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Bücherfreundin

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Insgesamt 329 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2023
Gelegenheiten
Schneider, Romy

Gelegenheiten


gut

Leichte Sommerlektüre
Der Kopfreisen Verlag hat "Gelegenheiten", den Debütroman von Romy Schneider, veröffentlicht.
 
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Marketingmanagerin Karla. Der 34-Jährigen geht es eigentlich bestens: sie lebt mit ihrem Freund Marc, einem erfolgreichen Vermögensberater, in einer großen Penthousewohnung in Berlin, hat Karriere gemacht und verdient gut. Das Paar lebt im Luxus, macht teure Reisen und genießt gesellschaftliches Ansehen. Aber Karla ist nicht glücklich, denn sie hat seit langem einen Traum. Sie wünscht sich, Schriftstellerin zu sein und sieht sich dabei in einem kleinen Häuschen in der Provence. Marc hat jedoch andere Lebensziele, und so fasst Karla den Entschluss, ihn zu verlassen und allein einen neuen Anfang zu wagen.
 
Karla kündigt ihren Job, packt 2 Koffer und fährt zum Haus ihrer Eltern. Von dort aus macht sie sich auf den Weg in die Provence, wo sie durch Vermittlung einer befreundeten Buchhändlerin ein Haus in der Nähe von La Motte-d'Aigues mietet. Dort verbringt sie die ersten Tage mit den nötigen Einkäufen und Renovierungsarbeiten und widmet sich fortan ihrem Buchprojekt.
 
Den Einstieg in die Geschichte fand ich sehr gelungen, konnte ich doch Karlas Wunsch nach Veränderung gut nachvollziehen. Wir begleiten Karla nun auf ihren Wegen in der neuen Umgebung, lernen ihre neuen Freunde kennen und erleben dank schöner Landschaftsbeschreibungen die Faszination der Provence. Mit Karlas Ankunft in der Provence flacht die Geschichte aber leider sehr schnell ab. Nahezu alles, was Karla anpackt, ist von Erfolg gekrönt und perfekt. Das habe ich als wenig authentisch empfunden, es mangelte mir an Tiefgang und ging mir zu sehr in die Richtung eines sogenannten Wohlfühlromans. 
 
Das Buch ist in angenehmem Sprachstil geschrieben und liest sich sehr flüssig. Alle Charaktere sind sehr sympathisch, allerdings zeigt keine der Personen Ecken und Kanten. Der Teil des Buches, der in Berlin und in Karlas Heimatdorf spielt, hat mir gut gefallen. Ich empfand die Handlung als stimmig und authentisch. Den Teil, der in der Provence spielt, fand ich hingegen in weiten Teilen unrealistisch und vorhersehbar. Die Buchidee eines Neuanfangs als Schriftstellerin ist so  schön und interessant, ich habe mir viel erhofft und mich auf eine tiefgründige Lektüre gefreut. Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch - der Roman hat mich leider nicht überzeugen können.

Bewertung vom 08.07.2023
One of the Girls
Clarke, Lucy

One of the Girls


ausgezeichnet

Dramatischer Junggesellinnenabschied
Der dtv Verlag hat "One of the Girls" vorgelegt, den neuen Roman der britischen Autorin Lucy Clarke.
 
