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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 15.05.2024
Joseph Süßkind Oppenheimer
Erdtmann, Raquel

Joseph Süßkind Oppenheimer


sehr gut

Wer, wenn nicht eine Gerichtsreporterin, könnte diese Geschichte erzählen. Die Geschichte des Juden Joseph Süs Oppenheimer, der 1738 nach einem Schauprozess hingerichtet wurde und später als literarische Figur „Jud Süß“ unter anderem durch Lion Feuchtwanger Berühmtheit erlangte.
Akribisch recherchierte Details, aufwändig nachgezeichnete Lebenswege und erschütternd deutliche Beschreibungen der Judenfeindlichkeit zeichnen dieses Buch aus. Raquel Erdtmann schildert das Leben des Mannes, der seiner Zeit um einige Jahrhunderte voraus war, der sich nicht verbiegen lassen wollte und der sich weder den Vorschriften noch den Einschränkungen, die den Juden auferlegt waren, beugen wollte.
Kein Wunder also, dass er sich gerade bei denen unbeliebt machte, die diese Vorschriften aufgestellt hatten. Joseph Süs Oppenheimer war erfolgreicher Unternehmer, der weit modernere Methoden der Buchführung, der Finanzverwaltung und der Finanzkontrolle anwendete, als damals üblich war. Er wurde schließlich Finanzrat des Herzogs von Württemberg, ein Amt, das er nicht wollte und das er am Ende mit dem Leben bezahlte.
In die Lebensgeschichte Oppenheimers flicht die Autorin immer wieder Hintergrundinformationen über jüdisches Leben, jüdische Riten und Gebräuche ein. Sie beschreibt die Umstände, unter denen Juden in den Gettos zu leben gezwungen waren, wie und wo sie arbeiten durften und welchen Anfeindungen sie ausgesetzt waren. Immer wieder setzt sich Oppenheimer darüber hinweg, so beispielsweise, als er in Frankfurt am Main sein Geschäftsgebäude weit außerhalb des Judenviertels bezieht und sein Unternehmen aufbaut.
Besonders unbeliebt macht er sich aber durch seine Unbestechlichkeit und seinen vehementen Kampf gegen Korruption und Ämtermissbrauch. All das lassen ihn seine Gegner büßen, als der Herzog stirbt und er so dessen Schutz verliert. Oppenheimer kommt in Haft, unter unmenschlichen Bedingungen, doch weder seinen Stolz noch seine Hoffnung auf Gerechtigkeit verliert er. Bis zuletzt, als seine Hinrichtung zu einem Spektakel wird.
Die Schilderungen des Prozesses, sein Vegetieren über viele Monate in dem verließartigen Gefängnis, sein Glauben an Gerechtigkeit und schließlich die unmenschliche Dreistigkeit, mit der eben dieser Gerechtigkeit Hohn gesprochen wurde während des Prozesses erschüttern sehr. Die Lektüre dieses Buches ist spannend wie ein Krimi, informativ und fesselnd, berührend und doch auch manchmal amüsant, wenn der Jude Oppenheimer den Katholiken und Protestanten gleichermaßen Hohn lacht. Raquel Erdtmann schreibt flüssig, oft mit einem Augenzwinkern, ohne zu beschönigen, aber auch ohne anzuklagen.
Keine leichte Lektüre, mit manchen Längen, aber ungemein interessant – auch, weil thematisch leider immer noch oder wieder aktuell.
Raquel Erdmann - Joseph Süßkind Oppenheimer
Steidl, April 2024
Gebundene Ausgabe, 272 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 13.05.2024
Wie Treibgut im Fluss
Wagner, Andreas

