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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Batyr
Wohnort: 
Ahrensburg

Bewertungen

Insgesamt 112 Bewertungen
Bewertung vom 11.11.2018
Kampfsterne
Hennig von Lange, Alexa

Kampfsterne


weniger gut

Mühsam dahinplätschernde Geschichte
Helikoptereltern, Tigermütter, grausige Einfamilienhaus-Idyllen, Männer in den Varianten Waschlappen oder Prügel-Macho: es geht hoch her in Alexa von Hennig-Langes neuem Roman. Der flapsig-treffsicher-witzige Tonfall täuscht nicht darüber hinweg, dass diese Siedlung ein Inferno darstellt!
Doch mit fortschreitender Lektüre tritt ein gewisser Übersättigungseffekt ein: es sind halt immer die gleichen Schläge, die die Autorin austeilt. Um dem angestrebten Flair der Achtziger Jahre Genüge zu tun, dienen die weiblichen Protagonistinnen als Sprachrohr feministischer Parolen. Aber mehr als ein mildes Lächeln vermögen diese Passagen beim Leser nicht hervorzurufen. Weitgehend erschöpft sich die Atmosphäre der Epoche auf die Erwähnung solcher Kinkerlitzchen wie Hotpants oder weißen Ikea-Möbeln. Schade, die Thematik hätte eine substantiellere geistige Durchdringung verdient als diese mühsam dahinplätschernde Geschichte!

Bewertung vom 11.11.2018
Die Tote im Wannsee / Kommissar Wolf Heller Bd.1
Kellerhoff, Lutz W.

Die Tote im Wannsee / Kommissar Wolf Heller Bd.1


ausgezeichnet

Berlin in den 60ern
Eine schöne Gemengelage: die demonstrierenden Studenten, der noch nicht lange zurückliegende Mauerbau, der konstante Schlagaustausch zwischen Ost und West, die Infiltration von DDR-Agenten in die westdeutsche Gesellschaft, die muffigen Moralvorstellungen der Nachkriegszeit, ein Kommissar in unklarer Lebenssituation - und eine Frauenleiche im Wannsee. Wer sich an diese Zeit tatsächlich selbst erinnern kann, kommt aus dem zustimmenden Nicken gar nicht mehr heraus: genau so war?s! Raffiniert, wie die drei Autoren, die sich hinter dem Pseudonym Lutz Wilhelm Kellerhoff verbergen, authentische Details, Personen und Ereignisse in die Handlung einflechten. Das Personal des Romans repräsentiert die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten: die Transe Rita bildet da nur ein Sahnehäubchen. Ditt is Berlin!

Bewertung vom 11.11.2018
Die letzte Terroristin
Georgi, André

Die letzte Terroristin


ausgezeichnet

Neuer ‚Deutscher Herbst‘
Welch ein Kontrast: in unserer Erinnerung die angespannte Atmosphäre der RAF-Vergangenheit, als die zunehmende Frequenz und der steigende Grad von Brutalität der verübten Verbrechen die Öffentlichkeit zunehmend verunsicherten - und hier in unserer Gegenwart der wunderbar schnoddrige Tonfall des Autors - eine Lektüreverheißung!
Es ist Frühling im wiedervereinten Deutschland, und die Schlagwörter des Tages lauten Stasi und Dunkeldeutschland. Da kommt Georgi und setzt die RAF als Kontrapunkt. Zwei Gravitationszentren hat der Roman. Einmal die Treuhand, die‘s richten soll, die versprochenen blühenden Landschaften zu erschaffen. Dann das BKA, die gegenüber der neu aufgestellten RAF einen Tiefschlag nach dem anderen einstecken muss.
Und es gelingt dem Autor, ein faszinierendes Dreiergestirn der Protagonisten zu schaffen: Bettina, die eiskalte Aktivistin im Untergrund, Sandra, willig-unwillig in Hinblick auf ihre Rolle - und Kawert, frustriert aber zäh, nicht aufgebend.

