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Benutzername: 
takabayashi
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Berlin
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Vielleser

Bewertungen

Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 07.04.2020
Die Toten vom Lärchensee / Ein Fall für Arno Bussi Bd.2
Fischler, Joe

Die Toten vom Lärchensee / Ein Fall für Arno Bussi Bd.2


ausgezeichnet

Richtig netter Krimi - humorvoll und spannend
Ich kenne schon die Veilchen-Reihe des Autors, die mir auch sehr gefallen hat, aber im Vergleich mit den heiteren Bussi-Romanen ist Veilchen eher etwas düster.
Der gebürtige Tiroler Arno Bussi ist Polizist in Wien, allerdings unseligerweise in der Abteilung Kriminalstatistik tätig, weil Innenminister Qualtinger es Arno verübelt, dass er ihn mit seiner Frau im Bett erwischt hat. Aber hin und wieder, wenn es einen kniffligen Fall in Tirol zu lösen glt, kommt Arno dann als "Einheimischer" doch zum Einsatz.
Wie nun hier am Lärchensee, wo es um einen Cold Case geht, einen fünf Jahre alten Todesfall, der anfänglich als vermeintlicher Unfalltod ad acta gelegt wurde. Warum das nun gerade jetzt wieder aufgerollt werden soll, versteht Arno zwar nicht, macht sich aber nichtsdestotrotz an die Arbeit. Im Laufe seiner Ermittlungen drängt sich ihm die Vermutung auf, dass es Qualtinger weniger um diesen Fall geht, als um die Durchsetzung seiner eigenen dubiosen politischen Interessen ...
Der vom Tourismus weitgehend unbeleckte Lärchensee soll mit Macht erschlossen werden. als erster Schritt steht die Erbauung eines Chalet-Dorfes an. Und wo gebaut werden soll, da gibt es auch Proteste. Der Arno gerät gleich mitten hinein ins Geschehen und trifft dabei den Bauunternehmer mit seinen zwei Bodyguards, die ehrgeizige Bürgermeisterin, die engagierte Umweltaktivistin, den alten Polizisten Bernhard Franz und dessen Lawinenhund Bernhard und das Bäckerehepaar Baldauf, deren Käsesahnetorte fast so gut ist wie die von Arnos Mutter.
Der Bruder vom Bäcker ist derjenige, der vor fünf Jahren zu Tode gekommen ist. Er hatte das Restaurant Zum Seewirt so erfolgreich betrieben, dass es weit über Tirol hinaus in Schickimicki-Kreisen bekanntgeworden war. Die Einheimischen zum Sprechen über seinen Tod zu bewegen ist schwieriger als erwartet. Aber dann beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen und es gibt zwei weitere Todesfälle. Zusammen mit der aus Innsbruck angereisten Inspektorin Katz (mit Berliner Zungenschlag) gelingt es Arno schließlich, den äußerst verschlungenen Fall zu lösen.
Ein reines Lesevergnügen! Ein Krimi genau nach meinem Geschmack, zwar heiter und amüsant, aber trotzdem spannend und durchaus am Puls der Zeit. Arno Bussi ist ein sympathischer und liebenswerter Charakter, der nun schon zum zweiten Mal beweist, dass er ein zu guter Ermittler ist, um seine Talente in der Kriminalstatistik zu vergeuden. Die Riege skurriler Figuren, auf die er in diesem Fall stößt, sind die humorvolle Würze der Geschichte. Wer Cosies liebt, wird hier hervorragend bedient. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.04.2020
Pandora / Stein und Wuttke Bd.1
Amber, Liv;Berg, Alexander

Pandora / Stein und Wuttke Bd.1


sehr gut

Berlin 1948 - Interessanter Krimi aus der Nachkriegszeit
Kommissar Stein, dessen Eltern in der Nazi-Zeit nach England emigrierten, wo er dann auch seine Polizistenkarriere bei Scotland Yard begann, ist nun nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt. Zuerst hat er bei der Volkspolizei im Ostteil der Stadt gearbeitet, wo auch sein Vater - ein glühender Kommunist - eine hohe Position innehat, ist aber nun gerade zur Westberliner Polizei gewechselt, da er die Überzeugungen seines Vaters nicht teilt.

