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leseleucht
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Alfter

Bewertungen

Insgesamt 184 Bewertungen
Bewertung vom 25.02.2023
Papierblüten. Schatten über der Villa Brendl
Wolf, Lilly

Papierblüten. Schatten über der Villa Brendl


ausgezeichnet

Bilder sagen mehr, als sie zeigen
Auf einer Tapetenausstellung der Herstellerfirma Brendel kommt stürzt die Enkelin der Firmenchefin tragisch in den Tod. Als schwarzes Schaf der Familie galt Alice schon immer, weil sie mit ihren Photographie-Ausstellungen zu schockieren wusste und damit ihr Familie, insbesondere ihre beiden Geschwister in Schwierigkeiten brachte. Jetzt wird bekannt, dass sie einem alten Familiengeheimnis auf der Spur war, dem ungelösten Todesfall der jungen Malerin Camille Blumenberg, die unter falscher Identität im Haus der Brendels lebte und 1939 auch dort ums Leben kam. Hat die Familie einen Mord vertuscht? Oder gar selbst begangen? Eventuell aus nationalsozialistischer Gesinnung? Schon einmal, in den 70er Jahren, waren Stimmen zu dem Fall laut geworden und führten zum Niedergang der angesehen Textilfabrikantenfamilie. Die Geschwister von Alice, die beide mit Schwierigkeiten in ihrem Leben zu kämpfen haben, verfolgen die Spur, die Alice vor ihrem eigenen Tod aufgenommen hat. Ihr Ziel ist es, das Geheimnis zu lüften, die Ehre der Familie wieder herzustellen und endlich auch Ordnung in ihr eigenes Leben zu bringen.
Lilly Wolf verknüpft in ihrem Roman gelungen Kriminal-, Unterhaltungs- und historischen Roman und die zwei Zeitebenen, auf denen der Roman spielt. Der Leser begibt sich gern mit den interessanten Figuren auf die Reise in die Vergangenheit und folgt den spannenden Ereignissen, die sich um die Familie Brendel sowohl im Jahre 1939 als auch in der Gegenwart ranken. Wer sich einmal auf diese Reise begibt, mag das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen! Gut gemachte Unterhaltung für ein paar spannende Lesestunden!

Bewertung vom 22.02.2023
Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat
Boks, Aron

Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat


ausgezeichnet

Ambivalnz trägt manchmal mhr zum Verständnis bei als Eindeutigkeit
In seinem Buch „Nackt in die DDR“ geht der Autor Aron Boks den Spuren seines berühmten Urgroßonkels, Willi Sitte, Maler und Parteifunktionär der DDR, nach. Im Bemühen, dessen umstrittene Person zu verstehen, begibt er sich nicht nur tief in seine eigene Familiengeschichte, sondern schildert auch das Leben in der DDR, zusammen mit historischen und kulturpolitischen Hintergründen, die den Autor, selbst erst nach der Wende geboren, immer wieder fordern, sich zu den Entwicklungen zu positionieren und eine eigene Haltung zur DDR zu erforschen.
Ganz besonders spannend ist die Person Willi Sittes aufgrund ihrer Ambivalenz: Auf der einen Seite steht seine feste Überzeugung, einen idealen Staat im Sinne des Sozialismus aufbauen zu können und die Kunst in dessen Dienst zu stellen. Auf der anderen Seite stellt er sich und seine Kunst in den Dienst eines Systems, das die sozialistische Idee korrumpiert und, je schlechter der Zustand des Staates, desto härtere Mittel auffährt, ihr System aufrecht zu erhalten. Lange sieht er sich dem Druck und der Missachtung „der Partei“ ausgesetzt, doch er arrangiert sich und mit zunehmendem Einfluss weiß er das System für sich, aber auch für seine Schützlinge zu nutzen.
Der Autor zeichnet ein differenziertes, facttenreiches Bild von Willi Sitte. Auch wenn er auf der Suche nach einem Urteil über seinen Vorfahren ist, schließt er sich doch nicht einer der vielen Wertungen über Sitte an, sondern hält die Ambivalenz bis zum Schluss hin aus: Es gibt eben nicht nur Gute und Böse. Was eben auch zählt, ist die Idee, nicht nur ihre Realisierung.
Bei seiner Schilderung bezieht der Autor einen ganzen Chor von Stimmen ein. Zunächst einmal die seiner zahlreichen Verwandtschaft. Dabei entsteht ein umfassendes Familienporträt mit spannenden Personen und Familiengeschichten, die auch Sinnbild für das Leben in der DDR sind.
Da der Autor selbst zuvor kaum einen Bezug zur DDR hatte, obwohl seine Familie daher kommt – ein Umstand, der seine Neugier noch beflügelt -, erschließt er sich einen sehr persönlichen Zugang zu der Geschichte dieses Landes. Damit gelingt ihm eine spannende und sehr lebendige Darstellung der historischen, politischen und kulturellen Hintergründe, die gerade für jüngere Leser, die auch zur „Nachwendegeneration“ gehören, eine lohnendere Lektüre sein dürfte, als so manches Schulbuch.
Ein packendes Buch über Menschen und über die Geschichte unseres Landes, das zeigt, dass in der DDR nicht alles besser, aber bei weitem auch nicht alles schlechter war, und das wichtig ist, wenn wir uns – im doppelten Sinne – besser verstehen wollen.

