Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
SternchenBlau

Bewertungen

Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2019
Hippocampus
Klemm, Gertraud

Hippocampus


ausgezeichnet

Mind-blowing! Löst ein Synapsen-Feuerwerk aus: Sprache, Stil, Inhalt, Figuren, gleichermaßen großartig. Mein Jahreshighlight!

Dieses Buch ist gewaltig, eine Erleuchtung, elektrisierend, poetisch, bissig, witzig, herb und dann wieder ganz zart. Ich bin so begeistert von „Hippocampus“, dass mir einerseits die Worte fehlen, ich andererseits übersprudeln möchte vor Lob. „Mind-blowing“, immer wieder habe ich dieses Wort im Kopf. Leider lässt es sich so schwer übersetzen, aber das Buch hat etwas mit meinem Kopf gemacht, ein Synapsen-Feuerwerk ausgelöst.
Am liebsten hätte ich andauernd einzelne Textstellen markiert, weil sie so klug und so toll geschrieben waren, aber dann zog mich Gertraud Klemms Sprache und ihre Geschichte auch schon wieder weiter.

Zärtlich, herb und politisch

Vom Inhalt möchte ich nicht viel verraten: Eine von der Öffentlichkeit längst vergessene, feministische Autorin stirbt. Und ihre Freundin Elvira macht sich daran, einen Teil des erlittenen Unrechts wieder gut zu machen. Das wird bei Elvira Aktionskunst.
„Zu viel Demokratie und zu viel Essen ist den nachfolgenden Generationen nicht gut bekommen. Die Satten sind zu satt und die Hungrigen zu hungrig für eine Revolution. Aber man kann es ihnen nicht übel nehmen, so ist das neoliberale Zeitalter. Wer kein Streber ist, fliegt gleich ganz raus. Es gibt keine Ränder mehr, an denen es sich ein wenig verweilen lässt, es gibt nur mehr gleich den Abgrund.“
Gertraud Klemm wird in ihrem Roman politisch, sie wird zärtlich, sie wird auch mal derb.
Zu letzterem hat die Autorin meiner Meinung nach auch alle Veranlassung: Ist es nicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wie Frauen und als Frauen gesehene behandelt werden? Wie die alten weißen Männer sich seit Jahrhunderten und Jahrtausenden breit machen selbst die Moderne es nur zum Teil besser gemacht hat?
Seite um Seite habe ich dieses Buch mehr geliebt.

Vom Sinn

Jetzt bin ich längst noch nicht in Elviras Alter. Trotzdem merke ich, wie die 40 auf mich zueilen, und ich dabei frustriert feststelle, dass die Kämpfe, die ich längst schon für gewonnen glaubte, noch immer Thema sind. Schlimmer noch, manches entwickelt sich rückwärts. Und da kommt mir schon das Gefühl für den Sinn etwas abhanden.
Und genau da holt mich Gertraud Klemm mit „Hippocampus“ ab.
Gegen dieses Sinnlosigkeitsgefühl setzt Elvira ihre Installationen. Selbstverständlich bewegen diese sich am Rand der Legalität und teilweise weit darüber hinaus. Aber in den letzten Monaten (Trump, Brexit, Ulf Poschard) hatte ich zu oft das Gefühl, dass ich in die Tiefkante beißen – oder etwas anzünden muss (dabei bin ich Pazifistin). Und daher vergöttere ich Elvira und die Autorin Gertraud Klemm für ihren Mut und ihre Kompromisslosigkeit.
„Man muss einfach viel mehr rote Linien überschreiten, viel mehr Eigentum zerstören, viel mehr Gesetze brechen, um gehört zu werden.“
Bei diesem Buch sollte jedes Wort ganz bewusst belesen werden, bis zur allerletzten Zeile. Vergesst auf keinen Fall den Appendix. Dann diese letzten Zeilen läsen eine letzte, großartige Kopf-Explosion aus.

Fazit

Lest dieses Buch! Es ist wundervoll, witzig und bläst so viele großartige Gedanken in Deinen Kopf! Absolute Leseempfehlung! Jahreshighlight und selbstverständlich mindestens 1.000 Sterne.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.09.2019
Fettnäpfchenführer Vietnam
Frogier de Ponlevoy, David;Wick, Anemi

Fettnäpfchenführer Vietnam


ausgezeichnet

„Der Fettnäppchen-Führer“ hat mich augenblicklich nach Vietnam gebeamt. Witziger Trip für die Völkerverständigung.

