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Benutzername: 
Andy
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 32 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


ausgezeichnet

Überraschend rund und überzeugend

Da hat Micha Lewinsky einen rausgehauen. Bei Olympia entspräche sein Roman einer überraschenden Goldmedaille. Die große Qualität dieses Romans liegt an den Figuren und deren inneren Zerrissenheit. Die inneren Konflikte der Hauptfigur Benjamin Oppenheim sind schmerzhaft mitfühlbar. Auch bei seinen Mitstreiter:innen in diesem Entwicklungsroman wird klar, dass sie sich diversen inneren Zwängen und Widersprüchen gegenüber sehen. Dies bettet Lewinsky in eine spannende, aber nicht überbordende Handlung, die mit genau der richtigen Erzählgeschwindigkeit daherkommt. Es geht voran, aber auch nicht zu schnell. Und ja, es kommt noch besser: Lewinsky hat das Ganze zudem mit Meta-Elementen hinterlegt, die der Story das nötige Glitzern geben und bereichern. Fertig ist der Fünf-Sterne Roman und von mir gibt es eine klare Empfehlung.

Bewertung vom 14.07.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


ausgezeichnet

Jahreshighlight

"Man sieht sich" ist ein toller Roman. Es ist definitiv eines meiner liebsten Bücher dieses Jahres bisher. Ich muss dazu sagen, dass ich einen Hang zum Kitsch habe. Das Buch könnte Personen verschrecken, die diesen Hang zum Kitsch nicht teilen. Ansonsten ist das Buch schnell
zusammengefasst: es werden die Lebensgeschichten von Frie und Robert erzählt, von der Kindheit bis nach dem 50igen Geburtstag. Dabei ist das Buch aufgeklärt unterwegs und geht über viele Themen, die sich bei der Persönlichkeitsentwicklung von Menschen, Kinderwunsch und -erziehung, aber auch dem Umgang mit Sexualität und dem eigenen Körper im reiferen Alter ergeben, nicht einfach so hinweg. Robert und Frie zu folgen macht Spaß. Es ist wie einen guten Indiefilm zu sehen. Man wird in die Welt des Jazz und an die Musikhochschule entführt, mitgenommen nach Südtirol und in die ein oder andere Studenten-WG. Man sieht das dreckige Geschirr in der Spüle stehen, genau wie die Berglandschaften in der Abendsonne.
Und am Ende will man am liebsten, dass es noch weitergeht.

Bewertung vom 14.07.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


gut

Zerfahrene Annährung

Zora del Buono hat ein autofiktionales Werk über ihr Leben ohne Vater und die Suche nach dem Mann, der seinen Tod verschuldet hat, geschrieben. Dieses Buch bringt vieles mit, was ich grundsätzlich an Büchern mag. Eine anekdotische Erzählweise ist das eine. Viele eingebettete, nerdige Informationen ist etwas anderes, das mir grundsätzlich gefällt. Auf der anderen Seite geht dem Buch hierdurch etwas der rote Faden verloren. Vielleicht ist es auch angebracht zu vermerken, dass das Buch zwar mit einem großen Thema daherkommt, dafür aber recht substanzlos ist. Zumindest ist das meine persönliche Einschätzung.
Meine persönlichen Erwartungen konnte das Buch somit leider nicht erfüllen und es wird mir wahrscheinlich auch nicht lange im Gedächtnis bleiben. Und das obwohl sich das Buch zwischen so vielen interessanten Schauplätzen (Berlin, Schweiz, etc.) bewegt und genügend Themen angerissen hat. Schade, da war mehr drin!