Bewertung vom 17.02.2023
Leuchtende Hügel / Die wilden Pferde von Rydal Hill Bd.1
Czerny, Theresa

Leuchtende Hügel / Die wilden Pferde von Rydal Hill Bd.1


ausgezeichnet

Pures Lesevergnügen für kleine und große Mädchen
Valerie, die Hauptfigur in dem Roman „Die wilden Pferde von Rydal Hill“, braucht eine Auszeit: von ihrem stressigen Leben in Deutschland und vor allem von Pferden, denn es ist etwas vorgefallen, was sie gänzlich aus der Bahn geworfen hat. Sie besucht ihren Bruder, der im Lake District in England mit seiner Freundin eine Schaffarm führt und begegnet: Pferden. Einer charmanten Ponyherde, die auf den Fells wie Wildpferde ein freies Leben führt. Und sie begegnet Ben, einem mysteriösen Jungen, Einzelgänger und Besitzer der Ponyherde. Doch obwohl er alles gibt, für seine Herde zu sorgen, passiert ein Unglück nach dem anderen, sodass sein Vater beschließt, die Herde zu verkaufen. Damit beginnt ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit, die Ponyherde zu retten, und zwar nicht nur vor dem drohenden Verkauf …
Warnung! Wer die ersten Seiten gelesen hat, will gar nicht wieder aufhören. Die Story und die Erzählkraft der Autorin ziehen den Leser so in ihren Bann, dass er alles um sich vergisst. Er brennt darauf, zu erfahren, wie die Story um Valerie und Ben weitergeht, die Geheimnisse um Valeries Vergangenheit, aber auch um das Schicksal der wilden Pferde von Rydal Hill, das schon im Jahre 1923 seinen Lauf zu nehmen begann, zu lüften.
Bei aller Spannung aber vermittelt das Buch auch eine Ruhe und verschafft dem Leser eine wohltuende Auszeit von allem ringsum. Die wundervollen Landschaftsbeschreibungen, die liebevolle Ausgestaltung der Figuren und ihres Lebens in den Dörfern im Lake Distrikt und die Schilderungen der schon fast magisch anmutenden Begegnungen mit den Ponys nehmen jeden Leser gefangen. Auf wunderbare Weise hält dieses Buch, was Lesen verspricht: eine heilsame Reise in die Welt der Phantasie.
Einziges Manko: auf eine Fortsetzung müssen alle begeisterten Leseratten, von denen das Buch viele verdient, bis Herbst warten. Aber das Warten lohnt sich bestimmt!

Bewertung vom 05.02.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


ausgezeichnet

"Einsamkeit ist keine Farbe und auch nie nur ein Moment."

