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LichtundSchatten

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Insgesamt 313 Bewertungen
Bewertung vom 03.12.2023
WOKE - Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht
Ramadani, Zana;Köpf, Peter

WOKE - Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht


ausgezeichnet

Ein zentrales Buch für die kommende Zeit. Die Autoren schlüsseln die Ebenen des Oberkommandos Weltmoral auf und vermitteln, warum die quasireligiöse Bewegung des Schutzes der Heiligen Minderheiten der letzten Tage in die Irre führen muss. Im Bereich Gendern gibt es es schon wirksame Gegenbewegungen, diese Verirrungen scheitern auch an der fehlenden Alltagstauglichkeit.

Sie verlangen Ergebnisgleichheit total. Leistung, Eignung und Befähigung zählen nicht mehr, sondern willkürlich gesetzte Regelwerke, die zudem andere Gruppen ausgrenzen.
Es herrscht Selbstgerechtigkeit statt Gerechtigkeit. Der schuldige, alte weiße Mann kann nichts mehr zu sagen haben. Wie in der franz. Revolution wird zu radikal und konzeptlos agiert, die Woken sind eine Risikogruppe für die Demokratie.

„Ausgestattet mit leidenschaftlicher Lust und zweifelhaften Argumenten wähnt sich die Elite der Erwachten auf dem leuchtenden Pfad in ein moralisches Morgen.“ Statt Altruismus herrscht in dieser Bewegung aber Bevormundung, die sich so wohlig überlegen anfühlt. Diese päpstliche Attitüde der Unfehlbarkeit mit hochroten Backen begegnet ihrem Überschwang mit wachsender Unlust der Belehrten, diesen Kinderkram gut zu heißen.

Aber alle Argumente der anderen werden mit der woken roten Karte diffamiert, die jede weitere Diskussion unterbinden soll. Die Frage ist, warum ein ganzes Land von einer Minderheit dominiert wird, die wieder einmal am deutschen Wesen die Welt genesen lassen möchte.

Woher kommt das Ganze und seine rigide Stärke gerade in Deutschland. Immer wieder fällt mir die hellsichtige Projektion von Franz Werfel ein, aus 1946: „Zwischen Weltkrieg II und Weltkrieg III drängten sich die Deutschen an die Spitze der Humanität und Allgüte. Und sie nahmen das, was sie unter Humanität und Güte verstanden, äußerst ernst. Sie hatten doch seit Jahrhunderten danach gelechzt, beliebt zu sein. Und Humanität schien ihnen jetzt der bessere Weg zu diesem Ziel. Sie fanden diesen Weg sogar weit bequemer als Heroismus und Rassenwahn. So wurden die Deutschen die Erfinder der Ethik der selbstlosen Zudringlichkeit.“

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.11.2023
Die Zunge
Werner, Florian

Die Zunge


ausgezeichnet

„Eine Zunge kann kosten, staunen, lecken, schmecken, zeigen, küssen, sprechen, stechen und leider auch abgeschnitten werden. Mit diesen Gliederungspunkten lesen wir in diesem Buch alles, wirklich aber auch alles über ein Organ, das normalerweise weit oben mitläuft ohne in ihrem Können ganz oben im Gehirn anzukommen in ihrer wahren Bedeutung.

„Diesem Organ haftet, ganz wertneutral gesprochen, etwas zutiefst Animalisches an. Es verbindet uns anatomisch mit dem Tierreich, mit sabbernden Hofhunden, Fliegen fangenden Fröschen oder Katzen, die mit der Zunge das kotverschmierte Fell ihres Nachwuchses saubermachen. Durch ihre schiere Existenz verweist die Zunge auf die grundlegendsten Bedürfnisse des saugenden, kauenden, verdauenden Körpers; Eigenschaften, die wir mit etlichen anderen Lebewesen teilen.“

Es stimmt, die Zunge bleibt ein hinter den Zähnen verschanztes, feucht schillerndes Geheimnis. Mit diesem Buch werden Dinge erhellt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. So wollte Erdogan nicht zulassen, dass jemand dem Propheten die Zunge herausstrecke: „Es ist unsere Pflicht, diese Zunge herauszureißen“. Die populäre türkische Sängerin Sezen Aksu hatte ein Lied veröffentlicht, „Es ist wunderbar, am Leben zu sein“, in dem Adam und Eva als Dummköpfe verspottet werden.

Die erste Stufe zum Mord ist das Herausschneiden der Zunge, mit dem der Delinquent ruhig gestellt und bestraft werden soll, durch die Nicht-Fähigkeit des Sprechens. Und baumelt man am Galgen, kann dann nicht mal mehr die Zunge heraushängen als letztes sicheres Zeichen des Todes.

