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booktower
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Rodgau

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Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 23.06.2024
Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen
Yellowhorn, Eldon;Lowinger, Kathy

Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen


ausgezeichnet

Schon der leuchtende Einband dieses Buches lädt dazu ein, es aufzuschlagen. Mitten in der Prärie tanzt eine Indigene in ihrer farbenfrohen Kleidung. Das amerikanische Original dieses Buches heißt „Der Ruf des Himmelswolfs“, „Sky Wolfs Call“. Wir werden lesen, was uns dieser Ruf zu sagen hat.
„Die USA erkennen 573 Stammesnationen an und Canada teilt sein Gebiet mit etwa 600 First Nations“ - zitiert aus der Einführung. Alle diese Völker sprechen verschiedene Sprachen und leben in unterschiedlichsten Kulturen. All diese Gedanken kann man so zusammenfassen:
Alles ist miteinander verbunden. Die Welt ist ein Geschenk. Das Heilige ist ein wesentlicher Teil des Wissens. Wir lernen ständig dazu.
Die Autoren Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger haben in diesem Buch das ursprüngliche Wissen von First Nations zusammengetragen. Wie oben erwähnt ist dieses Wissen ein Geschenk an die Welt. Die Sicht auf unsere Welt durch die Augen dieser Texte, Fotos, gemalten Bildern und Landkarten wird Lesern neue Erkenntnisse zeigen, die das Denken nachhaltig verändern können. Es gibt acht Kapitel, die sich mit Essenzen unseres Daseins beschäftigen. Es geht um Themen des indigenen Wissens, um Wasser, Feuer und Rauch, nachhaltige Ernährung, Heilung, über den Himmel und wie man Wissen bewahren kann. Diese Kapitel vermitteln, wie man das traditionelle Wissen mit wissenschaftlichem Wissen von heute kombinieren und anwenden kann. Beeindruckend ist das Prinzip des „mit zwei Augen sehen“. Damit ist gemeint, dass das eine Auge mit der Kraft des indigenen Wissens sieht und das andere Auge betrachtet die wissenschaftliche Weltanschauung. Es heißt Etuapmunk - (aus der Sprache der Mi`kmaq) zum Wohle aller mit beiden Augen gleichzeitig schauen zu lernen. Der Älteste dieses Volkes, Albert Marshall erklärt es so: „Wenn wir indigene Wissenschaft mit westlicher Wissenschaft verflechten, erkennen wir beides als rechtmäßige Wissensformen an.“ Die Arktis wird als Beispiel gezeigt. Dort zeichneten die Inuit auf, wie der Klimawandel die Region beeinflusst. Sie beobachteten, wie die Tiere ihre Wanderwege anpassten (S.14). Sie teilten dieses wertvolle Wissen mit Forscherinnen und Forschern. Damit zeigten sie, wie sich die Erwärmung auf ihre Lebensbedingungen auswirkt.
Eine wichtige Botschaft ist das Bedanken und Danken. So bedanken sich die Indigenen Völker bei all diesen Elementen, wenn sie mit ihnen in Kontakt treten und von ihnen lernen. Dies kennen wir auch von den Völkern der Aborigines in Australien.
Dieses Werk enthält eine Fülle von wichtigen und wunderbaren Hinweisen und bahnbrechenden Erkenntnissen. Ich bin dem Carlsen Verlag sehr dankbar, dass dieses Buch in deutscher Sprache erscheinen kann. Es sollte in keiner Schulbibliothek fehlen, am besten gleich mehrmals, so dass viele es ausleihen können. Auch zu Hause sollte es seinen Platz finden. Kinder können schon allein die Bilder nutzen, wenn sie noch nicht lesen können. Ich bin begeistert von den Möglichkeiten die dieses Buch bietet. Ein ausführliches Glossar begleitet das Lesen. Anregungen für weiteres Lesen sind reichlich vorhanden. Es ist ein Buch, dem ich weite Verbreitung wünsche.

