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sleepwalker

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Insgesamt 507 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2025
Furcht / Team Oslo ermittelt Bd.2 (eBook, ePUB)
Naess, Sven Petter

Furcht / Team Oslo ermittelt Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Furcht“ ist mein erster Krimi des norwegischen Autors Sven Petter Næss und hat mich sehr überrascht. Ich brauchte zugegebenermaßen einige Zeit, mich in die Geschichte einzufinden, was eventuell auch daran liegt, dass ich den ersten Teil der Serie nicht gelesen habe. Auf Norwegisch sind inzwischen vier Teile erschienen, auf Deutsch wurden bisher drei davon übersetzt. Aber als ich die Charaktere auseinanderhalten konnte, begann das Buch Fahrt aufzunehmen und zunehmend Spaß zu machen. Ein norwegischer Polizist ermittelt in einem Fall in Edinburgh – das Setting hat Potential und der Autor holt das Maximum aus der Geschichte raus.
Aber von vorn.
Harinder Singh ist als Sohn indischer Einwanderer in Norwegen aufgewachsen und arbeitet als Polizist in Oslo. Familie ist ein wichtiges Thema für ihn, vor allem zu seiner Nichte Amandeep hat er ein enges Verhältnis. Ursprünglich wollte sie Polizistin werden, was von der Familie nicht akzeptiert wurde, daher ging sie nach ihrem Bachelor-Abschluss zur Armee, war im Auslandseinsatz und hat jetzt beschlossen, in Edinburgh ihren Master zu machen. Nach einem Wanderausflug mit Freunden wird sie an ihrer Haustür entführt und später schwerverletzt im Water of Leith, dem Fluss, der sich quer durch die Stadt schlängelt, gefunden. Harinder fliegt sofort nach Schottland, um der Familie beizustehen, aber auch um die Ermittlungen seiner schottischen Kollegen, allen voran DS Roisin Lawson gegebenenfalls zu unterstützen. Hilfe bekommt er durch Roisins ehemaligen Kollegen James Riddle. Hat Amandeeps ex Freund Vijay etwas mit dem Fall zu tun? Oder hat sie sich in ihrem letzten Nebenjob in einem dubiosen Club Feinde gemacht? Harinders Kollegin Rachel ermittelt in Oslo gegen die beiden Chefs des „Gemini“, denn sie werden unter anderem der Geldwäsche verdächtigt, sollen aber auch mutmaßliche Drahtzieher hinter einem Großteil des örtlichen Drogenhandels sein. Außerdem ist ihr Geschäftsführer vor einigen Monaten auf offener Straße hingerichtet worden. Zufälle oder hängt das alles zusammen?
Der Krimi hat mich nach einem etwas schleppenden Einstieg positiv überrascht. Oslo kenne ich nicht, aber die Schauplätze in Edinburgh hatte ich beim Lesen klar vor Augen. Die Charaktere fand ich gut ausgearbeitet. Harinder Singh ist ein kompetenter und zielstrebiger Ermittler, manchmal fand ich ihn allerdings etwas stressig in seiner Beharrlichkeit, oder besser gesagt: in seiner Sturheit. Auch die weiteren Personen wie Rachel Hauge, Roisin Lawson und James Riddle werden vom Autor lebendig beschrieben. Da ich den ersten Teil der Serie nicht kenne, waren mir die Protagonisten neu und auch sonst bin ich ohne Vorkenntnisse an „Furcht“ herangegangen. Probleme mit dem Verständnis hatte ich aber keine. Sprachlich fand ich das Buch ansprechend. Es ist flüssig zu lesen und die Übersetzung ist gelungen.
Insgesamt lebt das Buch von der fast konstant düster-bedrohlichen Atmosphäre. Durch die ständigen Wechsel der Schauplätze (der Autor wechselt fast kapitelweise zwischen Edinburgh und Oslo hin und her) ist das Tempo des Buchs und entsprechend auch der Spannungsbogen sehr hoch. Die Spannung wird durch einige Plot-Twists und die überwiegend kurzen Kapitel noch gesteigert. Fast jedes Kapitel endet mit einem Cliffhanger – danach wechselt der Autor den Schauplatz oder die Hauptperson und steigert damit die Spannung noch mehr. Der Schluss macht durch einen fulminanten Cliffhanger klar, dass das Buch Teil einer Serie ist, der nächste Band „Schuld“ ist auf Deutsch inzwischen ebenfalls erschienen.
Interessant fand ich auch, dass der Autor seinem Publikum Sikh- Traditionen nahebringt und anhand von Amandeep aufzeigt, welche Probleme diese für junge Frauen mit sich bringen können (arrangierte Ehen, eingeschränkte Freiheiten bezüglich der Berufswahl). Damit geht er über den reinen Krimi hinaus. Ich empfehle das Buch jedem, der psychologisch gut konstruierte spannungsgeladene Kriminalromane zu schätzen weiß. Fünf Sterne von mir.

