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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 01.03.2022
Warum Diversity uns alle angeht
Buschbaum, Balian

Warum Diversity uns alle angeht


schlecht

Das Leben von Balian Buschbaum drehte sich lange Zeit nur um Sport, Geschwindigkeit und Frauen. Und um seine Transsexualität. Aus seiner Lebensgeschichte entstand sein Buch „Blaue Augen bleiben blau“, das jetzt unter dem Titel „Warum Diversity uns alle angeht“ neu aufgelegt wurde. Als Betroffener habe ich mich auf das Buch gefreut und muss sagen, dass ich auf ganzer Linie enttäuscht bin.
Aber von vorn.
Balian Buschbaum ist ein trans Mann. Schon früh war ihm klar, dass er mit seiner ihm bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Identität nicht glücklich werden würde. Seine Karriere im Stabhochsprung, seine Vorliebe für hohe Geschwindigkeiten und später seine Beziehungen zu (wie er nie müde wird zu betonen) heterosexuellen Frauen schildert er sehr ausführlich. Ein Riss der Achillessehne stoppte seine Leistungssport -Karriere und sein Wunsch, den Körper dem Geschlechtsempfinden angleichen zu lassen, wuchs. 2007 outete er sich öffentlich als trans Mann und begann eine Hormontherapie, Operationen folgten.
Wäre Balian Buschbaum weniger selbstverliebt, hätte das Buch wirklich gut sein können. Aber das Einzige, was ich an ihm sympathisch fand, war die Liebe zu seiner Oma. Der Rest des Werks ist eine Selbstdarstellung eines arroganten, teilweise naiven, Menschen, der meiner Meinung nach zu oft nicht erkennt, wie privilegiert er ist. Therapie und Gutachten gemäß des Transsexuellengesetzes können sehr lange dauern, eine Menge Geld kosten – und oft werden Operationen und Therapien verweigert. Bei ihm liest sich das alles eher wie ein Spaziergang. Die Kosten, für die manche Betroffene Kredite aufnehmen müssen, wurden beispielsweise für ihn als Sportsoldaten durch die Bundeswehr übernommen. Ob und inwiefern er Kämpfe ausfechten musste, Diskriminierung oder gar Ablehnung und Hass erlebt hat, darauf geht er nicht ein. („Dass ich mich wie ein Junge benahm und auch so aussah, hat die anderen Kinder nicht gestört. Nie wurde ich gehänselt oder ungerecht behandelt.“) Es wäre ihm zu wünschen, dass er es nie erleben musste, ebenso die tiefe Verzweiflung vieler trans Menschen. Sein Weg entspricht nicht der Realität, die die meisten Betroffenen erleben und das sollte sein Publikum auch wissen.
Insgesamt zeichnet Balian Buschbaum seinen Weg zu seinem Ich als Mann sehr oberflächlich und viel zu einfach. Und sich selbst stellt er gerne als tollen Typen dar, sein Umgang mit Frauen ist mir unsympathisch. Schon in der Grundschule war er wohl schon so jungenhaft, dass sich die Mädchen reihenweise in ihn verliebten und auch später scheint ihm nie eine heterosexuelle Frau einen Korb gegeben zu haben. Selbstzweifel sucht man in seinem Buch vergeblich, Regeln gelten auch nur für andere, was auch seine Haltung zu Verkehrsregeln (er fährt sehr gerne sehr schnell) deutlich zeigt. Ob er seine innere Zerrissenheit durch den Sport kompensiert hat, vermag ich nicht zu sagen, denn er schreibt nur, dass er sich damit immer wieder selbst herausforderte, um Frauen zu beeindrucken.
So gerne er seinen Körper zeigt, so gerne gibt er sich als Philosophen, kommt aber über Küchentischphilosophie nicht hinaus und das gipfelt oft nicht in weisen Worten, sondern in Geschwafel. Und auch sonst ist das Buch stilistisch nicht wirklich ausgereift, da wäre noch viel Luft nach oben.
Für mich war das Buch schlicht der literarische Versuch eines selbstverliebten Selbstdarstellers, sich mit einem machohaften Frauenbild als der große Männer- und Frauenversteher zu zeigen. Um dieser zu sein, fehlen ihm aber sowohl tieferes Verständnis als auch die nötige Empathie. Trotz seiner Transsexualität zeigt er sich ziemlich abschätzend und überheblich gegenüber anderen, was mir das Buch zu einer quälenden und unbefriedigenden Lektüre gemacht haben. Es tut mir in der Seele weh, aber ich kann das Buch weder Betroffenen noch am Thema Interessierten empfehlen, da das, was der Autor beschreibt zwar seiner, aber nicht der allgemeinen Lebenswirklichkeit entspricht. Von mir daher 1 Stern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.02.2022
Nebelopfer / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.5
Fölck, Romy

