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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 07.07.2022
Todesbrandung / Emma Klar Bd.7
Peters, Katharina

Todesbrandung / Emma Klar Bd.7


ausgezeichnet

Mit „Todesbrandung“ hat Katharina Peters einen neuen Teil ihrer Serie um die Privatermittlerin Emma Klar vorgelegt. Und, obwohl das Buch bereits der siebte Band der „Ostsee-Krimi“-Reihe ist, besticht er durch seine Spannung, eine gekonnt konstruierte Geschichte und sauber ausgearbeitete Charaktere – sowohl bei den „Guten“ als auch bei den „Bösen“. Peters präsentiert ihrem Publikum einen verworrenen Fall mit einem teuflischen Puppenspieler und bringt ihre Protagonistin in höchste Gefahr und die Leserschaft um die Nachtruhe. Schön ist auch das Wiedersehen mit „alten Bekannten“: Emmas Lebensgefährte Christoph (Inhaber einer Securityfirma) und der ehemalige Journalist Jörg Padorn sind ebenfalls wieder mit von der Partie. Letzterer greift Emma auch in diesem Band mit seinen Recherchen unter die Arme.
Aber von vorn.
„Suchen Sie Jana!“ lautet die Anweisung eines anonymen Anrufers an die Wismarer Privatdetektivin Emma Klar. Dabei handelt es sich um die junge Journalistin Jana Kühn, mit der Emma schon einmal zusammengearbeitet hat. Zuerst macht sich außer ihr niemand Sorgen über deren spurloses Verschwinden, denn als Investigativjournalistin recherchierte häufig im Umfeld der organisierten Kriminalität und tauchte nach Aussagen von Kollegen oft für einige Zeit unter. Als Jana kurz darauf tot aufgefunden wird, steht für die Polizei schnell fest, dass die junge Frau mit einer Überdosis Schlaftabletten Suizid begangen hat. Die Akte wird geschlossen, „das Ergebnis lag längst auf der Hand“. Doch Emma „hatte Angst, Janas Freitod zu akzeptieren“, außerdem gibt es für sie einige Ungereimtheiten. Und dann findet sie nach akribischer Suche in der Wohnung der Toten eine sorgfältig versteckte Mini-SD-Karte. Inhalt: eine Liste mit Namen. Drei Menschen, deren Namen auf der Liste stehen, sind vor kurzem durch Unfälle ums Leben gekommen. Nach dieser Entdeckung nimmt Emmas Ermittlung Fahrt auf und sie muss erkennen, dass der Fall wesentlich weitere Kreise zieht, als sie zunächst dachte. Und er entwickelt sich schnell zu ihrem bislang brisantesten Fall.
„Todesbrandung“ ist ein Krimi wie ein guter Wein, er braucht eine Weile, um sich zu entwickeln. Nach dem Prolog, in dem die Leserschaft eine kleine Idee bekommt, wo die Geschichte hinführen könnte, kommt einiges erstmal anders als man denkt. Nach ein paar Dutzend Seiten nimmt die Geschichte aber Fahrt und Spannung auf und man mag das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Katharina Peters‘ Sprache ist angenehm, der Krimi ist flüssig zu lesen und weitgehend angenehm unblutig, von Gewalttaten wird hauptsächlich aus zweiter Hand berichtet.
Wie von der Autorin gewohnt, sind die Charaktere gut ausgearbeitet und das Buch mit Personen nicht überladen. Katharina Peters konzentriert sich auf einen sehr begrenzten Kreis von Charakteren und gibt jedem ganz spezielle Eigenheiten mit. Die Spannung wird langsam aufgebaut und dann auf hohem Niveau weitgehend gehalten. Die Geschichte dreht sich fast ausschließlich um die Ermittlungen, ein bisschen aus Emmas Privatleben wird eingeflochten, aber da ihr Lebensgefährte an den Ermittlungen beteiligt ist, sind diese unterschwellig immer präsent. Der Schluss ist stimmig und beinhaltet einen Cliffhanger, der direkt Lust auf den nächsten Teil macht.
Obwohl es schon der siebte Teil der Reihe ist, kann man das Buch problemlos auch ohne Vorkenntnisse lesen, alles Wissenswerte wird erklärt. Allerdings empfehle ich allen Krimifreunden natürlich auch die Lektüre der anderen Teile und lege ihnen die anderen Serien der Autorin ebenfalls ans Herz. Emma Klar ist nämlich nicht die einzige starke Ermittlerin aus der Feder von Katharina Peters. Die einzige Frage, die sich mir stellt, ist, wie der Titel „Todesbrandung“ zustande kam. Vermutlich nur qua Gesetz der Serie (alle Titel beginnen mit „Todes“ und enden mit einem maritimen Begriff), denn mit dem Buch selbst hat er nichts zu tun. Das tut der Qualität des Buchs keinen Abbruch, daher gibt es von mir natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 05.07.2022
Perfect Day (eBook, ePUB)
Hausmann, Romy

