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Benutzername: 
Magda
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 238 Bewertungen
Bewertung vom 08.04.2024
Das Geheimnis von Dikholmen
Abresch, Michaela

Das Geheimnis von Dikholmen


ausgezeichnet

Das Cover des Romans gefällt mir sehr gut, es stellt eine der vielen Inseln im Stockholmer Schärengarten dar.
Es sind drei Frauen, deren Lebensgeschichten in dem Roman erzählt werden: Lillemor, Inga und Eira.
1960: Eira, deren richtigen Namen wir erst später erfahren, verlässt in einer Nacht und Nebelaktion ihren Mann und die beiden zehnjährigen Zwillinge. Sie lässt sich auf der beinahe unbewohnten Nachbarinsel Dikholmen nieder.
1968: Die 18jährige Inga lebt mit ihrem Vater und der Stiefmutter in einer prachtvollen Villa. Ihr Vater führt ein erfolgreiches Immobiliengeschäft, überschüttet die Tochter mit Geschenken, ist aber selten für sie da. Als sich Inga in den unkonventionellen Keramiker und Bildhauer Jesper verliebt und von ihm ein Kind erwartet, verlässt sie ihr Elternhaus und lässt sich auf Dikholmen nieder.
2019: Das schwedische Inselmädchen Lillemor lebt seit ihrem Studium am Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Deutschland. Nach einem tragischen Verlust denkt sie auf einer mehrtätigen Wanderung über ihre Vergangenheit, ihr gegenwärtiges Leben in Deutschland und die unvergessliche Zeit mit Eskil nach, der mit seiner Mutter auf Dikholmen wohnt. Bereits zu Beginn ihrer Wanderung trifft sie auf Rieke, die auf dem Weg in ein Kloster ist. Rieke gibt Lillemor wichtige Ratschläge und Denkanstöße.
Gibt es das wirklich, dass ein Mann fast sein ganzes Leben lang auf eine Frau wartet, die einen anderen geheiratet hat? Würde eine junge Frau auf ein Leben in Saus und Braus verzichten, das ihr der Vater bietet, um ein Leben auf einer Inselhütte in der Nähe ihrer großen Liebe zu führen? Obwohl ich die Handlungen der Protagonistinnen nicht nachvollziehen konnte, waren mir die drei sympathisch, ganz besonders Lillemor, über deren Leben wir am meisten erfahren.
Auch wenn manches konstruiert wirkt und einige Geheimnisse vorhersehbar waren, hat mir der Roman sehr gut gefallen, das Ende hat mich überrascht. Die Autorin hat einen wunderbaren, poetischen Schreibstil, der mich auf die wunderschöne Insel im Stockholmer Schärengarten versetzt hat. Ich empfehle den Roman allen, die gern Frauenromane lesen, die auf mehreren Zeitebenen spielen, und allen, die, wenn auch nur in Gedanken, nach Schweden reisen möchten.