Lexi Lowe ist überglücklich. Bald wird die 31-Jährige Yogalehrerin heiraten, ihr Auserwählter heißt Ed Tollock und ist 35 Jahre alt. Lexi wünscht sich eine Hochzeit im kleinen Kreis, in einer alten Mühle. Ihre selbsternannte beste Freundin Bella macht ihr klar, dass sie um einen Junggesellinnenabschied nicht herumkommt und organisiert einen Flug nach Griechenland. Auf einer kleinen Insel wollen Lexi und fünf Freundinnen während eines verlängerten Wochenendes eine unbeschwerte Zeit genießen. 
Nach und nach lernen wir die Freundinnen kennen und erfahren, woher und wie lange sie Lexi kennen. Außer Bella ist da noch Fen, die Lebensgefährtin Bellas, deren Tante den jungen Frauen die Villa, die bald verkauft werden soll, zur Verfügung stellt. Robyn ist Anwältin und Mutter eines kleinen Jungen. Außerdem ist Eleanor dabei, Eds Schwester, deren Verlobter Sam vor einem Jahr kurz vor der Hochzeit gestorben ist. Und wir lernen Ana kennen, alleinstehende Mutter eines 15-jährigen Sohnes.
Die Freundinnen sind begeistert von ihrer geschmackvollen Unterkunft unter griechischer Sonne, genießen die Abgeschiedenheit und den herrlichen Blick aufs Meer. Doch schon bald kommt es zu Spannungen und Auseinandersetzungen, der reichliche Alkoholkonsum trägt dazu bei, dass Geheimnisse enthüllt und Freundschaften auf den Prüfstand gestellt werden.
 
Das spannende Buch hat mir sehr gut gefallen. Bereits der Einstieg in die Geschichte ist sehr gelungen. Von Anfang an weiß der Leser, dass in der Strandfeuernacht etwas Schreckliches passieren wird, dass eine Person den Urlaub nicht überleben wird. Das hält die Spannung durchgehend auf einem hohen Level. Lucy Clarke erzählt die Geschichte in kurzen Kapiteln, trotz ständig wechselnder Perspektiven behält man sehr gut den Überblick. Das Buch ist sehr gut aufgebaut und hat zahlreiche unerwartete Wendungen, immer wieder wurde ich überrascht. Nach und nach erfahren wir viel aus der Vergangenheit der Freundinnen, gute und schlechte Erinnerungen werden enthüllt. Es gibt aufschlussreiche Verknüpfungen zwischen den Frauen, und es werden wahre Gefühle preisgegeben. Die interessanten und vollkommen unterschiedlichen Charaktere hat die Autorin sehr bildhaft und gekonnt beschrieben.
 
Ich habe den Roman sehr gern gelesen und war gefesselt bis zum für mich vollkommen überraschenden Ende.  

Bewertung vom 06.07.2023
Elternhaus
Mank, Ute

Elternhaus


ausgezeichnet

Lesenswerter Roman über ein emotionales Thema
Der dtv Verlag hat "Elternhaus", den zweiten Roman von Ute Mank, veröffentlicht.
 
Sanne ist die älteste von drei Schwestern und hat sich in letzter Zeit neben ihrem Beruf verstärkt um ihre alt gewordenen Eltern gekümmert, die ganz in der Nähe immer noch ihr vor Jahrzehnten gebautes Haus mit großem Garten bewohnen. Die ständigen Besuche bei den Eltern und die damit verbundenen Hilfeleistungen überfordern Sanne, und sie beschließt, dass die Eltern in eine altersgerechte Wohnung umziehen sollen. Ihre Schwester Gitti, die jüngste der Schwestern, ist dagegen, die mittlere Schwester Petra, die weit entfernt wohnt, ahnt nichts von den Umzugsplänen. Sanne setzt sich durch, ist nach dem Umzug der Eltern erst einmal erleichtert. Dann aber plagt sie doch das schlechte Gewissen, und sie fühlt sich nach wie vor verpflichtet, täglich bei den Eltern vorbeizuschauen. Diese haben ihr das Haus bereits überschrieben, und Sanne möchte es verkaufen, wovon weder die Eltern noch ihre Schwestern etwas wissen.
 
Im Mittelpunkt der gefühlvollen Geschichte stehen Sanne und Petra, über Gitti erfahren wir eher wenig. Abwechselnd erleben wir Sannes und Petras Alltag und blicken dabei tief in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Die Frauen erinnern sich an die Zeit, als sie noch Kinder waren und mit den Schwestern im Elternhaus lebten. Mit ihrem Auszug aus dem schmalen Haus haben sie sich auseinandergelebt, das Verhältnis ist schwierig, und sie haben wenig Kontakt zueinander. 
 
