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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 227 Bewertungen
Bewertung vom 19.05.2025
Maikäferjahre
Höflich, Sarah

Maikäferjahre


ausgezeichnet

Schicksalhafte Kriegs- und Nachkriegsjahre

Annis Maikäfer, wie sie Tristan liebevoll seit Kindertagen nennt, fliegt. Später dann nicht mehr. Er wird mit seiner Junkers JU 188 abgeschossen und gerät in Kriegsgefangenschaft. Vorher jedoch ist er im Lazarett, er wird schwer verletzt geborgen und ist nun in der Obhut von O’Malley, der nicht zwischen Freund und Feind unterscheidet - ein Arzt aus Leidenschaft, der schon auch kritisch beäugt wird. Und da ist die junge, britische Krankenschwester Rosalie, die für Tristans Pflege zuständig ist. Es funkt sofort zwischen den beiden, aus Zuneigung wird Liebe, eine verbotenen Liebe zu dem Feind.

Gerade hat Anni noch den Feldpostbrief ihres Zwillingsbruders Tristan gelesen, als ihre kleine Clara auf die Welt drängt. Nach der Geburt leben Mutter und Tochter wieder bei Annis Eltern in Dresden. Die Baumgartners sind eine sehr musikalische Familie. Anni spielt Geige, ihr Vater Gottfried ist Violinist an der Semperoper wie auch der Halbjude Adam Loewe, der als Jahrhundertgeiger gilt. Nachdem Adam, der Jude, zu einem auswärtigen Arbeitseinsatz verpflichtet wird und nicht erscheint, stellt die Gestapo die Staatsoper auf den Kopf und auch bei der Familie Baumgartner erfolgt eine Durchsuchung, denn Gottlieb wird beschuldigt, ihn zu verstecken. Er wird verhaftet und später wieder freigelassen und doch ist er ein gebrochener Mann. Bald darauf wird Dresen bombardiert. Anni flieht mit ihrer kleinen Tochter, dabei trifft sie auf Adam. Gemeinsam versuchen sie, dem Inferno zu entkommen.

In den zwei Handlungssträngen, die wechselseitig aus Annis und aus Tristans Sicht erzählt werden, stellt Sarah Höflich vier junge Leute in den Mittelpunkt – Anni und Adam, Tristan und Rosalie. Es sind die letzten Kriegsmonate und die Jahre danach, in den Köpfen der Menschen ist der Judenhass und die nationalsozialistische Ideologie noch fest verhaftet, Fremdenfeindlichkeit und die Feindseligkeit zwischen den Völkern ist allgegenwärtig. Es sind Schicksale, die so oder so ähnlich viele Familien durchleiden mussten. Und doch gab es auch die anderen, die selbstlos helfen, ohne nach der Nationalität zu fragen.

Der Roman erzählt von Schuld und Verzweiflung, von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, von Liebe und Zuversicht und auch von der Zeit, die so manche Wunde heilt. Und trotz aller Gefahren und Unzulänglichkeiten ist es auch die Musik, die mit Vaters wertvoller Geige, einer Guarneri del Gesu, immer dabei ist. „Maikäferjahre“ ist ein wundervolles Buch, das mich tief berührt hat, das ich gerne gelesen habe und das ich sehr gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 16.05.2025
Locked in (eBook, ePUB)
Faber, Henri

Locked in (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Nichts ist so, wie es den Anschein hat

Das Locked-in-Syndrom ist eine fast vollständige Lähmung, jedoch sind das Bewusstsein und auch die geistige Funktion nicht beeinträchtigt. Man könnte also mit einem dieser Patienten durchaus kommunizieren, könnte er sich verständlich machen.