Einer der Sätze aus dem Roman „Saubere Zeiten“ von Andreas Wunn, die mich mit am meisten beeindruckt haben. Und einsame Menschen findet man in dem Roman genügend: den Erzähler Jakob Auber, dem die Mutter schon als kleines Kind verloren ging und der damit auch den Vater irgendwie verloren hat, der seine Beziehung verliert und auch seine zwei ältesten Freunde, Ben und Theresa. Und auch sie wirken sehr einsam in ihrem Leben. Er findet – auf der Spurensuche nach seiner Familiengeschichte – Bella, die auch sehr einsam in Brasilien lebt, sie hat ihren Sohn verloren und lange Zeit zuvor schon ihre Eltern und ihre Heimat. Und kaum hat er sie gefunden, da verliert er auch sie schon wieder. Diese Einsamkeit scheint sich von Generation zu Generation zu vererben. Ob es Jakob gelingt, seinen eigenen Sohn davor zu bewahren?
Als sein Vater stirbt, hinterlässt er dem Erzähler ein Zimmer voller Erinnerungen, voller Tagebücher des Großvaters und voller eigener Tonbandaufnahmen. So erfährt Jakob Hintergründe zu Aufstieg und Niedergang seines Großvaters, dem großen Waschpulvererfinder von „Auber macht sauber“, von der Jugend seines Vaters Hans und von Bella, die auf vielfältige Weise mit den Aubers verbunden ist. Er beginnt diese Geschichte aufzuschreiben, um auch die eigene Geschichte besser zu verstehen.
Zweimal nennt der Erzähler seinen eigenen Vater einen guten Erzähler mit dem Blick für das Detail. „Zwar verzichtete er auf Adjektive und jede Art von Ausschmückung, aber wenn er zum Beispiel von Bella erzählte, gelang es ihm, sie vor meinen Augen erstehen zu lassen.“ Mit diesem Satz lässt sich auch der Erzählstil des Autors gut beschreiben. Er erzählt schlicht und leise, aber sehr nachdrücklich. Er lässt viel Platz für die eigenen Gedanken und Gefühle des Lesers und erschafft mit seiner Geschichte einen Sog, dem sich der Leser kaum entziehen kann. Er begibt sich mit dem Erzähler tief in die Geschichte seiner Familie und erlebt sie mit ihm, er lernt viel über ihn und über sich, aber vor allem, dass es kein Waschmittel gibt, dass, auch wenn es noch so sauber macht, die Geschichte reinwaschen kann und dass diese Geschichte, die Menschen prägt, ob sie von ihr wissen oder nicht, seil sie -wie Bella sagen würde – in ihren Körpern ist: „Alles, was wir tun, und alles, was wir sehen, und alles, was wir hören ist in unserem Körper. Das Leid und die Freude. Die Liebe und da Glück. Und auch das Grauen. Es ist alles in uns drin. Es bleibt alles in uns drin. Und wir müssen lernen, damit umzugehen. Und auch mal was rauszulassen.“

Bewertung vom 30.01.2023
Taupunkt
Hansen, Thore D.

