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Forti

Bewertungen

Insgesamt 207 Bewertungen
Bewertung vom 12.10.2017
Der gefährlichste Ort der Welt
Johnson, Lindsey Lee

Der gefährlichste Ort der Welt


ausgezeichnet

"Das war Mill Valley: Ein Traum, erdacht, um Achtjährige glücklich zu machen." (S. 125) Leider sind die Protagonisten des Buches zwar jugendlich, aber doch älter als acht Jahre und so kann man sich als Leser bei einem Buch mit dem Titel 'Der gefährlichste Ort der Welt' denken, dass es hier um eine amerikanische Kleinstadt geht, in der nicht alles so perfekt ist, wie es oberflächlich gesehen scheinen mag.
Auch wenn meine Jugend anders war als die hier beschriebene, fühlte ich mich aufgrund der guten Beschreibung und der Sprache, die Lindsey Lee Johnson gewählt hat, gleich zurück versetzt in die teils grausamen Teenagerjahre, wo Äußerlichkeiten und die Meinung anderer so wichtig sein können.
Über den Inhalt möchte ich hier möglichst wenig verraten - nur soviel: der Klappentext umfasst ungewöhnlicherweise den Anfang und das Ende des Buches. Das Buch spielt also komplett in der Schulzeit: 8. bis zum Schulabschluss in der 12. Klasse. Beschrieben wird aus einzelnen, ganz unterschiedlichen Blickwinkeln einiger Schüler dieser Abschlussklasse. Man lernt die einzelnen Jugendlichen in diesen verhältnismäßig kurzen Abschnitten intensiv kennen.

In seinen einzelnen Geschichten ist das Buch nichts neues - vieles habe ich so oder so ähnlich schon gelesen oder etwas in Serien oder Filmen gesehen. In seiner Gesamtheit ist Johnsons Buch aber eine komprimierte Darstellung der (möglichen) Probleme Jugendlicher der amerikanischen weißen Mittel- bis Oberschicht. Vor allem ist es recht aktuell - so mag Facebook, das von den Protagonisten des Buches ausführlich genutzt wird, bei den Jugendlichen 2017 schon wieder out sein, aber dafür gibt es neue Medien mit ähnlichen Dynamiken, die derzeit genutzt werden. Das Internet, das nie vergisst, ist in immer neuen Formen ein Aspekt, der das Erwachsenwerden heute stark beeinflusst.

Es ist eine Blase, in der die Protagonisten leben - das wird vom Buch nicht verschwiegen. Armut, Rassismus, Terrorismus - das findet hier alles nicht statt. Dennoch geht es um Themen, die die meisten Jugendlichen in der wohlhabenden westlichen Gesellschaft betreffen. Interessant ist dieser Focus auf die wohlhabende, weiße Oberschicht, in Zeiten, in denen sich die Medien häufig eher auf die Erforschung des wütenden, unterprivilegierten weißen Mann (der potentielle Wähler des orangen Mannes) konzentrieren, wenn es um gesellschaftliche Zustände in den USA geht.

Es sind wohl nicht nicht dringlichsten Probleme der USA, die in diesem Buch behandelt werden, aber ich finde es eine durchaus lesenswerte, aktuelle Lektüre, die zum Nachdenken und Verstehen anregen kann. Auch wenn es manchmal wie ein Jugendbuch anmutet, sehe ich die Zielgruppe doch eher bei Erwachsenen.

Bewertung vom 04.10.2017
Hamstersaurus Rex
O'Donnell, Tom

Hamstersaurus Rex


sehr gut

Empfohlen ist das Buch von Tom O'Donnell, das in einer sechsten Klasse spielt, für Jungen ab 9 Jahren. Auch wenn ich fest zugeschriebenen Geschlechterrollen eher skeptisch gegenüber stehe, vermute ich, dass "Hamstersaurus Rex" tatsächlich eher Jungen anspricht als Mädchen, aber ich frage mich, ob 9 Jahre nicht zu jung für dieses Buch ist.

Der Ich-Erzähler Sam nimmt sich des Klassenhamsters an. Wie sich herausstellt, hat das Tier, das er liebevoll 'Hammy Rex' nennt, einen mehr als gesunden Appetit auf Fastfood und mutiert vom niedlichen Nager zu einem (mehr oder weniger) furchteinflössenden Dinosaurier-Hamster. Dass diese Verwandlung, die Sam versucht geheim zu halten, für allerlei Verwicklungen und kuriose Situationen sorgt, kann man sich ja denken.
Der Schulalltag und die Unterichtsthemen sind sehr amerikanisch. Das Thema genmanipulierte/genmanipulierende(?) Lebensmittel eines Großkonzerns ist ungewöhnlich und vielleicht etwas ambitioniert für ein Jugendbuch. Allerdings wird es ohne erhobenen Zeigefinger und nicht belehrend umgesetzt, was ich wiederum passend finde. Trotzdem liest sich das für mich teilweise recht gewöhnungsbedürftig - wie die jungen Leser damit umgehen, ist vermutlich auch typabhängig.

