Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
LichtundSchatten

Bewertungen

Insgesamt 276 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2023
Was kommt. Was geht. Was bleibt.

Was kommt. Was geht. Was bleibt.


ausgezeichnet

Eine Anthologie mit Themen, die aktuell bewegen. Ich liebe diese Art von Büchern, die einem Einstiege an unterschiedlichsten Stellen, Stichworten und Themen bieten. Manuel Herder hat dieses Buch zum 225-jährigen Jubiläum des Verlages entwickelt, in dem zu Beginn ein Geleitwort des Gründervaters, Bartholomä Herder, steht. Seine Bücher waren als Hilfestellungen für Pfarrer und Lehrer gedacht, vor allem aber wollte er die Liebe zur Literatur verbreiten.

Gleich zu Beginn eine Absage: Jürgen Habermas fühlt sich nicht mehr alert genug, in Kopf und Herz, etwas beizutragen. Was Habermas tatsächlich zur Geschichte beigetragen hat, sie wird es weisen und ihn einordnen in Denker wie Marx, Weber oder Adorno.

Der Grund für H., einem christlich religiösen Verlag wie Herder eine Absage zu erteilen, dürfte anderswo liegen. Eine Vernunft, die mit einem Gott rechnet, die sich auf vermeintlich unverrückbare Normen beruft oder die Sein, Geist und Materie zusammen denkt – das alles ist heute für Habermas nicht mehr argumentierbar. Er hatte wohl keine Lust mehr auf jene Grenzen, denen Wissen und Soziologie begegnen und die uns bei höchster formeller Bildung oft tief verunsichern.

Besonders gefallen hat mir der Beitrag von Rüdiger Safranski über Bildung. Für ihn gehört vor allem das Eingeständnis dazu, dass man nur weniges genau weiß und darauf angewiesen ist, an das Wissen von anderen zu glauben. Aber es gäbe bestimmte, nur wenige Gebiete in denen man durch eigene Anstrengung das Konzept fast umfassend begreifen kann. Trotzdem wird der Gebildete auch in diesen Themen immer skeptisch bleiben und sich selbst immer hinterfragen. In Stuttgart Degerloch habe ich vor kurzem an einem Haus eine Aussage von Manfred Rommel gesehen, die das unterstreicht: „Das Gute kritisch sehen, um das Bessere zu erreichen.“

Alleine diese 2,5 Seiten über Bildung hätten dieses Buch gelohnt. Ich gleiche es jetzt ab mit einem Gebiet, auf dem ich mehr als üblich Wissen und Zusammenhänge angehäuft habe, den monotheistischen Religionen. Beziehe ich das auf die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 in Israel, so muss ich leider eine Schieflage erkennen. Es gibt keine Differenzierung und klare Analyse der Religionen in ihrem kulturellen Zusammenhang und der Frage, wie sie Zusammenleben verunmöglichen.

Wenn Manuel Herder formuliert, man wolle einen Zustandsbericht bis 2023 liefern, dann liegt dieser vor, allerdings mit der Leerstelle des 7.Oktober 2023, mit der vielen klar wurde, wo Antisemitismus tatsächlich herkommt und dass Giambattista Vico, ein Denker des Mittelalters, Recht hatte: "Eine durch Religionen geteilte Stadt liegt entweder schon in Trümmern oder ist kurz davor.“

Khorchide kann keinesfalls den Islam zutreffend erklären, ich selbst habe bei einem Vortrag seine deutschen Personenschützer gesehen. Sein Beitrag Barmherzigkeit klingt für mich wie ein isolierter Sonnenstrahl einer Religion, die nur ihresgleichen kennt und es als Haus des Friedens bezeichnet. Alle anderen, höchst problematischen Inhalte, vor allem das Verhalten Ungläubigen gegenüber, lässt Khorichide außen vor.

Toleranz endet dort, wo andere Menschenrechte eklatant verletzen, zum Beispiel wenn Frauen dauerhaft unterdrückt und entrechtet werden. Nach Joachim Gauck muss hier eine kämpferische Toleranz einsetzen, sofern die Rechtssprechung nicht schon vorher Handlungen korrigiert. D.h. ich sollte dem anderen klar machen, dass seine Handlungen nicht toleriert werden können.