Bewertung vom 05.04.2024
Das Flüstern des Lebens
Fuchs, Katharina

Das Flüstern des Lebens


ausgezeichnet

Da ich bereits andere Bücher der Autorin gelesen habe, habe ich mich sehr auf ihren neuesten Roman gefreut, auch Das Flüstern des Lebens konnte mich begeistern.
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Isabelle, Doris, Hannah und Moritz erzählt und beginnt im Sommer 2019 in München.
Isabelle, 45, ist erfolgreiche Architektin. Ihr Sohn Alex ist vor kurzem zum Studium ausgezogen, die Ehe mit Christoph plätschert nach zwanzig Jahren vor sich hin.
Doris, 68, lebt allein in der Villa, die ihrer Zwillingsschwester Corinna gehört. Corinna leitet eine Kaffeeplantage in Tansania.
Am Tag, an dem die Nachricht von Corinnas Tod eintrifft, ruft ein junges Mädchen an, das behauptet, Corinnas Tochter zu sein. Isabelle und Doris können es nicht fassen, dass Corinna ihnen Hannahs Existenz verschwiegen hat. Nichtsdestotrotz nehmen sie die 14jährige herzlich in die Familie auf. Nur Doris‘ Sohn Moritz misstraut Hannah. Er hat auf Corinnas Erbe spekuliert und Hannah durchkreuzt seine Pläne, endlich das Leben führen zu können, von dem er schon immer geträumt hat. Hat seine 68jährige Tante tatsächlich vor vierzehn Jahren ein Kind geboren? Wo war das Kind in all den Jahren? Schließlich haben sich die Schwestern regelmäßig gegenseitig besucht und hatten regen Kontakt.
Isabelles Geschichte wird in der Ich-Form erzählt. Bei der Testamentseröffnung erfährt sie, dass sie die Kaffeeplantage von Corinna geerbt hat. Kurzerhand steigt sie in ein Flugzeug und fliegt nach Tansania. Dort findet sie die Plantage verlassen vor und muss erst mit Hilfe des Verwalters Zahir die Arbeiter und Kaffeepflückerinnen von anderen Plantagen zurückholen. Ihr fällt unangenehm auf, dass auch Kinder die 60 kg schweren Kaffeesäcke schleppen und auf der Plantage hart arbeiten.
Sie besucht das von Corinna errichtete und finanzierte Medical Health Center und eine Schule. Sie denkt über Fair Trade und Nachhaltigkeit nach, Aspekte, die Corinna weitestgehend außer Acht gelassen hat.
Katharina Fuchs beschreibt sehr authentisch die Arbeit auf einer Kaffeeplantage, die Verarbeitung der Kaffeekirschen zu Bohnen und deren Reinigung. Das Setting Tansania wird in den schönsten Farben geschildert, am liebsten wäre ich sofort hingeflogen. Die Fauna und Flora Ostafrikas muss unvergleichlich schön sein. Herrlich, wie Isabelle mit der zahmen Schimpansin Nala auf der Veranda frühstückt.
Eines Tages landet ein Propellerflugzeug auf der Plantage, ihm entsteigt Frank, bei dessen Anblick Isabelles Herz sofort höher schlägt. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander, und Isabelle muss sich entscheiden: Wird sie ihr gewohntes und durchaus gutes Leben mit ihrem langjährigen Ehemann weiterführen oder sich ins Abenteuer Tansania stürzen? Dann bricht die Corona-Pandemie aus, und Isabelle muss ihre Entscheidung sofort treffen, bevor alle Flüge gestrichen werden.
Für mich ist die heimliche Heldin des Romans Hannah. Ich fand sie sehr sympathisch und habe mitgefühlt, wie traumatisch es für sie war, aus dem gewohnten Leben in Tansania herausgerissen und nach Deutschland verpflanzt zu werden. Wie schön, dass Doris, Isabelle und Alex sie sofort als Teil ihrer Familie akzeptiert und herzlich aufgenommen haben. Moritz ist der Antagonist, nur auf seinen Vorteil bedacht, um sich selbst kreisend, missgünstig und böse.
Die Entwicklung, die Doris durchgemacht hat, hat mir sehr gut gefallen. Ihr Leben lang stand sie im Schatten, zuerst dem ihres Mannes und später dem ihrer Schwester. Wie schön, dass sie ihr Leben endlich selbst in die Hand nimmt und neue Wege einschlägt.
Wer noch nicht in Tansania war, wird nach dem Lesen sofort hinfliegen wollen. Von mir eine große Leseempfehlung für diesen emotionalen Familien- und Frauenroman.