Der Neurologe Dr. Theo Linde hat eine revolutionäre Methode entwickelt, um die Gedanken von Komapatienten lesen zu können. Ein privater Schicksalsschlag hat ihn dazu verstärkt forschen lassen und nun ist es die Heidelberger Polizei, die seine Dienste in Anspruch nimmt. Sie fahndet mit Hochdruck nach einem Entführer, der mittlerweile drei Opfer in seiner Gewalt hat. Ein Erfolg zeichnet sich ab, Kommissar Paul Maertens ist ihm auf den Fersen, es kommt zu einer Festnahme und kurz danach zu einem folgenschweren Unfall, bei dem der Täter schwer verletzt wird und ins Wachkoma fällt. Dr. Theo Linde wird gebeten, seine erprobte Methode auch bei diesem Patienten anzuwenden. Denn die Zeit drängt, da sie keinen Anhaltspunkt über das Versteck eines Entführungsopfers haben.

Es sind viele lose Fäden, die hier in einem rasanten Tempo erzählt werden. Schon der Prolog ist so furchteinflößend wie rätselhaft. Meine Vermutung, mit wem ich es hier zu tun habe, stellt sich lange danach als vollkommen falsch heraus. Henri Faber versteht es, Verwirrung zu stiften, seine Protagonisten sind schwer zu durchschauen. Mehr noch - sie sind allesamt nicht greifbar. Der Kommissar ist ein Eigenbrötler, er tritt nicht nur einmal ziemlich rüpelhaft auf. Ich mag ihn – nicht wirklich. Auch um die anderen Typen würde ich eher einen weiten Bogen machen, jeder einzelne hat jedoch seine ganz individuelle Ausstrahlung.

Ich bin ganz nah dabei, bin mit Linde bei seinem privaten Patienten, bin auch im Verlies und durchlebe eine schreckliche, eine verstörende Phase, dann wieder sind es Maertens Ermittlungen und seine Gedanken, in die er zuweilen abdriftet und mich komplett irritieren. Die kurzen Kapitel wechseln sich ab, führen zu den einzelnen Protagonisten und zu diversen Schauplätzen. Es geht rund. Und das nicht zu knapp.

Was passiert da? Was ist real, was Wahn? Wenn man meint, einige lose Fäden entwirren zu können, so kommt eine nicht vorhersehbare Wendung und alles wird neu gewürfelt - Henri Faber hält mich bis zum Ende in Atem. Schade nur, dass „Locked in“ das Ende einer Reise ist, die letzte Station als Henri Faber, wie der Autor zum Schluss wissen lässt. Aber wer weiß...

Bewertung vom 13.05.2025
Nacht über Soho (eBook, ePUB)
Atkinson, Kate

Nacht über Soho (eBook, ePUB)


sehr gut

London bei Nacht

Kate Atkinson ist für mich eine Neuentdeckung. Und was für eine! Mit „Nacht über Soho“ hat sie mich beeindruckt. Auch wenn ich mich in den eher gemächlichen Erzählstil erst einfinden musste, so war es doch ein Lesevergnügen. Ein Buch, das Zeit und Muse einfordert, um die Geschichten darin auf sich wirken zu lassen.

Wir sind im England des vorigen Jahrhunderts, vor fast genau hundert Jahren wird Nellie Coker aus dem Gefängnis entlassen, was zu einem regelrechten Ereignis gerät, denn vor Holloway warten so einige Leute auf sie. So nach und nach lerne ich Nellie besser kennen, verfolge ihren Werdegang, weiß um ihr Schatzkästchen, das ihr mehr oder weniger zufällig in die Hände fällt, um es galant auszudrücken, und auch ihre sechs Kinder kann ich nun so einigermaßen einschätzen.

Mit Inspektor John Frobisher tritt bald auch Gwendolen Kelling auf den Plan, sie sucht nach Freda und Florence. Es sind zwei ganz junge Mädchen, deren Spur sich in London verliert. Und da immer mehr Mädchen verschwinden und viele davon leblos aus dem Fluss gefischt werden, ist dies schon besorgniserregend. „Es waren nicht die moralischen Vergehen… die Frobisher bestürzten. Es waren die Mädchen. In London verschwanden Mädchen… Wo waren sie? Er vermutete, dass sie durch die Türen der Clubs in Soho gingen und nie wieder herauskamen.“

Kurz zusammengefasst ist es diese Rahmenhandlung, die hier ohne Hektik erzählt wird. Schon der Schreibstil beamt mich hundert Jahre zurück, Kate Atkinson erzählt ruhig, zuweilen ein wenig entrückt und doch amüsant und durchaus unterhaltsam. So manche Figur kommt eher steif daher, was aber wiederum in sich stimmig ist.