Wie Treibgut im Fluss


sehr gut

Ein Roman um Freundschaft und Trennung, um Tradition und Religion, um Aufbegehren und Unterordnen und um Familie und ihre Generationen.
Tief in die Vergangenheit blickt Ich-Erzähler Niklas, um die Geschichte seiner Familie zu ergründen. In der unausgesprochenen Hoffnung, dass sie ihm hilft, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen, seinem Sohn ein guter Vater zu sein.
Vor fast 300 Jahren beginnt die Geschichte, sie beginnt mit den armen Bauern im Hunsrück, die einer Schimäre nachjagen, als sie davon träumen, nach Amerika auszuwandern, nach Pennsylvanien. Gegen den Willen seiner Frau Catharina schließt sich Peter der Auswanderergruppe an. Doch sie kommen nicht weit. Die Niederlande lassen die Menschen nicht einreisen, nicht durchreisen zum Hafen. So landen sie am Niederrhein, können nicht vorwärts und nicht zurück, beginnen hier zu siedeln.
Das Leben ist hart und beschwerlich, weshalb die Sehnsucht nach einen besseren Leben, nach einem anderen Land bleibt. Zumal die Menschen aus dem Hunsrück nun hier zwischen Angehörigen einer anderen Religion leben, mit denen es keine Verbindung, keinen Austausch gibt. Protestanten und Katholiken begegnen einander voller Misstrauen, ein Zusammen, geschweige denn eine Freundschaft kann und darf es nicht geben.
Das bleibt über die Jahrhunderte so. Nur die kleine Ännie begehrt dagegen auf, als sie, das Protestantenmädchen die gleichaltrige Katholikin Josephine kennenlernt. Trotz aller Unterschiede, trotz aller Bestrafungen für ihr Vergehen, mit Katholischen zu reden und trotz einer langen und andauernden Trennung bleiben die beiden Mädchen in Verbindung, als junge Frauen, als Ehefrauen und Mütter, als alte Frauen, bis zum Tod. Nur zusammen dürfen und können sie nicht sein.
Josephine wird später die Großmutter des Ich-Erzählers Niklas, der ihre Geschichte erst erfährt, als sie gestorben ist. Sie hat sie ihm gewissermaßen hinterlassen.
Dieser historische Teil des Romans ist ausgesprochen spannend. Die Schicksale der Menschen zu verfolgen, ihren Kampf ums Überleben, mit Vorurteilen, mit Krieg und Armut, mit Rollenbildern und mit den eigenen Wertevorstellungen, ist hochinteressant und dieser Teil des Buchs ist auch sehr gut geschrieben.
Weniger spannend und auch weniger interessant ist der in der Gegenwart spielende Teil des Romans, in dem wir Niklas begleiten, der einen Tag mit seinem Sohn am Rhein verbringt, mit ihm an die Orte der damaligen Ereignisse wandert und währenddessen damit hadert, ob er ein guter Vater ist. Dass er seine Frau betrogen hat und daher seinen Sohn nur an bestimmten Tagen bei sich hat, belastet die Beziehung zu dem Jungen. So ist dieser Teil des Romans eher dröge, die Stimmung von Niklas nicht immer nachvollziehbar, wirkt oft wehleidig. Auch sein Umgang mit dem Vermächtnis seiner Großmutter verwirrt, wirkt unverständlich.
Dennoch ist das Buch als Ganzes unbedingt zu empfehlen, ein großer Roman voller faszinierender Figuren, der mir bisher nicht bekannte historische Ereignisse anschaulich beschreibt.
Andreas Wagner - Wie Treibgut im Fluss
Droemer, April 2024
Gebundene Ausgabe, 349 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 08.05.2024
Tagebuch einer Wasserleiche aus dem Canale Grande (eBook, ePUB)
Kruse, Tatjana