Bewertung vom 22.06.2024
Hier wird Politik gemacht! - Das Reichstagsgebäude
Paluch, Andrea

Hier wird Politik gemacht! - Das Reichstagsgebäude


ausgezeichnet

Dieses Buch „Hier wird Politik gemacht“ besticht sofort allein wegen der Aufmachung. Es wirkt wie eine Einladung, dem Reichstagsgebäude gleich einen Besuch abzustatten. Es ist ja als Buch für Kinder ab 10 Jahre gedacht. Ich denke, es wird auch die Eltern begeistern, die es mit ihrem Kind zusammen anschauen werden. Was auch dazu beiträgt, diesen doch „schweren“ Stoff leichter verdaulich zu machen ist eine pfiffige Fliege, die die LeserInnen durch das Buch begleitet. Diese lustige Fliege nimmt viele Fragen schon vorweg, die man stellen möchte. Die Führung beginnt ganz einfach mit der Frage „das Reichtagsgebäude, was ist das überhaupt?“ und so beginnt der Ausflug durch die vielen Wege der deutschen Politik, um sie jüngeren und älteren Lesern verständlich zu machen. Wichtige Grundbegriffe wie z. B. Parlament, Abgeordnete, Demokratie, Grundgesetz, Verfassung, Gewaltenteilung – alles wird hier beantwortet in einfacher Sprache. Nicht nur das – auch die fantastischen Illustrationen tragen dazu bei, diesen Stoff verdaulich zu machen. Der Karibu Verlag und seine Autorin Andrea Paluch sowie die begnadete Illustratorin Stephanie Marian machen diesen Ausflug in die Geheimnisse der deutschen Politik hoch erfreulich. Die Kapitel „Merkmale der Demokratie“, „Symbole der Bundesrepublik Deutschland“, „Was machen Abgeordnete den ganzen Tag“, um nur einige zu nennen, helfen, sich mit diesen Themen sogar spielerisch (die kleine Fliege!) zu beschäftigen.
Um das Ganze abzurunden, ist ein ausführliches Glossar angefügt, dass sämtliche Fragen beantwortet. Mein Fazit: bestellt dieses Buch, liebe Gemeinschaftskunde LehrerInnen und ihr werdet aufmerksame SchülerInnen haben, die sich gern mit Politik beschäftigen und vielleicht sogar inspiriert werden, selbst mitzumachen. Dazu gibt es Anregungen auf Seite 61. Nützliche websites zu diesem Thema auf S. 65! Danke dem Verlag für dieses mitreißende Buch!

Bewertung vom 16.06.2024
Kidstory
Weiss Gabbay, Tamar

Kidstory


ausgezeichnet

„Betrachte die Wirklichkeit und vertrau auf das, was du selber verstehst...“

…diesen Rat erteilt sein Lehrer Giovanni aus Italien vor etwa 550 Jahren. Jedes Kapitel in diesem Buch erzählt von einigen Tagen im Leben einer Familie und eines oder mehreren Kindern in einer anderen, längst vergangenen Zeit.
Dieses Buch sollte in keiner Familienbibliothek fehlen. Allein der Einband spricht Haptik der Kinder an mit den erhabenen Buchstaben des Titels. Einfach genial, alles.
Die Konzeption dieser Geschichte ist einfach genial. Es ist zwar für Kinder ab 7 Jahren gedacht, aber mit der Hilfe von Erwachsenen können auch jüngere Kinder schon beginnen, sich von diesem Buch einnehmen zu lassen und es zu lieben. Die Illustrationen sind so wunderschön, dass sie jedes aufgeweckte Kind begeistern werden. Die Geschichten zeigen das Leben von Beginn der Menschheit ab eineinhalb Millionen Jahren bis heute.
Das Buch ist ein Geschenk an uns. Hier wird in bildhafter Sprache die Geschichte der Menschen gezeigt, man lernt, dass Homo Sapiens und Neandertaler Nachbarn gewesen sein könnten. Auch die erste Zähmung eines Wolfsjungen wird beschrieben. Die Illustrationen, die man so gern betrachtet, sind von poetischer Schönheit. Dass jeder Leser am Ende eigene Antworten auf Fragen finden kann ist so eine tolle Idee. Dieses Buch ist einfach großartig, es zu lesen heißt viel zu lernen und das in einer begeisterten Stimmung.
Ein anderer interessanter Aspekt ist, dass nicht alle Regionen unseres Planeten erfasst werden konnten. Das Kapitel über die Dogon in Afrika informiert, dass Afrikas Quellen aus der Vorzeit auf oraler Literatur beruhen. Bis heute gibt es Erzähler, die dieses Erbe lebendig erhalten. Darauf weisen die Autoren selbst im Nachwort hin. Sie nehmen es auch zum Anlass, uns Leser anzuregen, selbst nachzuforschen, wie es wohl zu einer lange vergangenen Zeit irgendwo ausgesehen haben könnte. So kann man weiter suchen, in anderen Quellen, woran man interessiert ist.
Ganz toll ist der Anhang, wo Kinder die Möglichkeit finden, selbst ihre Großeltern und Eltern zu befragen, wie es in deren Kindheit ausgesehen hat. Auch dass ein Kind am Ende des Buches seine eigene Geschichte schreiben kann ist einfach wundervoll – nicht nur das, Kinder können sich Gedanken darüber zu machen, wie eine Kindheit in 50 Jahren aussehen könnte. Diese Einbindung jedes Lesers in die Weltgeschichte macht das Buch einfach perfekt. Ich wünschte, dass wir in meiner Schulzeit so ein Buch gehabt hätten, dass uns so viele wertvolle und beflügelnde Informationen und Anregungen gegeben hätte.