Sein Vorgesetzter, ein unangenehmer Alt-Nazi, ist ihm nicht wohlgesonnen und möchte den "Tommy" schnell wieder loswerden, sein direkter Kollege Wuttke ist aufgrund traumatischer Erlebnisse während des Krieges pervitinabhängig und entsprechend unberechenbar. Ein Mord an einem Charlottenburger Bordellbesitzer muss aufgeklärt werden. Außerdem gibt es eine alte Akte über den Tod von fünf Patientinnen der Nervenheilanstalt Wittenau, die Stein in die Hände fällt. Er möchte dem Fall auch gern nachgehen, muss aber feststellen, dass sein Chef Krüger alles daran setzt, die Akte unter Verschluss und ihn von Ermittlungen in Wittenau abzuhalten. Die Dritte im Bunde ist Lore Krause, die junge Schreibkraft und Assistentin, die eigentlich auch gerne Polizeibeamtin sein möchte und Stein und Wuttke hin und wieder bei den Ermittlungen hilft. Im Laufe der Zeit wird klar, dass die beiden Fälle zusammenhängen und auch, welches Interesse Krüger daran hat, den Fall zu deckeln.

Das große Thema dieses Krimis sind die Nazi-Verbrechen, die an den Insassen von Nervenheilanstalten begangen wurden. Der Kommissar ist zwar gebürtiger Berliner, sieht seine Heimatstadt nach 15 Jahren Abwesenheit aber doch mit den Augen eines Außenseiters und tut sich manchmal schwer, die Verhaltensweisen seiner Landsleute zu verstehen, geschweige denn zu verzeihen. Allmählich wachsen aber er, Wuttke und Lore doch zu einem Team zusammen und schaffen es, ihren Fall gegen alle Widerstände aufzuklären. Die Stimmung, die Atmosphäre dieser Zeit wird gut zum Leben erweckt, der Fall ist durchaus spannend, wenn auch etwas gebremst, und mit den beiden Kommissaren konnte ich nie so ganz warm werden. Dennoch ein gelungener historischer Berlin-Krimi, aber mit Luft nach oben ... wie z.B. bei Volker Kutscher oder Susanne Goga, deren historische Krimis für mich einen stärkeren Sog entwickeln.

Bewertung vom 22.03.2020
Die Geheimnisse meiner Mutter
Burton, Jessie

Die Geheimnisse meiner Mutter


sehr gut

Eine Tochter sucht ihre Mutter und findet sich selbst
Im Jahre 2017 bekommt die 34jährige Rose von ihrem Vater endlich einen Hinweis auf ihre kurz nach ihrer Geburt verschwundene Mutter. Er gibt ihe zwei Bücher der Autorin Constance Holden, mit der ihre Mutter befreundet gewesen sein soll. Rose lebt seit Jahren zusammen mit Joe, dem sie versucht, bei der Verwirklichung seines Traumes zu helfen: Joe träumt von einem Burrito Food-Truck, hat auch irgendwann einen alten Truck gekauft, den er aufmöbeln will, aber viel konkreter ist die Träumerei noch nicht geworden. Rose glaubt allmählich nicht mehr an das Projekt, hat aber auch keine eigenen Träume, denn die Geheimnisse, die das Verschwinden ihrer Mutter umgeben, haben sie irgendwie davon abgehalten, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, 1979-1983 und 2017/18. 1979 lernt die blutjunge und bildschöne Elise Morceau die über zehn Jahre ältere Autorin Constance Holden kennen und verliebt sich in sie. Wir können die Entwicklung dieser Beziehung verfolgen, den temporären Umzug nach LA, wo Constances erster Roman verfilmt wird und wie es zu Roses Zeugung und Geburt kam.
In den der Jetztzeit gewidmeten Kapiteln versucht Rose, deren Beziehung zu Joe nicht mehr sonderlich gut läuft, Constance ausfindig zu machen. Sie nutzt dann eine sich zufällig ergebende Chance und nimmt unter falschem Namen eine Arbeit als Connies Assistentin an. Der Kontakt mit dieser Frau eröffnet ihr völlig neue Perspektiven und sie wird endlich erwachsen und findet zu sich selbst.
Diese beiden Handlungsstränge, die schließlich zu einer Geschichten zusammenfließen, sind durchaus spannend, man bleibt die ganze Zeit über neugierig zu erfahren, wie es weitergeht. Mit der Figur von Rose' Mutter Elise konnte ich nicht recht warm werden, Rose selbst bietet da mehr Identifikationspotenzial. Ich habe schon DAS GEHEIMNIS DER MUSE von dieser Autorin gelesen, das nach einem ganz ähnlichen Strickmuster aufgebaut ist (Notiz an den Verlag: Muss jeder deutsche Titel dieser Autorin das Wort "Geheimnis" enthalten? Wenig einfallsreich, zumal dieses Wort in den kurzen und kackigen Originaltiteln (The Muse + The Confession) nicht vorkommt!). Beides gut lesbare, unterhaltsame Schmöker!

