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probelesen
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 59 Bewertungen
Bewertung vom 02.05.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


ausgezeichnet

Der georgische Autor kam als Kind nach dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren nach England und schrieb seinen ersten Roman auf Englisch. Geprägt ist dieser von autobiographischen Erfahrungen: der Flucht, dem Zurückbleiben der Mutter in Tiblis, der Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit. Es ist ein Roman geworden über die Geschichte des Landes zwischen Asien und Europa, geprägt von blutigen Kriegen, von Grausamkeiten und Unterdrückung. Saba, der Ich-Erzähler, fährt nach Georgien auf der Suche nach seinem Vater und seinem Bruder, die nach einer Reise in ihre alte Heimat verschollen sind. Er folgt den Spuren, die Vater und Bruder gelegt haben, gerät in gefährliche Situationen. Er spricht mit den Toten seiner Familie, reist in entlegene Gebiete des Kaukasus verfolgt von einem Kommissar, der seinen Vater für einen Mörder hält. Ein ergreifendes Epos mit sehr aktuellen Bezügen. 20 Prozent Georgiens sind heute von Russland besetzt und gerade eskalieren die Spannungen wieder. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 28.04.2024
Unter dem Moor
Weber, Tanja

Unter dem Moor


ausgezeichnet

Der Hund der jungen Ärztin, die eine Auszeit von ihrem anstrengenden Beruf am Stettiner Haff nimmt, findet einen menschlichen Knochen. Das ist der Ausgangspunkt zu einem Roman über drei weibliche Schicksale der letzten hundert Jahre. Drei Frauen, die 14-jährige Gine in der Nazizeit, die 20-jährige Sigrun in der DDR und Nina, die im heutigen Berlin lebt. Sie kennen sich nicht und doch sind sie durch verschiedene Verkettungen miteinander verbunden. Eindrucksvoll werden die politischen Mechanismen der Unterdrückung geschildert, wie sie sich bis in die intimen Beziehungen auswirken. Was wie ein Krimi beginnt, ist doch eher ein Gesellschaftsroman, der aber spannennd wie ein Krimi ist. Der Knochenfund ist der Faktor, der die Handlung zusammenhält, er stellt die Bezüge zwischen den drei Frauen her. Die Geschichte ist eingebettet in schöne Schilderungen des Haffs und des Moores. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 07.04.2024
Was das Meer verspricht
Blöchl, Alexandra

Was das Meer verspricht


ausgezeichnet

Die junge Vida schreibt über ihr Leben auf einer kleinen Nordseeinsel, ein Leben, das vorherbestimmt scheint: Heirat mit dem Jugendfreund, Übernahme des elterlichen Geschäfts, ereignislos, aber zufrieden. Der Zuzug einer ungewöhnlichen Frau, mit der sich Vida schnell anfreundet, stellt die alten Gewissheiten in Frage. Es entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebe, die zwar heimlich gelebt, aber immer bestimmender wird. Auch der Leser wird in den emotionalen Strudel mitgenommen, der sich immer dramatischer entwickelt, als alte Verletzungen, unausgesprochene Konflikte zu der uneindeutigen Erwiderung der Leidenschaft dazu kommen. Ein fesselnder Roman über Gefühle, über unterschiedliche Lebensmodelle, über Eifersucht und heimliches Leben. Dabei auch eine dichte Beschreibung der Liebe zum Wasser und zur Nordsee, verkörpert in einem ansprechenden Cover.

