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EOS
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Siegen

Bewertungen

Insgesamt 226 Bewertungen
Bewertung vom 08.03.2022
Violas Versteck / Tom Babylon Bd.4
Raabe, Marc

Violas Versteck / Tom Babylon Bd.4


ausgezeichnet

Mega spannend - genialer Abschluss der Reihe
Dies ist der 4.Band der Thriller Reihe um den LKA Ermittler Tom Babylon. In allen bisherigen Bänden, die ich mit Spannung gelesen habe, taucht Toms Schwester Viola in irgendeiner Form auf, bisweilen auch wie eine nervtötende Erscheinung, denn offiziell ist sie tot. Der Titel des 4. Bandes suggeriert nun, dass sie noch am Leben ist, denn warum sollte sie sonst ein Versteck haben? Mit großen Erwartungen habe ich deshalb dieses Buch gelesen und wurde nicht enttäuscht. Sehr, sehr spannend - ein regelrechter Pageturner, nur mit Widerwillen unterbricht man die Lektüre.
Der Schauplatz ist diesmal in weiten Teilen nach England verlagert, denn in einem Müllcontainer im Londoner Stadtteil Clerkenwell wird Tom Babylon gefunden, nackt und mit einer schweren Kopfverletzung. Infolgedessen leidet er an Amnesie, die so ausgeprägt ist, dass er noch nicht einmal weiß, wie er überhaupt nach London gekommen ist. Eine Ärztin im Hospital kümmert sich liebevoll um ihn, aber kann er ihr wirklich vertrauen? Immerhin erfährt er mit ihrer Hilfe, dass er seinen Job beim LKA gekündigt hat und seine Frau mitsamt Sohn ihn verlassen hat. Das tritt aber alles in den Hintergrund, weil er ja seine Schwester Viola sucht, und signifikante Spuren haben ihn nach England geführt. Bald findet er heraus, dass es noch weitere Personen gibt, die Viola finden wollen, da sie offensichtlich etwas Außergewöhnliches im Besitz hat.
Toms Kollegin Dr. Sita Johanns bekommt von Tom den Auftrag, seinen Widersacher Dr. Walter Bruckmann zu besuchen, um ihm eine Botschaft zu überbringen. Dieser befindet sich in einer forensischen Klinik, weit abgelegen in den Allgäuer Bergen. Aber auch sie kommt sehr bald in arge Bedrängnis....
Mehr möchte ich zum Inhalt nicht verraten, aber die Situation spitzt sich immer wieder zu. Es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und auf unterschiedlichen Zeitebenen, die vor den jeweiligen Kapiteln angegeben werden. Tom Babylon muss wieder sehr viel einstecken, man wundert sich manchmal, wie er das alles überlebt. Immer wieder gibt es Überraschungen, Angriffe, enttäuschte Hoffnung oder aussichtslos erscheinende Situationen. Manche Szenen sind regelrecht schaurig, was aber auch die Spannung anheizt.
Die Hauptprotagonisten Tom und Sita sind sehr detailliert und überzeugend beschrieben, man kann ihre Aktionen nachvollziehen und mit der Zeit auch vorausahnen. Beide sind mir nicht sehr sympathisch, aber das spielt keine Rolle, um ihre Verhaltensweisen gedanklich zu unterstützen. Tom wünsche ich nach der Auflösung dieses gewaltigen Falls ganz dringend eine Auszeit und eine kompetente psychologische Betreuung, denn in meinen Augen ist sein Verhalten teilweise psychotisch, besonders im Wahrnehmungsbereich. Dadurch werden auch seine Emotionen beeinflusst. Aber vielleicht ändert sich das nun...
Alles in allem habe ich das dicke Buch (über 600 Seiten) in kurzer Zeit verschlungen, es hat mir äußerst spannende Unterhaltung gebracht und bekommt eine eindeutige Leseempfehlung.