Wie Kate Atkinson im Nachwort verrät, hat sie sich zu diesem Roman von Kate Meyricks Leben inspirieren lassen. Sie war zu ihrer Zeit die Königin der Clublandschaft von Soho, ihr damals berühmtester Club war der „43“ in der 43 Gerrard Street (heute im Herzen von Chinatown).

Tief bin ich eingetaucht in das Nachtleben von Soho, bin schillernden und gar finsteren Gestalten gefolgt, hab mich gewundert und amüsiert, musste zuweilen schmunzeln und war auch von den detektivischen Momenten durchaus angetan - ein nicht ganz alltäglicher Blick zurück in die halbseidene Gesellschaft Londons der Goldenen Zwanziger Jahre.

Bewertung vom 13.05.2025
Der dunkle Sommer (MP3-Download)
Buck, Vera

Der dunkle Sommer (MP3-Download)


ausgezeichnet

Ein tiefer Blick in menschliche Abgründe

Nachdem mich „Wolfskinder“ und „Das Baumhaus“ komplett gefesselt haben, wollte ich mir Vera Bucks neuestes Buch „Der dunkle Sommer“, das ich mir habe vorlesen lassen, nicht entgehen lassen. Und es geht gleich richtig zur Sache, sowohl der Prolog als auch der Anfang dieses beklemmenden Thrillers lassen mir den Atem stocken. Ich bin sofort dabei und bleibe es - die Spannung hält permanent an. Bis zum letzten Satz.

Es sind zwei Zeitebenen, die mir das Sprecherteam aus verschiedenen Perspektiven nahebringt. Über 10 Stunden und 26 Minuten schaffen sie eine Atmosphäre, die unheimlich und verstörend, die beunruhigend und bewegend ist. Mit jeder einzelnen Figur fiebere ich mit oder aber ich verdamme den ein oder anderen, allesamt sind sie lebendig und nahbar.

Ein Haus für einen Euro, noch dazu auf Sardinien – wenn das nicht verlockend ist! Natürlich dürfte jedem klar sein, dass an so einem Gebäude noch so einiges zu tun ist, aber für Tilda, die Architektin ist, also beruflich im Bausektor durchaus kompetent sein dürfte, ist dies kein Hindernis. Sie lernt den Journalisten Enzo kennen, auch den verschrobenen Silvio, der als einziger hier noch wohnt, alle anderen scheinen das Dorf verlassen zu haben. Eines schönen Tages taucht Tildas Bruder Nino auf, was ihr so gar nicht gefällt. Nun, sie lässt ihn bei sich wohnen, mit Enzo erforscht sie die Vergangenheit des Dorfes, es geschehen einige seltsame, nicht erklärbare Dinge und dann ist Nino ohne ein Wort verschwunden.

Und da ist auch Franca, auch von deren tragischer Geschichte, die sich ab 1983 zuträgt, erfahre ich mehr. Was ihr widerfährt ist so schrecklich, so aufwühlend, so verstörend – ich kann es gar nicht fassen, zu was Menschen fähig sind.
Wie gesagt, mich hat Vera Buck mit jedem ihrer Bücher erreicht. Und auch mit diesem hier. Es ist so eindrücklich geschildert und auch die Sprecher haben einen Superjob gemacht, als ob sie direkt im Geschehen wären, als ob sie all diese nicht fassbaren Grausamkeiten selber erleben würden.

