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Benutzername: 
Dreamworx
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 1369 Bewertungen
Bewertung vom 15.05.2022
Der Duft von Kaffeeblüten / Töchter der Speicherstadt Bd.1
Marschall, Anja

Der Duft von Kaffeeblüten / Töchter der Speicherstadt Bd.1


ausgezeichnet

Guter Kaffee ist wie gute Musik - beides berührt die Seele. (Roger Cicero)
1889. Der Hamburger Kaffeehändler Johann Behmer lernt auf seiner Brasilienreise Maria da Silva kennen, die Tochter eines Kaffeeplantagenbesitzers. Marias Vater ist schwer krank, und als Frau darf sie die Plantage nicht selbst weiterführen. Deshalb nimmt sie den Heiratsantrag von Johann an und kehrt mit ihm in seine Heimat Hamburg zurück. Dort wird sie vor allem von Johanns Zwillingsbruder Alfons und dessen Frau Gertrud misstrauisch beäugt und wie eine Aussätzige behandelt. Obwohl von Geburt an mit Kaffee im Blut aufgewachsen, wird ihr auch die Mitarbeit im Kaffeegeschäft Brehmer & Söhne verweigert, was Maria vor allem ihrer missgünstigen Schwägerin Gertrud zu verdanken hat. Aber Maria lässt sich so schnell nicht unterkriegen, hält in der Speicherstadt Augen und Ohren offen und findet, wenn auch widerwillig, in ihrem Ehemann einen Verbündeten. Im Geheimen kauft sie die Plantage ihres Vaters und beginnt einen eigenen Kaffeehandel. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus und der Handel mit Kaffee ist kaum noch möglich. Gleichzeitig muss Marie feststellen, dass ihr Ehemann durch familiäre Intrigen aus dem Geschäft gedrängt werden soll…
Anja Marschall hat mit „Der Duft von Kaffeeblüten“ den ersten Band ihrer historischen „Speicherstadttöchter“-Trilogie vorgelegt, der den Leser zu einer Reise von Brasilien nach Hamburg einlädt, um mehr über das „schwarze Gold“ zu erfahren und eine starke Frau kennenzulernen, die sich als Außenseiterin gegen persönliche Vorbehalte, Missgunst und gesellschaftliche Konventionen zur Wehr setzen muss. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil sowie die gute mit der Geschichte verwebte historische Kontext wirft beim Leser schnell den inneren Projektor an, um die Handlung wie einen Kinofilm im Kopf abzuspulen, während man die Lektüre regelrecht einsaugt. Die Zeitspanne zieht sich von 1889 bis 1918. Brasilianerin Maria da Silva bekommt durch ihre Heirat mit Johann in Hamburg eine neue Heimat. Doch als exotisch-anmutende Frau wird sie von ihrer Umwelt erst einmal wie ein Fremdkörper wahrgenommen. Auch der Neid und die Missgunst innerhalb Johanns Familie macht ihr zu schaffen, so dass sie mit dem Leben in Deutschland fremdelt, wenn es nicht den Kaffee gäbe. Dieser ist ihre Leidenschaft, davon versteht sie viel, auch wenn andere ihr das nicht zutrauen. Das Rollenbild der Frau war damals einzig darauf beschränkt, Ehefrau und Mutter zu sein und nicht als Geschäftsfrau tätig zu werden. Maria hat das Glück, in Johann einen sehr geduldigen Ehemann zu haben, der sie vieles gewähren lässt, auch wenn andere versuchen, einen Keil zwischen sie zu treiben. Mit farbenfrohen Beschreibungen weiß die Autorin dem Leser nicht nur die brasilianische Kaffeeplantage vor Augen zu führen, sondern auch die Stadt Hamburg, in deren Speicherstadt die Kaffeebörse damals ihren Sitz innehatte.
Die Charaktere sind lebhaft ausgestaltet und überzeugen mit glaubwürdigen Eigenheiten, so dass der Leser sich schnell in ihrer Mitte wiederfindet und ihnen bei ihrem Treiben über die Schulter schaut. Maria ist eine offene, fröhliche und starke Frau, die viel Mut beweist, kämpft und sich den Widerständen entgegenstellt. Johann und Alfons sind zwar Zwillinge, doch die Brüder sind wie Feuer und Wasser, während Johann gutmütig ist, zeichnet sich Alfons durch Falschheit aus. Gertrud, seine Frau, ist aus noch schlimmerem Holz gestrickt. Sie ist egoistisch, neidisch, missgünstig, intrigant und versprüht dabei eine Arroganz, die regelrecht abstößt und zeigt, dass edle Abstammung kein Garant für anständiges Verhalten ist.
„Der Duft von Kaffeeblüten“ ist ein sehr kurzweiliger und interessanter Ausflug ins 18./19. Jahrhundert, wo nicht nur der Besuch im alten Hamburg Spaß macht, sondern der Leser auch auf eine durchsetzungsstarke, außergewöhnliche Frau trifft, Familiengeheimnisse und Liebe inklusive. Absolute Leseempfehlung und gespannte Erwartung auf die Fortsetzung!