Nebelopfer / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.5


ausgezeichnet

Jawohl, so wie „Nebelopfer“ von Romy Fölck müssen Krimis sein! Ich habe mich sehr über ein Wiedersehen mit Frida Paulsen, Bjarne Haverkorn und Co gefreut und wurde für mein Warten mit einem enorm spannenden, wie immer gut durchdachten Krimi belohnt. Nur kam für mich dieses Mal die Landschaftsbeschreibungen der Elbmarsch fast ein bisschen zu kurz.
Aber von vorn.
„Justitia ist blind! Ich gestehe, im Prozess gegen Cord Johannsen wissentlich falsch ausgesagt zu haben.“ – dieser Satz steht auf dem Schild, das um den Hals eines toten Mannes hängt. Kommissar Bjarne Haverkorn kann sich an den Fall Johannsen erinnern: 30 Jahre zuvor waren die Frau des Bauers und zwei seiner drei Söhne erschossen aufgefunden worden. Er selbst wurde als Täter verurteilt. Seither sitzt er im Gefängnis, allerdings leidet er an unheilbarem Nierenkrebs und hat nicht mehr lange zu leben. Grundlage für seine Verurteilung waren mehrere Aussagen aus seinem Bekanntenkreis. Der einzige wirkliche Zeuge, der jüngste Sohn Thies, war seinerzeit schwer traumatisiert in der Güllegrube des Hofs gefunden worden. Er sprach lange Zeit überhaupt nicht und kann sich nach wie vor an nichts erinnern. Kurz nach dem ersten Leichenfund, gibt es ein weiteres Opfer. Wieder ist es ein Mann, der vor 30 Jahren gegen Johannsen ausgesagt hat. Bjarne Haverkorn hatte damals in dem Fall ermittelt und er und auch seine Tochter Henni sind plötzlich in großer Gefahr, denn der Mörder stellt ihm ein Ultimatum: „Justitia ist blind! Cord Johannsen im Knast. Finde den wahren Täter, oder du wirst vor den Richter treten! Dir bleiben 48 Stunden.“
Gut, das Jahr ist noch jung. Aber bislang ist „Nebelopfer“ mein absolutes Krimi-Highlight des Jahres. Die Geschichte ist, wie ich es von der Autorin gewohnt bin, gut durchdacht und so spannend geschrieben, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Da es schon der fünfte Band der Reihe um der Ermittler-Team Frida Paulsen/Bjarne Haverkamp ist, sind mir die Protagonisten inzwischen ziemlich ans Herz gewachsen und auch das Privatleben der beiden kommt neben der Spannung nicht zu kurz. Dazu führt die Autorin mit Leonard Bootz einen Neuen ins Team ein, der muss sich aber meine Sympathie erst noch verdienen, so richtig konnte er bei mir noch nicht punkten.
Sprachlich fand ich das Buch, wie üblich, locker geschrieben und leicht zu lesen. Allerdings ist mir ein Fehler aufgefallen, der mir immer wieder begegnet: „Die Ausreißerin war im Herbst bei ihnen gestrandet, und Frida hatte die Vormundschaft für das Mädchen übernommen, bis sie im nächsten Frühjahr achtzehn würde.“ – da ist das „sie“ nicht korrekt, „das Mädchen“ verlangt ein „es“, das „sie“ bezöge sich ja auf Frida. Aber sonst fand ich das Buch wie immer gut geschrieben und gut lektoriert. Pikant fand ich, dass die Geschichte für mich zum Lesezeitpunkt in der Zukunft (zwischen dem 1. Februar und dem 1. Mai 2022) spielte. Die Handlung selbst ist gut konzipiert und stimmig ausgearbeitet, der Spannungsbogen ist sehr hoch und (bis auf Ausflüge ins Privatleben der Ermittler) durchgehend. Diese Ausflüge brauchte ich bei so viel Hochspannung aber auch zum Luftholen und auch das Wiedersehen mit Fridas Lebensgefährten Torben hat mich sehr gefreut. Der Apfelhof ihrer Eltern und ihr Freundeskreis (ihr Mündel Cat, Boxtrainer Milan und ihre Freundin Jo) sind allerdings weniger präsent als in den anderen Teilen. Der Schluss ist stimmig, allerdings hatte ich schon sehr früh den richtigen Riecher bezüglich der Lösung, nur kurzzeitig habe ich mich mit einer falschen Fährte in die Irre führen lassen.
Für mich also alles in allem echt ein Highlight, dem ich gerne fünf Sterne gebe. Eine klare Lese-Empfehlung für Fans vom Team Paulsen/Haverkamp und solche, die es werden wollen.