Bewertung vom 29.03.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


ausgezeichnet

Da mir „Als Großmutter im Regen tanzte“ sehr gut gefallen hat, habe ich mich sehr auf die Geschichte des Großvaters gefreut.
Asien, 1943: In der ganzen Welt herrscht Krieg. Die beiden Norweger Konrad und Sverre fahren zur See und arbeiten auf einem Handelsschiff im Indischen Ozean. Ihr Schiff wird von einem japanischen U-Boot torpediert, Sverre gerät in japanische Gefangenschaft, Konrad schafft es, mit einem Rettungsboot zu entkommen. Nach 19 Tagen Überlebenskampf wird er von einem japanischen Boot gerettet und ins Krankenhaus auf die indonesische Insel Java gebracht. Die norwegische Krankenschwester Sigrid pflegt ihn wieder gesund. Sie lebt mit ihren Eltern und der kleinen Schwester Ingerid seit vielen Jahren in Indonesien. Als Java von den Japanern besetzt wird, werden alle Europäer in Internierungslager geschickt. Konrad, Sigrids Vaters und ihre Mutter mit den beiden Töchtern leben von nun an in verschiedenen Lagern. Ein weiterer Überlebenskampf beginnt, sie bekommen sehr wenig zu essen, müssen zwölf Stunden täglich hart arbeiten, kleinste Vergehen wie Schwarzmarkthandel oder das Rauchen werden sehr hart bestraft. Eine Frau wird über Nacht in ein Erdverlies gesperrt, ohne Wasser und Nahrung, eine andere muss stundenlang in der prallen Sonne stehen, ebenfalls ohne einen Schluck Wasser, die Strafen, die Sigrid und Agatha auf sich nehmen mussten, sind furchtbar grausam und unmenschlich.
Der Großteil des Romans spielt im Lager. Das Leben im Internierungslager ist mit dem in einem Konzentrationslager vergleichbar, das Vorgehen der Japaner gleicht dem der Nazis. Sehr oft musste ich schlucken und mir kamen die Tränen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Erlebnisse und Geschichten auf wahren Begebenheiten beruhen. So diente das Tagebuch einer Krankenschwester und Heilsarmeeoffizierin als Nachschlagewerk, und die Autorin hat aus Gesprächen mit einem Psychiater und Sanitätskapitän viel über den Krieg in Asien, die damaligen Krankheiten und Traumata erfahren.
Die Geschichte von Konrad und Sigrid wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Es ist mir wieder bewusst geworden, was Menschen im Krieg ertragen müssen, und dass diese Erlebnisse sie bis an ihr Lebensende in ihren Albträumen begleiten.
Ein weiterer großartiger Roman von Trude Teige, den ich allen Leser*Innen von historischen Romanen empfehle, wobei diese harte Kost nichts für zartbesaitete Gemüter ist. Triggerwarnung: (sexualisierte) Gewalt.

Bewertung vom 27.03.2024
Das Jahr ohne Sommer
Neumann, Constanze

Das Jahr ohne Sommer


gut

Das Cover gefällt mir sehr gut, es passt hervorragend zum Inhalt. Der Titel erschließt sich mir nicht, er ist aber eindringlich und bleibt im Gedächtnis.
Die Ich-Erzählerin berichtet von ihrer Kindheit und Jugend in Ost und West. Als sie drei Jahre alt ist, kommen ihre Eltern bei dem Versuch, aus der DDR zu fliehen, ins Gefängnis. Nach ein paar Tagen im Kinderheim lebt sie bei ihrer Großmutter in Leipzig. Die Eltern werden von der BRD freigekauft und ziehen nach Aachen, die Tochter darf zu ihnen kommen.
In Aachen werden sie nicht richtig heimisch, sie haben Heimweh nach Leipzig, ihren Freunden und der Mutter bzw. Großmutter. Die Tochter darf ihre Oma in der DDR regelmäßig besuchen, was sie sehr genießt.
Die Musik beherrscht das Familienleben, der Vater leitet eine Musikschule und spielt Klavier, die Mutter ist eine hervorragende Violinistin. Nach dem Gefängnisaufenthalt und wahrscheinlich aufgrund der dortigen Misshandlungen dauert es lange, bis sie wieder eine Geige halten und spielen kann. Die Tochter lernt zunächst Klavierspielen, danach Geige.
Über dem Wohlstand, in dem die Familie schon bald lebt, schwebt ein latentes Unglücklichsein. Die Mutter hat eine Autoimmunerkrankung und Depressionen. Die Tochter sehnt sich nach der Großmutter in Leipzig. „Die Dur-Welt meines Vaters, seine Heiterkeit und Lautheit waren eine Zumutung. Die Moll-Welt meiner Mutter war mir vertrauter, ich fühlte mich zu Hause in ihr.“ (S.155).
Nach der Wende ändert sich nicht viel, für die Freunde aus dem Osten sind die Neumanns jetzt Wessis, die Großmutter lebt seit ihrem 60. Geburtstag kurz vor dem Mauerfall ebenfalls in Aachen. Den Mauerfall erlebt die Tochter in den USA, wo der Vater für sie einen mehrmonatigen Aufenthalt mit Schulbesuch organisiert hat.
Das Buch ist keine Wohlfühllektüre, Tochter und Mutter sind permanent unglücklich. Warum wissen sie nicht zu schätzen, dass es ihnen in Aachen so gut geht? Ihre Gedanken kreisen tagein, tagaus um Leipzig und die Großmutter. Der einzige, der sein Leben genießt, ist der Vater, der Charakter, den ich als einzigen sympathisch fand. Für die Tochter bricht eine Welt zusammen, als die Großmutter keine Einreisegenehmigung zu ihrer Konfirmation bekommt. Dabei sehen sie die Großmutter jedes Jahr im Urlaub in der Tschechoslowakei. Aber auch das wissen sie nicht zu schätzen und jammern, dass sie nicht im gleichen Hotel wohnen können, da es Hotels für Gäste aus dem Westen und andere für die aus dem Osten gibt.
Das Buch fand ich recht bedrückend, für mich war das Jammern auf hohem Niveau, und ich finde es schade, dass Mutter und Tochter ihr gutes Leben nicht zu schätzen wussten. Der Schreibstil ist sachlich und wenig emotional. Ich habe die knapp 200 Seiten in kurzer Zeit gelesen und denke, dass das Buch für diejenigen interessant ist, die früher im Osten gelebt haben, da sie sich sicherlich mit der Familie identifizieren können.