Bewertung vom 11.03.2020
Echo des Schweigens
Thiele, Markus

Echo des Schweigens


sehr gut

Justizdrama, Liebesgeschichte, historischer Roman
Echo des Schweigens ist ein Genremix: spannendes Gerichtsdrama, Liebesgeschichte zwischen 2 der Protagonisten, die auf unterschiedlichen Seiten stehen und historischer Roman - ein Thriller, wie in den Verlagsinformationen angegeben, ist es aber nicht!
Ausgangspunkt ist ein Fall, wie es ihn in Deutschland mehrfach real gegeben hat - ein Asylbewerber ist im Polizeigewahrsam verbrannt und von offizieller Seite wird dies als Selbstmord dargestellt, eine sehr unwahrscheinliche These. Für den jungen hanseatischen Anwalt Hannes Jansen ist die erfolgreiche Verteidigung des angeklagten Polizeibeamten die Chance, endlich Partner in seiner Kanzlei zu werden. Als er die Rechtsmedizinerin Sophie Tauber kennenlernt und die beiden sich ineinander verlieben, ahnen beide nicht, dass sie sich bald im Gerichtssaal auf gegnerischen Seiten begegnen werden, denn Sophie ist es gelungen, durch ihre forensischen Untersuchungen zu beweisen, dass es unmöglich Selbstmord gewesen sein kann.
In einem weiteren Handlungsstrang geht es um Sophies Familiengeschichte, beginnend in der Nazizeit, bis hin zu der Tatsache, dass sie ihren Vater nie kennengelernt hat. Erst nach dem Tod ihrer Mutter hat sie Informationen über ihn gefunden und macht sich suf die Suche nach ihm. Sophies Großmutter war Jüdin und verliebte sich in einen Sohn aus einflussreicher Familie, der ihr bei der Flucht helfen wollte. Die beiden hatten eine - damals illegale - Beziehung, aus der eine Tochter hervorging, wurden aber denunziert, was für beide schwerwiegende Folgen hatte.
Es liest sich alles sehr interessant und spannend, es geht um Recht versus Gerechtigkeit, es geht darum, ob eine Liebe so massive Hindernisse aushalten kann, es geht um die Art, wie Flüchtlinge in unserer Gesellschaft heutzutage behandelt werden und auch um Vergangenheitsbewältigung. Ich konnte mit den Hauptfiguren mitfühlen, ihre Konflikte verstehen und bin dabei gut unterhalten worden. Ein kleiner Wermutstropfen war die manchmal etwas zu saloppe Sprache des Autors: In Dialogen ist das völlig okay, nicht aber in der laufenden Erzählung, wenn z.B. das umgangssprachliche "rüber" statt des schriftsprachlichen "hinüber" verwendet wird. Und - wie man schon an meiner Inhaltsangabe sieht - ist der Roman thematisch etwas überfrachtet, etwas weniger wäre vermutlich mehr gewesen. Nichtsdestotrotz eine spannende, berührende, zum Nachdenken anregende und unterhaltsame Lektüre!