16 von 21 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.05.2022
Die Frauen von New York - Worte der Hoffnung / Töchter Amerikas Bd.2
Carey, Ella

Die Frauen von New York - Worte der Hoffnung / Töchter Amerikas Bd.2


sehr gut

Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (J. W. v. Goethe)
1946 Berlin. Die Journalistin Kate Mancini ist mit einer Gruppe männlicher Kollegen in Deutschland, wo sie nicht nur über die Folgen des Krieges berichten soll, sondern auch den Nürnberger Prozessen beiwohnt. Während eines Aufenthaltes in Berlin findet sie mit ihren Kollegen Rick Shearer und Harvey Milton im sowjetischen Sektor ein kleines Mädchen mutterseelenallein und frierend auf den Stufen eines zerbombten Hauses. Kate nimmt die Kleine, die kein Wort spricht, mit in ihr Hotelzimmer, um sie später bei deutschen Bekannten von Rick in Celle unterzubringen, die fortan für sie sorgen werden. Zurück in Amerika findet Kate trotz beachteter und gelobter Artikel als Frau keine Festanstellung als politische Journalistin, während Harvey und Rick schnell die Karriereleiter aufsteigen. Nach vielen Gelegenheitsartikeln über Bikinis und Schminktipps winkt Kate eine Festanstellung beim Fernsehen, wo sie endlich über politische Themen berichten darf. Als sich Rick, der Kates große Liebe ist, einer Verleumdung als Kommunist gegenübersieht und sich einem Gericht stellen muss, wirft Kate all ihre Bedenken über Bord und springt ihm mit einem entlastenden Überraschungsgast zur Anhörung bei…
Ella Carey hat mit „Worte der Hoffnung“ den zweiten Band ihrer „Frauen von New York“-Reihe vorgelegt, der dem ersten Band an Unterhaltungswert und Spiegel der damaligen Zeit in nichts nachsteht. Der flüssige, bildliche und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zu einer Reise in die Nachkriegszeit ein, wo der der Leser gemeinsam Kate und ihren männlichen Kollegen erst die sowjetische Besatzung in Berlin sowie die Nürnberger Prozesse miterlebt, um dann ihre berufliche Laufbahn in New York mitzuverfolgen. Über einen Zeitraum von 5 Jahren und wechselnde Perspektiven erhält der Leser einen Einblick in das Leben der Frauen zur damaligen Zeit. Während Kate sich ihre berufliche Karriere hart erkämpft und dabei auch Zugeständnisses machen muss, ist ihre Schwester Bianca Ehefrau eines Mannes der gehobenen Gesellschaft und entspricht dem damaligen Klischee, dass Frauen sich nur um die Bedürfnisse ihres Mannes kümmern und als Außenseiterin von der sogenannten Elite nur schwer akzeptiert werden. Der dritte Handlungsstrang spiegelt das Leben von Ricks Mutter Francis wieder, die sich als gebildete und belesene Frau untergeordnet hat und nun unter der Kälte ihres Ehemannes leidet. Die Autorin zeigt den harten Kampf der Frauen auf, die sich in ihrem Beruf doppelt behaupten müssen, um dann doch nur mit schlechtem Gehalt und Geringschätzung abgespeist zu werden. Schlimm ist vor allem, dass Frauen Dummheit, Einfältigkeit und kein Urteilsvermögen in Bezug auf Politik unterstellt wird. Welches Recht nehmen sich Männer, dies ausschließlich für sich zu verbuchen? Die Verleumdung Ricks als politische Schmutzkampagne ist ebenso bezeichnend für die Zeit, denkt man an McCarthy oder Watergate.
Die Charaktere sind mit glaubwürdigen menschlichen Ecken und Kanten lebendig in Szene gesetzt, so dass der Leser sich ihnen gern anschließt, mitfiebert, hofft und bangt. Kate ist eine selbstbewusste, ehrgeizige Frau, die sich trotz des harten Journalistengeschäfts Empathie und Mitgefühl bewahrt hat. Harvey ist ein lieber, freundlicher und verlässlicher Kerl, der oftmals gern über seinen Schatten springen würde, doch nicht kann. Rick ist Journalist mit Leib und Seele, besitzt einen eigenen Kopf, macht sich nichts aus Konventionen und hat ein großes Herz. Bianca wirkt etwas einfältig und vor allem nachtragend, während Frances eine gestandene Frau ist, die ihr Leben auf einmal in Frage stellt. Das Wiederlesen mit den Morellis am Rande macht die Geschichte wunderbar rund.
„Worte der Hoffnung“ überzeugt mit einer gelungenen Darstellung der Rolle der Frau zur damaligen Zeit, mit historischem Hintergrund sowie mit Familiengeschichte und Romantik. Verdiente Leseempfehlung für eine kurzweilige Unterhaltungsl

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.05.2022
Ein Sommer in Rimini
Janssen, Fenna