Bewertung vom 25.03.2024
Fräulein Liebe und das Glück der Bücher / Die Rhein-Buchhandlung Bd.1
Esser, Susanne

Fräulein Liebe und das Glück der Bücher / Die Rhein-Buchhandlung Bd.1


sehr gut

Es handelt sich um den ersten Band der Dilogie „Die Rhein-Buchhandlung“. Der Roman mit dem wunderschönen und zum Buchinhalt passenden Cover spielt kurz vor Ende des 2. Weltkriegs, zuerst in Berlin und danach in Andernach am Rhein.
Die 18-jährige Eva Liebe verliert bei einem Bombenanschlag ihre Eltern und ihre Schwester, kurze Zeit später fällt ihr Verlobter an der Front. Sie schlägt sich nach Andernach durch, wo ihre Tante Maria eine Buchhandlung betreibt.
Maria ist zunächst nicht begeistert über den zusätzlichen Esser, da sie es gerade so schafft, ihre beiden Töchter satt zu bekommen. Ihr Mann ist seit drei Jahren an der Front, sie hat schon lange nichts mehr von ihm gehört.
In der Buchhandlung trifft sich ein Lesekreis, bei dem von Nazis verbotene Bücher gelesen werden. Maria will erst herausfinden, wie Evas Einstellung zu Nazis ist, bevor sie ihr vom Lesekreis erzählt bzw. bevor Eva teilnehmen darf. Schon bald merkt sie, wie patent und hilfreich das Fräulein Liebe ist. Ohne Aufforderung hilft sie, wo sie kann, kümmert sich um die kleinen Cousinen, geht einkaufen und hilft vor allem in der Buchhandlung. Dabei hatte sie bis dato kaum mit Büchern zu tun und wenig bis gar nicht gelesen. Als Maria sie bittet, die Bücher alphabetisch zu sortieren, sortiert sie sie nach den Namen der Titel. Sie ist jedoch lernfähig, und schon bald weiß Maria ihre Hilfe sehr zu schätzen.
Den Ablauf der Arbeit in einer Buchhandlung während des Krieges fand ich sehr interessant. In Evas erster Leserunde wird „Der Kopflohn“ von Anna Seghers gelesen, ein Buch, das ihre Liebe zu Büchern weckt. Ins Schaufenster und in die Regale dürfen nur von Nazis genehmigte Bücher, also versteckt Maria die verbotenen Bücher in einer Kiste im Lager.
Gerne möchte ich zitieren, was Maria zu Eva sagt, als diese etwas pikiert den Liebesroman anschaut, den Maria ihr zum Lesen anbietet: „Nur, weil es ein Liebesroman ist, tut das einem Buch keinen Abbruch. Natürlich wird immer ein großer Unterschied zwischen der unterhaltenden Literatur und der ernsthaften Literatur gemacht, aber in meinen Augen ist das alles Unsinn. Jedes Buch, das die Menschen zum Lesen bringt, ist ein gutes Buch, ein wichtiges Buch. Denn es bringt vielleicht jemanden zum Lesen, der es sonst nicht getan hätte. Und was am wichtigsten ist: Es bietet den Menschen einen Ausweg aus dem tristen und schrecklichen Alltag. Unterschätze also niemals ein triviales Buch!“
Das Buch endet mit dem Einmarsch der Amerikaner, doch kurz davor passiert ein tragisches Unglück, nach dem Marias Welt beinahe zusammenbricht.
Der Roman enthält eine schöne Liebesgeschichte, die sich zwischen Eva und dem Schreiner Georg entwickelt. Auch Georg ist neu in Andernach, und er hat ein Geheimnis, das hoffentlich in Band 2 enthüllt wird.
Ich habe den Roman sehr gern gelesen und freue mich schon auf die Fortsetzung. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für Leser*Innen von historischen Romanen, und aufgrund des Lokalkolorits auch für diejenigen, die Andernach kennen und lieben.