Bewertung vom 10.03.2020
Der Empfänger
Lenze, Ulla

Der Empfänger


gut

Die Lebensgeschichte eines deutschen Auswanderers im Zwanzigsten Jahrhundert
Die Autorin Ulla Lenze berichtet über den rheinländischen Auswanderer Josef Klein, aber leider gelingt es ihr nicht, das dramatische Potenzial dieser Lebensgeschichte spannend zur Geltung zu bringen.
Grob umrissen klang die Geschichte sehr vielversprechend, doch leider bleibt die Persönlichkeit des Josef Klein äußerst blass, gewinnt keine Kontur – ein Mann ohne Eigenschaften!
Eigentlich wollte er in den Zwanziger Jahren mit seinem jüngeren Bruder zusammen nach Amerika auswandern, doch das scheitert an einem Unfall, bei dem der Bruder ein Auge verliert. Mit solch einem Handicap besteht keine Chance, durch die rigiden Gesundheitskontrollen in Ellis Island zu kommen, deshalb zieht Josef alleine los. New York gefällt ihm er fühlt sich wohl dort, bekommt aber nicht wirklich ein Bein auf den Boden und arbeitet als ungelernte Hilfskraft. Sein Hobby ist das Amateur-Funken und dadurch rutscht er mehr oder weniger zufällig in einen Spionagering deutscher Nazis hinein, die seine Talente für ihre Zwecke ausnützen. Er hat nicht wirklich eine Meinung zur politischen Entwicklung in Deutschland, ihm gefällt es, dass er mit seinem Hobby Geld verdienen kann. Er wird erwischt, landet erst im Gefängnis, wird dann auf Ellis Island interniert und letztendlich (da hat er Glück) in die Heimat abgeschoben und kommt dann 1948 wieder zu seinem Bruder – der inzwischen Frau und Kinder hat – nach Neuss. Dort fühlt er sich gar nicht mehr heimisch, alles ist ihm zu eng und da er nicht in sein geliebtes New York zurückkann, landet er schließlich in Costa Rica.
Das klingt nach einer spannenden Geschichte und die Autorin kann auch gut schreiben. Der Roman spielt in unterschiedlichen Zeitebenen an verschiedenen Orten, doch keine der handelnden Personen ist mir nahegekommen. Das Schicksal Josef Kleins hat mich kalt gelassen, ich konnte seine Beweggründe nicht verstehen und das ist wirklich schade, denn es wäre genug Stoff für ein Familiendrama, einen historischen Roman oder eine Spionagegeschichte vorhanden. Obwohl ich mich eigentlich für die Handlung interessierte, bin ich teilweise nur quälend langsam vorangekommen, musste mich regelrecht bis zum Ende durchkämpfen. Für mich leider eine eher enttäuschende Lektüre!

Bewertung vom 03.03.2020
Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1


ausgezeichnet

Gelungene Gemeinschaftsarbeit
Entgegen dem sprichwörtlichen "Viele Köche verderben den Brei" stelle ich immer wieder fest, dass Krimis, die von 2 Autoren geschrieben wurden, meist sehr gelungen sind. So auch hier: Wolfgang Schorlau, erfahrener Autor der dezidiert gesellschaftspolitischen Dengler-Krimis, und Claudio Caiolo, ein in Deutschland lebender italienischer Schauspieler mit biographischer Verbindung zu sowohl Sizilien als auch Venedig haben mit Antonio Morello einen interessanten, sympathischen Ermittler erschaffen. Für den Mafia-Jäger aus Cefalú ist Sizilien zu heiß geworden, auf ihn ist ein Kopfgeld ausgesetzt, so dass sein um ihn besorgter Chef ihn kurzentschlossen nach Venedig versetzt, wo er vermeintlich in Sicherheit ist.
Dort fühlt Morello sich fehl am Platze, er kann die Schönheit der Serenissima nicht würdigen und sehnt sich nach Sizilien zurück. Aber dorthin kann er nicht zurück, wie ein kurzer Wochenendtrip zum Besuch seiner kranken Mutter deutlich macht. Doch ihm bleibt auch nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn in Venedig wird er sofort in seinen ersten Fall verwickelt - ein junger Umweltaktivist aus einflussreicher, wohlhabender, alteingesessener venezianischer Familie, ist getötet worden. Der junge Mann kämpfte für ein Verbot der Durchfahrt der riesigen Kreuzfahrtschiffe, die für das fragile ökologische Gleichgewicht in Venedig extrem schädlich sind und langfristig zum Untergang der Serenissima beitragen. Doch mit diesem Anliegen kam er massiven geschäftlichen Interessen in die Quere. Morello glaubt an eine Mafia-Verbindung, was die venezianischen Kollegen für seinen Spleen halten. In Venedig gibt es zwar Korruption, aber doch nicht die Mafia!
Der Roman spielt mit den Klischees über Nord- und Süditaliener und deren gegenseitiger Abneigung. Aber im Laufe des Geschehens gewöhnen sich Morellos neue Kollegen an ihn, ja, lernen ihn sogar zu schätzen und Morellos Widerstand gegen seine neue Heimat beginnt auch allmählich zu bröckeln.
Gut beschriebene Charaktere, eine spannende und plausible Handlung, aktuelle Themen, Lokalkolorit, ein sympathischer, glaubwürdiger Ermittler, das sind die Ingredenzien dieses spannenden Krimis, den ich mit Vergnügen gelesen habe und kaum aus der Hand legen konnte. Gern mehr davon!