Im Wesentlichen sehe ich das Erstarken rechter Positionen bis hin zur AfD durch die Verunmöglichung von Kritik an der letzten monotheistischen Religion begründet, einhergehend mit fehlenden Grundlagenanalysen von Geschichte und Religionen. Ich empfehle hier den Vortrag eines amerikanischen Wissenschaftlers, Dr. Bill Warner:"Warum wir ANGST haben und 1.400 Jahre der FURCHT und Tyrannei ertragen müssen? (Deutsche Untertitel)"

Kapitel: Älterwerden, Angst, Antisemitismus, Apostel, Arbeit, Aufstieg, Auto, Barmherzigkeit, Berlin Alexanderplatz, Bildung, Bleibendes, Brandstifter, Bürger, Bürokratieabbau, Chaos, Crux, Demokratie, Deutsch, Deutschland AG, Dienen, Digitalisierung, Drohnenkriege, Ehe, Einsamkeit, Engagement, Fachkräfte-Weltmeister, Familienunternehmen, Feiertag, Föderalismus, Fortschritt, Frieden, Gebet, Gedichte, Geduld, Gegenwind, Gespräch, Globalisierung, Gottesdienst, Haltung, Heimat, Hoffnung, Hören-Suchen, Hut, Influence, Jubiläum, Kinderwahlrecht, Klimaaktivismus, Konsequenz, Konservativ, Krieg, Künstliche Intelligenz, Lachen, Leere, Leid, Liebe, Linksextremismus, Mainstream, Marktwirtschaft, Nachbarn, Neutralität, Optimismus, Qualität, Rechnen, Rechtsextremismus, Reform, Risiko, Schule, Sicherheit, Sicherheitsversprechen, Social Media, Solidarität, Spielen, Sport, Streit, Tiere, Toleranz, Transformation, Veränderung, Verschwörungstheorien, Versöhnung, Vision, Vollkontakt, Wandel, Wandern, Wegschauen, Weltbürgerrecht, Weltfrieden, Weltkirche, Zeitenwende, Zensur, Zweifel, Zwiespalt.

Bewertung vom 31.10.2023
3 Sekunden
Guttenberg, Karl-Theodor zu

3 Sekunden


ausgezeichnet

Ich erinnere noch gut die Zeiten als KT Guttenberg von der BILD Zeitung zum kommenden Kanzler hochgejubelt wurde. Er durfte aber nur die Bundeswehr abwickeln und wunderschöne Bilder eines neuen, deutschen Kennedy-Paares um die Welt senden. Dass er dann ab und zugeschrieben hatte, vermutlich müssten wir 50% aller Politiker in dieser Hinsicht näher beleuchten.

Kurz: ich habe Mitleid empfunden damals und sehe ihn noch heute die Treppe zur letzten Pressekonferenz herunterkommen. Dass er dabei geschickt von seiner Schuld ablenkte, er hätte in jedem Fall die zentrale Fähigkeit für einen erfolgreichen Politiker gehabt: seine Rhetorik war blendend ausgebildet, der Augenaufschlag brillant.

Jetzt also der Guttenberg im Alltag, der emphatische Mensch an der nächsten Tür, auf der Bank im Park, der Couch zuhause, fernsehschauend, in der Apotheke stehend oder in der Bäckerei, im Restaurant essend. Er wird zu einem Beobachter des Zusammenlebens, er hört und sieht genauer hin. Hier reißt ein gescheiterter Politiker alle Masken vom Gesicht und macht sich ehrlich. Das hat mich beeindruckt.

In einer Woche reist er von Beethoven-Werken bei einem Netzwerker & einsamen alten Freund zu Roy Black an den Wörthersee bzw. eine Büste des Schlagersängers: „drei Ikonen erfolgsverwöhnter Verlassenheit.“ Wir sind damit beim Kern dieses Buches, in dem ein gewinnender Mann von Gestern sein Heute sucht.

Mir gefällt vor allem KT Grantlhuber in der Bäckerei, der dem Büffelmann vor ihm Freundlichkeit beibringen will. Das könnte auch ich sein. KT diskutiert im Flugzeug mit einem Waffennarren, will ihn überzeugen von notwendigen Gesetzen. KT mischt sich ein, keine Kleinigkeit ist vor ihm sicher, ein guter Beobachter.