Bewertung vom 25.02.2022
Warnung vor Büchern
Fallada, Hans

Warnung vor Büchern


ausgezeichnet

Mehr als 70 Jahre nach seinem Tod gibt es im Nachlass von Hans Fallada immer noch unentdeckte Kleinode. In „Warnung vor Büchern“ sind, herausgegeben von Carsten Gansel, einige veröffentlichte und unveröffentlichte Anekdoten, Berichte, Autobiografisches, Erzählungen und Reden zusammengestellt, die der Schriftsteller von Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1947 verfasst hat. Ich beziehe mich hier auf das von Ulrich Noethen eingelesene Hörbuch, das mit sieben Geschichten nur einen Teil des im Reclam-Verlag erschienenen Buchs umfasst (die Geschichte mit dem titelgebenden Namen “Warnung vor Büchern” fehlt im Hörbuch allerdings).
Das Hörbuch beginnt mit einer Ausführung, wie man Schriftsteller wird, beziehungsweise, wie Fallada vom Landwirt zum Schriftsteller wurde. („Ich glaube nicht daran, dass man ein Schriftsteller wird, sondern dass man einer ist, vom Beginn des Lebens an. Es kann sehr lange dauern, bis man es erkennt, ich zum Beispiel war 37 Jahre alt, bis ich meinen ersten richtigen Roman schrieb. Bis dahin hatte ich mich, im Allgemeinen, mit sehr anderen Dingen beschäftigt.“) - solche Aussagen kannte ich schon aus seiner Rede „Meine lieben jungen Freunde“. Er erzählt mal launig, mal ziemlich bitter, wie er beispielsweise beinahe Hausbesitzer geworden wäre. Das Geschäft war von seiner Seite aus schon in trockenen Tüchern, dann aber denunzierte ihn das Ehepaar, dem er das Haus abkaufen wollte und sollte und, statt Eigentümer der Villa zu werden, wurde er nach einer Hausdurchsuchung durch die SA verhaftet und auf dem Weg zur Haftanstalt beinahe erschossen. Und auch sonst handeln seine Texte überwiegend von Nazis und den Problemen, die durch sie entstanden. So schreibt er sehr ausführlich und bedrückend in dem Essay „Das Todeshaus formt einen Dichter“ über seinen Schriftstellerkollegen Alfred Schmidt-Sas. Sehr beeindruckend fand ich auch die Rede „Meine Damen und Herren“, eine flammende Ansprache im Zusammenhang mit den Nürnberger Prozessen. Diese zeigt ganz deutlich, dass Fallada trotz seiner sehr schlechten Erfahrungen ein glühender Fürsprecher für die Demokratie ist – ein Buch, das aktueller nicht sein könnte, mit Säbelrasseln und geistigen Brandstiftern an allen möglichen Ecken und Enden.
Selten hat mich ein Hörbuch so in den Bann gezogen, wie dieses. Sowohl der Text an sich hat mich, als bekennenden Fallada-Fan, begeistert, als auch die Art und Weise, wie Ulrich Noethen ihn liest. Er liest empathisch und sensibel, nuanciert und pointiert und kurz gesagt: er trifft immer den rechten Ton. Wie auch Fallada für mich den rechten Ton trifft. Er legt den Finger in Wunden, zeigt Probleme auf und verliert trotzdem nie den Glauben an die Menschen und die Hoffnung auf den Sieg des Anstands über das Unrecht.
Nicht umsonst wurde Ulrich Noethen mit dem “Deutschen Hörbuchpreis” ausgezeichnet und Fallada gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Falladas Texte und Noethens Stimme passen hervorragend zusammen und bilden eine fesselnde Einheit. Gerne hätte ich noch mehr als die sieben Kapitel des Hörbuchs gehört. Eine ganz klare Hör-Empfehlung von mir und fünf Sterne.

Bewertung vom 21.02.2022
Eddie van Halen
Brannigan, Paul

Eddie van Halen


gut

„Eddie van Halen. Ein Leben“ von Paul Brannigan ist für Fans des Musikers (und vor allem der Band van Halen) sicher ein Schmankerl und die Lektüre ein Muss. Für diejenigen, die noch Fans werden wollen (wie ich zum Beispiel), fand ich das Buch weniger geeignet, denn es konzentriert sich nach ein paar Seiten hauptsächlich auf die Band und deren Werdegang. Es ist mit Sicherheit kein schlechtes Buch und die Recherchearbeit des Autors ein enormer Akt, aber dennoch hat es mich nicht hundertprozentig abgeholt. Oder besser gesagt: ich hatte mir durch den Titel etwas anderes vorgestellt.
Aber von vorn.
Als Sohn niederländischer Einwanderer hatte es Edward Lodewijk van Halen in den 1960er Jahren nicht leicht, in den USA Fuß zu fassen. Sein Bruder Alex übrigens auch nicht. Und sein Weg zum „Mozart der Gitarre“ war steinig. Und vor allem seiner Mutter Eugenia hätte es wohl lieber gesehen, wenn er Informatik studiert hätte. Aber, unter anderem geprägt von ihrem Vater Jan, der Berufsmusiker war, hatten die beiden Söhne andere Pläne. Und die sollten die Musikwelt nachhaltig verändern und prägen. Ursprünglich von Eric Clapton, Led Zeppelin und den Beatles beeinflusst, schuf Eddie van Halen seinen eigenen Stil und wurde in den 1980er Jahren zu einer Ikone an der Gitarre. Neben seinem Werdegang beleuchtet Paul Brannigan hauptsächlich die Geschichte der Band, unterfüttert mit zahllosen Zitaten der Bandmitglieder und Wegbegleiter, ein wahres Schaulaufen des Who-is-Who der Musikwelt. Und natürlich lässt der Autor auch die Sex-Drugs-Rock’n’Roll-Aspekte nicht weg. So schreibt er neben Affären und Band-Streitereien (die Episoden mit Sänger David Lee Roth fand ich nach einer Weile wirklich nervtötend) auch über Eddie van Halens Alkohol- und Kokainsucht und seine mehrfachen Entzugsversuche, seine erste Krebsdiagnose und schließlich seinen Tod 2020 mit 65 Jahren.
So weit so gut.
Insgesamt finde ich das Buch gut und sensibel geschrieben, minutiös recherchiert und aufbereitet, aber es ist nicht das Leben von Eddie van Halen, über das der Autor da in manchmal sehr langen, verschachtelten Sätzen schreibt. Vielmehr ist es die Geschichte der Band Van Halen, zu viele Informationen über David Lee Roth inklusive. Ich möchte in einem Buch mit dem Titel „Eddie van Halen. Ein Leben“ nicht zwingend Roths Geburtsdatum erfahren und dass er wegen seines ADHS Ritalin nahm. Mehr Eddie und weniger Van Halen (die Band) hätte mir besser gefallen, da hat der Autor meiner Meinung nach die Balance nicht hundertprozentig gefunden. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Buch auf Sekundärquellen fußt, schließlich hat Paul Brannigan Eddie van Halen nur ein einziges Mal getroffen. Viele Ausführungen und Aneinanderreihungen von Konzerten, Tourneen, Hits, Erfolgen und Misserfolgen hätte ich auch in den Archiven der einschlägigen Musikzeitschriften nachlesen können.
Da mich aber interessiert, wer und wie Eddie van Halen wirklich war, werde ich wohl die Biografie seiner ersten Frau Valerie Bertinelli noch lesen, in der Hoffnung, dass sie mir den wohl sehr sensiblen Musiker näherbringt, den Menschen, der selten zufrieden mit sich und seiner Arbeit und, so scheint es, noch seltener glücklich gewesen ist (David Lee Roth sagte in einem Interview „Ich glaube, dass Eddie van Halen keine zehn Minuten seines Erfolgs wirklich genossen hat.“). Dieses Buch hier lässt mich ziemlich unbefriedigt zurück, daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 14.02.2022
Ufermord / Romy Beccare Bd.11
Peters, Katharina

