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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 133 Bewertungen
Bewertung vom 14.12.2025
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


gut

Wegsuche

Eine Familie. Eine jüdische Familie. Ein Blick auf das Gestern und das Heute. Ein Blick auf die Herkunft. Ein Blick auf dieses „Was sind wir?“. Gerade wenn man sein Leben nicht auf jüdischem Brauchtum und jüdischem Selbstverständnis aufbaut und dennoch jüdisch ist. Was bedeutet das im Jetzt? Ein Blick auf eine Ehe. Ein Blick auf das Gute und das Schlechte, das in dieser Verbindung liegt. Und ein Blick auf Familienkonstellationen, auf innerfamiliäre Zerwürfnisse. Ein Blick auf die Ehrlichkeit und auf die Lügen, die es nun einmal gibt im zwischenmenschlichen Agieren. Denn wer hat immer den Mut zur Ehrlichkeit, eine Ehrlichkeit, die halt manchmal auch weh tut?!?! Man sollte ehrlich sein. Ich weiß. Aber manchmal ist schon ein "Guten Tag." einfach mal nicht so gemeint. Sondern nur eine Höflichkeit, eine Floskel und manchmal auch eine Lüge.

Also eine immens interessante Gemengelage. Und von dieser Grundkonstruktion heraus könnte man meinen, dass mir das Buch gefallen müsste. Die thematische Auswahl hat mir auch gefallen. Aber nicht die Art der Darstellung. Und irgendwie hat mir auch die erzählende Stimme, die erzählende Protagonistin, Lou, nicht zugesagt. Irgendetwas an ihrer Betrachtung, an ihrer Person ist mir sauer aufgestoßen. Sehr sauer. Was irgendwie schade ist!

Wie der Titel schon sagt, begleiten die Lesenden Lou über drei Monate. Der Juli ist in Berlin angesiedelt und zeigt Lous Familie, Lous Ist in ihrer Welt. Und ebenso auch Lous Unzufriedenheit. Vielleicht schon der erste Punkt für mein innerliches Sträuben. Der Blick auf die Tochter und ihren Blick auf die Vergangenheit, ihre Frage nach der Vergangenheit, hat mir wieder sehr gefallen. Dann geht es nach Gran Canaria im August und die familiären Zerwürfnisse stehen zentral. Auch interessant gemacht. Im September geht es für Lou nach Israel, um Nachforschungen zu betreiben, um ihre Sicht auf die Familie zu festigen, neu zu ordnen und auch um sich selbst zu sortieren. Auch hier lässt mich Lou wieder etwas Grummeln. Aber diese Suche im September ist nicht schlecht zu benennen. Dennoch entbrenne ich nicht für das Buch. Warum? Eine Frage, die ich nicht richtig beantworten kann. Das Nicht Auserzählte stört mich etwas, aber nicht so massiv, dass ich es als Grund anbringen könnte. Die Hauptperson, die Erzählstimme Lou ist definitiv kein Wohlfühlcharakter für mich, aber eben auch nicht der Hauptgrund für mein Empfinden. Die Gliederung des Romans in diese drei Monate mit den verschiedenen Plätzen der Handlung zerreißt für mich irgendwie den Erzählfluss, aber auch das kann ich nicht als den Grund schlechthin für das Nicht Genießen können des Buches benennen. Ich weiß es schlussendlich nicht genau. Vielleicht ist es eine Mischung aus allem. Ist irgendwie anzunehmen.

Denn die Thematik des Buches ist eigentlich ein Burner für mich. Nur leider konnte ich hier nicht brennen. Was ich schade finde! Denn das Buch „Der verlorene Sohn“ war richtig gut und ich hatte gehofft eine ebenso inspirierende Lesereise vorzufinden.

Wie so oft bei den Künsten. Dieser Eindruck hier, mein Eindruck eben, ist nur mein Blick. Anderen Lesern hat dieses Buch hier sehr gefallen. Mir nicht. Ich vermute, dass dieses Buch, oder die Erzählstimme in mir etwas triggert und so meine Wahrnehmung beeinflusst. Anders kann ich es mir nicht erklären. Denn rein thematisch gesehen müsste ich brennen. Einfach schade!

Bewertung vom 14.12.2025
Ja, nein, vielleicht
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


ausgezeichnet

Weibliche Blicke

Ja. Nein. Vielleicht. Das ist etwas, was ich kenne. Denn diese Fragen, die man sich manchmal stellt, auf die es eben nicht die vollkommene Antwort gibt. Wer kennt sie nicht? Dieses Vielleicht im Leben. Diese eventuelle Möglichkeit. Ein wiederkehrendes Thema. Und die Reaktion. Wie lautet sie?

Doris Knecht geht in ihrem Buch „Ja, Nein, Vielleicht“ dieser Situation nach. Sie erzählt ein Geschehen. Und ja dieses Erzählte fasziniert. Aber es liegt nicht nur eine Faszination im Erzählten. Viel stärker empfinde ich hier bei Doris Knecht diese Gedanken, die durch den Roman in mir hochschießen. Dieses Sinnieren. Schon bei dem Vorgänger „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ habe ich genau das geliebt.