Bewertung vom 21.03.2024
Für immer, dein August / Mühlbach-Saga Bd.2
Leciejewski, Barbara

Für immer, dein August / Mühlbach-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Bei „Für Immer, dein August“ handelt es sich um die Fortsetzung der Geschichte der Urgroßeltern und Großeltern der Autorin. Der zweite Teil steht dem ersten „In Liebe, deine Lina“ in nichts nach und konnte mich genauso begeistert. Ich empfehle, den ersten Teil zuerst zu lesen, um sich auf das Wiedersehen mit vielen Bekannten zu freuen.
Der Roman beginnt 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. August ist zu der Zeit mit anderen Musikanten auf einer Tournee durch England und gerät in Kriegsgefangenschaft. Die Gefangenschaft nutzt er, um Englisch zu lernen, indem er Tom Sawyer liest und die deutsche und englische Ausgabe Satz für Satz vergleicht. Was für eine fabelhafte Idee! Er freut sich immer besonders auf die Briefe von Lotte, seiner Kindheitsfreundin. Lotte lebt mit ihrer Familie in Bremen und ist in Mühlbach nur selten zu Besuch, es ist die alte Heimat ihrer Eltern. Lotte liebt ihr Leben In Bremen, sie genießt die häufigen Besuche im Theater und in der Oper und hat viele Freunde und Freundinnen. Doch dann kommt alles anders, und Lotte zieht zu August nach Mühlbach.
In Mühlbach bleibt sie für die meisten das „Bankert“, die Dorfbewohner haben nicht vergessen, dass sie unehelich geboren wurde. Auch August wird von vielen schief angesehen, da er nicht im Krieg gekämpft hat. Nichtsdestotrotz finden Lotte und Albert im Dorf viele Freunde, von denen einige jüdischer Abstammung sind. Entsetzt müssen sie die Machtergreifung der Nazis und deren gewaltsames Vorgehen gegen Juden miterleben. Doch es gibt ein Projekt, dass die Mühlbacher zusammenschweißt, sie bauen zusammen eine Kirche. Die Einweihung der neuen Kirchenglocken wird groß gefeiert.
Als der zweite Weltkrieg ausbricht, läuten die Glocken immer dann, wenn wieder ein Mühlbacher gefallen ist. Lotte und August leben in ständiger Angst um ihren Sohn Walter, der bei der Marine ist. Tochter Martha muss fern der Heimat den Reichsarbeitsdienst absolvieren.
In dem Roman erfahren wir sehr viel über das Leben deutscher Familien in und zwischen den Weltkriegen, das Leben in einem kleinen Dorf in der Pfalz und das in der Großstadt Bremen. Lottes Herz hängt an Bremen, sie vermisst ihre Eltern und Geschwister. Die Nazis treiben ihr Unwesen in ganz Deutschland und haben auch in Mühlbach glühende Anhänger. In einigen kurzen Kapiteln erfahren wir, was mit Lottes Bremer und Mühlbacher jüdischen Freund*Innen passiert ist, die deportiert wurden.
Ich mag den flüssigen und emotionalen Schreibstil der Autorin sehr und konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Die Protagonist*Innen sind sympathisch und authentisch, eine Familie, die man einfach gernhaben muss. Von mir eine große Leseempfehlung für Leser*Innen von historischen Romanen und allen, die sich für die deutsche Geschichte in und zwischen den Weltkriegen interessieren.