Vietnam hat sich in mein Herz geschlichen, obwohl ich selbst noch nie dort war. Aber mein Freund hat dort einmal drei Monate gearbeitet und daraufhin so liebevolle Geschichten über dieses Land erzählt. Der „Fettnäppchenführer: Vietnam“ war für mich nun wie ein toller Kurztrip nach Vietnam, der mir immer wieder den Tag versüßt hat. Und das Buch hat mich bereits mit den ersten Zeilen in dieses spannende Land gebeamt.

Ich habe dabei viel gelernt, einiges wusste ich schon, einiges war mir völlig fremd. Dass z.B. für die verstorbenen Ahnen nicht nur Papiernoten verbrannt werden, sondern auch iPads oder Fernseher, damit die diese im Jenseits nutzen können – allerdings sind diese Luxusgüter dann Nachbildungen aus Pappe. Die beiden Autor*innen Anemi Wick und David Frogier de Ponlevoy haben beide mehrere Jahre in Vietnam gelebt und vermitteln so total spannende und oftmals auch witzige Fakten. Ihr Fettnäppchenführer ist nach Themen gegliedert, Querverweise werden aber zusätzlich gegeben. Mithilfe der zwei deutschen Protagonist*innen Nina und Florian werden typische Situationen aufgezeigt, die den beiden passieren könnten, und dann erklärt, was jeweils dahintersteckt.

Zum Abschluss fassen die Autor*innen auf einer Doppelseite die zehn wichtigsten „Dos and Don’ts“ für Vietnam zusammen, die gibt es zusätzlich noch als Stichworte in Form eines hübschen Lesezeichens. Da ich meinem 7jährigen Kind einige Kapitel vorgelesen habe (er möchte auch total gerne einmal nach Vietnam reisen), kann ich zudem berichten, dass sich der Fettnäppchenführer laut ebenfalls richtig klasse liest. (Mann und Kind mochten das Buch übrigens auch sehr.) Ich könnte viele so kleine und größere Details schreiben, die mich haben schmunzeln und laut loslachen, aber lest doch einfach selbst! Dabei lachen wir immer mit den Leuten dort und nie über sie. Das ist eine tolle Leistung der beiden Autor*innen.
Eines meiner Highlights: Erwachsene Europäer können nicht mehr so hocken wie die Asiaten, weil sich durch die Nichtbenutzung die dafür nötigen Sehnen verkürzen. Schon beim Versuch fallen viele „Westler“ um und das wirkt sich sogar beim Toilettengang aus.
Der Fettnäppchenführer liefert häufig eine Rückkopplung zu „uns“ in Deutschland und unseren kulturellen Eigenheiten. Das habe ich an diesem Buch besonders ins Herz geschlossen.

Fazit

Wie in jeder richtig guten Schilderung eines fernen Landes lernt man bei „Schnäppchenführer: Vietnam“ etwas über sich selbst und die eigene Kultur. Diese Buch beamte mich quasi unmittelbar nach Vietnam, diesen CO2-freier Trip nach Asien kann ich absolut empfehlen. 5 Sterne für diese tolle Art der Völkerverständigung.

Bewertung vom 27.09.2019
Eine himmlische Katastrophe
Montasser, Thomas

Eine himmlische Katastrophe


sehr gut

Diese Nonnen rocken voll ab. Amüsante Wohlfühllektüre.

Eine moderne, junge Frau und drei betagte Nonnen, diese Mischung ergibt eine amüsante Wohlfühllektüre für ein paar vergnügte Stunden. Lou verschlägt es nicht freiwillig ins Kloster, das wird ihr als Bewährungsauflage aufgedrückt. Doch nach und nach wachsen ihr die Schwestern ans Herz, wie sie uns auch als Leser*innen ans Herz wachsen. Lou entdeckt das musikalische (Rock-)Talent der drei und fädelt so eine Musiktour für sie ein.

Autor Thomas Montasser erzählt mit einem ironischen, manchmal bewusst antiquierten Stil. Die Erzählhaltung ist auktorial und sorgte bei mir für viel Schmunzeln. Manchmal war mir das schließlich zu manieriert und dadurch kam ich nicht sehr nah an die Protagonist*innen heran. Generell müssen sich diese alle nicht groß mit Hindernissen herumschlagen, Lou gelingt die Tour-Organisation quasi mühelos. Genauso wie Widerstände fehlen weitgehend Entwicklungsbögen der Protagonist*innen. Trotzdem ich habe sie sehr gerne bei ihrer Reise begleitet und es sind tolle, charmante Frauenfiguren. Einen Pluspunkt bekommt „Eine himmlische Katastrophe“ von mir, weil Montasser immer wieder Plädoyers für ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen einbaut. Und sein Roman setzt dieses Miteinander gleich sehr liebevoll selbst um.