Teilweise ist es witzig geschrieben. Die jungen Leser sind aber durchaus gefordert - es gibt lange Sätze und Fremdworte.

Die Illustrationen von Tim Miller fand ich passend und niedlich bis witzig. Sie sind einfach gehalten, illustrieren den Text aber gut.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2017
Der Vater, der vom Himmel fiel (eBook, ePUB)
Henderson, J. Paul

Der Vater, der vom Himmel fiel (eBook, ePUB)


sehr gut

J. Paul Henderson hat einen ungewöhnlichen, unaufgeregten, liebenswerten Familienroman geschrieben. Ungewohnt für das Genre ist das Hauptaugenmerk auf die Männer der Familie - die Hauptprotagonisten sind allesamt männlich: die Brüder Greg und Billy, ihr Vater Lyl und dessen Bruder Frank. Frauen spielen hier nur eine Nebenrolle. Das ist ungewohnt, aber auch gut und nie klischeehaft männlich.
Das Personal des Romans ist ausnahmslos britisch-schrullig - zu einem großen Teil auch liebenswert und sympathisch. Die kleinen und großen Macken, die gekonnt charakterisiert werden und wobei Henderson genau den richtigen Ton trifft - die Menschen also weder verletzend noch übertrieben beschreibt - sind für mich ein wichtiger Aspekt, der das Buch lesenswert macht.

Nach und nach werden zahlreiche Familiengeheimnisse aufgedeckt - manche eher witzig, manche etwas tragisch. Obwohl das Buch auch traurige Themen behandelt, hält der Autor doch eine Leichtigkeit aufrecht, die den Leser nicht schwermütig werden lässt.

Dabei wird immer stärker die Bedeutung von Familie auch außerhalb der Kernfamilie (Vater, Mutter, Kinder) deutlich gemacht.

Ein schönes britisches Buch - eine lesenswerte Familiengeschichte ohne unnötiges Beiwerk.

Bewertung vom 11.09.2017
Die Geschichte der getrennten Wege / Neapolitanische Saga Bd.3
Ferrante, Elena

Die Geschichte der getrennten Wege / Neapolitanische Saga Bd.3


ausgezeichnet

Weiter geht es mit der Neapolitanischen Saga! Endlich liegt der dritte von vier Bänden in deutscher Übersetzung vor. Ich empfehle dringend, die Reihe von Anfang an zu lesen und mit 'Meine geniale Freundin' zu beginnen! 'Die Geschichte der getrennten Wege' ist allerdings wohl auch ohne Vorkenntnisse zu verstehen.
Auf den ersten Seiten gibt es wieder eine Zusammenfassung der wichtigsten bisherigen Ereignisse und der handelnden Personen. Das reichhaltigen Personal mit (sich manchmal ähnelnden) Namen und Spitznamen erfordert eine gewisse Konzentration des Lesers, macht für mich aber auch mit den Reiz der Reihe aus.

Italien, Ende der 1960'er Jahre. Die Ich-Erzählerin Elena und ihre Freundin Lila sind Mitte zwanzig, Elena hat ihr Studium beendet und Lila ist Mutter und Arbeiterin in einer Wurstfabrik. So unterschiedlich beider Leben bisher verlaufen sind, so zeigen sich doch auch immer wieder Gemeinsamkeiten. Beide engagieren sich politisch links und für die Gewerkschaft, obwohl sie beide eher zufällig in diese Strömung hineingerutscht zu sein scheinen.
Wie schon im vorangegangenen Band fragt man sich, warum beide an der Freundschaft festhalten, wo doch die Konflikte, Neid und Missgunst die innigen, freundschaftlichen Momente oftmals überdecken. Aber das macht wohl eine Freundschaft fürs Leben aus.

Die Neapolitanische Saga ist nicht nur die Geschichte einer Freundschaft, sondern auch italienische Geschichte. Anhand der Leben von Elena, Lila und der anderen Bewohner des Rione in Neapel wird das Leben im Italien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit vielen Facetten beschrieben. Im vorliegenden Band sind das die 1960'er und 1970'er Jahre, geprägt von politischen Kämpfen zwischen links und rechts.