Perfect Day (eBook, ePUB)


gut

„Perfect Day“ war mein erstes Buch von Romy Hausmann und es lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits fand ich den Zugang zur Handlung vor allem am Anfang schwierig, andererseits konnte ich das Buch aber auch nicht aus der Hand legen, da die Neugier auf den Schluss überwog. Insgesamt wird der Thriller mir nicht im Gedächtnis bleiben. Oder vielleicht werde ich mich doch an ihn erinnern, unter der Überschrift: schwierige Charaktere tun schwer nachvollziehbare Dinge.
Aber von vorn.
Ausgerechnet mit Lou Reeds „Perfect day“ als Hintergrundmusik wird der 55jährige Philosophieprofessor und Anthropologe Doktor Walter Lesniak sechs Wochen vor Heiligabend vor den Augen seiner Tochter Ann verhaftet. Er soll im Verlauf von fast 15 Jahren zehn Mädchen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren entführt und getötet haben. Rote Schleifen wiesen der Polizei wie bei einer makabren Schnitzeljagt den Weg zu den Leichen. Zuerst wurde er daher „Schleifenmörder“ genannt, später bezeichnet ihn die Boulevardpresse als „Professor Tod“. Ann kann nicht glauben, dass ihr Vater ein Serienmörder sein soll. „Deswegen ist es jedes Mal wieder ein Schock. Da hilft auch kein verpixeltes Fotogesicht. Sie schreiben über dich, sie sind sich ihrer Sache so sicher. Ein Zufall, ich weiß, Papa. Du bist kein Mörder. Sie irren sich so schrecklich, aber das wollen sie einfach nicht einsehen. Lieber verbreiten sie weiter ihre Lügen, ihre Lügen, ihre gottverdammten Lügen.“ Während ihr Vater in Untersuchungshaft sitzt, macht sie sich auf die Suche nach dem wahren Mörder, denn die Schuld des einen wird die Unschuld des anderen beweisen. Und Ann, ihre Freundin Eva und ihr Freund Jakob begeben sich bei ihren Nachforschungen in größte Gefahr.
So weit, so gut. Und vor allem so spannend und fast genial durchdacht. Die Art und Weise, wie Romy Hausmann ihre Geschichte aufbaut, ist sowohl clever als auch kompliziert. Sie erzählt sie hauptsächlich aus der Sicht von Ann. Dabei ist unter der Überschrift „Ann“ die eigentliche Handlung, datiert, beginnend im Dezember 2017. Es gibt Einflechtungen, die an Tagebucheinträge mit Gedankenfragmenten aus Anns Kindheit erinnern (gekennzeichnet durch kursive Schrift und Vermerke wie „Ann, 7 Jahre alt“), Kapitel mit der Überschrift „Wir“ sind Anns Erinnerungen an Erlebnisse und Begebenheiten mit ihrem Vater, die beiden haben ja nach dem Tod der Mutter nur noch einander. Und es gibt die transkribierten Gespräche mit dem inhaftierten Täter aus dem Jahr 2021. So, wie die Perspektiven wechseln, wechseln natürlich auch die Zeitebenen, mal ist die Geschichte im Präsens, mal in der Vergangenheit erzählt.
Romy Hausmanns Sprache ist angenehm, aber gewöhnungsbedürftig. Zwar schreibt sie sehr anschaulich und in gefälliger Sprache, dennoch fand ich die Lektüre durch die vielen Perspektivwechsel einfach nur anstrengend und oft hatte ich Probleme, die vielen Nebencharaktere auseinanderzuhalten. Die Hauptcharaktere fand ich hingegen eher blass und vor allem mit der Protagonistin Ann konnte ich bis zum Schluss nicht warm werden. Viele ihrer Aktionen kann ich zwar nachvollziehen, andere hingegen sind so naiv und unbedacht, dass ich nachschauen musste, wie alt sie eigentlich ist, da ihre Handlungen oft eher zu einer Zehnjährigen als zu einer Mittzwanzigerin passen. Insgesamt finde ich aber, dass die Autorin psychologische Eigenheiten ihrer Charaktere sehr gekonnt auf- und ausarbeitet.
Den Spannungsbogen fand ich im ersten Drittel sehr hoch, er flaut aber im Verlauf der Geschichte stark ab. Viele Passagen hätten ersatzlos gestrichen werden können, da sie zum Buch nicht wirklich beitragen. Alles in allem schöpft die Autorin das Potential ihrer an sich guten Idee bei weitem nicht aus. „Logik entwirrt den Knoten“ schreibt die Autorin an einer Stelle, doch leider basiert ein Großteil ihrer Logik auf (weit hergeholten) Zufällen. Ich bin zwar nicht wirklich enttäuscht, aber auch nicht begeistert. Daher vergebe ich wegen der guten Idee und der angenehmen Sprache drei

