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Forti

Bewertungen

Insgesamt 207 Bewertungen
Bewertung vom 10.01.2018
Rocket Boys
Hickam, Homer

Rocket Boys


sehr gut

"Rocket Boys" ist die Autobiographie des NASA-Ingenieurs Homer Hickam, in der er seine Jugendjahre beschreibt. Er, der damals noch Sonny genannt wurde, lebt Ende der 1950'er Jahre mit seiner Familie in einer Bergwerksstadt in West Virginia. Die Sputnik-Raketen der Sowjetunion und die Raketenforschungen Wernher von Brauns lösen bei Sonny eine Faszination für das Thema aus, das dann zu eigenen Forschungen und Experimenten mit Raketen führt. Zusammen mit seinen Freunden lässt er über 30 Raketen starten.

Neben dem Thema Raketenforschung spielen im Buch auch das Erwachsenwerden, die Familie Sonnys und die Bergwerksstadt Coalwood eine große Rolle. All das wird von Homer Hickam sehr sympathisch und unterhaltsam geschildert. Auch technisch wenig Versierte/Interessierte können der Handlung gut folgen und sich intelligent unterhalten fühlen.

Eine gut lesbare, abwechslungsreiche, vielleicht sogar inspirierende Beschreibung einer ungewöhnlichen Jugend in der amerikanischen Provinz.

Bewertung vom 08.01.2018
Rekorder
Darnielle, John

Rekorder


gut

Ein Buch, in dem es um geheimnisvolle Videos geht. Das klingt natürlich erstmal spannend. Was hat es mit den Videos auf sich? Und wie setzt der Autor das Thema Video in Buchform um?
Angesetzt ist der Hauptteil der Handlung in den 1990'er Jahren, als VHS-Videos noch allgegenwärtig waren und das thematisierte Hineinschneiden von Szenen in andere Videos wohl am ehesten möglich war. Davon ausgehend, dass der Klappentext bekannt ist, möchte ich eigentlich nicht viel mehr über die Handlung verraten, da alles weitere als Spoiler angesehen könnte.

Das Buch ist nicht ganz so gruselig, wie man vielleicht erwartet, wenn man an Filme wie "Ring" denkt. Eine düstere Stimmung zieht sich aber durch das Buch. Die Spannung, die aufgebaut wird, ist eher subtil.

Streckenweise war das Buch für mich verwirrend. Lange Zeit bleibt unklar, was es mit dem ungewöhnlichen Ich-Erzähler auf sich hat. Der Wechsel der Zeitebene und des Fokus auf andere Personen sind zunächst verwirrend. Erst spät setzt sich das alles zu einem Gesamtbild zusammen. Eine komplette Auflösung der Geschichte bleibt der Autor uns aber leider schuldig.

Bewertung vom 07.12.2017
In einem anderen Licht
Burseg, Katrin

In einem anderen Licht


sehr gut

Katrin Burseg erzählt die Geschichte der Hamburger Journalistin Miriam ruhig und unaufgeregt. Die zwei Ebenen der Geschichte - Miriams Recherchen einerseits und ihr Privatleben andererseits - werden gekonnt miteinander verbunden und parallel erzählt. Noch vor den genannten Themen Liebe und Verrat, Wahrheit und Wahrhaftigkeit sehe ich Trauer und den Umgang mit Trauer als bestimmende Motive, die sich durch das Buch ziehen und immer wieder spürbar sind. Ich hatte vorher etwas Bedenken, dass es gefühlsdusselig, kitschig oder deprimierend wird, aber so ist es glücklicherweise nicht - bei "In einem anderen Licht" handelt es sich um solide, gut erzählte Literatur, die ich sehr gerne gelesen habe.