Das Buch hat mich sehr berührt, und ich konnte mich sehr gut in die Eltern hineinversetzen, die wenig begeistert von den Umzugsplänen ihrer Tochter sind, aber auch in Sanne, die durch die Situation völlig überlastet ist und einen Ausweg sucht. Das aktuelle Thema ist emotional, fast jeder von uns steht irgendwann vor der Frage, was zu tun und vor allem richtig ist, wenn die Eltern alt werden und "nicht mehr können". Die Autorin schildert die Problematik des Älterwerdens und den Umgang der jüngeren Generation damit äußerst einfühlsam und lebensnah. Auch das Verhältnis der Schwestern untereinander, die zutage tretenden alten Konflikte und die emotionale Belastung, die mit der aktuellen Situation verbunden ist, hat Ute Mank ganz wunderbar beschrieben, die unterschiedlichen Charaktere äußerst authentisch und bildhaft skizziert.
 
Ich habe die in ruhigem und klarem Sprachstil erzählte Geschichte sehr gern gelesen, sie hat mich berührt und sehr nachdenklich gemacht.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.07.2023
Reitmayr machte immer alles mit links
Jan C. Behmann

Reitmayr machte immer alles mit links


ausgezeichnet

Großartige und intelligente Unterhaltung
In seinem beeindruckenden Roman "Reitmayr machte immer alles mit links" erzählt Jan C. Behmann die Geschichte des Rechtsanwalts Frederic Reitmayr, der es geschafft hat, Partner in der Sozietät Flachs & Delk in Frankfurt zu werden. Der 43-jährige kommt aus einfachen Verhältnissen, der Vater war Beamter, die Mutter Hausfrau, Geschwister hat er keine. Er ist stolz auf das Erreichte, schließlich beschäftigt die Firma fast 200 Juristen, aber nur 22 davon sind Partner. Den erarbeiteten Luxus weiß er zu genießen, hat sich ein Penthouse direkt am Main gegönnt, relaxt gern in seinem Eames-Lounge-Chair und genießt den Kaffee aus seiner Siebträgermaschine . Seinen Audi TT wird er in Kürze durch einen Porsche 911 ersetzen, er trägt nur noch Maßanzüge, und bald wird er handgefertigte Maßschuhe aus Wien sein Eigen nennen. Er liebt es, bei einem edlen Wein gepflegt speisen zu gehen, gern in Begleitung seines besten Freundes aus Studientagen, Balthasar Seydler, der Jurist in einer anderen Großkanzlei ist.

Reitmayr widmet sich mit Hingabe seinem Luxusleben, vernachlässigt darüber jedoch seine Anwaltstätigkeit, und bald steht ihm großer Ärger ins Haus wegen eines für die Kanzlei unverzichtbaren Mandanten. Außerdem entdeckt eine Wirtschaftsprüferin Unregelmäßigkeiten bei Zahlen in wichtigen Dokumenten. Plötzlich geschieht etwas, das Reitmayr in seinen Grundfesten schwer erschüttert ...

Der Roman, mit dem uns der Autor ins Anwaltsmilieu entführt, hat mir sehr gut gefallen. Er liest sich sehr flüssig, ist spannend und in intelligentem Sprachstil geschrieben. Mit viel Humor beschreibt der Autor das private und berufliche Leben seines sympathischen Protagonisten und lässt uns dabei tief in dessen Gedanken- und Gefühlswelt blicken. Die Charaktere sind bildhaft und präzise skizziert. Das Ende hat mich überrascht, es ist stimmig und regt einmal mehr zum Nachdenken darüber, was wirklich wichtig ist im Leben, an. Ich habe die Geschichte mit sehr viel Freude gelesen, der feine Humor des Autors machte den Roman für mich zu einem äußerst unterhaltsamen und kurzweiligen Leseerlebnis.