Bewertung vom 17.03.2024
Schicksalsjahre. Die Frauen vom Neumarkt (eBook, ePUB)
Heiland, Julie

Schicksalsjahre. Die Frauen vom Neumarkt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Da ich bereits Die Freundinnen vom Strandbad der Autorin mit großer Begeisterung gelesen habe, habe ich mich sehr auf ihr neues Buch gefreut.
Der Roman spielt in Dresden auf zwei Zeitebenen. Die Protagonistinnen sind Lotte, Marlene und Hanna.
1947: Die 24jährige Lotte lebt mit ihrer Tante Viktoria im zerstörten Dresden. Ihre Tante hat sie bei sich aufgenommen, nachdem Lottes Eltern gestorben sind. Vor dem Krieg besaßen ihr Mann und sie das mondäne Hotel Elbflorenz. Um ihre Tante und sich selbst durchzubringen, arbeitet Lotte als Bauhilfsarbeiterin, im Volksmund Trümmerweib. Das Enttrümmern ist Schwerstarbeit, umso mehr genießt Lotte die kurzen Pausen mit ihren Kolleginnen Susi, Kerstin, Gudrun und Carola. Eines Tages sieht sie einen Mann, der über die Brüstung der Augustusbrücke in die Elbe springen will. Sie schafft es, ihn vom Selbstmord abzubringen und nimmt ihn mit nach Hause. Erst einige Zeit später erfährt sie, dass er Jakob Sternlieb heißt und Jude ist. Jakob hat das KZ überlebt, seine Frau Marietta hat es nicht geschafft. Jakob bekommt eine Arbeit auf der Baustelle, auf der auch Lotte und ihre Freundinnen arbeiten.
Während Jakob Marietta nicht vergessen kann, beherrscht Leo Lottes Gedanken und ihr Herz. Leo war ihre erste große Liebe und wie Jakob jüdischer Abstammung. Seit Kriegsbeginn hatte Lotte ihn nicht mehr gesehen.
1993: Hannah hat soeben ihr Architekturstudium abgeschlossen und arbeitet am Wiederaufbau der Frauenkirche, die bei einem Bombenangriff vollständig zerstört wurde. Sie ist in Malte Schumann verliebt, den Stardirigenten der Semperoper und fällt aus allen Wolken, als sie aus einem Zeitungsartikel erfährt, dass er verheiratet ist. Am Tag, an dem sie von Maltes Ehefrau erfährt, lernt sie Harry, einen jungen Engländer, kennen. Harrys Vater war einer der britischen Flieger, die am 13. Februar 1945 Dresden bombardiert haben. Als ausgebildeter Steinmetz möchte er im Zuge von Versöhnung und Wiedergutmachung beim Wiederaufbau der Frauenkirche mitarbeiten und die Arbeit der Steinmetze unterstützen.
Hannahs Mutter Marlene kandidiert als Bürgermeisterin, sie hat Hannah sehr früh bekommen und allein aufgezogen. Seit Jahren hat sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter Lotte, gegen die sie schwere Vorwürfe erhebt.
Was für ein wunderbarer, packender und emotionaler Roman! Von Lottes Erlebnissen war ich zu Tränen gerührt. Eine Frau, der ihre große Liebe zweimal wieder genommen wurde, und die daran fast zerbrochen ist. Ich habe sehr viel über Dresden, die Frauenkirche und den Wiederaufbau nach der Wende erfahren, aber auch über den unmittelbar nach dem Krieg in der DDR herrschenden Antisemitismus. Jakobs Geschichte basiert auf wahren Erlebnissen von Juden in der DDR, die in Folge einer antisemitischen Hetzkampagne aus der DDR fliehen mussten. In dem Roman kommen auch historische Persönlichkeiten vor, wie Torsten Remus, Hannahs Kollege, der am Wiederaufbau der Frauenkirche gearbeitet hat.
Ich empfehle den Roman allen, die gern historische Romane lesen, die in der ehemaligen DDR spielen und ganz besonders denjenigen, die Dresden kennen und lieben, da sie bestimmt viel Neues erfahren, aber auch einiges wiedererkennen werden.