Ufermord / Romy Beccare Bd.11


ausgezeichnet

Romy Beccare ist zurück! „Ufermord“ heißt der neue Krimi von Katharina Peters und ist ein durchaus würdiger elfter Teil der Serie um die Rügener Kriminalkommissarin. Wie aus der Reihe gewohnt, ist es eine Mischung aus Cold Case und einem aktuellen Fall, eine unblutige, eher ruhige Erzählung, die es in der Essenz aber in sich hat. Ein fesselnder und überraschender Krimi.
Aber von vorn.
Am Selliner See wird die Leiche des Tierarztes Dr. Michael Bautner gefunden. Der dreifache Familienvater und Ehemann scheint beliebt gewesen zu sein, aber schon bei ersten Ermittlungen im familiären Umfeld bekommt Kommissarin Romy Beccare Zweifel an seinem „Saubermann-Image“, denn die Beschreibungen des Toten wechseln zwischen „mein Mann und ich hatten eine gute Gemeinschaft“ und „ich weiß, dass mein Mann kein Engel war“ und „mein Vater war ein A***loch“. Als dann ein unzufriedener Kunde verhaftet wird, der Bautner für den Tod seines Hundes verantwortlich macht, wird der Fall als aufgeklärt zu den Akten gelegt. Wirklich glücklich ist Romy mit dieser „Lösung“ allerdings nicht. Wenige Wochen später wird ebenfalls am Selliner See ein Skelett gefunden. Nach der Identifizierung des Toten ergeben Nachforschungen, dass er und der tote Tierarzt sich kannten. Und Romy macht sich an die komplexen Ermittlungen, die sie und ihr Team in der Zeit zurück in die ehemalige DDR kurz vor der Wende führen. Und sie findet sich in einem Sumpf aus angeblich heiler Familie, Erpressung und Gewalt wieder.
Ich habe schon mehrere Bücher von Katharina Peters gelesen, auch welche aus ihren anderen Serien. Romy Beccare ist immer ein Garant für kompetente und engagierte Ermittlungsarbeit in scheinbar aussichtslosen Fällen. Die Fälle sind unblutig, meistens nicht sehr gewalttätig (also die Taten selbst schon, aber die sind in der Regel ja lange her) und verzwickt. Romy ist zwar eine sehr gewissenhafte und hartnäckige (oder verbissene?) Ermittlerin, mir aber oft ein bisschen zu forsch und übergriffig („Bei einem Mord muss ich viele Fragen stellen, und einige von ihnen dürften auch indiskret wirken oder sind sehr schmerzhaft. Es tut mir leid.“). Ruth Karnold ist mir mit ihrer bedächtigen Art sympathischer, aber alles in allem ist das Ermittlerteam sehr ausgewogen und passt gut zusammen.
Ich fand das Buch spannend und gut konzipiert, wenn auch sehr komplex und manchmal ein bisschen unübersichtlich. Da muss man schon konzentriert lesen, wenn man den Faden nicht verlieren will. Auch fand ich den Spannungsbogen nicht Fingernägel-abknabber-hoch, aber doch durchgehend so hoch, dass ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht. Denn wie üblich präsentiert die Autorin eine Menge potenzieller Mörder und legt auch gekonnt einige falsche Fährten.
Sprachlich ist das Buch wie ich es von der Autorin gewohnt bin: locker und flockig geschrieben und flüssig zu lesen, nur leider habe ich auch wieder eine Handvoll Fehler gefunden. Aber die gut konstruierte Handlung, die Beschreibungen der Rügener Landschaft, ein Exkurs in die Geschichte der Insel samt DDR und Wende machen das wett. Es ist ein Krimi, den ich sehr gerne gelesen habe und jedem Freund solider, unblutiger und gut konzipierter Geschichten empfehle. Von mir daher 5 Sterne.

Bewertung vom 14.02.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (eBook, ePUB)
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1 (eBook, ePUB)