Bewertung vom 05.12.2017
Mudbound - Die Tränen von Mississippi (eBook, ePUB)
Jordan, Hillary

Mudbound - Die Tränen von Mississippi (eBook, ePUB)


gut

Cover und Beschreibung lassen den Leser zunächst etwas ratlos zurück - was erwartet einen hier? Eine Farmgeschichte? Die Geschichte zweier traumatisierter Soldaten? Die Geschichte einer Freundschaft und Rassismus? Die Geschichte einer Frau? Eine Liebesgeschichte? Eigentlich all das zusammen und das ergibt eine durchaus ungewöhnliche Mischung. Durch die sechs Ich-Erzähler nimmt der Leser dabei immer wieder eine andere Sichtweise ein.

So ergibt sich ein Bild vom Alltag in Mississippi 1946, das manchmal unglaublich erscheint. Der Alltag auf der Farm und das Pächtersystem, die Tatsache, dass die schwarze Familie nichts vom Holocaust weiß, vorallem aber der alltägliche Rassismus im Süden der USA sind eigentlich unfassbar und passen nicht zu dem Bild, das ich von den USA in der direkten Nachkriegszeit hatte. Für mich war diese Charakterisierung Mississippis fast interessanter als die eigentliche Geschichte. Wer möchte, kann aus diesen Beschreibungen wohl auch Erklärungen für die Zustände in den USA 70 Jahre später finden.

Insgesamt hat mich das Buch bedingt überzeugt. Die Beschreibung Mississippis fand ich faszinierend, die Mischung aus den verschiedenen Elementen ist mir als Geschichte aber an der Grenze zu zu viel. Durch die sehr unterschiedlichen Themen kam es mir manchmal so vor, als würde das Potential der einzelnen Erzählstränge nicht ganz ausgereizt und bleibt eher an der Oberfläche - richtig in die Tiefe geht es nicht.

Bewertung vom 27.11.2017
Leere Herzen
Zeh, Juli

Leere Herzen


ausgezeichnet

Wer denkt "Juli Zeh - ihre Bücher fand ich ja bisher immer gut" oder auch "Juli Zeh - bisher nur Gutes über sie gehört, vielleicht lese ich mal ihren neuen Roman", dem empfehle ich, "Leere Herzen" zu lesen ohne weiter nach Inhaltsangaben, Rezensionen oder Interviews von Denis Scheck zu suchen. Diese enthalten nämlich alle unweigerlich Spoiler und "Leere Herzen" ist ein Buch, das man meiner Meinung nach auch sehr lohnend lesen kann, ohne vorher viel darüber zu wissen. So viel sei gesagt: Juli Zeh ist die selten glückende Kombination eines spannenden und(!) intelligenten Buches gelungen. Absolute Leseempfehlung!
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Sie sind ja immer noch hier und wollen offenbar doch noch mehr über das Buch wissen. Das ist okay! Los geht's! Auf Spoiler kann ich ab hier aber leider nicht verzichten.

Juli Zeh setzt die Handlung von "Leere Herzen" in der näheren Zukunft (ca. zweites Viertel des 21. Jahrhunderts) in Deutschland an. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich die Schattenseiten einer oberflächlich friedlich lebenden Gesellschaft. Politikverdrossenheit hat weiter um sich gegriffen und Populisten sind in Deutschland an der Macht. Britta Söldner (in die Namen der Protagonisten kann man so einiges interpretieren) hat mit ihrem Geschäftspartner und guten Freund Babak die "Brücke" gegründet, eine Agentur die Selbstmordkandidaten und radikale Gruppierungen zusammen bringt, sodass der Selbstmord einen Sinn bekommen soll. Britta kann dieses Konzept sich selbst gegenüber als saubere Sache und win-win-Situation verkaufen - unbeteiligte Tote gibt es aber auch hierbei weiterhin und vielleicht auch deshalb arbeitet sie in einer Grauzone und selbst der Ehemann und die beste Freundin wissen nicht, was sie genau macht. Während im Leser die Frage aufkommt, wie Britta und Babak vom Staat und anderen Institutionen unbemerkt agieren können, passiert es auch schon: die Brücke gerät unter Druck. Erst langsam klärt sich, wer hier eigentlich was und warum beabsichtigt.