Im Nachwort erfährt man, das diese Verbrechen den Tatsachen entsprechen, Sardinien war zu jener Zeit das Land der geraubten Menschen. Tragödien, die über Jahrzehnte hinweg in Italien und speziell auf Sardinien unerbittlich durchgezogen wurden. Vera Buck hat sich dieser düsteren Thematik angenommen, hat bestens recherchiert und ihre Geschichten perfekt wiedergegeben. Mich hat sie voll erwischt, ich habe in tiefste menschliche Abgründe geblickt. Ein Thriller vom Allerfeinsten, absolut lesens- und/oder hörenswert.

Bewertung vom 12.05.2025
Teddy
Dunlay, Emily

Teddy


sehr gut

Eine nicht immer faszinierende Frau

Die Texanerin Teddy steht im Mittelpunkt der Erzählung von Emily Dunlay. Ein Ehemann ist lange nicht in Sicht, bis sie David kennenlernt, ihn bald darauf heiratet und mit ihm nach Rom geht. Als Diplomatengattin erwartet man von ihr stilsicheres Auftreten, was ihr trotz ihrer Unsicherheit im Vorfeld ganz gut gelingt.

Sie bewegt sich in einflussreichen Kreisen, es geht um Macht, um Intrigen und weitreichende politische Ambitionen und sie mittendrin - eine Frau zwischen Glamour und Alkohol mitsamt ihren Muntermachern, um zu funktionieren.

Wir schreiben das Jahr 1969, die Rolle der Frau wird in gesellschaftlicher und auch in finanzieller Hinsicht beleuchtet. Teddy entstammt einer vermögenden Familie, Senator Huntley, ihr Onkel, hegt Ambitionen auf ein höheres Amt. Wir erfahren mehr von ihr und ihrer Familie, von ihren Bekanntschaften und den Heimlichkeiten, dies alles in Dallas. Sie scheint nicht immer die glamouröse, selbstbewusste Frau zu sein und auch hier in Rom lässt sie sich oft treiben. „Rom… sollte meine Chance sein, jemand Besseres und Neues zu werden, doch jetzt wurde mir klar, dass diese Version von mir nicht existierte und auch nie existieren würde.“

Beim Lesen musste ich mir gelegentlich vergegenwärtigen, dass der Roman im Jahre 1969 angesiedelt ist, also vor mittlerweile 56 Jahren. Gut, die Frauen hatten schon viel erreicht und doch hatten nicht sie, sondern ihr Ehemann (falls nicht vorhanden ihr Vater oder der nächste männliche Verwandte) die Entscheidungsgewalt über ihr Vermögen. Dies wird auch hier deutlich, sie bekommt Taschengeld, sie ist in monetärer Hinsicht David ausgeliefert, auch wenn das Geld von ihrer Familie stammt.

Teddy lechzt nach Anerkennung, sie präsentiert sich als blondes Gift und dann wieder als blondes Dummchen. Sie lässt viel mit sich machen, tritt aber dann auch wieder ziemlich emanzipiert auf. Sie trifft falsche Entscheidungen, misst einer Sache zu viel Bedeutung bei, ein Skandal scheint sich anzubahnen.

„Alle reden über Teddy.“ Sie stellt sich mir als kapriziöse, unausgeglichene, exzentrische Frau vor, als lethargisch, als verschwenderisch, zuweilen auch als ganz amüsant, um dann wieder zu schockieren. Dies alles vor dem Hintergrund von einer männerdominierenden Gesellschaft. Eine Frau voller Selbstzweifel, die nach dem schönen äußeren Schein strebt, die mir – trotzdem es um sie geht – fremd bleibt, die ich selten verstehen konnte. Gut, Teddy wird arg überspitzt dargeboten, es sollte wohl so sein.

Bewertung vom 08.05.2025
Aschesommer / Gruppe 4 ermittelt Bd.2
Cors, Benjamin

Aschesommer / Gruppe 4 ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Ein Hochgenuss für jeden Thriller-Fan

Härter, brutaler, spannender… Nachdem ich „Krähentage“ regelrecht verschlungen habe, musste ich diesen „Aschesommer“ unbedingt lesen und auch dieser zweite Fall für die Sondereinheit „Gruppe 4“ lässt mich schaudernd der Spur der Asche folgen.