Taupunkt


gut

Hält nicht, was die Verpackung verspricht
Robert – Landwirt, Alkoholiker, Klimaleugner. Tom – Klimaforscher, sein Bruder, Weltretter. Janne – Studentin der Klimawissenschaften, Roberts Tochter, Klimaaktivistin. Mareike – Modebloggerin, Toms Tochter, Klima: egal. Die vier Protagonist:innen in Thore D. Hansens Klimaroman „Taupunkt“ kommen mehr oder minder unfreiwillig in Berlin und Lentzke, wo Roberts Zweithof liegt, zusammen zu einem Zeitpunkt, als Europa und der Rest der Welt unter nie dagewesener Hitze leiden. Höchste Zeit für das Phönixprogramm von Toms Forschergruppe, mit Hilfe dessen die Welt aus der Asche wieder erstehen soll. Allerdings unter Aufgabe großer persönlicher Freiheiten aller, was Tom nach den vergleichsweise harmlosen Restriktionen der Coronapandemie erbitterte Feinde beschert. Als die Hitze die 50 Grad überschreitet und die Stromversorgung kollabiert, droht die Eskalation.
Eigentlich ein spannendes Szenario, dieses Gedankenspiel, was wäre, wenn die Erderwärmung schneller drastische Formen annähme, als gedacht. Allerdings kommt es erst in Kapitel 37 (von 45) dazu. Die folgenden zwei sind die spannendsten des Romans. Vorher muss der Leser durch viel privaten Konfliktstoff zwischen den Brüdern, an denen der Autor auch die verhärteten Extremfronten zwischen Klimaleugnern und -aktivisten exemplifiziert. Dabei kommen beide Seiten nicht wirklich gut weg, zumal auch weil beide Repräsentanten nicht wirklich sympathisch sind, der eine ein Alkoholiker, der nichts auf die Reihe kriegt, der andere ein jetsettender Erfolgstyp, der bei aller Krise noch Zeit hat, seine Eheprobleme zu regeln und seine Familie nicht nur zugunsten seiner höheren Mission der Weltrettung aufzugeben, sondern auch für eine Geliebte. Die Diskussionen drehen sich – in verschiedenen Figurenkonstellationen – im Kreis. Jede Position findet immer wieder Relativierung, sodass der Leser nicht weiß, wo er steht, mit Ausnahme der Sicherheit, dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss (was er vermutlich aber auch schon vorher wusste).
Die einzig logisch stringente Handlungsführung ist der Anstieg der Temperatur. Ansonsten fahren die Figuren von A nach B und wieder zurück, nur um immer wieder ihre persönlichen oder stellvertrend gesellschaftlichen Konflikte auszutragen.
Vielleicht ist es nicht ganz fair, den Roman an seinen Vorerwartungen zu messen, die auch von dem eindrucksvollen Cover geschürt wurden. Aber genau dieses Szenario war es, was mich zum Lesen animiert hat. Leider ist diese Zukunftsvision, die sehr klischeemäßig verläuft: kein Strom, Fluchtgedanken, ein geheimer Vorratskeller, plündernde Gruppen, ausgestorbene Dörfchen, schon nach drei Kapiteln wieder vorbei. Und ohne das Ende verraten zu wollen, nur so viel: löste sich unser Klimaproblem so simpel wie die Romanhandlung, dann müssten wir uns keine Sorgen machen.
Zum Thema Klimawandel würde ich, wollte ich Argumentationen hören, lieber auf ein Sachbuch zurückgreifen, für Spannung dürfte es dann eher ein dystopischer Roman oder Thriller oder beides in einem sein.

Bewertung vom 25.01.2023
Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2 (eBook, ePUB)
Martin, Stefanie H.

Vanessa und die Kunst des Lebens / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wer hat Angst vor Vanessa Bell?
Könnte diese Frage im Hinblick auf Virginia Woolf durchaus berechtigt erscheinen, da die Schriftstellerin des öfteren in den Wahnsinn abzugleiten drohte, so scheint sie bezogen auf ihre Schwester Vanessa Bell nicht sofort einsichtig. Im zweiten Teil der Reihe „Die Liebenden von Bloomsbury“ steht Vanessa stärker im Mittelpunkt, auch wenn natürlich Virginia in diesem Band nicht fehlen darf. Vanessa ist Malerin, Mutter, Ehefrau, Liebende und nicht zuletzt der Mittelpunkt des Bloomsbury Club. Sie führte ein unkonventionelles Leben, versuchte in der Kunst neue Wege zu gehen, lebte, obwohl verheiratet und Mutter zweier Kinder, später mit dem homosexuellen Malter Duncan Grant, mit dem sie auch eine Tochter hatte, und dessen Liebhaber in einer freien Beziehung. Während des 1. Weltkrieges zog sie sich auf ein Landgut zurück und war sich dort nicht zu schaden, auf jeglichen Komfort verzichtend, für den Lebensunterhalten zu sorgen, Wasser aus dem entfernten Brunnen zu schleppen, Kleinvieh zu halten, den Garten zu bewirtschaften und Holz zu hacken.
Mögen dies Gründe sein, ihr mit Furcht zu begegnen? Mit einer solchen Furcht, die die Erinnerung an diese Frau und Künstlerin totschweigen lässt? Ganz zu Unrecht ist diese mutige, starke, liebenswerte, liebende und großherzige Frau in Vergessenheit geraten, wie die Autorin Stefanie H. Martin uns in ihrem lesenswerten Roman über den Bloomsbury-Kreis vor Augen führt. Bei aller Schwere der Thematik, Virginias Wahnsinn, das Gemetzel junger, hoffnungsvoller Männer im ersten Weltkrieg, die Entbehrungen usw., schreibt die Autorin leicht und mitreißend und bringt dem Leser das Leben der Bloomsbury group, insbesondere das der Vanessa Bell näher. Der Leser partizipiert an ihrer großzügigen Wesensart und an Duncan Grants Leichtfüßigkeit, an der Inspiration aus dem exzentrischen Künstlerkreis und dem Charme englischer Landscap: Das Leben kann reich und bereichernd sein, auch wenn es nicht immer schön ist, vor allem aber, wenn es bereit ist, sich jenseits der Konventionen zu erproben und auf das Neue einzulassen. Also unbedingt inspirieren lassen von der Lektüre!