Bewertung vom 17.04.2024
Unter dem Moor
Weber, Tanja

Unter dem Moor


ausgezeichnet

Schon am Anfang der Geschichte taucht man ein in Tanja Webers intensiven Schreibstil. Dass in dieser Erzählung Dinge geschehen werden, die nicht leicht sind, erspürt man schon zwischen den Zeilen. Die Autorin beschreibt Gefühle detailliert - Ninas ausgebrannten Zustand durch ihre Arbeit in der Charité sowie die innere Leere, die sich in ihre Ehe eingeschlichen hat. Sie sucht Ruhe und plant eine Auszeit von ihrem Beruf, doch das Gespräch bringt sie dazu, zu kündigen. Ihr Ehemann unterstützt sie in ihrem Entschluss. Gleichzeitig wird ihr Mann für drei Monate nach Toronto berufen. Dann suchen Kollegen ihres Ehemanns aus Kanada eine Wohnung in Berlin für einige Zeit. Nina bucht eine Auszeit in einer ruhigen Gegend und fährt ans Stettiner Haff, während die Kollegen in ihrer Wohnung bleiben. Ihre Begleiterin wird ihre neue Hündin Ayla aus Rumänien sein, vermittelt von ihrer Freundin Berit. Nina wünschte sich eine Seelenhündin, eine Begleiterin für ihren ausgebrannten Zustand. Seit der ersten Begegnung mit Ayla fühlt sie leider die erwünschte Seelenverbindung zu ihr nicht.
Eine spannende Reise beginnt – von Berlin nach Mecklenburg-Vorpommern in eine hoch geschichtsträchtige Gegend – das Stettiner Haff. Die Gegend ist waldreich und hat eine Verbindung zur Ostsee. Eine Reise beginnt - Rückblicke in die Nazizeit und später in die DDR vor 1989 gehören dazu, völlig unerwartet für Nina. Diese Rückblicke helfen dabei, das, was Nina während ihres Aufenthalts erlebt, in Beziehung zu setzen. Sie macht erstaunliche Funde auf ihren Streifzügen durch die dichten Wälder, die uns tief in die Vergangenheit blicken lassen. Wir lesen vom Landjahr der jungen Mädchen 1936. Sie müssen die von Hitler konzipierte Ideologie - einen Volkskörper der Gemeinsamkeit zu schaffen - mit allen Härten erleben und sich auf dem Gutsherrensitz der von Wetzlaffs durchschlagen. Auch trifft sie Menschen, über deren Vorfahren wir in den Rückschauen lesen. Die Zeiten nach dem Dritten Reich in der DDR betrachten wir. Und auch die die Zeit nach 1989, als wir Frauen und Männer wieder antreffen, von denen wir im Lauf der Geschichte lange nichts hörten.
Tanja Weber hat eine einzigartige, aufwühlende Geschichte komponiert. Kunstvoll zusammengestellt. Immer wieder erleben wir unerwartete Wendungen, die im Zusammenhang stehen mit dem, was wir vorher gelesen haben.
Hier ist eine Geschichte, die einen lange nicht los lässt. Ich wünsche ihr viele Leser und Leserinnen. So wie die Autorin uns am Ende der Geschichte mit wunderbaren Worten dankt, so danke auch ich ihr für diese Bilder aus vergangenen Zeiten. Manche davon reichen hinein bis in unser Leben von heute.