Bewertung vom 24.01.2025
Cop Town
Slaughter, Karin

Cop Town


gut

„Cop Town“ ist ein Stand-Alone-Thriller von Karin Slaughter aus dem Jahr 2015. Es ist für mich nicht wirklich ein Thriller, sondern mehr ein gesellschaftskritischer Roman mit viel Gewalt und einigen Toten, außerdem fand ich es zu langatmig und zu wenig spannend. Die Tatsache, dass es mir beim Lesen ein sehr unangenehmes Gefühl in der Magengegend bescherte, liegt eher an der aktuellen politischen Situation als an dem Buch an sich, denn gefühlt sind die USA auf dem besten Weg zurück in die Zeiten, die in diesem Buch beschrieben werden. Dennoch ist es für mich eines der schwächsten Bücher von Karin Slaughter.
Aber von vorn.
Die Polizei in Atlanta ist im Ausnahmezustand. Ein Killer scheint wahllos Polizisten zu erschießen, fünf Opfer sind schon zu beklagen. Die Polizei schwört eher auf Rache als auf eine saubere Aufklärung der Morde. Mittendrin sind Maggie Lawson und Kate Murphy. Maggies Bruder Jimmy war dabei, als sein Partner Don erschossen wurde, die verwitwete Kate ist neu bei der Polizei. Niemand nimmt die beiden ernst, also ermitteln sie zusammen und kämpfen gegen Ignoranz und Hass von allen Seiten. Schnell entdecken sie, dass die Zeugenaussage von Maggies Bruder Jimmy so nicht stimmen kann. Will er etwas vertuschen?
Wow. In diesem Buch prallen völlig unterschiedliche Charaktere aufeinander. Auf der einen Seite: die Männer. Karin Slaughter beschreibt die Polizei von Atlanta des Jahres 1974 als eine misogyne, antisemitische, hasserfüllte und oft betrunkene Gruppe von selbstherrlichen Rassisten. Auf der anderen Seite, ebenso stereotyp: die Frauen. Diese sind eine inhomogene Gruppe, in der statt Solidarität eine gewisse „Stutenbissigkeit“ und Zickenkrieg herrschen. Kate als Neue hat es schwer. Sie stammt aus einer reichen jüdischen Familie, ihr Mann ist in Vietnam gefallen und es ist ihr erster Job. Maggie kommt hingegen aus einer eher einfachen Familie, ihr Onkel Terry und ihr Bruder sind ebenfalls bei der Polizei, ihrer Mutter wäre es lieber, sie würde als Sekretärin arbeiten. Beide Frauen haben unterschiedliche Gründe, wieso sie zur Polizei gegangen sind, aber beide wollen sich beweisen und ihren Platz innerhalb der Truppe behaupten.
Erzählt wird die Geschichte von einem externen Erzähler jeweils mit Maggie oder/und Kate als Mittelpunkt, in einigen spielt aber der Täter die Hauptrolle und man erfährt aus erster Hand etwas über seine Ziele und Motive. Das steigert einerseits die Spannung, weil man dazu angehalten wird, mitzuraten, wer sich hinter dem „Fox“ verbirgt, andererseits steigert es aber auch den Abscheu-Faktor, denn die Gründe für die Taten sind weder hehr noch dienen seine Taten der Wiederherstellung von „Recht und Ordnung“. Es ist vielmehr Selbstjustiz aus absolut niederen Beweggründen.
Sprachlich ist das Buch so, wie man es von Karin Slaughter gewöhnt ist: vulgär, primitiv und brutal. Da hört aber für mich auch schon die Ähnlichkeit zu ihren anderen Büchern auf. Obwohl sich die Geschichte nur über einen Zeitraum von vier Tagen erstreckt, fand ich „Cop Town“ zu langatmig, zu voller Nebensächlichkeiten und insgesamt zu wenig spannend. Es ist für mich kein Thriller, sondern vielmehr ein gesellschaftskritischer Roman rund um einen durchgeknallten Massenmörder. Die Jagd auf ihn verkommt aber schnell zur Nebenhandlung. Die Themen Rassismus und Frauen-Juden-Schwulenhass sind von der Autorin durchaus gut beschrieben, ebenso das unkollegiale Verhalten der Polizisten untereinander, die Stutenbissigkeit unter den Frauen und die aufkeimende Emanzipation gegen das immer noch vorherrschende Patriarchat.
Karin Slaughter hat zu diesem Thema sicherlich gründlich recherchiert. Sie beschreibt die Probleme weiblicher Polizeibeamter auch in ihrem Buch „Blutige Fesseln“, einem Teil der Georgia-Serie. Dieses fand ich allerdings um Klassen besser, wer also einen Thriller mit dem Themenschwerpunkt lesen möchte, dem sei dieses Buch eher ans Herz gelegt. Für „Cop Town“ reicht es bei mir nur für drei Sterne.

