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Insgesamt 213 Bewertungen
Bewertung vom 31.03.2021
Hard Land
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

Die Entdeckung der Euphancholie

Inhalt: Grady (Missouri) 1985. Der fünfzehnjährige Sam ist ein Außenseiter. Sein einziger Freund ist weggezogen, sein Vater arbeitslos, seine Mutter an Krebs erkrankt. Nun soll er auch noch den Sommer bei seiner Tante in Kansas verbringen, wo auch seine zwei Cousins wohnen, die ihn schon des Öfteren verprügelt haben. Um den „Urlaub“ in Kansas zu umgehen, nimmt er einen Ferienjob im ortsansässigen Kino an. Dort freundet er sich mit anderen Jugendlichen an, verliebt sich und erlebt den Sommer seines Lebens – bis sich die Krankheit seiner Mutter zurückmeldet.

Persönliche Meinung: „Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman von Benedict Wells. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Sam, dessen Gedanken und Gefühle authentisch und emphatisch beschrieben werden. Die Krebserkrankung seiner Mutter ist in seiner Gefühlswelt omnipräsent: Er sehnt sich nach Normalität und Unbeschwertheit, sucht sie auch, allerdings holt der Gedanke an den möglichen Tod seiner Mutter ihn immer wieder ein, sodass potentiell jede schöne Situation kippen kann. Kurzzeitig schleicht sich auch der Gedanke ein, dass die ganze Last, die die Krankheit seiner Mutter auf die Familie ausübt, mit dem Tod der Mutter endlich vorbei wäre. Gleichzeitig plagen ihn Gewissensbisse: Darf er auf seine Mutter wütend sein? Generell sind die Figuren schön ausgestaltet. Sie besitzen durch ihre Hintergrundgeschichten und die Darstellung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt eine große Tiefe. Durchströmt ist die Handlung mit euphancholischen Momenten. Der Begriff „Euphancholie“ ist ein Neologismus, dessen Definition Wells einer Protagonistin in den Mund legt: Es handelt sich um eine Kreuzung aus „Euphorie“ und „Melancholie“ und bezeichnet das Gefühl höchster Glückseligkeit, wobei aber gleichzeitig bewusst ist, dass der Moment des Glücks endlich ist. Solche „euphancholischen“ Momente, die in lauen Sommernächten spielen, ziehen sich wie eine Perlenkette durch „Hard Land“. Laue Sommernächte mit Freunden, Partys, Gespräche im Kino, kleinere und größere Mutproben. Diese Szenen sind detailliert und glaubwürdig beschrieben, sodass man beim Lesen teilweise selbst von Euphancholie überschwemmt wird. Daneben finden sich viele Referenzen an die 1980er Jahre. Songs von Billy Idol, Bruce Springsteen oder Journey werden abgespielt; Filme wie „Zurück in die Zukunft“ oder „Breakfast Club“ in die Handlung eingebaut und diskutiert. Interessant ist zudem der Titel „Hard Land“. „Hard Land“ heißt nämlich auch der Gedichtzyklus des (fiktiven) Autors William J. Morris, der einzige Literat, den Grady hervorgebracht hat (dementsprechend ist sein Werk auch Schulstoff). Spannend ist in diesem Kontext, dass zum Ende der Handlung Morris‘ „Hard Land“ gedeutet wird, wobei im Kleinen der literarische Interpretationsprozess durchgespielt wird (Interpretation der Oberflächenstruktur/Suche nach Metaphern/alternative Interpretationsmöglichkeiten/Offenheit der Interpretation). Insgesamt ist Benedict Wells‘ „Hard Land“ ein schöner Coming of Age-Roman mit viel Tiefgang, Empathie und Euphancholie, der Eighties-Vibes ausstrahlt.