Ein Sommer in Rimini


sehr gut

Das Leben beginnt dort, wo die Furcht endet. (Osho)
1955 Hamburg. Das Wirtschaftswunder hat Hilfsköchin Nina Jacobi noch nicht erreicht. Als Witwe arbeitet sie als Hilfsköchin im Hotel „Vier Jahreszeiten“ und wohnt mit ihrer älteren Freundin Henriette „Henni“ Spiegel in einem Kellerloch. Nina kocht für ihr Leben gern und hofft, eines Tages selbst als verantwortliche Köchin den Gästen ihre Kreationen zu kredenzen. Als sie dann per Zufall von einem italienischen Geschäftsmann die Chance bekommt, für das Grand Hotel im italienischen Rimini zu arbeiten und Henni davon Wind bekommt, sind ganz schnell die Koffer gepackt, die neu erworbene Isetta angeworfen und die Reise nach Rimini angetreten, denn Henni träumt schon lange davon, nach Italien zu fahren. Unterkunft finden sie in einer Pension neben dem Grand Hotel, die von Luigi Antonelli und seinem Sohn Piero geführt wird. Während Nina sich als Deutsche erst einmal in der Hotelküche beweisen muss, macht Henni die Umgebung unsicher und verdreht dem alten Luigi den Kopf…
Fenna Janssen hat mit „Ein Sommer in Rimini“ einen kurzweiligen Roman vorgelegt, der den Leser in die Zeit des Wirtschaftswunders zurückversetzt und mit zwei sehr unterschiedlichen Frauen einen ereignisreichen Sommer im Rimini der 50er Jahre verleben darf. Der flüssige und bildhafte Schreibstil der Autorin stellt den Leser schon mit wenigen Worten an Ninas Seite, wo er ihr bei Schritt und Tritt über die Schulter schaut. Einst nach dem Krieg als Zweck-WG eingegangen, sind Nina und die ältere Henriette inzwischen gute Freundinnen geworden, die aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit sehr voneinander profitieren. Nina liebt das Kochen und darf doch nur Hilfsarbeiten im Hotel verrichten, da Frauen zur damaligen Zeit keine verantwortungsvollen Posten vor allem in männlichen Metiers angetragen wurden. In der Küche des Grand Hotels ist sie erst einmal die Deutsche und wird misstrauisch von allen beäugt, bis sie sich mit ihrem Talent immer mehr beweisen darf. Das weckt auch den Respekt der Kollegen, die ihr bei einer schwierigen Geschichte nur zu gern zur Seite stehen. Während Nina sich beruflich behaupten muss, lebt sich Henni schnell ein, schließt Freundschaften und genießt das süße Leben. Erst spät entdeckt Nina Hennis Geheimnis. Die Autorin erzählt ihre Geschichte mit solch einer Leichtigkeit, dass das italienische „Dolce Vita“ aus jeder Seite springt und der Leser während der Lektüre alles bildlich vor sich sieht. Da schwadroniert der Papagallo am Strand und die bessere Gesellschaft lässt abends den Champagner in Strömen fließen. Auch Frederico Fellini hat seinen Auftritt und lässt Erinnerungen an einen seiner Filme wach werden.
Die Charaktere sind liebevoll ins Bild gesetzt und spiegeln die damalige Zeit schön wieder. Der Leser fühlt sich schnell mit ihnen verbunden und fiebert mit ihnen gemeinsam. Nina ist eine zurückhaltende Frau, die schon einige Schicksalsschläge verkraften musste. Sie besitzt Herz und Verstand, ist fleißig und hilfsbereit, traut aber ihren eigenen Gefühlen nicht so richtig. Henriette ist ein Unikum, quirlig, extrovertiert, offen und immer fröhlich. Ihr Geheimnis ist eine kleine Überraschung. Maurizio Benevento ist ein aufdringlicher Kerl mit zweifelhaften Ambitionen. Luigi Antonelli ist liebenswert und gefühlig, während der unnahbare Pierro dann doch sein Herz entdeckt. Aber auch Stefano Galli, Sofia und vor allem Timo bereichern die Geschichte mit ihren Auftritten.
„Ein Sommer in Rimini“ ist genau das: eine leichte, sommerliche, gefühlvolle Geschichte, die nicht nur italienisches Flair verströmt, sondern beim Leser Erinnerungen an die ersten Ferien in Italien weckt. Kurzweilig und farbenfroh mit verdienter Leseempfehlung!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.05.2022
Wohin der Wind uns trägt
Büchle, Elisabeth

Wohin der Wind uns trägt


ausgezeichnet

Das Leben ist eine Reise, kein Ziel. (Ralph Waldo Emerson)
1847 South Carolina. Nachdem sowohl Vater als auch Onkel im Krieg gestorben sind und sie auch noch ihr Heim verloren haben, sieht die Zukunft für die Steinmann-Geschwister nicht gerade rosig aus. Der Älteste Stewart möchte mit einem Treck nach Oregon ziehen, und die 18-jährige Joanna nutzt ihre Überredungskünste, damit sie gemeinsam mit ihren Schwestern Carole, Branca und Beckie ihn begleiten können, während Denise sich für eine Zweckehe mit einem älteren Mann entscheidet und zurückbleibt. Die lange Reise per Planwagen stellt alle vor große Herausforderungen, die auch einige Gefahren bergen. Während der Reise hält Joanna Kontakt zur alten Heimat und ihrer besten Freundin Linda, die sie schmerzlich vermisst. Eines Tages erhält Joanna von Linda beunruhigende Nachrichten, die die Steilmanns in eine gefährliche Lage bringen könnten…
Elisabeth Büchle hat mit „Wohin der Wind uns trägt“ einen wunderschönen tiefgründigen historischen Roman vorgelegt, der den Leser mit liebenswerten Charakteren auf eine abenteuerliche und spannende Reise schickt. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zu einem Ausflug ins 19. Jahrhundert ein, wo er sich den Geschwistern Steilmann auf einen langen Treck gen Westen anschließt und mit ihnen gemeinsam einiges erlebt. Die Autorin hat ein wunderbares Talent, Situationen, Örtlichkeiten und Charaktere so lebensecht zu beschreiben und amerikanische Geschichte gut recherchiert miteinfließen zu lassen, dass beim Leser schon mit den ersten Zeilen das Kopfkino anspringt und die Seiten förmlich an den Händen kleben, bis das Ende erreicht ist. Während die Bilder vor dem inneren Auge vorbeiziehen, durchlebt er mit den Protagonisten so manch brenzlige Situation, sieht die enge Bindung zwischen den Geschwistern und ist mit ihnen gemeinsam auf Entdeckungsreise, die sich mit immer wieder neuen überraschenden Wendungen sehr abwechslungsreich und spannend gestaltet. So muss es sich für die Siedler angefühlt haben, die sich damals auf den ungewissen und beschwerlichen Weg gemacht haben, eine neue Heimat zu finden. Der christliche Aspekt wurde sehr empathisch in die Handlung mit eingebunden, es geht um Hoffnung, Nächstenliebe und das Vertrauen in Gottes Führung.
Die Charaktere sind lebensecht und facettenreich in Szene gesetzt. Mit glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften nehmen sie den Leser in ihre Mitte, der sich sofort als Teil ihrer Gemeinschaft fühlt und mit ihnen fiebert, hofft und bangt. Joanna ist eine offene junge Frau mit einer gesunden Neugier. Sie besitzt eine schlagfertige, aber auch spitze Zunge und wirkt nicht nur selbstbewusst, sondern auch selbstlos. Schwester Beckie ist warmherzig, hilfsbereit und fest in ihrem Glauben verankert. Alec ist ein sanftmütiger Mann, der aber nicht auf den Mund gefallen ist. Linda ist für Joanna als Freundin ein Fels in der Brandung. Stewart trägt als ältester Steinmann die ganze Verantwortung auf seinen Schultern. Und Laurie wächst Joanna schnell ans Herz und wird eine gute Freundin in allen Notlagen.
„Wohin der Wind uns trägt“ ist von der ersten bis zur letzten Seite ein wunderbares Kopfkino. Mit seinem spannenden und abwechslungsreichen Mix aus Western, Familienbande, Romantik, Freundschaft und tiefgründiger Botschaft weiß er durchweg den Leser wunderbar zu unterhalten. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Lesehighlight! Chapeau!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.05.2022
Gran Paradiso
Landau, Grit