Bewertung vom 13.01.2025
Die unbekannte Astrid Lindgren
Bohlund, Kjell

Die unbekannte Astrid Lindgren


ausgezeichnet

Wie so viele bin ich mit Astrid Lindgrens Büchern aufgewachsen. Kjell Bohlunds Buch „Die unbekannte Astrid Lindgren. Ihre Zeit als Verlegerin“ zeigte mir eine völlig andere, aber mindestens ebenso beeindruckende Seite der weltbekannten Autorin. Kjell Bohlund beleuchtet anschaulich, worin der Unterschied zwischen Astrid Lindgren als Verlagsmitarbeiterin und als Person des öffentlichen Lebens bestand. Für mich war das Buch interessant, informativ und unterhaltsam, denn der Verfasser ist ein Kenner Astrid Lindgrens. Er war selbst Verleger bei Rabén & Sjörgen, dem Stockholmer Verlag, in dem sie arbeitete und der auch ihre Bücher verlegte. Außerdem war er Vorsitzender der Astrid-Lindgren-Gesellschaft. Obwohl es sich mehr auf Fakten abseits der bekannten Werke konzentriert, fand ich es keineswegs trocken, sondern durchaus lesenswert.
Aber von vorn.
Die wenigsten kennen wohl den Werdegang Astrid Lindgrens. Während des Krieges war sie für die Postüberwachung des schwedischen Geheimdienstes tätig, nach Kriegsende musste sie sich neu orientieren. 1944 nahm sie einem Schreibwettbewerb des Verlags Rabén & Sjörgen teil. Der Verlag bestand erst seit 1942 und stand kurz vor dem Bankrott. Astrid Lindgren gewann den zweiten Platz bei dem Wettbewerb. Ihr Debüt bekam gute Kritiken, verkaufte sich aber nur mäßig. Beim Wettbewerb im Jahr darauf reichte sie „Pippi Langstrumpf“ ein, das zuvor von einem anderen Verlag abgelehnt worden war. Mit diesem Manuskript gewann sie, einen Monat vor Heiligabend 1945 erschien das Buch und wurde zu Astrid Lindgrens erstem Bestseller. Trotz ihres Erfolgs nahm sie einen Job als Bürokraft im Verlag an, denn statt ausschließlich als freie Autorin zu arbeiten, bevorzugte sie „eine Stelle mit festem Gehalt und einen Arbeitsplatz, den sie täglich aufsuchen konnte.“ So schrieb sie morgens an ihren Büchern und mittags arbeitete sie im Verlag. Dieser entging dem Konkurs, Astrid Lindgren feierte Erfolge – der Rest ist Geschichte.
24 Jahre lang war sie nicht nur das literarische Zugpferd des Verlags, sondern auch die erste auf Kinderliteratur spezialisierte Lektorin und später eine der erfolgreichsten Verlegerinnen der schwedischen Buchbranche. Innerhalb von fünf Jahren wurde aus Rabén & Sjörgen vom Konkurs-Kandidaten Skandinaviens führender Kinderbuchverlag mit solidem wirtschaftlichem Fundament und hohem Ansehen. Astrid Lindgren bewies ein Näschen für erfolgreiche Bücher. Neben ihren eigenen Werken kümmerte sie sich nachmittags im Verlag um die Werke zahlreicher anderer Autoren (obwohl sie kein Freund der Bücher Enid Blytons war, ließ sie sie von ihrer Schwester aus dem Englischen ins Schwedische übersetzen und sorgte für die Veröffentlichung). Ihre Zusammenarbeit mit Illustratoren und Illustratorinnen und Autoren und Autorinnen beschreibt Bohlund anschaulich. Sie war eine taffe Geschäftsfrau, eine behutsame Lektorin und eine konstruktive Kritikerin. Oft hat sie sich wohl für ihre geübte Kritik sogar entschuldigt, was psychologisch ein kluger Zug ist.
Die deutsche Übersetzung des Buchs ist zwei Kapitel länger als die schon 2018 in Schweden erschienene Version. Der Autor schreibt sehr ausführlich über die Beziehung der Autorin zu Deutschland und die erfolgreiche geschäftliche Zusammenarbeit mit dem Verlag Friedrich Oetinger, in dem auch heute noch ihre Bücher veröffentlicht werden. Auch über diesen Verlag erfährt man einiges, ebenso die Freundschaft zwischen Lindgren und den Oetingers.
Ob „Die unbekannte Astrid Lindgren“ als Kinderbuch wirklich richtig platziert ist, wage ich zu bezweifeln. Ich bin ja ein sehr „fortgeschrittenes“ Kind, mir hat es gefallen. Der Autor gibt sich Mühe, anschaulich und lebendig zu schreiben, dazu gibt es Bilder und Auszüge aus Briefen von Astrid Lindgren an ihre Eltern. Als Jugendlicher hätte das Buch mich vermutlich eher gelangweilt. Mir hat es aber die Autorin als eine Art „Superfrau“ und „role model“ nähergebracht, daher von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 13.01.2025
#ALS und andere Ansichtssachen
Bär, Christian

#ALS und andere Ansichtssachen


sehr gut

„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ – das könnte über Christian Bärs Buch „ALS und andere Ansichtssachen“ stehen. Ich kannte den Verfasser und seinen preisgekrönten Blog [ madebyeyes ] vorher nicht, hatte aber einige flüchtige Berührungspunkte mit ALS, daher hatte ich an das Buch keine Erwartungen und wurde positiv überrascht. Es ist ein überwiegend flapsig geschriebenes Buch und trotz einiger Exkurse in Politik und Organisatorisches locker zu lesen. Die viele Selbstironie und der „Galgenhumor“ haben mich aber doch manchmal überrascht.
Aber von vorn.
Christian Bär ist 38 Jahre alt und gerade Vater geworden, als er 2016 die Diagnose ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) bekommt. Begonnen hatte seine Krankheit schon früher mit Muskelzucken („Mein rechter Bizeps fing an, unentwegt zu zucken und hat damit bis heute nicht mehr aufgehört. Stattdessen hatte er seine Nachbarn motiviert, es ihm doch gleichzutun, und so zuckte ein Jahr später so ziemlich alles. Bis zum All-you-can-zuck lag aber noch ein Jahr vor uns“) und Muskelschwäche („Sowohl mein rechtes Bein als auch mein rechter Arm funktionierten nicht so schnell wie ihre linken Pendants“). Als er es vor seinem Umfeld nicht mehr verbergen kann, drängen ihn seine Frau und seine Schwiegermutter, einen Arzt aufzusuchen. ALS lautet die Diagnose, eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren beträgt bei rapide fortschreitender Pflegebedürftigkeit lautet damit die Prognose. Der passionierte Sportler ist zunehmend auf Hilfe angewiesen, benötigt ab 2017 einen Rollstuhl, ein rollstuhlgerechtes Auto und verliert zunehmend Fähigkeiten wie sprechen. Bei der Kommunikation greift er auf einen Sprachcomputer zurück, den er Klaus nennt. Diesen steuert er mit den Augen, auch das Buch und sein preisgekrönter Blog entstanden so.
Christian Bär ist realistisch. Alle Medikamente, die im Zusammenhang mit ALS genannt werden, bringen keine Heilung, bestenfalls einen Aufschub. Er schreibt über Riluzol, das einzige in Deutschland zugelassene Medikament und über Edaravone, ein Mittel, das in Deutschland und der EU nicht zugelassen ist. Es kann verschrieben und verabreicht werden, „Die Kosten können auf Antrag von der Krankenkasse übernommen werden.“ – dieser Satz taucht einige Male im Buch auf und zeigt die immer wiederkehrende Willkürlichkeit, der Menschen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen ausgesetzt sind. Natürlich schreibt Christian Bär auch sehr viel über das „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ der alten Bundesregierung, das Menschen aus der ambulanten Intensivpflege in die vollstationäre Unterbringung zwingen wollte. Dieses „RISG“ hängt wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen.
Der sehr spezielle Humor des Verfassers ist sicher nicht jedermanns Sache, ebenso die Tatsache, dass er gefühlt in jeden Kapitel vom Thema abschweift und sich selbst dann zur Ordnung ruft. Aber eines ist klar: Christian Bär zeigt, dass er trotz seiner zunehmenden Hilfsbedürftigkeit das Positive im Leben sehen kann. „Nur weil ich altere und mich verändere, fühlt sich mein und unser Leben nicht weniger lebenswert an“, schreibt er. „Ich bin zum Ergebnis gekommen, dass ich insgesamt glücklich bin. [..] Mir geht dieses in Mode gekommene Dauergejammer ohnehin auf den Senkel.“ Bei den von ihm verwendeten Hilfsmitteln erwähnt er, dass der inzwischen verstorbene Bruno Schmidt von „ALS – Alle lieben Schmidt“ eine Liste erstellt hat. Da traf Christian Bär bei mir einen Nerv, denn ich durfte Bruno Schmidt kennenlernen und zwei Benefizläufe mit ihm bestreiten.
Das Buch besteht mehr oder weniger aus aneinandergereihten Blog-Beiträgen, die mit Augensteuerung geschrieben wurden. Keine Ahnung, ob es daher überhaupt ein Lektorat gab. Fakt ist, dass mir einige handwerkliche Fehler aufgefallen sind, Rechtschreibfehler, Wiederholungen und die schlichtweg falsche Aussage, „Die Pandemie ist überstanden […].“ Große Literatur ist es nicht, aber ich fand es informativ und unterhaltsam und vergebe vier Punkte.