Ein Buch, das ich sehr gerne gelesen, mit dem ich diskutiert habe, also uneins war, das mir Freude und Nachdenken gebracht hat beim Lesen. Es waren ähnliche Gefühle wie bei den Geschichten von Thomas Middelhoff, der von ähnlich weit oben nach unten durchgereicht wurde.

Mit dem Menschen KT Guttenberg würde ich gerne ein Gespräch führen bzw. mit ihm durch den englischen Garten spazieren. Dass er das Buch „Noch wach“ weglegte, ungeöffnet, großartig. Eine große Zeitersparnis.

Meine Lieblingsstelle, Seite 57: „Der Moderator verschluckt sich fast an seiner eigenen Bedeutung. Dann ein Interview. Lauernde investigative Untertöne treffen auf erbarmungswürdige Politikerphrasen. Scoop-Gier gegen Shitstorm-Vermeidung. Beide akribisch bedacht, die Erwartungshaltung zu bedienen.“

Bewertung vom 27.10.2023
Eine andere Welt

Eine andere Welt


ausgezeichnet

Bücher, die Perspektiven für die Zukunft eröffnen? Tun das nicht alle Bücher, auch die schlechtesten, weil sie uns lehren, was nicht so gut war in der Vergangenheit und welche Perspektiven deshalb besser wären in der kommenden Zeit? Ich war gespannt auf die Auswahl und natürlich habe ich nicht meine eigene Sichtweise erwartet. Insgesamt kann ich festhalten: es waren gute Dinge dabei, anregende, aber auch Verstörende. Also: Fragen, Widerspruch und Diskussion. All das lief ab beim Lesen dieses spannenden Buches.

Buchbesprechungen über 4-5 Seiten können nicht umfassend sein, aber die behandelten Essenzen von 111 Büchern waren es alle wert, aufgenommen und bedacht zu werden.

Wenige Romane, mehr Sachbücher und Essays, so die Inhalte. Für mich als Buchliebhaber waren viele neuen Dinge dabei.

Gleich zu Beginn lese ich Gedanken von Christoph Links, der das Buch von Frantz Fanon skizziert: „Die Verdammten dieser Erde“. Es vermittelt die Gedankenwelt der revolutionären “Befreiungstheoretiker” der damaligen Zeit: schuld sind alle Weißen und Europa muss umdenken, gefordert wird eine radikale Umwälzung des globalen Systems. Nicht gesehen wird, dass die Aufklärung bzw. Europa die Sklaverei als inhuman beendete. Religiöse und ethnische Konflikte werden ausgeblendet. Auch die Ursachen der afrikanischen Probleme bzw. der Sklaverei werden nicht erforscht. Fanon hat sein Buch aus der Perspektive eines Betroffenen geschrieben, zurecht ein Aufschrei, subjektiv und wenig perspektivisch in die Zukunft gedacht. Es ist kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Pamphlet mit enger Sichtweise: der Ablehnung Europas. Europäischer Geist, europäische Maßstäbe – das sind für Fanon keine Kriterien für den afrikanischen Kontinent. Er sagt stattdessen: "Das Leben kann für den Kolonisierten nur aus der verwesenden Leiche des Kolonialherren entstehen." Wie man das heute bezeichnen würde?

Das Glasperlenspiel von Hesse sei eine Voraussage des Untergangs des Abendlandes, lesen wir von Kermani. Kermani hält nicht alles, was heute geschrieben wird, für wertlos. Und doch „keiner von uns (!) Gegenwärtigen hält dem Vergleich mit Kafka, Proust oder Beckett stand. „Unsere Romane, unsere Gedichte, unsere Dramen, sie mögen gut sein - aber sie definieren den Roman, das Gedicht, das Drama nicht mehr um.“ Nun, vermutlich blickt das heute so erfolglose Abendland nach Osten in das Morgenland, auf die dort sichtbaren aufklärerischen Eingebungen hoffend? Hesse plädierte in "Glasperlenspiel" an eine neue Innerlichkeit, die insbesondere Elemente des bürgerlichen Konfizianismus aufnehmen sollte. Den Mensch von Innen her ändern, ohne religiöse oder ideologische Scheuklappen, um damit das Kriegerische und Oberflächliche zu überwinden, das war sein Anliegen, weit davon entfernt, prophetische Voraussagen treffen zu wollen. Man lese dazu den sehr klugen Artikel von Fabian Nicolay: "Von Glasperlen und Bildungsidealen."

