenden Warenhaus, bei dem sogar die Fassade einen goldenen Glanz verströmt und das sie mit seinem Duft nach diversen Kräutern und Gewürzen magisch anzieht, vorbei. Besitzer der feinen Speisen aus Fernost ist der charmante Charles, der Amy mit seinem Anmut und der Art sich zu kleiden völlig verzaubert. Auch der junge Händler mit chinesischen Wurzeln zeigt Interesse an der gebürtigen Schottin.

Einen Koffer mit den Habseligkeiten aus dem Besitz der Pfarrerstochter findet in der Gegenwart die früh verwitwete Künstlerin Angie, die endlich die Trauer über den Verlust des Ehemanns hinter sich lassen und fern der Heimat neue Energie tanken will – indem sie Amys Geschichte so gut es geht rekonstruiert.

Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Inhaltsangabe zu Deborah O'Briens Debüt gelesen habe, denn die Aufdeckung von Geheimnissen in zwei Zeitebenen ist zur Zeit eine meiner Lieblingsformen bei Romanen, sodass ich mittlerweile auch schon einige Vergleichsbücher kenne.

Bei Amys Geheimnis handelt es sich allerdings viel weniger um ein Rätsel, als um die erzählte Lebensgeschichte einer Frau, die sich im frühen 19.Jahrhundert nicht um die Konventionen scheren und trotz des Verbots ihres Vaters ein „Schlitzauge“ ehelichen wollte.
In Australien tobte damals nämlich ein regelrechter Goldrausch, dem auch viele Arbeiter aus China gefolgt sind und in den funkelnden Gruben den Zorn der Einheimischen zu spüren bekamen, weil diese in ihnen große Konkurrenz sahen und sie am liebsten ins nächste Schiff nach Hause verfrachtet hätten.
Amy, Charles und ihre Freunde waren große Befürworter einer Organisation zum Schutz der Arbeiter, doch Vorurteile in den Köpfen der Menschen verschwinden nur sehr schleppend, was für ihre Liebe aber zu lang gedauert hätte.

Die Handlung war für meinen Geschmack weder mysteriös, noch besonders gut geeignet für viele Unterbrechungen durch die Gegenwart, wodurch der Fokus der Liebesgeschichte mit Hindernissen zu sehr beispielsweise von den Malkursen der Witwe Angie abgedriftet ist.
Zudem war der gesamte Roman an einigen Stellen sehr schmalzig und auf der anderen Seite zu unaufgeregt, sodass der Funke nicht überspringen konnte. Diesen etwas leidenschaftslosen Kapiteln fehlte ein wenig das Feuer und die Dramatik des Augenblicks, sodass es als historischer Roman über die männlichen „Zopfträger“ mit dem Wunsch nach goldenen Händen besser funktioniert hätte oder wenigstens ein nicht so irreführender Titel aus meiner Sicht gewählt werden müsste.
Deswegen vergebe ich nur drei von fünf Sternen für sympathische Protagonisten aus dem alten Millbrooke, die durch den zweiten Handlungsstrang leider etwas abgewertet wurden. Nicht jede Geschichte wird also durch wechselnde Perspektiven lebendiger und lesenswerter – schade.

Bewertung vom 07.09.2013
Das Verstummen der Krähe / Kristina Mahlo Bd.1
Kornbichler, Sabine