Sezen Aksu ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte ein neues Lied: „Du kannst mich nicht umbringen, ich habe meine Stimme, mein Instrument und meine Sprache – ich stehe für uns alle.“ Ins Gefängnis allerdings musste eine Journalistin, die ohne den Namen Erdogan zu sagen, das zum Besten gab: „Wenn ein Ochse in einen Palast einzieht, wird er damit nicht zum König, sondern der Palast wird zum Stall.“

Man sollte also in diktatorischen Umgebungen die Zunge im Zaum halten mit öffentlichen Anklagen und sie mehr für das Kosten und Küssen einsetzen. Wenn ich dieses Buch vergleichen würde mit einer echten feinen Gourmet-Kost dann wäre es ein langes, überraschendes 5 Gänge Menü mit zahlreichen, überraschenden Grüßen aus der Küche.

Dass Zunge und Phallus miteinander verwandt sind und Sklaven nicht nur das untere, sondern auch das obere Organ entfernt wurde, es war wohl so, obwohl die abgeschnittene Zunge Sklaven eher weniger wertvoll machte. Deswegen waren Eunuchen mit Zunge eher an der Tagesordnung. Die Sklavengeschichte ist heute relativ gut erklärt, z.B. im Buch von Egon Flaig: Weltgeschichte der Sklaverei. In jedem Fall aber war mit der Hinweis auf "Mr. Cruso, Mrs. Barton & Mr. Foe: Roman" von Herrn Werner sehr wertvoll, ich werde dieses Buch lesen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.11.2023
Alles gut? Das meiste schon!
Schreyl, Marco

Alles gut? Das meiste schon!


weniger gut

"Die Beziehung zu meiner Mutter bekam einen fetten Riss." Daran erinnere ich mich primär nach diesem Buch. Es beinhaltet eine Abfolge von Begebenheiten, die zeitlich hin- und herspringend, eher verwirrend, erzählt werden. Oft wusste ich nicht, in welchem Jahr ich war.

Marco Schreyl vermittelt das Krankheits-Drama mit seinen Eltern, vor allem der Mutter. Alles klingt zwar liebevoll, aber doch merkwürdig wenig sagend. Ich weiß nicht, welche Bücher er gelesen hat, welche Träume er hatte oder wie die christliche Erziehung in der DDR auf ihn wirkte. Letzteres hätte mich besonders interessiert, um einen Abgleich mit einem kommunistischen System zu bekommen.

Das Schicksal seiner Eltern war hart und er litt mit. So geht es unzähligen Menschen. Ich habe das verstanden und erkenne die Seele des Jungen/Mannes, der einfach mitfühlend mittendrin war. Trotzdem wirken die Aneinanderreihungen von Begebenheiten luftleer. Die Ohrringe seiner Mutter erinnert er und die Liebe seiner Oma.

Das Buch kommt von der Oberfläche nicht in den Tiefgang, alles passiert irgendwie und der Junge wird groß, erfolgreich, redet im Radio, Fernsehen, wird bekannt. Und er macht sich permanent Sorgen.

O-Sätze:

„Wenn ich an meine Oma denke, dann denke ich an die kleine untersetzte Frau, die so herzhaft lachen konnte.“

Seine Mutter sagte jeden Morgen mit glitzernden Ohrringen mit einem geschliffenen Glitzerstein: „Pass schön auf Dich auf.“

Es war mir zu viel Krankheit der Eltern, ein Drama ohnegleichen, das in zu vielen Details erklärt wird. Ich will nicht mit im Wartezimmer sitzen, wenn die Analyse der Blutwerte ansteht. Dass Marco Schreyl trotzdem einen so positiven Eindrucke macht, es scheint ein kleines Wunder.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.11.2023
Rote Linien
Michael, Klonovsky

Rote Linien


ausgezeichnet

Michael Klonovsky kann verständlich erklären und Zusammenhänge auf den Punkt bringen wie wenig andere. Es scheint an der Zeit, überzogene moralische Allmachtsphantasien zu vergessen und alle Kräfte auf das zu konzentrieren, was wir leisten können.

Die ursprünglichen Podcasts kenne ich und konnte sie so wieder auflesen, ein sehr gelungenes, kluges Buch. Ideologien enden, aber nicht sachliche Kritik. Das Oberkommando Weltmoral kann sich durch dieses Buch in einer Art Belagerung fühlen, und das ist auch gut so.

