Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
R. S.

Bewertungen

Insgesamt 182 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2022
Wer die Nacht malt / The Lost Crown Bd.1
Benkau, Jennifer

Wer die Nacht malt / The Lost Crown Bd.1


sehr gut

Fesselnder Fantasyroman mit besonderer Magie

Mit "The Lost Crown" von Jennifer Benkau kehrt man in die Welt von Lyaskye zurück und begegnet dort als Protagonisten Kaya und Mirulay.
Vorwiegend aus Sicht von Kaya erzählt, folgt man Kaya, wie sie von Räubern überfallen wird und daraufhin gemeinsam mit ihren Begleiter und Freund Nevan gefangen genommen wird. Sie gibt sich als Heilerin aus und soll den schwer verletzten Anführer der Räuber, Mirulay, heilen. Ihre besondere Gabe Magie malen zu können, hilft ihr dabei, und nach und nach kommen sich Kaya und Mirulay näher und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Anfangs noch etwas langsam, wird man nach und nach immer mehr von der Handlung rund um Kaya in den Bann gezogen. Die Geschichte lebt hierbei vor allem von der bildlichen Sprache und der Magie, die Kaya in sich trägt und der Magie, die zwischen ihr und Mirulay herrscht. Anfangs ist Kaya (verständlicherweise) eher feindselig gegenüber Mirulay eingestellt, doch mit der Zeit lernt sie wie auch die Leser*innen immer mehr Facetten von Mirulay kennen, die helfen zu verstehen, wie er zu dem wurde, der er jetzt ist und welche Ereignisse in der Vergangenheit dabei einen entscheidenden Einfluss hatten. Mir gefällt es gut, wenn der Liebesgeschichte in Romanen Platz zum Entwickeln gegeben wird und genau das wird hier gemacht. Wie die Dinge am Ende stehen, ist noch vieles für ihre weitere Beziehung offen.
Besonders gut gefallen hat mir außerdem die Beschreibung der Magie von Kaya. Kaya kann Magie malen, die Runen, die sie so malt, sind äußerst kraftvoll. Die Autorin schafft es hierbei, Kayas Wahrnehmung der Farben so bildhaft zu beschreiben, dass man es förmlich vor Augen sieht.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen eindeutig Kaya und Mirulay, im Vergleich zu den beiden Protagonisten fällt die Charakterisierung der anderen Charaktere jedoch etwas schwächer aus, tut dem Lesegenuss jedoch keinen Abbruch und sorgt für zusätzliches Potenzial im zweiten Band.

Insgesamt ist "The Lost Crown" ein Fantasyroman, der in Bezug auf Worldbuilding, Schreibstil und Handlung überzeugen kann und insbesondere durch den Cliffhanger am Ende die Spannung für den Nachfolgeband hochhält. Bildreiche Beschreibungen und eine angenehm zu lesender Schreibstil sorgen dazu, dass man nur so durch die Seiten fließt und kleinere Schwächen in Bezug auf die Charakterisierung nicht weiter stören. Nicht nur Fans von Jennifer Benkau werden sich von der Geschichte rund um Kaya und verzaubern lassen können.

Bewertung vom 23.10.2022
Frau mit Messer
Byeong-mo, Gu

Frau mit Messer


gut

Was passiert mit einer alternden Auftragskillerin, wenn sie über 60 Jahre alt ist?

Die 65-jährige Hornclaw führt auf den ersten Blick ein unauffälliges Leben. Sie ist einsam und lebt alleine, abgesehen von ihrem ebenfalls alternden Hund. Was sie von anderen Frauen in ihrem Alter unterscheidet, ist, dass sie noch arbeitet und dass sie keinen normalen Beruf ausübt. In den letzten 45 Jahren hat sie sich im Umgang mit Waffen, körperlichem Training und Überwachungsfähigkeiten geübt. Sie hat gelernt, unterzutauchen oder in einer Menschenmenge unbemerkt zu bleiben, sie ist nämlich eine Auftragsmörderin. Doch sie ist nicht mehr die erfolgreiche und gefürchtete Auftragsmörderin, die sie einmal war. Ihr ist klar, dass sie sich bald zur Ruhe setzen muss, denn nicht nur ihre körperliche Verfassung lässt nach, auch fängt die sonst so abgebrühte Hornclaw an, Fehler zu machen und Emotionen und Gefühle bei der Ausübung ihrer Aufträge zu zeigen. Wären das schon nicht genug Sorgen, mit denen sie sich herumschlagen muss, holt ihre Vergangenheit sie genau dann ein, als sie sich mit einem verwitweten Arzt und seiner jungen Tochter anfreundet.