Bewertung vom 13.03.2021
Die Erfindung von Alice im Wunderland
Hunt, Peter

Die Erfindung von Alice im Wunderland


ausgezeichnet

Auf den Spuren von Charles Dodgson, Alice Liddell und "Alice"

„Die Erfindung von Alice im Wunderland“ ist ein knapp 120-seitiges Sachbuch von Peter Hunt, einem emeritierten Professor (Englische Literatur/Kinderliteratur) der Universität Cardiff. Das großformatige Buch besitzt 121 Abbildungen: Einerseits finden sich zahlreiche „Alice“-Originalillustrationen aus der Feder von John Tenniel, andererseits Photographien aus dem Umkreis von Charles Dodgson alias Lewis Carroll. Hunt liest und interpretiert in seinem Sachbuch die vier „Alice“-Romane von Carroll (die für Alice Liddell bestimmte Version „Alice’s Adventures Under Ground“, die an Kleinkinder adressierte „Nursery ,Alice‘“ und die Klassiker „in Wunderland“ und „Hinter den Spiegeln“) als Schlüsselromane, d.h. er sucht nach einem geheimen Sinn, der sich unter der oberflächlichen Handlung der Romane versteckt und eng mit Carroll und dessen Lebenswelt zusammenhängt. „Die Erfindung von Alice im Wunderland“ ist in 6 Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel „Zwei Männer und drei Mädchen in einem Boot“ dekonstruiert Hunt den „Alice“-Entstehungsmythos, das Buch sei aus dem Stehgreif und aus einem Guss während einer sonnigen Bootsfahrt auf der Themse entstanden. Das zweite Kapitel „Vor Alice“ beschäftigt sich mit der (moralisierenden) englischsprachigen Kinderliteratur, wie sie vor „Alice im Wunderland“ geschrieben worden ist. Gleichzeitig arbeitet Hunt beispielhaft heraus, wie Carroll diese Werke in „Alice“ aufnahm und parodierte. „Was Alice wusste“, das 3. Kapitel des Sachbuches, fokussiert „Under Ground“, die „Alice“-Ausgabe für die reale Alice Liddell. Hunt sucht hier versteckte Botschaften und Scherze, die von Carroll für Alice in „Alice“ verarbeitet worden sind bzw. sein könnten (Figuren/Handlungsorte, die ein reales Vorbild besitzen). Kapitel 4 „Die Außenwelt von Charles Dodgson“ und Kapitel 5 „Das Innenleben von Charles Dodgson“ gehen noch einen Schritt weiter: Hunt beschäftigt sich in diesen Kapiteln mit potentiellen Witzen und Satiren, die Carroll allein zur eigenen Unterhaltung für sich selbst in „Alice“ eingebaut hat – unabhängig davon, ob andere Leser*innen den Humor überhaupt erkennen. In diesem Sinne interpretiert Hunt bspw. den „Fünf-Uhr-Tee“ vor dem Hintergrund einer Kampagne zur Aufwertung des Ernährungsstandards, die Carroll in Christ Church durchsetzen wollte. Spannend ist auch das 5. Kapitel, in dem Hunt mit Zahlen herumjongliert (Lewis Carroll bzw. Charles Dodgson war ja beruflich Mathematiker). So taucht z.B. die Zahl „42“ häufig in „Alice“ auf. Außerdem interpretiert Hunt einzelne Verse aus „Hinter den Spiegeln“ als direkte Anrede Dodgsons an die reale Alice und der „weiße Ritter“ wird als Alter-Ego Dodgsons interpretiert. Das letzte Kapitel „Von Oxford hinaus in die weite Welt“ zeichnet kurz den restlichen Lebensweg der realen Personen nach, die Hunt zuvor angesprochen hat, und gibt einen kurzen Überblick über die „Alice“-Rezeption. Inwiefern solch ein Interpretationsansatz, der der (potenziellen) Autorintention folgt, fruchtbringend ist, wird in den Literaturwissenschaften stark diskutiert (poststrukturale Tendenzen neigen eher zum „Tod des Autors“ (R. Barthes)), d.h. Autor*innen und ihr Leben könne man bei der Interpretation getrost unberücksichtigt lassen, um allein den Text zu fokussieren und ggf. subversive Tendenzen, die sich gegen eine etwaige Autorintention im Text verselbstständigt haben, herauszuarbeiten). Einiges, was Hunt herausarbeitet, ist spekulativer Natur – man kann sich nicht vollends sicher sein, ob Carroll dies oder jenes intendierte. Alles kann, nichts muss – aber das ist wahrscheinlich zugleich der Aspekt, der die „Alice“-Bücher so besonders macht.