Zum Buch von Ewald Said „Orientalismus“ steuert Andreas Eckert seine Gedanken bei. Ich sehe es anders, der vorgeführte Schauprozess Said’s im Rahmen einer höheren Moral war wenig wissenschaftlich und hilfreich. Heute darf über kulturelle Unterschiede gar nicht mehr geredet werden. Hier wäre das Buch von Siegfried Kohlhammer zu empfehlen: Islam und Toleranz. Von angenehmen Märchen und unangenehmen Tatsachen.

Das Beste für die Zukunft ist selbst Nachdenken darüber. Dies hat dieses Buch bei mir tatsächlich erreicht. Allein, mein Lieblingsbuch wurde nicht behandelt: Prentice Mulford, Unfug des Lebens und des Sterbens. Die Kernaussage erbaut ganz einfach und trägt weitreichend in die Zukunft:

"Immer den Mut wie eine Flamme vor sich tragen,
nichts fürchten und nichts unmöglich nennen,
niemanden hassen, aber seinen Irrtum meiden,
alle lieben, aber das Vertrauen vorsichtig und weise verteilen."

Ideologen und Schwarz-Weiß Denker*innen wie Thunberg - sie sind für mich suspekt, alle, die ein abgeschlossenes Weltbild haben und sicher sind. Dieses Buch macht unsicher, nachdenklich und wirkt gegen religiöse und ideologische Verzückungen: » Immer noch haben jene die Welt zur Hölle gemacht, die vorgeben, sie zum Paradies zu machen.“ (Hölderlin)

Bewertung vom 24.10.2023
Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen
Kermani, Navid

Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen


weniger gut

Religion sei nicht in Büros entstanden, es sei die Verbindung zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, erfahrbar in der Natur, in Dingen, in uns. So NK. Nun, wenn ich dem Buch von Barbara Köster, Der missverstandene Koran, Glauben schenke, dann wurde der Islam sehr wohl in Zimmern der damaligen Herrscher, der Abassiden, entwickelt.

Sie wollten mit dieser Religion das Christentum um-schreiben und gleichzeitig ein Instrument zur Unterwerfung der Untertanen schaffen. Islam heißt auf deutsch Unterwerfung. Weder Jesus noch Mohammed sind historisch eindeutig nachgewiesen, kein Wort dazu in diesem Buch, das eine Abhandlung für den Islam darstellt, ohne kritische Elemente zu nennen.

Im Christentum ist Gottes Wort Fleisch bzw. lebendig geworden, im Islam ein Buch. In Sure 97, einer mekkanischen, wird er (Jesus) in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt. Der Islam deutet Jesus in den Koran um, wenn man aber die Syrisch-Aramäische Sprache zu Rate zieht, wird diese nach der inhaltlich-sprachlichen Bestimmung zum Geburtsstern und die Verbindung Matthäus 2,2 wird evident. Mit der Sure al-qadr ist mithin eine Schicksalbestimmung, eine Art Horoskop gemeint. In der laylat al-qadr, der Nacht der Bestimmung, halten die Muslime Vigilien, d.h. sie wachen. Der Brauch stammt aus dem Christentum, wo er aber natürlich mit Jesu Geburt zu tun hat und nicht mit der Niederkunft der Koran. Unwissentlich vollziehen die Muslime in der laylat al-qadr das Weihnachtsfest.