Bewertung vom 12.04.2024
Das Mondscheincafé
Mochizuki, Mai

Das Mondscheincafé


ausgezeichnet

Allein der Einband ist etwas ganz Besonders. Wenn man über ihn streicht merkt man, dass der Mond, die Fenster des Cafés – ein ausgemusterter Eisenbahnwagen – der Titel und der Ständer vor dem Café etwas erhabener sind, als die übrige Fläche. Es ist schönes Gefühl, über den Einband zu streichen.
In ausführlich gestalteten Kapiteln begleiten wir Menschen, oft aus der Unterhaltungsbranche, durch ihr Leben. Sie treffen an verschiedenen Tagen zusammen, sie verabreden sich für einen Kaffee, sie gehen spazieren in einem der herrlichen Parks in Kyoto. Bei Vollmond können sie sich urplötzlich in einem außergewöhnlichen Café widerfinden. Es scheint, als ob sie schon erwartet werden – von menschengroßen, wunderschönen und klugen Katzen. Schildpattkatzen, Perserkatzen, einer Tuxedo Katze, einer Singapura. Die Katzen hören den Gesprächen zu und helfen ihren Gästen, sich selber besser zu verstehen. Einfühlsam erklären sie ihnen faszinierendes Wissen über die Planeten und die Rolle, die sie im menschlichen Leben spielen können. Dabei bedienen sie sich modernster Technologie: mit Hilfe einer ganz besonderen Taschenuhr können sie die individuellen Horoskope riesig in den Himmel projizieren.
Die Gäste bestellen nichts, ihnen werden köstliche Gerichte serviert, die genau auf ihre Persönlichkeiten zugeschnitten sind.
Oft geht es um Liebe, um Selbstbehauptung, um Anerkennung. Da ist die Drehbuchschreiberin Mizuki. Sie war einst berühmt und erfolgreich, doch inzwischen lassen Aufträge von denen sie leben könnte, auf sich warten. Von einer berühmten und überall beliebten Schauspielerin kommen private Dinge ans Licht, die dem Publikum nicht gefallen. Ihr Absturz in der Öffentlichkeit ist gewiss. Sie ist verzweifelt. Wird sie Rettung finden? Alle Gäste erhalten eine Lebensberatung auf der Basis der uralten Wissenschaft Astrologie. Alle erleben, dass sie sich plötzlich auf ihrer Bank im Park von Kyoto widerfinden wenn sie das Café verlassen wollen. Sie sind nun klüger und fühlen sich gestärkt, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten.
In Japan werden Katzen allgemein geschätzt und in Ehren gehalten. In manchen Schreinen werden sie als heilige Tiere verehrt. Diese Geschichte werden alle genießen, die über Astrologie neues Wissen erlernen möchten und sich auch schon lange mit diesem Gebiet beschäftigen. Für Japan Fans wird sie ein Genuss sein – über japanisches Leben und von den Verbindungen unter Kollegen und Freunden erzählt Mochizuki lebendig und höchst unterhaltsam.