Die Geschichte wird von Elena Ferrante im gewohnt ruhigen Ton erzählt, der sehr angenehm zu lesen ist.

Bewertung vom 31.08.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


ausgezeichnet

Zusammen mit der jungen Sklavin Cora begibt sich der Leser auf die Flucht durch die Südstaaten der USA. Die Handlung spielt (vermutlich) Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die titelgebende Underground Railroad, das illegale Netzwerk, das wirklich Sklaven auf der Flucht geholfen hat, wird hier sehr fiktiv und auch nur als Nebenschauplatz dargestellt. Im Buch handelt es sich um eine Eisenbahn, die unter der Erde fährt, was so natürlich nicht geschehen ist. Diese Darstellung ist einerseits etwas schade, da ich gerne mehr über das Netzwerk erfahren hätte, andererseits rücken durch diese fiktive, unaufgeregte Umsetzung die Menschen und die Lebensumstände der Schwarzen in den USA in den Fokus. Das Amerika - vor allem die Südstaaten - vor dem Bürgerkrieg wird hier verdichtet in vielen Facetten dargestellt.

Da die Darstellung der Underground Railroad fiktiv ist, habe ich mich gefragt, wie nah an der Realität die restlichen Schilderungen im Roman sind. Die Sklaverei wird brutaler dargestellt, als ich es je zuvor gelesenen habe - in der Annahme, dass es wirklich verbreitet solche Vorkommnisse gab, wie sie hier beschrieben sind, ist die Darstellung manchmal an der Grenze des Erträglichen. Hier wird nichts geschönt oder ausgelassen. Auch der Alltag der (vermeintlich) freien Schwarzen wird meiner Einschätzung nach mit Alltagsrassismus und Diskriminierungen sehr treffend dargestellt.

Die Wurzeln des Rassismus in den heutigen USA und der dort teilweise immer noch herrschende Rassentrennung wurden für mich durch diesen Roman erklärbar (was beides aber natürlich nicht rechtfertigt).

Definitiv ein lesenswertes Buch! Colson Whitehead hat eine einfühlsame, aber auch spannende Geschichte geschrieben. Für Laien in amerikanischer Geschichte hätte ich mir allerdings noch eine historische Einordnung der wahren Geschehnisse als Nachwort gewünscht.

***

Ein Vergleich zum anderen großen aktuellen Roman über Sklaverei bietet sich hier natürlich an. Yaa Gyasis "Heimkehren" ist in meinen Augen ebenfalls ein grandioses Buch zum Thema, geht dieses aber völlig anders an. Sie setzt in ihrem Roman einen Fokus auf Afrika und die Entwicklung einer Familie über mehr als 200 Jahre, während bei Colson Whitehead sich die Handlung auf die USA und eine einzelne Person bezieht. Der weiße Blickwinkel spielt bei Yaa Gyasi keine Rolle, während Colson Whitehead auch diesen beleuchtet. Ich lege dem interessierten Leser beide Bücher ans Herz.

Bewertung vom 17.08.2017
Heimkehren
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

Yaa Gyasi hat eine ungewöhnliche Familiensaga geschrieben. Gleich zu Anfang, Ende des 18. Jahrhunderts - bei den Halbschwestern Effia und Esi, die sich nie kennenlernen, - gabelt sich die Geschichte in zwei Familienzweige. Die zwei Familien entwickeln sich sehr verschieden: Effias Familie bleibt in Ghana und profitiert vom Sklavenhandel, während Esi in die USA versklavt wird. Kapitelweise wird in jeder Generation ein Mitglied (m/w) pro Familienzweig in den Focus gesetzt. Der Leser begleitet dieses Familienmitglied eine bestimmte Zeitspanne - meist im jungen Erwachsenenalter. Die Familienmitglieder agieren somit selten miteinander, sondern eher nacheinander oder auch ganz unabhängig voneinander. Durch die gleichzeitig intensive wie auch verhältnismäßig kurze Beschäftigung mit den einzelnen Personen, ist es möglich, die über 200-jährige Familiengeschichte auf verhältnismäßig kompakten 416 Seiten zu erzählen.
Obwohl jedem Familienmitglied nur verhältnismäßig wenig Seiten zukommen, sind die Charaktere unglaublich gut gezeichnet. Ich hatte das Gefühl, alle der zwölf sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten wirklich kennengelernt zu haben.
Ein Blick in den Stammbaum, der ganz am Ende des Buches abgedruckt ist, hilft, wenn man zwischendurch den Überblick verloren hat.