Bewertung vom 02.01.2025
Schattenblume / Grant County Bd.4
Slaughter, Karin

Schattenblume / Grant County Bd.4


ausgezeichnet

„Schattenblume“ ist der vierte Band der „Grant County“-Serie von Karin Slaughter. Zwar ist es ganz sicher nicht der beste Teil der Reihe, aber jetzt, da ich das Buch ein zweites Mal gelesen habe (ich hatte es 2004 schon einmal gelesen), gefällt es mir tatsächlich besser. Wie der Titel „Schattenblume“ zustande kommt, erschließt sich mich allerdings nach wie vor nicht. Im Original heißt das Buch „Indelible“ (auf Deutsch etwa „unauslöschlich“), was um einiges besser passt. Sei’s drum. Ich fand den Thriller spannend und lesenswert.
Aber von vorn.
Zwei Bewaffnete laufen in der Polizeiwache von Heartsdale Amok. Außer einigen Polizeibeamten sind auch Rechtsmedizinerin Sara Linton und eine komplette Grundschulklasse in der Gewalt der beiden, die schnell das Feuer eröffnen und ein Blutbad anrichten. Polizeichef Jeffrey Tolliver wird getroffen und schwer verletzt. Seine ex Frau Sara versucht, ihn am Leben zu halten, bis die Wache gestürmt und befreit werden kann. Die beiden hatten noch kurz vorher diskutiert, ob sie wieder zusammenziehen wollen. Die Schützen scheinen mit Jeffrey eine offene Rechnung begleichen zu wollen. Aber warum und wer sind sie?
Die Wahrheit liegt wohl in der Vergangenheit, wie Karin Slaughter in einem zweiten Handlungsstrang erzählt. Jeffrey kommt aus einem kleinen Ort Sylacauga und hatte keine schöne Kindheit gehabt. Sein Vater war kriminell, verprügelte seinen Sohn und seine alkoholabhängige Ehefrau. Vor 1991 war Jeffrey zum ersten Mal mit Sara in seinem Heimatort, dort traf sie auf seine Mutter, seine ex Freundin Darnell und einige seiner Kumpels aus der Schulzeit. Man kann nicht sagen, dass sie freundlich empfangen wurde, noch dazu kommt in ihrer ersten Nacht dort ein Mensch zu Tode – Robert, einer von Jeffreys ehemals besten Freunden, erschießt in Notwehr einen Einbrecher. Aber seine Geschichte hat Lücken, war es etwa doch ein Mord? Und dann findet Sara auch noch das Skelett einer jungen Frau in einer Höhle.
„Schattenblume“ hat es wirklich in sich. Es ist ein Buch voller Gewalt, Engstirnigkeit und Hass auf alles Mögliche. Und es ist ein Buch voller Überraschungen. Jeffreys Vergangenheit und das Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familie haben mich ebenso überrascht, wie die Tatsache, dass seine Beziehung zu Sara eigentlich von Anfang an eher kompliziert war. Lena Adams darf überraschenderweise wieder als Polizistin arbeiten, wenig überraschend ist hingegen, dass sie immer noch mit dem ex Knacki Ethan Greene zusammen ist. Und natürlich wartet auch die eigentliche Handlung mit einigen Überraschungen auf. Zu diesen kann ich natürlich nichts sagen, ich möchte ja nicht spoilern.
Fakt ist, dass das Buch mich beim zweiten Lesen mehr begeistert hat als beim ersten. Irgendwie fand ich es wie guten Wein: wir mussten beide wohl etwas reifen. Die Charaktere reifen auch, sie entwickeln sich seit Band 1 der Serie stetig weiter. Karin Slaughter baut sie mit viel Liebe zum Detail mehr oder weniger sympathisch aus. Für Fans der Serie ist dieses Buch natürlich ohnehin ein Muss, Neulinge dürften mit diesem Teil vielleicht Probleme haben, da einiges Wissen aus den „Vorgängern“ vorausgesetzt wird. Die Handlung von „Dreh dich nicht um“ liegt zeitlich nur knapp drei Monate vor den Geschehnissen in „Schattenblume“, daher empfiehlt sich die Lektüre aller Bücher der Serie in der richtigen Reihenfolge.
Die Handlung ist spannend erzählt, vor allem auch deshalb, da die Geiselnahme sich innerhalb von sehr wenigen Stunden abspielt und die Handlung in der Vergangenheit im Laufe weniger Tage. Bei der Handlung in der Gegenwart wird man sehr unvermittelt in die Spannung geworfen, in der Vergangenheit entwickelt es sich etwas langsamer. Es ist auch lange unklar, wie die beiden Stränge zusammenhängen.
Für mich war es ein psychologisch interessanter und äußerst spannender Thriller, der mir vor allem Jeffrey etwas näherbrachte und einige offene Fragen beantwortete. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 13.12.2024
Zerstört / Grant County Bd.6
Slaughter, Karin