Tagebuch einer Wasserleiche aus dem Canale Grande (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine überstürzte Reise nach Venedig stürzt Astrid Vollrath kopfüber in ein wildes Abenteuer, mit geheimnisvollen Männern in Leinenanzügen, dubiosen Italienern mit verworrenen Familienverhältnissen und wenig vertrauenerweckenden Polizeibeamten.
Astrid besteigt einen Zug nach Venedig, nachdem sie ihren Lebensgefährten mit der Nachbarin erwischt hat. So ungeplant in dieser Stadt anzukommen, bringt es mit sich, dass man mühsam nach einer Unterkunft suchen muss. Doch mit viel Glück findet Astrid Unterschlupf bei Cesare und seiner Familie. Zu dieser gehören neben den sehr verschiedenen Söhnen und der sehr abweisenden Maria auch ein Becken voller Piranhas.
Während Astrid nun durch die Stadt ihrer Träume streift, begegnen ihr immer wieder Männer in hellen Leinenanzügen. Und in der Nähe ihrer Unterkunft wird eine männliche Leiche aus dem Canal Grande gezogen.
Als dann auch noch auf Astrid geschossen wird, Cesares jüngerer Sohn aus ihrer Obhut entführt werden soll und bedrohlich blickende Commissarios an der Tür klingeln, schwant es Astrid, dass es sich bei ihrer Herbergsfamilie vielleicht nicht um eine ganz gewöhnliche Familie handeln könnte.
Diese abstruse und herrlich absurde Geschichte ist so voller Tempo, dass man geradezu durch die Seiten rast. Die Figuren sind schlicht grandios absonderlich, der schweigende, aber künstlerisch hochbegabte Marco, Cesares Sohn, die ebenfalls schweigende, stets grimmig dreinschauende Maria oder die Polizeibeamten, die auch nicht alle so reine Westen haben wie sie sollten. Dazwischen die verpeilte Astrid, noch nicht ganz über das Ende ihrer Beziehung hinweg, geprüfte und leidenschaftliche Buchhalterin mit dem Herz auf dem rechten Fleck.
Wer nun warum welchen Dreck am Stecken hat, was es mit der Wasserleiche auf sich hat und welchen Job Astrid künftig ausüben wird, das erschließt sich nach und nach – und macht einen Heidenspaß. Am Ende ist man etwas außer Atem, wurde aber hervorragend unterhalten.
Tatjana Kruse - Tagebuch einer Wasserleiche aus dem Canale Grande
Haymon Verlag, März 2024
Klappenbroschur, 203 Seiten, 15,90 €

Bewertung vom 06.05.2024
Reichlich spät
Keegan, Claire

Reichlich spät


sehr gut

Die Bücher dieser irischen Autorin sind immer etwas ganz Besonderes. Bei ihr sitzt jedes Wort, jedes Bild ist präzise gewählt, jeder Satz eine Aussage, die in Erinnerung bleibt.
Das gilt natürlich genauso für dieses neue schmale Bändchen, das nicht mehr ist als eine Erzählung. Gerade einmal 55 mit großer Schrift bedruckte Seiten umfasst diese Geschichte, in der es um einen Mann und sein Frauenbild geht.
Wir begleiten diesen Mann auf dem Weg in seinen Feierabend, folgen seinen Gedanken während der Busfahrt, beobachten ihn beim Essen und Trinken. Und wir erleben seine Erinnerungen an die Frau, die er eigentlich an diesem Tag heiraten wollte.
Doch sie hat ihn verlassen, nur weiß er eigentlich bis heute nicht, warum. Während er sich an ihr Kennenlernen erinnert, an die Momente, in denen er sie nicht verstand, in denen sie seine Gewohnheiten, sein Weltbild durcheinanderbrachte, entsteht eine Vorstellung davon, wie eben dieses Weltbild aussieht.
Es sind kleine, normalerweise bedeutungslose Vorkommnisse, die zeigen, wie er aufwuchs, wie er erzogen wurde, welches Beispiel Vater und Bruder ihm boten. Gerade da gibt es diese eine Szene, die so schrecklich ist, dass man sie so schnell nicht wieder vergisst. Es ist vor allem diese Szene, die schonungslos zeigt, woher sein Frauenbild, sein Frauenhass – heute oft mit dem aus dem Altgriechischen stammenden, etwas inflationär genutzten Wort Misogynie bezeichnet – kommt.
So versteht man am Ende sehr wohl, warum die Frau ihn verließ, auch wenn sie das in seinen Augen „reichlich spät“ tat.
Diese Erzählung ist wieder so eindeutig Claire Keegans Stil, wunderbar geschrieben. Und dennoch ist es eben doch kein Roman, es ist wenig Raum für mehr Tiefe in den Figuren, für nuanciertere Charakterisierungen, für mehr Hintergrund. Doch natürlich bleibt auch so diese Geschichte lange im Kopf.
Claire Keegan - Reichlich spät
aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl, April 2024
Gebundene Ausgabe, 59 Seiten, 15,00 €

Bewertung vom 01.05.2024
Titel, Pitch und Exposé für Romane (eBook, ePUB)
Hille, André

Titel, Pitch und Exposé für Romane (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