Bei beiden Büchern gibt es eine Protagonistin, die ein Resümee zieht. Die an einem Punkt im Leben steht, wo schon viel hinter der Hauptfigur liegt. Aber auch noch einiges vor ihr. Wie geht’s weiter? Wo will frau hin? Was hat das Gestern mit frau gemacht? Und was kommt jetzt? Was darf kommen und was nicht?

Gerade Frauen in den mittleren Jahren werden durch diese Gemengelage sehr angesprochen. Denn in der Kraft der Reflexion liegen Möglichkeiten der Veränderung. Und gerade Bücher lösen da sehr viel. In mir. Und sicher auch in anderen Leserinnen.

Doris Knecht erschafft in diesen beiden Büchern eine interessante, eine faszinierende Welt, die verzaubert und beeindruckt, die mich wachhält, wenn ich eigentlich schlafen sollte, die mich auch irgendwie traurig macht, wenn diese Lesereise endet. Dennoch bin ich sehr glücklich diese beiden Bücher vor meinen Augen gehabt zu haben. Denn beide Bücher sind für mich wie eine gute Medizin, sie sind heilsam.

Die Vergangenheit. Was ist sie? Das Erlebte. Das Vergangene. Was ist wirklich vergangen? Geschlossene Türen. Lässt frau sie zu? Oder öffnet frau sie? Mit einem neuen Wissen, welches das Erlebte nun einmal mit sich bringt. Was braucht frau? Wieviel Einfluss braucht frau? Welche Sicherheiten? Wie sicher ist frau in ihrem sozialen Netz? Was bedeutet es allein zu stehen, nicht in einer Beziehung zu sein? Welche Vorteile gibt es, wenn frau selbstbestimmt ist, keine Rücksicht nehmen muss? Ist frau sicherer zu zweit? Oder passt etwa alles genauso wie es nun einmal ist?

Fragen, die die Protagonistin in dem Buch „Ja, Nein, Vielleicht“ umtreiben.

Und mit ihr gemeinsam auch die Leserschaft.

Die Gesellschaft, in der wir leben hat ihre Sichten. Dadurch, dass wir ein Teil der Gesellschaft sind, in der wir leben, übernehmen wir auch einige dieser Sichten. Bewusst und unbewusst. Und dadurch wird frau auch oft vor Fragen gestellt, die frau sich eigentlich nicht stellen möchte. Die Protagonistin durchlebt diese Fragen in ihrer selbstbestimmten Position. Und die Lesenden mit ihr. Ihre Reaktion auf diese Fragen erlebt man mit ihr. Und die ganz eigenen Gedanken dazu.

Ein wunderbares Buch, welches ich sehr gern empfehle! Doris Knecht wird mit diesem Buch eine Lieblingsautorin, ich möchte definitiv mehr von ihr. Gekauft habe ich einiges. Mal sehen, wann die Zeit dazu kommt. „Ja, Nein, Vielleicht“ liebe ich! Sehr!! ❤

Bewertung vom 05.10.2025
Onigiri
Kuhn, Yuko

Onigiri


ausgezeichnet

Mütter und Töchter

Mütter und Töchter. Ein wiederkehrendes Thema bei mir. Als Tochter kann ich mich natürlich mit dieser Thematik identifizieren. Nicht als Mutter, dies bleibt mir leider verschlossen. Aber als Tochter. Und so interessieren mich natürlich Mütter und Töchter ungemein. Wenn dann noch Einblicke in eine andere Kultur geboten werden, so ist das noch eine ungemeine Verbesserung des Ganzen. Und ein Blick nach Japan. Dies ist noch etwas ganz anderes. Denn Japan ist schon sehr interessant, zieht mich aber wegen der schon sehr patriarchalen Kultur weniger an. Umso interessanter, wenn eine Frau auf Japan blickt. Noch dazu, wenn dieser Blick ein gemischter Blick ist, denn diese beschriebene Familie hier ist eine deutsch-japanische Familie. Nun könnte man sagen, dass dies auch etwas verschobene Blicke sein könnten. Aber diesen Eindruck hatte ich so gar nicht. Dieses Buch bezaubert durch den Blick auf das Fremde, durch den Einblick in die japanische Kultur, in das Leben in Japan, lässt mein Herz aufglühen durch diese wunderbaren Charaktere! Eine intensive und wunderschöne Lektüre. Ich empfehle es sehr! ❤