Das Buch kommt als Taschenbuch im handlichen Pocketformat daher und passt dadurch in fast jede Tasche. Hervorzuheben ist das wunderschön gestaltete Cover, das mich bereits auf den ersten Blick begeistert hat.

Absolute Leseempfehlung von mir für diesen intelligenten, humorvollen und spannenden Roman!

Bewertung vom 04.07.2023
Zwei Wochen für ein ganzes Leben
Breimeier, Dierk

Zwei Wochen für ein ganzes Leben


gut

Berührende Geschichte vor faszinierender Kulisse
Dierk Breimeier erzählt in seinem Roman "Zwei Wochen für ein ganzes Leben" die Geschichte des jungen Raimund, der einst als Matrose auf einem Frachtschiff zur See gefahren und nun als Theaterregisseur tätig ist. Er ist fasziniert von der Schönheit Lapplands und tritt Ende August zum dritten Mal die lange Reise von Hamburg nach Lappland an. Diesmal hat er für 8 Monate eine abgelegene Hütte gemietet, um dort den arktischen Winter zu verbringen und sich auf eine neue Theaterproduktion vorzubereiten. Die Hütte ist klein, sie hat keinen Strom, besteht nur aus einem einzigen Raum und ist zweckmäßig eingerichtet. Während der ersten Tage ist Raimund mit der Beschaffung von Brennholz beschäftigt, Wasser holt er sich aus dem nahe gelegenen See.

Im nächstgelegenen Ort befindet sich eine Cafeteria, die von Kajssa und Jokki sowie deren Tochter Lilija bewirtschaftet wird. Hier kann Raimund nicht nur einkaufen und telefonieren, man kümmert sich dort auch um seine Wäsche. Zwischen Lilija und Raimund kommt es zur behutsamen Annährung, und auch Lilijas Eltern begegnen Raimund mit viel Herzlichkeit. Dieser steht bald vor der Frage, ob eine Liebe zwischen zwei Menschen aus derart unterschiedlichen Kulturkreisen möglich ist ...

Das in ruhigem und klarem Sprachstil geschriebene Buch liest sich flüssig und hat mir gut gefallen. Es nimmt den Leser mit auf die Reise in ein außergewöhnliches Land. Wir lernen die Samen, ihre Bräuche und Traditionen kennen und begleiten Raimund auf seinen mehrtägigen abenteuerlichen Wanderungen. Beeindruckend sind die faszinierenden und intensiven Naturbeschreibungen. Die sich langsam entwickelnde Zuneigung zwischen Raimund und Lilija hat mich sehr berührt, Raimunds Überlegungen, seine innere Zerrissenheit und seine Entscheidung konnte ich gut nachempfinden.

Diese schöne und berührende Geschichte hat ein größeres Publikum verdient. Allerdings gibt es einen Kritikpunkt: anscheinend hat das Buch vor der Veröffentlichung kein professionelles Lektorat durchlaufen. Das sollte vor einer Neuauflage nachgeholt werden, da der Roman leider viele Rechtschreib- und Zeichenfehler, aber auch Setz- und stilistische Fehler enthält.

Bewertung vom 30.06.2023
Wunder gibt es immer wieder / Die Fernsehschwestern Bd.1
Sauer, Beate

Wunder gibt es immer wieder / Die Fernsehschwestern Bd.1


gut

Geschichte über eine junge Frau, die für ihren Traum kämpft
Der Heyne Verlag hat "Wunder gibt es immer wieder", den neuen Roman von Beate Sauer, veröffentlicht. Es handelt sich um den ersten Band der Trilogie "Die Fernsehschwestern". Die beiden Fortsetzungen werden im Oktober 2023 bzw. Januar 2024 erscheinen.

