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Bücherfreundin

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Insgesamt 320 Bewertungen
Bewertung vom 14.03.2025
Der Fall Leon
Apler, Florian;Schütz, Volker

Der Fall Leon


ausgezeichnet

Erschütternd und bewegend
Der junge Familienvater Florian Apler ahnt nicht, dass die Ereignisse am frühen Morgen des 28.8.2022 sein Leben für immer verändern werden. Er ist mit seinem 6-jährigen Sohn Leon unterwegs in St. Johann, als er von einem Unbekannten brutal niedergeschlagen wird. Als er aus der Bewusstlosigkeit erwacht, ist Leon verschwunden. Wenig später wird der Junge tot geborgen, er ist in der Kitzbüheler Ache ertrunken. Ein halbes Jahr später wird Florian Apler des Mordes an seinem Sohn beschuldigt und festgenommen. 522 Tage wird er unschuldig im Untersuchungsgefängnis verbringen, ehe er in einem drei Tage dauernden Gerichtsprozess am 1. August 2024 von den acht Geschworenen einstimmig freigesprochen wird.

Gemeinsam mit Volker Schütz, einem Rechtsanwalt, der mit der Familie Apler befreundet ist, hat Florian Apler seine Geschichte, die zu einem großen Teil auf den Tagebuchaufzeichnungen aus der langen Zeit seiner Inhaftierung basiert, aufgeschrieben. Er erzählt mit sehr viel Liebe von seinem kleinen Sohn Leon, der mit einem seltenen Gen-Defekt, dem Syngab Syndrom, zur Welt gekommen ist. Florian Apler erklärt, was die Krankheit für die Familie bedeutet hat und berichtet über den Alltag mit Leon, der nicht sprechen konnte und ständige Betreuung benötigte.

Der Autor beschreibt in seinem Buch die Erfahrungen, die er mit der Polizei und der Justiz machen musste. Zahlreiche Ermittlungs- und Verfahrensfehler reihten sich aneinander, entlastende Beweise, Videoaufnahmen und Gutachten von Seiten der Verteidigung wurden vom Gericht nicht zugelassen. Auch über die Zeit seiner Inhaftierung berichtet er und über die Willkür, der er ausgesetzt war. Florian Apler lässt den Leser tief in seine Seele blicken, wir erleben neben seiner tiefen Trauer um Leon auch seine Ängste, tiefste Verzweiflung und seinen Zorn. Familie und Freunde gaben ihm durch ihre Briefe viel Kraft, sie alle haben den Glauben an ihn und seine Unschuld nie verloren.

Das aufrüttelnde Buch ist in schöner Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. Neben Fotos und Zeichnungen enthält es Auszüge aus Briefen, die Florian Apler von seiner Familie und seinen Freunden während seines Gefängnisaufenthaltes erhalten hat. Auch die emotionale Aussage des Autors vor Gericht ist wortgetreu wiedergegeben.

Am Ende siegte die Gerechtigkeit, aber bei mir bleiben Zorn, Unverständnis und Betroffenheit zurück. Polizei und Justiz haben in diesem Fall jämmerlich versagt, doch niemand wurde zur Rechenschaft gezogen, eine Entschuldigung erfolgte nie, die Entschädigung für 522 Gefängnistage ist kaum der Rede wert.

Absolute Leseempfehlung für dieses mutige Buch, das unter die Haut geht und mich zutiefst berührt und erschüttert hat!

Bewertung vom 06.03.2025
Zwei Frauen, zwei Räder, ein Zelt
Willers, Tanja;Hochedlinger, Johanna

Zwei Frauen, zwei Räder, ein Zelt


ausgezeichnet

Spannende Fahrradreise durch 21 Länder
Der österreichische Verlag Tyrolia hat "2 Frauen, 2 Räder, 1 Zelt - Durch 21 Länder von Kapstadt nach Wien" der Autorinnen Tanja Willers und Johanna Hochedlinger veröffentlicht. Das Taschenbuch ist äußerst liebevoll und sehr hochwertig gestaltet und enthält zahlreiche Fotos, die die Fahrradreise der beiden Frauen anschaulich dokumentieren.