Bewertung vom 26.02.2022
Boom Town Blues
Dunne, Ellen

Boom Town Blues


sehr gut

Rache als Motiv?
Patsy Logan ist eine erfolgreiche Ermittlerin beim LKA München, die aber nach beruflichem und privatem Stress dringend eine Auszeit braucht. Da sie irische Wurzeln hat, beschließt sie, ihre Cousine in Dublin zu besuchen, um ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl wieder aufzubauen und vom Beruf abzuschalten. Doch dies währt nicht lange, denn sie wird um Amtshilfe gebeten, als in der österreichischen Botschaft eine deutsche Praktikantin während eines Festessens vergiftet wird. Offiziell darf sie als Ausländerin nicht ermitteln, aber ihr Interesse ist schnell geweckt und zusammen mit Sam Feuerstein von der österreichischen Botschaft startet sie Ermittlungen auf eigene Faust, die interessante Spuren aufdecken.
Sehr interessant werden die Zusammenhänge zwischen der Finanzkrise am Anfang dieses Jahrhunderts und dem sich anschließenden Wirtschaftsboom geschildert, der die Immobilienpreise explodieren ließ und viele Hauseigentümer, deren Objekte mit Hypotheken belegt waren, in den Abgrund stürzte, da die Arbeitslosigkeit groß war. Vor diesem Hintergrund, zwischen Untergang und Habgier, spielt dieser Fall.
Zunächst fängt die Handlung ganz gemächlich an, baut aber immer mehr Spannung auf, was sich steigert und den Leser am Ende nicht mehr zur Ruhe kommen lässt, bis der Täter gefunden ist, so dass ich das Buch in der zweiten Hälfte nur schwer aus der Hand legen konnte. Einige überraschende Geschehnisse zwischendrin verstärken diese Wirkung noch.
Am flotten Schreibstil der Autorin haben mir besonders die Beschreibungen gefallen, die intensive Bilder liefern, da sind z.B. Bäume, die wie Streifenpolizisten agieren oder der Mantel an der Garderobe, der wie eine schlafende Fledermaus wirkt. Irgendwann schluckt Patsy ' das Gefühl nach feuchtem Waschlappen nach unten' usw. Sehr wirkungsvoll in der saloppen und gleichzeitig intensiven Beobachtung!
Patsy als Hauptprotagonistin ist sympathisch, da sie geradlinig, ehrlich und selbstbewusst agiert. Ihre ironischen Hiebe auf ihre eigene Person sind humorvoll. Allerdings ist sie ein eher negativ denkender Charakter, was sie öfters durch Alkohol zu korrigieren versucht. Was mir auch nicht gefallen hat, sind die ständigen Rückblicke auf die negativen Seiten ihrer Ehe und den Selbstmord ihres Vaters. Da hätte es weniger auch getan.
Alles in allem hat mich das Buch gut und spannend unterhalten und mir interessante Einblicke in Boomtown Dublin geliefert. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 24.02.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1


ausgezeichnet

Skurrile Typen und große Spannung
Judith Potts, 77 Jahre alt, lebt im beschaulichen Ort Marlow, an der Themse gelegen, und ist stadtbekannt, da sie ein recht exzentrisches Leben führt. Sie ist neugierig und resolut, lebt allein, um sich nicht fremdbestimmen zu lassen, arbeitet als Kreuzworträtsel-Autorin und liebt das Nacktschwimmen im Fluss. Als sie dort wieder einmal abends unterwegs ist, hört sie einen Schuss und ist sicher, dass ihr netter Nachbar getötet wurde. Die Polizei hält dies zunächst für eine Spinnerei, zumal auch keine Leiche gefunden wird, und so beginnt Judith auf eigene Faust zu ermitteln, da der Nachbar 'ein guter Freund' war. Im Laufe ihrer Ermittlungen gewinnt sie zwei weitere Damen als Unterstützung, die ebenso skurril sind wie sie selbst. Da ist zum einen die Pfarrersgattin Becks, überkorrekt und neurotisch, und zum anderen Suzie, eine Hundesitterin, die in einem unvollständigen Haus lebt.
Das Trio hat außergewöhnliche Ermittlungsmethoden, gewagte Ideen, starke Einsätze und ein gutes Fingerspitzengefühl für kriminelle Machenschaften, was einen immer wieder an die köstliche Miss Marple erinnert. Manche Szenen sind wirklich filmreif, und man hat bei der bloßen Vorstellung ein Schmunzeln im Gesicht. Auf gekonnt britische Art werden uns die bizarren Charaktere nähergebracht, natürlich vollkommen überzeichnet, aber das gehört dazu und macht diese Cosy Crimes so liebenswert. Ich liebe diese spleenigen Typen! Auch wenn mal etwas realitätsfern erscheint, stört dies überhaupt nicht, es passt einfach.
Durch ihre Teamarbeit entwickeln die drei Damen auch sehr viel Empathie füreinander und blühen regelrecht auf. Der Autor hat dies detailliert und glaubwürdig beschrieben. Überhaupt ist der Schreibstil sehr angenehm und gut lesbar.
Dazu kommt, dass der Spannungsbogen immer intensiver wird und man im letzten Drittel das Buch kaum noch aus der Hand legen kann. Als Leser reiht man sich irgendwann in die Reihe der Ermittelnden ein und rätselt mit. Dies war hier von ständigem Umdenken gekennzeichnet und hat großen Spaß gemacht. Kaum war man sicher, die richtige Fährte gefunden zu haben, gab es wieder eine Wendung. Äußerst kurzweilig! Allerdings muss ich gestehen, dass ich letztendlich nicht erfolgreich war, denn die Lösung war sehr überraschend, aber logisch zugleich.
Der Abschied fällt mir schwer, und ich hoffe, dass weitere Bände folgen werden. Gute Krimis müssen nicht bluttriefend und gewalttätig sein, es geht auch anders! Ich habe das Buch genossen und spreche eine klare Lese-Empfehlung aus.