Britta und ihre Freundin spielen im Buch mehrmals das "was wäre wenn"-Spiel. Auch der Leser kommt nicht umhin hier mitspielen und sich selbst Fragen zu stellen - über die eigene Moral und das eigene Handeln. Wohin steuern Deutschland und die Welt? Welche Rolle spiele ich dabei? Würde ich mich am Ende so entscheiden wie Britta? Meine liebste Frage: Wenn du auf deine Waschmaschine oder dein Wahlrecht verzichten müsstest- wie entscheidest du dich?

Ein wichtiges, aktuelles, hochpolitisches Buch, das gleichzeitig auch spannend ist - ich wollte es garnicht mehr aus der Hand legen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.11.2017
Die Kieferninseln
Poschmann, Marion

Die Kieferninseln


sehr gut

Ein deutscher Hochschuldozent reist spontan nach Japan, wo er durch Zufall einen Studenten trifft, der Selbstmord begehen möchte. In der Folge treten die beiden gemeinsam eine Reise durch Japan an.
Eine spannungsgeladene Handlung bietet das Buch nicht - eher stehen die Eindrücke und Gedanken der Langnase Gilbert im Land des Lächelns im Vordergrund. Dabei wird er dem Leser gegenüber zumeist recht allwissend und abgeklärt (für mich auch deswegen unsympathisch) dargestellt, obwohl Japan nach eigener Aussage nie von größerem Interesse (zumindest als Reiseziel) für ihn war. Einerseits erfrischend, mit ihm den Kulturschock Japan nicht so oberflächlich und offensichtlich wie in anderen Büchern zu erleben, andererseits doch auch erstaunlich, wie leicht er auf Anhieb die japanischen Eigenheiten und gesellschaftlichen Regeln versteht - vielleicht manchmal auch etwas unglaubwürdig. Dass er dabei immer etwas außerhalb steht und Land und Leute als Außenstehender beobachtet, ist wiederum realistisch. Insgesamt finde ich die Beschreibung Japan dann aber doch klug.

Zwischendurch dann philosophische Betrachtungen von Flora, Fauna, dem Leben ansich und Lyrik - Bezüge zu den japanischen Dichtern Saigyō und Bashō. Für mich etwas viel, anderen Lesern wird das aber bestimmt gerade gefallen.

Es ist eine seltsame, nicht leicht eingängliche Geschichte. Irgendwie passt diese ungewohnte, fremde Erzählart dann aber doch gut zu Japan! Es lohnt, sich offen auf diesen schmalen Erzählband einzulassen.

Bewertung vom 01.11.2017
Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt
Kalfar, Jaroslav

Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt


gut

Der Titel und das Cover haben mich gleich angesprochen. Ich erwartete eine etwas abgefahrene, osteuropäische Geschichte. Daran dass der Autor schon seit seiner Jugend in den USA lebt, soll das auch nicht unbedingt scheitern. Es fing auch vielversprechend an: eine ganz schön absurde Geschichte, die in einer sehr nahen Zukunft angesiedelt ist. Tschechien schickt das erste Mal ein Raumschiff los, besetzt mit nur einem Astronauten. Klar, dass der irgendwann spinnt.

Es war aber selten witzig und auch nicht so absurd, locker und abgefahren, wie ich erwartet (gehofft?) hatte. Das Buch von Jaroslav Kalfař ist oft eher nachdenklich und arbeitet zudem die böhmisch-tschechische Geschichte auf: von Jan Hus über die Wende bis zur Jetzt-Zeit. Der Ich-Erzähler arbeitet in der Einsamkeit des Weltalls seine persönliche (Familien-)Geschichte - wenn nicht sogar die jüngere Geschichte seines ganzen Landes - auf. Das ist zwar interessant, wirkt auf mich aber manchmal etwas lang und schwermütig. Verpackt ist das vom Autor (und Übersetzerin) aber in eine flüssige, gut zu lesende Sprache.