Jakob Krogh und Mila Weiss, die Leiter der „Gruppe 4“, finden auf einem einsam gelegenen Hof zwei Tote. Eine kryptisch verfasste Todesanzeige hat sie hierher geführt, in ein auf dem Gelände versteckt gelegenes Kellergewölbe, einer Eiskammer gleich. „Das Sterben hat begonnen“, mit Asche geschrieben, lässt auf einen Serientäter schließen. Eile ist geboten. Es bleibt nicht bei den beiden Opfern, weitere folgen nach demselben Schema, das Ermittlerteam arbeitet auf Hochtouren. Auch wissen sie, dass dieser irre Täter einem wissenschaftlichen Phänomen folgt, aber alles Wissen nützt ihnen nichts, da sie zwar nahe dran sind, sie aber dennoch immer ein Stück weit zu spät kommen.

Derweilen werfen wir einen Blick auf Weilersgrund. Es ist eine Klinik für forensische Psychiatrie, alle Spuren führen hierher. Zu einem Insassen, der unter scharfer Bewachung steht, der für den Rest seines Leben hier eingesperrt bleibt. Er gibt sich zivilisiert, er ist hochintelligent, zudem äußerst manipulativ und durchaus gesprächsbereit und doch ist er nachweislich hier gefangen, er kann diese grauenhaft inszenierten Morde nicht begangen haben. Aber wieso führen ihre Ermittlungen immer wieder hierher?

Sie wissen mittlerweile um eine stark gefährdete Personengruppe, die Personenschutz bekommen und doch geht das Morden weiter. Als dann ein Mädchen verschwindet, wird es hektisch. Wir Leser wissen, war mit ihr geschieht, überhaupt sind wir gut im Bilde, was das Ungeheuerliche noch beklemmender macht. Benjamin Cors versteht es, die Spannung und die Dramatik immer höher zu treiben, man vergisst beim Lesen direkt das Atmen. Man möchte direkt eingreifen, um dann doch vor der nächsten teuflischen Tat zu stehen. Der Täter scheint einem diabolischen Plan zu folgen. Gnadenlos. Unerbittlich.

Der mörderische „Aschesommer“ hat mir keine Atempause gegönnt, ich musste einfach die Zusammenhänge wissen. Bis zum bitteren Ende habe ich kein Auge zugetan, aber was ist schon ein wenig Schlaf, wenn man diesen Thriller in Händen hält. Ich hoffe sehr, dass die Sondereinheit „Gruppe 4“ noch auf so manch vermeintlich unlösbare Fälle angesetzt werden, ich werde dabei sein. Unbedingt.

Bewertung vom 08.05.2025
Wut und Liebe (eBook, ePUB)
Suter, Martin

Wut und Liebe (eBook, ePUB)


sehr gut

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf

Martin Suter berichtet in drei Teilen von „Wut und Liebe“, von Noah, dem erfolglosen Künstler und von Camilla, seiner großen Liebe. Und da ist noch Betty, die Noah in der Blauen Tulpe eher zufällig kennenlernt. Beide scheinen sie eine Schwäche für Mojitos zu haben, denn bald kommen sie darüber ins Gespräch. Die 65jährige Betty ist auf dem Weg zur Herzpraxis kurz in dieses Lokal abgebogen und wie es manchmal so ist, macht der Alkohol die Zungen locker. Sie lässt ihn ein wenig hinter die Kulissen ihres Leben blicken und – macht ihm ein so verlockendes wie unanständiges Angebot.