Bewertung vom 19.02.2022
Perfect Day
Hausmann, Romy

Perfect Day


sehr gut

Professor Lesniak lebt mit seiner Tochter Ann in Berlin. Anns Mutter ist früh gestorben, und ihr Vater hat sie groß gezogen, wobei die beiden ein wirklich gutes Verhältnis hatten. Ann bekam immer Hilfe und Unterstützung von ihrem Vater. Jetzt ist sie Mitte zwanzig, lebt aber immer noch mit ihrem Vater zusammen.
Eines Abends, während die beiden auf den Pizza-Service warten, klingelt die Polizei und verhaftet den Professor. Ihm wird vorgeworfen, über Jahre zehn junge Mädchen in Berlin und Umland ermordet zu haben, die Wege zu den Opfern wurden mit roten Schleifen markiert. Ann ist entsetzt und glaubt fest an die Unschuld ihres Vaters. Sie beschließt, seine Unschuld zu beweisen und gerät dabei in gefährliche Situationen, Auge in Auge mit menschlichen Abgründen.
Der Schreibstil ist einfach zu lesen und beschreibt anschaulich die jeweilige Situation.
Nachdem im ersten Teil die Spannungskurve nur langsam zunahm, änderte sich dies in der zweiten Hälfte enorm. Der Thriller wurde zu einem regelrechten Pageturner, sehr spannend und mit einigen Wendungen, die den Leser wieder neue Spuren aufnehmen ließen. Das Miträtseln hat Spaß gemacht, weil die Autorin falsche Fährten legte und damit ein Umdenken unbedingt erforderlich war. In diesen Momenten konnte man das Buch nur schwer aus der Hand legen.
Der häufige Perspektivenwechsel hat mir sehr gut gefallen, so merkte man schnell, dass die Handlungsstränge miteinander verwoben waren. Es folgte dann ein überraschendes Ende, das aber überzeugend und durchdacht konstruiert war.
Die Hauptprotagonistin Ann scheint mir etwas übertrieben dargestellt, bisweilen sogar rätselhaft. Sie ist ein sehr wechselhafter und teilweise auch schwieriger Charakter. Sympathisch ist sie mir nicht und wirkt bisweilen nicht authentisch.
Alles in allem habe ich mich gut unterhalten gefühlt und gebe 4 Sterne.