Bewertung vom 26.05.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


sehr gut

Eine Annäherung an Georgien im „Stirb langsam“-Stil

Georgien ist, wie die Ukraine, ein Teilnehmer der EURO 2024. Ich kann das Land zwar auf einer Landkarte grob verorten, weiß aber ansonsten wenig darüber. Durch die anhaltenden Konflikte mit Russland und eingeladen durch das schöne Cover, habe ich mich mit Leo Vardiashvilis Hauptfigur Saba auf die Reise nach Georgien gemacht, um auf die Suche nach seinem verschollenen Bruder und Vater zu gehen. Dabei lernt man Georgien aus ungewohnten Perspektiven kennen und bekommt subjektive Eindrücke der Einwohner vermittelt. Zudem ist man gezwungen sich mit den Problemen der Menschen mit Flüchtlingsbiografien auseinanderzusetzen. Spätestens hier wird das Buch dann auch ein Plädoyer für eine empathischere politische Debatte, wenn es um Themen wie den Familiennachzug geht. Vardiashvili liefert aber keineswegs ein Debattenwerk ab, sondern einen äußerst unterhaltsamen Roman, der es in Bezug auf Action manchmal mit den absurden, filmischen Sequenzen übertreibt. Das ist dann aber schon Meckern auf sehr hohem Niveau. „Vor einem großen Walde“ beschäftigt sich mit vielen großen Themen und will die Balance halten und nicht ins Depressive abrutschen. Es ist lesenswert.

Bewertung vom 27.04.2024
Nachspielzeiten
Vogelsang, Lucas

Nachspielzeiten


ausgezeichnet

Helden im glitzernden Schlaglicht

Die besonderen Fußballmomenten entstehen auch dann, wenn man sich mit den Spielern - den Hauptprotagonisten des Spektakels, das für manche sogar mehr ist als nur die schönste Nebensache der Welt - besonders identifiziert. So war es bei mir bei Bastian Schweinsteiger im WM-Finale 2014. Schweinsteiger, schon mit einem blutigen Cut gezeichnet, war sichtlich am Ende. Das Finale war zu seiner persönlichen Leidensgeschichte geworden. Konnte er das Leid überwinden und dieses wichtigste Spiel seiner Karriere gewinnen, nachdem er schon an anderer Stelle entscheidend gescheitert war? Um Schweinsteiger geht es nun in dem Buck von Lukas Vogelsang nicht. Aber um die Verbindung zu den Helden.
Und diese menschliche Verbindung zu den einzelnen Helden schafft Vogelsang auf eine tolle Art und Weise. Er nimmt einen mit auf die Reise der einzelnen Personen von Mehmet Scholl, über Franz Beckenbauer und Pele, bis zu Vinnie Jones und Gazza. Es sind außergewöhnliche Geschichten, die er erzählt. Mit Beckenbauer und Pele in New York. Mit Vinnie Jones an Gazzas Sack. Der Erzählstil ist dabei ruhig, die Spannung kommt aus den Geschichten selbst und das ist mehr als genug.
Das Buch hat mir insgesamt sehr gut gefallen, und das liegt an unterschiedlichen Aspekten. Einerseits waren die Geschichten für mich neu und ich war von Ihnen nicht gelangweilt sondern sie erzeugten im Gegenteil Spannung in mir. Ich gewöhnte mich an die Erzählweise und fühlte mich ruhig und sachlich, trotzdem mit dem nötigen Witz, immer unter- und nie aufgehalten. Und ich glaube, dass Vogelsang mit seinem Buch die Faszination des Sports und die Verbindung zu seinen Helden treffend einfängt. In Vorfreude auf das Turnier diesen Sommer, lohnt es sich dieses Werk zu genießen, in der Hoffnung, dass wir im Sommer Zeuge neuer Heldentaten werden.