„Eine himmlische Katastrophe“ bietet einen paar amüsante Wohlfühlstunden: Die 178 Seiten sind flott gelesen und lassen einen mit einem wohlig-warmen Gefühl zurück. Dafür gibt es von mir 4 von 4 Sternen.

Bewertung vom 21.09.2019
Manchmal kommt Glück in Gummistiefeln
Parr, Maria

Manchmal kommt Glück in Gummistiefeln


ausgezeichnet

Moderne Nostalgie

„Manchmal kommt Glück in Gummistiefeln“ und manchmal kommt es in Form eines Buches, in Form dieses Buchs von Maria Parr. Denn es hat meinen Sohn und mich völlig bezaubert. Wir haben herzlich gelacht, wir wurden traurig, wir haben um das Leben der Figuren gebangt, und wir haben wieder gekichert. Schließlich waren wir richtig traurig, als das Buch zu Ende war. Wir geben eine absolute Leseempfehlung!

Moderne Nostalgie
Maria Parr zeichnet die Kindheit von Trille und Lena in einem kleinen Dorf auf einer norwegischen Insel, oder eigentlich ein Dreiviertel Jahr dieser Kindheit. Die beiden fahren mit Trilles Opa zum Fischen, bringen den Ziegen Salzsteine und bauen ein eigenes Floß. Es ist die Kindheit, von der gesagt wird, dass es sie längst nicht mehr geben würde.
Ich denke, von daher kommt auch bei vielen Rezensent*innen der Vergleich mit Astrid Lindgren und der Begriff des Nostalgischen. Ich weiß, das ist als Kompliment gemeint, aber in gewisser Weise tut man der Autorin damit Unrecht. Denn zum einen baut Parr eine sehr eigene Geschichte (auch, wenn sie eine geniale Anleihe bei „Michel aus Lönneberga“ nimmt). Zum anderen verweigert sich Parr der modernen Zeit überhaupt nicht. In der Geschichte gibt es Handys und Arbeitsschutzgeräte, eine Expat-Familie kommt vor und Trille und Lena haben Musikunterricht und den Fußballverein (mehr Bürgerlichkeit geht ja kaum noch). Doch in dieser modernen Zeit zeigt sie, dass dieses unbeschwerte Aufwachsen der Kinder immer noch möglich ist.

Abenteuer im echten Leben
Trille und Lena streunen durch das Dorf und die Natur und erleben in dieser echten Welt sehr viele spannende, aber auch absurde und gefährliche Abenteuer. Die Einzelheiten will ich gar nicht erzählen, damit ich nicht die Überraschung verderbe. Nur eines, dass sich Lena im Englischunterricht den Arm bricht. Später erklärt sie es so:
„Wenn man sich lange genug langweilte, dann konnten die merkwürdigsten Dinge passieren, und die Englischstunden waren so langweilig, dass sie ihr schon seit einer ganzen Weile lebensgefährlich erschienen.“
Wir haben Tränen gelacht und zwar an vielen Stellen.
Dann gibt es einiges, was lustig beginnt, aber gefährlich wird. Ich fand es schon als Kinder immer gut, solche Abenteuer in Büchern erleben. Im echten Leben können die viel zu leicht schief gehen, Trille und Lena wachsen jedoch an diesen Abenteuern und in diesem Buch schwingt das Erwachsen-Werden immer mit. So kommt auch völlig kindgerecht die erste Schwärmerei vor und zwar wunderschön und mit Wehmut.
Wunderschön sind auch die Illustrationen von Barbara Korthues, die für kleine und große Momente der Geschichte wundervolle Bilder geschaffen hat.

Tolle (Mädchen-)Figuren
Lena ist eine sehr eigensinnige Figur, die genau weiß, was sie will. Manchmal geht sie mit dem Kopf durch die Wand und Trille tut ihr deswegen auch ab und an unrecht. Er braucht, aber schließlich sieht er es selbst ein. Diese Figuren haben eh Ecken und Kanten, die Erwachsenen sind mal schwach und mal merkwürdig, die Kinder auch. Letztendlich beweist Lena allen, dass Mädchen genauso gut sein können wie Jungs. Solch eine Figur hätte ich als Kind selber gerne häufiger lesen mögen.