Bewertung vom 06.02.2022
Der Erinnerungsfälscher
Khider, Abbas

Der Erinnerungsfälscher


ausgezeichnet

Minenfelder im Gedächtnis
Said Al-Wahid ist auf dem Rückweg von einer Lesung, als ihn die Nachricht erreicht, dass seine Mutter im Sterben liegt. Er hat sie lange nicht gesehen, da sie immer noch im Irak lebt, von wo Said vor der Diktatur geflohen ist und nun schon viele Jahre in Deutschland lebt. Er lebt in Berlin, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Monica und dem kleinen Sohn Ilias.
Said beschließt, sofort nach Bagdad zu fliegen, um keine Zeit zu versäumen, denn er möchte seine Mutter noch einmal sehen. Den deutschen Reisepass hat er immer dabei, er ist für ihn das wichtigste Dokument, denn es erleichtert sein Leben. Unterwegs hat er nun viel Zeit, sich emotional auf seine alte Heimat einzulassen, und damit kommen auch zahlreiche Erinnerungen auf.
Viele seiner Erinnerungen sind negativ besetzt, denn in seiner Heimat sind schlimme Dinge passiert, auch innerhalb seiner Familie, ebenso auf der Flucht. Dies sind die Minenfelder in seinem Gedächtnis, die er nicht gern betreten möchte. Dazu gehört z.B. der sinnlose Tod seiner Schwester und ihrer Familie.
Er bezeichnet sich selbst als Erinnerungsfälscher, denn er füllt leere Erinnerungsrahmen mit fiktiven Inhalten aus, bzw. weiß er nicht, ob sie Realität sind oder nicht, denn es gibt mehr als eine Variante dieser Erinnerungen, aber was ist authentisch? Ich denke, die erlittenen Traumata bringen ihn dazu, die Vergangenheit in einigen Bereichen zu verdrängen.
Irgendwie scheint mir Said ein einsamer Mensch zu sein, der auf sich allein gestellt ist. Er hat zwar Kontakte, sogar eine eigene Familie, aber wichtige Entscheidungen trifft er allein. Und er ist auch oft allein, allein mit seinen Erinnerungen. Daher ist die Atmosphäre oft niederdrückend, was zum Inhalt des Buches passt.
Der Schreibstil das Autors ist flüssig und gut verständlich. Er benutzt eine einfache Sprache, ohne Verschnörkelungen, was meiner Meinung nach aber gut zum Inhalt passt, denn auch das geschilderte Leben ist bescheiden und schmucklos. Teilweise hat man das Gefühl, biographische Züge zu erkennen, vielleicht auch nur auf der Gefühlsebene.
Nach dem 'Palast der Miserablen' hat mich auch dieses Buch von Abbas Khider wieder sehr beeindruckt, und ich spreche eine eindeutige Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 01.02.2022
Milch Blut Hitze
Moniz, Dantiel W.

Milch Blut Hitze


ausgezeichnet

Ergreifende Lebensmomente in Kurzgeschichten
Dies ist ein Buch, das man nicht einfach nur liest und abhakt, sondern es beschäftigt den Leser weiter. Die Themen der Short Stories sind sehr lebensnah, und man fragt sich, wie man sich selbst in einer solchen Situation verhalten würde. Da ist z.B. Lucas, der sich mit dem Rest der Familie zerstritten hat, weil er der einzige war, der den von ihm gehassten Vater hätte am Leben halten können. Aber er hat abgelehnt, ich als Leser setze mich mit dieser schwierigen Situation auseinander und frage mich, wie ich entschieden hätte.
Alle Storys spiegeln verschiedene Situationen im Leben wieder, die nicht einfach zu bewältigen sind und von einer gewissen Schwermut überlagert sind.
Eine Story hat mich besonders aufgewühlt, da sie grausame soziale Gegensätze herausstellt. Es geht da um einen elitären Club, der sich durch besondere Vorlieben auszeichnet.
Die Situationen berühren den Leser, weil sie Gefühle ausdrücken, mit denen sich fast jeder mal auseinander setzen muss, es geht um Verluste, Verlustängste, Einsamkeit, Rebellion, Schuld und Vergebung, Verzweiflung , Angst....die Authentizität der Geschichten ist eindeutig gegeben. Die Protagonisten sind überwiegend weiblich und mit dunkler Hautfarbe. Naheliegend sind daher auch Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit.
Der Schreibstil ist sehr elaboriert, die sprachliche Vielfalt bemerkenswert. Die Autorin beschreibt die jeweiligen Szenen sehr eindrucksvoll und gut vorstellbar. Teilweise sind die Enden offen, man kann seiner Gedankenwelt freien Lauf lassen. Oder das Ende kommt mit aller Macht und überrascht den Leser.
Das Buch hat mich positiv überzeugt, ich spreche eine Leseempfehlung aus und gebe gern die volle Punktzahl.