Bewertung vom 27.06.2022
Der Mann in den Dünen
Johannsen, Anna

Der Mann in den Dünen


ausgezeichnet

Menschen verschwinden. Ältere Menschen verschwinden. Schwerreiche Menschen verschwinden. Reinhardt Dormann ist 79 Jahre alt, Reeder aus Hamburg und verschwindet am hellichten Tag am Strand von Sylt. Damit beginnt Anna Johannsens neues Buch „Der Mann in den Dünen“. Es ist der erste Fall für Kriminalhauptkommissarin Lena Lorenzen nach ihrer Elternzeit (insgesamt aber schon der neunte Teil der „Inselkommissarin“-Reihe) und sie und ihr Kollege Johann Grasmann stoßen auf ungeahnte Schwierigkeiten. Denn die Kinder des Verschwundenen sind nicht wirklich hilfreich bei den Ermittlungen und nach und nach tauchen Dinge auf, die das Leben des Reeders wenig harmonisch erscheinen lassen, aber reichlich Potential für einen spannenden bieten, vor allem, als nach kurzer Zeit Blutspuren am Strand gefunden werden.
Aber von vorn.
Reinhardt Doormann, Reeder im Ruhestand, geht jeden Tag mit seinem Hund Hermann am Strand spazieren. Als der 79-Jährige nach einigen Stunden nicht zurückgekehrt ist, informieren Angehörige die Polizei und Lena Lorenzen und ihr Kollege Johann Grasmann beginnen mit ihren Ermittlungen. Parallel dazu sucht ein Team aus Freiwilligen nach dem rüstigen Rentner. Als sein Hund erschossen und vergraben aufgefunden wird und in der Nähe auch seine Brieftasche auftaucht, wird immer klarer, dass Doormann sich nicht einfach nur verlaufen hat. Ermittlungen im Familienkreis gestalten sich schwierig, die drei Kinder (zwei eheliche und ein uneheliches) sind nicht wirklich kooperativ nur sehr eingeschränkt bereit, der Polizei zu helfen. Nur zögerlich gibt Marc Doormann, der älteste Sohn des Reeders und CEO der Reederei, zu, dass die Firma seit längerem von militanten Umweltschutzorganisationen bedroht wird. Er hat die Drohungen nie ernst genommen – steckt eine der Organisationen hinter dem Verschwinden des Seniorchefs? Und dann verschwindet auch noch Walter Rubert, der eine Mischung aus Hausmeister und Leibwächter von Reinhardt Doormann ist. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und ein Kampf gegen die Mauern aus Schweigen, die die Kinder des Verschwundenen bauen.
Ich kannte die Autorin von den Büchern ihrer „Enna-Andersen-Reihe“ und mag ihren geradlinigen Stil sehr gerne und schätze die Bodenständigkeit ihrer Geschichten. Ihre Sprache ist alltagsnah und kommt fast gänzlich ohne Kraft- und Fäkalausdrücke aus, was ich als äußerst angenehm empfinde. Die Autorin schafft es, die Spannung im Verlauf des Buchs stetig zu steigern, in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen flicht sie Episoden aus dem Privatleben ihrer Protagonistin ein. Diese ist nach der Elternzeit wieder zurück im Beruf und sie ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über ihren Einsatz („Ich habe ihr gesagt, dass ich rausmuss aus dem Büro.“) und der Tatsache, dass sie ihren kleinen Sohn Bent und ihren Mann Erck sehr vermisst. Diese Passagen bieten der Leserschaft eine wohltuende Verschnaufpause in der sonst hohen Spannungskurve.
„Der Mann in den Dünen“ ist ein solider Krimi mit aktuellem Bezug (unter anderem geht es um CO2-Emissionen im Allgemeinen und von Frachtschiffen im Besonderen und die Radikalisierung von Umweltschützern). Er ist angenehm zu lesen, die Spannungskurve ist hoch, es gibt einige Verdächtige, sodass ich Spaß am Miträtseln hatte – alles in allem bietet das Buch also alles, was die Herzen von Krimifans erfreut. Es ist mir ein Rätsel, wie mir die Serie bislang entgehen konnte. Von mir daher natürlich fünf Sterne und eine klare Lese-Empfehlung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.06.2022
Die Gottesmaschine
Kleindl, Reinhard

Die Gottesmaschine


gut

Die Idee hinter „Die Gottesmaschine“ von Reinhard Kleindl hat mich als Agnostiker sehr angesprochen: ein mathematischer Beweis der Existenz Gottes, das Thema interessiert mich enorm. Herausgekommen ist für mich aber ein eher halbgarer Thriller vor der malerisch-gruseligen Kulisse eines abgelegenen Klosters und eine Geschichte, die mich abwechselnd an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ und Dan Browns Robert-Langdon-Reihe erinnerte. Knackige Episoden mit packender Spannung wechselte sich für mich mit langatmigen Passagen ab, sodass mich das Buch letzten Endes nicht wirklich begeistern konnte.
Aber von vorn.
Der römische Weihbischof Stefano Lombardi ist auf Einladung seines alten Freundes Alessandro Badalamenti im abgelegenen Kloster L’Archange Michel nahe dem Montblanc. Im Kloster geht es allerdings weniger um ora et labora oder das benediktinische Credo „Ora et labora et lege“ (bete, arbeite und lies), sondern mehr um wissenschaftliche Forschung. Genauer gesagt: die Schaffung eines Quantencomputers, mit dem sich die Geheimnisse der Schöpfung ergründen, und damit auch die Existenz Gottes beweisen lassen. An der Forschung beteiligt ist Bruder Sébastian, der Ziehsohn von Lombardis Freund Badalamenti. Als dieser ermordet im Computerraum aufgefunden wird, beginnt einerseits die Jagd nach dem Mörder, andererseits aber auch die Suche nach der Entdeckung, die der Mönch gemacht hat. Oder haben soll. Auf jeden Fall versucht irgendjemand, die Entdeckung genauso verzweifelt geheim halten zu wollen, wie andere versuchen, den Mörder zu finden. Eine wilde Jagd durch alte Gemäuer beginnt.
Die Geschichte begann für mich spannend und packend, sodass ich leicht ins Geschehen eintauchen konnte. Die wissenschaftlichen Aspekte fand ich spannend, die (mathematik-)historischen Elemente gut verständlich und sehr interessant dargebracht. Trotzdem lässt mich das Buch eher unbefriedigt zurück. Der Autor selbst hat theoretische Elementarteilchenphysik studiert und sein Diplom mit Auszeichnung gemacht – die wissenschaftliche Seite des Buchs hat also Hand und Fuß. Aber weder sprachlich noch formal konnte es mich wirklich begeistern, da hatte ich etwas anderes erwartet.
Zwar besticht die Geschichte durch eine Menge (sicherlich korrekter) Informationen und eine sehr gute Idee, schwächelt aber bei der Umsetzung sowohl in puncto Handlung als auch bei der Ausarbeitung der Charaktere. Diese bleiben eindimensional und ohne jegliche Tiefe, selbst der Protagonist blieb blass und unnahbar, von den anderen Charakteren möchte ich gar nicht erst reden. Dabei hätte vor allem die Figur Lombardis ein immenses Potenzial geboten, das der Autor meiner Meinung nach verschenkt.
Sprachlich konnte mich das Buch ebenfalls nicht begeistern. Zwar ist es einerseits flüssig zu lesen, aber es besteht ein für mich zu krasser Kontrast zwischen den wissenschaftlichen Passagen und dem Rest, der auf mich sehr umgangssprachlich wirkt. Da zeigt der Autor zwar großes Wissen, aber wenig Fingerspitzengefühl für Sprache und hat mich nicht wirklich angesprochen. Die vielen zum Teil sehr kurzen Kapitel enden zum Teil mit einem Cliffhanger. Das sorgte zwar einerseits für ein sehr hohes Erzähltempo, was aber oft durch „verkopfte“ Passagen ausgebremst wurde. Dadurch entstand für mich statt des einheitlichen Spannungsbogens eher eine Sinuskurve und auch die Geschichte an sich wird, statt linear zu verlaufen, eher zum reichlich unrunden Flickenteppich, gewebt aus eine Menge Geheimniskrämerei, einem Mord und einer wilden Mischung aus Religion, Philosophie und Wissenschaft mit einer Prise Misstrauen gegen alle und jeden.
Alles in allem hat das Buch mich zwar gut unterhalten und ich habe eine Menge Neues gelernt, kommt aber über ein „okay“ nicht hinaus. Der Autor hat meiner Meinung nach zu viel gewollt und sich stellenweise verrannt und alles wird zu einem eher mauen Abklatsch von Dan Brown oder David Baldacci. Von mir 2,5 Sterne, aufgerundet auf 3.