Bewertung vom 08.03.2021
Die stillen Gefährten
Purcell, Laura

Die stillen Gefährten


ausgezeichnet

Inhalt: England im Jahre 1865. Elsie war glücklich. Sie hatte in Rupert Bainbridge einen fürsorglichen Ehemann gefunden und erwartet ein Kind; die Fabrik, die sie gemeinsam mit ihrem Bruder führte, prosperierte; einem Leben in den höheren gesellschaftlichen Kreisen schien nichts mehr im Wege zu stehen. Doch kurz nach der Hochzeit stirbt Rupert unter mysteriösen Umständen auf dem Familienanwesen "The Bridge" - und lässt die schwangere Elsie mit seiner verschrobenen Cousine zurück. Gemeinsam beziehen die beiden "The Bridge", wo sie auf ein seit Generationen verschlossenes Zimmer treffen. Als die Tür sich plötzlich öffnen lässt, offenbart der Raum seine Geheimnisse: ein uraltes Tagebuch und eine stille Gefährtin...

Persönliche Meinung: "Die stillen Gefährten" ist ein Schauerroman, der vor der historischen Kulisse des Viktorianischen Zeitalters spielt. Eine große Stärke des Romans ist seine atmosphärische Dichte, die besonders durch die Inszenierung der Handlungsorte entsteht. Nebel wogt über die Landschaften; "The Bridge" ist verwinkelt, knarzt und scheint verflucht; Fayford, das nahegelegene Dorf, ist heruntergekommen und den Bainbridges feindlich gesinnt. Der Schauer, der während der Lektüre entsteht, ist subtil: Nicht zerstückelte Leichen oder blutige Brutalität führen hier zum Grusel, sondern die titelgebenden "stillen Gefährten", lebensecht gemalte, zweidimensionale Holzfiguren, die den Bewohnern von "The Bridge" Gesellschaft leisten. Eher gemächliche Passagen wechseln sich mit spannungsgeladenen Szenen ab, wobei die Spannung/der Schauer jeweils langsam, in einem schön nervenkitzelnden Tempo aufgebaut wird. Erzählt wird die Handlung auf drei Zeitebenen und aus zwei Perspektiven. In Form eines Tagebuchs, das eine Vorfahrin Ruperts 1635 verfasste, erfahren die Leser*innen den Aufstieg der Familie Bainbridge und die Herkunft der stillen Gefährten. Der zweite Handlungsstrang spielt 1865/66 hauptsächlich auf "The Bridge" und wird aus Elsies Perspektive (dritte Person) erzählt. Über den dritten Handlungsstrang möchte ich gar nicht zu viel verraten. Nur so viel: Er spielt in einer Nervenheilanstalt zu einem nicht näher definierbaren Zeitraum (ungefähr ein, zwei Jahr) nach Elsies Erlebnissen in "The Bridge". Der Wechsel der Handlungsstränge erfolgt in einem passenden, Spannung erzeugenden Tempo. Interessant ist außerdem, dass der Roman den Leser*innen einen Interpretationsspielraum lässt - einige Antworten bleiben bewusst vage, einige Fragen eher offen, sodass man sich nicht vollends sicher sein kann, was auf "The Bridge" tatsächlich passiert ist. Insgesamt ist "Die stillen Gefährten" ein atmosphärisch dichter Roman, der subtile Schauerakzente setzt und durch mehrere Handlungsstränge Spannung erzeugt.

Bewertung vom 13.02.2021
Elfie - Einfach feenomenal
Wolff, Christina

Elfie - Einfach feenomenal


ausgezeichnet

Ein lustiges und spannendes Jugendbuch

Inhalt: Eigentlich ist Elfie ein ganz normales Mädchen (abgesehen davon, dass ihr richtiger Name „Elfrun“ ist, da ihr Vater ein Faible für germanische Namen hat. Ihre Brüder heißen übrigens Landogar und Tankred). Doch Elfies Leben ändert sich schlagartig, als sie bei einem Planetariumsbesuch in Ohnmacht fällt. Zwar legt sich das Ohnmachtsgefühl rasch, aber am nächsten Morgen erwartet sie ein neuer Schrecken: Sie wird – auf dem Schulklo – unsichtbar. Warum? Irgendwie hat ein magischer Strahl sie zur Fee gemacht, was heißt, dass Elfie – zusätzlich zur normalen Schule – auch noch die Feenschule besuchen muss.