Bewertung vom 26.01.2022
Unser kostbares Leben
Fuchs, Katharina

Unser kostbares Leben


sehr gut

Gedankenlosigkeit und Vertuschung in den 70er/80er Jahren
Das Buch erzählt die Geschichte der Familien Stern und Schönwetter, die im fiktiven Ort Mainheim in den 70er/80er Jahren leben. Die Töchter der Familien, Caro und Minka, sind beste Freundinnen und damals ein Herz und eine Seele. Diese Jahre spielten auch in meinem Leben eine große Rolle, so dass ich mich über viele schöne Erinnerungen gefreut habe. Ach ja, da war doch: Europa Schallplatten, Hawaii-Toast, Gummitwist, das Parfüm 'My Melody', Knautschsäcke u.v.m.
Aber da ist auch eine andere Seite, die ich mir nie bewusst gemacht habe und die mir durch den Roman deutlich vor Augen geführt wurde: diese Jahre haben der Umwelt und der Natur sehr zugesetzt, beide wurden rücksichtslos ausgebeutet und die Schäden wurden vertuscht. Besonders die Tierrechte wurden radikal missachtet, Versuchstiere wurden schlimmstens misshandelt und fast keinen kümmerte es. Medikamente wurden an wehrlosen Heimkindern getestet, ohne Rücksicht auf die Folgen. Bäume wurden massenweise gefällt für irgendwelche Autostraßen, die Plastikschwemme erreichte einen Höhepunkt, Industrieabwässer flossen unkontrolliert in die Flüsse u.v.m. Das fand ich sehr erschütternd, weil mir erst jetzt klar wurde, dass ich damals sehr gleichgültig gewesen bin und die offensichtlichen Gefahren ignoriert habe. Der große Umbruch kam erst 1986 mit Tschernobyl.
Mir hat gefallen, dass das Buch politisch und gesellschaftskritisch in die Tiefe ging und nicht diese Zeit als kunterbunte Hippiewelt darstellte. Die Autorin hat sehr gründlich recherchiert und dies alles versprachlicht. Deshalb liegt dieser 600 Seiten-Wälzer vor dem Leser! Hier muss ich hinzufügen, dass mir manches zu detailliert beschrieben war und einige Passagen recht langatmig waren. Auch hat sie viele verschiedene Handlungsfäden aufgenommen, die aber dann nicht alle richtig zu Ende geführt wurden. Da hätte ich in manchen Verflechtungen mehr Klarheit erwartet. Gegen Ende geht alles ganz schnell und die Kapitel werden deutlich kürzer, um alle Protagonisten nochmal zu betrachten. Das hat mir weniger gefallen.
Der Schreibstil ist einfach und klar, die Beschreibungen detailliert und meist nachvollziehbar. Die Handlungen werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, über jedem einzelnen Kapitel findet sich der Name des Betrachters.
Wer einen Bezug zu dieser revolutionären Zeit hat, wird hier gut unterhalten, informiert und findet sich in interessanten Erinnerungen wieder. Mich hat das Buch zum Nachdenken angeregt und ich möchte eine Leseempfehlung aussprechen.