So soll ein Ratgeber sein: kurz, knapp, bündig auf das Wichtige beschränkt, dieses aber angemessen darstellend. Dass man genau das hier in diesem Buch findet, sollte bei diesem Autor nicht überraschen.
André Hille ist nicht nur selbst Schriftsteller, sondern Gründer und Leiter der Autorenschule Textmanufaktur und der Literaturagentur Hille & Jung. Er war Lektor und unterrichtet Lektorat und Prosaschreiben an der Universität Leipzig.
Man darf also davon ausgehen, dass die Ratschläge, die er in diesem dünnen Band gibt, auf Erfahrung beruhen und zielführend sind. Es geht um die Texte, die Autorinnen und Autoren oft unter Qualen verfassen, die aber unerlässlich sind, sobald man das eigene Geschriebene veröffentlichen will.
Natürlich macht es dann einen gravierenden Unterschied, ob man dies im Selfpublishing tut oder einen Verlagsvertrag anstrebt. Im ersten Fall benötigt man weder Exposé noch Anschreiben, im zweiten Fall sind es gerade diese Dinge, die entscheidend sein können, dafür hat man dort, im Erfolgsfall, nicht immer Einfluss auf Titel oder Klappentext.
In dem Buch von Hille lernt man, was zu beachten ist bei der Suche nach dem Buchtitel, welche Rechte und Pflichten es gibt und was Titelschutz bedeutet.
Ein Teil des Ratgebers beschäftigt sich mit dem berühmten Pitch. Hille erläutert, wie man den USP seines Buches herausstellt, den „unique selling point – zu Deutsch das Alleinstellungsmerkmal. Das kann manches sein, das Thema, die Figur oder sogar die Autorin selbst, wenn sie sich beispielsweise durch besondere Kenntnisse zum Thema auszeichnet. Es ist dann wichtig, diese Punkte unbedingt herauszustellen, im Anschreiben und/oder im Exposé.
Der größere Abschnitt im Buch beschreibt die Aufgaben eines Exposés und die Anforderungen daran. Dabei muss natürlich unterschieden werden zwischen Sachbüchern und belletristischen Texten, um letztere geht es hier vor allem. Aber auch ein kurzes Kapitel zeigt die Besonderheiten bei Kurzgeschichten.
Gerne unterschätzt wird oft die Autorenvita. Sie ist jedoch integraler Bestandteil einer Verlagsbewerbung und sollte daher ebenso sorgfältig verfasst werden wie die anderen Texte. Dass sie sich stark von dem sonst in Stellenbewerbungen üblichen Lebenslauf unterscheidet, sollte selbstverständlich sein. Hier ist es dann ratsam, lieber die Dinge in der Vita hervorzuheben, die mit dem Schreiben in Bezug stehen.
Dem Anschreiben schließlich widmet sich ein weiterer Teil dieses Ratgebers. Hier wie auch in den anderen Kapiteln bringt Andrè Hille viele anschauliche Beispiele und verdeutlich seine Tipps und Ratschläge mit leicht verständlichen und deswegen besonders hilfreichen Grafiken und Diagrammen.
Der Ratgeber zu den Sekundärtexten ist unbedingt empfehlenswert, nimmt er diesen von Autoren so verabscheuten Texten doch den Horror. Von daher rate ich allen, die kurz vor der Veröffentlichung stehen, zur Lektüre des schmalen, aber ungemein nützlichen Buches. Das zudem auch wunderbar leichtfüßig, verständlich und klar geschrieben ist.
André Hille - Titel, Pitch und Exposé für Romane
Textmanufaktur, Dezember 2015
Klappenbroschur, 112 Seiten, 14,90 €