Persönliche Meinung: „Elfie – einfach FEEnomenal“ ist ein Fantasybuch für Kinder und Jugendliche, das mit einem humorvollen Schreibstil auftrumpft. Mehrmals kommt es zu Slapstick-Einlagen, viele Figuren sind liebenswert verpeilt und Elfie, die die Handlung aus der Ich-Perspektive erzählt, hat den ein oder anderen flapsigen Spruch und Gedanken auf Lager. Interessant ist auch der Aufbau des Buches: Nach jedem Kapitel findet sich ein Textausschnitt (z.B. Tagebucheinträge, Rezepte, Zitate oder Briefe), der auf die Handlung des jeweils folgenden Kapitels vorausdeutet, sodass man gespannt weiterliest, wie sich der Inhalt des Ausschnittes im Kontext des Kapitels entfaltet. Die Elfenschule birgt einige innovative Fantasyelemente: Die Feen-in-Ausbildung können sich spezialisieren (z.B. zur Zahn- oder Kuchenfee) oder man hängt ein Jahr dran und wird Universalfee; die Feengemeinschaft besitzt eigene institutionelle Strukturen (ein Zirkel sollte z.B. nur 12 Mitglieder haben; Elfie ist das 13., wodurch Spannungen innerhalb des Zirkels auftreten); es gibt spezielle Prüfungen zum Ablegen des ersten Feenjahres). Daneben dreht sich „Elfie“ um Freundschaft, Familie und die erste große Liebe. Zum Ende der Handlung, als ein für den Feenzirkel wichtiger Gegenstand verschwindet, nimmt „Elfie“ zudem Züge eines Krimis an, der zusätzlich für Spannung sorgt und mit einer schönen Aufdeckungen auftrumpft. Aufgrund des luftig-lockeren Erzählstils kommt man auch sehr schnell in die Handlung hinein. Insgesamt ist „Elfie – einfach FEEnomenal“ ein lustiges und spannendes Kinder- und Jugendbuch, an dem auch erwachsene Leser*innen Freude haben werden.

Bewertung vom 22.12.2020
Die wunderbare Kälte
Rettelbach, Elisabeth

Die wunderbare Kälte


ausgezeichnet

Inhalt: Kai stalkt Menschen. Sie verfolgt sie, beobachtet sie, steckt ihnen Zettelchen zu, chattet mit ihnen, gibt sich als jemand anderes aus und verkuppelt sie – allein zur eigenen Befriedigung. Immer ist sie dabei, wenn ein von ihr verkuppeltes Pärchen sich im echten Leben das erste Mal trifft, jedes Mal ist sie verkleidet. Als sie spontan zwei Menschen trifft, die mal ein Paar waren, fokussiert Kai sich auf die beiden, sodass sich die Obsession verstärkt.

Persönliche Meinung: „Die wunderbare Kälte“ lässt sich schwer einem spezifischen Genre zuordnen. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive Kais, was dazu führt, dass die Leser*innen (genau so wie Kais „Opfer“) allein ihrem Gutdünken ausgeliefert sind. Denn: Kai ist keine einfache Protagonistin. In „Die wunderbare Kälte“ wird die Grenze ausgetestet, inwiefern man zwangsläufig mit den Protagonist*innen sympathisieren muss. Kai ist kompliziert, ihre Gedanken sprunghaft, ihre Handlungen moralisch fragwürdig, ihre Wahrnehmung oftmals gestört. Mehrmals hat man beim Lesen den Eindruck, Kai leide unter einer (nicht näher benannten) psychischen Störung. Nur in einzelnen, wachen Momenten sieht man die Person, die in Kai steckt. Kai ist der Filter der Handlung: Allein das, was sie wahrnimmt (oder besser: wahrnehmen will), erfahren auch die Leser*innen. Aufgrund ihrer Persönlichkeit ist Kai allerdings hochgradig unzuverlässig, sodass sie auch als „unzuverlässiger Erzähler“ auftritt. Anders formuliert: Letztlich weiß man beim Lesen gar nicht sicher, ob die Handlung tatsächlich so geschehen ist, wie Kai sie erzählt. Passend zu diesem Umstand wird häufig die Erzählform des inneren Monologs genutzt, der teilweise in einen ungeordneten Bewusstseinsstrom abdriftet. So wird insgesamt das Sprunghafte und Verwirrte Kais treffend wiedergegeben. Der Handlung ist dementsprechend nicht immer einfach zu folgen; öfter musste ich innehalten, weil Kais Taten und Gedanken vergleichsweise fremd sind und einen teilweise auch sprachlos zurücklassen. „Die wunderbare Kälte“ ist keine einfache Lektüre; nichts, was man mal eben zwischendurch „runterliest“, sondern literarisch vergleichsweise anspruchsvoll. Aber dies zeichnet die Besonderheit und Andersheit von „Die wunderbare Kälte“ aus, wodurch der Roman sich vom Mainstream abhebt.