Bewertung vom 02.03.2020
Je tiefer das Wasser
Apekina, Katya

Je tiefer das Wasser


gut

Eine zutiefst gestörte Familie
Der Klappentext ist etwas irreführend, da er Erwartungen schürt, die der Roman letztendlich nicht erfüllen kann. Edie und Mae sind 16, bzw. 14 Jahre alt, als sie nach einem Selbstmordversuch ihrer Mutter Marianne aus der Kleinstadt in der Nähe von New Orleans zu ihrem Vater Dennis nach New York ziehen müssen. Dennis ist ein relativ renommierter Schriftsteller, der die Familie vor 12 Jahren verlassen hat. Edie kann ihm nicht verzeihen, dass er verschwunden ist, während Mae zu klein war, um sich an ihn zu erinnern, und sich daher freut, ihn kennenzulernen. Edie empfindet den Umzug nach New York als Verrat an der Mutter, Mae empfindet ihn als Befreiung von ihrer psychotischen Mutter, die sie stark vereinnahmt hat - zumal Mae auch optisch ihrer Mutter sehr ähnelt und sich fast wie eine Erweiterung von Marianne gefühlt hat.
Geschildert wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, hauptsächlich natürlich aus Edies und Maes Blickwinkel, aber es kommen auch diverse andere Personen zu Wort, die in irgendeiner Weise etwas mit dieser Familie zu tun haben. Dieses Stilmittel hat mir gut gefallen, denn dadurch werden manche Ereignisse ganz unterschiedlich gedeutet, wie es ja auch im wirklichen Leben häufig vorkommt. Die Handlung spielt auch auf verschiedenen Zeitebenen, beginnend mit den 60er Jahren, in denen Dennis sich der Bürgerrechtsbewegung anschloss und deshalb in den Süden kam, wo er Mariannes Vater kennenlernte. Als sie dann heirateten, war Marianne 17 und Dennis Anfang 30. Er gehört offensichtlich zu den Männern, die die Bewunderung einer deutlich jüngeren, naiven Frau brauchen.
Die erste Hälfte des Buches habe ich noch mit Neugier und Vergnügen gelesen, aber dann erschloss sich allmählich das Ausmaß der Gestörtheit sämtlicher Protagonisten und das wurde mir dann zu viel. Ich konnte weder Sympathie noch Mitgefühl für die Figuren aufbringen und fand die Lektüre zu deprimierend und verstörend. Denn auch Dennis ist gestört - er missbraucht sämtliche Beziehungen in seinem Leben - vor allem natürlich die zu seiner psychisch kranken Frau - als Quellen für seine Romane und seine Beziehung zu Mae gestaltet sich auf sehr fragwürdige Weise. Ich weiß nicht, was die Autorin uns sagen will: vielleicht dient ihr das Schreiben als Therapie? Sie kann zweifellos gut schreiben, aber ich war froh, als ich das Buch endlich ausgelesen hatte. Nicht mein Geschmack!

Bewertung vom 31.01.2020
Die Ewigkeit in einem Glas
Kidd, Jess

Die Ewigkeit in einem Glas


weniger gut

Enttäuschend anders als erwartet
Ich hatte eine Art historischen Kriminalroman erwartet, musste dann aber feststellen, dass es sich eher um eine Art Fantasy- oder Geister-Roman handelt: trotzdem habe ich mich tapfer durch fast die Hälfte des Buches gekämpft, konnte aber damit nicht warm werden. Nur selten habe ich für so wenige Seiten so lange gebraucht, das Buch konnte mich einfach nicht in seinen Bann ziehen.
Der Autorin gelingt es gut, Personen zu beschreiben und Atmosphäre zu schaffen - man kann sich das Leben in London im 19. Jahrhundert gut vorstellen. Bridie war mir auch einigermaßen sympathisch, desgleichen ihr Kumpan, der Geist Ruby, doch fesseln konnte mich die Geschichte nicht: das war mir alles zu schräg, z. B. die entführte Tochter des Grafen, bei der es sich um eine Art bissiges kleines Monster handelt. Und es dauert alles viel zu lange, die Handlung zieht sich und kommt nicht in Gang, was dem Spannungsaufbau auch nicht gerade zuträglich ist! Schade, ich hatte mir das Buch extra besorgt, weil ich dachte, dass es mir gefallen könnte, musste dann aber aufgeben, weil es keine Leselust, sondern eine Lesequal für mich war. Die Autorin kann fraglos schreiben, daher die zwei Sterne, aber empfehlen kann ich dieses Buch leider nicht.