Gran Paradiso


ausgezeichnet

Was du nicht weitergibst, ist verloren. (Rabindranath)
1982 Italien. Die Turiner Radiojournalistin Gianna Perrin hat beruflich gerade ziemlich zu kämpfen und auch ihre Ehe ist zerbrochen. Deshalb folgt sie der Einladung der 82-jährigen Mafalda Amoretti, einer Cousine ihrer verstorbenen Mutter Maria Lanteri, sie in Sant’Amato an der Riviera zu besuchen, wo Gianna schon als Kind die Ferien verbracht hat. Gianna soll dort einen von ihrer Mutter hinterlassenen Koffer sichten, die im 2. Weltkrieg in der Resistenza als Partisanin gekämpft hat und deren Kriegstagebuch noch heute in italienischen Schulen als Lektüre auf dem Lehrplan steht. Maria wurde nicht nur als Nationalheldin verehrt, sie hat sich auch eine Karriere als erste Bürgermeisterin von Turin aufgebaut, doch das Verhältnis zu ihrer Tochter war immer schwierig. Als Gianna den Koffer in Augenschein nimmt, findet sie dort auch einige alte Tagebücher, die dem Inhalt nach dem Veröffentlichten völlig entgegenstehen. Je mehr Gianna sich in den Inhalt der mütterlichen Notizen vertieft, umso mehr kommt ihr Maria als Mensch näher…
Grit Landau hat mit „Gran Paradiso“ einen sehr fesselnden historischen Roman vorgelegt, der den Leser erneut in den kleinen Ort Sant‘Amato an der italienischen Riviera entführt, um dort gemeinsam mit Gianna in die berührende Vergangenheit von Maria Lanteri einzutauchen. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser an Giannas Seite gleiten und mit ihr nach Sant’Amato reisen. Die Handlung erstreckt sich abwechselnd über zwei Zeitebenen, wobei die Geschichte von Gianna im Jahr 1982 den Rahmen zur Geschichte von Maria bildet, die sich während des Jahres 1944 zugetragen hat. Während Gianna sich bei ihren Verwandten in Sant’Amato etwas Abstand von ihrem Turiner Leben verspricht und die Hinterlassenschaften ihrer Mutter in Augenschein nimmt, heftet sich der Leser an Marias Fersen, die sich dem italienischen Widerstand anschließt und als eine von wenigen Partisaninnen mit der Waffe gegen die Nazis kämpft. Die Autorin hat sehr akribisch recherchiert und den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung verknüpft. Die lebhaften Beschreibungen lassen den Leser alles hautnah miterleben, denn sie entfachen ein lebendiges Kopfkino und schicken ihn gleichzeitig mit einer emotionalen Geschichte durch eine Achterbahn der Gefühle, denn auch eine unbekannte Liebe kommt an die Oberfläche. Sehr gekonnt lässt Landau den Leser miterleben, wie Gianna ihre Mutter Maria von einer ganz neuen Seite kennenlernt, die sie bisher als unterkühlt und ihr gegenüber gleichgültig wahrgenommen.
Die Charaktere sind liebevoll und facettenreich ausgestaltet und mit Leben versehen worden. Mit ihren menschlichen Ecken und Kanten können sie den Leser schnell in ihren Bann ziehen, der sich nur zu gern unter sie mischt, um hautnah dabei zu sein und mitzufiebern. Gianna ist eine Frau, deren Leben momentan nicht gerade rosig verläuft. Sie wirkt entmutigt und auch verunsichert, doch im Verlauf der Geschichte geht eine Veränderung in ihr vor, die sie kraftvoller und entschlossener auftreten lässt. Maria ist eine Kämpfernatur, offen, mutig und mit dem Herzen am rechten Fleck. Mafalda ist fröhlich, fürsorglich und warmherzig, aber auch John Stiller ist liebenswert und mit wunderbarem Humor gesegnet.
„Gran Paradiso“ ist ein wunderbarer Mix aus Familiengeschichte, Liebe, Geheimnissen, Schicksalen und damaligem Zeitgeschehen, der wunderbar gefühlvoll und fesselnd erzählt wird. Landau beweist erneut auf eindrucksvolle und tiefgründige Art, wie sehr sie den Leser mit ihren Geschichten in den Bann ziehen kann. Absolute Leseempfehlung für einen wunderbaren Roman!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2022
Das Leben in unseren Händen
Neiss, Eva