weniger gut

„»Mrs Potts, Marlow hat in den letzten sieben Jahren jedes Jahr die Auszeichnung ›Beste Blütenpracht‹ gewonnen. Und bei meinem letzten Einsatz dort hatte jemand die Polizei gerufen, weil zwei Schwäne die High Street hinunterspazierten und den Verkehr lahmgelegt hatten. Ich kann Ihnen versichern, in Marlow gibt es keine Auftragskiller.«“ – Spoiler: natürlich gibt es den. Denn er steht im Mittelpunkt von Robert Thorogoods Cosy Krimi „Mrs. Pott’s Mordclub und der tote Nachbar“.
Judith Potts ist eine ziemlich schrullige Dame Ende 70 und lebt allein in einem Herrenhaus an der Themse. Zu ihren Eigenheiten zählt es, dass sie abends eine Runde im Fluss schwimmt – nackt, wie Gott sie schuf. Bei einem dieser Ausflüge hört sie einen Schuss und schlussfolgert sofort, dass ihr Nachbar auf der anderen Fluss-Seite ermordet worden ist. Da die Polizei sich als wenig hilfreich erweist, beginnt sie selbst zu ermitteln, nach und nach wird sie von zwei weiteren Damen aus der Gemeinde Marlow unterstützt. Und dann wird noch ein Mensch getötet.
Woher kommt mir das Strickmuster denn bekannt vor? Eine alte Dame ermittelt in Kriminalfällen, sie ist schrullig und wird von der Polizei nicht wirklich ernst genommen? Ach ja, Miss Marple von Agatha Christie. Oder Agatha Raisin von M. C. Beaton. Na, da hat der Autor meiner Meinung nach ziemlich in fremden Büchern gewildert. Aber natürlich hat er seinen Charakteren einige Eigenheiten mitgegeben, die ganz nett zu lesen sind, in der Hauptsache bleiben die Figuren aber eher blass. Vor allem konnte Mrs. Potts bei mir nicht mit Sympathie punkten. Die Konstellation der doch sehr verschiedenen Frauen, die sich da zum Ermitteln zusammentun fand ich aber ziemlich apart.
Die Geschichte an sich fand ich eher belanglos, so was hat man tausendfach schon gelesen, der Schluss hat mich aber tatsächlich überrascht, auch wenn ich ihn nicht wirklich überzeugend finde. Die Sprache ist eher so altbacken, wie ich mir die 77jährige Mrs. Potts vorstelle. „Nachdem sie vor den Fernsehnachrichten ihr Abendessen eingenommen hatte“ fand ich befremdlich, aber durchaus stimmig und ein wenig charmant. Charmant ist auch das Setting in dem Dorf, das aber absolut auch an Agatha Raisin erinnert. Jeder kennt jeden, („Die Leute in Marlow waren solche Topfgucker!“) – ist in Kleinstädten/Dörfern halt so. Mich wundert da eher, dass sich Mrs. Potts darüber wundert. Verwunderlich fand ich auch, dass der Name Ezra konsequent in einer anderen Schriftart und -größe und teilweise fettgedruckt gesetzt wird (ich habe es in 4 verschiedenen Reader-Programmen getestet und es war überall so).
Sonst fand ich das Buch nett zu lesen, mehr aber auch nicht. Cosy Crime scheint für mich ein bisschen zu cosy zu sein, denn mir fehlte fast komplett die Spannung, was das Buch teilweise ziemlich langweilig machte. Die Geschichte lebt von den Schrullen der Charaktere und das ist mir zu dünn, zumal ihnen für mich im Großen und Ganzen der Charme fehlt, den ich aus anderen Büchern des Genres kenne. Da ist also für die kommenden Teile der Serie viel Luft nach oben, vor allem, was die Entwicklung und Ausarbeitung der zum Teil bislang etwas uninspiriert wirkenden Charaktere betrifft. Von mir daher nett gemeinte 2,5 Sterne, abgerundet auf zwei.

Bewertung vom 26.01.2022
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


gut

„Junge mit schwarzem Hahn“ von Stefanie vor Schulte ist ein Buch, das sich für mich sehr schwer einordnen lässt. Das Genre ist schwer zu definieren und ich kann auch nicht sagen, ob das Buch mir gefallen hat, oder nicht. Ist es nun ein Märchen für Erwachsene, eine Fabel, eine gesellschaftskritische Parabel oder eine Allegorie? Vermutlich liegt die Wahrheit dazwischen und es ist eine Mischung aus allem. Schwieriger ist jedoch die Antwort auf die Frage, ob mir das Buch gefallen hat.
Aber von vorn.
Der elfjährige Waisenjunge Martin musste als Kleinkind miterleben, wie der Vater seine Mutter und seine Geschwister erschlagen hat. Zusammen mit ihm überlebt ein schwarzer Hahn, der ihn fortan durch sein schwieriges Leben begleitet: als Freund, Vertrauter und eine Art Bodyguard, denn er verjagt Menschen durch sein Gekreische und mit seinem scharfen Schnabel. Viele meinen, Martin und der Hahn seien mit dem Teufel im Bunde („Dieses Mistvieh von einem Hahn. Der Teufel persönlich.“). Martin ist ein sensibler, intelligenter Junge und er hat sich selbst eine Mission ausgesucht: er möchte die von „schwarzen Reitern“ entführten Kinder suchen, finden und retten. Ein Maler, der in der Dorfkirche das Altarbild malen soll, nimmt sich seiner an und sie reisen gemeinsam weiter. Er ist der erste, der vor Martins Intelligenz keine Angst hat und ihn nicht, wie alle anderen, ständig schlägt.
So weit, so spannend, mystisch und märchenhaft. Könnte es zumindest sein. Und es könnte auch wirklich ans Herz gehen. Der schlaue, empfindsame kleine Junge mitten in einer kalten, rauen Welt voller Aberglauben, Tyrannei und Gewalt. Aber obwohl ich mich dem Protagonisten Martin sehr nahe fühlte, konnte das Buch mich nicht wirklich erreichen. Stefanie vor Schultes Sprache ist bildhaft und schlicht, teilweise fast fragmentiert. Auch kam sie mir bei der Lektüre fast monochrom vor und so rau wie die damaligen Zeiten (die Geschichte ist weder zeitlich noch örtlich bestimmt – sie könnte allerdings irgendwo in Europa im 30jährigen Krieg spielen, denn neben Krieg und Hunger werden auch Pest und Hexenverbrennung erwähnt). Monochrom sind auch die Charaktere – alles ist schwarz oder weiß, gut oder böse. Es gibt praktisch nichts dazwischen. Bunt sind mehr oder weniger nur die Bilder, die der Maler malt, wozu dann auch der Titel des Buchs gut passt, denn „Junge mit schwarzem Hahn“ klingt wie der Titel eines Kunstwerks.
Ist das Buch denn ein Kunstwerk? Für mich war es auf jeden Fall eine Herausforderung, denn so wirklich wurde ich mit der Geschichte nicht warm. Vor allem die erste Hälfte war mir zu verworren, zu konstruiert und zu kryptisch und verlange mehr Konzentration von mir, als ich aufzubringen im Stande war. Insgesamt erinnerte mich das Buch an die Märchen von Hans Christian Andersen, die ich sehr liebe. Das Düstere und die Moral am Ende fand ich daher sehr ansprechend. Aber manchmal fand ich die Geschichte einfach zu gezwungen. Sowohl die gezwungen alte Sprache als auch die gezwungene wirklich strikte Unterscheidung in Gut und Böse machten mir das Buch nicht zum Freund. Martin ist mir zu sehr Lichtgestalt und zu durch und durch gut in einer Welt voller Schlechtigkeit.
Durch die Parallelen zur heutigen Zeit, in der auch jeder sich selbst der Nächste ist, kann ich mir das Buch hervorragend als Schullektüre vorstellen, denn es bietet praktisch unendlich viel Stoff für Interpretationen. Manche der Ideen werden von der Autorin meiner Meinung nach auch nicht hundertprozentig zu Ende gedacht, da hätten dem Buch ein paar mehr Seiten gutgetan, um alle losen Enden befriedigend zu verknüpfen. Es ist alles in allem sicher kein schlechtes Buch und ich kann mir gut vorstellen, dass man von der Autorin künftig noch Großes erwarten kann. Aber das Buch und ich passten einfach nicht zusammen. Daher gebe ich drei Sterne, denn es gibt sicher Menschen, denen das Buch besser liegt als mir.