Bewertung vom 21.06.2022
Meeressarg / Fabian Risk Bd.6
Ahnhem, Stefan

Meeressarg / Fabian Risk Bd.6


ausgezeichnet

Kurz gesagt: „Meeressarg“ war mein erstes Buch von Stefan Ahnhem – aber ganz sicher nicht mein letztes. Da ich in vielen Rezensionen gelesen habe, man könne den sechsten Band um den schwedischen Polizisten Fabian Risk nur mit Vorkenntnissen aus den anderen Teilen der Serie lesen und verstehen, war ich sehr unsicher und habe mir bei meinem dänischen Streaming-Anbieter auch schon die anderen fünf Teile besorgt, aber meine Befürchtungen haben sich als unnötig herausgestellt. Ja, vielleicht hätten mir Vorkenntnisse mehr Einblick gegeben, vor allem, da Fabian Risk in „Meeressarg“ keine so große Rolle spielt, aber meine Begeisterung für das Buch ist auch so groß und ich werde auf jeden Fall die anderen Bücher des Autors auch noch lesen.
Eher zufällig finden zwei Paddler einen versenkten Mercedes mit zwei Leichen im Hafenbecken von Kopenhagen. Der Mann auf dem Fahrersitz stellt sich als hoher Beamter heraus, die junge Frau auf dem Rücksitz ist nackt und kann zuerst nicht identifiziert werden. Während der Mann offenbar erschossen wurde, weist sie Würgemale am Hals auf. Der junge Ermittler Jan Hesk wird mit der Leitung der Ermittlungen betraut, aber nicht, weil er der beste Mann für diese Aufgabe ist, sondern eher das Gegenteil. Denn nach und nach kommen die Verstrickung seines Vorgesetzten Kim Sleizner in kriminelle Machenschaften ans Licht und dieser hat die Hoffnung, dank eines eher unerfahrenen Kollegen wieder mal unbehelligt aus der Sache rauszukommen. Aber ihm sind bereits andere auf den Fersen: die ehemalige Polizistin Dunja Hougard ermittelt privat mit ein paar Helfern gegen ihn und möchte ihm endlich das Handwerk legen. Denn Sleizner steckt bis über beide Ohren in einem Sumpf aus Korruption und Gewalt. Und dann kommt auch noch Fabian Risk aus Schweden nach Kopenhagen und hat den Tod seines Sohnes in einem dänischen Gefängnis zu verarbeiten. Hat Sleizner damit auch etwas zu tun? So ganz kann Risk nämlich die Geschichte vom Selbstmord des 16jährigen Theo nicht glauben. Und sehr schnell schaukelt sich alles hoch und die Situation wird für einige der Beteiligten lebensgefährlich.
Und für die Leserschaft vor allem gegen Ende unerträglich spannend, zumindest ging es mir so. Während ich am Anfang noch gerätselt habe, wo mich das Buch wohl hinführen wird und die Spannung ein bisschen brauchte, um sich aufzubauen, so war ich nach etwa hundert Seiten komplett in der Geschichte gefangen und konnte das Buch kaum noch aus der Hand legen. Die verschiedenen Handlungsstränge mit den unterschiedlichen Perspektiven finde ich sehr clever miteinander kombiniert, was dem Spannungsbogen zusätzlich zugutekommt. Die Charaktere finde ich gut ausgearbeitet, wobei das Buch für mich keinen wirklichen Protagonisten hat, eher ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Unterschiedliche Charakterzüge wie die Naivität von Jan Hesk (er freut sich so sehr über seinen ersten eigenen Fall und dass er nicht merkt, dass ihn sein Chef nur als trotteliges Mittel zum Zweck sieht), die Verbissenheit von Dunja Hougard und Fabian Risk (sie sind auf einem Rachefeldzug gegen Kim Sleizner und möchten ihn zur Strecke bringen, wobei Fabian Risk dazu noch um seinen Sohn trauert) bieten einen interessanten Kontrast. Dazu dann auch noch Kim Sleizner, „ein durch und durch böser Mensch“ – das alles gibt dem Thriller auch noch eine gewisse psychologische Note.
Sprachlich fand ich das Buch gut zu lesen, allerdings sind ein paar Dialoge auf Englisch, was mich persönlich nicht gestört hat. Die dänischen Namen von Straßen und Stadtteilen brachten mich zum Schmunzeln, da mein bester Freund in Kopenhagen wohnt. Ja, das Ende ist vielleicht ein bisschen sehr vorhersehbar und manche Szenen sind eventuell zu brutal ausgearbeitet. Aber es ist ein Thriller und damit musste ich rechnen. Für den hohen Spannungsfaktor und die clever psychologische Komponente und die gute Unterhaltung, die mir das Buch geboten hat, vergebe ich fünf Sterne und mache mich jetzt an die Lektüre der anderen Teile der Rei