Vergleichende Religionswissenschaft sollte heute eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, denn die unterschiedlichen monotheistischen Religionen entwickelten sich sukzessive weiter von der/den vorhergehenden Glaubensauffassungen unter Einbezug auch anderer Elemente des davor herrschenden Mystik-/Volksglaubens. In den muslimischen Ländern wird die Beschäftigung mit dem Alten oder Neuen Testament als unter der Würde eines Muslims angesehen. Alles Alte ist durch das Neue getilgt, ältere Verlautbarungen Gottes sind Verfälschungen. So bleibt die nahe Verwandtschaft mit der Bibel völlig verborgen, eine Auseinandersetzung damit ist bei größten Strafen verboten, Zweifel daran sind nicht erlaubt.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2023
Scharia und Smartphone
Noll, Chaim

Scharia und Smartphone


ausgezeichnet

Chaim Noll zog in die Negev-Wüste Israels und baute dort u.a. eine Universität mit auf. Er lebte zuvor in der DDR und verweigerte den Wehrdienst. Die Folge: Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken und Überwachung durch die Stasi. Schließlich Ausbürgerung und Aufenthalt in West-Berlin ab 1983, schließlich Auswanderung nach Israel Ende des 20. Jh.

Umgeben von muslimischen Beduinen und Palästinenser-Dörfern fing er in Israel an, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Weil er einfach mehr wissen und die Grundlagen verstehen wollte. Dieses Buch umfasst 40 Artikel zu diesem Thema und vermittelt seine Sichtweisen im Lauf der Zeit von 1999 bis 2022. Ich kannte die meisten dieser Artikel und freue mich, sie alle in einem Buch versammelt zu haben.

Wer sich dafür interessiert, kann das (lange) Studium selbst beginnen, am besten mit diesem Video: „Warum wir ANGST haben und 1.400 Jahre der FURCHT und Tyrannei ertragen müssen? (Deutsche Untertitel)“ Die Artikel von Chaim Noll sind danach eine analytische Vertiefung des Themas, die ihresgleichen sucht. Motiviert durch Verständnis und Entgegenkommen für seine Nachbarn beleuchtet Chaim Noll das Thema aus allen denkbaren Blickwinkeln.

Besonders interessant im Wiederlesen war für mich jetzt der Essay „Kommunismus, Islam und ihre Wirkungen auf Europa“, geschrieben 2007. Dort lesen wir: „Islamismus ist der dritte Totalitarismus, er wurde in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren und war von Kommunismus und Faschismus inspiriert.“ (Daniel Pipes). Und Chaim Noll ergänzt: „Kommunismus wie Islamismus sind darauf orientiert, neue Reiche zu errichten. Hier klassenlose Gesellschaft, dort Dar al islam.“

Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus wäre so eine moderate, offene, anpassungsfähige Version und eine strenge, wortbezogene im Islamismus, gültig für alle Ewigkeit. Ob diese Unterscheidung Sinn macht, halte ich für fragwürdig. Für mich bleibt der Koran eine zeitlos gültige Anweisung, die nicht hinterfragt werden darf. Muss man unter Ungläubigen leben, darf man die strengen Rituale etwas aufweichen bzw. vergessen, sich aber niemals anpassen.

Das Konzept und die Diskussion über den Islam hat viele Fallstricke, Untiefen und Probleme. Auch, weil bei uns nicht mehr darüber geredet werden darf. Dieses Buch aber legt offen und diskutiert ein Thema auf allen Ebenen, dessen Auswirkungen schon jetzt bei uns in Deutschland deutlich spürbar sind, auf zu vielen Ebenen.

Der letzte Artikel „Super Stimmung in Kreuzberg und Neukölln“ passt zur aktuellen Lage in diesen Berliner Bezirken, wo sich nach den unfasslichen Anschlägen der Hamas die Unterstützer sammeln und etwas mit Aussagen bejubeln, zu dem man keine Worte mehr findet.

Bewertung vom 04.10.2023
Montaigne
Reinhardt, Volker

Montaigne


ausgezeichnet

Jeder Tag am Schreibtisch in seiner Bibliothek konnte der letzte sein. Montaigne schrieb in Zeiten des Bürgerkrieges zwischen Katholiken und Calvinisten, man hasste und befehdete sich, der Riss ging quer zu allen Bereichen, er trennte Obrigkeit, Nachbarn, Verwandte und auch Familien.

Wurde man überfallen, was Montaigne auch geschah, war am Ende das größte Geschenk die Freiheit, die Abkehr von äußerem Zufall und Willkür hin zum inneren Gleichmaß. „Verteidigung zieht den Angriff auf sich. Angst erzeugt Aggression“, so Montaigne. Wenn jeder gegen jeden kämpft und keine Frontlinien sichtbar werden, ist Überleben das Maß aller Dinge und höchst schwierig.