Anders als der Inhalt zuerst vermuten lässt, geht es in der Geschichte eher um das Altern und wie es sich auf die Menschen auswirkt als um Hornclaws Job als Auftragsmörderin. Wer einen fesselnden Thriller erwartet, wird eher enttäuscht sein, ist es doch mehr eine Charakterstudie, auch wenn teils eine ziemliche blutige.
Der Schreibstil ist direkt und bisweilen geheimnisvoll, aber auch teils distanziert. Es entsteht dadurch eine mysteriöse Atmosphäre, aber leider keine emotionale Verbindung zu den Charakteren, so bleiben besonder die Motive von Hornclaw ziemlich im Dunklen in Bezug auf ihre Veränderung von einer kaltherzigen Auftragsmörderin hin zu einer, die Gefühle zeigt. Am Alter allein kann es nicht liegen. Gerne hätte ich mir hier mehr Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt gewünscht.Zwar erhält man Einblicke in Hornclaws Vergangenheit, insbesondere in die Umstände, die dazu führten, dass sie diesen Beruf ergriff, und in ihre Beziehung zu ihrem Mentor, doch verlässt sich die Erzählung zu sehr auf das "Erzählen" von Dingen. Ich hätte es vorgezogen, mehr Szenen zu lesen, die Hornclaw bei der Arbeit zeigen.

Nichtsdestotrotz ist Hornclaw eine faszinierende Figur und Gu Byeong-mo nutzt sie, um über die Behandlung älterer Menschen in Korea sowie über andere moderne gesellschaftliche Themen wie Armut und wirtschaftlichen Abschwung nachzudenken. Die Sozialkritik ist gut ausgearbeitet und ist vielleicht der stärkste Teil der Geschichte - was angesichts des mörderischen Themas des Buches erstaunlich ist.

Insgesamt ist "Frau mit Messer" keine schlechte Lektüre, jedoch habe ich mir nach Lesen des Klappentextes mehr erhofft. Auch ist es mehr Charakterstudie als ein spannender Thriller.

Bewertung vom 21.10.2022
Der Horror der frühen Chirurgie
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Chirurgie


sehr gut

Fesselndes Buch über die Anfänge der plastischen Chirurgie

"Der Horror der frühen Chirurgie" erzählt die Geschichte des bahnbrechenden plastischen Chirurgen Harold Gillies, der sein Leben der Rekonstruktion der Gesichter der verletzten Soldaten widmete, die er während des Ersten Weltkriegs behandelte. Es ist ein erhellendes und teils erschütterndes Buch über die Anfänge der plastischen Chirurgie, den medizinischen Fortschritt und den Ersten Weltkrieg, erzählt durch berührende menschliche Geschichten.

Harold Gillies führte ein bemerkenswertes Leben, das die Grenzen der Chirurgie verschob und das Leben so vieler Menschen veränderte.
Er hatte eine bemerkenswerte Hingabe an seine Arbeit. Schon zu Beginn des Krieges erkannte er, wie schlecht die Wunden im Gesicht behandelt wurden und welche Folgen dies für die Soldaten hatte. Er setzte sich unermüdlich dafür ein, diesen Männern zu helfen und gründete ein spezielles Krankenhaus für Gesichtsverletzungen und deren Wiederherstellung.
Auch erkannte Gillies, dass nicht nur die Rekonstruktion an sich von Bedeutung war, sondern dass ebenso ein multidisziplinäres Team erforderlich war, um die Arbeit zum Erfolg zu führen. Er beschäftigte Chirurgen, Ärzte, Zahnärzte, Radiologen, Künstler, Bildhauer, Maskenbildner und Fotografen, die alle gemeinsam an der Rekonstruktion mitwirkten bzw. im Falle der Künstler und Fotografen die Arbeit dokumentierten. Einige dieser Kunstwerke und Fotografien sind auch heute noch erhalten.

