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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 15.11.2021
Reality Show
Freytag, Anne

Reality Show


sehr gut

Politisch, originell, intelligent – ein Thriller mit Persönlichkeit

„Reality Show“ ist nicht einfach ein Thriller, es ist ein Buch über Persönlichkeiten. Anne Freytag gelingt es in ihrem Roman, Einzelschicksale hervorzuheben und zugleich eine intelligente Geschichte mir einer spannenden Prämisse zu erzählen. Ein tolles Buch, das sich nur manchmal ein wenig in ihren vielen Handlungssträngen verheddert.

Es könnte der Beginn eines perfiden Psychothrillers sein: Zehn prominente Menschen werden in ihren Häusern als Geisel genommen und gezwungen, in einer Fernsehshow aufzutreten. Das Ziel: Sie sollen vor aller Welt für Ihre Taten verurteilt werden. Schnell wird jedoch klar, dass es nicht um das Zufügen von Leid geht, sondern um Gerechtigkeit, denn diese zehn Menschen haben schamlos vom kapitalistischen System profitiert und sollen nun von der Bevölkerung ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. An einem Heiligabend in der nahen Zukunft sitzen in Deutschland also Millionen von Menschen vor ihren Fernsehgeräten und halten Gericht über die oberen 0,1 Prozent. Eine absolut originelle Prämisse!

Das Spiel steht jedoch nur vordergründig im Fokus des Buchs, denn das Wichtige sind eigentlich die Geschichten hinter den Figuren: Was bewegt die Drahtzieher*innen? Was haben die zehn Angeklagten getan – und wie empfinden sie ihre missliche Lage? Wie erleben die Zuschauer*innen das bizarre Schauspiel im Fernseher? Eine Vielzahl an Stimmen kommt in Anne Freytags Roman zu Wort, die mit ihren unterschiedlichen Perspektiven zu einem faszinierenden Kaleidoskop einer Gesellschaft beitragen.

Genau dieser Aspekt ist jedoch leider auch eine Schwäche von „Reality Show“. Gerade zu Beginn des Buchs wirken die unzähligen Handlungsstränge etwas wirr und unzusammenhängend, und es fällt teilweise schwer, sie in ein Gesamtgefüge einzuordnen. Ein paar Stimmen weniger hätten dem Buch sicher nicht geschadet! Man muss der Autorin jedoch zugutehalten, dass sie es zuletzt schafft, all die losen Enden wieder miteinander zu verknüpfen, sodass ich als Leserin zum Schluss doch sehr zufrieden aus dem Leseerlebnis herausgegangen bin.

Ein spannender Roman, der in vielerlei Hinsicht dazu anregt, sich mit den eigenen Prinzipien und Idealen auseinanderzusetzen – denn stets schwingt die Frage mit: Wie würde ich als Zuschauer*in in dieser Situation richten? Was ist eine gerechte Strafe? Sehr lesenswert!

Bewertung vom 14.10.2021
Labyrinth München
Schwab, Axel

Labyrinth München


sehr gut

Ein netter Reiseführer, hauptsächlich für Ortsfremde

„Labyrinth München“ von Axel Schwab verspricht 30 besondere Touren, um München zu entdecken. Mit ausführlichen Beschreibungen, schönen Fotos und Einkehrtipps ist das Buch ideal für einen Stadturlaub geeignet – allerdings eher etwas für Neuentdeckende.

Um ehrlich zu sein: Besonders viele Geheimtipps enthält „Labyrinth München“ nicht. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um Spaziergänge rund um die typischen Attraktionen wie die Pinakotheken, den Englischen Garten und die Prachtbauten der Innenstadt. Für München-Entdeckende ist das Buch jedoch gerade deswegen ideal geeignet: Die kleinen Spaziergänge ermöglichen wunderbare erste Eindrücke der Gegend und sorgen dafür, dass man in recht kurzer Zeit wirklich viel sehen und erleben kann.