Zerstört / Grant County Bd.6


ausgezeichnet

„Zerstört“, der sechste und letzte Teil von Karin Slaughters „Grant County“-Serie, hat es in sich. Mittendrin dieses Mal: Lena Adams, Polizistin, enfant terrible und bekannt als Magnet für Unheil und Probleme. Das Buch ist der letzte Teil der Serie, der Schluss kommt also ein bisschen wie eine kalte Dusche, wenn man die Charaktere vorher liebgewonnen hat. Ich hatte es vor über zehn Jahren zum ersten Mal gelesen, jetzt in der Neuauflage noch einmal – und ich muss sagen, es gefiel mir dieses Mal noch besser.
Aber von vorn.
Jeffrey Tolliver, Polizeichef von Heartsdale, wird nach Reese im Elawah County gerufen. Seine Kollegin Lena ist in dem Ort aufgewachsen, ihr Onkel Hank lebt noch dort. Jetzt wurde eine weibliche Leiche in einem ausgebrannten Auto gefunden und Lena ist in Polizeigewahrsam. Sie ist gleichzeitig Zeugin und Hauptverdächtige. Dr. Sara Linton, Kinderärztin und Rechtsmedizinerin, hat einen Kunstfehlerprozess am Hals, der sie sehr mitnimmt. Daher nutzt sie die Gelegenheit, ihren Mann Jeffrey nach Reese zu begleiten. Lena schafft es, aus dem Gewahrsam zu verschwinden und taucht unter. Telefonisch fordert sie Jeffrey und Sara mehrfach auf, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Als eine männliche Leiche durch das Fenster in deren Motelzimmers geworfen wird, bekommen die beiden einen Eindruck von der wirklichen Dimension der Kriminalität in Reese. Der tote Mann hat nicht nur ein auffälliges Hakenkreuz-Tattoo am Arm, in seinem Rücken steckt auch noch Lenas Messer. Weiß ihr inzwischen inhaftierter ex-Freund Ethan Green etwas über die Morde? Und was hat das alles mit Lenas Familiengeschichte zu tun?
Es ist eine ganze Menge, die Karin Slaughter da ihrer Leserschaft auftischt. Saras Kunstfehlerprozess, unter dem sie sehr leidet, verkommt da schnell zur Nebensache. Drogen, Gewalt und Rechtsradikale prägen den Handlungsstrang, der in Reese spielt. Und mittendrin befinden sich Lena Adams und ihr Onkel Hank. Die beiden sind die wahren Protagonisten des Buchs. Hank hängt inzwischen wieder an der Nadel und, obwohl es ihr selbst nicht gefällt, sorgt sich Lena um ihn, schließlich hat er sie und ihre Zwillingsschwester Sybil großgezogen. Karin Slaughter baut die beiden Charaktere in allen möglichen Facetten sehr detailreich aus. Lena wird dadurch nicht sympathischer und ihre Handlungen auch kein bisschen logischer. Jeffrey und Sara, inzwischen wieder miteinander verheiratet, haben sich dazu durchgerungen, ein Kind zu adoptieren. Der Rest der Charaktere verkommt allerdings mehr zu Nebenfiguren, eher stereotyp als dreidimensional.
Karin Slaughter erzählt die Geschichte in mehreren Zeitebenen und aus verschiedenen Perspektiven, aus der Sicht von Lena und Jeffrey und Sara. Die Handlung schließt zeitlich sehr nah an den Vorgängerband an und erstreckt sich grob über eine Woche. Man erfährt einiges aus Lenas Vergangenheit und aus der Zeit direkt vor dem ersten Mord. Sprachlich ist das Buch so, wie man es von der Autorin erwartet: brutal, blutig und voller Kraftausdrücke, dieses Mal wird auch ganz gerne mal gezündelt. Wie immer wird geflucht und beleidigt, was das Zeug hält. Der blanke Rassismus, den Slaughter beschreibt, ist sicherlich realistisch und die Verstrickungen und extrem gute Vernetzungen der Beteiligten sind beängstigend realitätsnah. Ich brauchte eine Weile, bis ich mit dem Buch warm war, aber nach ein paar Dutzend Seiten hatte es mich gepackt. Dann fand ich auch den Spannungsbogen zum Teil fast unerträglich hoch und bin nur so durch die Kapitel geflogen. Die Auflösung des Falls war für mich eine Überraschung und das Buch endet mit einem Paukenschlag.
Für mich war „Zerstört“ ein enorm spannender Thriller, den ich Karin-Slaughter-Fans und solchen, die es werden wollen, ans Herz legen möchte. Eventuell sollte man aber die anderen Teile der Serie vorher in der richtigen Reihenfolge lesen, es erleichtert das Verständnis ungemein. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 13.12.2024
Küstenwahn
Dobitsch, Sebastian