Die Idee zu der Reise ist geboren, als Tanja mit einem gebrochenen Bein auf dem Sofa ihrer Schwester in Kapstadt liegt. Es sollte allerdings noch 1 1/2 Jahre dauern, bis Tanja und Johanna ihre Idee umsetzen und nach Kapstadt fliegen. Von dort aus geht es los, mit ihren beiden Fahrrädern, einem Zelt und zahlreichen Taschen, die alles enthalten, was sie für ihre Reise benötigen.

Nun beginnt eine abenteuerliche und nicht immer ungefährliche Reise, die die beiden durch 21 Länder in Afrika, Asien und Europa führen wird. Sie legen an 445 Tagen insgesamt rund 24.000 Kilometer zurück, bei teils extremen Temperaturen, bei Regen und Wind. Dabei stoßen sie oftmals an ihre Grenzen, sie streiten und versöhnen sich. Auf ihrer Reise begegnen sie neben Einheimischen immer wieder interessanten Menschen, die wie sie das Abenteuer und neue Herausforderungen suchen.

Ich habe das in schöner Sprache geschriebene Buch sehr gern gelesen, es hat mich gefesselt und zutiefst beeindruckt. Die Erlebnisse der beiden Frauen sind so spannend und lebendig geschildert, dass ich oft das Gefühl hatte, dabei zu sein. Ich habe ihre Kraft und Ausdauer bewundert, mit denen sie die einzelnen Etappen und auftretende Probleme bewältigt haben. Sehr hilfreich fand ich das umfangreiche Kartenmaterial, das es mir ermöglichte, die Route genau zu verfolgen. Zwischen den Aufzeichnungen der Autorinnen finden sich immer wieder einseitige Einschübe über wichtige Themen, wie z.B. die richtige Ausrüstung, Kommunikation. Fahrrad, Essen, Trinkwasser, Kriminalität, Finanzen, Reiseapotheke und vieles mehr. Auch diese Seiten fand ich sehr interessant, da sie mir viele Fragen beantworteten, die sich mir im Laufe der Lektüre stellten.

Sehr gut gefallen haben mir die vielen unterschiedlichen und faszinierenden Eindrücke, die das Buch vermittelt. Jedes Land hat seine Besonderheiten, und immer wieder begegneten den Autorinnen gastfreundliche und hilfsbereite Menschen. Sie erlebten zahlreiche beglückende Momente, kosteten von Speisen, von denen sie noch nie zuvor gehört hatten, wurden aber auch hartnäckig angebettelt und manchmal sogar verfolgt.

Es hat mir sehr viel Freude bereitet, Tanja und Johanna auf ihrer Reise zu begleiten, und ich kann mir vorstellen, dass ihr unterhaltsamer und interessanter Bericht viele Reiselustige dazu motiviert, ferne Länder mit dem Fahrrad zu entdecken.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 05.03.2025
Mickey und Arlo
Dick, Morgan

Mickey und Arlo


gut

Das Vermächtnis
In ihrem Debütroman "Mickey und Arlo" erzählt die kanadische Autorin Morgan Dick die Geschichte zweier Frauen, die sich begegnen und nicht ahnen, dass sie Halbschwestern sind.

Aus der Zeitung erfährt Mickey Morris, dass ihr Vater, Adam Kowalski, nach langer und schwerer Krankheit im Alter von 61 Jahren verstorben ist und seine Ehefrau Leonora und die Tochter Charlotte hinterlässt. Die Nachricht trifft sie nicht besonders, da ihr Vater sie und ihre Mutter verlassen hat, als sie 7 Jahre alt war und ihnen hohe Schulden hinterließ. Das ist lange her, mittlerweile ist Mickey 33 Jahre alt, arbeitet seit 12 Jahren mit viel Freude und Hingabe als Lehrerin einer Vorschulklasse und hat ein ernstes Alkoholproblem. Sie fällt aus allen Wolken, als sie einen Anruf vom Anwalt ihres Vaters erhält, der ihr mitteilt, dass sie 5,5 Millionen Dollar erbt unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb von drei Monaten sieben Psychotherapiesitzungen absolviert.