Besonders schön sind die Touren außerhalb der Stadt, die den meisten in München Lebenden zwar ebenfalls bekannt sind, aber sicher nicht in jedem Reiseführer so auftauchen. Auch eine tolle Hilfestellung sind die Best-of-Listen ganz am Anfang, die die besten Cafés, Fotospots, Museen usw. auf einen Blick aufzählen.

Fazit: ein schöner, praktischer Reiseführer für München-Entdeckende, für Einheimische allerdings eher wenig Besonderes.

Bewertung vom 14.10.2021
Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten
Lahn, Arthur M.

Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten


sehr gut

Ein schön gestalteter Band für Alien-Begeisterte

Mit „Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten und bisher nicht zu fragen wagten“ von Arthur M. Lahn legt der Golkonda-Verlag eine spannende Sammlung von Erfahrungsberichten zum Thema vor. Zugegebenermaßen: Besonders kritisch ist die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht, und allzu viel Neues ist auch nicht dabei, aber es kommen prominente Stimmung aus der UFO-Szene zu Wort, und die verbreitetsten Theorien zu UFO-Sichtungen und Alienbegegnungen werden ausführlich dargelegt.

Das Highlight des Buches ist sicher das Interview mit dem berühmt-berüchtigten Erich von Däniken, der über sein Leben spricht, das er ganz der Suche nach der Geschichte Außerirdischer auf der Erde gewidmet hat. Ob man ihm nun glaubt oder nicht, ist dabei zweitrangig, denn seine Erzählungen sind so oder so unterhaltsam und interessant.

Man merkt dem Buch an, dass ein echter Enthusiast dahintersteht: Die Geschichte der Reichsflugscheiben, Augenzeugenberichte von Alien-Entführungen oder die Verschwörungstheorie um Marilyn Monroe und John F. Kennedy, die einer Vertuschungsaktion in Bezug auf Aliensichtungen zum Opfer gefallen sein sollen, sind ausführlich dargestellt, werden jedoch kaum kritisch betrachtet. Dafür bietet das Buch einen echten Unterhaltungswert und gewährt Einblicke in die mittlerweile doch recht lange Geschichte der UFO-Begeisterung. Auf einem Platz versammelt sind die wichtigsten Ereignisse in diesem Zusammenhang zusammengefasst: Verschwörungstheorien neben Erfahrungsberichten, eine Anleitung zur Kontaktaufnahme neben der Position eines Psychoanalytikers, der mit Betroffenen spricht, außerdem Interviews mit drei Größen der UFO-Szene.

Ein Band, der dank seiner liebevollen Gestaltung mit roten Markierungen und kleinen Grafiken zum Schmökern und Stöbern einlädt. Echte Alien-Begeisterte werden vermutlich die allermeisten Episoden bereits kennen, wer sich aber neu für das Thema interessiert, findet hier einen wunderbaren Überblick über all das, was Menschen in den vergangenen 100 Jahren und darüber hinaus an außerirdischem Leben so fasziniert hat.

Bewertung vom 14.10.2021
Schon immer nachhaltig!

Schon immer nachhaltig!


sehr gut

Schön gestaltet mit einigen hilfreichen Tipps

„Schon immer nachhaltig“ wirbt mit der Idee, Hausmittel und praktische Weisheit unserer Großelterngeneration lebendig zu halten. Dabei sind so manche neue Tipps dabei, aber auch viel Altbekanntes.

Das Buch wartet mit einer wirklich schönen, übersichtlichen Gestaltung und vielen Farbfotos auf. Es deckt die vier Bereiche Reinigungsmittel, Kochen/Backen, Kosmetik und Medizin ab und stellt neben Rezepten in den jeweiligen Bereichen auch einige hilfreiche Tipps zur Verfügung, zum Beispiel zur Mottenbekämpfung oder was bei Rotweinflecken zu tun ist. Zugegeben: viele der hier versammelten Tipps kennt man schon, aber beim Durchblättern fiel mir doch immer wieder etwas Neues ins Auge. Außerdem sind diese einfachen Tipps und Tricks hier übersichtlich zum Nachschlagen versammelt – das Buch sollte also am besten immer griffbereit sein.