Noah und Camilla sind seit drei Jahren ein Paar, sie lieben sich, jedoch beschließt Camilla, ihn nicht weiter finanziell zu unterstützen. Sie trennen sich. Derweilen wird der Kontakt zwischen Noah und Betty intensiver – das Verhängnis nimmt seinen Lauf…

…und die Erzählung scheint über weite Strecken eher dahinzuplätschern. Wobei es mich schon vorwärts treibt, denn dass Suter am Ende eine nicht vorhersehbare Wendung bereit hält, ahne ich und auch weiß ich dies aus seinen anderen Büchern. Also lasse ich mich auf Noahs Geschichte ein, der von Betty viel über den Geschäftspartner ihres verstorbenen Ehemannes erfährt und noch immer will er Camilla zurückerobern, dafür würde er auch auf nicht ganz legale Methoden zurückgreifen.

Martin Suter ist ein brillanter Erzähler, er nimmt hier seine Leser mit in eine Unternehmensberatung, deren vermögende Kunden Verschwiegenheit erwarten. Mit Noah ist es der arme Künstler, der fest an seinen Durchbruch und mit Betty seine Mäzenin gefunden zu haben glaubt. Dabei schreibt er unaufgeregt und launig, ich höre ihm, dem Schweizer, direkt zu. Die Story entwickelt sich eher gemächlich, das ganze Buch über erwartet man, dass etwas Entscheidendes passiert. Und ja – die ganze Dramatik offenbart sich, je mehr wir dem Ende zusteuern.

Auf unterhaltsame Weise werden so manch menschliche Abgründe aufgezeigt, Wut und Liebe sind nah beieinander, auch spielen Rachegelüste in vielerlei Form ebenso mit hinein wie Lug und Betrug. Das Buch macht nachdenklich und auch wenn es nicht an „Melody“ herankommt, so habe ich es doch gerne gelesen.

Bewertung vom 07.05.2025
Zeit der Hoffnung / Die Trümmerschule Bd.1
Maly, Beate

Zeit der Hoffnung / Die Trümmerschule Bd.1


sehr gut

Eine unerschrockene Frau im Nachkriegs-Wien

„Die Trümmerschule - Zeit der Hoffnung“ ist das erste von zwei Büchern, es handelt von einer mutigen Lehrerin, die im Wien der Nachkriegszeit für ein besseres Morgen kämpft. Beate Maly hat sich in diesem Roman vom Leben der Pädagogin und Politikerin Stella Klein-Löw inspirieren lassen, wie sie im Nachwort verrät. Ein historischer Roman, der auf Tatsachen beruht, dessen Protagonisten jedoch fiktiv sind.

Die jüdische Lehrerin Stella Herzig (Klein-Löws Geburtsname) kehrt nach acht Jahren im Londoner Exil ins zerbombte Wien zurück, in den weitgehend zerstörten Schulen herrscht nach wie vor der Geist des Nationalsozialismus. Sie kommt bei ihrer Freundin Feli unter, die ihr am Lindengymnasium eine Anstellung als Deutsch- und Englischlehrerin verschafft hat. Es liegt im amerikanischen Sektor, in dem sich im Gegensatz zum sowjetisch besetzten Bezirk um einiges besser leben lässt. Pfeifer, der Direktor des Gymnasiums, befürwortet ihre fortschrittlichen Lehrmethoden, sie sieht und fördert jedes einzelne Kind, was so einigen im Lehrerkollegium jedoch aufs Äußerste missfällt. Deren althergebrachter, autoritärer Stil, ist auch bei vielen Eltern noch weit verbreitet, wir schreiben das Jahr 1946.

Beate Maly schafft es sofort, mich in ihre Geschichte zu ziehen. Die „Zeit der Hoffnung“ kommt trotz der Schwere der Themen gut durch wie etwa die Arisierung der Wohnungen, die sie gekonnt mit einflicht und auch der Hunger und der Schwarzmarkt sind Thema. Viele Soldaten sind im Krieg geblieben, andere schwer traumatisiert und/oder versehrt zwar wieder daheim, aber für ihr weiteres Leben gezeichnet. Stella hat Schlimmes erlebt, ihre jüdische Familie hat das Nazi-Regime nicht überlebt und auch jetzt ist sie vor verdeckten und auch offenen Anfeindungen nicht gefeit. Und doch gibt es Zusammenhalt, Freundschaft und Liebe, all das ist gut eingebunden in diese Zeit des Wiederaufbaus inmitten des Schulalltags. Stella ist stellvertretend für die vielen starken, unerschrockenen, zupackenden Frauen eine beeindruckende und lebensnahe Protagonistin, auch die anderen Figuren sind glaubhaft angelegt.