Bewertung vom 19.01.2022
Der Sucher
French, Tana

Der Sucher


gut

„Der Sucher“ ist der Titel von Tana Frenchs neuestem Roman. Ob das Buch nun „meisterhaft“ ist, wie die Washington Post schreibt, sei dahingestellt, mich lässt es eher zwiegespalten zurück. Aber es ist ein durchaus unterhaltsames Buch mit vielen Wendungen, interessanten Charakteren und einem ansprechenden Setting. Das gemächliche Tempo, mit dem sich die Geschichte entwickelt, hat mich allerdings immer wieder zum Querlesen verleitet und oft habe ich mich gefragt, wo es überhaupt hinführen wird. Manche mögen es „atmosphärisch“ oder „charmant“, vielleicht sogar „literarisch“ finden – ich fand es über lange Strecken relativ langweilig.
Aber von vorn. Der 48jährige ehemalige Polizist Cal verlässt Chicago und kauft sich ein Häuschen in der irischen Kleinstadt Kilcarrow. Die Idylle bekommt einen Knacks, als er mitbekommt, dass in seiner Nachbarschaft Schafe getötet werden. Und dann setzt der Satz des 13jährigen Teenies Trey „Mein Bruder ist verschwunden“ eine Dynamik in Gang, die Cal zu eigenen Ermittlungen bringt und ihm Einblicke ins Dorfleben gibt, auf die er vermutlich gerne verzichtet hätte. So weit, so spannend. Hätte es zumindest sein können. Doch das Verschwinden des 19jährigen Brendan schafft es nicht, das wirklich tragende Thema der Geschichte zu werden. Es geht schlicht immer wieder zwischen reichlich Dialogen und Beschreibungen unter, die nicht wirklich irgendwo hinführen, sie mäandern ebenso, wie der Fluss, an dem Kilcarrow liegt.
Und ehrlich gesagt hat mich die Sprache der Autorin auch nicht wirklich begeistern können. Es war mein erstes Buch von Tana French und ich denke, es wird auch das einzige bleiben. Die Sätze sind teilweise sehr lang und verschachtelt und bei „Das Badezimmerfenster geht so reibungslos und leise auf, als wäre es mit Kontaktspray eingesprüht worden, was es auch wurde.“ oder „Die Spaghetti strapazieren die Kauwerkzeuge, und die Bolognesesoße ist kräftig mit Minze, Koriander und irgendwas gewürzt, das wie Anissamen schmeckt. Das Ganze passt irgendwie, solange Cal es nimmt, wie es ist.“ habe ich mich wirklich gefragt, was die Autorin damit eigentlich bezwecken will.
Insgesamt ist mir das Buch zu klischeehaft und in manchen Punkten passt es nicht so richtig ins 21. Jahrhundert, da hilft auch die Verwendung von WhatsApp und Facebook nicht. Trey wird, obwohl schon 13 Jahre alt, immer wieder als Kind bezeichnet. Die meisten Männer sprühen nur so vor Maskulinität und die Szenen im Pub triefen vor Testosteron. Und wie Cal auf die Aussage kommt, dass 20 ein typisches Alter ist, um Suizid zu begehen, kann ich mir nicht erklären. Trey und Cal sind die beiden gut ausgearbeiteten Protagonisten des Buchs, wobei bei beiden auch sehr viel Stereotyp zum Tragen kommt. Cal ist ein typischer Städter auf dem Land (keine Ahnung, wie er überhaupt mit dem irischen Englisch der Bewohner klarkam und die mit seiner Sprache), außerdem ein klischeehafter Polizist, der einen Verdächtigen durch Folter zu einer Aussage bringt (die moralische Komponente an dieser Stelle war für mich einer der wenigen wirklich tiefgründigen Momente des ganzen Buchs). Abgesehen davon fand ich ihn eigentlich sympathisch. Mein Favorit ist allerdings Trey, das Kind aus schwierigen Verhältnissen, ein Teenie mit eigenem Kopf und Ecken und Kanten.
Rückblickend fand ich das Buch weder besonders schlecht noch übermäßig gut, höchstens solides Mittelmaß, vermutlich am ehesten etwas für Fans von Tana French und irischen Kleinstädten. Spannung sollte man auf jeden Fall nicht erwarten, wenn man anfängt das Buch zu lesen und auch Kleinstadt-Charme und gut beschriebene schrullige Bewohner sucht man eher vergebens. „Egal, was er tut oder nicht tut, er kann sich nicht vorstellen, wie diese Sache gut ausgehen soll. […] Hier gibt es kein Happy End.“ Ein Epilog hätte dem Buch dennoch gutgetan, denn obwohl der Schluss stimmig ist, kommt das ganze über ein „ist okay“ nicht hinaus. Daher vergebe ich 3 Punkte.