Am praktischsten sind sicher die Haushaltstipps, denn hier lassen sich wirklich mit wenigen Zutaten (Zitronensäure, Essig und Natron) tolle Putzmittel herstellen. Bei der Kosmetik wird die Zutatenliste schon deutlich spezieller und der Gang in die Apotheke wäre vermutlich unvermeidbar. Nicht ganz das, was ich mir unter „Omas Haushaltstipps“ vorgestellt habe. Die Rezeptabteilung wartet dafür aber mit tollen Basisrezepten zum Einkochen, Brotbacken oder Liköransetzen auf. Hier schlummert also viel Inspiration, mal Lebensmittel selbst zu machen, die man sonst immer gekauft hätte.

Alles in allem ein schönes und praxisorientiertes Buch, das neben einer Reihe altbekannter Tipps auch das ein oder andere unbekannte Hausmittel anschaulich und übersichtlich präsentiert. Ein solider Haushaltshelfer, den ich sicher häufiger zur Hand nehmen werde.

Bewertung vom 14.10.2021
Weihnachten mit Christina
Bauer, Christina

Weihnachten mit Christina


ausgezeichnet

Alles, was man fürs Fest braucht – Weihnachten kann kommen!

„Weihnachten mit Christina“ von Christina Bauer ist ein unheimlich schön gestaltetes Backbuch mit dem gewissen Extra – denn zwischen den vielen leckeren Rezepten finden sich auch Dekotipps, Fotos und persönliche kleine Anekdoten. So kommt man direkt beim ersten Durchblättern so richtig in Weihnachtsstimmung.

Die liebevolle Gestaltung des Buchs mit hochwertigen, großformatigen Fotos zu jedem Rezept und Tipps und Grundlagen ganz zu Beginn machen es zu einem echten Lieblingsbackbuch. Die Rezepte nutzen hauptsächlich Grundzutaten, die man in jedem Supermarkt bekommt, und sind nicht besonders aufwändig. Wo es mal etwas komplizierter wird, etwa bei dem Hefe-Tannenbaum, illustrieren Bilder Schritt für Schritt, was zu tun ist. Die Auswahl ist hauptsächlich klassisches Weihnachtsgebäck, jedoch oft mit zauberhaften Ideen für eine besonders ansprechende Gestaltung.

„Weihnachten mit Christina“ ist aber noch so viel mehr als ein Backbuch: Hier gibt es auch tolle und einfach umzusetzende Ideen und Inspiration zum Binden eines Adventskranzes, Dekorieren mit Kartoffelstempeln und Basteln mit Salzteig. Genau wie die Rezepte sind auch diese Anleitungen einfach gehalten und kommen ohne spezielle Utensilien aus – fast alles ist entweder sowieso schon im Haushalt vorhanden oder mit einem Gang zum nächsten Supermarkt zu bekommen. Das macht das Buch zu einem wunderbaren Helfer durch die ohnehin schon stressige Weihnachtszeit.

Fazit: ein Backbuch, das auf jeder liebevoll gestalteten Seite Weihnachtsstimmung verbreitet und mit tollen Rezepten, Ideen und Inspiration daherkommt, die leicht und schnell umzusetzen sind. Damit kann man sich wirklich auf Weihnachten freuen!

Bewertung vom 14.10.2021
Probe 12
Lange, Kathrin;Thiele, Susanne

Probe 12


sehr gut

Spannender Wissenschaftsthriller mit origineller Prämisse

„Probe 12“ von Kathrin Lange und Susanne Thiele passt genau in unsere Zeit: ein Wissenschaftsthriller, der sich mit drohenden Pandemien und ihren Gegenmitteln beschäftigt. Hier geht es nicht nur spannend zu, hier lernt man auch noch etwas!