Es ist ein versöhnliches Buch, aber auch ein erschreckend aktuelles Buch. Der Juden- und der Fremdenhass greifen wieder vermehrt um sich, das Geschichtsbewusstsein scheint in einigen Schichten unserer Gesellschaft vergessen zu sein. Dabei sollten wir unsere Vergangenheit nie vergessen. Ein lesenswertes Buch, dessen zweiten Teil „Jahre der Kinder“ ich nicht versäumen werde.

Bewertung vom 06.05.2025
Die Stunde des Widerstands
Carsta, Ellin

Die Stunde des Widerstands


ausgezeichnet

Die Falkenbachs inmitten der Kriegswirren

„Die Stunde des Widerstands“ ist der zwölfte Teil der Falkenbach-Saga. Ellin Carsta nimmt ihre Leser mit in die Jahre 1942/43. Es sind finstere Zeiten, es sind gefährliche Zeiten. Sie thematisiert etwa die Weiße Rose, eine Widerstandgruppe um die Geschwister Scholl, eine der bekanntesten Gruppen im Widerstand der NS-Zeit, auch Teile von Goebbels Sportpalastrede hat sie mit einfließen lassen, in der er die deutsche Bevölkerung auf den totalen Krieg einschwört. Dies sind nur zwei von vielen historisch verbürgten Fakten, die sie gekonnt in die fiktive Falkenbach-Saga einbindet.

Die Familien von Falkenbach und Lehmann bangen um ihre Söhne Gustav und Leopold, die beide an der Front sind. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich noch atme“ denkt Leopold Lehmann, dem sein Einsatz im Kriegsgebiet arg zusetzt und auch Gustav, der als Arzt keinerlei Empathie entwickeln darf, kommt an seine Grenzen und doch heißt es durchhalten, alles andere wird nicht geduldet.

Daheim in Bernried am Starnberger See ist ihnen Viktor Sander als Leiter des Arbeitslagers zugeteilt, er wird mit Argwohn betrachtet, allerdings scheint er Wilhelmine von Falkenbach sehr zugetan zu sein. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie bespitzelt werden, jedoch wissen sie nicht, wer dies sein könnte. „Wer ist Feind, wer Freund – und wie kann ich sie unterscheiden“ fragt sich Ferdinand Lehmann. Sie wissen, dass es hier immer gefährlicher wird und schon länger trägt sich Paul-Friedrich von Falkenbach mit dem Gedanken, mit der gesamten Familie nach Argentinien auszuwandern. Was gründlich überlegt und vorbereitet sein will und nicht so leicht zu bewerkstelligen ist.

Auch dieser zwölfte Teil der Saga hat nichts an Spannung eingebüßt und was mir immer gut gefällt ist die Tatsache, dass neben der fiktiven Story viel Historisches mit einfließt. Hier sind wir mitten im Zweiten Weltkrieg, haben Einblick etwa ins Lazarett und in so manch schwerwiegende Entscheidung über Leben und Tod. Und auch in der Heimat ist alles anders, sie werden bespitzelt und denunziert, keinem ist zu trauen, Gedanken sollten nicht laut ausgesprochen werden.

Ellin Carsta versteht es, diese schwere Zeit, diese schwerwiegenden Themen atmosphärisch und unterhaltsam zu schildern. Und – die Saga geht weiter, ich bin gespannt.