Insgesamt war "Der Horror der frühen Chirurgie" ein aufschlussreiches Buch über einen faszinierenden Mann, auch wenn in der Erzählung der Fokus manchmal zu sehr von ihm und seinen Leistungen abdriftet. Trotzdem eine gut geschriebene Geschichte über die Brutalität des Ersten Weltkriegs, den Schaden, den er an den Körpern der Männer anrichtete und wie ein Pionier der plastischen Chirurgie lebensverändernde Arbeit leistete, indem er die Gesichter ehemaliger oder aktueller Soldaten rekonstruierte. Es ist so gut geschrieben, dass man manchmal fast vergisst, dass man ein Sachbuch liest.
Jeden, der sich für die Geschichte der Medizin interessiert, zu empfehlen.

Bewertung vom 21.10.2022
Das Leuchten der Rentiere
Laestadius, Ann-Helén

Das Leuchten der Rentiere


ausgezeichnet

Fesselnder Einblick in das Leben und die Kultur der Samen

4.5/5

"Das Leuchten der Rentiere" von Ann-Helén Laestadius ist ein sehr atmosphärisch düsteres und fesselndes Buch. Es ist ein fiktionaler Roman, der auf wahren Begebenheiten berührt.

Es erzählt die Geschichte von Elsa, einer Samin, die in einer Rentierzüchterfamilie aufwächst und die als Kind Zeugin wird, wie ihr Rentier ermordet wird. Die Folgen und die Angst, die das schreckliche Ereignis bei ihr auslösen, begleiten sie ein Leben lang, da immer mehr Rentiere ermordet und gequält werden.
Zudem erzählt der Roman auch von der Lebensweise der Rentierzüchter, von dem generationenübergreifenden Trauma, das jeder Same in sich trägt und die Diskriminierungen, denen sie als ethische Volksgruppe ausgesetzt sind.
Ebenso handelt der Roman von Trauer und Wut. Die Samen kämpfen für ihre Rechte und ihre Existenz, aber ihre Schreie stoßen auf taube Ohren. Die brutale Tötung von Rentieren wird als Diebstahl eingestuft, die Fälle werden von der Polizei abgeschlossen, bevor es zu einer Voruntersuchung kommt und die Schweden schüren ihren eigenen, seit Generationen bestehenden Hass, wo sie nur können.
Das Buch zeigt die feindseligen Spannungen zwischen den Samen und anderen Dorfbewohnern, aber auch zwischen den Samen untereinander auf. Sie leben in einer patriarchalischen Gesellschaft, in der von den Söhnen erwartet wird, dass sie die Aufgaben der Rentierzucht übernehmen. Die Frauen sollen sich auf Haus und Kinder konzentrieren. Diese Denkweise führt häufig zu psychischen Erkrankungen.
Neben den Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, die die Sami erfahren, ist der Roman aber auch voller Herz für die Rentierhaltung, die Familie, die Freunde und das Leben der Samen. Es wird deutlich, dass die Rentierhaltung viel mehr als nur ein Beruf für sie ist, es ist ein Teil ihres Lebens.

Insgesamt ist "Das Leuchten der Rentiere" ein sehr bewegendes und lehrreiches Buch, das zwar fiktiv ist, aber auf realen Verbrechen an den Sami beruht und mit ruhiger, aber eindringlicher Sprache einen Einblick in das Leben der Samen im heutigen Schweden gibt sowie die Kluft zwischen Ihnen und den anderen Dorfbewohnern beschreibt.
Laestadius gelingt es, die Ausweglosigkeit der Situation eindrücklich zu vermitteln. Das mangelnde Interesse der Polizei und die schwedische Gesetzgebung, die nicht die richtige Bezeichnung für die begangenen Straftaten bereithält. Anfangs noch etwas langsam erzählt, nimmt der Roman im weiteren Verlauf immer mehr an Fahrt auf und wird zum Ende hin richtig spannend. Trotz des traurigen und tragischen Themas ist die Geschichte nicht ohne Hoffnung und allein schon wegen des tollen atmosphärischen Schreibstils, der es schafft, einen das Leben und die Kultur der Samen näher zu bringen, lesenswert.