Bewertung vom 29.04.2024
Alles gut
Rabess, Cecilia

Alles gut


gut

Am Ende ist dieser Roman auch nur eine Liebesgeschichte, mit dem üblichen Hin und Her, den Missverständnissen und aufgeblähten Problemchen – nicht unähnlich den Büchern von Ali Hazelwood, wenn auch ohne deren ausschweifende Sexszenen.
Der Unterschied ist lediglich, dass hier die Protagonistin eine Schwarze Frau ist, die eine für Leute ihrer Hautfarbe und für ihr Geschlecht unübliche Karriere anstrebt. Und somit, auch das wenig überraschend, mit den üblichen Schwierigkeiten, Vorurteilen und männlichen Überheblichkeiten zu kämpfen hat.
Jess begegnet an ihrem ersten Arbeitstag bei Goldman Sachs ihrem ehemaligen Studienkollegen Josh wieder. Dieser, obwohl er zunächst mal keine wesentlich andere Ausbildung hat als sie, bekommt mehr Unterstützung, wird gefördert, ergattert die wichtigen und großen Aufträge. Während ihr wenig mehr als Sekretärinnentätigkeiten zugewiesen werden.
Obwohl sie Josh als eher versnobten reichen Schnösel in Erinnerung hat, erweist er sich als hilfsbereit und nett. So kommen die beiden sich näher, während man in Rückblicken erfährt, welche diversen Streitgespräche zwischen den Beiden während des Studiums stattfanden.
Dass Jess und Josh irgendwann ein Paar werden, sich dann wieder trennen, wieder zusammenkommen und so weiter, verwundert dann nicht weiter. Dazwischen sind immer wieder die Gefühle von Jess geschildert, wenn sie sich aufgrund ihrer Hautfarbe zurückgesetzt fühlt. Dabei wirkt das leider oft eher wie Neid, wenn sie beispielsweise Josh den angeblichen Reichtum seiner Eltern vorhält.
So ist das Buch in meinen Augen schließlich doch nicht wesentlich mehr als eine recht übliche , unnötig verkomplizierte Liebesgeschichte, aufgehübscht um das Thema Rassismus und diverse Debatten um Finanzgeschäfte. Hier merkt man den Hintergrund der Autorin, die selbst ebenfalls bei Goldman Sachs gearbeitet hat (Ist der Roman hier eventuell sowas wie ein Aufarbeitung oder Abrechnung?). Leider führt das dann jedoch dazu, dass über viele Seiten und immer wieder sehr viel Fachchinesisch in den Roman einfließt, was irgendwann etwas nervt und auch langweilig wird, sofern man sich für diese Dinge nicht interessiert.
Ziemlich gestört hat den Lesefluss allerdings die große Namensähnlichkeit der beiden Protagonisten Jess und Josh. Dass man genau dies vermeiden soll, ist eigentlich eine der ersten Lektionen im Kreativen Schreiben.
Der Schreibstil von Cecilia Rabess, deren Debütroman „Alles gut“ ist, ist ansonsten jedoch sehr angenehm, flüssig, flott, modern. Da ist nichts gestelzt, nichts süßlich getüncht oder kitschig, wenn auch manche der Figuren, vor allem die Männer in ihrem Arbeitsumfeld, doch ein wenig arg den gängigen Klischees entsprechen. Doch wer als Frau ähnliches erlebt hat, weiß, dass Männer eben einfach manchmal ihr eigenes Klischee sind.
Ein Roman, der sich schnell und locker liest, von den erwähnten Szenen abgesehen.
Cecilia Rabess - Alles Gut
aus dem Amerikanischen von Simone Jakob
Eichborn, März 2024
Gebundene Ausgabe, 429 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 26.04.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