Ein wirklich glückliches Leben führt keins der vorgestellten Familienmitglieder. Trotzdem geht es immer weiter - meistens ist auch ein Streben nach einem besseren, glücklicheren Leben zu erkennen.
Das ist alles oft eigentlich recht traurig, aber wirkliches Mitleid kommt nicht auf, da der Text keinen Vorwurf erhebt, gleichzeitig aber auch nicht verharmlost. Der schmale Grad zwischen diesen beiden Sichtweisen ist von der Autorin grandios getroffen.

Eine tolle Geschichte mit unzähligen Aspekten und Facetten: Sklaverei, Ghana, afroamerikanische Geschichte, Familienähnlichkeiten, Identitätssuche und einiges mehr.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.08.2017
Swing Time (eBook, ePUB)
Smith, Zadie

Swing Time (eBook, ePUB)


sehr gut

Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin berichtet in "Swing Time" aus ihrer Kindheit, Jugend und der Zeit als junge Erwachsene. Dabei scheint sie immer im Schatten starker, dominanter Frauen zu stehen - ihrer Mutter, der Jugendfreundin Tracey und der Pop-Sängerin Aimee, bei der sie arbeitet. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in London, jettet sie als junge Erwachsene mit Aimee um die ganze Welt, was schließlich in längeren Aufenthalten in Westafrika gipfelt.
Die Geschichte wird mit vielen Zeitsprüngen zwischen Kindheit/Jugend und Erwachsenenalter erzählt.

Ich habe das Buch lange Zeit sehr gerne gelesen. Auch wenn mir ein erkennbarer roter Faden fehlte und die Handlung eher anekdotenhaft erzählt wird, fand ich das Buch interessant und gut zu lesen. Der Schreibstil von Zadie Smith ist angenehm ruhig und flüssig und wurde von der Übersetzerin Tanja Handels gut ins Deutsche übertragen.
Irgendwann in der Mitte des Buches stieß mir aber der mangelnde erkennbare Fortschritt der Handlung und die Passivität der Ich-Erzählerin immer mehr auf. Ich hatte außerdem immer stärker das Gefühl, dass die Autorin in diesem Buch zu viele einzelne Themen abhandeln will - und das auf eine Art und Weise, dass ich manchmal das Gefühl hatte, sie möchte mit bestimmten Personengruppen abrechnen. Zugute halten möchte ich, dass es hier nie richtig klischeehaft wird. Obwohl man fast alle behandelten Themen in Zusammenhang mit der 'braunen Haut' der Ich-Erzählerin (ihre jamaikanische Mutter stammt von afrikanischen Sklaven ab, ihr Vater ist Weißer) setzen kann, spielt z.B. offener Rassismus quasi keine Rolle.
Im letzten Drittel wurde es dann wieder besser, die Handlung läuft auf ein logisches Ende hinaus, das aber auch vieles offen lässt.

Ein Buch über eine junge Frau, die auf der Suche nach der eigenen Identität ist - mit Schwächen, aber für Leser, die sich für das Thema Rassismus und Identitätssuche von people of color interessieren, dennoch zu empfehlen.

Bewertung vom 07.08.2017
Und Marx stand still in Darwins Garten (eBook, ePUB)
Jerger, Ilona

Und Marx stand still in Darwins Garten (eBook, ePUB)


gut

Ilona Jerger hat sich in ihrem Roman viel vorgenommen: wissenschaftliche und historische Fakten in einen unterhaltsamen Roman zu verpacken, ist keine einfache Aufgabe - in meinen Augen ist ihr der Spagat zwischen Unterhaltung und Fakten bedingt gelungen.

London, Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei prägende Männer der Zeit - Charles Darwin und sein Vornamensvetter Karl Marx - verbindet einiges: beides wissenschaftliche Vordenker, die sowohl von diversen Wehwehchen als auch von einer Schreibblockade geplagt sind. Erstaunlicherweise haben sie sich in der Realität nie persönlich kennengelernt.
Die hier thematisierte fiktive Begegnung der beiden, die dem Buch seinen Titel gibt und auf die die Geschichte hin arbeitet, verläuft in meinen Augen dann eher unspektakulär. Es bleibt bei einem einmaligen Abendessen der beiden - den Eklat sehe ich hier nicht.