Die Geschichte spielt in München, wir schreiben das Jahr 1953. Im Mittelpunkt steht die junge Eva Vordemfelde, die mit ihren Eltern und den beiden Zwillingsschwestern Franzi und Lilly in München lebt. Ihr Vater Axel ist Journalist beim Münchner Abend, die Mutter Annemie ist Hausfrau. Das Fernsehen hält Einzug in viele Haushalte, und auch die Familie Vordemfelde erlebt vor dem Bildschirm live die Krönung von Queen Elizabeth. Zwei Jahre später arbeitet Eva als Sekretärin in einer Druckerei. Sie ist nicht glücklich damit, sie entwirft und näht mit Leidenschaft ihre Kleider und wäre viel lieber Schneiderin geworden. Aber der Vater hat es ihr nicht erlaubt, war der Meinung, das sei etwas für kleine Leute. Während eines Urlaubs mit ihrer Cousine Margit in Ischgl hat Eva in dem Film "Sissi" mit Romy Schneider einen kurzen Einsatz als Statistin. Sie bewundert die wunderschönen Kostüme der Schauspieler und beschließt, Kostümbildnerin zu werden. Ihr Vater torpediert ihren Plan, doch er hat nicht mit der Zielstrebigkeit und dem Mut seiner Tochter gerechnet ....

Das Buch führt uns in die Welt der fünfziger Jahre, wir erleben die historischen Ereignisse und die Anfänge des Fernsehens. Das alles ist bestens recherchiert und sehr unterhaltsam. Die Autorin beschreibt das Leben einer typischen Familie der fünfziger Jahre, als die Rolle der Frau noch eine ganz andere war als heute. Die Väter verdienten das Geld und erwarteten, dass die Familienmitglieder sich nach ihren Wünschen richteten. Das ist auch bei den Vordemfeldes so. Axel hat das Sagen, seine Frau Annemie ordnet sich ihm vollkommen unter. Eva hingegen verfolgt ihre eigenen Ziele, für die ihr Vater kein Verständnis hat. Nach dem Umzug nach Bonn vermittelt er ihr eine Stelle als Sekretärin beim NWDR, dem späteren WDR. Aber Eva ist nicht glücklich in ihrem Beruf und setzt alles daran, ihren Traum zu verwirklichen, auch gegen den Willen des konservativen Vaters.


Der Roman hat mir in weiten Teilen gut gefallen. Der Autorin ist es ganz wunderbar gelungen, den damaligen Zeitgeist einzufangen. Der Roman liest sich flüssig, die Charaktere sind authentisch und bildhaft beschrieben. Die Handlung ist stimmig und für mich nachvollziehbar. Im letzten Drittel nimmt das Buch dann gewaltig an Fahrt auf. Die Ereignisse innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne überschlagen sich. Diese vielen Geschehnisse wirkten auf mich sehr unglaubwürdig und haben mir dann letztlich die Lesefreude genommen. Auch die Liebesgeschichte von Eva und Paul konnte mich leider nicht begeistern, ich fand sie am Ende eher kitschig und wenig glaubhaft.

Bewertung vom 26.06.2023
Institut für gute Mütter
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


ausgezeichnet

Dramatisch und beklemmend
Der Ullstein Verlag hat "Institut für gute Mütter", den beeindruckenden Debütroman der amerikanischen Autorin Jessamine Chan, veröffentlicht.
 
Im Mittelpunkt der verstörenden Geschichte steht die alleinerziehende 39-jährige Frida Liu, die mit der Betreuung ihrer 18 Monate alten Tochter Harriet und ihrer Tätigkeit im Homeoffice vollkommen überfordert. ist. Ihr Ehemann Gust hat sie 3 Monate nach Harriets Geburt verlassen, seitdem teilen sie sich das Sorgerecht für ihre Tochter. Es ist für Frida "ein schlechter Tag", an dem sie total übermüdet einen folgenschweren Fehler begeht und Harriet über zwei Stunden allein in der Wohnung zurücklässt, um sich einen Kaffee zu besorgen und anschließend kurz ihren Arbeitsplatz aufzusuchen. Nachbarn hören das Kind schreien und benachrichtigen die Polizei, die es umgehend aus der Wohnung holt. Die eingeschaltete Kinderschutzbehörde entzieht der Mutter mit sofortiger Wirkung das Sorgerecht und gibt die Kleine in die Obhut ihres Vaters Gust und dessen Lebensgefährtin Susanna. 
 