Bewertung vom 30.03.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


weniger gut

Drei Frauen, drei Generationen treffen in einem kleinen Dorf der Bretagne aufeinander, verbunden durch eine gemeinsame Geschichte. Bereits im einleitenden Kapitel wird klar, dass die Begegnung in einer Tragödie enden wird. Zwei Tote werden beerdigt: der Vater einer Schülerin ist an Krebs gestorben, die Lehrerin verunglückt im Wald. Davor einige emotionale Verwicklungen. Eigentlich ein interessanter Plot. Die Lehrerin kommt in das Dorf auf der Suche nach ihrer Mutter. Sie hat erfahren, dass sie adoptiert worden ist. Dort trifft sie auf die wissbegierige Schülerin, die vor allem von dem Ehemann fasziniert ist. Die Mutter spielt zunächst eine untergordnete Rolle. Leider sind die Charaktere sehr eindimensional geschildert. Die Reaktionen aufeinander nicht immer glaubwürdig, eher überzeichnet. Die Schilderungen der Folklore in der Bretagne klingt ein bisschen nach Asterix. Schade, ich hatte größere Erwartungen. Leichte Unterhaltung.

Bewertung vom 15.03.2024
Lichtjahre im Dunkel
Ani, Friedrich

Lichtjahre im Dunkel


ausgezeichnet

Auch in diesem Krimi begibt sich Ani in das randständige Milieu Münchens. Der Besitzer eines Schreibwarengeschäftes rutscht auf Grund der wirtschaftlichen Krisen in eine prekäre Situation und kann sich nur mit einer Postfiliale über Wasser halten. Seine Frau unterstützt ihn, aber das Ehepaar hat sich längst entfremdet. Jeder träumt von einer besseren Welt. Und eines Nachts verschwindet Leo Ahorn. Seine Frau engagiert den Privatdetektiv Tabor Süden. Erst als er nicht erfolgreich ist, kommt die Polizei dazu und mit ihr die Oberkommissarin Fariza Nasri. Zusammen klären sie die Verbindungen zum Rotlichtmilieu, zu den schwierigen Verwandtschaftsverhältnissen, zu Freundschaften und Schuldgefühlen bis sie zu überraschenden Ergebnissen kommen. Wieder ein Fall, in dem Beziehungen und soziale Verhältnisse eine große Rolle spielen, aber spannend bis zum Schluß.

Bewertung vom 03.03.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


sehr gut

Eine Saison auf einer fiktiven Nordseeinsel. Strand gab es einmal wirklich. Die Insel wurde bei einer Sturmflut in zwei Teile auseinandergerissen und ist heute Nordstrand und Pellworm. Damit deutet sich auch das Thema des Romans an: noch ist alles heile Welt oder vielmehr, die heile Welt wird gespielt. Ein Touristendorf mit der Kulisse des 19. Jahrhundert ist aufgebaut und Marlene arbeitet hier für einen Sommer, weil ihr nach Beendigung ihres Studiums nichts anderes einfällt. Hier beginnt eine zarte Liebesgeschichte zu der einheimischen Janne. Aber es bleibt ein Gefühl der Fremdheit und durch den ganzen Text zieht sich ein unerklärliches Rätsel. Mit einer zerstörerischen Sturmflut dringt die Wirklichkeit in die Idylle. Was zuerst wie ein Liebesroman zwischen zwei jungen Frauen und wie ein Selbstfindungsprozess wirkt, entfaltet schließlich doch eine größere Tiefe um Naturgewalten, Bedeutung von Geschichte, von Abschieden und Gefühlen.

Bewertung vom 25.02.2024
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


gut

Hjorth schreibt über komplizierte Familienverhältnisse, sehr intensiv bis übermächtig. "Ein falsches Wort" ist bereits 2016 erschienen, auch auf Deutsch und erscheint neu in einer überarbeiteten Übersetzung. Nach dem Tod des Vaters kommt es zwischen den vier Kindern zum Streit um das Erbe. Aber hinter diesem Streit verbirgt sich ein größerer Konflikt der ältesten Tochter Bergljot, die sich seit vielen Jahren von der Familie losgelöst hat.Sie beschreibt ihre Entfremdung und allmählich wird deutlich, dass der Missbrauch des Vaters zu dieser Loslösung geführt hat. Dieser Vorwurf steht im Raum und wird von der restlichen Familie nicht angenommen. Die Kämpfe um Anerkennung der Wahrheit und des Schmerzes, die sich in den Erbauseiandersetzungen manifestieren, werden bis zur Unerträglichkeit ausgebreitet. Ein anrührendes, aber schwieriges Buch.