Bewertung vom 25.01.2023
Cäcilias Erbe / Gut Erlensee Bd.2
Weinberg, Juliana

Cäcilias Erbe / Gut Erlensee Bd.2


gut

Besser als der erste Teil
Im zweiten Band der Reihe um Gut Erlensee geht es um Cäcilia, die im ersten Band als Halbwaise und Patentochter des Familienvaters auf das Gut kam. Im zweiten Band kämpft sie um ihre Anstellung als Lehrerin und ihre Liebe zu dem jungen Physiker Jakob, die ihr das Lehrerinnenzölibat eigentlich unmöglich macht. Auch ein schreckliches Geheimnis aus ihrer Vergangenheit macht ihr das Leben schwer. Im ersten Teil der Reihe musste sich Margarethe, die älteste Tochter der Familie auf Gut Erlensee mit ähnlichen Schwierigkeiten herumschlagen, auch sie kämpfte für ihr Recht als selbständige Frau, die arbeiten geht und sich ihren Mann selbst aussuchen möchte. Während sich der Roman dabei die ganze Zeit im Kreis um diesen Konflikt drehte, so bietet der zweite Band eine klarere Handlungsführung mit Spannungsbogen, die den Leser einigermaßen mit durch die Geschichte nimmt. Allerdings ist auch hier sehr klar vorhersehbar, was passieren wird. So kann der Leser bereits aus Band 1 sehr sicher vermuten, welches Familiengeheimnis sich hier wie lösen wird. Und auch schon vor Erscheinen des dritten Bandes lassen sich recht klare Vermutungen anstellen, um wen es darum geht, wie diejenigen den herben Schicksalsschlag am Ende von Band 2 verkraften wird und wer sie dabei tröstet. Auch die Liebesgeschichte im 2. Band leidet ein wenig unter Rührseligkeit und Herzschmerz. Dabei sind die sprachlichen Bilder zum Ausdruck der Gefühlswelt manchmal recht kitschig.
Wer auf ein wenig Herzschmerz steht, wird aber ganz gut unterhalten und kann sich für ein paar nette Lesestunden an den idyllischen Erlensee träumen.

