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Maryam

Bewertungen

Insgesamt 12 Bewertungen
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Bewertung vom 23.07.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Pia und Jakob werden wegen ihres Sohnes zu einem Gespräch in die Schule gebeten. Ihr Sohn Luca soll etwas mit einem Mädchen gemacht haben, als er mit ihr allein war. Die Eltern versuchen, Lucas Version der Geschichte von ihm zu erfahren. Er schweigt. Pia und Jakob werden aus dem Elternchat der Klasse entfernt. Mit dem Vorfall beginnt Pia, sich an ihre Kindheit zu erinnern. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass das Verhalten von Kindern widersprüchlich sein kann.
Ihr kommt eine Vorahnung, die in ihrem eigenen Trauma und das ihrer Herkunftsfamilie begründet liegt. Ihre kleine Schwester Linda ist bei einem Unfall oder dessen Folgen gestorben. Pias Eltern schweigen darüber.
Lindas Tod hinterlässt viele Fragen um die Todesursache, die ambivalente Beziehung zu ihrer Adoptivschwester Romi und deren Rolle bei Lindas Tod. Es baut sich ein Gedankenstrudelstrudel um Pia auf, der ihren Mann, ihren Sohn und ihre Eltern immer weiter mit hineinzieht. Vor diesem Hintergrund wird Pia gegenüber Luca immer misstrauischer.
Der Roman thematisiert keine einfachen Themen: Trauer, Ungewissheit, Schuld, Widersprüchlichkeit von Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen, unverständliches Verhalten von Kindern und Trauma Verarbeitung. Es zeigt sich, wie Schweigen über etwas Unbegreifliches im Inneren eines Menschen weiterarbeitet und zerstörerisch wirkt. Sogar in den Abgrund ziehen kann. Es geht um die Illusion einer heilen Kindheit. Ein Verlust, der ein Leben begleitet und aus dem sich ein Verdacht aufbaut. Man spürt deutlich das Misstrauen, dass sich wie ein dunkler und nicht greifbarer Faden durch die Geschichte zieht.
Als Lesende:r muss man aushalten, dass es keine eindeutigen Antworten auf alle Fragen gibt. Manchmal gibt es keine Antworten. Vieles bleibt ungesagt, wie im richtigen Leben. Es ist meisterlich, wie die Autorin ein psychologisches Drama entwirft. Nichts ist schwarz oder weiß in dieser Geschichte. Sie erarbeitet die Gedanken oder vielmehr das Gedankenkarussell der Familie, dass einem der Atem stehen bleibt.
Da ist Luca, der erstmal schweigt. Pia, die als Kind ihre beiden Schwestern über alles geliebt hat. Sie verzeiht lange Romis unerklärliche Verhaltensweisen. Pias Schwester Romi ist ein Adoptivkind aus einem Heim. Auch sie will als Kind Fragen beantwortet haben: Ob man sie bedingungslos liebt und ob sie sich der Liebe und Aufmerksamkeit der Mutter sicher sein kann.
Das Ungesagte und das Schweigen um Lindas Tod und Romis damaliges Verhalten holt Pia durch Luca und der Zwischenfall in der Schule wieder ein. Man fragt sich beim Lesen des Romans: Was passiert gerade mit Luca und was mit Pia? Was ist wirklich mit Linda passiert? Was hat Romi getan und was Luca? Oder was haben sie nicht getan?
Pias Mutter wollte einem Kind ohne Familie eine Chance geben. Nach Lindas Tod ändert sich ihr Verhalten und ihre Einstellung gegenüber Romi. Sie sieht in ihr das Dunkle, genauso wie Pia später in Luca. Pias Vater, der seinen Anteil daran sieht, dass er gearbeitet hat, die Kinder ein Dach über dem Kopf hatten, etwas zum Anziehen, zum Essen und Spielzeug. Und Pias Mann Jakob, der in der Situation mit Luca scheinbar ruhig und umsichtig reagiert. Aber auch er ist nicht ganz gefeit, von der subtilen Illusion seiner heilen Kindheit.
Der Roman ist gefühlvoll und poetisch geschrieben, direkt aus dem Leben und dem Alltag mit Kindern. Die Reflektiertheit mit der sich Pia gegen Ende der Geschichte entwickelt, hat mir gefallen. Dennoch gibt es nicht die einzige Wahrheit auf die Fragen in der Geschichte. Vieles bleibt offen und ungeklärt. Trotzdem ist die Geschichte für mich rund. Unbedingte Lesempfehlung!

Bewertung vom 12.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Der Roman handelt von den Schwestern Trang und Quỳnh, die zur Zeit des Vietnamkriegs junge Frauen sind. Die Schwestern arbeiten hart auf dem Reisfeld ihrer verarmten Eltern. Von einer Freundin bekommen sie das Angebot, in Saigon leicht Geld zu verdienen. Sie nimmt die beiden mit in die Bar, in der sie arbeitet. Trang und Quỳnh arbeiten nun auch als Barmädchen, um ihren Eltern finanziell zu helfen.
Trang lernt in der Bar Dan, einen amerikanischen Hubschrauberpiloten kennen und verliebt sich in ihn. Sie wird schwanger von ihm. Nach einiger Zeit verändert sich Dan immer mehr. Er wird gewalttätig, trinkt, beachtet Trang kaum noch. Die Folgen des Krieges und seiner Einsätze machen sich bemerkbar und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Die Geschichte des Romas spielt in zwei zeitliche Ebenen: 1969 und ab 2016 und ist in drei Handlungsstränge eingeteilt, die parallel erzählt werden. Neben den beiden Schwestern Trang und Quỳnh spielen auch Phong, ein vietnamesisch-amerikanisches Waisenkind und der Vietnamveteran Dan und seine Frau Linda die Hauptrolle.
Die zweite Handlung erzählt von der schweren Kindheit und Jugendzeit Phongs, der erst im Waisenhaus, dann auf der Straße und im Erziehungslager lebt. Als Erwachsener arbeitet er als Träger, Hilfsarbeiter und Assistent eines Busfahrers. Mehr ist nicht möglich für ihn. Er möchte mit seiner Familie nach Amerika auswandern, weil er dort auf ein besseres Leben hofft und auch darauf, seinen Vater zu finden. Aber sein Visums Antrag wird abgelehnt.
Die dritte Handlung spielt ab 2016. Dan reist mit seiner Frau Linda nach Vietnam. Die Kriegserfahrungen lassen ihn nicht los. Dan und Linda wollen mit dem Besuch in Vietnam mit der Vergangenheit abschließen. Auf dem Weg nach Vietnam erinnert sich Dan an seine damalige vietnamesische Freundin und versucht sie mit Hilfe eines Einheimischen zu finden.
Neben den Einblicken in den Vietnamkrieg und seine Folgen, was sich in Teilen sehr grausam liest, gibt es auch immer wieder ein Fünkchen Hoffnung, dass Dan und seine Frau Linda vielleicht doch in Frieden leben können und Phong seine Eltern findet.
Der Roman zeigt die Grausamkeit des Krieges, ohne sensationslüstern zu wirken. Und dass der Krieg alle betrifft: Familien, Bauern, Städter, Frauen, Mädchen, ehemalige vietnamesische und amerikanische Soldaten. Die Folgen dieser Gewaltzeit reichen bis in die Gegenwart und verfolgen auch die nachkommenden Generationen.
Die Geschichte ist schön geschrieben, weil sie miterleben und mitfühlen lässt, was in den Menschen vorgeht. Die Sprache ist sehr verständlich.

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