Bewertung vom 05.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Berührend und bedrückend zugleich

„Beeren pflücken“ ist Amanda Peters berührendes Debüt, das über Liebe und Verlust und Verrat erzählt. Es handelt von einer Mi'kmaq-Familie, die wie andere auch jeden Hochsommer aus Nova Scotia nach Maine kommt, um für acht bis zwölf Wochen bei der Blaubeer-Ernte zu helfen. Mom und Dad und ihre Kinder Ben, Mae, Charlie, Joe und Ruthie richten sich für diese Zeit in einer Hütte am Rande eines Feldes häuslich ein, andere Erntehelfer müssen sich mit Zelten begnügen und notfalls auf dem harten Boden schlafen.

Als eines Tages die vierjährige Ruthie spurlos verschwindet, ist nichts mehr so, wie es war. „Sie ist noch nicht lange genug verschwunden, und ihr seid keine richtigen Einwohner von Maine und geltet als Durchreisende“ macht der Polizist ihnen wenig Hoffnung. Sechs Wochen lang suchen sie vergeblich nach Ruthie. Als die Beerenfelder abgeerntet sind, fahren sie noch ein letztes Mal an dem großen Stein vorbei, auf dem Ruthie zuletzt gesehen wurde. Ihr Verschwinden breitet einen Mantel der Trauer über die Familie, die Leichtigkeit ist dahin.

Der Roman wird zum einen aus Joes Sicht erzählt. Ab dem Jahre 1962 – es ist das Jahr, als Ruthie verschwand – erzählt er von sich, von der Familie, von seinem Leben.

Im zweiten Erzählstrang ist es Norma, der wir folgen. Sie hat oft seltsame Träume, die begonnen haben, als sie vier oder fünf Jahre alt war. Es waren Träume voller Licht, andere dagegen waren dunkel. Darin hört sie ihren Bruder lachen, was aber nicht sein kann, denn sie ist Einzelkind. Auch sieht sie ihre Mutter, das Gesicht jedoch ist nicht ihres. Noch mehr Unerklärliches ist es, das sie nie zuordnen kann und sehr viel später wird ihr klar, dass es sich immer um ein- und denselben Traum handelt.

Zwei Lebensgeschichten, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander zu tun haben. Bald weiß man, um wen es sich bei Norma handelt, deren Mutter sie nie alleine lässt und sie ängstlich behütet und auch ihre Tante Jane benimmt sich zuweilen seltsam. Es gibt keine Fotos von ihr als Kleinkind und auf die Frage, warum sie als einzige in der Familie eine so dunkle Haut hat, wird dafür ein italienischer Großvater verantwortlich gemacht.

Es ist eine Geschichte über eine lebenslange Lüge, über ein Verbrechen, das sprachlos macht. Über ein indianisches Volk, die Mi’kmaq, deren Daseinsberechtigung von den Weißen oftmals mit Füßen getreten wird. Norma spürt, dass ihr etwas Entscheidendes fehlt, sie entdeckt im Laufe der Jahre immer mehr an Ungereimtheiten und ja, sie weiß viel mehr, sie erkennt so manch schreckliches Geheimnis. Und nicht die Schuldigen, nein, sie selber spricht letztendlich klar aus, was ihr ein Leben lang verschwiegen wird. Es ist ein Buch, das betroffen macht und auch ist es ein Buch über Liebe und Vergebung – trotz allem.

Amanda Peters ist eine Schriftstellerin mit Mi'kmaq- und Siedlerabstammung. Sie weiß also, welches Volk sie in den Mittelpunkt ihrer Erzählung stellt. Ihre Figuren zeigen die ganze Palette menschlicher Verhaltensweisen, sie sind zugänglich und verschlossen, sie handeln eigennützig oder auch nicht. Jeder hat seine eigene Art, mit Verlust umzugehen. Trauer hat viele Facetten, genau so die Liebe. „Beeren pflücken“ ist eine Erzählung voller Intensität, die ich schweren Herzens beendet habe, die mir viel bedeutet, die noch lange nachhallt.