Bei konzentriertem Vorlesen super szenisch möglich
Der Verlag empfiehlt das Buch ab 9 und das ist auch sehr passend. Meinem Sohn habe ich es jetzt mit 7,5 Jahren vorgelesen. „Manchmal kommt das Glück in Gummistiefeln“ ist sprachlich durchaus anspruchsvoll, das zeigt schon der Titel ein wenig. Der Satzbau von Christel Hildebrandts Übersetzung ist elegant und flüssig, aber nicht immer einfach zu lesen. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – konnte ich das Buch wundervoll szenisch vorlesen und ganz toll mit der Betonung und der Sprechgeschwindigkeit spielen.

Fazit
Wir waren richtig traurig, als wir die letzte Seite gelesen hatten. „Manchmal kommt das Glück in Gummistiefeln“ werden wir sicherlich noch öfter lesen. Wir geben eine absolute Lese- und Kaufempfehlung und

Bewertung vom 21.09.2019
Nanuk - Ein kleiner Eisbär findet Freunde / Erst ich ein Stück, dann du Bd.27
Schröder, Patricia

Nanuk - Ein kleiner Eisbär findet Freunde / Erst ich ein Stück, dann du Bd.27


ausgezeichnet

In eine abenteuerliche Tiergeschichte am Polargeschichte verpackt erzählt Patricia Schröder Freundschaft, Vorurteilen und Anti-Rassismus.

Eisbär und Pinguin erleben gemeinsam ein Abenteuer

Hä, fragt Ihr Euch jetzt bei dieser Überschrift vielleicht: Wie kommen den Eisbären und Pinguine zusammen? Die einen leben am Nord-, die anderen am Südpol. Keine Angst, Patricia Schröder hat hier keinen Fehler gemacht, sondern bringt (in einem logischen Konstrukt) noch ganz andere Tierarten in ihrer fantasievollen Tiergeschichte „Nanuk – Ein kleiner Eisbär findet Freunde“ zusammen: Guckt einfach das Titelbild genau an.

Alle Tiere haben mit den unbekannten erstmal so ihrer Vorurteile: Wollen die uns fressen? Nehmen uns die die Fische weg? Nanuk ist von allen am aufgeschlossensten und schließlich ganz schön mutig dabei, seine neuen Freund*innen zu retten. So zeigt die Autorin sehr charmant, dass eine Welt ohne Rassismus und Fremdenhass eine bessere ist. Sogar auf die Klimakrise spielt Patricia Schröder an, denn das schmelzende Eis an den Polkappen bringt die Südpol-Bewohner überhaupt erst an den Nordpol.  
Einen weiteren Diversity-Punkt bekommt „Nanuk“, weil der kleine Pinguin Klaus mit einer Behinderung am Fuß lebt. Dadurch kann er nicht geradeaus schwimmen. Er hat sich damit arrangiert, kann so aber keine Fische fangen. Und auch hier fällt den Tieren eine tolle Lösung zur Inklusion ein.

Neben dem tollen Inhalt ist „Nanu“ sprachlich schön geschrieben. Es gibt viele kleine und große erzählerische Einfälle (z.B. ein alter Eisbär erzählt die Geschichte als Rahmen), so dass diese Erstlese-Geschichte wirklich Spaß macht. Grandios gelungen ist der Autorin zudem die Unterscheidung zwischen den „Erwachsenen“- und den Erstlese-Teilen. Bei den längeren Texten finden sich mehr Sprachspielereien. Ein Beispiel dafür ist das „Paka-Paka-Pingopaus“, dass der Pinguin immer mal wieder sagt. Nach zwei Drittel des Buches, wenn es die Kinder schon mehrfach gehört haben, findet es sich dann auch einmal in einer Erstlese-Passage.

Fazit
Wir sind wirklich durch „Nanuk – Ein kleiner Eisbär findet Freunde“ geflogen, weil es zum tollen Inhalt die schönen Form dazu kam. Wir haben jetzt schon mehrere von Patricia Schröders Bänden von „Erst ich ein Stück, dann du“ gelesen und finden ihre Bücher klasse. Daher vergeben wir 5 Sterne und selbstverständlich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 17.09.2019
Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee
Siems, Annika;Dreyer, Wolfgang

Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee


ausgezeichnet

Ein Wissenschaftsgedicht! Die Tiefsee ist gewaltig und so gewaltig erforscht dieses malerische Sachbuch dieses unbekannte Terrain.