Bewertung vom 17.01.2022
Das Loft
Geschke, Linus

Das Loft


ausgezeichnet

Extremspannung
Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt, da es ein regelrechter Pageturner ist, und zwar bis zur letzten Seite. Ich habe meine Lektüre sehr ungern unterbrochen, da mich das Geschehen in seinen Bann gezogen hat. Für den Schluss habe ich bis tief in die Nacht gelesen.
Das Genre wird als psychologischer Thriller eingeordnet, mit Recht! Es gibt keine großartigen Action-Szenen, das meiste spielt sich in Gedanken und Dialogen ab, was aber sehr fesselnd ist.
Durch den ständigen Perspektivwechsel verstärkt sich die Spannung noch, denn der Autor baut regelmäßig Cliffhanger ein, die den Leser sehnsuchtsvoll auf den nächsten Abschnitt aus gleicher Sicht warten lassen.
Inhaltlich geht es um drei junge Leute, die sich eine Wohnung teilen. Sarah und Marc sind ein Paar, Henning ist Marcs bester Freund. Das Verhältnis zwischen Sarah und Henning ist nicht problemlos. Henning wir eines Tages brutal erstochen, haben seine Mitbewohner mit dieser Tat zu tun? Oder ist der Täter im weiteren Umfeld zu suchen? Alle drei haben ein Luxus-Leben geführt, ohne dass klar ist, woher das Geld fließt, liegt der Mord hier begründet? Nach einem gemeinsamen Urlaub in der Karibik hat sich vieles verändert, was ist damals in Nicaragua geschehen?
Es stellen sich viele Fragen, und ich als Leser habe mitgerätselt, wobei ich oft meine Gedanken neu sortieren musste, was mir sehr gefallen hat. Am Ende wurde ich sehr überrascht, damit hatte ich nicht gerechnet! Aber alles ist plausibel erklärt und macht Sinn. Sehr gelungen!
Sehr interessant fand ich auch die Einblicke in Verhör-Taktiken, die durch die Chefermittlerin Bianca Rakow preisgegeben werden. Psychologisch raffiniert übt sie Druck auf die Verdächtigen aus, und auch ihren Co-Ermittler Höger, der eher plumpe Verhörmethoden anwendet, kann sie auf freundliche, aber bestimmte Weise für sich gewinnen.
Ich möchte mit keinem der drei jungen Protagonisten befreundet sein, sie erscheinen mir sehr oberflächlich, und ihre angeblich tiefe Zuneigung erweist sich als trügerisch. Diese Charakterzüge hat der Autor sehr gekonnt dargestellt.
Alles in allem kann ich eine klare Leseempfehlung aussprechen. Das Buch hat mich überzeugt, großes Lob an den Autor, gerne mehr davon!

Bewertung vom 16.01.2022
Abschied von der Heimat / Böhmen-Saga Bd.1
Sonnberger, Gabriele

Abschied von der Heimat / Böhmen-Saga Bd.1


sehr gut

Eine abwechslungsreiche böhmische Familiengeschichte
Diese Familiensaga macht den Leser mit Erika bekannt, die bereits als Fünfjährige sehr tapfer sein muss. Denn sie muss ihre Heimat, das Rheinland, verlassen, um zu ihrer Tante nach Böhmen zu ziehen. Grund dafür ist eine Hungersnot, die Familie Binder dazu bringt, die jüngste Tochter zu Tante Mimi zu schicken, die Lehrerin ist und keine Kinder hat. Dort wächst Erika behütet, aber ziemlich gefühlsneutral auf. Die Tante wirkt verbittert und herrisch. Aber Erika macht mit ihrem sonnigen Gemüt das Beste daraus und entwickelt sich zu einer selbstbewussten jungen Frau. Aber dann bricht der Krieg aus und bringt große Probleme mit sich....
Ich habe sehr viel über den politischen Hintergrund der historischen Region Böhmen gelernt, allerdings hatte ich gehofft, mehr über die Vertreibung der Deutschen zu erfahren, was der Klappentext versprach. Dieses Thema wurde aber nur am Ende des Buches angesprochen und wird sich wohl im nächsten Band zurückmelden. Das hat mich etwas enttäuscht. In diesem Zusammenhang möchte ich noch die Übersichtskarte vorne im Buch positiv erwähnen, die ich gern benutzt habe, um die erwähnten Orte zu finden und so einen besseren Überblick zu bekommen.
Das Buch liest sich flüssig und spannend, man möchte immer wissen, was als Nächstes passiert. Darunter sind auch einige schwerwiegende Vorfälle, die aber vorsichtig umschrieben werden, so dass der Leser nicht vor den Kopf gestoßen wird.
Widersprüche sehe ich in der Person der jugendlichen und erwachsenen Erika. Einerseits selbstbewusst und intelligent, reagiert und handelt sie manchmal mit überraschender Naivität und Gutgläubigkeit. Auch ist ein weiter Bogen gespannt von der kämpferischen Erika, die Partisanenaufgaben gegen die Nazis übernimmt, bis zur verliebten Erika, die sich der nazifreundlichen Gesinnung ihres Freundes anschließt. Das war für mich nicht überzeugend!
Alles in allem hat mir das Buch unterhaltsame Lesestunden beschert, so dass ich eine Leseempfehlung aussprechen möchte, aber wegen der oben erwähnten Kritikpunkte ziehe ich ein Sternchen ab.