Das Verstummen der Krähe / Kristina Mahlo Bd.1


ausgezeichnet

Kristina Mahlo, Nachlassverwalterin aus München, hat es mit einem besonders speziellen Testament zu tun, das einiges an Fingerspitzengefühl erfordert. Denn die Witwe Theresa Lenhardt verfügt über eine beachtliche Geldsumme, die sie mangels lebender Familienangehöriger an ihre fünf engsten Freunde vererben möchte, allerdings nur unter einer perfiden Bedingung.
Kristina soll vor der Vollstreckung ihres letzten Willen noch einmal tief in alten Wunden bohren, um herauszufinden, wer ihrer Erbberechtigten den Journalisten Konstantin Lischka getötet hat.
Die Schwierigkeit an dem Fall besteht darin, dass die Tat schon einige Jahre zurückliegt und die Polizei Theresas Ehemann Fritz damals als Schuldigen verhaftet hat, der aber aus Scham oder Schuldgefühlen im Gefängnis Selbstmord begangen hat. Die Witwe was aber fest davon überzeugt, dass es sich dabei um ein abgekartetes Spiel gehandelt hat und man ihrem Mann den Mord mit falschen Beweisen anhängen wollte. Kristina will den auf den ersten Blick sehr lukrativen Job schon ablehnen, als sie in den Unterlagen der Verstorbenen einen Hinweis auf ihren verschwundenen Bruder Ben findet und beschließt einen Vorstoß zu wagen. Im Zweifel an der Unschuld der Freunde soll das Erbe dem Tierschutz zugeführt werden, was Kristina nach dem ersten Treffen mit der hungrigen Meute nur zur gerne einleiten würde.

Auch begeisterte Leseratten wie ich es bin kennen nicht alle Autoren, und so war „Das Verstummen der Krähe“ für mich eine Krimi-Premiere aus der Feder von Sabine Kornbichler, die mich über die psychologische Intensität einer Laien-Ermittlerin staunen ließ.

Die neue Mitarbeitern bei der Anwältin der Toten ist die Deutsch-Türkin Funda, die es mit ihrer Lebensfreude regelmäßig schafft, die vom Stress einer Selbstständigkeit gebeutelten Kris wieder zum Lachen zu bringen. Sie verkörpert das perfekte Bild einer integrierten und fleißigen jungen Frau, die im Leben angekommen ist. Gemeinsam mit der geheimnisvollen Trödel-Besitzerin Henrike, die nach dem Verschwinden von dem homosexuellen Ben zu einer guten Freundin für dessen Schwester wurde, sind sie die rechte Hand im Nachlass-Chaos des ungleichen Freunde-Quintetts, was als harmonisches Freunde-Oktett begann. Ein Jeder hatte ein plausibles Motiv für die Tat, welches entweder auf verletzten Gefühlen, Angst oder purer Raffgier begründet liegt – oder saß doch der rechtmäßige Verbrecher hinter Gittern?
Es dauert lange, bis sich die gestandenen Persönlichkeiten vor der taffen Kris öffnen, die immer von der Hoffnung getrieben, dass ihr geliebter Bruder noch lebt, von einer schlaflosen Nacht in die nächste fällt. Doch manche Wahrheit blättert auch unangenehm Seiten an den vertrauten Menschen auf, die man lieber unter Verschluss gehalten hätte.

Selbst die Nebenschauplätze wie die „Frage und Antwort Post-its“ im Treppenhaus über die Kris' Eltern seit dem tragischen Vorfall nur noch kommunizieren, sind unterhaltsam dargestellt und die zahlreichen Verhöre bzw. Gespräche, die für ein lückenloses Verständnis der verhängnisvollen Mordnacht notwendig waren, sind gespickt mit viel Schlagabtausch und Intrigen, sodass man als Leser dem nächsten Zusammentreffen der Parteien entgegenfiebert und auch insgesamt ein wahre Freude am Rätseln entwickelt. Natürlich ist die Täterfrage von Anfang an überschaubar, dennoch bleibt es bis zum großen Finale spannend und im gesamten Krimi könnte ich spontan keine Längen nennen, die das Lesevergnügen getrübt haben.
Die Wahl-Münchnerin Sabine Kornbichler hat für meinen Geschmack also einen 1A-Krimi mit viel Frauenpower verwirklicht, der im Herbst 2014 eine Fortsetzung bekommt, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen darf. Ich bin froh, dass ich hiermit eine neue Autorin kennen und schätzen lernen durfte - „Der gestohlene Engel“ (2008) liegt schon für den nächsten Genuss bereit. :-)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2013
Ins Gras gebissen / Pippa Bolle Bd.4
Auerbach & Keller

Ins Gras gebissen / Pippa Bolle Bd.4


ausgezeichnet

Einen Schlüssel, den gibt es nicht. Im Storchendreieck schließt niemand ab.