Diese Entdeckungsreise ins unbekannte Terrain ist wunderbar. Schon in das Format dieses tollen Sachbuches kann man Versinken, denn „Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee“ ist 29,9 auf 32,7 Zentimeter groß. Ein gewaltiger Bildband, der diesem gewaltigen Format vollends gerecht wird.
Kinder und Erwachsene können damit eine unbekannte Welt erforschen, die bislang kaum Menschen mit eigenen Augen gesehen haben. Empfohlen ist das Buch ab 8 Jahren und das passt sehr gut. Neben den großen Tieren der Tiefsee werden auch ihre kleinen Bewohner vorgestellt. Wie unter einem Mikroskop kommen wir ganz nah an sie heran.
Die Bilder von Annika Siems sind teilweise großformatige Ölgemälde, die abfotografiert wurden. Hier gehen künstlerische Schönheit und wissenschaftliche Abbildung Hand in Hand, denn neben dem visuellen Anspruch vermitteln die beiden Autor*innen ebenso empirische Genauigkeit. Das Buch ist zudem auf dem neuesten Stand der Forschung.

Schönheit eines Wissenschaftsgedichts

Wir gehen wirklich auf eine Entdeckungsreise, wir tauchen ein und diese Reise wird von Schönheit und inhaltlichen Bezügen getragen: Wer frisst wen? Welche Tiere wenden ähnliche Taktiken an? Solche Fragen bestimmen die Reihenfolge. Aber es gibt z.B. keine festen Skalen, wo wir uns gerade befinden oder auf welcher Tiefe. Manche Tiere bewegen sich ja zwischen den unterschiedlichen Tiefen. Im Buch findet man auch keine Steckbriefe zu den einzelnen Tieren oder ähnliches. Wenn man so etwas für sich und seine Kinder sucht, gibt es einige andere Reihen (der Klassiker ist wohl Was ist was). „Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee“ hingegen ist kein Handbuch, sondern eher eine Art Wissenschaftsgedicht. Die Besonderheiten der jeweiligen Tierart werden in den Vordergrund gestellt – und die Schönheit der Natur.
Natürlich sind die Bilder von Annika Siems der erste Zugang zu diesem wunderschönen Werk. Der Zoologe Wolfgang Dreyer erzählt uns dazu sprachlich schön von den Besonderheiten der Tiefsee. Dabei werden sehr komplexe Zusammenhänge in Bild und Text erklärt, wie beispielsweise die Photosynthese oder die Biolumineszenz. Manchmal werden diese durch detaillierte Schaubilder von Siems erläutert. Schon die lateinischen Namen zergehen auf der Zunge. Die Vergleiche sind sehr bildhaft und ließen uns wichtige Fakten merken:
„…der Druck ist gewaltig. 6.000 Meter unter der Meeresoberfläche ist er so groß, als ob 300 Elefanten auf dir liegen würden.“

Aug in Aug mit dem Riesenkalamar

Jede der 96 Buchseiten war und ist ein Erlebnis. Unser Highlight kam bei den Pottwalen und Riesenkalamaren. Denn plötzlich sieht uns das Auge des Riesenkalamars ins Originalgröße aus dem Buch heraus an (Basketballgroß müsste in etwa hinkommen). Eindrucksvoll, erst recht, weil den selbst Tiefseeforscher noch kaum lebend gesehen haben.
Das Buch haben wir schon jetzt immer wieder mit Freuden in die Hand genommen. Zum Vorlesen (mein Sohn ist jetzt 7,5) haben wir uns etwas Zeit gelassen. Es ist wirklich eher wie die Lektüre von Gedichten oder dem Genuss von edlen Pralinen. Das wollten wir einfach auskosten. Die Informationsdichte in den Texten ist zudem hoch.

Appel zum Schutz der Meere

„Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee“ wurde klimaneutral hergestellt und kommt ohne Plastikeinschweißung aus. Dankeschön dafür zusätzlich an den Prestel Verlag, denn auch unsere geliebten Bücher verbrauchen schließlich Ressourcen. Am Ende des Buchs appellieren die beiden Autoren eindringlich an uns, Erwachsene wie Kinder, diesen Lebensraum und die Umwelt im Ganzen zu schützen und auf Plastik zu verzichten. Die Seiten zuvor haben sie eindringlich gezeigt, warum die Tiefsee für das Ökosystem der Erde wichtig ist – und wie wunderschön.

Wir können nur jedem absolut empfehlen, auf diesem Tauchgang mitzukommen: 5 verzauberte Sterne!

Bewertung vom 12.09.2019
Das Glück vom einfachen Leben
Staud, Lorenz

Das Glück vom einfachen Leben


sehr gut

Einfach leben mit dem heiligen Franziskus

In diesem schön gestalteten Büchlein überträgt ein Südtiroler Pater die Botschaft des Franz von Assisi über das einfache Leben ins Heute.