Bewertung vom 14.02.2024
Der Sturm - Vergraben / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.4
Sander, Karen

Der Sturm - Vergraben / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.4


sehr gut

Den drei Bänden "Der Strand" über den Kriminalhauptkommissar Tom Engelhardt und die Kryptologin Mascha Krieger folgt jetzt eine weitere Serie mit dem Titel "Der Sturm". Diese Bände sind in dem gleichen Stil geschrieben: kurze Kapitel, viele Erzählstränge auch zur Vergangenheit der Personen, offenes Ende. Der nächste Band ist in Vorbereitung und muss natürlich auch gelesen werden, um die ausstehenden Lösungen zu erfahren. Aber die Geschichte ist spannend. Die Morde reichen bis in die DDR-Zeiten zurück. Die Aufklärung ist vertrackt und führen auf manche falsche Spur. Es ist schon ein wenig irritierend, dass einiges ungeklärt bleibt und man auf den nächsten Band warten muss, um endlich zu erfahren, warum auch Mascha Krieger überfallen worden ist. Aber trotzdem gute Unterhaltung, klare einfache Sprache und nun muss man auf den nächsten Band "Verachtet" warten.

Bewertung vom 29.01.2024
Spur und Abweg
Tallert, Kurt

Spur und Abweg


ausgezeichnet

Der Rapper Tallert legt hier einen eindrucksvollen Text vor, in dem er sich der Persönlichkeit seines Vaters annähert und gleichzeitig versucht, sich selbst zu verstehen. Er selbst wurde 1986 geboren als viertes Kind des damals schon 58jährigen Bundestagsabgeordneten, dessen Kindheit und Jugend durch seinen jüdischen Vater geprägt wurde und ihn als 17jährigen noch 1944 ins KZ brachte. Er überlebt traumatisiert und sein Sohn erlebt bereits als kleines Kind bei einem Besuch im KZ Buchenwald Unberechenbarkeitder Umwelt. Es ist jederzeit möglich, dass "ein Mensch aus allen Situationen herausgerissen wird". Anhand von hinterlassenen Briefen, Tagebüchern, Tonbandaufzeichnungen verfolgt Tallert die Spur seines Vaters und dessen Familie, deren Schicksal über die Definition Jude bestimmt wurde. Die Menschen hatten es nicht mehr in der Hand, sich selbst zu bestimmen. Jude oder einfach nur Mensch? Über die Folgen der NS-Zeit, über Rassismus und Antisemitismus heute, über Erfahrungen und Erinnerungen gerade in heutiger Zeit viele kluge Gedanken. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 05.01.2024
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


sehr gut

Der Autor lässt sich die Biographie einer 100jährigen russischen Architektin erzählen und verbindet so geschickt Fiktion und historische Fakten. Gleichzeitig stellt er gleich zu Beginn der Frage nach der Zuverlässigkeit der Erinnerung und der Wahrheit von Dichtung. Sicher hat Köhlmeier ein fundiertes Wissen über die russische Geschichte der 20er Jahre und mit einer großen Leichtigkeit verknüpft er die offenbar erfundene Figur der Anouk Perleman-Jacob (ich habe jedenfalls nichts über sie gefunden) mit vielen Personen der russischen Revolution von 1917. Sehr deutlich wird der Terror des Regimes, die Unsicherheit des kleinen Mädchens aus bürgerlichem Haus, die Verworrenheit der politischen und auch persönlichen Lebensumstände. Es gab sie wirklich, die Philosophenschiffe, mit denen Intellektuelle, die dem Regime vielleicht gefährlich werden könnten, 1922 in die Verbannung geschickt wurden. Lenins Deportation ist ein interessantes Gedankenspiel. Ein anspruchsvoller, aber dennoch leicht zu lesender Roman, mit viel Raum zum Nachdenken.