Bewertung vom 10.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Dieser Roman ist eine Geschichte die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, nachdem man sie begonnen hat. Sie enthält Ereignisse von Schicksalen ganz verschiedener Leben von Menschen. Sie ist voller Spannung und - bis zuletzt - unerwarteter Wendungen. Die Autorin knüpft diese zu einem vielfarbigen Teppich voller Bilder. Wie sie eine Verbindung zwischen diesen Menschen herstellt, ist meisterhaft. Das zentrale Thema ist der Vietnam Krieg und das Schicksal der Tausenden Kriegswaisen aus Verbindungen von Amerikanern und Vietnamesinnen - den Amerasiern. In ihnen verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart – sie müssen sich behaupten und Entscheidungen gegenüberstehen, die während des Krieges getroffen wurden und in ihr Leben einschnitten – Entscheidungen, die sie dazu zwingen, tief in ihr Inneres zu blicken und Gemeinsamkeiten über Generationen, Abstammung, Kultur und Sprache hinweg zu finden.
Auf dem Land leben Trang und ihre jüngere Schwester Quynh mit ihren Eltern bevor der Krieg begann. Beide hatten sich ein tugendhaftes Leben voller Wissen gewünscht…Wie ungerecht, dass der Krieg ihnen die Aussicht auf eine bessere Ausbildung genommen hatte…Dazu kommt die Not der Eltern, die ihr Hab und Gut an gierige Geldverleiher verpfändet hatten. Eine Freundin, Han, zeigt den Schwestern die Rettung, wie sie ihren Eltern helfen können, ihr Geld zurück zu bekommen: sie gehen nach Saigon um dort zu arbeiten. Das war 1969.
Wir lernen Phong kennen, einen der Amerasier. Er sucht verzweifelt nach Antworten, die seine unbekannte Vergangenheit erleuchten könnten. Die Nonne Schwester Nha, seine Stütze, sein Halt, die ihn aufgezogen hat und nun schwerkrank ist, lässt ihn nach ihrem Tod allein in einer feindlichen Welt zurück. Wird er seinen Weg finden?
Der Kriegsveteran Dan und seine Frau Linda aus Seattle besuchen Vietnam im Jahr 2016. Dan hat eine dunkle Vergangenheit, die er seit Jahrzehnten vor seiner Frau Linda verbirgt. Inmitten der Schrecklichkeit des Krieges – in täglicher Todesnähe – erblühte eine Liebe zwischen Trang und Dan. Nun versucht Dan, seine Spuren von damals aufzuspüren.
In poetischer Sprache, hier ein Beispiel: …sie blickte auf einen Bambushain, an dem sie entlangfuhren. Die eleganten Halme standen da wie in Meditation versunken, als könnte Gewalt ihnen niemals etwas anhaben. Ein Schwarm Störche stieg auf, und ihre Flügel malten Gedichte an den Himmel – lesen wir hier ergreifende Zeugnisse einer Zeit, die nie vergessen sein wird und dazu verankert bleibt in den nachfolgenden Generationen aller derjenigen, die Zeugen dieser Ereignisse waren.

Bewertung vom 31.03.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


ausgezeichnet

Es ist die Enkelin Juni, die uns von dieser zutiefst bewegenden Geschichte erzählt. Die Geschichte ihres Großvaters, seinem Bruder und seinen Freunden.
Es herrscht Krieg. 1943 vor der Küste von Java im Indischen Ozean wird ein norwegisches Handelsschiff angegriffen. Auch die Brüder Sverre und Konrad sind an Bord. Konrad sieht im Licht der Raketen wie die „Anitra“ explodiert, als er auf den Rand des Rettungsbootes sitzt. Bei diesem Angriff wird er von seinem Bruder Sverre getrennt. Mit seinem Freund Jakob irrt Konrad siebzehn Tage in einem Rettungsboot auf dem Meer, bis Fischer das Boot finden. Konrad wird in ein Krankenhaus gebracht, dort trifft er die Krankenschwester Sigrid, seine große Liebe.
Trude Teige erzählt in diesem bewegenden Roman die Geschichte norwegischer Frauen, Männer und Kinder die im Laufe des Zweiten Weltkriegs in japanischen Gefangenenlagern auf Java interniert waren.
Diese Chronik, denn das ist sie auch, liest sich wie ein Hohelied auf Freundschaft, Liebe, Durchhaltevermögen von Menschen in den schlimmsten Situationen - die immer noch weiter versuchen, irgendwie mit den Gegebenheiten zurecht zu kommen. Sie wirft ein Licht auf die Tragödie von jeglichen Kriegen, die jeden Menschen, der wie auch immer darin verwickelt ist, aufs Allertiefste fordert. Gleichzeitig zeigt sie uns wieder, dass Aufopferung verbunden mit Liebe es möglich macht, Herausforderungen zu begegnen, die einfach unmöglich zu bewältigen scheinen.
Trude Teige schreibt darüber wie Menschen die Kraft aufbringen, sich trotz aller Mühsale, oft in Todesnähe, weiter zu behaupten. In einer klaren doch gefühlvollen Sprache erzählt sie, wie es ihren Protagonisten ergeht. Die Vorstellung, dass all dies von ihr Geschilderte so oder nur wenig abweichend geschehen ist und jetzt, in unserer Gegenwart, ähnlich wieder geschieht, lässt einen schaudern. Man fragt, was eigentlich Menschsein ausmacht, auf einer Skala von zutiefst Schrecklichem bis zum größten Wunder darüber, was alles menschenmöglich ist, um das Furchtbare zu überwinden.
Dieser bewegende Roman ist die Fortsetzung von „Und Großmutter tanzte im Regen“. Er ist ein Stück wichtige Zeitgeschichte, die viele Fragen aufwirft, nicht zuletzt die, wie Menschen es schaffen, mit Traumata zu leben - auch diese zu verarbeiten. Sie reichen weit und weiter in neue Generationen hinein.