Franz von Assisi war schon immer eine meiner liebsten Heiligen-Gestalten: Er war im positiven sehr kompromisslos, Geld und Macht interessierten ihn nicht und er setzte sich für die Schwachen und die Natur ein.
Daher fand ich es eine schöne Bestätigung, das Büchlein „Das Glück vom einfachen Leben“, des Franziskaner-Paters Lorenz Staud zu lesen. Die Seiten sind nur einfach so dahingeflogen. Für Christen ist es eine tolle Ergänzung zu den Bücher, die derzeit – man muss sagen: endlich! – ein nachhaltiges Leben fordern, für den einzelnen, aber auch für unsere Gesellschaft(en) und die Menschheit als Ganzes. Unsere Welt ist nicht heil – das sieht Pater Lorenz Straub nicht minder deutlich wie der heilige Franziskus vor 800 Jahren.

„Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel ist heute dauernde Wirklichkeit.“

Gegen dieses Höher-Schneller-Weiter, das unter anderem die Klimakrise verursacht hat, hat Franziskus schon vor etwa 800 Jahren angepredigt. (Wir können übrigens als Menschheit nicht unseren Altvorderen die Verantwortung dafür zuschieben, mehr als die Hälfte der CO2-Emmissionen sind in den letzten paar Jahrzehnten entstanden.)
In der Bibel finden sich viele Ansätze, dass die Menschen sich um die Erde kümmern müssen. In der „FridaysForFuture“-Bewegung gibt es z.B. auch eine Sektion für die „ChurchesForFuture“. So gibt es im Christentum nicht nur die Dreifaltigkeit, betont der Pater, sondern ebenso die Dreiheit von Gott, Mensch und Schöpfung. In „Das Glück vom einfachen Leben“ fasst Staud zwei zentrale Texte zusammen. Die Enzyklika des aktuellen Papstes Franziskus „Laudato si!“, in der er den Raubbau an der Natur und die Unsolidarität der Menschen insbesondere mit dem globalen Süden anklagt, und den Sonnengesang des Franz von Assisi. Staud schließt seinen Band mit Betrachtungen aus dem Klostergarten und einer Abhandlung, wie der heilige Franziskus wohl heute zu uns sprechen würde. Dazu finden sich einige Gedichte von Staud.

Frauen kommen leider nur an drei Stellen in dem Büchlein vor. Als Frauen und Männer, die Franziskus nachfolgten, und als zweites, als sich Franziskus eine „neue beschauliche Lebensweise“ für die Klarissen „ausdenken musste“. Die heilige Clara hatte aber durchaus mitgeschrieben und -konzipiert. Ähnlich werte ich auch den Hinweis darauf (die dritte Stelle), dass mehr Zeit für die Kinder bleibt, wenn die Mütter zuhause bleiben. Warum nur die Mütter? Aber der Pater ist Jahrgang 1947, da wundere ich mich einfach nicht, wollte den mangelnden Feminismus aber auch nicht unerwähnt lassen. Und dann habe ich noch eine Bitte an den Verlag: Da dieses Buch ein wunderschönes Beispiel für ein nachhaltiges Leben ist, wäre es doch ein toller Zug, wenn auf die Folieneinschweißung verzichtet werden würde.

Sehr gut gefallen hat mir die Optik des Buches. Die Bilder aus dem Kloster in Kaltern, in dem Staud lebt, sind eine wunderschöne Ergänzung zu den Texten und laden zum Meditieren ein. Auch der Buchsatz ist stimmig, mit dem vielen Weißraum lässt er im wahrsten Sinne des Worts Raum, um die Gedanken kreisen zu lassen.

Insgesamt habe ich in dem Büchlein zwar nicht viel neues erfahren, aber es lässt mich mit einem Hoffnungsschein zurück: Hoffnung, dass die Menschen doch zu Einsicht fähig sind; Hoffnung, dass wir so die Klimakatastrophe vielleicht doch noch abgewendet können. Dazu ist es auch wichtig, dass wir alle gemeinsam an einer Wende arbeiten, dafür ist das Buch von Pater Lorenz ein toller Geschenk-Tip. Vielleicht insbesondere für ältere Verwandte, um ihnen einen Schubs für die nächsten Wahlen zu geben, im Sinne ihrer jungen Enkel*innen, (Groß-)Nichten/Neffen zu wählen – für eine wirkliche grüne Politik, die das Prädikat „christlich“ tatsächlich verdient.