Denn die Bewohner der Altmark in der ehemaligen DDR leben vollkommen autark und vertrauen einander blind, schließlich kennt man sich seit Kindesbeinen und unter den wachsamen Augen ihres Spökenkiekers Heinrich und der 100-Jährigen Christabel Gerstenknecht, der Arbeitgeberin Nummer 1 der Region kann sich das Böse gar nicht ausbreiten. Bis der Notar der Gegend tot unter einem Bierhahn gefunden wird und ein Gartenzwerg aus der Manufaktur der Stadt ein stummes Zeugnis über sein Ableben abgibt. Als dann auch noch eine Verbindung zu zwei rätselhaften Unfällen vor 20 Jahren vermutet wird, ist der Kriminalfall perfekt und Pippa Bolle wieder knietief in den Ermittlungen involviert, obwohl sie eigentlich nur eine alte, gebrechlich Frau pflegen wollte.

Auch der vierte Fall rund um die sympathischen Halb-Engländerin mit dem klangvollen Doppelkonsonanten im Namen konnte mich wieder überzeugen, denn das weibliche Autorenduo hat sich bei dem Ausflug in den malerischen Landstrich zur Abwechlsung mal an ein heikles Thema der Vergangenheit gewagt und nicht nur auf den Spaßfaktor gesetzt, den wir Pippa-Fans schon oft genießen durften. Dabei kommen die humorvollen Passagen aber keineswegs zu kurz, sie werden nur passend in einen ernsten Hintergrund gebettet, der est ziemlich spät im Krimi angesprochen wird und deshalb auch in meiner Rezension ein Geheimnis bleiben soll.

Als kleine Schwierigkeit habe ich die vielen Nebencharaktere empfunden, die in einem Personenverzeichnis zu Beginn zwar eingeführt werden, aber bei mir dennoch für Verwirrung sorgten, da wirklich Jeder im Dorf zu Wort kommen will und sich damit auf der Verdächtigenliste einige Namen tummeln. Positiver Nebeneffekt ist natürlich, dass wir Leser lange im Dunkeln tappen und auch die schlitzohrige Christabel in ihrem rüstigen Alter reichlich Storchendreck aufwirbelt. Überhaupt ist die sanfte Dame mit dem Bärenwillen der heimliche Star bei „Ins Gras gebissen“, da wirkt selbst die rothaarige Pippa neben ihr an einigen Stellen etwas blass. Aber im weiteren Verlauf der Geschichte balanciert sich das Ungleichgewicht wieder gut aus und am Ende hat man (fast) alle Storchwinkler lieb gewonnen und das unbändige Bedürfnis einen Gartenzwerg zu kaufen und/oder ein Stück Baumkuchen zu essen – solche Bedürfnisse schaffen bei mir immer nur Bücher, die mich auf angenehme Weise berühren, deswegen ist auch der nächste Fall fest eingeplant!

Bewertung vom 26.08.2013
Friedhof der Unschuldigen
Miller, Andrew

Friedhof der Unschuldigen


ausgezeichnet

Der Ingenieur Jean-Baptiste Baratte will ein berühmter Brückenbauer werden, und um sich diesen Traum jeden Tag vor Augen zu halten, hängt in seinem Zimmer ein Kupferstich mit dem imposanten Motiv eben jener Verbindungen über das Wasser. Als dann aber ein Auftrag aus Versailles an ihn herangetragen wird, muss er sich nun mit einem gänzlich anderen Projekt befassen, denn der Friedhof der Unschuldigen, welcher mitten in Paris gelegen die gesamte Umgebung mit Verwesungsgestank vernebelt, hat ihren Zenit erreicht und soll (inklusive Kirche) zerstört werden.
Der tüchtige Baratte weiß, dass man einem Minister des Königs nicht widersprechen darf und macht sich ans Werk. Doch die Bewohner sind abergläubisch und in Worten und Handeln gar nicht so unschuldig wie die zahlreichen Leichen aus längst vergangenen Zeiten.