Bewertung vom 13.01.2022
Der Blutkünstler / Tom-Bachmann-Serie Bd.1
Meyer, Chris

Der Blutkünstler / Tom-Bachmann-Serie Bd.1


ausgezeichnet

Tom Bachmann ist „Seelenleser“ oder professionell ausgedrückt: Profiler. Sein Lebensinhalt ist die Bekämpfung des Bösen und da hat er in Chris Meyers Thriller „Der Blutkünstler“ jede Menge zu tun. In verschiedenen Teilen der Republik kommen über mehrere Jahre verteilt vier Frauen grausam zu Tode. Sie werden gequält und ihre Leichen grotesk, als kleine Mädchen verkleidet, als eine Art gruseliges „Kunstwerk“ zur Schau gestellt. Tom Bachmann wird hinzugezogen und die Ermittlungen nehmen Fahrt auf. Und dann taucht ein Kindheitsfreund auf, der früher fast wie ein Bruder für ihn war.
Chris Meyer schreibt einfach und bildhaft. Alles in allem ist das Buch, auch dank der kurzen Kapitel, flüssig zu lesen. Zudem ist er in seinen Beschreibungen schonungslos und das Buch ist nichts für schwache Nerven. Insgesamt hat der Autor bei dem Buch also nichts falsch gemacht. Er hat alle essenziellen Aspekte abgehakt. Und darin liegt die Krux: es wirkt manchmal wirklich, als habe er eine Checkliste zum Thema „was braucht ein gelungener Thriller“ abgehakt. Ermittler mit traumatischer Vergangenheit, der mit Schlaflosigkeit und seinen Dämonen kämpft. Feministische Ermittlerinnen. Mehrere brutale Morde. Manipulative Erwachsene, die Kinderleben zerstören. Aber dennoch schafft es das Buch für mich nicht, sich vom guten zum herausragenden Thriller zu mausern.
Das liegt einerseits an den Charakteren, die ich einfach zu klischeehaft finde. Tom finde ich eher interessant als sympathisch. Seine überbordende Genialität fand ich stellenweise sehr anstrengend (vor allem, weil ich ihn gar nicht so genial fand) und auch seine Handlungen waren nicht einmal dann immer nachvollziehbar, wenn man seine Vergangenheit kennt. Er wirkt sehr unnahbar und distanziert, sein Privatleben beschränkt sich auf Sport, Computerspiele und One-Night-Stands, was die Frage für mich aufwirft, inwieweit er selbst ein Psychopath sein könnte („Psychopathie war im Prinzip nichts anderes als eine Persönlichkeitsstörung, und Tom hatte sich in seinem Leben nicht nur einmal gefragt, ob er auch davon betroffen sein könnte. Zumal eines alle Psychopathen einte: Sie konnten nicht lieben.“). Neben ihm wirken alle anderen Charaktere etwas blass und insgesamt fand ich die Personen nicht ganz ausgereift.
Erzählt werden alle vier Handlungsstränge aus der Sicht eines allwissenden Erzählers. Ein Handlungsstrang spielt in Toms Kindheit in den 1980er Jahren, der zweite hat den Blutkünstler zum Protagonisten, der dritte einen lange unbenannten „Beobachter“ und natürlich ist der „Hauptstrang“ die Ermittlungsarbeit. Der Autor flicht in seine Thriller-Handlung einige interessante Fakten aus der Psychologie ein. Vor allem seine Ausführungen zu Psychopathen fand ich sehr nützlich.
Der Spannungsbogen war für mich nicht konstant, nach einem Paukenschlag-Auftakt flacht er rasch ab. Aber wirklich langweilig fand ich das Buch zu keiner Zeit, auch wenn der Autor manchmal die Spannung durch schieren Ekel erzeugt. Was mich allerdings wirklich frustriert hat, ist der Schluss. Der überraschte mich zwar, kam aber einfach zu abrupt und der Hinweis auf den Mörder kam praktisch aus dem Nichts. Kann man cleveren Twist nennen oder unterstellen, dass Chris Meyer rasch zum Schluss kommen wollte und daher seinem Publikum einen fast willkürlich ausgewählt wirkenden Täter präsentiert hat. Hier fehlte mir ein bisschen die Logik und die Ermittlungsarbeit des ach so genialen Profilers ist doch nicht so genial, denn er weiß selbst bis zur Demaskierung nicht, wer hinter dem Blutkünstler steckt.
Alles in allem ist das Buch ein solider Thriller, dem aber das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Er wird mir vermutlich nicht im Gedächtnis bleiben. Da es der Auftakt zu einer Serie ist, bleibt zu hoffen, dass der Autor die Charaktere weiter entwickeln wird und seinen eigenen Stil findet, statt sich an tausendfach bewährte Rezepte zu halten. Von mir für die gute Idee, die sprachlich wirklich gute Umsetzung und die gute Unterhaltung aber vier Stern