Bewertung vom 07.11.2023
Allein
Schreiber, Daniel

Allein


ausgezeichnet

A cup of kindness von Emmylou Harris ist eines meiner Lieblingslieder:

You gave yourself up to the mystery
And sailed the oceans looking for
The secret of the key
To unlock a truth that you may never find
For it was a cup of kindness all the time.

Daniel Schreiber vermittelt mit seinen Gedanken diese Tasse Güte und Freundlichkeit, aus der wir alle trinken und genießen sollten. "Es ist nicht schwer, freundlich zu sein. In der Regel ist es eine der ersten intuitiven Reaktionen, die wir in einer Begegnung mit anderen Menschen haben."

Tatsächlich aber lesen wir in vielen sozialen Medien eher negative Bemerkungen und Beleidigungen, und viele meinen zudem, anderen gegenüber krass ehrlich sein zu müssen. Das Gegenteil aber ist seit Jahrhunderten bewährt und gut: Rücksichtnahme, Liebe und Mitgefühl, sich in andere hineinversetzen lohnt mehr als vieles andere.

Götz Werner, der Gründer der dm Drogerie Märkte und Antroposoph, hat seinen Mitarbeitern das Schauspielern beigebracht, ihnen Rollen zum Spielen gegeben, damit sie sich in ihre Kunden hinein-denken, mitfühlen konnten. Darum geht es im Menschlichen ganz generell. Jeder erzählt eher von sich, statt den anderen aufzunehmen, ihn in sich verstehen zu wollen.

Dafür plädiert der Autor vor allem im Hinblick auf alle Einsamen und sich schuldig Fühlenden, die umso mehr diese Nahrung von außen, von anderen benötigen. Er zeigt es ehrlich an seinem eigenen Erleben und plädiert durchaus für das Leben allein. Es treten dann ganz andere Herausforderungen an einen heran, sie lassen tiefer erleben, machen empfindlicher und mitfühlender. Darum geht es in diesem Buch.

Interessant dabei ist, dass Schreiber nicht für einen alles heilenden Freundschaftsbegriff und schon gar nicht dafür plädiert, im anderen 1:1 aufzugehen. Für ihn war der identifikatorische Gleichklang selten ein Indikator, wie lange eine Freundschaft hielt. Der Rausch des Doppelgängers muss verfliegen, um langfristig jenes Verhältnis zu erreichen, in dem Ungleiches und Nicht-Einer-Meinung sein wirklich bereichern. Auch das Kontra gehört zu einer Freundschaft.

Mit dem Buch von Daniel Schreiber habe ich mich gerne unterhalten und hatte viele Fragen. Einige wurde beantwortet, andere nicht. Mehr kann ich von einem Buch nicht verlangen, die Gedanken waren anregend und weiter führend, höchst spannend.

Bewertung vom 07.11.2023
Gespräche
Konfuzius

Gespräche


ausgezeichnet

Es gibt unzählige Übersetzungen der Aussagen von Konfuzius. Seine pragmatisch klugen, humanen Hinweise sind häufig zu hören und vermitteln meist Richtiges bzw. Nachdenkliches für den gesunden Menschenverstand und die Vernunft.

Was sollte ich sagen, was ist das Wichtigste in einem Menschen? Daraufhin antwortete Hermann Hesse an einen Besucher, also, wenn wir das nicht wissen, dann gehen wir doch zu Konfuzius. Konfuzius beantwortet die Frage, was ist das Wichtigste, mit dem Satz: „Treue zu sich selbst und Güte zu anderen.“

„Die vorliegende Übersetzung geht davon aus, dass die Gespräche des Konfuzius, wie sie heute vorliegen, ein bis ins kleinste Detail durchkomponierter Text sind.“ Viele andere Übersetzungen vermuten dagegen, dass die Gespräche aus unzusammenhängenden Sentenzen bestehen, also einfach Aphorismen und Gedanken darstellen, ein wenig den Vorsokratikern ähnelnd.

Wichtig für dieses Buch ist desweiteren, dass die Aussagen kontextualisiert werden. „Der historische Zusammenhang ist dabei genau so wichtig wie der inhaltliche.“ In der Tat ist es immer wieder spannend, die Ideen und Anleitungen von Konfuzius zu studieren und ihren Bezug zum Leben des Konfuzius im jeweiligen Umfeld und den Schülern zu erkennen.

Diese Neu-Übersetzung von Hans von Ess ist ein großartiges Werk, in dem ich gerne blättere. Einfach aufschlagen und Ideen nachspüren, mit- und vordenken. Hesse hat in seinem Studium der Weisheitslehren immer wieder Konfuzius mit einbezogen, in ihm eine verwandte Seele gesehen. Wie kein anderer hat er in seinen Werken den chinesischen Denker reflektiert und die Ideen für den Westen „verdaulich“ präsentiert.