Es passiert nicht oft, aber hin und wieder gibt es diese Bücher, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seiten in eine andere Welt entführen und sowohl inhaltlich, als auch sprachlich regelrecht mitreißen. Leider fällt es mir bei diesen Exemplaren dann immer besonders schwer, meine Begeisterung in Worte zu fassen.

Andrew Miller hat mich mit seinem sechsten Roman jedenfalls in einen wahren Papierrausch versetzt, sodass ich die Seiten innerhalb weniger Stunden inhaliert habe – trotz ziemlich anspruchsvoller Sprache, die mich bei anderen Autoren vermutlich angestrengt zu mehreren Lesepausen gezwungen hätte. Hier bekommen die schönen Wörter aber einen leichten und feinen Rahmen, der das Geschriebene umschmeichelt.
Baratte und seine sehr unappetitlichen Arbeit haben mich gefangen genommen und in Verbindung mit der persönlichen Wandlung des Protagonisten durch verschiedene Frauenbekanntschaften (erfreuliche wie erschreckende) immer wieder begeistert.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich zu schnell durch den herausragenden Roman geflogen bin, denn man sollte sich viel mehr Zeit für die authentische Atmosphäre von Frankreich nehmen und den Vorabend der Revolution mit jeder Faser auskosten. Deshalb werde ich bald noch einmal in aller Ruhe durch die stinkenden Straßen der Stadt der Liebe wandeln und ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen mit Baratte und seinen treuen Gehilfen, wie dem kommunikativen Organisten Armand und seiner rechten Hand Lecoeur auf dem trüben Pflaster.

Der „Friedhof der Unschuldigen“ ist mein Highlight im August und für Leser aller Genres ein kleines Goldstück im Bücherregal!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2013
Ernten und Sterben
Hetzel, Peter M.

Ernten und Sterben


gut

Kopflos verliert man am schnellsten sein Gesicht (Hermann Lahm)

..und auch sein Leben, denn dieses tragische Los ereilte zwei noch unbekannte Männer in den Gemüsebeeten der Nachbarn Albertine von Krokow und dem Online-Buchhändler Hubertus, die eben ohne Kopf den Weg ins Jenseits antreten müssen. Dank ihres adligen Blutes weiß die rüstige Frau aber gekonnt die Contenance zu wahren und gerät aufgrund des blutigen Anblicks nicht aus der Fassung – auch nicht, als sie von der Staatsgewalt sowie den Dorfbewohner als potentielle Mörderin beschuldigt wird. Sie beginnt, mit ihren Freunden in alle Richtungen zu ermitteln; schließlich ist in einem 900 Seelen Dorf jeder verdächtig, doch ob es so klug ist, sich selbst als Lockvogel für den „dangerous man“ zu opfern, weiß man im Zweifel immer erst hinterher.

Angelockt von dem urigen Subgenre des Landkrimis war ich ganz gespannt auf Peter Hetzels Debüt als Krimiautor, der sich in der Vergangenheit als Literaturkritiker schon einen Namen gemacht hat. Allerdings hat sich dann schnell herausgestellt, dass meine Vorstellung von einem Landkrimi etwas von der Umsetzung durch den Autor abweicht und somit nicht ganz meinen Geschmack treffen konnte.
Das Dorf Klein-Büchsen mit seinen Bewohner ist nämlich ziemlich abgedreht, was sich auch sehr auf die Ermittlungsarbeit auswirkt, die eher in den Bereich von totaler Unprofessionalität fällt, sodass ein richtiger Spannungsbogen wie bei einem klassischen Krimi nicht aufkommen kann – was vom Autor aber so gewollt ist (was ich leider erst während der Lektüre erfahren habe).