Bewertung vom 12.09.2019
Warum wir schlafen
Vorster, Albrecht

Warum wir schlafen


ausgezeichnet

Spektakulär, verständlich und lehrreich für alle diejenigen, die schlafen. Also ALLE!

Wir alle müssen schlafen. Also alle Menschen, aber auch Fliegen und Schnecken. Unter anderem an Schnecken hat Albrecht Vorster geforscht. Wir wissen nämlich alle noch viel zu wenig über den Schlaf. Als Menschheit, aber auch als einzelne*r. Albrecht Vorster ändert das nun für uns Leser*innen mit seinem wundervollen Buch „Warum wir schlafen“. Das macht er so humorvoll und mit geballtem Wissen, dass es eine wahre Freude ist.
Beim Lesen hätte ich ab und an gerne die Pause-Taste in meinem Gehirn gedrückt, damit ich mir die vielen tollen Zusammenhänge noch viel besser merken kann. (Ich habe es hier wirklich bedauert, dass ich kein photografisches Gedächtnis besitze.) Vorster beschreibt die Fakten und Zusammenhänge sehr dicht, ist aber immer auf den Punkt und vor allem immer verständlich. Zwischendrin geben die Grafiken von Nadine Roßa humorvolle Einsichten.

Verständlich und lehrreich für den eigenen Schlaf
Vorster liefert grandiose Einsichten in das menschliche Schlafverhalten, ganz krass fand ich:
„Patienten, die sich vornehmen, nicht zu schlafen, sondern wach zu bleiben, schlafen schneller ein!“
Oder, was das der Schlaf mit dem Immunsystem zu tun hat: Im Schlaf zeigen sich nämlich die Fresszellen und T-Zellen die Trophäen

Bewertung vom 07.09.2019
Malve will keine Elfe sein
Abidi, Heike

Malve will keine Elfe sein


ausgezeichnet

Anderssein zauberhaft akzeptieren. Diversität für Kinder elfenhaft erzählt!

Elfen sind ja zur Zeit sehr schick und „in“: Wie viele Menschlinge (wie Menschen in diesem Buch heißen) würden nicht gerne ein*e Elf*e sein? Aber was geschieht mit dir, wenn du eine Elfe bist und gar keine sein willst?
Das zeigt uns Heike Abidi in ihrem wunderbaren wie einfühlsamen Kinderbuch „Malve will keine Elfe sein“. Die Autorin sprudelt über voller witziger Einfälle und tollem Sprachwitz und voller Humor und Leichtigkeit erzählt sie dabei quasi nebenbei und wundervoll von Diversität und Akzeptanz.

Alien-Gefühl
Ein „Alien-Gefühl“ wie Malve kennen auch Menschlingskinder, die zwar keine Elfen sind, aber in anderer Hinsicht anders sind als ihr Umfeld es ihnen vorgibt oder von ihnen erwartet. Also der ganzen Reigen von Diversität: Kinder mit anderer Hautfarbe oder die mit einer Behinderung leben. Jungs, die gern Rosa, Glitzer und Elfen mögen; Mädchen, die gerne wild sind, auf Bäume klettern und Fußball spielen; Kinder, die vielleicht gar nicht wissen, ob sie Jungen oder Mädchen sein mögen. Heike Abidi findet für sie alle in Malve eine „magische Form“. Und Malve wird für sie eine super Identifikationsfigur.
Zudem bricht die Autorin Vorurteile auf: Nicht mal die Elfen „sind“ so, wie wir sie uns vorstellen. Oder hätte jemand bei seinen Elfen-„Vorurteile“ parat gehabt, dass sie Phantasie ablehnen und Geschichten für sinnfrei halten? Malve sehnt sich aber nach Geschichten und würde ihre Hängematte am liebsten gegen ein Menschlingsbett eintauschen, obwohl sie noch nicht einmal weiß, wie das aussieht.

Perspektivwechsel
Ganz viel Fabulierkunst hat das Buch, Erkenntnis schafft die Autorin Heike Abidi zudem durch den ständigen Perspektivwechsel, denn Malves Eltern haben eine Schocktherapie geplant und… das soll ich jetzt nicht schreiben, sagt mein Sohn, damit ich die Überraschung nicht wegnehme. Auf alle Fälle können die Kinder so Alltägliches durch Malves Menschlings-begeisterte Augen sehen. Und sie kriegen ein super Gefühl dafür, wie viele Dinge sie in ihrem jungen Leben schon gelernt haben.