Bewertung vom 10.12.2020
Wonderlands

Wonderlands


ausgezeichnet

Eine Einführung in die literarischen Wunderländer

"Wonderlands", herausgegeben von Laura Miller, ist eine Zusammenstellung von 100 Essays, die sich mit literarisch-imaginierten Ländern beschäftigen. Damit sind Handlungsorte gemeint, die von "unserer" Welt und ihren Regeln abweichen, also "Wonderlands" sind. Ein "Wonderland" im Sinne des Buches muss aber keine Utopie sein; auch Dystopien werden thematisiert. Die beiden großen Genres, die im Sachbuch thematisiert werden, sind Science Fiction und Fantasy/Phantastik. Dabei werden sowohl klassische als auch zeitgenössische Werke vorgestellt ("Wonderlands beginnt mit dem "Gilgamesch-Epos" und endet mit Salman Rushdies "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte"). Es ist in fünf Kapitel unterteit. Das erste Kapitel "Alte Mythen & Legenden" deckt den Zeitraum von 1750 v. Chr. bis 1666 n. Chr. ab und behandelt Texte wie "Die Göttliche Komödie" oder "Don Quijote". Das zweite Kapitel "Wissenschaft & Romantik" beschäftigt sich mit Klassikern des 18. und 19. Jahrhunderts ("Alice im Wunderland"; "Die Schatzinsel"). Kapitel 3 "Das goldene Zeitalter der Fantasy" (1901-1945) thematisiert, wie der Titel schon sagt, hauptsächlich Fantasy-Bücher ("Peter Pan"; "Mumins lange Reise"). "Neue Weltordnung" (1946-1980), das vierte Kapitel von "Wonderlands" stellt Texte unterschiedlichster Art vor ("Der Herr der Ringe", "Schlachthof" von K. Vonnegut oder W. Goldmanns "Die Brautprinzessin". Kapitel 5 "Das Computerzeitalter" (1981-heute) ist ebenfalls mit "Harry Potter", den "Scheibenwelt"-Romanen, H. Murakamis "1Q84" oder B. Atxagas "Obabakoak" breit gefächert. Es werden sowohl altbekannte Klassiker als auch Werke thematisiert, die man weniger auf dem Schirm hat, sodass "Wonderlands" eine schöne Fundgrube für Geheimtipps ist. Geographisch decken die ausgewählten Werke hauptsächlich den englischsprachigen Raum ab. Ziel des Werkes ist es, einen essayistischen Überblick über das jeweilige Werk zu geben. So besitzen die einzelnen Essays meist einen Umfang von 3 Seiten. Die Essays sind ähnlich aufgebaut: Sie informieren über die jeweilige Autor*in, geben eine kurze Inhaltsangabe des Werkes und bestimmen kurz den literar- und kulturhistorischen Wert. Zusätzlich dazu sind die Essays reich bebildert; teilweise mit Doppelseiten (Cover, Karten, Gemälde/Filmausschnitte, die auf dem Werk basieren etc.). "Wonderlands" ist insgesamt eine schön aufbereitete, informative und breit gefächerte Fundgruppe, die Werke mit fantastischen Welten näher vorstellt.

Bewertung vom 07.12.2020
Das Wunder von R.
Cavallo, Francesca

Das Wunder von R.


sehr gut

Ein Kinderbuch mit einer wichtigen Botschaft

Inhalt: Kurz vor Weihnachten muss die Familie Greco-Aiden umziehen. Der neue Präsident ihres Landes hatte bestimmt, dass Familien mit zwei Müttern und drei Kindern ab sofort illegal seien. Doch auch ihre neue Stadt R. ist nicht perfekt: Die Erwachsenen reden nicht miteinander – aus Furcht, dass etwas Schlimmes passiert. Denn: Wenn nichts passiert, kann auch nichts Schlimmes passieren. Die Kinder aus R. (und auch der Weihnachtsmann) sehen das aber ganz anders.