Das Buch ist für meinen Geschmack leider zu überladen mit skurrilen Charakteren, von denen mir nur Hubertus und Clementine sympathisch wurden und gespickt mit allerlei Wortwitz aus allen erdenklich Sparten, zu denen ich nicht immer einen Zugang finden konnte, weil ich evenutell zu jung bin?

An einigen Stellen blitzten aber auch Landkrimi typische Elemente auf, wie ein beruhigendes Gespräch während der Gartenarbeit in den Gemüsebeeten oder die legendäre Kuh-Olympiade, welche gerne noch über mehrere Etappen im Mittelpunkt hätte stehen dürfen und den Charme von echter Landidylle und Nachbarschaftsharmonie aufleben ließ. Auch die kulinarische Ausflüge haben mir Spaß gemacht und zum Beispiel großen Appetit auf Hubsis Schmorgurkenpfanne gemacht – doch leider sind sie eher Nebenerscheinungen und werden vom Chaos der Komik überrollt.

Humor ist wie immer Geschmackssache und Peter Hetzel ein sympathischer Autor, der aber beim nächsten Teil die „Kirche im Dorf“ lassen und keine hochnäsigen Großstadtcharaktere auf friedliche Bauern loslassen sollte, denn weniger ist zwischen Radieschen und Möhren manchmal mehr.

Bewertung vom 17.08.2013
Gib mir deine Seele
Krock, Jeanine

Gib mir deine Seele


sehr gut

Von der Muse geküsst

Pauline führt ein ganz normales Leben als durchschnittliche Sängerin in London, die sich von einem Auftritt zum nächsten angelt und dabei auf den großen Durchbruch hofft.
Als sie in Venedig vor einem aufdringlichen Verehrer völlig erschöpft in den herbstlichen Regen flüchtet, wird sie von dem erfolgreichen Kunstmäzen Constantin DuMont aufgelesen und in seiner luxuriöse Hotelsuite gepflegt.
Schon bald ist Pauline von dem Charme des edlen Gönners völlig verzaubert und aus dem anfänglich distanzierten Verhältnis wird eine feurige Beziehung mit ihrer Rolle als die ihm unterworfene Geliebte, was sich auch positiv auf ihre Singstimme auswirkt, doch die Kehrseite ihres neu gewonnenen Erfolgs verbirgt ein düsteres Geheimnis.

Es ist noch nicht lange her, da hat E. L. James mit ihrer "Shades of Grey" Trilogie für reichlich Wirbel gesorgt und nach dem fast 800 Seiten starken Wälzer von Jeanine Krock könnte man schon fast sagen, dass wir in Deutschland nun auch ein Pendant dazu haben, was als natürlich als Kompliment zu verstehen ist.
Ich muss gestehen, dass ich dem Hype, um das britische Skandalbuch widerstehen konnte und "Gib mir deine Seele" nun die erste literarische Annäherung an das heikle Thema der BDSM Praktiken war, die mich durch das teilweise sehr dominante Verhalten der Protagonisten schockiert haben, aber auch neugierig werden ließen auf Frauen und Männer, die sich in solch einer Verbindung vollkommen fallen lassen.
Die Autorin hat dabei eine gute Balance zwischen Erotik und Opernalltag gefunden, sodass ich zu keinen Zeitpunkt das Gefühl hatte, dass hier krampfhaft über Sex gesprochen werden musste.

Der Schreibstil ließ sich sehr flüssig lesen und durch zahlreiche Reisen zu verschiedenen Opernhäusern oder auch romantischen Liebesausflügen in ferne Länder kommt eine gute Abwechslung in die Geschichte und keine Langeweile auf.
Schon allein durch die beiden Hauptcharaktere, die am Anfang wie Löwe und Hase agieren und im Laufe der Handlung ebenbürtiger werden und Pauline zu einer starken Schönheit mit Engelsstimme reift, ist es spannend ihr Zusammenspiel als Leser hautnah mitzuverfolgen.
Leider bleiben die Gefühle des Liebespaares für mich zu oberflächlich und entwickeln sich nicht zu einer tiefgründigen Partnerschaft, wodurch ich bei manchen Verhaltensweisen der Charaktere (wie z.B. tagelange Funkstille) nur den Kopf schütteln kann, was aber mit der Rollenverteilung erklärbar, aber lange nicht verständlich wird.