Selbstakzeptanz
Was man mit Malve lernen kann, ist ein grandioses Gefühl von Selbstakzeptanz. Es ist nämlich völlig in Ordnung, anders als andere sein zu wollen. Bis Malve das akzeptieren kann – und auch ihre Eltern akzeptieren – dauert es allerdings ein Bisschen. Wir begleiten Malve auf diesen Weg und dabei muss sie hin und wieder flunkern. (Als Erwachsener hat man den Lerneffekt: Lässt man seine Kinder so sein, wie sie wollen, müssen sie einen nicht anlügen.) Und wenn wir uns selbst akzeptieren, dann können wir wie Malve über uns hinauswachsen. Neben der Selbstakzeptanz zeigt das Buch wundervoll, dass es wichtig ist, das Anderssein von anderen zu akzeptieren.
Mein 7,5-jähriger Sohn war von Malve total begeistert: „Schade, dass ich mich nicht in einen Schmetterling verwandeln kann“, das war der erste Satz, den er gesagt hat, als ich die letzte Zeile von „Malve will keine Elfe sein“ gelesen hatte. Dafür haben wir Menschlinge die Phantasie – und Autorinnen wie Heike Abidi, dass wir davon träumen können. Dazu die Illustratorin Susanne Göhnlich, die noch zusätzlich tolles Futter für die Phantasie gibt.
Das Buch lässt sich zudem ganz toll vorlesen. Für geübtere Leser*innen ist es aber auch schon zum Selbstlesen geeignet, etwa ab 8 Jahren bzw. im Verlauf der 2. Klasse.

Fazit
Zauberhaft und mit einer wundervollen, wichtigen Botschaft. Da können wir als Menschlinge gar nicht anders, als 5 mit Elfenstaub verzierte vergeben. Wir sind begeistert und würden sofort einen zweiten Malve-Band lesen.

Bewertung vom 01.09.2019
Rita räumt die Hecke auf
Uekötter, Carsten

Rita räumt die Hecke auf


gut

Ein paar vergnüglich leichte Stunden im Sommer – bei Mistwetter eine schöne Erinnerung an Sonne und herrliche Gartenstunden!

Rita liebt ihren Leben mit dem Garten in der Kleingartenanlage „Abendröte". Damit aber frischer Wind in die Abendröte kommt, tritt sie als neue Vorstandsvorsitzende an. Doch das ist nicht das einzige Hindernis, das Rita überwinden muss: Bald bedroht der der schnöselige Grundstückserbe die Existenz der kompletten Schrebergarten-Kolonie. 
Der Roman von Carsten Uekötter ist komplett aus Ritas Sicht geschildert und sie betrachtet ihre Umwelt und ihre Mitmenschen meist mit sehr versöhnlichem Blick. Dadurch liest sich das Buch sehr entspannt, auch wenn die turbulenten Verwicklungen Ritas Leben ganz schon durcheinander wirbeln. Und die zahlreichen Figuren in der Abendröte sind alle sehr liebevoll gezeichnet. 
Was ich klasse fand: Rita vermittelt ein selbstbewusstes Frauenbild und vielleicht auch für Leser*innen, die mit Begriff Feminismus nicht so viel anfangen können. Für Rita sind die sexistischen Ansagen ihres Vorgängers Manni, dass Frauen nicht das Ruder übernehmen dürften, die Hauptmotivation die Wahl überhaupt anzutreten. 
Stilistisch war das Buch leider nicht ganz meines. Manchmal wurden mir Ritas Gedanken etwas zu geschwätzig. Statt zu lesen, dass Rita immer Schminkzeug in der Laube aufbewahrt, hätte ich gerne mehr Raum für die Entwicklung der liebevoll gezeichneten Nebenfiguren gehabt.
Wirklich böse Menschen gibt es in der Abendröte nicht. Die Konflikte enden letztendlich alle sehr harmonisch und mir gefällt das Menschenbild, dass „Rita räumt die Hecke auf“ damit vermittelt. Alles in allem, ist es ein echter Wohlfühlroman. 

Fazit
„Rita räumt die Hecke auf“ bietet seinen Leser*innen ein paar vergnüglich leichte Stunden im Sommer – oder bei Mistwetter kann man es hervorragend als Erinnerung an Sonne und herrliche Gartenstunden nutzen. Letztendlich geht für Rita und die Abendröte alles sehr harmonisch aus. Stilistisch war das Buch nicht ganz mein Fall und der Plot war schon recht vorhersehbar, daher vergebe ich 3 von 5 Sternen.