Bewertung vom 17.06.2022
Hier geht's lang!
Heidenreich, Elke

Hier geht's lang!


ausgezeichnet

Um Elke Heidenreichs Buch „Hier geht’s lang“ eine lohnende Lektüre zu finden, muss man die Autorin nicht mögen. So ging es mir auf jeden Fall. Es war mein erstes Buch der Autorin und ich denke ernsthaft darüber nach, noch mehr von ihr zu lesen. Denn die Reise durch ihr Leben anhand der Bücher, die sie im entsprechenden Lebensabschnitt gelesen hat, hat mich nicht nur gut unterhalten, ich habe mich in vielem wiedergefunden.
Aber von vorn.
Elke Heidenreich ist inzwischen fast 80 Jahre alt, wuchs in einem Haushalt mit nur wenigen Büchern auf, und trotzdem weist unsere literarische Playlist einige Parallelen auf („Ich suchte mir meine Freunde, Geschwister, Familie in den Geschichten.“). Bei mir liegt es übrigens daran, dass mein kindlicher Lesegeschmack durch meine Oma (Jahrgang 1913) geprägt wurde. So lasen Elke Heidenreich und ich nicht nur Enid Blytons Abenteuergeschichten, sondern auch Margot Trotts „Försters Pucki“, Else Urys „Nesthäkchen“ und Emmy von Rhodens „Trotzkopf“. Und natürlich dürfen auch Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf in diesem Reigen nicht fehlen. Fazit: unsere Kindheiten waren (abgesehen von Karl May) überwiegend von weiblichen Autorinnen geprägt. „Mädchen konnten ruhig auch Jungsbücher lesen, aber nie hätte man einen Jungen mit einem ausgewiesenen Mädchenbuch erwischt.“ Wir bekamen also „brave Mädchen“ und wilde Jungs in Buchform vorgesetzt und mussten unseren eigenen Weg finden. Literarisch und persönlich.
Obwohl unsere Herangehensweise an Bücher völlig verschieden ist, führten unsere Wege uns nach den Kinderbüchern zuerst einmal zu Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun“. Während ich dann aber eher in der Trivialliteratur verblieb, begann sie ein Germanistikstudium, las die wichtigen Werke der Weltliteratur, wurde Literaturkritikerin und Moderatorin und liest, anders als ich, „ernsthaft“. Und dennoch fühlte ich mich mit ihrem Buch irgendwie verstanden. Die Wandlung, die das Lesen im Laufe eines Lebens erfährt („Als Kind liest man neugierig und entdeckt die Welt, dann sucht man sich selbst, dann das unbegreiflich Andere, man liest aus Pflicht, aus Bildungshunger, aus Unterhaltungslust.“), dass Bücher in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich gedeutet werden („Um manches zu verstehen, braucht man eine gewisse Erfahrung.“) und dass ein Roman, von dem man in der Pubertät denk „Der handelt ja von mir!“ zwanzig Jahre später ein völlig andere Buch sein kann („es ging überhaupt nicht um mich!) – die Erfahrung hat wohl jeder Lesende schon gemacht.
Andere ihrer Erfahrungen kann ich nicht teilen. So ist mir das Geschlecht eines Verfassers nach wie vor völlig egal, ich kann mich mit jeglichem (gut beschriebenen) Protagonisten identifizieren und kann mich in die Geschichte einleben, egal, ob Verfasser oder Protagonist weiblich oder männlich gelesen sind. Aber natürlich kann ich jeden verstehen, dem die Sichtbarkeit der Frauen in der Weltliteratur ein Anliegen ist. Ich habe bei der Lektüre von „Hier geht’s lang“ aber mein Haupt-Augenmerk weniger auf den Feminismus denn auf Elke Heidenreichs Leben und ihre Leseliste gelegt – und beides hat mich angesprochen. Vor allem ihre Aussagen zur dänischen Autorin Tove Ditlevsen trafen bei mir einen Nerv.
Auch sprachlich fand ich ihr Buch sehr ansprechend, locker und bis auf ein paar sehr spezielle Ausdrücke (Was sind denn eigentlich „Norwegerstöcke?“ – ich kenne höchstens Nordic Walking Stöcke) sehr bodenständig geschrieben und leicht zu lesen. Das „Ausrichten“ ihrer Lebensgeschichte an der Literaturliste fand ich gelungen und ich habe diese besondere Art der Autobiografie sehr gerne gelesen, vor allem auch, weil ich ihre absolute Liebe zur Literatur in jeder Zeile herauslesen konnte. Daher vergebe ich fünf Sterne und empfehle es gerne weiter.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.06.2022
Die Tochter des Präsidenten
Clinton, Bill;Patterson, James

Die Tochter des Präsidenten


ausgezeichnet

Nach „The president is missing“ haben Bill Clinton und James Patterson mit „Die Tochter des Präsidenten“ ihren zweiten gemeinsamen Politthriller vorgelegt, sonst haben die beiden Bücher allerdings nichts miteinander zu tun. Zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt, sieht sich der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten Matthew Keating der Rache eines alten Bekannten ausgesetzt. Da er seinerzeit den Angriff befohlen hat, bei dem Frau und die drei Töchter von Asim al-Aschid zu Tode kamen, schlägt dieser nun zurück und befiehlt die Entführung von Keatings 19jähriger Tochter Mel. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Aber von vorn.