Persönliche Meinung: „Das Wunder von R.“ ist ein weihnachtliches Kinderbuch, das einige gesellschaftsrelevante Themen anspricht. So beschäftigt sich „Das Wunder von R.“ mit Homophobie und Egoismus innerhalb der Gesellschaft. Bereits im Vorwort benennt die Autorin Francesca Cavallo den Umstand, dass in Weihnachtserzählungen sehr selten Familien mit gleichgeschlechtlichen Paaren vorkommen. Früher habe sie immer gedacht, dass das wohl irgendwie sinnvoll begründet werden könne. Denn: Erwachsene wüssten schon, was sie tun. Erst im Erwachsenenalter wurde ihr bewusst, wie falsch das Fehlen gleichgeschlechtlicher Paare in weihnachtlichen Erzählungen ist. Dementsprechend widmet sie „Das Wunder von R.“ auch „[a]llen Kindern, die sich Erwachsenen widersetzen, um die Welt zu verändern.“ Diese Widmung umreißt auch grob den Plot der Erzählung: Die Kinder der Stadt R. möchten nicht so abgekapselt leben wie ihre Eltern und versuchen, ihre Eltern aus der selbstauferlegten Gefühlskälte zu befreien. Dabei ist die Handlung in ein weihnachtliches Setting eingebettet: Sie spielt kurz vor Weihnachten und Elfen sowie der Weihnachtsmann persönlich treten auf (besonders der Auftritt der Elfen ist dabei magisch). Die Erzählung ist in mehrere, kurze Kapitel unterteilt, die Schrift ist vergleichsweise groß und die Sprache sehr verständlich, sodass es sich sehr gut für jüngere Leser*innen eignet. Es finden sich zudem einige schön weihnachtliche Illustrationen von Verena Wugeditsch. Wenn man „Das Wunder von R.“ aus der Perspektive eines Erwachsenen liest, fallen möglicherweise ein paar Logikfehler auf und vielleicht findet man die Geschichte zu kurz. Beides fällt für mich allerdings nicht sonderlich ins Gewicht. Insgesamt ist „Das Wunder von R.“ eine schöne, kleine Weihnachtsgeschichte, die eine wichtige Botschaft besitzt und sich traut, gesellschaftliche Problemlagen zu benennen.

Bewertung vom 28.11.2020
Asterix - Der Goldene Hinkelstein
Goscinny, René;Uderzo, Albert

Asterix - Der Goldene Hinkelstein


sehr gut

Eine neue alte Asterix-Geschichte

Kurz zur Veröffentlichungsgeschichte: „Der goldene Hinkelstein“ von R. Goscinny und A. Uderzo ist ursprünglich als Schallplattenbuch im Jahr 1967 erschienen. Für die Neuveröffentlichung im Oktober 2020 wurde der Text erstmalig auf Deutsch übersetzt und die Zeichnungen restauriert.

Inhalt: Troubadix möchte bei einem Gesangswettbewerb teilnehmen. Asterix, der um das (nicht vorhandene) Können des Barden weiß, begleitet ihn gemeinsam mit Obelix, um ihn vor dem Publikum, das vermutlich nicht von den Künsten Troubadix‘ überzeugt sein wird, zu beschützen. Doch auch die Römer sind mit von der Partie und kidnappen den angeblich größten Barden seiner Zeit: Troubadix.

Persönliche Meinung: Der Aufbau von „Der goldene Hinkelstein“ erinnert eher weniger an einen typischen (Asterix-)Comic. Viel mehr erinnert er an ein bebildertes Hörspielscript, woran man sich erst gewöhnen muss. Typische Comic-Elemente, wie Sprechblasen und Panels, fehlen. Die Zeichnungen, insgesamt sind es 21 Stück, sind im bekannten Asterix-Stil gehalten. Die Handlung ist insgesamt humorvoll und kurzweilig: Die Römer sind naiv-überheblich bis dümmlich dargestellt (der römische General kennt z.B. nicht die berühmte Formulierung „Ich kam, ich sag, ich siegte“), der Text ist mit Wortwitz geschrieben (z.B. tritt beim Gesangswettbewerb ein Barde namens „Comedienharmonix“ auf) und es finden sich typische Asterix-Motive (der Ausruf „Beim Teutates!“ oder Obelix, der unbedingt vom Zaubertrank trinken möchte und immer irgendwen verkloppen möchte). Zwischendurch gibt es noch einige andere lustige Szenen, die ich jetzt aber nicht vorwegnehmen möchte. Insgesamt ist „Der goldene Hinkelstein“ eine humorvolle Asterix-Geschichte, wobei man sich allerdings zunächst an die scriptartige Darstellung des Textes gewöhnen muss.