Frida darf ihre Tochter fortan nur kurzzeitig und in Anwesenheit einer Sozialarbeiterin besuchen. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, und Frida muss für die Dauer eines Jahres an einem Rehabilitierungsprogramm teilnehmen. In einem ehemaligen College absolviert sie gemeinsam mit anderen Müttern zahlreiche Unterrichts- und Trainingsstunden mit dem Ziel, eine gute Mutter zu werden und dabei stets das Wohl des Kindes über das eigene zu stellen. Dabei wird ihr eine KI-Puppe, die ihrer Tochter ähnlich sieht und die sie Emmanuelle nennt, zur Seite gestellt. Das Projekt unterliegt strengster Geheimhaltung, im Institut gelten zahlreiche Regeln, Verbote und Strafen sind an der Tagesordnung.
 
Die Autorin führt uns in eine neue dystopische Welt, in der mütterliche Verfehlungen drakonisch geahndet werden. Wir erleben Fridas verzweifelte Bemühungen, das Rehabilitierungsprogramm erfolgreich zu absolvieren und leiden mit ihr, wenn ihr - oft aus nichtigen Gründen - untersagt wird, mit Harriet zu telefonieren. Das Training mit der Puppe ist fordernd und bringt Frida immer wieder an ihre Grenzen. Neben Frida lernen wir auch weitere Mütter mit unterschiedlichen Schicksalen und Lebenswegen kennen. Sie alle sind ständigen Demütigungen und Schikanen durch die Mitarbeiter des Instituts ausgesetzt, werden ständig überwacht. Was den Frauen angetan wird, ist oft nur schwer zu ertragen. In der Besserungsanstalt gibt es auch Väter, die sich Verfehlungen haben zuschulden kommen lassen, jedoch werden diese weniger hart behandelt als die weiblichen Insassen.
 
Das Buch liest sich flüssig und ist fesselnd geschrieben. Die Charaktere sind sehr authentisch und bildhaft skizziert. Frida war mir sympathisch, ich habe mitgelitten und gehofft, dass sie Harriet bald wiedersehen darf. Allerdings konnte ich nicht verstehen, dass sie als Auslöser ihrer Situation immer nur den "richtig schlechten Tag" sieht und keine wirkliche Einsicht zeigt.
Der Roman zeigt ein beunruhigendes Schreckensszenario auf, das betroffen macht und unter die Haut geht. Er behandelt auch Themen wie Rassismus, Sexismus und Diskriminierung. Die Geschichte bietet viel Diskussionsstoff und regt zum Nachdenken an. Das Ende hat mir gefallen, ich fand es sehr stimmig. 
 
Leseempfehlung für diesen dramatischen und beklemmenden Roman, der bald als TV-Serie verfilmt wird. 

Bewertung vom 15.06.2023
Die Affäre Alaska Sanders
Dicker, Joël

Die Affäre Alaska Sanders


ausgezeichnet

Meisterhaft erzählt, faszinierend und spannend!
Der Piper Verlag hat "Die Affäre Alaska Sanders", den neuen Erfolgsroman des Schweizer Autors Joël Dicker, veröffentlicht. Das Buch ist nach "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" und "Die Geschichte der Baltimores" der dritte Band der Marcus Goldman-Reihe. Sicherlich ist es hilfreich, die beiden Vorgänger zu kennen, das Buch kann jedoch auch gut ohne Vorkenntnisse gelesen werden. 