Bewertung vom 11.11.2018
Dreckiger Schnee / Aidan Waits ermittelt Bd.1
Knox, Joseph

Dreckiger Schnee / Aidan Waits ermittelt Bd.1


weniger gut

Finsteres Manchester
Am Ende des Romans sieht sich der Leser wieder an den Anfang zurückversetzt: Aidan Waits, der taffe Polizist, ist degradiert, kaltgestellt, aber um viele Erfahrungen reicher.
Waits steckt eine Menge weg. Ein wildes Kaleidoskop von Brutalität und Verschlagenheit zieht den Detective hinein in einen Strudel von Ereignissen, dem der Leser kaum zu folgen vermag: Rivalisierende Drogengangs, ein ‚cold case’, ein Geschwader attraktiver Mädchen, die aber kaum zu unterscheiden sind. Am Ende sind die Gangster weitgehend eliminiert, die absoluten Baddies tauchen ein wenig zu unvermittelt im Geschehen auf, und Waits zwischen Baum und Borke kann nicht einmal Genugtuung empfinden. Der Leser ist enttäuscht, weil der Autor seine erzählerischen Ambitionen nicht durchhalten kann.

Bewertung vom 11.11.2018
Slow Horses / Jackson Lamb Bd.1
Herron, Mick

Slow Horses / Jackson Lamb Bd.1


ausgezeichnet

very British
'Tongue in the cheek' nennt es die englische Sprache, wenn eine Aussage nicht unbedingt für bare Münze genommen werden soll, und nach diesem Motto funktioniert dieser Geheimdienst-Thriller! Atemlos verfolgt der Leser die Eingangszene, in der ein Fehler der Einsatzkräfte einen Terroranschlag von ungeheurem Ausmaß ermöglicht - um im nächsten Kapitel darüber aufgeklärt zu werden, dass das Ganze nur ein Trainingseinsatz für einen MI5-Agenten gewesen ist, der daraufhin ausgemustert und den als lahme Gäule diffamierten Mitarbeitern in Slough House zugeordnet wird. Und diesem Prinzip folgt der ganze Roman: einmal erscheint die Mannschaft als hoffnungslose Gurkentruppe, dann entpuppt sie sich als Ansammlung origineller und schlagkräftiger Individuen. Selbstverständlich, dass auch der Handlungsfaden dieses großartigen Romans einem perpetuierten Vexierspiegel entspricht.

Bewertung vom 11.11.2018
Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste
Schwenke, Philipp

Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste


gut

Blick auf einen Erfolgsautor
Bei der Lektüre der Leseprobe war ich ja noch Feuer und Flamme: selbst in jungen Jahren begeisterte Karl May-Leserin (Bände vom großen Bruder ausgeliehen), stürzte ich mich begeistert auf das gelieferte Exemplar. Bedenklich stimmte nach dem ersten Blick der enorme Umfang: mehr als 600 Seiten - sollte das die Biographie eines Kolportage-Autors aus dem 19. Jahrhundert hergeben? Meine Sorge erwies sich als berechtigt. Der Autor ist sehr gewieft, wie er mit den verschiedenen Zeitebenen spielt. Aber die einzelnen Episoden, so amüsant sie im Verlauf der Erzählhandlung dargestellt werden, ziehen sich doch mächtig! Bereits nach der Hälfte des Textes weiß der Leser, wohin die Reise geht, und kommt zu dem Ergebnis: eine energische Kürzung hätte dem Roman mehr als gut getan!