Als Kritikpunkt möchte ich die fehlende bzw. sehr magere Verknüpfung zur griechischen Mythologie ansprechen, da die Antriebskraft für Paulines Erfolg und somit auch gewissermaßen für ihre Erfahrungen mit den speziellen Vorlieben in einer Wette der Göttergeschwister Apollo und Artemis begründet sind. Mehr Hinweise in diese Richtung hätten dem Roman noch die gewisse Mystik verliehen, die in Ansätzen schon vorhanden war, aber für meinen Geschmack noch mehr Potenzial hergegeben hätte. Schließlich ist Constantin nicht nur der aufregende und unersättliche Liebhaber, sondern auch himmlischer Helfer, aber noch lange kein harmloser Engel. ;-)

Bewertung vom 06.08.2013
Der Narr
Papp, Stefan

Der Narr


sehr gut

Die große Stärke der Narren ist es, dass sie keine Angst haben, Dummheiten zu sagen.
(Jean Cocteau)

.. oder Dummheiten zu machen, wie in Sams Fall.
Der Protagonist aus "Der Narr" wacht nach einer durchzechten Nacht mit einem blutverschmierten T-Shirt auf und kann sich dank des Filmrisses allerdings an keine Details der feucht-fröhlichen Mittelalterparty erinnern, auf die es ihn verschlagen hat. Als er dann in den Nachrichten erfährt, dass die Leiche der Bankierstochter Alice Heisenstein auf jener Burg gefunden wurde, nimmt die Panik von ihm Besitz, denn die Indizien sprechen eindeutig gegen Sam. Er will aber nicht für eine Tat ins Gefängnis, die komplett in seinem Gedächtnis fehlt und beginnt auf eigene Faust nach Beweisen für seine Unschuld zu suchen. Dabei macht er sich nicht nur redensartlich zum Narren, sondern wird von einer selbst ernannten Hexe in genau so ein Kostüm gesteckt.

Durch Stefan Papps Erstlingswerk fließt ein stetiger Strom von Sarkasmus und schwarzem Humor, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Erschwerend kam hinzu, dass in den ersten beiden Kapiteln der deutsche Leser von den österreichischen Unterhaltungen doch irgendwie überrannt wurde, sodass kein angenehmer Lesefluss entstehen konnte und ich immer abbremsen musste, um wenigstens den Grundgedanken des Gesagten zu begreifen. Im weiteren Verlauf war der Autor aber gnädig zu uns und lässt seine Charaktere hochdeutsch sprechen, womit dann auch der Lesespaß wuchs.

Vom Luzifer-Verlag wird das Buch als "Mystik-Thriller" angepriesen, was es auch definitiv ist, denn neben dem eigentlichen Fall gerät Sam immer mehr in die Tiefen einer keltischen Gruppe, die so altertümlich wie nur möglich am Rande einer Kultstädte campen möchte. Zudem fiebern alle Teilnehmer auf ihr persönliches Fruchtbarkeitsfest an Beltane hin, der auch den Showdown im Mordfall darstellen soll. Die Mischung aus okkulten Hintergründen und Spannungsaufbau ist für meinen Geschmack optimal gelungen, da ich sehr gerne in antike Stämme eintauche und ihre Nachahmer auch eine faszinierende Seite haben.