Auf einer zweiten Erzählebene begegnen wir Arlo, einer 25-jährigen geschiedenen Psychotherapeutin. Sie hat ihren alkoholkranken Vater bis zu dessen Tod gepflegt und kann nicht begreifen, dass sie in seinem Testament keine Erwähnung findet. Als Mickey zu ihrer ersten Therapiesitzung bei Arlo erscheint, ahnen die Frauen nicht, dass sie ihrer Halbschwester gegenübersitzen, von deren Existenz sie zwar wissen, sie aber nie kennengelernt haben ...

Die Geschichte mit den Schwerpunktthemen Alkoholabhängigkeit, Verlust und Trauer ist in einfacher Sprache abwechselnd aus der Sicht von Mickey und Arlo erzählt. Sie ist stellenweise humorvoll und liest sich sehr flüssig. Nach und nach lernen wir die Protagonistinnen kennen, die geprägt sind von sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit ihrem Vater. Mickey ist die verlassene und bindungsunfähige Tochter, die in materiell eher ärmlichen Verhältnissen bei ihrer Mutter aufgewachsen ist. Die vom Vater an sie weitergegebene Alkoholsucht will sie nicht wahrhaben. Arlo hingegen lebte in materieller Sicherheit, wurde vom wohlhabenden Vater verwöhnt und tat alles, um ihm zu gefallen, bis hin zur Aufopferung während seiner letzten Lebensmonate. 

Die Autorin beschreibt die Gefühls- und Gedankenwelt der Frauen sehr intensiv, wir erleben außer den Therapiestunden nicht nur, wie sie sich behutsam einander annähern, sondern auch ihre unterschiedlichen Erinnerungen an den Verstorbenen, ihre Trauer und Wut. Mickeys Alkoholabhängigkeit bleibt sowohl privat als auch im beruflichen Bereich nicht folgenlos, während Arlo der Selbstmord einer Patientin immer noch beschäftigt und belastet. 

Ich habe den ungewöhnlichen Roman, in den die Autorin eigene Erfahrungen hat einfließen lassen, bis zum hoffnungsvollen Ende gern gelesen. Er hat mich gefesselt und berührt, jedoch war mir das ernste Thema Alkoholismus etwas zu leicht und oberflächlich abgehandelt. Die Nebenfiguren empfand ich - bis auf den kleinen Ian und Mickeys Nachbarin Daria - als wenig authentisch, einige Passagen des Buches, wie z.B. die Schilderung der Beerdigung, fand ich ziemlich überzogen und unrealistisch. 

Trotz einiger Schwächen Leseempfehlung und 3 Sterne!

Bewertung vom 28.02.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


sehr gut

Faszinierende Familiengeschichte
Nach ihrem erfolgreichen Debütroman "Fleishman steckt in Schwierigkeiten", der 2019 für den National Book Award nominiert war, hat die amerikanische Autorin Taffy Brodesser-Akner nun "Die Fletchers von Long Island" veröffentlicht.