Aki, Keiko und Yasuko sind die Hauptpersonen des Buches, drei weibliche Charaktere, drei starke weibliche Charaktere. Was mir natürlich sehr gefallen hat. Aki – die Tochter, Keiko – die Mutter und Yasuko – die Großmutter. Yasuko ist gestorben und Aki möchte mit ihrer demenzerkrankten Mutter Keiko nach Japan reisen zur Verabschiedung der geliebten Familienangehörigen. Dies tut sie und so gelangen sie nach Kobe. Erst sind sie in einem Hotel, doch die aus ihrer Umgebung gerissene Keiko findet sich in dem Hotel nicht zurecht und so ziehen sie in das Geburtshaus von Keiko um, das jetzt von Keikos Bruder Masayuki und seiner Frau Akemi bewohnt wird. Und hier verändert sich Keiko. Sie verändert sich, wird wieder lebendiger und Aki erkennt in ihrer Mutter eine neue Frau. Die in sich zurückgezogene und immer kränkelnde Frau, die Aki kennt, verschwindet und es tritt eine Keiko zu tage, die eher einer Frau ähnelt, die ihr Geburtsland in den 70ern verlässt und sich tausende Kilometer entfernt ein neues Leben aufbaut/aufbauen will. In Briefen, die zwischen Yasuko und Keiko in den Jahren ihrer Trennung hin- und hergegangen sind, erkennt Aki ihre Mutter ebenfalls neu. Und so beginnt ein Verständnis/ein Verzeihen. Aki erkennt in Yasuko eine starke Frau, die ihre Tochter Keiko erzogen hat, die die engen Bahnen kennt, in denen ein weibliches Leben im damaligen Japan verläuft und die es Keiko irgendwie auch ermöglicht diesem Japan den Rücken zu kehren. Dass der Bruch in der Familie Folgen hat und Deutschland in seinen eng gestrickten Bahnen ebenso seine Tücken hat, begreift Keiko erst nach und nach. Dass die Liebe, die Keiko zu Kurt empfindet, den ganzen Widrigkeiten nicht standhält, ist ein weiterer Punkt, der Keiko ins Dunkle zieht und sie aus diesem Dunkel nicht mehr herausfindet. Erst in der Depression, dann in der Demenz. Erst die Rückkehr ins Geburtsland lässt Keiko wieder erblühen und ermöglicht Aki ihren Blick auf die Mutter neu zu ordnen. ❤

„Onigiri“ ist gerade dadurch für mich ein zutiefst empathisches Buch. Es zeichnet weibliches Leben und Erleben. Nicht in lauten und gefühlsüberfrachteten Tönen. Nein, es ist leise und ruhig geschrieben. Gerade dadurch entzündet es mich ungemein und Aki, Keiko und Yasuko landen in meinem Herz! Ein Lesehighlight! Eine Empfehlung! Ein Lieblingsbuch!

Bewertung vom 05.10.2025
Einer reist mit
Serre, Anne

Einer reist mit


ausgezeichnet

Realität und traumhafte Fiktion

Anne Serre. Eine französische Autorin mit diesem besonderen Sprachklang. Begeisternd. Inspirierend. Sinnlich. Dunkel. Eine wunderbare Schreibe. Sie hatte mich schon mit ihren beiden Vorgängern, die im wunderbaren Berenberg-Verlag erschienen sind, völlig zu Höhenflügen gebracht. Das erste Buch, welches ich von ihr gelesen hatte, war 2022 das wunderschöne „Im Herzen eines goldenen Sommers“. Kein Roman, nein, „Im Herzen eines goldenen Sommers“ versammelt Kurzgeschichten. Nun stehe ich Kurzgeschichten etwas skeptisch gegenüber, weil ich einem Roman einfach mehr Intensität beimesse. Denn in einem Roman wird eine Geschichte erzählt, die mich während der Lektüre einnimmt, mich im besten Fall anzündet, mich mitfiebern lässt, mich vielleicht sogar auf den letzten Seiten traurig werden lässt, da das Ende naht und ich in diesem Tanz mit den Wörtern zum Ende komme. Kurzgeschichten hingegen entfalten einen kurzen Zauber, der schnell endet, manchmal zu schnell und es gibt die Frage, ob mich die nächstfolgende Kurzgeschichte genauso verzaubern kann, ob sie mich genauso erreicht. Mittlerweile habe ich aber einige Bücher gelesen, die mich genauso in ihren Bann zogen, wie das ein Roman vermag. So geschehen auch bei „Im Herzen eines goldenen Sommers“. Anne Serre machte mich in diesem Buch glücklich. Einerseits weil mir der Sprachklang sehr gefiel, andererseits weil diese Kurzgeschichten Verbindungen aufwiesen, die in Richtung Episodenroman deuten, dann wieder dieses traumhafte, irgendwie schwebende in der Schreibe. Kurz, ich war begeistert, angezündet, wollte mehr von Anne Serre. 2023 kam dann dieses Mehr in Gestalt der Erzählung „Die Gouvernanten“. Wieder ist dieses traumhafte, schwebende in der Erzählung zu finden, auch etwas surreales, märchenhaftes schwingt hier mit und auch eine dunkle Sinnlichkeit. Ich entbrenne förmlich für diese Gouvernanten, Jägerinnen mit einer dunklen Kraft, die den Blick auf das Weibliche in völlig andere Bahnen lenken und damit liefert dieses Buch auch eine gewisse Kritik am Hier und Jetzt. Mein Hunger nach mehr von Anne Serre wuchs. Und nun dieses Jahr konnte er gestillt werden. Mit dem Buch „Einer reist mit“. Wieder völlig anders konstruiert. Diesmal ist es eine Art Essay, es ist dem Reisen gewidmet, dem die Schriften erstellende Zunft nun einmal frönt, dem sie frönen muss. Denn da gibt es Besuche der Verlage, Besuche von Literaturfestivals, Besuche von Lesungen etc.. Was passiert auf diesen Reisen? Vielleicht nicht viel. Aber vielleicht auch das Gegenteil. Denn die Fantasie des Autors/der Autorin ist auf diesen Reisen mit von der Partie. Und so kann aus einer vielleicht banalen Reise durchaus etwas anderes werden, was Anne Serre hier durchaus bezaubernd zu beschreiben weiß. „Einer reist mit“ ist eine Art Essay über das Reisen, ein Essay über die Literatur, eine Hommage an einen Lieblingsschriftsteller, der auch über die Kraft der Fantasie mitwirkt auf der Reise. Anne Serre sinniert über sich selbst, über das Gestern und das Heute, über ihre Umgebung, über ihr Werden und über das Vielleicht. Und Anne Serre lässt auch das Surreale einwirken, lässt Enrique Vila-Matas auf der Reise und im Hotel auftauchen, wie auch eine Schauspielerin ihren Auftritt hat, die berühmte Anna Magnani. Reales und Surreales werden fein verwoben und die Leserschaft darf diesem realen Traum beiwohnen und dessen Zauber genießen. Einfach wunderschön!