Das Leben in unseren Händen


ausgezeichnet

Mit jedem neugeborenen Kind geht eine kleine Sonne auf. (Irmgard Erath)
1939. Während das Nazi-Regime mit seiner schrecklichen Ideologie in Deutschland wütet, versucht die jüdische Familie Rosenbaum, das Land auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Doch sie erhalten nicht ausreichend Schiffspassagen für alle Familienmitglieder, so dass erst einmal die beiden Schwestern Hannah und Ada in Richtung Amerika aufbrechen, um dort bei ihrer Tante Judith unterzukommen. Aber schon ihre Anreise gerät zum Desaster, weil Judith es versäumt, die Schwestern in Empfang zu nehmen, so dass diese auf Ellis Island bleiben müssen und erst einmal nicht einreisen dürfen. Ada, die bisher ihre Schwangerschaft erfolgreich verheimlichen konnte, bringt ihr Kind 2 Monate zu früh zur Welt, und niemand gibt ihm eine Überlebenschance, auch Ada möchte am liebsten nichts mit ihrem eigenen Baby zu tun haben. Einzig Hannah, die ausgebildete Krankenschwester ist, wendet sich an ihre Zufallsbekanntschaft, den Geburtshelfer Martin Couney, der sich mit der Versorgung und dem Überleben von Frühchen einen Namen gemacht hat. Während Hannah darauf hofft, dass ihre Nichte überlebt, schaut sie Mr. Couney über die Schulter und erhält von ihm das Angebot, mit ihm zusammenzuarbeiten…
Eva Neiss hat mit „Das Leben in unseren Händen“ eine berührenden historischen Roman vorgelegt, der den Leser nicht nur eine Reise ins vergangene Jahrhundert antreten, sondern gleichzeitig auch außergewöhnliche Menschen und ihre Schicksale kennenlernen lässt. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil katapultiert den Leser in das Leben der Rosenbaum-Schwestern, denen als Jüdinnen in letzter Minute die Flucht aus Deutschland gelingt, während ihre Eltern und ihr Bruder zurückbleiben müssen. Die Ankunft in Amerika wird sowohl für Hannah als auch für Ada zur Herausforderung, denn die beiden sind nicht nur vom Charakter her gegensätzlich, sie haben auch völlig verschiedene Vorstellungen von ihrem Leben. Zudem werden auch in Amerika die jüdischen Neuankömmlinge misstrauisch unter die Lupe genommen und oftmals mit Ablehnung gestraft. Krankenschwester Hannah möchte sich den Traum von einem Medizinstudium erfüllen, während ihre Schwester Ada vor allem von einer vorteilhaften Ehe träumt, dabei wäre ein Kind nur im Wege. Deshalb ist sie ihrem eigenen Fleisch und Blut auch so gleichgültig gegenüber, denn es wäre ihr bei ihrem Vorhaben nur ein Klotz am Bein. Hannah dagegen kämpft um ihre kleine Nichte, die Begegnung mit Couney ist ein Glücksfall, denn dieser kümmert sich geradezu rührend um Frühchen und ihr Überleben. Die Beschreibung der Versorgung der Baby sowie Couneys Entwicklung des Inkubators sind von der Autorin sehr detailliert und interessant in die Handlung mit eingewebt. Neiss lässt Fiktion mit realen Fakten so geschickt ineinanderfließen, so dass der Leser bei der Lektüre sowohl eine Achterbahn der Gefühle durchlebt während ihm die Finger an den Seiten kleben und ein gelungenes Kopfkino verursachen.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und können den Leser mit ihren glaubwürdigen Ecken und Kanten schnell überzeugen, der ihnen nur zu gern auf den Fersen folgt, um keinen Augenblick zu verpassen. Hannah ist eine mutige, fürsorgliche, hilfsbereite und starke Frau. Sie gibt nicht auf, verbeißt sich regelrecht und kämpft bis zur Erschöpfung. Ada dagegen wirkt oberflächlich und egoistisch, sie ist kein Sympathieträger. Doch ihr Schicksal offenbart sich erst gegen Ende der Geschichte, was den Leser den Eindruck überdenken lässt. Arzt Nathan ist empathisch, modern in seinen Ansichten und vor allem eine große Unterstützung. Aber auch Couney und Aaron tragen ihren Anteil zur Geschichte bei.
„Das Leben in unseren Händen“ unterhält mit historischem Hintergrund, zwei sehr unterschiedlichen Schwestern, Liebe, Schicksal, medizinischem Fortschritt sowie einem Einblick in die amerikanische Gesellschaft zur damaligen Zeit. Sehr fesselnde und bewegende Lektüre, die eine absolute Leseempfehlung

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2022
Vier Frauen am Meer
Lubenow, Svea