Küstenwahn


sehr gut

Der Klappentext von Sebastian Dobitschs „Küstenwahn“ hatte mich angesprochen, sonst wäre ich vermutlich nie auf das Buch gestoßen. Eine psychiatrische Anstalt auf einer abgelegenen Insel vor der schottischen Küste, drei verschwundene Mitarbeiter, zwei sehr verschiedene Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen auf die Suche nach den Verschwundenen machen, dazu einige sehr undurchsichtige Personen auf der Insel – das alles klingt sehr verlockend. So ganz konnte der Autor für mich die Erwartung nicht erfüllen, doch im Endeffekt hat das Buch mich positiv überrascht.
Aber von vorn.
Privatdetektiv Liam Hopkins bekommt den Auftrag, drei auf einer abgelegenen Insel verschwundene Menschen zu suchen. Dabei handelt es sich um den Hausmeister, einen Wachmann und eine Ärztin, die alle drei in der psychiatrischen Anstalt arbeiten, die auf Widow Peak beheimatet ist. Der Auftrag kommt Liam sehr gelegen, ist er doch auf der Flucht vor einem Geldeintreiber, der ihm noch dazu die Killerin Sonya auf den Hals gehetzt hat. Damit er sich nicht absetzen kann, fährt sie mit zur Insel. Sie tarnen sich beide als Patienten, schnell stellt sich aber heraus, dass Sonya ein ganz eigenes Motiv hat, die Psychiatriemitarbeiter wiederzufinden: die vermisste Ärztin ist ihre Schwester. Der verschwundene Hausmeister wird nach einer Explosion tot aufgefunden, schnell stellt sich doch heraus, dass er schon ermordet wurde, bevor die Detonation den Funkmast der Insel lahmlegte. Solange Liam und Sonya suchen, verschwimmen die Grenzen – die Jäger werden zu Gejagten und überhaupt – wer ist wer und wer hat welche Ziele in dem seltsamen Spiel? Ein Wettlauf um die Wahrheit und gegen die Zeit beginnt, ein Rennen, das man nur durch Zusammenarbeit und nicht durch Konkurrenz gewinnen kann.
Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um mit dem Buch warm zu werden. Die beiden Protagonisten lagen mir allerdings bis zum Schluss nicht, zugegebenermaßen aber alle anderen Charaktere im Buch auch nicht. Sie sind zwar gut durchdacht und beschrieben und die Tatsache, dass man praktisch bis zum Schluss nicht weiß, wer oder was sie wirklich sind und was sie eigentlich antreibt, machte sie interessant und speziell. Trotzdem konnte ich mich mit ihnen einfach nicht anfreunden. Der Schauplatz des Buchs ist zwar nichts Neues, aber hervorragend gewählt. Der Autor hat die klaustrophobische Atmosphäre hervorragend eingefangen, dazu die alten Gebäude, die raue See und die steilen Klippen sehr gut beschrieben, dass die Fähre die Insel nur einmal im Monat anfährt, war für mich ein Sahnehäubchen. Leider gelingt es ihm nicht hundertprozentig, den Spannungsbogen konstant hoch zu halten, aber über weite Strecken hat das Buch mich vor allem aufgrund der vielen Wendungen gefesselt. Sprachlich fand ich das Buch eher durchschnittlich, aber dem Genre entsprechend.
Insgesamt fand ich „Küstenwahn“ unterhaltsam und eine spannende, eher anspruchslose Lektüre für zwischendurch. Der Schluss passt, mich hat er tatsächlich etwas überrascht. An manchen Stellen der Handlung scheint der Autor sich etwas verrannt zu haben. Um aus manchen chaotischen Situationen wieder herauszukommen, muss er zu einigen Tricks greifen, wodurch die Geschichte an ein paar Stellen schon sehr konstruiert wirkt. Aber er schafft es, alles zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. Die Tatsache, dass man zwischendurch nicht mehr weiß, was die Wahrheit ist und wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, ist ein gelungener Kniff und Gänsehautfaktor gibt es an einigen Stellen durchaus auch. Von mir gibt es vier Sterne.

Bewertung vom 04.12.2024
Gottlos / Grant County Bd.5
Slaughter, Karin

Gottlos / Grant County Bd.5


sehr gut

„Gottlos“ ist der fünfte Teil von Karin Slaughters „Grant-County“-Reihe um Polizeichef Jeffrey Tolliver und seine ex-Frau/jetzt Lebensgefährtin, die Kinderärztin und Gerichtsmedizinerin Dr. Sara Linton. Ich habe das Buch schon vor vielen Jahren gelesen, jetzt wurde es neu aufgelegt. Wie die Autorin die seelischen Abgründe beschreibt, hatte mich schon damals fasziniert, daher habe ich es mir jetzt noch einmal vorgenommen.
Aber von vorn.
Dr. Sara Linton und Polizeichef Jeffrey Tolliver tragen bei einem Spaziergang im Wald einen Streit über ihre Beziehung aus. Sara vermutet, dass ihr geschiedener Mann/jetzt wieder Lebensgefährte sie wieder betrügt. Während des Streits stolpert Jeffrey und fällt. Der Waldboden unter ihm klingt hohl. Dadurch aufgeschreckt, beginnen die beiden zu graben und finden eine große Kiste – groß genug, dass eine junge Frau drin lebendig vergraben werden konnte. Inzwischen ist sie tot, nach der Obduktion steht fest, dass sie nicht „einfach nur“ erstickt ist, sondern mit Zyankali vergiftet wurde. Abigail, die Tote junge Frau, gehört einer Freikirche an, die ihr Großvater gegründet hat, die bei näherem Hinsehen fast sektenartige Strukturen aufweist. Die Suche nach Verdächtigen gestaltet sich für Jeffrey, seine Kollegen Lena Adams und Frank Wallace schwierig. Wer könnte ein Motiv haben, die streng gläubige junge Frau auf diese grausame Weise zu töten? Während alle mit privaten Problemen zu kämpfen haben (Lena möchte sich aus ihrer Beziehung mit ihrem gewalttätigen Freund Ethan befreien; Jeffrey und Sara sind wieder zusammengezogen und überlegen, noch einmal zu heiraten), stellt sich heraus, dass Abigail nicht die erste war, die da im Wald vergraben wurde. Eine weitere Leiche wird aber nicht gefunden. Als dann aber Abigails Schwester Rebecca ebenfalls verschwindet, läuft den Ermittlern die Zeit davon. Wurde sie ebenfalls vergraben? So oder so müssen sie sie so schnell wie möglich finden.
Wow. Was für Abgründe tun sich in dem Buch auf! Karin Slaughter verknüpft alle Widerwärtigkeiten gekonnt, schreibt wie üblich brutal, schonungslos und in handfester Sprache. Es wird derbe beschimpft, geflucht und gemordet, aber dazwischen gibt es immer mal wieder ein paar Bibelverse fürs Seelenheil. Ich hatte „Gottlos“ vor einigen Jahren im Original zum ersten Mal gelesen, aber auch bei diesem Mal bin ich durch das Buch geflogen. Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und die Ermittlungen bringen einige Wendungen. Obwohl der Schluss mich nicht ganz überrascht hat, war es für mich ein spannender Thriller. Der Spannungsbogen mäandert ein bisschen vor sich hin, die Ausflüge ins Privatleben der Protagonisten nehmen manchmal sehr viel Tempo aus der Geschichte und zerreden die Spannung ein bisschen. Außerdem ist die Geschichte zum Teil auf Zufällen aufgebaut, die so konstruiert sind, dass ich manchmal den Kopf schütteln musste. Tessa (Saras Schwester, die mir seit ihrem ersten Auftreten auf die Nerven geht) geht ausgerechnet in die Freikirche, die mit der toten jungen Frau zusammenhängt? Und alle sind irgendwie mit allen verwandt? Naja, so etwas zu konstruieren muss man erst einmal hinbekommen.
Die Protagonisten waren mir bekannt, die Entwicklung aller ist nachvollziehbar. Dass Sara und Jeffrey wieder zusammenkommen, war ja schon seit dem Vorgängerband „Schattenblume“ klar, an den dieses Buch zeitlich sehr nah anschließt. Die toxische Beziehung zwischen Ethan und Lena bereitete mir persönlich fast körperliche Schmerzen, vor allem, dass sie nicht von ihm loskommt.
Das Buch ist nichts für schwache Nerven und empfindliche Mägen, ich empfehle es daher natürlich allen Fans der Serie. Neulingen empfehle ich, die vorherigen Bücher in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Natürlich kann man das Buch auch ohne Vorkenntnisse verstehen, sie machen aber vieles leichter. Es ist sicher nicht Karin Slaughters bestes Buch, dafür gibt es zu viel „unnötiges Geplänkel“ und zu viele Längen. Von mir gibt es daher vier Sterne.