Bewertung vom 10.01.2022
Strahlentod / Sabine Kaufmann Bd.6
Holbe, Daniel;Tomasson, Ben

Strahlentod / Sabine Kaufmann Bd.6


sehr gut

Hasserfüllter Blick zurück
Der Blick zurück beschreibt eine Konfrontation zwischen Atomgegnern und Polizisten, bei der ein gewalttätiger Demonstrant einen Polizeibeamten mit einem Steinwurf tötet. Einige Jahre später explodiert während einer Protestaktion gegen Atommüll Transporte ein alter VW-Bus, in dem einer der lokalen Alt-Hippies saß. Kommissar Ralph Angersbach ist schockiert, als er zum Tatort kommt, denn sein Vater fährt einen derartigen Wagen. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um ein identisches Fahrzeug eines anderen Atomkraftgegners handelt, und dieser kam bei dem Anschlag ums Leben. Im näheren Umfeld geschehen weitere grausame Morde und Angriffe, und bald muss man einfach einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Fällen sehen. Aber wer mag dahinter stecken?
Zusammen mit LKA-Beamtin Kaufmann nimmt Angersbach die Ermittlungen auf, die sich nicht einfach gestalten. Es gibt eine ganze Reihe von Verdächtigen, und als Leser ist man geneigt auf so manche Spur reinzufallen, die sich dann aber als Sackgasse erweist. Auf jeden Fall kann man miträseln, was ich an Kriminalromanen sehr schätze, und ich hatte auch schon sehr bald einen dringenden Verdacht. Der Autor schaffte es aber immer wieder, mich unsicher zu machen. Das hat mir gut gefallen, und das Ende hat mich vollends überzeugt, alles wurde logisch gelöst und erklärt.
Die Spannung baut sich ganz allmählich auf, in der ersten Hälfte des Buches gab es einige langatmige Passagen, die aber in der zweiten Hälfte nicht vertreten waren. Ganz im Gegenteil - in der zweiten Hälfte mochte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, die Spannung steigerte sich enorm!
Was mir nicht gefallen hat, waren häufige Wiederholungen. Ich weiß nicht, wie oft ich im Buch gelesen habe, dass Angersbach seine Halbschwester Janine sehr mag und dass sein Vater ihn im Stich ließ, um die freie Liebe zu praktizieren. Sehr oft! Zu oft! Irgendwann hat man es kapiert!
Ja, und dann wurden viel zu viele Seiten gefüllt mit der privaten Beziehung der beiden Ermittler zueinander, die nicht wissen, ob sie eine dauerhafte Partnerschaft eingehen sollten. Dieses ständige Hin und Her nervt und nimmt zu viel Platz ein. Ich finde es ganz nett, in Maßen etwas über das Privatleben zu erfahren, aber nicht in diesen Ausmaßen!
Die Hauptfigur Ralph Angersbach ist mir nicht sympathisch. Offensichtlich hat der Kommissar traumatische Ereignisse seiner Kindheit noch nicht verarbeitet. Er ist schroff, empathielos, empfindlich und Humor ist für ihn ein Fremdwort. Auch seine Sprache (z.B. 'das geleckte Ehepaar') gefällt mir nicht. Seine Kollegin Sabine Kaufmann gefällt mir etwas besser, sie zeigt deutlich mehr Empathie und ermittelt weitsichtiger. Aber auch sie wirkt unreif im Umgang mit möglichen Lebenspartnern.
Gut gefallen hat mir der Rechtsmediziner Hack. Raue Schale, netter Kern, und oftmals sarkastische und treffende Kommentare.
Alles in allem stufe ich das Buch als lesenswerten Kriminalroman ein, ziehe aber aus oben genannten Gründen ein Sternchen ab.