gut

Das ist so oft das Problem mit dem Anschließen wollen an vorigen Erfolg: Es gelingt eben nicht immer. In dem letztes Jahr erschienenen Band erzählte Trude Teige die Geschichte von Tekla, ihrer Tochter Lilla und ihrer Enkelin Juni. Jener Roman war spannend und vor allem berichtete er von einem unbekannten Stück Historie aus dem zweiten Weltkrieg und der Zeit danach.
Nun, so laut Vor- und Nachwort, die ein bisschen alibimäßig angeklebt wirken, möchte Juni uns von ihrem Großvater Konrad erzählen, von seinen Erlebnissen in Asien während des Krieges. Er gerät erst in Seenot, gelangt halb tot an Land, kommt ins Krankenhaus und begegnet dort der Krankenschwester Sigrid. Schließlich geraten beide in japanische Gefangenschaft, wie auch Konrads Bruder Sverre.
Sigrid, ihre alkoholsüchtige Mutter Henny und die kleine autistische Schwester Ingerid werden in einem Frauenlager gefangen gehalten. Sigrid kann den dort eingesperrten Frauen medizinische Hilfe leisten, so gut es ohne Medikamente geht. Sie erlebt Misshandlung, Folter, grausame Bestrafungen ebenso wie Zusammenhalt, aber auch Streit und Missgunst.
Konrad und Sigrid lieben einander und können sich auch im Lager begegnen. Sigrid ist für Konrad eine ungewöhnliche Frau, sie lässt sich nichts sagen, will ihren eigenen Weg finden, ungewöhnlich für die Zeit, in der sie lebt.
Spannung kommt in diesem Roman leider wenig auf, auch weil man ja die Fortsetzung der Geschichte aus dem Vorgängerroman kennt. Die Figuren sind ebenfalls wenig fesselnd, sondern eher Abziehbilder dessen, was man in solchen Romanen gemeinhin erwartet. Denn solche Geschichten, in denen Menschen über sich selbst hinauswachsen, immer anderen zuerst helfen, mutig und selbstlos sind, alles hinnehmen und daran wachsen, gibt es zuhauf. Daher bietet der Roman wenig Überraschendes, so sind beispielsweise auch die japanischen Bewacher und Soldaten schablonenhaft als grob, gemein und böse dargestellt.
Empathie für die Protagonisten kann daher kaum entstehen, auch wenn die beiden Hauptfiguren nicht unsympathisch sind. Doch Trude Teige gelingt es irgendwie nicht, Gefühle nachvollziehbar zu schildern, macht es schwer, sich in die Figuren einzufühlen. Die Dialoge sind seicht und oft recht platt und nichtssagend. Auch stilistisch ist der Roman wenig herausfordernd, sondern eher schlicht. Wobei man hier nicht weiß, ob das im Original liegt oder an der Übersetzung.
Schade, dass mich der Roman nicht mehr überzeugen konnte, denn thematisch wäre er doch vielversprechend gewesen.
Trude Teige - Und Großvater atmete mit den Wellen
aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
S. Fischer Verlag, März 2024
Gebundene Ausgabe, 415 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 24.04.2024
Mord am Lago Maggiore
Holenstein, Alexandra

Mord am Lago Maggiore


ausgezeichnet

So wünscht man sich einen Kriminalroman, so ist ein Krimi, den man nicht mehr aus der Hand legt, bevor die letzte Seite erreicht ist.
Wenn nur dieses arg langweilige Cover und der noch nichtssagendere Titel nicht wären, die dem Inhalt wirklich nicht gerecht werden. Es ist zu hoffen, dass sich davon niemand abhalten lässt und dieses Buch viele Leserinnen und Leser findet.
Worum geht es: Tabea Kummer (Nomen est omen) hat kein gutes Verhältnis zu ihrem Schwiegervater Herbert. Auch ihr Mann Ludwig hält lieber Abstand zu seinem stets Unfrieden stiftenden Vater. Doch weil sie ihre Wohnung in Zürich aufgeben müssen, bietet sich Herberts wunderschöne Villa in Ascona als möglicher neuer Wohnsitz an.
Aber dann findet Tabea ihren Schwiegervater tot auf. Es stellt sich heraus, dass Herbert Kummer keines natürlichen Todes starb, sondern offensichtlich vergiftet wurde. Da nun auch jeder davon ausgeht, dass Ludwig zu den Haupterben von Haus und Vermögen gehört, steht vor allem Tabea zunächst in Verdacht. Doch wie das so ist, gibt es natürlich noch mehrere andere Menschen in Herberts Umfeld, die als Täter oder Täterin in Frage kämen. Denn der Dahingeschiedene verdarb es sich wirklich mit jedem und jeder, wie sich nach und nach herausstellt.
Tabea, deren Ehemann mehr als nötig die Nähe der überaus gutaussehenden Kriminalkommissarin sucht, beginnt nun selbst, nachzuforschen. Nur gibt es leider viele Hinweise, aber keine echte Spur. Nach und nach steckt Tabea also ihre Nase immer tiefer in die Angelegenheiten derjenigen, die ein Motiv für den Mord an Herbert zu haben scheinen. Das aber bekommt ihr irgendwann nicht gut, ja sie gerät selbst in arge Bedrängnis.
Das Ende, die Auflösung, ist dann vollends überraschend und somit perfekt gelungen, denn man kann sie, da die durchaus vorhandenen Spuren so geschickt versteckt sind, nicht vorausahnen.
Wenn man die Handlung so zusammenfasst, klingt das nicht sehr spektakulär. Der Plot, so wendungsreich er sein mag, ist aber auch nicht das, was diesen Roman zu etwas besonders empfehlenswerten macht. Es ist der Schreibstil von Alexandra Holenstein, die selbst dort lebt, wo ihr Krimi spielt, sich dort also bestens auskennt.
Immer mit einem Augenzwinkern, mit einem sympathischen Verständnis für die Verschrobenheiten der Menschen, erzählt sie diese Geschichte. Tabea, aus deren Perspektive die Ereignisse erzählt werden, im Wechsel mit der Sicht von Ludwig (was es vielleicht gar nicht gebraucht hätte), zeigt sich immer wieder fassungslos über die unverständlichen Aktivitäten mancher Leute und findet dafür herrliche Worte, plastische Beschreibungen, so dass man beim Lesen immer wieder laut lachen muss. So ist eine der besten Szenen die des Besuchs Tabeas bei Herberts Putzfrau, wo die beiden Frauen im Laufe des Gesprächs ständig aneinander vorbeireden. Herrlich. Die Sätze und Beschreibungen in diesem Buch, die einer wie die andere begeistern, sind nicht mit der Kettensäge, sondern mit allerfeinster Feile geschliffen.
Einzig die ständig vorhandenen Einsprengsel in italienischer Sprache hätte es nicht gebraucht. Diese immer wieder in Romanen verwendete Methode, Lokalkolorit zu vermitteln, ist nicht nötig, sondern wirkt oft fehl am Platz. Wenn sich Tabea und Ludwig unterhalten und dabei italienische Ausdrücke einflechten, macht das keinen Sinn. Und auch nicht, wenn ein Dialog auf Italienisch geführt wird. Aber sei es drum, wenn das das einzige Manko ist.
Auf die allerletzte Szene, wenn sich alle, wie die Bewohner des berühmten gallischen Dorfs beim Wildschweinbraten, um einen Grill versammeln, hätte man auch verzichten können. Davon unbenommen ist der neue Roman von Alexandra Holenstein uneingeschränkt zu empfehlen – und lässt auf Fortsetzungen hoffen.
Alexandra Holenstein - Mord am Lago Maggiore
emons, April 2024
Taschenbuch, 384 Seiten, 15,00 €