Bewertung vom 10.03.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


ausgezeichnet

Die Geschichte beginnt in Kamerun – einem Kamerun, das von Deutschen besetzt und regiert wird. Das eine der vielen Kolonien Afrikas war, die von westeuropäischen Mächten vereinnahmt wurden. Solche Besetzungen wurden immer mit dem Euphemismus „Schutzherrschaft“ benannt, „protectorate“ unter englischen Eindringlingen, „protectorat“ von Franzosen. Ausbeutung, Gesetzlosigkeit, Unterdrückung, Schändung von unschuldigen Leben, Vergewaltigung von afrikanischen Frauen, Brandmale auf Handrücken zu Tausenden waren die Folgen. Die Verbindungen zur Gegenwart sind noch sehr präsent. All das und noch viel mehr lesen wir, als das Leben von Issa sich vor uns entfaltet. Wir lernen Issas Leben in ihrer Familie in Kamerun und Deutschland kennen. Bis zur letzten Seite fesselt uns diese Geschichte so sehr, dass man immer weiter lesen möchte. Dieses Leben entfaltet sich in Rückblicken. Sie beginnen 1903.
Issa fliegt aus Deutschland nach Douala. Während des Fluges erinnert sie sich an ihre Mutter, als diese ihren Vater begraben ließ und diese Erinnerungen lassen uns die komplizierten Strukturen der afrikanischen Gebräuche erahnen. Das Cover zeigt eine moderne afrikanische Frau die uns mutig entgegen blickt. Der Schreibstil erinnert an die poetische und bildreiche Sprache, die alle Geschichten und Romane aus afrikanischer „Feder“ prägt und das Leseerlebnis verstärkt und bereichert. Eine Legende aus der Welt der Elefanten, die eine Brücke zu den Menschen schlägt, wird uns erzählt und befeuert unsere Vorstellungskraft. In der Folge lesen wir weitere Geschichten, die uns die Welt des traditionellen Kameruns näher bringt. Die wichtigste Person ist Issa, ihre Reise dient nicht nur der Selbstfindung sondern auch der Vorbereitung auf die Geburt und darauf, dass diese leicht für sie wird und sie ein gesundes Kind zur Welt bringen kann. Sie wird in Rituale eintauchen, die ihr weiteres Leben, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter und deren Vorfahrinnen sowie das Leben des Ungeborenen für immer zum Guten beeinflussen wird. Von 1903 bis in die Gegenwart lesen wir eine Geschichte von Familien – in Kamerun und Deutschland. Dieses Buch ist eine Schatzkiste - angefüllt mit Begebenheiten, die in dieser Zeitspanne geschehen sind. Die unzählige Leben beinhalten, auch die von denen wir nicht lesen, die uns aber betreffen, je tiefer wir in diese Geschichte eindringen. Wir lesen von Geschehnissen, die so wie hier noch nicht erzählt wurden. Wir erkennen, wie das äußere Leben das Innere von Menschen berühren, beeinflussen und bedrängen konnte, ohne dass diese Menschen es sich gewünscht hätten oder voraussehen konnten, was mit ihnen geschehen wird. Diese Ereignisse sind unvergessen und reichen bis in unsere Gegenwart. Der erste Weltkrieg 1914 – 1918, auch „Der große Krieg“, „The Great War“ genannt, beeinflusst die damalige Kolonie Kamerun zutiefst. Zu lesen, welches unermessliche Leid er über unschuldige Menschen bringt und in die Familiengeschichte Issas eingreift, ist bestürzend. Das Vorsatzpapier des Buches zeigt eine sehr anschauliche Karte, die alle Schauplätze erfasst und die Nachbarländer Kameruns – Nigeria, Tschad und die Zentralafrikanische Republik – mit einbezieht. Nicht nur spannende Unterhaltung in höchstem Maß, sondern auch die Themen Weltgeschichte, Diskriminierung, Verständnis zwischen Völkern, Sozialgeschichte – letztere auch deren Versäumnisse an den Menschen - wird hier dargestellt. Ich wünsche diesem Buch weite Verbreitung und Übersetzungen.