Das Buch war nicht schlecht (keinesfalls!), aber ich hatte etwas anderes erwartet und vielleicht auch deshalb hatte das Buch für mich zwischendurch Längen.
Wenn man sich nicht auf eine phantastievolle Raumfahrtgeschichte einstellt, sondern auf eine Aufarbeitung der neueren tschechischen Geschichte, wird man gut und durchaus ungewöhnlich unterhalten.

Bewertung vom 23.10.2017
Außer sich
Salzmann, Sasha Marianna

Außer sich


sehr gut

Viele sehen bei "Außer sich" die Transgender-Thematik im Vordergrund. Für mich ist aber die sowjetisch-jüdische Familiengeschichte, die über vier Generationen hinweg erzählt wird und einen Hauptteil des Romans ausmacht, fast noch interessanter.

Ali(ssa), die einen ähnlichen biografischen Hintergrund wie die Autorin Sasha Marianna Salzmann hat, ist auf der Suche: vordergründig nach dem verschwundenen Zwillingsbruder, im Grunde aber auch nach der eigenen Identität. Das umfasst nicht nur die geschlechtliche Identität, sondern auch den familiären und kulturellen Hintergrund.

Die Geschichte des ersten Teils (ca. Zweidrittel des Buchs) springt zwischen den Zeiten und Personen hin und her ... ebenso in der Erzählperspektive: ist die Geschichte vorwiegend in der dritten Person verfasst, gibt es doch auch Abschnitte, die von einem Ich-Erzähler erzählt werden. Der zweite Teil des Buches konzentriert sich dann auf die Zeit von Ali und Anton in Istanbul: eine rastlose Suche in einem Land im Umbruch. Die Familiengeschichte Alis, ihre Transgender-Identität, das Leben in der Sowjetunion, das Leben als Migrant in Deutschland und die aktuellen Entwicklungen in der Türkei - hieraus ergibt sich ein thematisch vielfältiger Roman.

Erzählt wird das auch sprachlich außergewöhnlich, in einer oft ganz eigenen Grammatik. Teils abenteuerliche Schachtelsätze und immer wieder eingestreute kyrillisch geschriebene russische Worte und Sätze mögen auf den ersten Blick abschrecken - für mich war es aber ein besonderes Leseerlebnis. Bitte nicht irritiert sein, sondern sich einfach darauf einlassen!

Insgesamt ein beeindruckendes, aktuelles Roman-Debüt! Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2017
Die Optimierer
Hannig, Theresa

Die Optimierer


ausgezeichnet

Die Bundesrepublik Europa im Jahr 2052: eine technisierte, vernetzte Realität, in die der Leser mit dem Hauptprotagonisten Samson eintaucht. Ein Leben zwischen Optimalwohlökonomie, bedingungslosem Grundeinkommen, einer Agentur für Lebensberatung und ständiger Überwachung. Samson ist ein enthusiastischer Bürger dieser Welt, der dann aber in einen Abwärtsstrudel gerät, der sein ganzes Leben umkrempelt. Viel mehr möchte ich hier über die Handlung nicht verraten.

Das Leben außerhalb der BEU (der Zusammenschluss einiger weniger europäischer Staaten) wird nur im Nebensatz erwähnt - auch dies wäre sicher spannend, würde aber ein zu großes weiteres Themenfeld öffnen.

Das Buch regt zum Nachdenken an: Wie wird sich unsere aktuelle technisierte, vernetzte Gesellschaft entwickeln? Wo positioniert man sich hierbei selbst? Welche Möglichkeiten für persönliche Entscheidungen gibt es dabei überhaupt noch? Kann es so kommen, wie im Buch beschrieben?

Ein gelungenes Debüt und eine gut geschriebene Zukunftsvision!