Bewertung vom 22.04.2024
Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
Neumayer, Silke

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung


gut

Wer „Die Dienstagsfrauen“ von Monika Peetz gelesen oder als Filme im Fernsehen gesehen hat, kann sich diesen Roman sparen. Denn was Mia, Poppy, Schröder und die zwar verstorbene, aber irgendwie immer anwesende Amelie erleben, ist nicht viel mehr als eine leicht abgewandelte Kopie.
Besagte Amelie ist vor einigen Jahren in die Toskana ausgewandert, plötzlichen Anwandlungen, Künstlerin sein zu wollen, folgend. Dort erwarb sie eine Behausung, von der ihre drei in Hamburg verbliebenen Freundinnen – alle etwa Mitte Fünfzig – annehmen, es handele sich um ein schmuckes Castello. Als Amelie jedoch plötzlich stirbt und die drei anderen sie beerben sollen und deswegen spontan nach Italien aufbrechen, erweist sich das angeblich herrschaftliche Anwesen als Bruchbude, Amelie als wenig künstlerisch begabt. Und ihre jahrzehntealte Freundschaft als nicht sehr haltbar.
Leider aber entwickelt sich spätestens ab jetzt die Geschichte zu einem einzigen Klischee, mit allen allzu bekannten Zutaten. So sind die Hauptfiguren der typische Zusammenfall aller Stereotypen: die Gluckenmutter, die glaubt, ihre Familie kann nicht ohne sie; die toughe Geschäftsfrau, männerverschlingend und gleichzeitig unfähige Mutter; die einsame Singlefrau, zu dick, zu gutmütig, zu alles. Und dann gibt es natürlich die Ehefrau, deren Mann sie ständig betrügt; diejenige, die eine Krebserkrankung überstehen musste sowie die, die ständig Tabletten schluckt; die Freundin, die mit dem Mann der anderen eine Affäre hat und diejenige, die den Sohn der anderen vernascht (Doppelnennungen sind vorhanden). Gekrönt wird das Ganze dann vom irre gut aussehenden Italiener in der Nachbarvilla.
Geschrieben ist das Ganze ja halbwegs unterhaltsam, nur fragt man sich immer wieder, wieso der Klappentext behauptet, die drei Frauen wären Freundinnen. Sie vertrauen einander nicht, sie streiten ständig, sie verheimlichen einander gerade die wichtigen Dinge in ihrem Leben.
Aber die Ereignisse sind so überstrapaziert, so aufgebauscht die Probleme und das Ende dann natürlich so zuckersüß, wenn sich alle wieder liebhaben, dass mich der gesamte Roman zwar eine Weile unterhalten konnte, insgesamt aber eher enttäuscht hat. Dabei sind die Figuren nicht einmal unsympathisch, auch wirken sie, von den Klischees abgesehen, halbwegs lebensecht, aber alles ist dann doch arg überzogen. Dazu viel Sonne, Tomate und Mozzarella und dolce far niente.
Es ist zu hoffen, dass es nicht, wie bei den „Dienstagsfrauen“ mehrere Fortsetzungen gibt.
Silke Neumayer - Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
Ullstein, März 2024
Taschenbuch, 304 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 19.04.2024
Tod zur See / Mai und Lorenz ermitteln auf Usedom Bd.3
Scheunemann, Frauke