Bewertung vom 14.10.2022
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


sehr gut

Roland Baines - Ein Leben voller Lektionen

"Lektionen" von Ian McEwan ist die Geschichte eines ganzen Lebens und zwar die von Roland Baines. Man folgt Roland Baines von klein auf bis ins hohe Alte, auch wenn nicht geradlinig. Am Beispiel Rolands illustriert der Autor hierbei die letzten sechs Jahrzehnte, er ist eine Chronik der britischen und europäischen Politik, Kunst, Musik und Mentalität.

Die Geschichte, eine Art literarische Biografie, beginnt zu einem Zeitpunkt in Roland Baines Leben, als dieses schon fast in sich zusammenfällt. Er wird von seiner Frau Alissa verlassen und muss sich nun selbst um den gemeinsamen Sohn kümmern. Zuerst wirft man dann einen Rückblick in seine Kindheit, dessen Leben sich mit 11 Jahren drastisch ändert, als seine in Afrika lebenden Eltern beschließen, ihn nach England zurückzuschicken, damit er dort ein Internat besucht, um eine klassische Ausbildung zu erhalten. Während sich die politische Landschaft nach dem Zweiten Weltkrieg neu formiert, nimmt der Junge Baines Klavierunterricht bei Miss Cornell, die nicht nur seine Vorstellung von Musik prägen wird, sondern ihn auch körperlich und sexuell missbraucht.
Was folgt, ist ein Bericht über Rolands Leben, der den Zweiten Weltkrieg bis zu den COVID-19-Sperren umfasst. Zufällig oder vom Schicksal initiiert, bleibt dabei Rolands Leben eng mit globalen Ereignissen verbunden, sei es die Wolke von Tschernobyl, der Beginn und das Ende des Kalten Krieges oder große Krisen wie AIDS und die Pandemie. Roland, der eifrig Tagebuch führt, berichtet über seine Teilnahme am Weltgeschehen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Buch befasst sich mit seinen komplizierten Gefühlen in Bezug auf den Angriff, dessen Auswirkungen auf sein Leben (insbesondere in Bezug auf seine weiteren Beziehungen) und welche Auswirkungen dies auch auf andere hatte. McEwan schafft es hierbei, die Folgen des Missbrauchs einfühlsam und realistisch darzustellen.

"Lektionen" ist insgesamt ein ruhig erzählter, aber dennoch eindringlicher Roman, der die globalen Ereignisse mit dem persönlichen Leben des Protagonisten Roland und seiner Familie verwebt. Es geht um Schuld, Freundschaft, Familie, Verrat und spiegelt das Weltgeschehen in kleinem, intimem Rahmen wider.
Der Roman ist mit seinen rund 700 Seiten sehr umfangreich, aber es wird nie richtig langweilig, trotz mancher längeren Abschnitte. Sprachlich toll geschrieben werden die historischen Ereignisse und das Leben und die Gefühle von Roland Baines unter der Feder von McEwan lebendig.
Ein anspruchsvoller literarischer Roman, der Spaß macht zu lesen.

Bewertung vom 14.10.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


gut

Fehlende Intimität und Emotionalität

3.5/5

Katie Kitamuras "Intimitäten" ist ein ruhiger Roman, direkt und schnörkellos geschrieben, dem, obwohl in der ersten Person aus Sicht der Protagonistin erzählt wird, eine persönliche und emotionale Note fehlt.
Es ist ein Roman mit einem sehr interessanten Schauplatz, der mich leider jedoch nicht komplett überzeugen konnte.

Nach dem Tod ihres Vaters und dem Umzug ihrer Mutter nach Singapur verlässt die namenlose Erzählerin New York, um ein Jahr lang als Dolmetscherin in Den Haag zu arbeiten. Dort wird sie mit einem wichtigen Job betraut. Privat dagegen gerät ihr Leben ins Wanken. Ihr Freund ist weggezogen, um mit seiner ihm entfremdeten Frau über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zu streiten, die Nachbarschaft ihrer besten Freundin fühlt sich nach einem brutalen Überfall nicht mehr sicher, und sie muss sich mit Intimität (oder dem Fehlen derselben) in all ihren Formen auseinandersetzen.