Gegliedert ist „Einer reist mit“ in drei Teile, der erste Teil ist ein Essay über das Reisen, ein Blick auf das eigene Tun Anne Serres, dennoch ist reales und surreales miteinander verwoben, so dass kein reines Essay hier zu finden ist. Der zweite Teil ist eine Geschichte um den Schriftsteller Enrique Vila-Matas. Der dritte Teil ist dann wieder eine Reise zu Anne Serre selbst und ihrem Tun.

Ein wunderschön verwobenes Buch, in dem Reales und Surreales miteinander um ihren Platz ringen und die Leserschaft mitreist, verzaubert und bezaubert von dem Blick von Anne Serre. Ebenso bezaubert hier irgendwie auch die auftauchende Frage, was hier real und was hier surreal ist. Doch welchen Nutzen hätte dies? Für mich zählt die wunderschöne literarische Reise, die ich immer wieder durch Anne Serre erleben durfte. Ich war und bin begeistert von Anne Serre und ich sage Danke für die großartige Übersetzung von Patricia Klobusiczky, die dieses Erleben von Anne Serre erst möglich gemacht hat.

Sehr traurig macht mich die Entscheidung des Berenberg-Verlags! Ich werde diese wirklich wunderschön gestalteten Bücher des Berenberg Verlags vermissen. Und diese drei hier werde ich hüten, wie es Schätzen einfach gebührt.

Dennoch hoffe ich einfach darauf, dass mir auch weitere Bücher von Anne Serre vor die Nase hüpfen werden. Sehr! ❤

Bewertung vom 05.10.2025
Kultur
Puchner, Martin

Kultur


ausgezeichnet

Eine etwas andere Kulturgeschichte

Blicke auf die verschiedenen Kulturen unserer Erde begeistern und interessieren mich schon eine recht lange Zeit. Diese ethnographischen und historischen Sichten in Verbindung zu den kulturellen Leistungen dieser Kulturen zu bringen ist für mich absolut interessant, da es für mich persönlich alte Interessen in Verbindung bringt zu meinen jetzigen Sichten, in denen die Literatur eine größere Rolle spielt als noch vor ein/zwei Jahrzehnten.

Besonders gereizt hatte mich in dem Buch der Blick auf die Azteken, da mich gerade die autochthonen Bewohner der Amerikas in der Ethnographie am meisten faszinieren, ebenso aber auch die Bewohner des ethnographischen Gebietes Sudan, die Adivasi-Gruppen Indiens, die Bergstämme in Südostasien und die australischen Ureinwohner. Aber nicht nur auf die Azteken blickt Martin Puchner in seinem Buch. Die Reise in dem Buch beginnt in der Chauvet-Höhle in Frankreich, blickt auf eine Zeit vor 35000 Jahren, weiter geht es ins alte Ägypten, zu den alten Griechen, zu König Ashoka ins alte Indien, ins alte Rom, nach China und Japan, in den Irak zu den Kalifen in Bagdad, ins alte Äthiopien, zu Hildegard von Bingen, in die Zeit der Entdeckungen mit einem besonderen Blick auf die Rolle Portugals, in die Zeit der Unabhängigkeitsbestrebungen von Haiti, dann wird es besonders interessant mit einem Blick auf George Eliot, einem Blick auf die japanische Kunst und einem Blick auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in neuerer Zeit mit einem besonderen Blick nach Nigeria. Der Epilog dann erzählt von dem Projekt der Future Library und ich bin nach der Lektüre des Buches absolut begeistert.

Denn Martin Puchner beschreibt hier nicht einfach trocken und etwas verstaubt diese Blicke in die Vergangenheit. Er vermag es diese Sichten recht modern und absolut interessant zu vermitteln. Martin Puchner zeichnet Zusammenhänge, die die Kulturen verbanden, die auch später noch nachwirkten. Er zeichnet ein ganzheitliches Bild, welches unsere Erde zusammenhängender erscheinen lässt. Denn Begegnungen und Austausch fanden schon immer statt und hatten natürlich Folgen, ließen Verbindungen zu. Der Literaturwissenschaftler blickt in seinem Buch dabei auch recht kritisch auf unsere westliche Kultur und ihre Übernahmementalität, was mir ebenfalls sehr gefallen hat. Und er blickt ebenso auf Männer und Frauen, stellt auch weibliche Blicke zentral, was in unserer doch recht patriarchal geprägten Welt weniger zu finden ist. Denn Frauen waren in der Kultur auch früher schon aktiv, siehe George Eliot und viele andere, die weniger Erwähnung finden als ihnen eigentlich zustände. Insgesamt betrachtet ist das Buch „Kultur“ ein Buch, welches ich sehr gern empfehle. Es ist modern und klug geschrieben, vermittelt ein ungeheures Wissen in einer absolut gelungenen Form. Liebe ich! 432 Seiten, die im Flug an mir vorbeirauschten. ❤