Bewertung vom 14.03.2024
Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück
Bernstein, Lilly

Trümmermädchen - Annas Traum vom Glück


ausgezeichnet

Nach Sturmmädchen und Findelmädchen habe ich jetzt auch das dritte (bzw. für mich das dritte, für die Autorin das erste) Buch von Lilly Bernstein gelesen. Es hat mich genauso begeistert wie die anderen beiden Bücher.
Köln, 1941: Marie ist mit Bäckermeister Matthias sehr glücklich verheiratet. Als Matthias an die Front muss, betreibt sie die Bäckerei allein mit Hilfe ihrer Tochter Anna. Während eines Bombenangriffs bringt Marie im Bunker ihren Sohn Karl zur Welt.
Anna verliebt sich in Joseph, der der Bäckerei als polnischer Kriegsgefangener zugeteilt wurde. Aufgrund einer böswilligen Verleumdung verliert Marie die Bäckerei und muss schauen, wie sie sich und ihre beiden Kinder durchbringt. Sie bekommt eine Stelle in einer Bäckerei, in der sie ausgebeutet wird und bis zum Umfallen schuften muss. Der Bäckermeister stellt ihr und Anna nach, bis es im Mehlraum zum Übergriff kommt.
Anna schließt sich einer Gruppe von Kindern an, die Kohle von vorbeifahrenden Zügen stehlen und auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel und Dinge, die sie zum Leben brauchen, eintauschen. Der kleine Karl ist mit seinen vier Jahren auch mit Feuereifer dabei. Helga ist eins der Kinder, mit denen Anna zusammenarbeitet, sie ist die Protagonistin im Buch „Findelmädchen“.
Lilly Bernstein hat mich ins Nachkriegs-Köln versetzt, sie hat den Jahrhundertwinter 1946/47 authentisch dargestellt, Medikamente wie Penicillin waren unbezahlbar, weswegen viele Menschen an der weißen Pest bzw. Tuberkulose gestorben sind.
Ich habe mit den frierenden und hungernden Menschen gelitten und gehofft, dass Marie die Bäckerei wiederbekommt und Matthias vom Krieg heimkehrt. Ein fesselnder und emotionaler historischer Roman, der mich an manchen Stellen zu Tränen gerührt hat und den ich sehr gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 13.03.2024
Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2
Stern, Anne

Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Es handelt sich um den zweiten Band der Semperoper-Trilogie von Anne Stern. Bereits den ersten Teil habe ich mit großem Interesse gelesen, der zweite Band steht dem ersten in nichts nach.
Dresden, 1849: Elise Spielmann ist seit acht Jahren mit dem Hofkompositeur und Journalisten Adam Jacobi verheiratet. Es ist eine lieblose Ehe, sie harmonisieren nur bei den gemeinsamen Auftritten. Netty, die als Dreijährige von den Jacobis adoptiert wurde und mittlerweile acht Jahre alt ist, entwickelt sich prächtig. Sie ist durchgehend in Bewegung und hat das Tanzen im Blut, was nicht verwunderlich ist, da ihre leibliche Mutter Balletttänzerin war.
Christian, Elises große, nicht standesgemäße Liebe, ist in der Semperoper zum zweiten Theatermaler aufgestiegen. Er ist nach wie vor in Elise verliebt. Seine Freizeit verbringt er mit anderen Männern, die einen Aufstand gegen den König planen, ihr Ziel ist, Friedrich August II. von Sachsen zu stürzen und eine sächsische Republik zu etablieren.
Anne Stern gelingt es meisterhaft, historische mit fiktiven Ereignissen zu verbinden. Kapellmeister Richard Wagner und Gottfried Semper, der Erbauer des Königlichen Hoftheaters, sind beide Revolutionäre. Elises Schwester Barbara engagiert sich für die Rechte der Frauen und besucht eine Versammlung, auf der die bekannte Frauenrechtlerin Louise Otto Mitstreiterinnen für ihren Kampf um mehr Rechte für Frauen sucht.
Zwischen den Kapiteln sind Briefe abgedruckt, unter anderem zwei Briefe von Louise Otto an den Schriftsteller August Peters und ein Brief der Königin Maria Anna Leopoldine von Sachsen an eine befreundete Gräfin, in denen diese ihre Meinungen zur Mairevolution kundtun.
Fiktive, aber nicht minder interessante Charaktere, sind Elises Mutter Amalie und Christians Schwester Ernestine. Letztere engagiert sich ebenfalls im Kampf für die Rechte der Frauen und wird dabei von ihrer Freundin, der Wahrsagerin Clementine Fuchs unterstützt, die wir bereits im Prolog kennenlernen.
Anne Stern hat einen unvergleichlich schönen, poetischen Schreibstil. Sie hat mich nach Dresden ins Jahr 1849 versetzt, wo ich in der Semperoper der Musik von Figaros Hochzeit und der Zauberflöte gelauscht habe. Von ganzem Herzen habe ich gehofft, dass Elises und Christians Liebe doch noch eine Chance bekommt. Ich habe sehr viel über den Kampf der Frauenrechtlerinnen erfahren und noch mehr über die Hintergründe und den Ablauf der Mairevolution. Ich fiebere jetzt schon Band 3 entgegen. Ich spreche eine große Leseempfehlung für historisch interessierte Leser*Innen aus und alle, die genauso gern wie ich Anne Sterns Bücher lesen.