Gut gefallen haben mir die Szenen, in denen die Vorgänge am Internationalen Gerichtshof dargestellt werden, als sie dort für einen afrikanischen Staatschef, dem Völkermord vorgeworfen wird, dolmetscht und die Rolle des Gerichts als "unwirksames Instrument des westlichen Imperialismus" beschreibt. Man erhält einen detaillierten Einblick in die Aufgaben von Dolmetscher*innen. Die Erzählerin beschreibt, wie sie sich so sehr auf die korrekte Übersetzung konzentriert, dass sie schließlich den Sinn der Worte, die sie sagt, verliert.
Die Arbeit als Dolmetscherin ist auch die einzige Stelle im Roman, an der die Protagonistin irgendeine Verletzlichkeit zeigt, ansonsten sind ihre Beziehungen und Freundschaften sehr subtil und ohne wirkliche Tiefe dargestellt.
Der Ton des Romans ist oft so unpersönlich, dass es mir sehr schwerfiel, irgendeine eine emotionale Nähe zur Protagonistin herzustellen. Es gibt nicht viel Handlung und die Dialoge wiederholen sich. Die Figuren wirken sehr oberflächlich, und ich hätte mir mehr von den Interaktionen der Erzählerin gewünscht. Vielleicht war das beabsichtigt, weil es zeigen sollte, dass sie keine Intimität hat, aber es hat die Lektüre nicht spannend gemacht.

Insgesamt ist "Intimitäten" von Katie Kitamura eine interessante Meditation über Sprache, Übersetzung und zwischenmenschliche Beziehungen, der einen tollen Einblick in das Haager Gericht und all die Faktoren, die bei den Prozessen eine Rolle spielen, liefert. Das sind zwar alles interessante Themen und Gedankengänge, die am Ende leider nirgendwo wirklich hinführten, sodass der Roman mich am Ende unbefriedigt zurücklässt. Ich hatte mir mehr erhofft.

Bewertung vom 30.09.2022
Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit
Pulley, Natasha

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit


sehr gut

Mysteriöse und gefühlvolle Geschichte über Zeitreisen und ihre Folgen

"Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit" ist eine teils verwirrende, aber auch originelle, komplexe und spannende Geschichte, die geschickt das Konzept verarbeitet, wie bei einer Zeitreise selbst winzige Veränderungen in einer Zeitebene zu großen Veränderungen in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft führen können.

Im Jahr 1898 kommt Joe Tournier an einem Bahnhof in London an, ohne sich zu erinnern, wer er ist oder wie er dorthin gekommen ist. Er kennt andere Namen und Personen als die, die vor ihm stehen. Noch unheimlicher ist, dass er eine Postkarte von vor 95 Jahren erhält, die ihn auffordert, nach Hause zu gehen. Das ist der einzige Hinweis, den er hat. Die alte Postkarte eines Leuchtturms ist mit M. unterschrieben und Joe ist entschlossen, den Autor zu finden. Die Suche nach M. wird Joe jedoch dazu bringen, die Geschichte und sich selbst neu zu schreiben.

Dank Natasha Pulleys sehr anschaulichen und stimmungsvollen Schreibstil liest sich das Buch leicht und flüssig und ich hatte so keine Probleme, die verschiedenen Zeitebenen auseinanderhalten. Das Element der Zeitreise ist gut durchdacht, auch wenn der Roman sich Zeit lässt an dem Punkt in der Geschichte zu gelangen, an dem alles zusammenfällt und einen Sinn ergibt.
Neben den interessanten und vielschichtigen Charakteren kann die Geschichte auch durch ihre stimmungsvolle Beschreibung der Szenerie überzeugen, so hat man z. B. beim Lesen das Gefühl, man befinde sich an Bord von einen der dunklen, feuchten Marineschiffe.
Durch den Text fließt zudem eine leichte Magie, die geheimnisvoll und unerklärlich ist, die einen aber völlig in die Geschichte hineinzieht. Eine Liebesgeschichte, die durch Raum und Zeit reist und die die Geschichte verändert.
Auch ist das Buch voller Sehnsucht. Joe sehnt sich die ganze Zeit über nach etwas, das er nicht einmal kennt, aber je weiter man in die Geschichte eindringt, versteht man nach und nach, was sich Joe sehnt und was es mit seinem Gedächtnisverlust auf sich hat.

