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Benutzername: 
Bineira
Wohnort: 
Neunkirchen

Bewertungen

Insgesamt 187 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2021
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Alina Bronsky ist 1978 in Russland geboren und lebt seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland. In ihren Romanen thematisiert sie oft ihre Herkunft, so auch in "Der Zopf meiner Großmutter".

Tschingis und Margo, beide Anfang 50, sind mit ihrem Enkel Maxim als jüdische Kontingentflüchtlinge von Russland nach Deutschland gekommen und leben nun in einem Wohnheim. Oma Margo war früher eine Tänzerin, ihr langer roter Zopf erinnert an diese Zeit. Sie ist ein zutiefst unglücklicher, misstrauischer Mensch und lässt ihren Frust mit bösartigen Bemerkungen an ihrer Umgebung aus. Am meisten leiden unter ihr der stille Tschingis, der sich redlich bemüht, die Familie zu ernähren und Maxim, den sie wahnhaft für todkrank und geistig zurückgeblieben hält und auch so behandelt. Die beiden ertragen Margo mit einer stoischen Gelassenheit und - man kann es kaum glauben - sie lieben sie, denn sie wissen um ihr gutes Herz.

Als die junge Russin Nina mit ihrer Tochter Vera in das Flüchtlingsheim einzieht, geschieht etwas Unvorhersehbares: Tschingis verliebt sich in sie.

Wird die Familie daran zerbrechen?
Und wo sind eigentlich Maxims Eltern?

Maxim ist weder krank noch dumm, er ist der Ich-Erzähler dieser Geschichte, erst als Sechsjähriger, später als Teenager. Dadurch erscheinen die grotesken Rituale, mit denen die Oma den Jungen drangsaliert, eher komisch als erschütternd. Er vermittelt zwischen Margo und dem Rest der Welt, und er weiß sich zu helfen, um ihrer absoluten Kontrolle zu entgehen.

Alina Bronsky schreibt in einem rasanten, sprachgewandten Stil, der mir gut gefallen hat. In den ersten zwei Dritteln des Buches geht es ausführlich um den Alltag der Familie. Im letzten Drittel wird es dann richtig spannend, hier lässt die Autorin leider einiges aus und kommt für mein Gefühl zu hastig zum Ende.

Über die absurden Einfälle der Oma und die schlagfertigen Dialoge habe ich mich köstlich amüsiert. Zwischendurch hat die Geschichte auch traurige Passagen, so dass sie insgesamt eine gelungene Mischung aus Komödie und Tragödie ist.

Bewertung vom 06.08.2021
Fahr mit!: Auf der Baustelle

Fahr mit!: Auf der Baustelle


ausgezeichnet

Das Kinderbuch erklärt mit liebevoll gezeichneten Bildern die verschiedenen Phasen eines Hausbaus. Dabei wechselt die Perspektive: einmal sieht man die Handwerker*innen mit ihren Baumaschinen und -geräten im Detail. Ein anderes Mal wird die Baustelle als kleiner Teil einer Stadt in ihrem Umfeld mit Häusern, Passanten, Straßen und Pflanzen dargestellt. Dieses Stilmittel wirkt auf mich dynamisch und zeigt schön, wie alles miteinander zusammenhängt.

Die Zeichnungen sind klar und detailliert, die Farben lebhaft und harmonisch. Die Handwerker*innen haben kindliche Züge und scheinen ihre Berufe mit Freude auszuüben.

Die Autorin stellt die einzelnen Baufahrzeuge und die Tätigkeit ihrer Bediener*innen mit kurzen, einfachen Texten vor. Die jungen Betrachter*innen, werden dazu animiert, diese Fahrzeuge darstellende Elemente durch Schieben zu bewegen. Dieses Mitmachendürfen verstärkt sicher noch den Reiz des ohnehin sehr charmanten Buches.

Insgesamt ist es ein wunderschönes stabiles Bilderbuch, dass kleinen Menschen bestimmt viel Freude macht.

Bewertung vom 01.08.2021
Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1


gut

Das Cover und der Klappentext lassen einen humorvollen Cosy Crime erwarten. Die Idee, vier sehr unterschiedliche Bewohner*innen einer Seniorenresidenz zu Hobbydetektiven zu machen, finde ich originell.

Leider hat der Autor diese gute Grundlage nicht genutzt. Er hat keine lebendigen Protagonisten erschaffen, dafür sind sie zu schablonenhaft geraten. Ich konnte auch keine Sympathie für sie entwickeln.

Der Schreibstil ist einfach und die Erzähltechnik - abwechselnd kommen ein Erzähler und die Beteiligte Joyce mit ihren Tagebucheinträgen zu Wort - gewöhnungsbedürftig.

Die alltäglichen Befindlichkeiten der Protagonisten nehmen breiten Raum ein, die Morde, die es aufzuklären gilt, geraten dabei öfter in den Hintergrund. Auch die vielen Verdächtigen mit ihren teils hanebüchenen Motiven tragen nicht dazu bei, dass die Geschichte sich spannend liest.