Vier Frauen am Meer


gut

Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken. (Ferdinand Magellan)
1925 Ahrenshoop, Ostsee. Die 26-jährige Handarbeitslehrerin Gitta Mahrenholz stammt aus wohlhabendem Haus. Gemeinsam mit ihrer Freundin Adelheid ist sie auf den Geschmack der Reformbewegung gekommen und besucht mit ihr deren Veranstaltungen, was sie vor ihren Eltern gekonnt verbirgt. Der Geschmack von Freiheit ist ihr wohlgehütetes Geheimnis und veranlasst sie auch dazu, ohne das Wissen und Einverständnis ihrer Eltern ganz allein zur Sommerfrische nach Ahrenshoop an die Ostsee zu reisen, wo es nicht nur vor Badegästen nur so wimmelt, sondern auch viele Künstler anzutreffen sind. Gitta möchte unbedingt auf eigenen Beinen stehen und mit ihrem geschickten Händchen Kleider in der neuen modernen Silhouette für Frauen erschaffen. Schon bald knüpft sie neue Kontakte und gründet schließlich mit drei Frauen das Regenbogenhaus, um dort ihre Ideen endlich in die Tat umsetzen zu können, was den einheimischen Bewohnern ein Dorn im Auge ist…
Svea Lubenow hat mit „Vier Frauen am Meer“ einen unterhaltsamen Roman vor historischer Kulisse vorgelegt, der den Leser zu einer Reise in die Vergangenheit an die Ostsee einlädt, um dort Gitta zu begleiten, die sich endlich vom gesellschaftlichen Korsett befreien und ein selbstbestimmtes Leben führen will. Der lockerflüssige und farbenfrohe Erzählstil lässt die wunderbare Ostseelandschaft mit seinen Bewohnern vor dem inneren Auge des Lesers Gestalt annehmen. Gemeinsam mit Gitta verlässt man das Dampfschiff in eine unbekannte und vor allem ungeplante Zukunft. Gitte ist in ihrer Naivität sehr mutig, denn sie verlässt ihr sicheres Zuhause, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen und vor allem ihren Traum zu verwirklichen, denn sie möchte Kleider für die moderne Frau schneidern. In Ahrenshoop kann sie aufatmen und taucht gleichzeitig tief in die dort ansässige Künstlerkolonie ein, wo sie schnell in Franziska, Frida und Traudel Freundinnen und Gleichgesinnte findet, die den gesellschaftlichen Konventionen entflohen sind. Ihr gemeinsames Projekt, das Regenbogenhaus, soll ein offenes Haus sein, wo sich jede von ihnen selbst verwirklichen kann. Die Autorin fängt die damalige Stimmung sehr gut ein und versetzt den Leser mit ihren bildhaften Beschreibungen in den Urlaubsmodus. Die Handlung ist kurzweilig, bleibt aber leider recht oberflächlich, so dass man den Roman eher als leichte Kost bezeichnen kann.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet, überzeugen mit glaubwürdigen Ecken und Kanten. Der Leser nimmt an ihren Erlebnissen teil, ist aber über den gesamten Verlauf eher stiller Beobachter, als Teil des Ganzen. Gitta wirkt trotz ihres Alters oftmals recht naiv, aber sie besitzt genügend Mut, Dinge zu wagen. Sie ist freundlich und findet schnell Anschluss. Ungewöhnlich ist, dass sie mit 26 Jahren zur damaligen Zeit noch nicht verheiratet war. Franziska ist eher offensiv und zupackend. Aber auch Adelheid, Traudel, Frida und Sören bringen Abwechslung in die Geschichte.
„Vier Frauen am Meer“ ist ein Roman vor historischem Hintergrund, der kurzweilig zu unterhalten weiß, ohne den Anspruch zu erheben, besonders tiefgründig zu sein. Leichte Lektüre für zwischendurch. Eingeschränkte Empfehlung!

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2022
Unwert - Der Weg des Kirschmädchens
Alinaghi, Yasmin