Bewertung vom 11.11.2018
Befreit
Westover, Tara

Befreit


ausgezeichnet

Fromme Blasphemie
Die Zugehörigkeit zur Sekte der Mormonen muss ja gar nicht das Problem sein. Auch nicht die anfängliche Armut.
Aber wenn jedes Ereignis, jeder Unglücksfall, der eindeutig auf Beschränktheit zurückzuführen ist, als Gottes Wille angesehen wird, dann wird deutlich, dass Eigenverantwortlichkeit in dieser Familie ein Fremdwort ist. Was Demut vor Gott sein soll, ist in Wirklichkeit der vollkommen hypertrophierte Machtwille des Vaters. Wer in unseren Tagen nach solch archaischen Prinzipien zu leben bereit ist, stellt seine umfassende Abhängigkeit unter Beweis.
Fassungslos verfolgt der Leser, unter welchen schweren Bedingungen die Protagonistin sich befreit - und um welchen Preis! So tief verinnerlicht die perpetuierte Manipulation, dass die konstante Introspektion zum vollkommenen Zusammenbruch führt. Zu zweifeln, dass man sich selbst trauen kann, das ist der größte Bankrott, sich daraus zu befreien der tapferste Sieg! Ein Buch, dass man nicht aus der Hand legt!

Bewertung vom 11.11.2018
Der Narr und seine Maschine / Tabor Süden Bd.21
Ani, Friedrich

Der Narr und seine Maschine / Tabor Süden Bd.21


sehr gut

Pavane des Abschieds
Der Duktus des nicht einmal einhundertfünfzig Seiten langen Textes suggeriert dem Leser unmissverständlich, dass er den letzten Roman um den in sich gekehrten und wortkargen Ermittler Tabor Süden in Händen hält. Knapp beschrieben findet sich der Protagonist an dem Ort, der Inbegriff des Abschieds ist, am Bahnhof, doch allzu deutlich wird, dass es kein Ziel gibt.
Nur drei Seiten weiter findet sich geradezu gespiegelt eine ähnliche Szene vor einer Verkehrsampel, ein anderer Mann, aber ebenso regungslos an einen Ort gebannt. Tabor Süden wird von seiner Chefin überzeugt, den Fall eines verschwundenen Kriminalschriftstellers zu übernehmen, und so bewegen sich die beiden Männer in verschlungenen Figuren aufeinander zu, bis die Pavane in einer schäbigen Bar endet. Die Synchronität der beiden Lebensläufe tritt zutage, und zum Schluss ist es nur noch Süden, der gemessen erneut sich an den Ort des Abschieds begibt, diesmal aber lässt er sich nicht zurückhalten.
Ein Krimi ist das nicht. Aber das erhofft sich vermutlich jeder Autor: dass seine Leser ihn zweifelsfrei durch die Sprache identifizieren, die lakonisch und lässig daherkommt und einen Sog entfaltet, dem widerstehen zu wollen zwecklos ist.

Bewertung vom 11.11.2018
Alchimie einer Mordnacht
Black, Benjamin

Alchimie einer Mordnacht


gut

Behaglich und beschaulich
Sorry, Benjamin Black: die ‘Alchimie einer Mordnacht‘ als Kriminalroman zu bezeichnen, halte ich für einen Etikettenschwindel!
Gewiss, zwei Leichen verzeichnet gleich der Beginn des Handlungsverlaufs; zugegeben, allerlei Ränke werden geschmiedet; ja, wer auf der Seite der Guten, der Bösen, wird dem Leser nicht immer gleich deutlich.
Doch insgesamt gesehen ist die Stimmung so behaglich und beschaulich, wie sie ein historischer Roman nur zu schaffen vermag. Das liegt in erster Linie am Ehrgeiz des Autors, die Epoche vor dem Dreißigjährigen Krieg vor den Augen des Lesers so recht lebendig werden zu lassen. Insbesondere die Figur des Kaisers vermittelt ein prägnantes Bild von Müdigkeit und Weltabgewandtheit, so versponnen, wie er in seine Spekulationen und Träume ist. Dazu kommt der Schauplatz der Stadt Prag, dessen Zauber selbst der heutige Besucher sich kaum zu erwehren vermag.
Ein In der Literatur häufig verwendetes Konstruktionsprinzip tut ein Übriges, echte Spannung nicht wirklich entstehen zu lassen: wenn der Erzähler aus der Perspektive eines alten Mannes von den Ereignissen der Vergangenheit berichtet, liegt es auf der Hand, dass alle Abenteuer für IHN glimpflich abgelaufen sind, der Leser also seine Lektüre in entspannter Atmosphäre genießen kann.