Die faszinierende Geschichte beginnt im Jahr 1999. In Mount Pleasant, einem Ort an der amerikanischen Ostküste, findet eine Joggerin in den frühen Morgenstunden am Ufer eines Sees die Leiche einer jungen Frau. Es handelt sich um die 22-jährige Alaska Sanders, die erst vor einem halben Jahr zu ihrem Freund gezogen war und in einer Tankstelle arbeitete. Die zuständige Staatspolizei New Hampshire unter der Leitung von Sergeant Perry Gahalowood überführt innerhalb kurzer Zeit die Schuldigen, und der Fall scheint trotz einer unvorhersehbaren Katastrophe abgeschlossen zu sein.

Die Handlung springt in das Jahr 2010, und wir begegnen dem Autor Marcus Goldman, der die Verfilmung seines Romans "G wie Goldstein" verfolgt. Die Ereignisse um Harry Quebert liegen mittlerweile 2 Jahre zurück, damals arbeitete er eng mit Sergeant Perry Gahalowood zusammen. Perry erhält nach 11 Jahren einen beunruhigenden anonymen Brief. Wurde damals wirklich der Richtige eingesperrt? Gemeinsam mit Marcus rollt er den Fall neu auf, um herauszufinden, was tatsächlich mit Alaska Sanders passierte. 

Das Buch ist in schönem und klugem Sprachstil geschrieben und liest sich sehr flüssig. Bereits die erste Seite ist spannend, die Spannung steigert sich immer weiter und bleibt bis zum Ende auf hohem Niveau. Die Auflösung ist verblüffend und gleichzeitig sehr bewegend. Der Roman ist auf zwei Zeitebenen erzählt, blickt darüber hinaus aber auch auf viele Ereignisse der Vergangenheit zurück. Diese Zeitsprünge sind sehr übersichtlich dargestellt, so dass man der Handlung jederzeit gut folgen kann. Den authentisch und äußerst bildhaft skizzierten Charakteren räumt der Autor breiten Raum ein. 

Die geschickt konstruierte Geschichte ist äußerst spannend und steckt voller Überraschungen. Der Autor hat mich nicht nur einmal auf falsche Fährten geführt, immer wieder gab es raffinierte Wendungen, neue Spuren und Erkenntnisse. Nach und nach wurden alle Geheimnisse aufgedeckt. Ich konnte das spannende Buch kaum aus der Hand legen und fühlte mich von Anfang bis Ende bestens unterhalten.

Absolute Leseempfehlung für diesen meisterhaft erzählten Krimi!

Bewertung vom 11.06.2023
Unsere Stimmen bei Nacht
Fischer, Franziska

Unsere Stimmen bei Nacht


sehr gut

Harmonisches Miteinander in der Wohngemeinschaft
Der Dumont Verlag hat "Unsere Stimmen bei Nacht", den neuen Roman von Franziska Fischer, veröffentlicht.
Gloria und Herbert, Eigentümer einer alten Berliner Villa, haben sich dafür entschieden, vier Räume unterzuvermieten, da ihre Kinder längst erwachsen sind und eigene Wege gehen. Die ersten Mieter sind der Chemieprofessor Gregor und seine Tochter Alissa, es folgt der Student Jay, und als letzte Mieterin wird Lou, die Tanzkurse für Jugendliche gibt und in einem Programmkino arbeitet, in die Wohngemeinschaft aufgenommen. Gloria bekocht ihre Mieter, Herbert fällt es schwer, sich auf die neue Situation einzustellen. Er betreibt im Erdgeschoss des Hauses ein Antiquariat.

Die Geschichte über die Wohngemeinschaft, in deren Mittelpunkt Lou steht, ist in ruhigem und angenehmem Sprachstil erzählt und liest sich flüssig. Nach und nach lernen wir die Bewohner kennen und erleben ihr Zusammenleben und ihren Alltag.