Bewertung vom 15.04.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


ausgezeichnet

Roman-Schmuckstück mit dem besonderen etwas

Kristin Höller ist mit „Leute von früher“ ein besonderer Roman gelungen. Einerseits ist es erfrischend, wie einfach gehalten das Buch daherkommt. Bedrucktes Hartcover ohne Schutzumschlag und die Gestaltung von suhrkamp nova gefallen auf Anhieb. Wenn man dann noch anfängt zu lesen, bin ich erfreut, eine Geschichte in einer Erzählebene erzählt zu bekommen, ohne zeitliche Sprünge oder großen Hokus Pokus. Die Sprache ist klar und verständlich, das Buch aber nicht flach.
Die Geschichte von Marlene, die ihren Platz im Leben sucht, und hierfür eine Stelle auf der Insel Strand annimmt, kostümiert in einer Art bewohnbarem Freilichtmuseum, birgt viele Aspekte die spannend sind. Das Leben des Personals in Lokalitäten, wie der dargestellten. Das Leben auf Nordseeinseln im Allgemeinen. Die Beziehung von Marlene zu ihren Eltern. Marlenes Identität und ihre Suche nach derselben. In diesem Zusammenhang kommt es zu spannenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Marlenes Beziehung zu Arno, ihrem Chef, ist eine solche, genau wie auch zu Barbara oder anderen Bewohner:innen der Baracken, in denen die Mitarbeiter:innen leben.
Was aber am Ende dem Buch den größten Spannungsschub verpasst, ist die Liebesgeschichte zwischen Marlene und Janne, die sich zwischen Scham und Verletzungen und der Sehnsucht nach Zweisamkeit bewegt und aus diesem Buch eben eine sehr gelungene Gesamtmischung aus Generationenporträt, Sozialkritik und Romanze macht. Eben etwas Besonderes. Absolute Empfehlung von mir.

Bewertung vom 02.04.2024
Der Wald
Catton, Eleanor

Der Wald


ausgezeichnet

Ungewöhnlich, spannend und ohne klare Antworten

Auch nachdem ich nun mit „der Wald“ durch bin, kann ich das Buch immer noch nicht gut einordnen und das gefällt mir. Auf dem Titel heißt das Ganze „Roman“, aber die Romanform wird schon arg strapaziert. Mit ein bisschen gutem Willen hätte man es auch einen Thriller nennen können. Am Ende ist es wohl ein Roman-Thriller-Genremix, der sich um die jeweiligen Grenzen nicht viel schert.
Bei „der Wald“ steht die Geschichte ganz klar im Mittelpunkt. Es gibt einen Bösewicht, der recht früh enthüllt wird, und eine Gruppe junger idealistischer Menschen, die in seinem Umfeld agiert. An Hand dieser Interaktionen schaukeln sich die Geschehnisse immer mehr nach oben, bis es am Ende ganz Thriller-Like zum Grand Finale kommt.
Und trotz der rasanten Geschichte wird den einzelnen Charakteren viel Platz eingeräumt. Mira, Shelley, Tony & Co. dürfen sich entwickeln und ausbreiten und in diesem Zusammenhang orientiert sich Eleanor Cattons Werk eher an den großen amerikanischen Romanen à la Wellness von Nathan Hill.
Insgesamt kommt das Buch so mit einem spannenden Plot und interessanten Charakteren daher. Im Verlauf der Geschichte werden so viele Fragen aufgeworfen und gerade in der jetzigen, diskussionsbeladenen Zeit, werden die Spannungen am Ende nicht aufgelöst. Und ich mag es, dass ich immer noch nicht genau weiß, was ich von dem Ende der Geschichte halten soll. Es macht das Buch in jedem Fall interessanter. Eine schöne Lektüre war es sowieso. Von mir wird es, trotz der ein oder anderen Länge, empfohlen.

Bewertung vom 28.03.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


sehr gut

Jeder braucht manchmal einen Freund

WOW. Direkt das Cover von „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ einer Co-Produktion von Sibylle Berg und Julius Thesing springt ins Auge und spricht mich an. Berg verfolge ich schon länger und so lese ich dieses Buch gerne mit meiner 10jährigen Tochter und versuche ihr Feedback hier mit einfließen zu lassen.
Das Buch hat definitiv seine traurigen Seiten, die bei meiner Tochter ins Mark treffen. Sie kann sich mit der Einsamkeit von Lisa identifizieren und Lisas Probleme und Themen sind nachvollziehbar. Wir mögen auch beide Walter. Walter ist anders und besonders. Walter steht für einen externen Impuls, den Lisa und ihre Eltern benötigen, um die Kurve zu bekommen. Walter steht für die Hoffnung im Leben, die manchmal anklopfen muss. Walter ist toll.
Und so vermittelt das Buch einerseits Hoffnung, dass traurige Lebensphasen und Situationen überwindbar sind. Und andererseits bringt es uns zum gickern und lachen. Der Humor sitzt und als meine Tochter „Arschlöcher“ vorliest und etwas errötet, da finde ich das gut. Der Ton sitzt insofern, als dass traurig eben traurig bleibt, aber Hoffnung in die eigene Kraft und die Möglichkeiten kleiner Änderungen eine umso größere Wirkung haben. Einzige ernsthafte Beschwerde: es ist ja nun wirklich zu kurz. Dagegen konnte ich nichts einwenden.