Und dieser Blick im Epilog auf die Future Library. Einfach Zucker. Denn wo steht die Welt dann im Jahre 2114, wenn die Future Library geöffnet wird, wir zu Staub zerfallen sind und unsere Nachfahren darauf schauen, so wie wir heute auf die Vergangenheit schauen? Was werden Margaret Atwood, Tommy Orange und viele andere wohl unseren Nachfahren sagen? Eine geniale Idee. Kunstprojekt und eigentlich auch so viel mehr.

Bewertung vom 05.10.2025
Toni & Toni
Oravin, Max

Toni & Toni


sehr gut

Hell und Dunkel

Toni & Toni. Ein Paar. Ein Paar, welches in einem Drama festsitzt, dass sich nach und nach vor den Lesenden entfaltet. Antonia und Thomas finden über ein Tanzprojekt zueinander, Sie, die Tänzerin und er, der Pförtner. Sie sind ungleich, zumindest könnte man durch ihre Lebensläufe darauf kommen. Doch sind sie das wirklich? Denn irgendetwas verbindet sie ja anscheinend auch. Und diese Verbindung ist stark, auch wenn sie momentan auf etwas wackelnden Füßen steht. Sie erleben und durchleben die Obsession, in vielfältiger Weise. Nicht nur im Tanz, ebenso in ihren Gefühlswelten oder in ihren Lebenswelten, aber auch im Substanzmissbrauch. Und diese Bereitschaft zur Obsession hat ja bei beiden ihre Gründe, ihre Ursachen. Einiges davon wird angeschnitten in dem kurzen Text, anderes kann man sich wieder denken. Ein Drama lässt das Dunkle in ihnen wieder in den Vordergrund treten, beide durchleben diese Dunkelheit anders, vielleicht ist nicht unbedingt immer ein vollkommenes Verständnis für den Anderen da, aber eine Akzeptanz durchaus. Und sie bleiben beieinander. Keiner geht. Keiner flieht. Was ja auch auf eine Verbindung hindeutet.

Sehr gefallen an dem Text hat mir die Intensität und der Sog der Schreibe. Sehr gefallen hat mir die Zeichnung der beiden Charaktere. Hier wird ein Istzustand gezeichnet, der auf seine Entstehung schaut, aber weniger auf den Weg hier heraus. Dies könnte man als Mängel begreifen. Ich für mich mache dies jedoch nicht. Denn Toni & Toni bilden für mich trotz des erlittenen Dramas irgendwie auch eine Einheit, die doch so einiges verbindet. Sehr gefallen hat mir die Gestaltung der Charaktere, trotz der Kürze des Textes geraten beide recht greifbar. Ich fühle eine gewisse Nähe. Ich komme nicht zum Brennen, dies nicht. Aber diese Nähe in mir empfinde ich als durchaus ausreichend. Ansonsten hat mir die Zeichnung der beiden Persönlichkeiten, der beiden Tonis sehr gefallen. Es hat mir sehr gefallen, dass der Autor hier die Leser ins Dunkle schauen lässt und damit eine dunkle Welt anderen greifbar und erlebbar macht. Selbstverletzungen, Depressionen und Substanzmissbrauch erlebe ich in meinem Arbeitsfeld ständig, andere kennen so etwas nicht, Bücher darüber vermitteln nützliches Wissen. Denn die Betroffenen sind halt nicht die Anderen, wir alle sind selbst nur kurze Schritte davon entfernt. Dies muss uns bewusst werden. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen muss aufhören. Denn wir alle sind eben diese Anderen.

„Toni & Toni“ wirft einen Blick auf Dinge, die in unserer Welt oft und gern ausgeblendet werden, und deshalb und wegen der echt gut gelungenen Zeichnung von Toni & Toni empfehle ich dieses Buch. Nun wird „Toni & Toni“ nicht jedem gefallen, man sollte schon eine gewisse Vorliebe für psychiatrische/psychologische Prozesse mitbringen.

Bewertung vom 05.10.2025
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


sehr gut

Dieses unsägliche Gestern

„Seinetwegen“ von Zora del Buono. Ein Buch über einen Verlust. Ein Blick in die Vergangenheit. Denn Zora del Buonos Vater starb vor vielen Jahren durch einen Unfall. Zora del Buono war damals, im Jahre 1963, 8 Monate alt. Doch der Tod des Vaters hatte Folgen, traumatisierte die alleinerziehende Mutter und war wohl auch immer in der Familie präsent. Denn warum ergibt sich aus diesem Drama wohl viele Jahre später ein Buch? Mutter und Tochter können nicht über den Mann/über den Vater sprechen. Die Tochter blockiert. Der Schmerz ist zu groß. Der Schmerz der Mutter. Aber auch der eigene. Und so brennt sich etwas in das eigene Leben ein, dass man dann irgendwann vielleicht bearbeiten will/bearbeiten muss. In diesem Buch versucht Zora del Buono diesen Verlust zu verarbeiten. Sie begibt sich auf die Suche nach E.T., dem Unfallverursacher. Aber eigentlich ist diese Suche nach E.T. doch so viel mehr.