Konfuzius ist nicht immer eindeutig, er verlangt eigenes Denken zu dem Futter, das er uns reicht. Wir lesen hier auf Seite 529: „Der Meister sprach: Der Edle bezieht andere Meinungen ein, stimmt aber nicht einfach zu, der Kleingeist stimmt einfach zu, bezieht aber andere Meinungen nicht ein.“ Abwägen, durchdenken und durchaus Kompromisse eingehen, aber erst nachdem alles kritisch hin und her gewendet wurde. Darum geht es.

Der richtige Umgang mit Menschen, wie macht man das? „Wer würdevoll ist, wird nicht beleidigt, wer großzügig ist, gewinnt andere für sich, wer verlässlich ist, für den lassen die anderen sich anstellen, wer eifrig ist, der wird Erfolg haben, und Güte reicht dafür aus, andere ausschicken zu können.“ (S. 695) Es geht also um Würde, Großzügigkeit, Verlässlichkeit, Eifer und Güte.

Hesse schrieb: „Wir können und dürfen nicht Chinesen werden, wollen es im Innersten auch gar nicht. Wir dürfen Ideal und höchstes Bild des Lebens nicht in China und nicht in irgendeiner Vergangenheit suchen, sonst sind wir verloren und hängen an einem Fetisch. Wir müssen China, oder das, was es uns bedeutet, in uns selber finden und pflegen.“ [Tagebuch 1920/21]

Hesse beurteilte in späteren Jahren die in Indien herrschende Philosophie aus Resignation und Askese eher negativ und wandte sich stärker dem Chinesischen zu. Er schrieb einer Leserin: „Ich habe nie einen andern gehabt als das, was ich mir aus der Beschäftigung mit den Indern und noch mehr den Chinesen ansammelte.“

Konfuzianismus fordert Veränderungen zunächst immer beim individuellen Menschen. Nur wer sein Inneres ausbalanciert und ins rechte Lot setzt, kann Dinge in der Welt zum Besseren wenden. Dieser Gedanke ist ebenso konstitutiv in Hesses Werk, ein Gleichklang, der mir beide Denker so vertraut und sympathisch macht.

Bewertung vom 06.11.2023
Schock-Zeiten
Hagelüken, Alexander

Schock-Zeiten


ausgezeichnet

Selten war So viel Katastrophe, wie wahr. Nach 10 fetten kommen seit Corona wohl 10 magere Jahre. Alexander Hagelüken beschreibt in diesem lesenswerten Buch die Probleme und vor allem, wie man sie lösen könnte. Er benennt Risiken und ihre Entwicklung bzw. die Maßnahmen, um sie wieder aufzulösen.

Anhaltend hohe Inflation wird auch verursacht durch Unternehmen, die gestiegene Preise dann nicht reduzieren, wenn die Basiskosten wieder zurückgehen. So wurde auch der Euro zum Teuro. Hier gilt es gegenzusteuern, durch Vernunft in den Chefetagen und eben nicht durch schamlose Profitmaximierung.

Mit Sicherheit ist es so, dass die Einkommensungleichheit in den letzten Jahrzehnten zu stark angestiegen ist und so der Konsum gebremst wird. Auch hier gilt es gegenzusteuern. Dass die Rente in Deutschland ein in Europa vergleichsweise niedriges Niveau hat, muss sich ändern.

Bildung und Studium muss sich wieder hin bewegen zu den Mint-Fächern: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, weg von sozialwissenschaftlichen Bereichen und Gender-Lehrstühlen, die letzten Endes nur weiteren Eigenbedarf kreieren. Und: „Mehr Fortbildungsangebote an Hochschulen für Beschäftigte, die schon im Beruf stecken.“

Leider lässt das Buch kulturelle Rahmenbedingungen außen vor, die aber wichtig sind, um z.B. zu erklären, warum jedes vierte Kind die Grundschule verlässt, ohne ausreichend lesen zu können. „Die Kultusministerkonferenz ist das Steuerungsorgan der Länder. Es hat nun erneut 20 Jahre lang versagt.“

Der Autor beendet das Buch mit dem Spruch von Erhard, mehr Wohlstand für alle. Schade, dass die Partei dieses Mannes 16 Jahre ebenso glatt versagt hat. „Die Nation entwickelte sich seit der Jahrtausendwende auseinander, weil die 16-Jahre Kanzlerin Merkel die Ungleichheit ignorierte.“