Tod zur See / Mai und Lorenz ermitteln auf Usedom Bd.3


gut

Wenn die Hauptfiguren dieser Krimireihe nicht so sympathisch wären, würde die Lektüre nur halb so viel Spaß machen. Denn an sich ist der Roman eher seicht – und auch arg unrealistisch.
Wieder einmal wird Franzi May, die zusammen mit ihrem Volontär Janis für das Bäderradio auf Usedom arbeitet, in einen Mordfall hineingezogen. Ziehen tut es sie auch zum Kommissar Kay Lorenz, der ebenfalls deutliche Gefühle für sie hegt. Vermutlich deswegen erlaubt er ihr auch immer wieder derart tiefe Einblicke in seine Ermittlungen – das ist der unrealistische Teil dieser Krimireihe.
Doch Franzi wäre nicht Franzi, wenn sie nicht lieber auf eigene Faust den oder die Täter suchen würde. Ihre Ausrede sind die Reportagen, die sie als natürlich taffe Journalistin bringen muss, auch auf Druck ihres Chefs. Als also bei einer Vorführung der Jet-Ski des Stuntmans Bruno Wunderlich explodiert und schnell klar ist, dass das kein Unfall war, beginnt Franzi nachzuforschen. Immer an ihrer Seite, nur vorübergehend wegen einer bei dieser Explosion erlittenen Verletzung außer Gefecht gesetzt, ihr Volontär Janis.
Wegen ihrer Eigenmächtigkeit und weil Franzi wenig Geduld hat mit Kays Zurückhaltung bei der Weitergabe seiner eigenen Ermittlungsfortschritte geraten die Beiden immer wieder mal in Streit. Dazu trägt auch Kays Eifersucht bei, denn plötzlich taucht Franzis Ex Henning auf, scheinbar ihre Nähe suchend.
Dann überschlagen sich die Ereignisse, Drogenhandel ist plötzlich Thema, Janis ermittelt undercover, was für ihn schmerzhafte Folgen hat, Einbrüche und ein weiterer Todesfall geschehen. Und immer ist Franzi im Mittelpunkt der Ereignisse, stets einen frechen Spruch auf den Lippen. Überhaupt ist Franz eher ein Plappermaul als eine verschwiegene Ermittlerin, was immer wieder zu Verwicklungen und Gefahren führt.
Insgesamt zwar ein durchaus flotter, auch nett geschriebener Roman, aber manche Dialoge sind dann schon arg oberflächlich. Die Sprache ist einfach, die Witze spaßig, aber leider auch oft recht flach. Da wiederholt sich auch viel, vor allem hinsichtlich der dümpelnden Beziehung zwischen Franzi und Kay. Deren Verhalten in diesem Zusammenhang wirkt arg aufgesetzt, hat so offensichtlich nur den Zweck, das Ganze in die Länge zu ziehen. Ein weiterer Band dieser Reihe ist damit sehr wahrscheinlich.
Ein bisschen mehr Spannung, ein bisschen mehr Straffung und ein größeres Maß an Realitätssinn hätten dem Roman gut getan. So bleibt es ein recht seichter, wenn auch unterhaltsamer Krimi.
Frauke Scheunemann - Tod zur See
Scherz, März 2024
Taschenbuch, 367 Seiten, 17,00 €