Montaigne verlässt sich auf den klugen, gewaltlosen, offenen Weg, er brüskiert andere mit seiner Hilfe und einer radikalen Offenheit, die ihm überraschenderweise verblüffende Erfolge bringt. Moralpredigten mit erhobenem Zeigefinger stoßen ab, wirkungsvolle Überzeugungsarbeit wird am besten im lockeren Plauderton geleistet, dies war didaktisches Prinzip seiner berühmten Essays.

Montaigne ging jeden Tag hoch zu seinem Turmzimmer, der Bibliothek, die Treppen schon Meditation und Genuss. Er hat gelernt, auf die Feinde zu hören, ihnen mit anderen Mitteln zu begegnen als Hass. „Wenn man mir widerspricht, weckt man meine Aufmerksamkeit, nicht meinen Zorn. Ich gehe auf denjenigen zu, der anderer Meinung ist als ich, denn er bereichert mich.“

Volker Reinhard, der Autor dieser hervorragenden Biografie bemerkt, dass Montaigne für das 21. Jahrhundert höchst aktuell sei, sind in diesen Jahren doch die unduldsame Korrektheit und Ausblendung unliebsamer Meinungen ähnlich virulent wie damals, im 16. Jahrhundert in Frankreich.

Ich habe nahezu alle Bücher über Montaigne gelesen, hier liegt etwas ganz Besonderes vor, spannend zu lesen, für mich mit vielen neuen Einsichten, am Ende mit einer biografischen Zeittafel.

Bewertung vom 04.10.2023
Die Asyl-Lotterie
Koopmans, Ruud

Die Asyl-Lotterie


ausgezeichnet

Koopmans begleitet mich schon seit vielen Jahren in seiner sachlichen, klaren Herangehensweise an ein Problem, das in zu vielen moralischen Spähren gefangen scheint.

Am Beispiel Chemnitz zeigt Koopmans, dass bei der Verteilung von Flüchtlingen auch die bisherigen Erfahrungen berücksichtigt werden müssen. Wird zu schnell in bisher relativ homogene Gruppen mit Fremden aufgefüllt, entstehen Probleme, auch weil für die Neuen keine Anlaufstellen vorhanden sind.

In Kapitel 1 wird anhand von 10 Punkten erklärt, warum das europäische Asylsystem todkrank ist. Es fordert mehr Menschenleben als es rettet und lässt die Schwächsten außen vor. Der Rechtspopulismus wächst immer stärker, solange der weiße Elefant nicht angesprochen wird. Und man ist erpressbar Autokraten wie Erdogan gegenüber.

Mit diesem Buch legt er einen Standard zur Lösung der Asylkrise: „Das bestehende Europäsche Asylregime erfüllt seine humanitären Zielsetzungen nicht, weder in Bezug auf die Schutzsuchenden noch in Bezug auf die Erstaufnahmeländer. Es zwingt Menschen, die Schutz suchen, ihr Leben zu riskieren. Es führt zu schwerwiegenden Sicherheitsrisiken und Integrationsproblemen.“

Das Problem ist sein Jahrzehnten bekannt, nichts aber wurde gelöst, im Gegenteil. Alles wurde noch verwirrender, komplizierter. Koopmans plädiert für die Abkehr aus einem undurchschaubaren Dickicht hin zu humanitären Kontinenten. Und nein: wir können nicht allen helfen, ohne uns selbst zu gefährden.

Ein aufwühlendes, nachdenklich stimmendes Buch, das den weiteren Anstieg des Rechtspopulismus befürchten lässt, wenn nicht schnell etwas geschieht.

Bewertung vom 01.10.2023
Das Alphabet bis S
Kermani, Navid

Das Alphabet bis S


weniger gut

Kermani sei ein anerkannter Dichter, der schon im Bundestag gesprochen und gebetet habe. So habe ich es irgendwo gelesen. Nun, er meint auch, dass die literarische Welt (vgl. Buch: "Eine andere Welt, Bücher, die in die Zukunft weisen") von heute, damit auch er?, keinesfalls so gut sei wie vor dem Untergang des Abendlandes. Möglicherweise sieht er sich aber doch eher als neuen literarischen Fixstern des Morgenlandes.