Von vorn? Nein. Das war’s nämlich. Das Buch besteht einerseits aus der Entführung von Mel Keating durch einen islamistischen „Achse des Bösen“- Terroristen, politischem Machtgeplänkel zwischen dem ehemaligen Präsidenten und seiner Nachfolgerin und irgendwie mischt auch der chinesische Machthaber mit. Die amerikanische Seite ist die strahlend gute, der Rest ist Böse – da gibt es nichts dazwischen. Dieses schwarz-weiß mit der Glorifizierung der amerikanischen Streitkräfte („»… der heutige nächtliche Einsatz von Kräften der United States Navy erfolgte auf meinen Befehl und wurde in ihrer typischen Art hervorragend und tapfer ausgeführt. […] Die Navy hat Vorbildliches geleistet und ihren Auftrag glänzend ausgeführt.«“) störte mich an manchen Stellen und ist aus praktisch jedem amerikanischen Thriller bekannt. Wie oft haben wir schon einen (ehemaligen) US-Elite-Soldaten erlebt, der die Welt retten muss? Da erfinden auch James Patterson und Bill Clinton das Rad nicht neu. Aber, wie schon mein ehemaliger Dozent sagte: jede Geschichte wurde schon einmal erzählt, aber aus einem anderen Blickwinkel.

Alleinstellungsmerkmal an diesem Thriller ist daher eindeutig der Einblick, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton in die Vorgänge im Oval Office gibt. Diese fand ich sehr authentisch und berührend, manchmal menschelt es sehr, im positiven wie auch im negativen Sinne. So hat Matt Keating es nicht leicht, von seiner Nachfolgerin Unterstützung bei der Suche nach seiner Tochter und deren Rettung zu bekommen. Politische Machtspielchen sind da an der Tagesordnung. Sicherlich sehr realistisch, denn nach der Wahl ist immer vor der Wahl. Und „Die Wähler mögen keine F**kups“, wie der Mann von Keatings Nachfolgerin konstatiert. Diese Einblicke fand ich sehr spannend, spannender als die Entführungsgeschichte an sich, denn die fand ich zu abgedroschen und ausgelutscht. Ach ja, der Mann von Pamela Barnes nennt Samantha, Keatings Ehefrau eine „B**ch*, was mich direkt zur Sprache bringt, die das Buch ausmacht.

Sie ist einfach, derb und manchmal so simpel wie die Geschichte an sich. Die Charaktere fand ich ebenfalls nicht wirklich gut ausgearbeitet, sie bestechen eher dadurch, dass sie stereotyp und plakativ sind und jedes Klischee bedienen, sei es Rassismus oder Misogynie. Wirklichen Tiefgang haben nur die Protagonisten, den Rest kann man getrost unter "ferner liefen" verbuchen. Punkten konnte das Autorenduo bei mir zwar mit den zahlreichen verschiedenen Erzählperspektiven, aber auch das konnte bei mir die Spannung nicht wirklich aufbauen. Der Schluss hat mich nicht überrascht, natürlich war er stimmig, aber insgesamt zu vorhersehbar. Dabei hätte die Geschichte trotz ihrer Abgedroschenheit Potential geboten, das auszuschöpfen hätte ich von James Patterson eigentlich erwartet. Aber er und sein Co-Autor hangeln sich an Bewährtem entlang und dann kommt auch nur Altbekanntes heraus: ein Buch, das über ein „unterhaltsam“ nicht hinauskommt und von mir daher 2,5 Sterne bekommt, aufgerundet auf drei. Trotz allem könnte ich mir das Buch als Film sehr gut vorstellen, bei Matthew Keating hatte ich auf jeden Fall immer den jungen Harrison Ford in „Air Force One“ vor dem inneren Auge.