Bewertung vom 25.03.2024
Noto
Sack, Adriano

Noto


sehr gut

Trauer auf Sizilien

Adriano Sacks Roman Noto ist ein Beispiel dafür, wie ein Roman auf unterschiedlichen Ebenen überzeugen kann. Einerseits überzeugt Sack mit seinen Darstellungen von Sizilien, unterschiedlichen Städten dort und macht mir Lust, selbst die Insel zu bereisen und zu entdecken. Dabei schafft Sack es wunderbar die Gegensätze zwischen konservativen sizilianischen Einflüssen und modernen Gentrifizierungstendenzen darzustellen und diese Spannung lebhaft darzustellen. Sizilien wirkt in seiner Darstellung wie eine Insel, die einige Konflikte lösen muss.
Andererseits hat Sacks Roman unterschiedliche soziale Ebenen. Dort ist Konrads Umgang mit seiner Trauer um seinen Lebensgefährten und seine Suche nach einer weiteren Lebensperspektive. Dort ist allerdings auch die Hinterfragung des klassischen Familienbilds in mehreren Konstellation auch mit der Darstellung der weiblichen Teilnahme am Erwerbsleben und der Bindung an die eigenen Kinder. Sack wirft hier wichtige Fragen auf und bringt seine eigene Perspektive auf die Themen ein.
Der Roman ist dabei nicht perfekt. Einerseits hat er Längen. Andererseits ist er mit Details an manchen Stellen überladen, und diese wirken nicht immer zielführend. Dies stört das Lesevergnügen dennoch nicht nachhaltig. Und auch über das Ende könnte man sich beschweren. Dabei findet Sack einen Abschluss, ohne diesem eine zu große Bedeutung zuzumessen. Insgesamt ist so ein Roman gelungen, der vor großen Gefühlen nicht zurückschreckt und zudem nach Sizilien einlädt und den ich insgesamt gerne gelesen habe.

Bewertung vom 20.03.2024
Wir sitzen im Dickicht und weinen
Prokopetz, Felicitas

Wir sitzen im Dickicht und weinen


ausgezeichnet

Von einer Frau zur anderen

Das Cover von Felicitas Prokopetz‘ Roman „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ erschließt nicht auf den ersten Blick, genauso wenig, wie sich das Buch einem direkt öffnet. Prokopetz erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, in deren Hauptfokus die Beziehung zwischen Valerie und ihrer Mutter steht. Auch die vorhergegangenen Generationen werden allerdings nicht ausgespart. Naja, vielleicht auch doch. Prokopetz Roman ist rein stilistisch das absolute Gegenstück zur klassischen Familiensaga à la Thomas Manns Buddenbrooks. Die Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern springt immer wieder zwischen den Generationen, aber nur für kurze Abschnitte.

Dies fordert zumindest mich als Leser. Man lernt die Charaktere in den kurzen Abschnitten nur bedingt gut kennen. Durch sie Sprünge, muss man sich immer wieder orientieren, wo man gerade ist. Irgendwann hat man zumindest direkt eine Vermutung, wo man gerade wieder gelandet ist, aber einen Stammbaum als Orientierungshilfe hätte ich schon genommen.

Zwischen all dem sollte nicht verloren gehen, worum es in dem Buch meiner Meinung nach im Kern geht. Im Fokus des Buchs stehen die Traumata, die durch familiäre Beziehungen entstehen und der Umgang mit denselben. Über die Geschichte des Buchs stellt der Roman relevanten Fragen an den Leser: Kann man seinen Eltern diese Traumata überhaupt vorwerfen, wenn man selbst davon ausgehen kann, dass diese von der Vorgängergeneration stammen? Wie verhält man sich im Angesicht des Todes? Das Buch ist in diesem Zusammenhang äußerst gesellschaftlich relevant und auch so interessant, dass man die Stilistik gerne in Kauf nimmt. Will sagen: ich habe es gerne gelesen und es beschäftigt mich noch immer.