Unwert - Der Weg des Kirschmädchens


ausgezeichnet

Wer kann über den Wert eines Menschenlebens bestimmen?
1935 Rheingau. Auf dem Bauernhof ihres Onkel Alwin im hessischen Dorf Gudenshain wächst die 13-jährigen Käthe Klepper auf, deren Mutter bereits tot ist und der Vater in einer Heilanstalt aufgrund seiner Alkoholsucht. Unter dem Vater ihrer Tante Elsa muss sie hart schuften, seit ihr Onkel einberufen wurde. Als der Erntehelfer Zores immer wieder auf dem Hof aushilft, nutzt er gleichzeitig die Gelegenheit, sich immer wieder an Käthe zu vergreifen. Die arme Käthe wird zum Spielball für den Vater ihrer Schwägerin, der unbedingt den Hof an sich bringen will, und gerät über einen fanatischen Amtsarzt ins Visier der Nazis mit ihren dubiosen Ideologien, die sie in einem Gerichtsprozess sogar zur Zwangssterilisation verurteilen…
Yasmin Alinaghi hat mit „Unwert-Der Weg des Kirschmädchens“ einen sehr eindrucksvollen und berührenden Roman vorgelegt, der auf wahren Begebenheiten beruht und den Leser nicht nur vor Augen hält, was für unsägliche Gräuel während des Nazi-Regimes möglich waren, sondern mit Käthe auch ein stellvertretendes Schicksal darstellt, welches viele Frauen zur damaligen Zeit ereilte. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil katapultiert den Leser direkt ins vergangene Jahrhundert in Deutschlands düsterste Epoche. Dort trifft er für die Zeit von 1935 bis 1936 auf die junge Käthe, die zwar noch ein Kind ist, aber schuften muss wie eine Erwachsene, die Schule nur kurz besucht hat und dann noch den Widerlichkeiten eines Knechts ausgesetzt ist, deren sie sich nicht erwehren kann. Sie steht bei diesem Unrecht ganz allein da, hat niemanden der sich um sie kümmert und sie unterstützt, sondern wird anstatt des schuldigen Knechts sogar vor ein Gericht gestellt, dabei ist sie die Geschändete. Während die fanatischen Nazi-Anhänger an ihr ein Exempel statuieren wollen, gibt es auch Menschen mit Herz und Verstand, die Käthe vor der ihr zugedachten Strafe bewahren wollen. Die Autorin hat gründlich recherchiert und lässt mit ihren Schilderungen über die Rassengesetze oder die Experimente des grausamen Dr. Trabert dem Leser die Gänsehaut über den Rücken laufen und das Blut in den Adern gefrieren. Sehr gelungen ist auch der Mix aus eingefügten Briefen, Auszügen aus Patientenakten und diversen Texten, die die Geschichte noch mehr untermauern. Bei all den schrecklich-detailliert beschriebenen Grausamkeiten ist es der Autorin gelungen, sowohl den Leser an die Seiten zu fesseln als auch die menschlichen Facetten stark herauszustellen.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit Leben versehen. Sie können mit glaubwürdigen menschlichen Zügen überzeugen und den Leser mit in die Geschichte hineinziehen. Käthe ist ein liebenswertes, fleißiges Mädchen, das aufgrund mangelnder Schulbildung etwas einfältig wirkt. Ihr Schicksal geht ans Herz und man möchte sie einfach beschützen. Dr. Karges ist ein Mann, der zwischen den Stühlen sitzt. Einerseits arbeitet er für die braune Brut, andererseits besitzt er Menschlichkeit und ein Gewissen. Dr. Trabert ist der Teufel in Person, während die Zwillinge mit ihren Einlagen immer mal wieder die Stimmung der Geschichte auflockerten.
Mit „Unwert-Der Weg des Kirschmädchens“ ist der Autorin ein packender Roman gelungen, der den Leser mit einer perfekten Mischung aus Realität und Fiktion durch eine wahre Achterbahn der Gefühle jagt. Sowohl menschliche Abgründe als auch Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft werden hier sehr deutlich hervorgehoben und appellieren an das Gewissen des Lesers. Absolute Leseempfehlung für eine tiefgründige und ergreifende Geschichte!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2022
Ich bin ja heut so glücklich
Roth, Charlotte

Ich bin ja heut so glücklich


sehr gut

Glücklich, wer sich am Rande des Abgrunds erkennt und den Sturz vermeidet! (Jean-Jacques Rousseau)
Journalistentochter Renate Müller wächst wohlbehütet mit ihrer kleinen Schwester Gabi in Emmering bei München auf. Sie liebt es, zu singen und zu tanzen und will unbedingt Schauspielerin werden. 1924 kommt Renate als 18-jährige nach Berlin, wo sie schon bald erste Erfolge beim Theater verbuchen kann. Später bei der UFA gelingt ihr dann der Durchbruch als Filmschauspielerin. Während Renate die Karriereleiter immer weiter heraufsteigt, ändert sich die politische Lage in Deutschland dramatisch, denn die Nazis halten immer mehr Zügel in der Hand und reglementieren alles im Land nach ihren Vorstellungen. Nachbarsjunge und Jugendfreund Werner Lohse war schon immer überzeugt davon, dass Renate mal seine Frau wird. Und während Renate immer erwachsener und bekannter wird, verfolgt Werner sie geradezu und wird auch noch als Chauffeur von Goebbels ein Handlanger der Nazis. Renate will mit dem Regime nichts zu schaffen haben, vor allem deshalb nicht, weil ihr Liebster, der Bankierssohn Georg Deutsch, Jude ist und diese Liebe nur im Geheimen gelebt werden darf. Doch leider ist ihnen nicht viel Glück beschieden, denn Werner Lohse treibt sie ins Visier von Goebbels und der SS…
Charlotte Roth hat mit „Ich bin ja heut so glücklich“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, in dem nicht nur Fiktion und wahre Tatsachen auf wunderbare Weise verschmelzen, sondern dem Leser auch erlauben, eine in Vergessenheit geratene Künstlerin der 30er Jahre kennenzulernen. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil gewährt dem Leser Eintritt in Renates Welt, um dort ihre Familie, ihr Umfeld und ihre schauspielerischen Ambitionen hautnah mitzuerleben. Die Diskrepanz einer warmherzigen, liebevollen Familie zu dem aufdringlichen Werner Lohse ist groß. Während ihr Vater Renate suggeriert, das für sie alles möglich ist im Leben, versucht Werner schon in jungen Jahren Renate einzuschränken, sie zu bevormunden, sich ihr regelrecht aufzudrängen und sie zu verfolgen. Renate ist ein Freigeist, der sich seine Träume mit Fleiß erarbeitet hat und mit einem Quäntchen Glück die Karriere machte, die sie schon immer wollte. Doch schon bald weht in Deutschland mit den Nazis ein anderer Wind, der das Leben der Menschen reglementiert und ihre Freiheit immer mehr einschränkt. Die Autorin hat den politischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung verwebt und auf diese Weise die unterschiedlichen Stimmungen sehr gut eingefangen. Renate, die Werners Verfolgungswahn ausgesetzt ist und sich in einen Juden verliebt, lebt wie ein Vogel auf dem Drahtseil. Ihre Weigerung, in nazipropagandistischen Filmen mitzuwirken, brachte ihr die Überwachung durch die Gestapo ein und ließ sie ständig in Gefahr schweben. Viel zu früh verstirbt Renate auf tragische Weise im Alter von 31 Jahren.
Die Charaktere sind facettenreich gestaltet und lebendig in Szene gesetzt. Sie nehmen den Leser in ihre Mitte und lassen ihn ganz nahe an sich heran, was ein Hoffen, Bangen und Mitfiebern erlaubt. Renate hat schon in jungen Jahren ihr Ziel vor Augen und arbeitet akribisch daran, ihren Traum von der Schauspielerei zu erreichen. Sie ist liebenswert, manchmal umtriebig, freundlich und mit Prinzipien, doch innerlich wirkt sie immer zerrissener aufgrund des politischen Drucks. Ihre Freundin Sybille Schmitz ist exzentrisch, aber für Renate ein Fels in der Brandung, die sie immer wieder auffängt. Renates Eltern sind weltoffen, liebevoll und fürsorglich, sie lassen ihren Kindern ihre Freiheiten und unterstützen sie in allen Lebenslagen. Werner Lohse ist ein Mann, der für seine Unzulänglichkeiten die Verantwortung immer bei anderen sucht. Er ist ein unsteter Charakter, der sich nur zu gern dem Nazi-Regime unterwirft.
„ich bin ja heut so glücklich“ ist eine sehr unterhaltsame historische Romanbiografie, die nicht nur das Leben einer außergewöhnlichen Frau herausstellt, sondern auch den damaligen Zeitgeis