Bewertung vom 27.01.2020
Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6
Slupetzky, Stefan

Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6


sehr gut

Schwarzhumoriger Österreich-Krimi am Puls der Zeit
Vorher hatte ich noch kein Buch aus der Lemmingserie gelesen, was ich nun sicher nachholen werde: ein anspruchsvoller Krimi im besten Sinne, ein moderner Gesellschaftsroman, sehr unterhaltsam, voller pointierter Dialoge, Gesellschaftskritik, Wiener Schmäh und zitierwürdiger Äußerungem, z.B. über das "Gendern".
Zoo-Nachtwächter Leopold Wallisch, alias Der Lemming, ehemaliger Polizist, der mit dem System nicht klarkam und sein Freund und Ex-Kollege Polivka ermitteln im Todesfall des kleinen Mario Rampersberg, einem Freund von Ben, dem Sohn des Lemmings. Der Lemming ist zufällig zum Augenzeugen seines "Selbstmords" geworden, wird dann aber dank eines Denunzianten schnell selbst zum Verdächtigen. Offensichtlich hat eine Textnachricht auf seinem Smartphone den Jungen in den Tod getrieben.
Das Thema dieses Krimis sind die Auswirkungen der allggegenwärtigen Smartphones auf das tägliche Leben, es geht um Hatemails, Shitstorms, Cyber-Mobbing und bezahlte Influencer.
Spannend, witzig, zeitkritisch, bissig - brillant! Am Ende hat mich dann der österreichische Pessimismus etwas zu sehr runtergezogen, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) der Autor mit seinen Aussagen natürlich völlig recht hat. Dagegen wirkt z.B. der satirische Autor Jörg Maurer geradezu harmlos!
Eine interessante Entdeckung, sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 15.01.2020
Alles, was wir sind
Prescott, Lara

Alles, was wir sind


gut

Ein Roman als Propagandawaffe im Kalten Krieg
Eine interessante Idee für einen historischen Roman: Boris Pasternaks Liebesgeschichte und Revolutionskritik "Doktor Shiwago", in der Sowjetunion verboten, wurde heimlich aus Russland herausgeschmuggelt und vom italienischen Verleger Feltrinelli veröffentlicht. Die CIA wittert eine Chance für eine Propagandakampagne und lässt einige 100 Exemplare auf Russisch drucken und nach Russland zurückschmuggeln. Das alles ist tatsächlich so geschehen und Lara Prescott webt eine Geschichte drumherum, die abwechselnd im Osten (Russland) und Westen (hauptsächlich USA, aber z.B. auch 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel) spielt. In den einzelnen Kapiteln erzählen unterschiedliche Protagonisten, z.B. die CIA-Stenotypistinnen als Gesamtgruppe, Irina, eine junge russische Immigrantin, die sich beim Schreibpool beworben hat und dort auch angestellt wird, dann aber zu den Auserwählten gehört, die als Agentin eingesetzt werden (eine große Ausnahme in der Männerdomäne der CIA) und Sally, eine etwas ältere Agentin, die sich um Irinas Ausbildung kümmert. Die russischen Kapitel werden meist aus der Perspektive von Pasternaks Geliebten Olga erzählt. Olga wurde aufgrund ihrer Beziehung zu Pasternak für 3 Jahre ins Lager in Sibirien geschickt.
Die Idee ist gut, die Geschichte ist gut, aber die Umsetzung hat mich nicht ganz überzeugt. Die Schilderungen über das Leben in den Fünfzigern in Washington DC fand ich interessant, aber ich konnte mich mit niemandem identifizieren, was vielleicht an der Vielzahl der Protagonisten liegt - Irina hätte sich dafür angeboten, aber ihre Figur erwachte nie so recht zum Leben. Am nächsten kam einem eigentlich Sally, die vielleicht auch der Autorin am meisten am Herzen lag. Außerdem fehlte mir auch ein wenig die Spannung, die man von einem Roman aus dem Agenten-Milieu erwarten könnte. Die abgöttische Liebe Olgas zu Pasternak wurde nicht nachvollziehbar und Pasternak stellte sich mir als narzistischer Macho dar. Ich habe ziemlich lange an dem Buch gelesen, immer ein schlechtes Zeichen, denn ich bin eigentlich eine Schnell- und Vielleserin. Erst gegen Ende nahm die Geschichte noch etwas Fahrt auf. Mein Eindruck ist zwiespältig: interessant genug, um die Lektüre nicht abzubrechen, aber etwas zähflüssig zu lesen - und es fehlte das gewisse Etwas, das den Funken überspringen lässt!