Bewertung vom 07.01.2022
Weiter Himmel / Jackson Brodie Bd.5
Atkinson, Kate

Weiter Himmel / Jackson Brodie Bd.5


weniger gut

„Weiter Himmel“ von Kate Atkinson ist wirklich ein Buch, das es mir nicht leicht gemacht hat und an dem ich beinahe gescheitert wäre. Ich fand von Anfang an sehr schwer Zugang, obwohl die Geschichte an sich sehr viel Potential versprochen hat. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Autorin hat das brisante und interessante Thema mit Nebengeschichten und Ausschweifungen zerredet und damit jegliche mögliche Spannung komplett zerlegt. Wie schon „Die vierte Tochter“ konnte mich auch der fünfte Band um den Privatermittler Jackson Brodie nicht begeistern und ich werde Autorin und Serie wohl abhaken. Lesen kann man das Buch durchaus auch ohne Vorkenntnisse aus den anderen Teilen, fürs Verständnis braucht man sie nicht.
Aber von vorn.
Andy, Steve und Tommy sind „die drei Musketiere“, drei gutsituierte Familienväter mittleren Alters, die gemeinsam Golf spielen. Sie sind gesellschaftlich anerkannt, sozial gut aufgestellt und führen ein scheinbar geordnetes Leben. Aber hinter der schönen Fassade sieht es anders aus, denn ihr finanzielles Polster stammt aus einem ebenso einträglichen wie illegalen Nebengeschäft. Als dann eine Frau aus ihrem direkten Umfeld zu Tode kommt und die Polizei und der Privatdetektiv Jackson Brodie ermitteln, führen nach und nach alle Wege zum Golfclub und den drei Männern. Und die Entdeckungen, die gemacht werden, sind schockierend.
Eigentlich ist in dem Roman von Anfang an klar, worum es geht: Mädchenhandel. „Sie waren nicht dumm, sie wussten von Menschenhandel, von Leuten, die Mädchen davon überzeugten, dass sie gute Jobs bekommen würden, richtige Jobs, und dann endeten sie unter Drogen gesetzt in einem dreckigen Loch, wo sie mit einem Mann nach dem anderen Sex haben mussten, und sie konnten nicht zurück nach Hause, weil ihnen die Pässe weggenommen worden waren und sie sich erst wieder »verdienen« mussten. APA war nicht so.“
Natürlich ist es auch in diesem Buch nicht so. Natürlich werden auch in diesem Buch Mädchen mit falschen Versprechungen nach Großbritannien gelockt. Die Autorin greift damit ein ebenso schreckliches wie aktuelles Thema auf. Leider schafft sie es aber nicht, es wirklich gut aufzubereiten. Sie verheddert sich in verwirrenden und überflüssigen Nebengeschichten und schafft es für mich weder eine klare Linie noch einen Spannungsbogen aufzubauen. Über weite Teile des Buchs kommen weder die Geschichte noch die Ermittlungen einen Schritt vorwärts. Einzig gegen Schluss kommt ein bisschen Tempo und Spannung in die Handlung, das Ende an sich ist schlüssig, aber da hatte ich mit dem Buch innerlich schon abgeschlossen.
Die Autorin prangert Scheinheiligkeit und moralischen Verfall an, und dass in der „besseren Gesellschaft“ vieles mehr Schein als Sein ist (mit Hinblick auf Prinz Andrews Freundschaft verurteilten Pädophilen sicher berechtigt). Aber für eine wirkliche Gesellschaftskritik fehlt mir die Tiefe.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, einen Bezug fand ich dennoch zu keinem. Jackson Brodie, der Held der Serie, verkommt zur Randfigur, die Ermittlungen übernehmen die Polizistinnen mit den durchaus männlichen Namen Reggie und Ronnie (in Anlehnung an die Kray-Brüder). Außerdem fand ich das Buch durch die vielen Personen und die oft wechselnde Erzählperspektive sehr unruhig. Die Wortwahl ist eher einfach, die Sätze hingegen oft wirr und überladen, vor allem durch die vielen Sätze in Klammern. Der ansprechende und überraschende Schluss konnte es auch nicht retten und die Enttäuschung blieb.
Sonst war das Buch aber nicht mein Fall. Das Thema hätte so viel mehr hergegeben als die Autorin daraus gemacht hat. Ja, sie prangert an, dass in der „besseren Gesellschaft“ vieles mehr Schein als Sein ist (mit Hinblick auf Prinz Andrews Freundschaft verurteilten Pädophilen sicher eine berechtigte Aussage) und insgesamt spielt sie viel auf Moral und deren Verfall an. Aber das reicht einfach nicht. Schade. Daher vergebe ich zwei Sterne.