Ich bin davon ausgegangen, auf sechs vollkommen unterschiedliche Personen mit Ecken und Kanten zu treffen, die sich zusammenraufen und im Alltag ihre kleinen und größeren Meinungsverschiedenheiten haben. Aber das trifft auf die Geschichte absolut nicht zu. Es geht immer freundlich und harmonisch in der Wohngemeinschaft zu, man gibt Mitbewohnern Lebenshilfe und ist stets mit Rat und Tat zur Stelle, kocht und chillt später sogar gemeinsam. Das alles ist sehr warmherzig erzählt, aber in meinen Augen doch eher unrealistisch. Nie kommt es zu Konflikten, nie wird gestritten. Das mag vielen gefallen, mir ging die Geschichte zu sehr in Richtung Wohlfühlroman. Die mir fehlende Spannung kam leider erst kurz vor dem Ende auf und scheint eine Fortsetzung des Buches anzudeuten.

Trotz flachem Spannungsbogen habe ich das Buch der leisen Töne gern gelesen, der Sprachstil hat mir gefallen, die Protagonisten sind sympathisch und bildhaft beschrieben und führen schöne und anregende Gespräche.

Bewertung vom 09.06.2023
Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen
Ironmonger, John

Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen


ausgezeichnet

Spannendes und berührendes Buch über eines der wichtigsten Themen unserer Zeit
Der Fischer Verlag hat "Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen", den neuen Roman von John Ironmonger, veröffentlicht.

In einem Pub des kleinen Fischerortes St. Piran in Cornwall, das wir bereits aus dem Bestseller "Der Wal und das Ende der Welt" kennen, kommt es zwischen dem 20-jährigen Studenten Tom Horsmith und dem 40-jährigen Abgeordneten Monty Causley zu einem hitzigen Streitgespräch über den Klimawandel, den Monty leugnet. Unter Alkoholeinfluss schließen sie eine folgenschwere Wette auf die Zukunft ab. Tom wettet mit dem Politiker, dass dieser in 50 Jahren bei Flut nicht im Wohnzimmer seines unmittelbar am Meer gelegenen Hauses sitzen kann, sondern ertrinken würde. Diese Wette bestimmt fortan ihr Schicksal, und die beiden Männer werden sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder begegnen.

In brillantem Sprachstil bringt uns John Ironmonger die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels nahe. Die informativen Schilderungen über das Klima, die Naturgewalten, das Abschmelzen der grönländischen Gletscher und das Ansteigen der Meeresspiegel sind hochinteressant. Der Autor erzählt die faszinierende Geschichte in teils größeren Zeitsprüngen und verknüpft sie mit einer berührenden Liebesgeschichte, die das Buch aber nicht dominiert. Der Roman ist spannend, zugleich humorvoll und poetisch. Es geht nicht nur um den Klimawandel, sondern auch um Freundschaft, Liebe und Trauer. Das überraschende Ende ist stimmig und macht Hoffnung.

Dem Autor ist es gelungen, nicht nur die Charaktere der beiden sehr unterschiedlichen Hauptprotagonisten, sondern auch die sämtlicher Nebenfiguren äußerst authentisch und bildhaft zu zeichnen. Die Entwicklung von Tom und Monty über die Jahrzehnte ist ganz wunderbar beschrieben. Die Geschichte hat mich von der ersten Seite an gefesselt und in ihren Bann gezogen. Die Zeitsprünge haben mir sehr gut gefallen, ebenso die interessanten Einblicke in die politische Medienarbeit und der Ausblick auf das Leben der nächsten Generation. Die Begegnung mit dem Eisbären ist sehr berührend.

Ich habe das großartige Buch, das mich keine Minute gelangweilt hat und bereits jetzt zu meinen diesjährigen Highlights gehört, mit sehr viel Freude gelesen. Es ist ein eindringlicher Appell an uns, es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel!
Absolute Leseempfehlung von mir für diesen faszinierenden Roman, der mich noch lange beschäftigen wird!