Die Autorin verliert sich manchmal in Details. Das mag manchen​ Lesern gefallen, ich fand es eher ermüdend. Ilona Jerger umkreist hierbei vorallem zwei Themen, die die beiden gealterten Wissenschaftler umtreiben: das Verhältnis zur Kirche und die eigenen körperlichen Leiden - für mich ehrlich gesagt nicht die Themen, über die ich bevorzugt lese. Ich glaube der Autorin, dass der Stoff gut recherchiert ist, aber mir sagt die Mischung von Realität und Fiktion nicht wirklich zu und außerdem ist es mir dann oft zu theoretisch bzw philosophisch für einen unterhaltenden Roman.

Wer sich für die gesellschaftlichen Umbrüche des ausgehenden 19. Jahrhundert interessiert und gerne halbfiktive historische Romane liest, fühlt sich hier vielleicht besser unterhalten als ich.

Bewertung vom 31.07.2017
Eine von uns
Cummings, Harriet

Eine von uns


gut

"Eine von uns" erzählt von einem englischen Dorf auf der Suche nach einem ungewöhnlichen Einbrecher - statt seine Opfer zu berauben, scheint er sie eher beobachten zu wollen. Hierbei werden nacheinander vier Dorfbewohner in dem Focus genommen: eine junge Hausfrau, der Aushilfspriester, der Dorfpolizist und der Leiter des örtlichen Supermarktes. Die momentane Situation und die jeweilige persönliche Vorgeschichte werden aus ihrem Blickwinkel berichtet.
Das Buch ist inspiriert von wahren Geschehnissen. Die Autorin Harriet Cummings ist in dem englischen Dorf aufgewachsen, in dem 1984 der sogenannte Fox in Häuser eingebrochen ist - von den wahren Ereignissen, von denen sie im Nachwort erzählt, weicht die hier aufgeschriebene Geschichte allerdings deutlich ab.

Obwohl sich das Buch größtenteils flüssig liest, ist es manchmal sprachlich speziell - im Einzelfall vielleicht auch etwas sperrig. Das ergibt sich einerseits durch die Erzählung im Präsens, vor allem (meiner Einschätzung nach) aber durch die Übersetzung des Österreichers Walter Goidinger. Durch den österreichischen Einschlag wirkt die Sprache, die das Buch jetzt hat, für deutsche Leser vielleicht manchmal etwas ungewohnt bis altbacken.
Das war ein Grund, warum ich an manchen Stellen ins Stocken kam. Ein anderer Grund abseits der Sprache sind kleine Details, die mir unklar blieben und bei denen ich mir im Nachhinein nicht sicher bin, ob sie Absicht sind: habe ich etwas nicht richtig verstanden? Soll der Leser in die Irre geführt werden? Oder sind es Fehler? (Wenn mir jemand die erste Jahreszahl auf Ruth' Grabstein erklären kann, würde ich mich sehr über einen Kommentar freuen)

Die Autorin versteht es, eine unheimliche Stimmung aufzubauen, aber richtig spannend fand ich das Buch nicht und würde es auch keinesfalls als Krimi einordnen.
Lange Zeit kommt die Suche nach dem Fox nicht voran - die gegenseitigen Verdächtigungen der Dorfbewohner sind nicht so allgegenwärtig und nervenaufreibend, wie ich angenommen habe. Stattdessen stehen die vier vorgestellten Einzelpersonen und ihre persönlichen Probleme im Vordergrund. Das war ganz interessant und die vier Personen sind mir auch ein Stück ans Herz gewachsen, aber ich hatte vom Buch etwas anderes erwartet und bin deshalb etwas enttäuscht.

Bewertung vom 24.07.2017
Sommerkind
Held, Monika

Sommerkind


sehr gut

"Sommermädchen" ist ein einfühlsam erzählter Roman. Erzählt wird die Geschichte von Kolja, dessen Schwester Malu nach einem Schwimmunfall im Wachkoma liegt, und von Ragna, die diese Schwester vor 30 Jahren gerettet hat.
Anhand des Schwimmunfalls der jungen Malu wird deutlich, wie sehr ein einzelnes Unglück einer Person die Menschen im Umfeld intensiv und lange beeinflussen kann.

Das Ende löst nicht alles auf und vermag deshalb manche Leser enttäuschen. Auch ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte noch etwas weiter hätte erzählt werden sollen. In "Sommermädchen" stehen einzelne Themen, Szenen und Zwischentöne vor der Gesamthandlung. Deshalb ist es insgesamt doch ein schönes Buch, das zum Nachdenken anregt. Die Charaktere und ihre Beziehung zueinander werden intensiv und gut beschrieben.
Mir haben auch die Beschreibungen der Nordsee, insbesondere der Hallig, sehr gefallen.