Ein Buch, das seine Zeit braucht um auf einen zu wirken und zu fesseln aber dann wenn man sich darauf einlässt, einen mit einer außergewöhnlichen und gefühlvollen Zeitreisegeschichte und deren Folgen belohnt wird.

Bewertung vom 26.09.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Leise aber kraftvolle Dystopie

4.5/5

"Unsre verschwundenen Herzen" von Celeste Ng ist eine bewegende Hommage an die Liebe um jeden Preis und die Suche eines Jungen nach der Wahrheit. Die Geschichte selbst ist eindringlich erzählt, erschütternd, erschreckend, aber letztlich auch hoffnungsvoll.

Der dystopische Roman spielt in einer nahen Zukunft, die durch die Augen des zwölfjährigen Bird Gardner betrachtet wird.
Im ersten Abschnitt lernt man Bird kennen, der von seinem Vater Noah genannt wird. Birds Mutter Margaret Miu, die chinesischer Abstammung ist, verschwand, als er neun Jahre alt war. In den letzten drei Jahren haben Bird und sein weißer Vater versucht, ein ruhiges, konformes Leben zu führen, das nicht die Aufmerksamkeit der Nachbarn, Lehrer, Kollegen oder anderer Menschen um sie herum erregt, die auf den kleinsten Hinweis auf etwas Unamerikanisches achten. Bird geht zur Schule, er lernt über PACT - das Gesetz zum Schutz der amerikanischen Kultur, ein Gesetz, das eingeführt wurde, nachdem das Land sich in einem schlechten sozialen und wirtschaftlichen Zustand befand, es herrschte Hunger und es kam zu Aufständen auf den Straßen, niemand war sicher. Die Regierung hat dieses Gesetz erlassen, um die Lage zu beruhigen. Um die Menschen zu schützen. Doch es hat eher zu Misstrauen und Rassismus geführt.
In der zweiten Hälfte erfährt man aus der Sicht eines Erwachsenen, wie es zu dieser Situation kam und was es mit dem Verschwinden von Birds Mutter auf sich hat.

Obwohl man weiß, dass es sich hier um eine fiktive Geschichte handelt, fühlt es sich sehr real an, was den Roman so eindringlich und bedrückend macht.
Es ist ein Buch über Familie, Liebe, die Suche nach der Wahrheit und über einen kleinen Jungen, der Antworten sucht und mutig ist.
Es ist auch ein zutiefst politisches Buch, das sich mit Themen wie Anti-Asiaten-Hass, Mutterschaft, Familientrennung, Polizeibrutalität, sozioökonomischer Ungleichheit und mehr auseinandersetzt. Es ist erschreckend zu lesen, denn obwohl es sich um ein fiktives Werk handelt, fühlt sich der Zustand der Welt in diesem Buch nur allzu real an.


Ng schafft es, die Charaktere lebendig werden zu lassen, besonders Bird wächst einem ans Herz.
Mit ihrem emotionalen und leicht poetischen Schreibstil fängt sie die Hilflosigkeit derjenigen Familien ein, bei denen die Eltern von ihren Kindern getrennt werden sowie Hass und Ausgrenzung ausgesetzt sind. Anfangs noch etwas verwirrend, offenbart sich mit jeder zusätzlichen Seite, wie es dazu kam, dass Familien getrennt wurden und warum Bird und sein Vater versuchen nicht aufzufallen. Einmal angefangen fällt es schwer, mit dem Lesen aufzuhören, auch wenn das Thema kein leichtes ist.

Eine Geschichte, die nachdenklich macht.

Bewertung vom 21.09.2022
Teen Couple Have Fun Outdoors
Jayan, Aravind

Teen Couple Have Fun Outdoors


gut

Teen couples have fun outdoors but not me while reading it

Der Roman "Teen couples have fun outdoors" handelt über die Moral der Mittelklasse in einer indischen Kleinstadt und wird aus der Sicht einen etwas naiven, namenlosen Erzählers erzählt.