Bewertung vom 03.03.2024
Annas Lied
Koppel, Benjamin

Annas Lied


ausgezeichnet

Wer diese Geschichte zu lesen beginnt ist innerhalb von wenigen Seiten eingesponnen in diese lebendige jüdische Familie in Kopenhagen. Wir sind im Jahr 1929 und erleben die Wohnungsnot in Kopenhagen und wie Familien sich helfen, in einer kleinen beengten Wohnung noch eine Familie, die bald ein Baby erwartet, aufzunehmen. Diese Juden empfinden sich als Dänen, nachdem sie schon über zwanzig Jahre in Dänemark leben, sprechen aber teilweise jiddisch. Neue Verwandte werden in der beengten Wohnung der sechsköpfigen Familie aufgenommen. Darum zieht Hannah zu ihren Eltern ins Schlafzimmer.
Ihr Vater Jitzhak, ein begabter Schneider, fährt mit seinem Fahrrad Waren aus. Wir erleben, wie er in einer Versammlung, die gegen Juden wettert, halt macht um zuzuhören und angegriffen wird. Ein Polizist rettet ihn und warnt ihn, sich in solche Situationen zu begeben. »Tja, es war jedenfalls nicht sonderlich klug von Ihnen, sich unter diese Versammlung von Bauerntrampeln und Aasgeiern zu mischen«, erklärt der Polizist und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren. Damit ist die Atmosphäre schon klar, die in diesem Roman die Trope ist: Judenfeindlichkeit.
Wir begleiten die Geschichte dieser Familie durch sieben immer turbulente Jahrzehnte.
Wir werden Zeuge jüdischen Lebens, wie es damals geschah. Die Eheleute Bruche und Jitzhak. Ihre drei Jungen und Hannah. Konflikte sind vorprogrammiert – die Jungen wollen Däninnen heiraten und keine Jüdinnen – ein Sakrileg für orthodoxe Juden. Die alte Schule besagte, „dass man natürlich die Befehle der Thora, des Talmuds und der eigenen Eltern zu befolgen hatte…“ Für die Mutter Bruche eine Katastrophe, wenn dies nicht beachtet wird, für den Vater Jitzhak auch, aber er ist der stillere Teil dieser Ehe, während wir von Bruche Temperamentsausbrüche erleben, die ihresgleichen suchen. Die Brüder aber können sich immer durchsetzen, nur Hannah muss sich anpassen – ihr bleibt eine arrangierte Ehe mit einem französischen Juden, Francois, nicht erspart. Aber vorher darf sie ihre große Liebe mit Aksel heimlich erleben – eine Liebe die sie ihr ganzes Leben lang begleiten wird – ein großes Geschenk in ihrer dann unglücklichen Ehe in Paris, die sie erträgt – Mädchen und Frauen ertragen eben. Ihr Gegenpol zu dieser Einstellung ist die Freundin Elisabeth, eine Dänin, sie und Hannah sind von Kindheit an befreundet. Sie wünscht sich für Hannah, dass sie Francois verlässt – vergeblich.
Dieser wunderbare Roman ist so erfüllt von wahren Schicksalen, Begebenheiten, Gefühlen und Erlebnissen, die in einer Rezension nicht zur Sprache kommen können. Aber das wichtigste und warum wir in diesem Roman so sehr in allen Facetten – wunderbaren und zutiefst traurigen – mitfühlen, ist die Sprache. Benjamin Koppel ist Musiker und so ist seine Sprache: nicht nur ist diese Geschichte großartig komponiert, wie gute Geschichten es sein müssen sondern eben bildhaft und immer illustrativ, vollkommen in allen Beschreibungen der Begebenheiten und Charakteristiken der Personen – allen erwähnten und es sind noch viel mehr. Dazu kommt der Hintergrund der Kriegszeiten und geschichtlichen Ereignissen, die immer wieder so erschütternd wirken, obwohl sie ja bekannt sind. Diese eindrucksvolle Geschichte ist ein Juwel und wird nicht umsonst als „Überraschungsbestseller aus Dänemark“ bezeichnet. Es geht nicht zuletzt auch um Hoffnung und Mut in den schwärzesten Zeiten und die tröstende Kraft der Musik. Wir lesen eine bedeutende und zutiefst bewegende Geschichte des letzten Jahrhunderts bis heute.