Bewertung vom 12.03.2024
Morden in der Menopause
Dreyer, Tine

Morden in der Menopause


ausgezeichnet

Danke für diesen herrlichen Lesespaß! Seit „Achtsam Morden“ habe ich nicht mehr so viel beim Lesen gelacht, ein großes Lesevergnügen!
Liv ist Mutter von drei Teenagern, sie arbeitet halbtags als Küchenplanerin und wohnt mit Mann und Kindern im schönen Köln. Bereits im Prolog erfahren wir, dass sie allmählich in die Wechseljahre kommt. Aufgrund eines plötzlichen Stimmungstiefs und begleitet von der ersten Hitzewallung, begeht sie ihren ersten Mord.
Jedes Kapitel beginnt mit Informationen über die Menopause: „Das Schlafhormon Progesteron sinkt, das Harmoniehormon Östrogen fällt ab, und als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, schwindet auch noch das Testosteron – und damit unsere Libido. Großartige Aussichten.“
Nach ihrem ersten Mord macht Liv Bekanntschaft mit Kölns Drogen- und Zuhälterszene, spielend wird sie mit Schwerverbrechern fertig. Natürlich sind die Ereignisse und Begegnungen überspitzt dargestellt, trotzdem sind sie nicht absolut unrealistisch.
Die junge Iza unterstützt Liv bei der Entsorgung einer Leiche. Zum Dank besorgt Liv ihrer Komplizin einen Job bei ihren betagten Schwiegereltern, die so auch von dem Arrangement profitieren. Die Schwiegereltern sind sehr liebenswerte Nebencharaktere, über die ich oft schmunzeln musste.
Die Verbindung zwischen Livs aktueller Arbeits- bzw. Küchenbaustelle und den Morden hat die Autorin sehr kreativ umgesetzt. Bis zum Schluss hielt ich den Handlungsstrang mit Mäusen auf der Baustelle und einer anspruchsvollen Millionärsgattin für eine Nebenhandlung, und habe sehr gelacht und nicht schlecht gestaunt, als die Verbindung aufgedeckt wurde.
Der herrliche schwarze Humor hat mich an die „Achtsam Morden“-Reihe erinnert, diesmal aus der Perspektive einer Frau. Beim Lesen von „Morden in der Menopause“ lief bei mir ständig Kopfkino ab, dieser Roman sollte unbedingt verfilmt werden! Außerdem würde ich mich über eine Fortsetzung sehr freuen, da ich gern erfahren würde, wie es mit Liv, Jörn, Iza, Eva, Marlies und Werner weitergeht. Von mir eine große Leseempfehlung, nicht nur für Frauen in den Wechseljahren!