Die Corona-Pandemie ist vorbei, aber in der Welt der Wissenschaft ist man sich einig: Das wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Eine Bewegung namens „Pandemic Fighters“ kämpft für mehr Prävention und Forschungsgelder, während in Berlin ein Bioterrorist sein Unwesen treibt und anderswo an neuartigen Therapien mithilfe sogenannter Phagen geforscht wird. Diese Forschung ist jedoch äußerst attraktiv und droht in die falschen Hände zu geraten. Das möchten die Wissenschaftsjournalistin Nina und der Foodblogger Tom, der eine todkranke Tochter hat, unbedingt verhindern und verstricken sich so in ein Wirrwarr aus unterschiedlichen Interessen, die es jedoch im Kern alle auf eins abgesehen haben: die neuartige Phagentherapie von Ninas ehemaligem Mentor.

„Probe 12“ ist ein Roman mit ausgesprochen vielen Handlungssträngen, die das Chaos der modernen Welt hervorragend illustrieren. Das birgt jedoch auch einige Fallstricke, denn ab und zu geht es auch im Roman etwas chaotisch zu. Stets im Vordergrund steht jedoch der Gegenstand, nämlich die Phagentherapie. Was das ist, das erklären die Autorinnen im Buch recht ausführlich und leisten damit auch noch einen Beitrag zur Allgemeinbildung. Neben diesen Ausführungen geht es jedoch meist ziemlich rasant zu: mehrere Morde, mögliche Anschläge und Drohungen sorgen für ein dauerhaft hohes Spannungsniveau.

Ein insgesamt ausgesprochen spannender und zugleich lehrreicher Thriller, der manchmal ein paar zu viele Schauplätze aufmacht. Jedoch eine lohnenswerte Lektüre, vor allem wenn man sich für Neuerungen in den Naturwissenschaften interessiert.

Bewertung vom 14.10.2021
Böse
Wagner, Jonas

Böse


sehr gut

Gruselig, spannend, schockierend – ein Thriller, wie er im Buche steht

Schon der erste Blick auf das Cover von „Böse“, dem Debütroman von Jonas Wagner, verrät, dass es hier ans Eingemachte geht: ein düsteres Verlies, ein scheußliches Verbrechen und eine Mutter, die verzweifelt nach ihrer Tochter sucht. Die besten Zutaten für einen spannenden Thriller!

Als Katharina mit ihrer 17-jährigen Tochter Fenja in den kleinen Ort Hussfeld im Erzgebirge zieht, sucht sie eigentlich nach Ruhe, Frieden und Beschaulichkeit. Die Einwohner des Dorfes empfangen die beiden weltoffenen jungen Frauen jedoch alles andere als mit offenen Armen, und eines Tages verschwindet Fenja plötzlich spurlos. Mit aller Macht stürzt sich Katharina in die Suche nach ihrer Tochter und stößt dabei auf einige Geheimnisse … Geheimnisse, die die Einwohner mit aller Macht im Verborgenen halten wollen, sodass Katharina bei ihrer Suche Stein um Stein in den Weg gelegt wird.

„Böse“ wartet mit allem auf, was das Thriller-Genre so zu bieten hat: ein grausames Verbrechen, ein wahnsinniger Psychopath und eine abweisende kleine Gemeinde, die jeden Eindringling schnell in seine Schranken weist. Viele wechselnde Perspektiven geben einen schonungslosen Einblick in das Grauen, das Fenja und Katharina widerfährt, und so baut der Roman auf jeder Seite ein klein wenig mehr Spannung auf.

Dass alle Register des Genres gezogen werden, führt allerdings auch zu einer gewissen Vorhersehbarkeit der Handlung, und hier muss man bei „Böse“ ein paar Abstriche machen. Weder das Setting noch die Handlung selbst ist besonders originell, und gewisse Plotpunkte fügen sich recht vorhersehbar in den Ablauf ein. Hier und da hätte es der Geschichte gutgetan, ein wenig von den üblichen Bahnen abzuweichen, und vor allem den ein oder anderen Aspekt genauer zu erklären.