In diesem schwer lesbaren Buch werden Buchbetrachtungen, Aphorismen, Zitate, Skizzen, Erlebnisse, Gedanken, alltägliche Dinge und Kommentare at random verbunden mit einer kleinen, schwer zu identifizierenden Handlung. Kermani mutiert zu einer namenlosen, erfolgreichen Schriftstellerin, die trauert.

Lesen Sie selbst eine Weisheit mit: “Nicht das Alter, sondern der Tod ist die größte Überraschung im Leben.“

Mich ließ das alles eher verwirrt und fragend zurück. Und traurig. Vielleicht ist es das Beste, was ein Buch erreichen kann. War es die Axt für das gefrorene Meer in mir, frei nach Kafka? Wohl eher nicht.

Erklärungen über die getroffenen Aussagen in ihrem möglichen psychotherapeutischen Kontext finde ich allerdings in einem Buch von Dr. Burkhard Hofmann: „Und Gott schuf die Angst“. Dieses Buch hätte bei der namenlosen Dichterin ja dabei sein können, die vergessene Bücher bis S liest, um endlich Trost zu finden.

Bewertung vom 28.09.2023
Armageddon
Matussek, Matthias

Armageddon


ausgezeichnet

Eine Art Roman-Autobiografie und zutreffende Beschreibung der aktuell schiefen Ebene Deutschlands.

Matthias Matussek polarisiert, er hat sich vom Linksaußen- zum Vernunfts-Standpunkt gewandelt, dabei ist er gläubiger Katholik. Seine Fabulierkunst ist ungebrochen, sie richtet sich jetzt gegen seine früheren, immer noch im linken Schlamm suhlenden Kollegen.

Man erfährt sehr viel über den inneren Zustand der Medien (Struckrad-Barre, Spiegel, Diekmann, Döpfner, Böhmermann, Fleiischhauer etc.) Matussek ist eine daraus erwachsene Pflanze, die ihr Aufblühen heute schöner denn je zelebriert, wortgewaltiger und standfest.

Ein von ihm ausgebildeter Praktikant, Malte Henk, schleicht sich wieder in sein Vertrauen ein und formuliert damit einen Artikel im Blatt des ach so sanften di Lorzeni, in der Zeit. Man spürt die Betroffenheit und kann ob dieses grausamen Verrats der regierungstreuen Medien nur noch erkennen, dass die Relotius-Presse zu den allerletzten Mitteln greift. Nun, Henk wird mit Sicherheit Preise der Rechtgläubigen ernten.

Über die Medienbranche schreibt Matussek: "Der Verrat ist so etwas wie ihre Betriebstemperatur."

Zudem wurde in das Buch ein weiteres spannendes Thema eingeflochten: Sterbehilfe. Mich beschäftigt dieses Thema seit ich das Gespräch zwischen dem unsäglichen Müntefering und Prof. Dr. Udo Reiter gesehen habe. Der ehemalige Intendant des MDR und BR hat sich kurz danach mit 70 auf seiner Terrasse erschossen - nach einem langen Leben im Rollstuhl. Die Arroganz der Müntefering Aussagen ist mir noch heute im Ohr. Matussek ist als Katholik gegen selbstbestimmtes Sterben seine Freundin dafür, eine schauerlich gute Geschichte, die alle Argumente pro und contra auffächert.

Das Kennenlernen seiner Frau und die andauernde Liebe: Matussek kann auch Romantik, ein L(i)ebensmensch durch und durch. Mich hat diese Passage tief berührt.

Zur Endzeit und wie man sie erkennt: "Frauen nannten sich Männer, und geschminkte Männer behaupteten, sie seien Frauen und könnten Kinder gebären...Alles stand Kopf wie in Orwells 1984...Denken Sie an die Kriegsbegeisterung ...Habeck war unter ihnen, seine Hörner wurden nun sichtbar...Stuckrad-Bahre versuchte den Hashtag Metoo zu singen...Diekmann skandierte Wulff Wulff..."

Ein riesengroßer dunkler Spaß könnte man meinen, aber es ist Ernst, wirklich ernst, denn die Antifa und ihre Hammer-Truppen stehen Gewehr bei Fuß.

Spannend, intelligent, herausfordernd, hell auflodernd im Wahnsinn der Zeit.