Bewertung vom 13.02.2024
Nostalgia Siciliana
Di Stefano, Patrizia

Nostalgia Siciliana


ausgezeichnet

Tita gestaltet Titelentwürfe für neue Bücher und führt ein erfüllendes Leben in Berlin, außerdem hat sie freie Hand in ihrer Arbeit. Doch die Nachricht vom Tod ihres Onkels in Sizilien, ein Bruder ihres früh verstorbenen Vaters, hat einschneidende Konsequenzen für Titas Leben.
Die Geschichte beginnt mit Titas Kindheitserinnerungen. Sie erzählt liebevoll und detailreich von den Reisen der Familie nach Ragusa auf den Familienbesitz Magní bei Ragusa. Wie von einem unsichtbaren Faden zieht es sie nun dorthin. Sie kann sich ihren Gefühlen, ihrer Sehnsucht nicht verschließen. Seit über zwei Jahrzehnten hat sie Sizilien nicht mehr besucht.
Die Geschichte erzählt sie in Rückblicken auf die Kindheit ihres Vaters Gianni und abwechselnd mit der Jetztzeit ihres Besuches. Er ist hochbegabt und schließt das Priesterseminar mit der Matura ab. Doch tief in sich fühlt er, dass es für ihn nicht richtig ist, ein Priesterleben zu führen. In diese Zeit seiner Zweifel fällt die Zeit des Anwerbens in Deutschland von italienischen Gastarbeitern, wie es die Touristen in Sizilien erzählen. So beschließt Gianni nach Deutschland zu gehen um dort sein Glück zu versuchen. Nach schweren Anfängen - ein Fremder zu sein, deutsche Feindseligkeit zu spüren, hart zu arbeiten für wenig Geld und die Heimat zu vermissen, fasst er Fuß, heiratet eine Deutsche und wird zum erfolgreichen Unternehmer mit Restaurantgründungen und der Einführung der italienischen Küche, beginnend mit der inzwischen überall beliebten Pizza. Mit dieser Pizza beginnt eine Zusammenarbeit mit der Firma Dr. Oetker.
Nach Titas Ankunft in Magní fühlt es sich für uns Leser so an, als ob wir zusammen mit Tita durch die Räume gehen und das Anwesen in allen Einzelheiten besichtigen. Diese intensiven Erinnerungen wechseln Kapitelweise ab mit Titas derzeitigem Leben in Berlin, das sie zusammen mit der Vergangenheit und dem Leben ihres verstorbenen Vaters reflektiert. Was uns aus den Seiten entgegenfliegt ist pure, tief empfundene Nostalgie. Ihr Schreibstil ist farbig, ich nenne ihn eine olfaktorische Sinfonie. Gerüche der italienischen Küche mischen sich mit der landschaftlichen Schönheit Siziliens. Erinnerungen, die großartig beschrieben werden und uns die Seele Siziliens und der Menschen nachempfinden lassen, vermittelt der Text dieses Lebensberichtes, der einen wichtigen Teil der deutschen Geschichte enthält, denn er schließt deutsche Geschichte der Moderne ein – wie die Ankunft der italienischen „Gastarbeiter“ wie sie genannt wurden. Diese „Gastarbeiter“ veränderten die deutsche Gastronomie und andere Lebensbereiche in Deutschland nachhaltig, denken wir nur an die Berufe, in denen sie eingesetzt wurden, weil nach dem 2. Weltkrieg Manpower fehlte. Eine Geschichte, die einen gleich in den Bann zieht während des Lesens, weil sie voller Leben steckt. Sie hat mich von der ersten Seite an begeistert. Es lohnt sich, diese Geschichte über eine Familie und zwei Völker zu lesen und vieles zu erfahren, dass wir bisher nicht kannten.