Ein Roman der Recherche wird „Seinetwegen“ genannt und ja es ist eine Recherche. Aber nicht nur die Recherche nach E.T. Dieses Buch ist ebenso eine Suche nach dem Vater und ebenso auch eine Suche nach einem verbesserten Umgang mit diesem alten Trauma. Viele Jahre sind vergangen seit dem Tod des Vaters, Mutter und Tochter konnten nicht darüber sprechen, jetzt ist die Mutter dement. Kann man sich diese ungenutzte Chance vergeben? Eine Recherche, wie auch eine Suche nach Vergebung, wie auch ein Blick auf ein altes Grauen. Ein Grauen, dem man vielleicht gern entflieht, in dem man den Blick schweifen lässt, andere Themen einfließen lässt. Sich damit das Schreiben einfacher macht, es zumindest versucht. Denn geht das, sich das einfacher machen? Bei einem Thema, welches nicht loslässt und die Autorin viele Jahre später dieses Buch schreiben lässt.

Blicke auf den Vater und Blicke auf den Unfallverursacher finden statt. Blicke auf das Gestern, Blicke, die im Heute angesiedelt sind. Der Täter, der Töter, der Mörder wird zum Menschen. Vielleicht impliziert dies auch ein Vergeben, ein Vergeben können. Die Schreibe klingt danach.

Dieses Gestern, dieses Heute und das Abschweifen auf weitere Thematiken zerreißen auch irgendwie den Erzählfluss, machen die Lektüre nicht unbedingt einfach. Wobei ich aber sagen muss, dass dieser Aspekt nicht unbedingt negativ zu bewerten ist. Für mich ist genau diese Art von Blick, diese Art von Recherche völlig stimmig.

Denn zu dieser Thematik stellt sich unweigerlich die Frage. Was hätte man selbst an der Stelle der Autorin getan? Man hätte es nicht erleben wollen. Ja. Aber nach dem Wollen geht es nun einmal nicht. Wäre man selbst zu so einer Aufarbeitung fähig gewesen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Meinen Respekt hat Zora del Buono. Denn „Seinetwegen“ ist ein kluger und gelungener Versuch ein Trauma zu verwandeln, eine Heilung in Buchform gewissermaßen. Lesen.

Bewertung vom 05.10.2025
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Blicke auf die Ränder unserer Gesellschaft

Als wir Schwäne waren. Ein wunderschöner Titel. Doch die Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird, glänzt durch andere Attribute. So malerisch, wie der Titel klingt, ist dieses Buch nicht. Dennoch trifft es ins Herz. Mitten rein und voller Wucht.

Die Handlung ist in den Plattenbausiedlungen der BRD verortet. Ich kenne Plattenbausiedlungen aus meiner Jugend auch, allerdings aus der DDR und dort waren sie zu Zeiten der DDR keine sozialen Randgebiete, sondern hatten zu DDR-Zeiten sogar so etwas wie Prestige. Denn so eine Wohnung bedeutete damals auch so etwas wie Komfort. Das will man heutzutage kaum glauben. Aber damals war das so. Die Menschen, die in den DDR-Neubauten-Satellitenstädten unterkamen, hatten plötzlich Fernheizung (kein lästiges Heizen mit dem Ofen und auch den damit verbundenen Dreck mehr), warmes Wasser ohne besonderen Aufwand (keine Badeöfen vorheizen, gesetzt den Fall, man hatte ein Bad), Toilette in der Wohnung (nicht einen Treppenabsatz tiefer im Hausflur), kein Eis mehr an den Wänden im Winter. Kurz, diese Wohnungen waren Luxus. Als dann nach der Wende die Innenstädte saniert wurden, fand ein Rückzug in die Innenstädte statt, dazu kam dann noch eine wirtschaftlich bedingte Abwanderung in den westlichen Teil des Landes und die Satellitenstädte, die Neubaugebiete der ehemaligen DDR ähnelten mehr ihrem Pendant im westlichen Bundesgebiet, wurden ein soziales Auffangbecken, da der Wohnraum dort doch billiger als in der Stadt war.