Chefinspetor Remmel dagegen repräsentiert den irdischen Koloss eines Mannes, den so schnell nichts umhaut. Er ist hoffnungslos den Süßigkeiten verfallen und seine vom Hunger abhängigen Launen machen ihn nicht gerade zu einem Traummann, zumal er definitiv eher der gemütliche bzw. faule Typ ist – speziell im Job. Gemeinsam mit seiner Assistentin Hanni sind sie aber perfekte Gegenspieler zu den skurrilen Personen im Mittelalterkostüm und dem Mörder immer einem Fleischpflanzerl hinterher.

Wären die zahlreiche Star Trek Anspielungen vom nerdigen Sam nicht gewesen, die sich mir schlichtweg nicht erschlossen haben, hätte ich mich vielleicht sogar zur vollen Punktzahl verleiten lassen, doch so gab es zwei/drei Kritikpunkte, die zum erstklassigen Genuss fehlten.

Bewertung vom 31.07.2013
Hasenpfeffer
Waiblinger, Ralf

Hasenpfeffer


sehr gut

Hunde sind die besseren Menschen, aber sind sie auch die besseren Kommissare?

Ralf Waiblinger stellt sich dieser Frage in seinem Krimi-Debüt und vertraut die Rolle seines Protagonisten im Kampf gegen das Böse einer Fellschnauze an.
Spekulantius Bösenschreck, der als Sohn einer sehr samtpfotigen Bäckerfamilie geboren wurde, muss einer Verbrecherbande das Handwerk legen, welche die ganze Region mit billigen Immitaten von Uhren, Zigarren etc. versorgt und damit den Unmut der Bevölkerung auf sich zieht. Die Kriminellen sind flink wie die Hasen und fordern die gesamte Energie des Kommissars, sodass er sich ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden bedienen muss und die Staatsanwaltschaft ganz schön Nerven abverlangt.

Anders als bei Tierkrimis üblich hat sich der Autor hier nicht auf eine Tierart spezialisiert, sondern überrascht uns Leser mit vielen unterschiedlichen Gesellen, wie z.B. der Gans Zuzi, die als Prostituierte schon manches Männerherz zum Schmelzen brachte oder dem Waschbär Geldermann, der in seinem Pfandhaus nicht nur Haushaltsartikel zum Tausch anbietet.
Alle Charaktere haben ihr eigenes Bündel mit düsteren Geheimnissen zu tragen und Bösenschreck ist (in meinen Augen) der schlimmste von allen, weil er mit zahlreichen Negativ-Beispielen die Tugenden eines Hüters des Gesetzes in keinster Weise widerspiegelt und am Schluss sogar als richtiger Schmarotzer endet. Seine Verfehlungen wären bei einem menschlichen Fahnder nicht zu entschuldigen und sind es dementsprechend auch nicht bei dem Vierbeiner. Der schnoddrige Köter zeigt in kaum einer Szene ein weiches Herz, sodass Bösenschreck für mich einen Anti-Helden verkörpert. Leser, die also mal wieder so richtig über den Protagonisten den Kopf schütteln wollen und sich keinen sympathischen Fiffi mit besten Manieren erhoffen, kommen bei „Hasenpfeffer“ voll auf ihre Kosten.

Noch mehr als die interessante Handlung - dank durchaus spannenden Verfolgungsjagden - haben mich die Illustrationen beeindruckt. Mit über zwanzig Zeichnungen, die das soeben Passierte in Bildform lebendig machen, wird der Hundekrimi zu etwas richtig Besonderem, wie es in der Form auch perfekt zu dem Gmeiner Verlag mit seinen immer sehr kreativen Covern passt. Zugunsten von einigen Kürzungen bei beispielsweise wiederkehrenden Verhandlungen oder Verhören, die für meinen Geschmack das Geschehen manchmal stagnieren ließen, wären mehr Portraits aufregender und aussagekräftiger gewesen.

Viele Wortwitze, wie das wiehernde Lachen der Chefin des Kriminallabors (ein Pferd) oder ein lispelnder Hase mit Namen Scharte und seine Kollegen Blume und Rammler zeigen wie viel Herzblut der Autor in sein Debüt gesteckt hat und für einen Krimi macht dieser mächtig Laune!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.