Insgesamt aber ein sehr solider Genre-Vertreter, dessen Titel definitiv hält, was er verspricht.

Bewertung vom 14.10.2021
Bonuskind
Noort, Saskia

Bonuskind


sehr gut

Ein Thriller mit einer berührenden jungen Hauptfigur

„Bonuskind“ von Saskia Noort ist ein Thriller, der mal aus einer etwas anderen Perspektive erzählt wird: ein fünfzehnjähriges Mädchen versucht, eine Erklärung für das plötzliche Verschwinden ihrer Mutter zu finden, und stößt dabei auf einige Geheimnisse …

Lies’ Eltern sind geschieden, und während ihr Vater sich schon in einer neuen Beziehung eingenistet hat, leidet ihre Mutter Jet noch immer unter der Trennung. Als sie eines Tages spurlos verschwindet, sind alle überzeugt, es habe mit ihrer instabilen Psyche zu tun – alle außer Lies. Auf der Suche nach Antworten stößt sie auf das Tagebuch ihrer Mutter, und damit auf eine geheim gehaltene Beziehung zu dem mysteriösen God. Immer deutlicher tritt hervor, dass diese Beziehung alles andere als harmlos, sondern im Gegenteil: äußerst toxisch war.

Die große Stärke des Romans ist die ungewohnte Perspektive durch die Augen einer jungen Frau, die ihre Mutter erst nach ihrem Verschwinden als Mensch näher kennenlernt. All ihre Träume, Ängste und geheimen Sehnsüchte blieben Lies als Tochter verborgen, jetzt muss sie sich mit einer völlig anderen Person auseinandersetzen, die sich ihr durch ihr Tagebuch offenbart. Eine interessante Konstellation und eine komplexe Perspektive, denn Lies kämpft neben der schwierigen Situation auch mit den üblichen Teenager-Problemen: der ersten Liebe, der Ablehnung der neuen Beziehung ihres Vaters, der Sorge um ihr Ansehen …

Weniger komplex ist hingegen die Schlüsselfigur God gezeichnet. Es will dem Text nicht so recht gelingen, die Faszination greifbar zu machen, die God auf andere Menschen ausübt. Er wirkt im Gegenteil von Anfang an unsympathisch, wenig attraktiv, was seine Rolle in der Geschichte unglaubwürdig wirken lässt. Hier mangelt es leider an Nuancen und Zwischentönen.

Alles in allem ist „Bonuskind“ jedoch ein stets spannender Thriller mit einer interessanten Prämisse und einer ungewöhnlichen Hauptfigur, deren Perspektive das Buch durchaus zu etwas Besonderem macht.

Bewertung vom 13.10.2021
Diese Frauen
Pochoda, Ivy

Diese Frauen


ausgezeichnet

Ein starkes, schmerzhaftes, berührendes Buch voll harter Poesie

Mit „Diese Frauen“ wandelt Ivy Pochoda auf dem schmalen Grat zwischen den Genregrenzen – was ihr meisterhaft gelingt. Der Roman bewegt sich irgendwo zwischen Gesellschaftsdrama, Biographie und Thriller und lässt dabei die zu Wort kommen, denen die Stimme oft genommen wird: „diese Frauen“.

Gemeint sind junge Prostituierte und andere Grenzgängerinnen auf den rauen Straßen von L. A., die nach und nach ermordet werden, über Jahre hinweg, ohne dass eine Aufklärung in Sicht wäre. Zu Wort kommen ihre Mütter, ihre Freundinnen, ihre Töchter, all jene, für deren Schmerz sich niemand zu interessieren scheint. Denn dafür sind „diese Frauen“ einfach nicht wichtig genug. Eine ganze Reihe unterschiedlicher Erzählstimmen wickelt nach und nach die Geschichte einer grausamen Verbrechensserie auf, die von Medien und Polizei unter den Teppich gekehrt wurde. Ivy Pochonda gibt all „diesen Frauen“, die nie ernst genommen wurden, ihre Stimme zurück.