Bewertung vom 04.12.2024
Der letzte Sessellift (eBook, ePUB)
Irving, John

Der letzte Sessellift (eBook, ePUB)


sehr gut

„Der letzte Sessellift“ ist der 2023 erschienene 15. Roman von John Irving, der seit seinem Veröffentlichungstermin bei mir lag und darauf wartete, dass ich ihn doch endlich lesen möge. Abgeschreckt von den fast 1100 Seiten verschob ich die Lektüre immer wieder. Dabei war ich ein großer Fan des Autors, habe „Garp und wie er die Welt sah“, „Owen Meany“ und Gottes Werk und Teufels Beitrag“ mit Begeisterung gelesen. Und nach einigen Anfangsschwierigkeiten muss ich über „Der letzte Sessellift“ eines ganz klar sagen: es ist ein großer (und sehr langer) Roman und ein „typischer Irving“. Mich lässt der „letzte große Irving“ ein bisschen zwiegespalten zurück.
Aber von vorn. Oder auch nicht. Das Buch zusammenzufassen ist schier unmöglich. Irvings Bücher sind wie ein Eintopf. Man nehme eine starke alleinerziehende Mutter mit ungewöhnlichen Verwandten, köchle es mit gesellschaftlichen Außenseitern, skurrilen Gestalten, komplizierten Beziehungen und Ringen – fertig ist die Lebensgeschichte des Protagonisten. Das hat bei Garp und bei Owen Meany funktioniert, wieso sollte es bei Adam Brewster nicht auch funktionieren. In diesem Buch gibt es zum Ringen auch noch Skifahren und Queerness. Da die Parallelen zu Irvings eigenem Leben nicht zufällig sind, kann man ihn getrost als Ally und Advokaten für die Akzeptanz unterschiedlichster sexueller Orientierungen bezeichnen. Obwohl das Buch keine Autobiografie ist, steckt in Adam sicher sehr viel John. So spielt unter anderem der Vietnamkrieg eine Rolle, Irvings kritische Haltung dazu ist bekannt, ebenso seine Meinung zur katholischen Kirche, Abtreibungen und AIDS.
„Typisch Irving“ ist auch, dass er umfassend über seinen Protagonisten schreibt. Er beginnt 1941 mit dessen Geburt und beschreibt im Detail 60 Jahre seines Lebens. Dabei sind die Charaktere in all ihrer Skurrilität gründlich, wenn auch zum Teil nicht sehr schmeichelhaft ausgearbeitet. Jeder bekommt Charakterzüge auf den Leib geschrieben, von der Demenz und Inkontinenz des Großvaters bis zur Kleinwüchsigkeit von Elliot, dem Schneeläufer. Die Familie ist ungewöhnlich, zwischen Eliot Brewster und Adams Mutter Rachel besteht eher eine Scheinehe, sie liebt eigentlich Frauen und er ist erst als Crossdresser unterwegs und später dann als Frau.
Im Endeffekt war mein Problem nicht die Länge oder die vielen Wiederholungen, sondern die eingebauten Drehbücher, die habe ich zugegebenermaßen komplett überblättert. Die vielen Wiederholungen fand ich anstrengend, sodass das Buch mich sprachlich nur halbwegs überzeugen konnte. Dass Adams Stiefvater so oft „der kleine Schneeläufer“ genannt wird oder Molly, die Freundin der Mutter „die Pistenpflegerin“, nach dem zigsten Mal wollte ich einfach nur rufen: „Ja, das weiß ich inzwischen!“ Hätte der Autor auf dieses „Widerkäuen“ verzichtet, wäre das Buch gut und gerne 200 Seiten kürzer ausgefallen, die vielen Beschreibungen von Skirennen und Skiläufern waren für mich ein bisschen zu viel des Guten und ich weiß inzwischen mehr über Skier, als ich jemals wissen wollte. Der Rest des Buchs war ein „echter Irving“ und hat mich begeistert. Gegen Ende wird die Erzählweise zunehmend schneller, fast rastlos, als wollte der Autor das ganze noch schnell zu Ende bringen, bevor – ja, bevor was? Vor dem Tod? Der spielt natürlich auch eine Rolle.
Es ist lange her, dass ich meinen letzten Irving-Roman gelesen habe. Die Lektüre von „Der letzte Sessellift“ hat mir aber Lust darauf gemacht, die früheren Werke noch einmal hervorzuholen. Vor allem, weil die Anspielungen auf diese klar erkennbar sind. Was bleibt im Gedächtnis? Ein Plädoyer für Liebe, Vertrauen und starke Frauen. Ein Hinweis darauf, wie unterschiedliche Menschen durch Toleranz und Verständnis zueinanderfinden können und es immer irgendwelche Gemeinsamkeiten gibt, man muss sie nur sehen. Außerdem sind Konventionen und Traditionen dazu da gebrochen und ignoriert zu werden.
Für Irving-Fans und solche, die es werden wollen, ist das Buch ein Muss. Ich vergebe vier Sterne.