Viele Leser*innen sind von dem Buch begeistert, ich bin es nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.07.2021
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Schami, Rafik

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen


sehr gut

Rafita Schamis Erzählband „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen“ enthält 21 Kurzgeschichten, die er den Themen Geburtstag, Lachen, Reisen, Geheimnis, Tiere und Sehnsucht zugeordnet hat. Ferner beleuchtet er In sechs Essays jedes dieser Motive aus soziologischer, psychologischer und kultureller Sicht.

Die Geschichten spielen in Syrien und in Deutschland; einige sind humorvoll, andere melancholisch oder sogar tragisch. Ihnen allen ist die unbändige Lust am Erzählen gemeinsam, für die der Autor bekannt ist.

Besonders gut gefallen hat mir die titelgebende Erzählung, in der es darum geht, dass niemand in der Familie sich an das genaue Geburtsdatum des Ich-Erzählers erinnern kann, aber alle behaupten, sie wüssten es. Auch der kleine Prophet Oskar hat meine Sympathie, und die Episode um die Witwe Amar und den eigenwilligen Geist ist im wahrsten Sinn des Wortes zauberhaft.

Übrigens befindet sich das Inhaltsverzeichnis am Ende des Buches, vielleicht eine kleine Reminiszenz an Rafik Schamis Muttersprache Arabisch, in der Bücher von hinten nach vorn gelesen werden.

Bewertung vom 28.06.2021
Happy Road
Kringe, Sarah

Happy Road


sehr gut

Sarah und Matthias haben sich im Urlaub in Matthias' Heimat Österreich kennengelernt und ineinander verliebt. Nach kurzer Zeit schon beschließen sie, zusammen in einem zum Van umgebauten VW-Bus sieben Monate lang durch Europa zu reisen. Sarah kündigt Job und Wohnung in Berlin, ohne zu wissen, wie es nach der Reise für sie weitergehen wird. Zu groß ist die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus dem durchgetakteten Großstadtleben, als dass sie sich von Familie oder Freundinnen davon abhalten ließe.

In ihrem Buch "Happy Road" beschreibt sie dieses Abenteuer auf ehrliche und humorvolle Weise. Wir begleiten die beiden frischgebackenen Vanlifer durch Südosteuropa und dann in Richtung Norden bis zum Nordkap. Dabei erfahren wir einiges über das beengte Leben in einem Bus und die Besonderheiten der angesteuerten Landstriche.

Am besten lernen wir die beiden Reisenden selbst kennen: ihre Schwächen und Stärken, ihre Vorlieben und Abneigungen und ihre Strategien im Konfliktfall. Sarah malt kein Schönwetterbild, sie berichtet von einigen ungemütlichen Situationen, auch von Streit und Frust. Insgesamt überwiegt jedoch ihre Begeisterung für diese Art des Unterwegsseins. Und für ihren neuen Freund.

Bewertung vom 28.06.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


ausgezeichnet

Rahel (49, Psychologin) und Peter (55, Literaturprofessor) aus Dresden befinden sich in einer Ehekrise. Helfen soll ein Urlaub auf einer einsamen Almhütte in Bayern. Doch diese brennt vorher ab. Als Rahels Tante sie bittet, ihren Gutshof in der Uckermark samt Tieren für drei Wochen zu versorgen, weil sie mit ihrem schwerkranken Mann zur Reha muss, sagen sie zu.

Soweit die Rahmenhandlung. Dort hinein packt die Autorin

- die Ehekrise von Rahel und Peter
- Rahels schwieriges Verhältnis zu ihrer Tochter Selma und ihre Schuldgefühle, weil sie diese als Baby monatelang bei der tablettenabhängigen Schwiegermutter geparkt hat
- Selmas frühkindliche Bindungsstörung, ihre Sprunghaftigkeit und ihr Unglücklichsein mit ihrem Leben
- die ungeklärte Frage, wer Rahels Vater ist
- Rahels Sohn Simon, der als Gebirgsjäger bei der Bundeswehr Karriere macht
- einen Shitstorm gegen Peter, weil er eine nicht-binäre Studierende beleidigt haben soll
- Peters Introvertiertheit, sein Frust im Job und sein nachlassendes sexuelles Verlangen
- die Frage, ob Rahels Tante ihrem Mann nach dessen Schlaganfall bei der Selbsttötung helfen muss, weil sie es ihm früher versprochen hat
- den Einfluss der vom Bombenhagel über Dresden traumatisierten Menschen auf die nachfolgenden Generationen
- Tamara, Rahels Schwester, deren Mann im Messebau tätig und durch die Pandemie schon monatelang ohne Einkommen ist.

Das waren noch längst nicht alle Probleme, die Daniela Krien auf 270 Seiten gequetscht hat; für meinen Geschmack war es mindestens eins zu viel. Und keines davon wird näher beleuchtet.

Die handelnden Personen entsprechen ziemlich genau den gängigen Klischees, und die im Protokollstil erzählte, zu konstruiert wirkende Geschichte hat praktisch keinen Spannungsbogen. Das Ende ist…aber ich will nicht spoilern.

Ich hatte nach der Leseprobe eine ganz andere Erwartung an das Buch, denn die Kernfrage „Was tun, wenn die Liebe älter wird?“ hat durchaus Potential. Dieses wurde hier leider nicht ausgeschöpft.