Von diesen sozialen Auffangbecken handelt dieses Buch, Reza, die erzählende Stimme im Buch, und seine Eltern stammen aus dem Iran, sind geflohen und nun in so einer Neubausiedlung in Bochum angekommen. Der Vater ist Schriftsteller, die Mutter ist Soziologin, also beide Elternteile haben Berufe, die man in den Satellitenstädten weniger vermuten würde. Doch unsere Politik der Einwanderung lässt ja manchmal/oft etwas zu wünschen übrig und so heißt es nicht unbedingt, dass die Berufe der Herkunftsländer auch hier ausgeübt werden dürfen/können. Und so erklärt sich die Schieflage in den betroffenen Familien. Und genauso erklärt sich vielleicht auch eine Missstimmung bei den Betroffenen. Ein Kind, welches so aufwächst, bekommt sicher auch vieles mit, was es verändert. Wenn es in der Umgebung genauso aussieht, was macht das wohl mit einem Kind, mit einem Jungen, mit einem jungen Mann? Behzad Karim Khani beschreibt so ein Aufwachsen, er beschreibt es authentisch und intensiv. Nun könnte man bemängeln, dass dieser dunkle Blick eine Hoffnung vermissen lässt. Und klar, es gibt auch andere Entwicklungen. Es gibt Menschen, die es schaffen sich etwas aufzubauen. Aber dennoch gibt es auch die, die wütend werden, die in der Gewalt ihr Ventil finden. Dies muss man nicht schön finden. Aber real betrachtet gibt es diese Lebensgeschichten. Lebensgeschichten wie die von Reza. Und Behzad Karim Khani lenkt den Blick der Leser auf diese Lebenswirklichkeiten in Deutschland. Denn etwas zu verstehen kann vielleicht einen empathischen Blick bewirken und aus diesem Verständnis entstehen vielleicht neue Kräfte, die unser aller Miteinander positiv verändern können. Denn manche Menschen brauchen vielleicht andere Hilfsangebote, darüber sollte man nachdenken, damit diese unsäglichen Gewaltspiralen endlich aufhören.

Als wir Schwäne waren. Junge, jugendliche Blicke auf eine dunkle Welt, auf ein Dunkeldeutschland, welches sich nicht weiter ausbreiten darf. Denn auch dieses Dunkeldeutschland ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Auch wenn das die gewinnorientierten Menschen an den Schaltstellen unseres Landes nicht zu interessieren scheint und sie den Sozialabbau munter weiter forcieren. Was entsteht daraus? Richtig, noch mehr Gewalt. Eine Gesellschaft misst sich halt auch immer daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Und da gibt es auch im reichen Deutschland noch viel zu tun. Denn dass wir mit dem Umgang mit den sozial Schwächeren ein Problem haben, zeigen auch die Wahlergebnisse. Und nicht nur diese. Denn wen wird ein Reza wohl wählen, wenn er denn wählen geht?

Behzad Karim Khani eröffnet in seinem Buch einen intensiven Blick auf eine Welt, die viel mehr beleuchtet gehört. Einen Blick auf Reza, der ein Teil unserer Gesellschaft ist, sich aber immer mehr aus dieser entfernt. Ein intensives Buch, ein gutes Buch und letztlich ein wichtiger Gedankenanstoß! Lesen!!!

Bewertung vom 05.10.2025
Das Geschenk des Kolibris
Montgomery, Sy

Das Geschenk des Kolibris


sehr gut

Kolibriliebe, Tierliebe, Naturliebe

Kolibris. Welch wunderschöne Wesen. Flimmernd. Summend. Schnell. Sirrend. Filigran. Bunt. Und irgendwie faszinierend. Bewohnen sie doch einen recht großen Teil der Amerikas. Legen riesige Wege zurück, die kleinen süßen Dinger. Schon das Wort übt auf mich eine Art Faszination aus. Dieses Wort Kolibri klingt doch fantastisch, oder? Ich verbinde Kolibri mit den Azteken, wahrscheinlich weil ich in Verbindung mit den Azteken das erste Mal von den Kolibris gehört habe. Ich finde sie faszinierend, seit ich die ersten Naturdokus gesehen habe, in denen sie vorkamen. Ihr Schillern, ihre filigrane Gestalt, ihre schier unendliche Kraft, ihr Summen, ihre Farbigkeit, kurz, ihre Schönheit.

Deswegen verlockte dieses Buch schon sehr. Ich wollte mehr über die Kolibris wissen. Wer dies auch so sieht, wird hier nicht enttäuscht werden. Die Autorin Sy Montgomery besucht die Vogelretterin Brenda Sterburn, mit ihr zusammen kümmert sie sich um zwei klitzekleine Kolibriküken, um Zuni und Maya. Schon die Namen faszinieren, zwei indigene Völker, die beide die Kolibris kannten. Aber die Informationen zu den Vögeln, zu der Vielfalt ihrer Arten, zu den unterschiedlichen Größen ihrer Vertreter, zu der doch sehr beschwerlichen Aufzucht, wegen der geringen Größe der Vogelkinder, der demzufolge genau zu beachtenden Futtermengen, ebenso wegen der Verletzungsgefahr der kleinen Vogelkörper, der genau zu beachtenden Futterzeiten, diese ganzen Informationen sind richtig gut in dem Buch untergebracht. Ein Buch, welches Wissen vermittelt. Aber auch ein Buch, welches recht gut und glaubhaft die Liebe zeigt, mit der Brenda sich um ihre Schützlinge kümmert.