Bewertung vom 21.12.2022
Agent Sonja
Macintyre, Ben

Agent Sonja


ausgezeichnet

Ein Leben spannender als im Film

Manchmal kann man sich nicht vorstellen, was Leute für Leben führen. Woher nehmen sie den Mut, die Leidensbereitschaft, aber auch die Skrupellosigkeit, Dinge zu erdulden oder Dinge zu tun, die ein Normalsterblicher nur aus Romanen oder Filmen kennt?
Ein solches Leben führte Ursula Kuczynski. Schon als junges Mädchen weiß sie, was sie will und was sie nicht will. Sie ist eine glühende Anhängerin des Kommunismus und lässt sich weder durch die Worte ihres Vaters noch durch die Brutalität ihrer politischen Gegner davon abbringen. Als Spionin für die Russen unternimmt sie mehrere gefährliche Aktionen, gegen die Nazis, aber auch später im Kalten Krieg gegen die Amerikaner. Sie spürt den Geheimnissen des Atombombenbaus nach und liefert den Russen wertvolle Informationen für den Bau einer eigenen Bombe – um ein Kräftegleichgewicht zu schaffen und einen weiteren Krieg zu verhindern. Nach außen hin erahnt niemand, mit wem er es bei Ursula Kuczynski, Codename „Agent Sonja“ zu tun hat: sie ist liebende Mutter, fürsorgende Ehefrau und berühmt für ihre Scones.
Ähnlich wie die Protagonistin führt auch das Buch quasi ein Doppelleben. Bereits das Cover changiert zwischen typischer Krimiaufmachung und historischer Monographie aus dem englischsprachigen Raum: dicke rote Lettern vor grauen Hintergrund, der schwarze Umriss einer weiblichen Silhouette von hinten. Und auch vom Inhalt her glaubt der Leser, es eher mit einem Spionagethriller zu tun zu haben, wüsste er nicht, dass dies die Biographie einer unglaublichen Frau und die Darstellung eines spannenden Kapitels der Geschichte der Spionage im 2. und im Kalten Krieg ist. Packend, kenntnisreich und mitreißend erzählt! Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 20.11.2022
Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3
Blum, Antonia

Tage des Lichts / Kinderklinik Weißensee Bd.3


weniger gut

Babylon Kinderklinik Weißensee
Der dritte Band der „Kinderklinik Weißensee“ spielt in den Jahren 1929/30, die Jahre der Erfindung des Penicillin und der sich dem Ende zuneigenden Weimarer Republik, wie man auch dem lesenswerten Nachwort der Autorin entnehmen kann.
Darin kämpfen die Schwestern Emma, Kinderkrankenschwester, und Marlene, Kinderärztin in der Klinik Weißensee, um ihr berufliches und privates Glück sowie um das Leben ihrer kleinen Patienten. Der Klinik droht ob sich häufender Beschwerden von Eltern über das mangelnde Klinikmanagement die Schließung. Beide Ehen der Schwestern stehen vor dem Aus. Marlene hat sich so in ihre Arbeit gestürzt, dass keine Zeit für Kinder bleibt, und auch Emmas Kampf als neue Oberschwester lässt ihr wenig Zeit für ihre Kinder, sodass ihr Sohn auf die schiefe Bahn gerät. Und auch die Männer scheinen sich auf Abwegen in der Liebe zu befinden. Hinzukommt noch das plötzliche Auftauchen des Vaters von Emma und Marlene, der die Familie schon früh im Stich gelassen hat und dem die Schwestern nicht wirklich vertrauen können: Meint er es wirklich ernst?
Eigentlich beinhaltet die Geschichte viele spannende Erzählstränge, allerdings werden diese immer wieder mal aufgegriffen, wieder fallengelassen und irgendwann fortgesponnen, ohne dass sie sich wirklich zu einem Strang verknüpfen. Dabei bleibt alles ein wenig im Oberflächlichen, gerade die Geschichte der Erforschung des Penicillin, die auf dem Einband als Marlenes große Herausforderung thematisiert wird, aber letztlich nur ein paar Seiten als Nebendarstellerin bekommt. Es überwiegen die rührseligen, melodramatischen Schilderungen des Gefühlslebens der beiden Schwestern und ihrer Familien. Die Geschichte mit dem Vater, der unter mysteriösen Umständen immer wieder auftaucht und verschwindet, ist wenig glaubwürdig. Noch abstruser ist die Story um die Entgleisung der Klinik unter der Leitung der neuen Pflegeleiterin Marie Luise Fischer. Auf einmal tragen alle Schwesternschülerinnen Schminke, Schmuck, wiegen die Hüften, betrinken sich, feiern die Nächte durch und residieren in kleinen Luxuszimmern, um ihre Motivation zu fördern und den Pflegeberuf beliebter zu machen. Das wirkt schon eher komisch in seiner Lächerlichkeit. Etwas weniger Kitsch und Rührseligkeit hätten aus den Ideen eigentlich einen guten Roman werden lassen können, zumal der historische Hintergrund genügend Spannung bietet, dass es solcher überdrehten Einfälle nicht bedurft hätte.