Bewertung vom 01.12.2024
Man kann auch in die Höhe fallen / Alle Toten fliegen hoch Bd.6
Meyerhoff, Joachim

Man kann auch in die Höhe fallen / Alle Toten fliegen hoch Bd.6


ausgezeichnet

„Man kann auch in die Höhe fallen“ ist das sechste Buch aus Joachim Meyerhoffs Erzählprojekt „Alle Toten fliegen hoch“. Bei diesem Buch war ich zwischen lautem Lachen und gelangweiltem Weiterblättern hin- und hergerissen. Dennoch hat mich seine Liebeserklärung an seine Mutter sehr gut unterhalten und ich werde die vorherigen Teile der Reihe auch noch lesen.
Aber von vorn.
„»Mama«, sagte ich zu ihr, »Überraschung! Ich komme morgen zu dir aufs Land. Ich möchte mich besser um dich kümmern, dir im Garten helfen, versuchen zu schreiben und«, ich bemühte mich, es verheißungsvoll klingen zu lassen, »wahrscheinlich bleibe ich sogar länger.«“ Mit diesen Worten kündigt Joachim Meyerhoff den Besuch bei seiner Mutter in Schleswig an der Ostsee an. Er steckt in einer Schaffens- und Lebenskrise. Nach dem Schlaganfall vor ein paar Jahren hat sich in ihm mit Mitte eine tiefsitzende Gereiztheit, ein Gefühl ständiger Erschöpfung, Überforderung und Dünnhäutigkeit hatte sich in ihm breitgemacht. Richtig die Nerven verloren hat er beim neunten Geburtstag seines Sohnes Elliot, was ihm den Zorn einiger Menschen eingebracht hat. Seine Mutter spannt ihn in ihren Alltag ein. Er arbeitet im Garten, sie gehen gemeinsam schwimmen und trinken Whiskey, reden viel miteinander und er schafft es, wieder zu schreiben. Herausgekommen ist ein Buch über sich selbst, aber auch eine Liebeserklärung an seine Mutter. „»Glaubst du, es wird ein Buch?«
»Ich weiß es nicht, Mama.«
»Ich würde, ehrlich gesagt, lieber doch nicht drin vorkommen.«
»Na bravo.«“
Aber ganz offensichtlich hat Mutter Meyerhoff (ich weiß inzwischen, dass sie Susanne heißt) sich das Buch verdient, denn sie scheint eine wirklich bemerkenswerte Frau zu sein. Ich denke, wir würden uns verstehen. „Meine Mutter sprach gerne mit den Dingen, stand in permanentem Austausch mit allem, was sie umgab“ – das finde ich ganz wunderbar. Unterhaltungen mit der Sonne und Vögeln gehen mir ebenso ans Herz wie die Tatsache, dass sie stachelige Brombeerranken mit einem „Wirst du wohl aufhören!“ zurechtweist oder sich bei einem Malvenschössling entschuldigt, dass sie auf ihn getreten ist. Das kommt mir sehr bekannt vor.
Ihr Sohn schreibt liebevoll über seine Mutter und ihr bewegtes Leben. Sie isst, taucht, backt, hackt Holz, erntet und mäht und das alles mit neuem Knie, neuer Hüfte und einer neuen Herzklappe. Sie ist ein Freigeist, „Rezepte empfindet sie genauso wie Geschwindigkeitsbegrenzungen als Bevormundung“. Dafür kann sie gleichzeitig Käsekuchen mit Rosinen, Rhabarberkuchen mit Baiser und Apfelkuchen mit Butterbröseln backen, was mich sehr beeindruckte. Wurde Joachim Meyerhoff von einem Oktopus großgezogen? Nein, aber von einer äußerst patenten Mutter.
Es gibt aber neben warmem-Apfelkuchen-und-Rohrnudel-Idylle auch düstere Zwischentöne. „Unsere Ehe war schrecklich, er hat mich betrogen, fast bin ich daran zerbrochen, doch ich habe mich nie getrennt.“, erzählt die Mutter. „Die Jahre gingen so dahin, und ich hab eigentlich immer nur gekämpft.“ Der Tod des mittleren Sohnes hat sie schwer getroffen, trotz Trennung hat sie ihren Mann bis zu dessen Tod gepflegt, ihren Lebensgefährten Michael Jahre später ebenso. Ihre Kinder waren und sind ihr Ein und Alles. „Es waren so gute Jahre, euch aufwachsen zu sehen und euch dabei begleiten zu dürfen“, sagt sie rückblickend.
Die Geschichten über seine Mutter haben mich oft zum Lachen gebracht. Die Theatergeschichten, die Meyerhoff zwischendurch erzählt, haben mich wesentlich weniger abgeholt, zwar sind sie durchaus ansprechend erzählt, aber irgendwie fehlt mir bei ihnen der Witz. Eines ist am Ende des Buchs klar: seine Schaffenskrise scheint Joachim Meyerhoff überwunden zu haben. Dank Mutter, dank harter Arbeit, dank Liebe und Geborgenheit. Er ist gefallen und wieder aufgestanden. Und Mutter? Die hat sich neu verliebt. Von mir gibt es für dieses Buch fünf Sterne.