Und natürlich zeigt das Buch noch etwas, unseren Umgang mit der Natur. Etwas, was wir wissen. Etwas wo wir vielleicht etwas tun, in den eng gesteckten Rahmen, die uns bleiben. Sy Montgomery zeigt in ihrem Buch weitere Möglichkeiten, wie man Tieren helfen kann, wie man Tiere schützen kann, wie man ihnen kleine Ruheinseln schafft, in unserer für Menschen schönen Umwelt, die aber die Tiere meist außen vorlässt. Sy Montgomery berührt mit ihrem Buch und ich hoffe sehr, dass zu diesem Buch auch mehr Menschen greifen und vielleicht durch dieses Buch etwas für den Natur- und Tierschutz sensibilisiert werden. Denn der Erhalt der Lebensräume der Erde, in denen wir ja auch sitzen, ist wohl für alle Lebewesen dieser Erde immens wichtig. Aber das wissen wir und machen dennoch einfach weiter. Oder schimpfen angestachelt durch die Wahnwitzigen der Erde auf die Grünen, ohne nachzuhaken, ohne nachzulesen, ohne nachzudenken. Es gibt nur diese eine Erde. Es gibt keinen zweiten Plan. Die Einwohner einiger kleiner Inselstaaten im Pazifik siedeln bereits in Richtung Australien und Neuseeland über, verlassen ihre Heimat, verlassen die Orte ihrer Erinnerungen, verlassen die Friedhöfe, auf denen ihre Angehörigen liegen. Ein kleiner Teil ihres Selbst wird in ihnen sterben, denn sie können bald nicht mehr zurückkehren, da diese Orte im Meer versinken werden oder bereits versunken sind. Was macht das mit uns? Was macht das in uns? Was macht das Wissen in uns, dass viele Tierarten bereits ausgestorben sind und wir daran nicht unschuldig sind, bzw. unsere Lebensweise oder die Gier einiger Vertreter der Gattung Mensch?

Ja, was macht das mit uns? Und was macht dieses Buch und diese Kolibris mit uns?

Bewertung vom 05.10.2025
Das Buch der Schwestern
Nothomb, Amélie

Das Buch der Schwestern


ausgezeichnet

Tristane und Laetitia

Tristane und Laetitia. Die zwei Schwestern. Zwei Kinder, die der Liebe von Nora und Florent entspringen. So weit klingt das nicht schlecht. Aber Nora und Florent lieben sich, für mehr Gefühle scheinen sie nicht in der Lage zu sein. Und dies ist die Cruz für ihre beiden Kinder. Die erstgeborene Tochter Tristane erkennt ihre Situation, muss ihre Situation schon früh erkennen und hat eine innere Stärke, vor der ich den Hut ziehe. Genauso wie ich auch erschüttert bin und Tristane mit meiner Liebe überschütten möchte. Liebe erhält Tristane von ihrer Tante mütterlicherseits, von Bobette, die einerseits auch vom Leben gezeichnet erscheint, andererseits aber Tristanes Stärken sieht und sie fördert, sie unterstützt, sie liebt. Etwas, was Tristane in ihrem Elternhaus nicht erhält, denn ihre Eltern sehen nur sich selbst und ihre Liebe füreinander. Weshalb sie Kinder bekommen wollen, erscheint fraglich, erscheint der Konvention geschuldet. Weil man dies eben so macht. Und weil … . Doch warum die Eltern so sind, wie sie eben sind, wird nicht weiter in dem Buch erörtert. Denn auch für die Gefühlswelt in Nora und Florent scheint es ja Gründe zu geben. Liebe wird auch in ihren Elternhäusern nicht unbedingt freigebig verschenkt worden sein. Denn auch Bobette scheint ja Defizite zu besitzen. Tristane wird für ihre zwei Jahre jüngere, frisch geborene Cousine Cosette Patentante und eine Art Ersatzmutter. Etwas überzogen gerät die Handlung schon, denn Tristane wirkt in ihrem ganzen Tun älter und erfahrener, als sie in ihren zarten Jahren sein könnte. Dies könnte ein Kritikpunkt sein. Für mich jedoch nicht, da der Sog, die Intensität, die in der Schreibe liegen mich durchgängig zu Begeisterungsstürmen bringen. Bevor Tristane 5 Jahre alt ist, bekommen ihre Eltern ihre Schwester Laetitia. Und auch um Laetitia wird sich Tristane kümmern, eine Art Ersatzmutter werden. Eine Art Dreiergespann bildet sich, Tristane, Cosette und Laetitia. Alle drei werden zusammen älter und wachsen in ihre jeweiligen Leben hinein. Alle drei haben eine stärkere Bindung zueinander, als es andere Geschwisterpaare, familiär gebundene Kinder haben. Und natürlich bergen diese starken Bindungen auch etwaige Fallstricke.

Amélie Nothomb schildert das Leben der Schwestern emotional tief, dabei nicht völlig ausgeleuchtet und vielleicht auch überzeichnet, aber sie schafft dies in einer Intensität, die mich durchgängig auf dieser Lesereise begleitet und dies gehört für mich natürlich in einer 5 Sterne Bewertung gewürdigt. Ich quelle förmlich über vor Liebe für Tristane, Cosette und Laetitia. Eine wunderbare, aber auch eine irgendwie traurige Lesereise. Denn ihre Erfahrungen, und vor allem ihre Nichterfahrungen prägen die Mädchen/die Frauen natürlich. Mein zweites Buch von Amélie Nothomb und sicher nicht mein letztes Buch von ihr. Eine richtig intensive Lesereise! Und eine Leseempfehlung von mir! ❤