Die Hölle bricht für ihn und seine Familie aus, als ein Sexvideo von seinem Bruder Sree und dessen Freundin veröffentlicht wird und sich unter Gleichaltrigen und seiner Familie verbreitet. Was folgt, ist ein rein chaotisches Familiendrama, bei dem sein jüngerer Bruder die zerbrochenen Teile seiner Familie zusammenfügen muss.

Ich bin zwiegespalten, was meine Meinung zu dem Buch betrifft.
Einerseits ist es ein interessanter und tiefer Einblick in die indische Gesellschaft und Kultur sowie in das Internet und die sozialen Medien, aber andererseits konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich mehr wollte. Es liest sich schnell, die Handlung zieht sich nicht unnötig in die Länge trotz mancher Wiederholung und ist unterhaltsam und teils such zynische geschrieben, aber trotzdem hinterlässt es bei mir keinen bleibenden Eindruck. Was ein bisschen Schade ist, da die Idee und die Thematik viel Potenzial hatten für eine gute Story. Beim Lesen habe immer auf eine Wendung gewartet oder dass da noch mehr kommt, aber ich hatte insgesamt das Gefühl, dass das ganze Buch am Ende ziemlich eintönig war. Zu keinen der Charaktere konnte ich eine wirklich emotionale Verbindung aufbauen, keiner war besonders sympathisch, und obwohl aus Sicht eines namenslosem Erzählers geschrieben wirkte die Handlung stellenweise oberflächlich und belanglos. Ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass mir die Pointe klar wird, und das ist nie wirklich geschehen.

Kulturell interessant, aber auch nicht mehr.

Bewertung vom 21.09.2022
Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens / Monsieur le Comte Bd.1
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens / Monsieur le Comte Bd.1


sehr gut

Charmanter Auftragsmörder wider Willen- Kurzweilig und unterhaltsam

3.5/5

Mit Witz, Charme, kulinarischen Genüssen und französischem und auch italienischem Flair kann "Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens" von Pierre Martin aufwarten.

Lucien Comte de Chacarasse, Nachfahre eines alten französischen Adelsgeschlecht, genießt sein Leben als Frauenheld und Besitzer eines gut laufenden französischen Restaurants. Doch sein sorgenfreies Leben endet jäh als sein Vater im Sterben liegt und an seinem Sterbebett Lucien schwören lässt, die besondere Tradition der Familie weiterzuführen. Und die hat es in sich, denn die Chacarasse sind Auftragsmörder. Auch wenn Lucien für dieses besondere Erbe von Kindesbeinen an trainiert hat, konnte er sich der Pflicht, die ihm widerstrebt, bis jetzt entziehen. Schon bald hat jedoch sein Onkel Edmond den ersten Auftrag für ihn und für Lucien beginnt der Versuch ein Auftragsmörder zu sein ohne dabei selbst zum Mörder zu werden.

Locker und unterhaltsam geschrieben folgt man gern Lucien dabei, wie er versucht der Familientradition gerecht zu werden und sein bisheriges unbeschwertes Leben weiterzuführen. Nebenbei wird der Leser in die Kunst des (Nicht)Tötens eingeführt und macht Bekanntschaft mit mehr oder weniger liebenswerten Charakteren. Zu Ersteren zählen die gutmütige aber schwerhörige Rosalie und die mit allen Wassern gewaschene Francine, zu Letzteren Luciens Onkel Edmond.
Die französische Mittelmeerküste, die kulinarischen Genüsse, die kurzen Kapitel und eine wendungsreiche Handlung sorgen hierbei insgesamt für ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Auch wenn nicht jeder Witz zündet und manches zu klischeehaft dargestellt wird, ist dem Autor eine originelle Geschichte mit spannenden Kriminalementen gelungen, die Lust auf mehr macht.

Wer auf der Suche nach einem kurzweiligen, unterhaltsam geschrieben und teilweise absurden Kriminalroman über einen liebenswerten Auftragskiller wider Willen ist macht mit "Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens" nichts falsch. Zu viel Tiefe und Realismus sollte man jedoch nicht erwarten.
Perfekt für Zwischendurch und Liebhabern von Wohlfühlkrimis zu empfehlen.