Bewertung vom 14.11.2020
Flo, der Flummi und das Schnack

Flo, der Flummi und das Schnack


ausgezeichnet

Ein bunter Vorlesegeschichten-Schatz

„Flo, der Flummi und das Schnack“ ist eine Zusammenstellung von 31 Vorlesegeschichten, die zuerst in Nido, einer Zeitschrift für junge Familien, erschienen sind. Die Geschichten stammen aus den Federn von literarischen bzw. künstlerischen Größen Deutschlands, wie Paul Maar, Alexa Henning von Lange, Juli Zeh oder Feridun Zaimoglu. Jede Geschichte ist mit einer ungefähren Lesezeit und einer Angabe, ab welchem Alter sie sich eignet, versehen. Zusätzlich dazu ist jede Erzählung mit einer Illustration von Martina Liebig geschmückt, die farblich ansprechend und liebevoll-detailliert gestaltet worden sind. Eine Geschichte ist im Schnitt 5-7 Seiten lang. Inhaltlich sind die Geschichten vielfältig: So handeln sie von einem Apfelkönig, einem Elefanten, der lesen lernen möchte, dem Spitar aus dem Kaugummiautomaten, der immer die Wahrheit sagt, dem kleinen Flo, der sich immer wieder verspricht, Wollmäusen und einem Zombiekind. Thematisch ist die Bandbreite ebenfalls groß. Die Vorlesegeschichten drehen sich um Freundschaft, Wünsche, den (gar nicht so einfachen) Alltag als Kind, Trauer, Migration, Mobbing und den Tod. Einige der Texte sind eher phantastisch-märchenhaft, andere eher realistisch. Jede Geschichte ist allerdings auf ihre Art literarisch anspruchsvoll, was sich bspw. in der Handlung, dem Thema, der Botschaft oder auch der Offenheit einzelner Geschichten zeigt. Insofern wird das Buch dem eigenen Anspruch gerecht, „für Kinder und Eltern, die sich nicht langweilen möchten“, geschrieben zu sein. Die Geschichten sind nicht nur zum Vorlesen da, sondern laden zum anschließenden (literarischen) Gespräch über die Geschichte ein. Da sich so viele unterschiedliche Geschichten in „Flo, der Flummi und das Schnack“ versammeln, wird vermutlich für jeden eine passende dabei sein. Welche Geschichten man zu seinen Lieblingen kürt, ist natürlich sehr subjektiv. Ich möchte hier nur kurz meine drei Highlights vorstellen: „Karl Sparka kann nicht malen“ von Jochen Schmidt handelt, wie der Titel schon sagt, von Karl Sparka. Karl soll etwas malen, mag das aber gar nicht. Aus kindlicher Sicht wird erläutert, was Karl an seinen Bildern bemängelt. Der blaue Stift ist ausgetrocknet! Da muss der Himmel – leider – grün werden. Finger sind schwierig. Manchmal haben die Menschen daher acht Stück. Karls Vater fängt diese Unzufriedenheit auf und erklärt Karl, warum seine Bilder trotzdem besonders sind. Auch die titelgebende Geschichte „Flo, der Flummi und das Schnack“ von Harriet Köhler hat mir sehr gut gefallen. Der kleine Flo hat Schwierigkeiten in der Aussprache, was einerseits zu einigen lustigen Versprechern führt. Andererseits beginnen die anderen Kinder aber, ihn zu meiden, da sie ihn nicht mehr verstehen. Eines Tages kommt aber ein neues Mädchen in die Kita, die die gleichen Schwierigkeiten wie Flo hat. Beide freunden sich sofort an und merken, dass sie nicht allein sind. „Paraplü, das Stachelschwein“ von Eva Menasse dreht sich um ein Stachelschwein, das sich für einen guten Dichter hält. Leider ist es das nicht, sodass es von den anderen Waldbewohnern gemobbt wird. Nach kurzer Zeit erkennen die Waldbewohner aber, dass sie zu weit gegangen sind, und ermutigen Paraplü, das Dichten nicht aufzugeben. „Flo, der Flummi und das Schnack und andere Vorlesegeschichten für Kinder und Eltern, die sich nicht langweilen möchten“ ist insgesamt ein buntes Sammelsurium an besonderen, literarisch anspruchsvollen Geschichten.