Bewertung vom 07.06.2022
Schliemann und das Gold von Troja
Vorpahl, Frank

Schliemann und das Gold von Troja


ausgezeichnet

Ja, ich gebe es zu: ich habe trotz der Bemühungen meines Vaters von Homer noch nie mehr als ein paar Seiten gelesen und Schwabs „Die Sagen des klassischen Altertums“ gingen mehr oder weniger vollständig an mir vorbei. Durch Frank Vorpahls „Schliemann und das Gold von Troja“ habe ich gehofft, ein bisschen mehr Zugang zu den „ollen Griechen“ zu bekommen. Fan werde ich auf meine alten Tage wohl keiner mehr, aber gelernt habe ich einiges über Schliemann, sein Leben, seine Persönlichkeit und seine Projekte. Das Buch war unterhaltsam, informativ und manchmal sogar spannend – die Lesezeit war auf jeden Fall nicht vergeudet.
Aber von vorn.
Heinrich Schliemann hat es geschafft. Durch Fleiß, Ehrgeiz, (Sprach-)Begabung und ein Quäntchen Glück wurde er vom Kaufmannsgehilfen erst zum erfolgreichen internationalen Geschäftsmann, dann zum autodidaktischen Archäologen, der es sogar schafft, ohne Abitur in Archäologie zu promoviert zu werden. Er war ein wissensdurstiger und lernhungriger Weltenbummler mit einem sehr großen Ego – und mir dadurch reichlich unsympathisch. Frank Vorpahl beschreibt, wie Schliemann im Selbststudium mehrere Fremdsprachen lernte, wenn auch sein Altgriechisch wohl eher zu wünschen übrigließ. Er schrieb auf seinen Reisen sein Tagebuch immer in der jeweiligen Landessprache, ein polyglottes Wunderkind eben. Trotz des Ehrgeizes und der großen Geldsummen, die Schliemann in seine archäologischen Forschungen steckte, kam er aber, und das wird in Vorpahls Buch sehr deutlich, über den Status des enthusiastischen Dilettanten nicht hinaus. Und der Rest ist Geschichte: Schliemann fand 1873 in „seinem“ Troja etwas, das er den „Schatz des Priamos“ nennt, inklusive der „Maske des Agamemnon“. Die Funde sind älter als Homers Troja, daher sind sie bis heute umstritten, ebenso ist die Frage, wem die Schätze denn nun gehören (Deutschland, dem Schliemann sie geschenkt hat, Russland, da sie im zweiten Weltkrieg erbeutet hat, oder der Türkei, woher sie ursprünglich stammen?) immer noch ungeklärt.
Alles in allem war die Suche nach dem Schatz von Troja auf jeden Fall spannend und wird meiner Meinung nach von Frank Vorpahl, trotz der Masse an durch Fußnoten belegten Informationen, ab etwa der Hälfte des Buchs sehr mitreißend erzählt. Es ist auch eine gekonnte Beschreibung von Schliemanns Leben und seiner Persönlichkeit. Diese war durch sein stetiges Streben nach Anerkennung geprägt, seiner Besessenheit ordnete er sowohl Familie als auch Gesundheit unter. Er war ein Getriebener, ein Enthusiast und ein wissenschaftlicher Dilettant, der sich bei seinen Forschungen an literarischen Quellen wie der Ilias und der Odyssee von Homer orientierte. Durch die Schlusskapitel schafft Vorpahl den Brückenschlag zum Heute, der politischen Debatte um Beutekunst und Kompensationsforderungen und damit nach dem Ausflug ins Abenteuerliche auch wieder die Rückkehr auf den Boden der Wissenschaft. Denn auch heute wird noch an den Funden von Troja geforscht, vor allem zur Herkunft der Rohstoffe, aus denen die Preziosen gefertigt wurden.
Eine informative Lektüre mit reichlich quellenbasierten Fakten über einen Mann und sein Lebenswerk, wobei letzteres bis heute in der Fachwelt umstritten ist. Zahlreiche Bilder bereichern den Text. Sprachlich fand ich ihn ausgewogen, teils wissenschaftlich, teils aber auch flott und eher wie einen Abenteuerroman. Für mich als Laien auf jeden Fall ein großartiges Buch, für das ich gerne fünf Sterne vergebe.

Bewertung vom 02.06.2022
Die Hohenzollern und die Nazis
Malinowski , Stephan

Die Hohenzollern und die Nazis


ausgezeichnet

Als jemand, der am Fuß von Burg Hohenzollern in Hechingen aufgewachsen ist, hat mich „Die Hohenzollern und die Nazis“ von Stephan Malinowski natürlich sehr interessiert. Und, obwohl es ein Sachbuch ist, hat mich das Buch von der ersten Seite in seinen Bann gezogen. Viel wusste ich über den örtlichen Adel abgesehen von den Besuchen ihrer Burgen in Hechingen und Sigmaringen nicht. Und da ich nicht dabei war und kein Historiker bin, muss ich mich drauf verlassen, dass es stimmt, was Stephan Malinowski schreibt, schließlich hat er jahrelang recherchiert. Daher kann und möchte ich auf den Wahrheitsgehalt seines Buchs nicht eingehen. Fakt ist aber, dass er seine Thesen mit zahlreichen Quellen untermauert. Herausgekommen ist ein lesenswertes Buch über Adel, antidemokratische, antisemitische, reaktionäre und national(sozial)istische Gesinnungen, Geltungssucht und rücksichtsloses Machtstreben.
Aber von vorn.
Der Streit des Hauses Hohenzollern um Entschädigungen für die Besitztümer, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland, also der Sowjetisch Besetzten Zone, enteignet worden sind, zieht sich nun schon seit 2014 und die Debatte zieht weite Kreise, auch in den Medien. Einer der Gutachter in der Sache ist der Historiker Stephan Malinowski, der im Auftrag des Landes Brandenburg beleuchten sollte, ob und inwiefern Wilhelm Kronprinz von Preußen seinerzeit dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet hat (Titel: „Gutachten zum politischen Verhalten des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm Prinz von Preußen (1882-1951)“). Das Gutachten wurde vom Haus Hohenzollern angefochten, das Malinowski (und in anderen Zusammenhängen einige seiner Kollegen) anzeigte. Seine Ergebnisse konnten dem Adelsgeschlecht natürlich nicht gefallen, denn der Historiker kam zum eindeutigen Schluss, dass die Hohenzollern nicht nur nichts gegen den Vormarsch der Nationalsozialisten tat, sondern sogar vielmehr ein „Werbeträger“ für die Nazis war. Schließlich hatte man eines ganz sicher gemeinsam: die Ablehnung der Republik, wobei das Haus Hohenzollern natürlich auf eine Wiederkehr der Monarchie hoffte.
Auch wenn das Haus Hohenzollern mit autorisierten Texten in der Zeit nach 1945 immer wieder versucht hat, die Weste weiß zu waschen und das öffentliche Image aufzupolieren, so zeichnet Stephan Malinowski ein anderes Bild der drei Generationen von 1918 bis heute. Pointiert, brillant und manchmal fast süffisant schreibt er in seinen sechs Kapiteln erst über sehr viel Privatleben, dann aber über „Paktieren“, ja sogar von „Anbiederung bei den Nazis“. Später wurde die Rolle relativiert und als „unbedeutend“ („Der Einfluss des insgesamt unbedeutenden Kronprinzen habe nur einen kurzen Zeitraum umfasst“) dargestellt, in den 1950er Jahren entstand sogar das Narrativ, die Hohenzollern seien ein Teil des Widerstandes gewesen. In seinem Buch stützt sich Malinowski aber überwiegend auf historische Quellen, die die Außenwirkung der Hohenzollern zeigen. Er zitiert Zeitungsartikel und Veröffentlichungen aus dem In- und Ausland, die ihre Nähe zu den Nazis nach 1933 aufzeigen. Bei der Lektüre stellt man fest, dass die Beziehung eine symbiotische war, denn beide Seiten hatten mehr gemeinsam, als die Hohenzollern heute sehen wollen und beide wollten von ihrer Kollaboration auf ihre Weise profitieren.
Wohlformuliert und für ein Sachbuch sehr verständlich geschrieben, zerlegt der Autor die Geschichte der Hohenzollern in ihre (nachweis- und nachvollziehbaren) Einzelteile und zerlegt damit größtenteils ihr Narrativ. Das Hühnchen, das er selbst wegen der Strafanzeige mit den Adligen zu rupfen hat, und das seine Ausführungen vorurteilsbelastet machen könnten, erwähnt er erst gegen Schluss, wo er auf seinen eigenen juristischen Streit mit der Familie eingeht. Sonst bleibt er ausschließlich auf dem Boden der Fakten. Für mich war das Buch eine lohnende und aufschlussreiche Lektüre, die ich für Geschichtsinteressierte gerne weiterempfehle. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 24.05.2022
Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3
Benedict, Marie

Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3


gut

Elf Tage war Agatha Christie im Dezember 1926 verschwunden, das Geheimnis ihres Verschwindens nimmt sie mit ins Grab, sie klärt zu Lebzeiten nie auf, wieso sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Marie Benedict liefert mit „Mrs. Agatha Christie“ eine fiktionale Erklärung, die mich zwiegespalten zurücklässt. Der dritte Teil ihrer Reihe „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte“ liefert einerseits eine stimmige Erklärung und es könnte damals tatsächlich so abgelaufen sein, andererseits fand ich das Buch aber nicht wirklich gut. Die Handlung mäandert reichlich spannungsarm vor sich hin und zieht sich stellenweise wie Kaugummi. Ich bin beileibe kein Fan der Romane von Agatha Christie und außer den Verfilmungen bekam ich nie Zugang zu den Krimis – daran hat sich auch durch Marie Benedicts Buch nichts geändert.
Das Buch wird in zwei erst zeitlich weit auseinanderliegenden Handlungssträngen erzählt, die einander nach und nach annähern: auf der einen Seite die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden (aus Agathas Sicht in der Ich-Form) ab ihrem ersten Treffen 1912, auf der anderen Seite das, was während des elftägigen Verschwindens passiert (aus der Sicht eines neutralen Erzählers). Die Kapitel wechseln sich im ersten Teil ab, der zweite Teil besteht ausschließlich aus „Gegenwart“ und der letztendlichen Auflösung des „Krimis“.
Den „Vergangenheits-Erzählstrang“ finde ich informativ und packend. Ich habe mitgefiebert, als Agatha Miller bei einem Ball auf den Air Force-Piloten Archibald Christie trifft und sich in ihn verliebt. Auch die Wette zwischen ihr und ihrer Schwester, ob es ihr gelingen könnte, einen Kriminalroman zu schreiben, fand ich sehr spannend. Ihre devote Haltung gegenüber ihrem Mann war anfangs etwas verstörend, die Protagonistinnen ihrer eigenen Romane sind da wesentlich emanzipierter. Aber die Wandlung der Einstellung der Eheleute zueinander von und „Ich verspreche dir, dass du bei mir immer an erster Stelle kommen wirst. Niemand anders als du. Nicht einmal dieses Baby.“ und „Du bedeutest mir alles“ hin zu „Hör auf zu betteln, Agatha. Das macht dich nur noch unattraktiver, als du ohnehin schon bis“ ist wirklich interessant zu verfolgen.
Für mich ist der erste Handlungsstrang auf jeden Fall spannender als der zweite, die Ermittlungen der Polizei im Vermisstenfall, die ich einfach nur schrecklich langatmig fand und die nie wirklich von der Stelle kamen. Mit diesen Abschnitten wollte ich irgendwann einfach nur noch zum Ende kommen und letztendlich habe ich das Interesse an der Auflösung des Falls verloren. Der Schluss ist stimmig und plausibel, kommt mir aber einerseits zu abrupt, andererseits aber dauerte der Weg dahin durch die schleppend verlaufende Suchaktion, die zahlreichen Wiederholungen und die vielen Längen viel zu lang.
Die Charaktere des Buchs fand ich nicht besonders dreidimensional ausgearbeitet. Sie waren für mich, obwohl sicherlich zum Teil authentisch beschrieben, zu wenig greifbar. Vor allem Agatha Christie, die devote Ehefrau, zerrieben zwischen der Liebe und Fürsorge Mann, Kind und Mutter und ihrer Leidenschaft fürs Schreiben, konnte bei mir nicht punkten. Sprachlich fand ich das Buch sehr gut und flüssig zu lesen, wodurch es für mich nicht zu einer kompletten Enttäuschung wurde, aber leider über ein „unterhaltsam“ und „kann man lesen, muss man aber nicht“ nicht hinauskommt. Für mich hat die Autorin es auf jeden Fall nicht geschafft, Biografie und Roman, Fakten und Fiktion zu einer wirklich gelungenen Einheit zu verbinden, von mir daher drei Sterne.