Es ist ein Buch der leisen Töne, nicht rasant oder aufmerksamkeitsheischend, aber klar und präzise in dem, was es will: Gerechtigkeit und Achtung für all die Marginalisierten. Im Vordergrund steht nicht das Voyeuristische des Verbrechens, sondern die Opfer. Mit feiner psychologischer Feder, aber einer stetig unterschwellig brodelnden Spannung erzählt die Autorin ihre Geschichten – und die Geschichten all derer, die jederzeit zu Opfern werden könnten. Es ist ein Buch, das kaum aus der Hand zu legen ist, wenn man sich einmal in den Sog dieser rauen, poetischen und hyperpräzisen Sprache begeben hat. Ein Buch, das spannend wie ein Kriminalroman, aber doch so viel mehr ist.

„Diese Frauen“ ist ein feministisches Meisterwerk, das Gesellschaftskritik und Drama kunstvoll mit einer bedrohlichen Grundstimmung und einer erschütternden Krimihandlung verwebt. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 29.09.2021
SCHWEIG!
Merchant, Judith

SCHWEIG!


ausgezeichnet

Atemberaubend, schockierend, tragisch – Psychogramm einer gescheiterten Beziehung

Selten habe ich ein Buch in der Hand, das mich inhaltlich so überzeugen kann und zugleich handwerklich exzellent gemacht ist – „Schweig!“ von Judith Merchant gelingt dieses Kunststück. An einem einzigen Weihnachtstag, bei einem Gespräch unter Schwestern, werden die Geheimnisse und Entsetzlichkeiten der Vergangenheit ans Licht gebracht.

Drei Figuren bieten ihre Perspektive an: Sue, die jüngere Schwester, die gerne allein und friedlich im Wald lebt und von ihrer Schwester als psychisch labil eingestuft wird. Esther, die „Kümmerin“, die beständig über ihre Schwester und die Familie wacht, und Martin, Esthers treusorgender Ehemann. Sie alle sind nicht, was sie scheinen. Sie alle haben Geheimnisse, aber vor allem haben sie alle ein Selbstbild, was nicht ihrer Außenwirkung entspricht. Als Lesende werden wir ständig von den Figuren, die von sich selbst berichten, an der Nase herumgeführt. Erst nach und nach, mit immer neuen Enthüllungen der jeweils anderen, entstehen authentische Porträts dieser Menschen. Unerwartete Porträts!

„Schweig!“ ist ein sich langsam, aber unaufhörlich weiterentwickelndes und in der Spannung steigerndes Kammerspiel, das völlig ohne Schnickschnack auskommt: Erinnerungen, Dialoge, innere Monologe, das ist das Handwerkszeug, das Judith Merchant einsetzt, um die komplexen Beziehungen zwischen diesen drei Personen zu beleuchten, wobei das Verhältnis der beiden Schwestern zentral ist. Nicht nur repräsentieren sie ganz unterschiedliche Lebensentwürfe, sie repräsentieren auch eine Welt, in der es weder Schwarz noch Weiß, sondern nur Grautöne gibt.

„Schweig!“ ist ein unfassbar spannendes, schockierendes und intensives Leseerlebnis voller unerwarteter Wendungen, das noch lange, nachdem man das Buch aus der Hand gelegt hat, nachhallt. Mit erstaunlicher Präzision und nahezu unheimlichem Geschick schafft Judith Merchant es, uns in eine toxische Beziehung hineinzuziehen, in der nichts so ist, wie es scheint, und die uns zwingt, unsere eigene Wahrnehmung ständig zu hinterfragen. Ein absolut ungewöhnlicher und ausgesprochen lesenswerter Roman!