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2022
Abschied von der Heimat / Böhmen-Saga Bd.1
Sonnberger, Gabriele

Abschied von der Heimat / Böhmen-Saga Bd.1


gut

Abschied bedeutet immer ein wenig sterben. (Franz. Sprichwort)
1929. Aufgrund der Reparationszahlungen an Frankreich leiden die Menschen im Rheinland seit langem unter großem Hunger. Weil sie alle ihre Kinder nicht mehr richtig ernähren können, entschließt sich Mutter Olga schweren Herzens, die 5-jährige Erika für einige Zeit in Böhmen bei ihrer Schwester Mimi unterzubringen, um sie gut versorgt zu wissen. Tante Mimi ist sehr streng und nicht gerade warmherzig, weshalb Erika von großem Heimweh geplagt wird und sich nur sehr schwer einleben kann. Doch mit der Zeit findet sie in Emmi und Oli gute Freundinnen und kommt gut zurecht. Obwohl Erikas Aufenthalt als kurzfristige Lösung gedacht war, bleibt sie viele Jahre in Böhmen und verliebt sich sogar in den Marineoffizier Heinz. Als 1945 der Krieg verloren ist, werden die Deutschen aus Böhmen ausgewiesen, auch Erika und ihre Tante müssen diesem Aufruf folgen…
Gabriele Sonnberger hat mit „Abschied von der Heimat“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der auf wahren Begebenheiten ihrer eigenen Familie basiert und den Leser fesselnd in die düsterste Zeit deutscher Geschichte zurückversetzt. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil stellt den Leser an Erikas Seite, wo er sie in der Zeit von 1929 bis 1945 begleiten darf. Schon die Entscheidung der Familie, eines ihrer Kinder wegzuschicken, geht einem ans Herz, denn die damalige Situation im Rheinland war für die Menschen unerträglich, die sich und ihre Familien kaum noch über die Runden bringen konnten. Für Erika als 5-Jährige war die Lage ebenfalls furchtbar, denn sie wurde aus ihrem liebvollen Umfeld gerissen findet sich bei einer herrischen, strengen Frau wieder, die wenig Wärme ausstrahlte und sie mit Vorschriften über Jahre malträtierte. Doch Erika hat sich trotzdem gut in die Umstände gefügt und sogar Freunde gefunden, mit denen sie durch dick und dünn ging. Die Erziehungsmethoden ihrer Tante mögen oftmals hart und fragwürdig erscheinen, formten jedoch Erikas Charakter und machten sie zu einer sehr selbstbewussten und eigenständigen Persönlichkeit. Die Autorin hat ihre Handlung mit dem geschichtlichen Hintergrund gut verwoben, so dass der Leser die Ausbreitung des Nazi-Regimes mit den Auswirkungen auf die Bevölkerung hautnah miterlebt, während er Erika beim Heranwachsen zusieht. Etwas verwirrend ist der Widerspruch, denn Erika verliebt sich einerseits in den Marineoffizier Heinz, der sich für die Nazis engagiert und plappert ihm nach dem Mund, auf der anderen Seite lernt sie durch den Tschechen Jakub die wahren Ambitionen der Nazis kennen und engagiert sich für den Widerstand. Das passt nicht so ganz zusammen und schmälert auch die Glaubwürdigkeit der Geschichte. Auch werden nicht alle Fäden zusammengeführt und sollen den Leser animieren, auch die weiteren Bände zu lesen.
Die Charaktere sind gut ausgestaltet und in Szene gesetzt, mit glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften binden sie den Leser an sich, der ihnen gerne folgt. Erika ist erst ein eingeschüchtertes Kind, doch mausert sie sich zu einer fröhlichen, selbstbewussten, kämpferischen und kritischen jungen Frau mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Tante Mimi ist eine verbitterte, herrische und unnahbare Frau mit recht egoistischen Zügen, die innerlich mit sich selbst hadert. Aber auch Oli, Emmi, Heinz und vor allem Coelestin haben tragende Rollen in dieser Geschichte.
„Abschied von der Heimat“ ist der Auftaktband einer historischen Trilogie basierend auf wahren Begebenheiten aus der Familie der Autorin, der mit einem Mix aus Familiengeschichte, Freundschaft, Intrigen und Liebe zu unterhalten weiß. Aufgrund einiger Widersprüche und offenen Fragestellungen gibt es hierfür eine eingeschränkte Leseempfehlung!

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