Die jüdisch-amerikanische Familie Fletcher hat beträchtlichen Wohlstand erlangt, seit Zelig Fletcher 1942 als blinder Passagier mit einem Ozeandampfer von Polen nach Amerika gekommen ist und ein erfolgreiches Unternehmen gründete, das Styropor produziert. Seit seinem frühen Tod führt sein Sohn Carl die Firma.
Am 12. März 1980 wird Carl auf dem Weg zur Arbeit vor seiner Haustür in Middle Rock auf Long Island von zwei Männern überwältigt. Sie ziehen ihm einen Sack über den Kopf und entführen ihn in seinem eigenen Auto. Nach 5 Tagen fordern die Entführer die Hinterlegung eines Lösegelds in Höhe von 250.000 Dollar. Nur 10 Minuten, nachdem Carls Ehefrau Ruth, die mit ihrem dritten Kind schwanger ist, der Forderung nachgekommen ist, wird Carl freigelassen. Wenig später führen markierte Geldscheine das FBI auf die Spur der Entführer, das restliche Lösegeld bleibt unauffindbar, der Fall wird geschlossen.

Es gab ein Leben vor der Entführung, nun beginnt das Leben danach, und die Familie Fletcher versucht, den Vorfall hinter sich zu lassen, indem sie nicht mehr über das Geschehene redet. Nachdem Carl aus dem Krankenhaus entlassen wird, zieht er mit Ruth und den beiden Söhnen Nathan und Bernard, genannt Beamer, in ein Verwalterhaus auf dem Anwesen seiner Mutter Phyllis. Im gleichen Jahr wird Jennifer geboren.

40 Jahre später ist klar, dass das Verbrechen bei allen Familienmitgliedern tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Autorin dokumentiert die emotionalen Auswirkungen und stellt dabei besonders die Kinder von Carl und Ruth in den Fokus. Nathan, der ältere Sohn, ist Anwalt geworden und leidet unter Tics und Angststörungen, die seine Karriere behindern. Sein Bruder Beamer ist Drehbuchautor mit mäßigem Erfolg, er führt ein exzessives Leben mit zu viel Drogen und Affären. Jenny, die Klügste der Geschwister, lehnt den familiären Reichtum ab und distanziert sich von ihrer Familie. 

Das Buch ist in schöner und klarer Sprache geschrieben, die Autorin verfügt über eine beeindruckende Beobachtungsgabe und skizziert ihre Protagonisten sehr genau. Ich habe die Geschichte bis zum überraschenden Ende sehr gern gelesen, auch wenn mir keine der Figuren wirklich sympathisch war und der mittlere Teil, in dem es um das Leben von Nathan, Beamer und Jenny geht, etwas zu sehr in die Länge gezogen ist. 

Sehr gut gefallen hat mir, dass die Autorin dem Leser einen tiefen Einblick in das jüdische Leben mit all seinen Sitten und Ritualen ermöglicht. Ich mochte auch die gesellschaftskritischen Aspekte des Buches, auf die detaillierten Schilderungen der regelmäßigen Besuche eines Familienmitglieds bei einer Domina hätte ich dagegen gut verzichten können. 

Leseempfehlung für diesen faszinierenden Roman, der einmal mehr zeigt, dass Reichtum allein nicht glücklich macht.

Bewertung vom 26.02.2025
Portrait meiner Mutter mit Geistern
Edel, Rabea

Portrait meiner Mutter mit Geistern


ausgezeichnet

Bewegender und faszinierender Generationenroman
Im Mittelpunkt von "Portrait meiner Mutter mit Geistern", dem aktuellen Roman von Rabea Edel, dessen Handlung sich durch mehrere Generationen zieht, steht Martha, die Mutter der Autorin.

Zu Beginn lernen wir die Ich-Erzählerin Raisa kennen, Marthas Tochter. Die beiden sind erst vor kurzem mit einsetzender Schulpflicht des Mädchens wieder in Marthas Heimatort sesshaft geworden. Sie waren auf Wanderschaft und blieben nie lange an einem Ort. Raisa ist nun 7 Jahre alt und beginnt, Fragen nach ihrem Vater und ihren Großeltern zu stellen, die sie nie kennengelernt hat. Doch ihre Mutter schweigt, und es wird Jahre dauern, bis sie sich ihrer Tochter behutsam auf eine ganz besondere Art und Weise öffnet.

Die Geschichte fordert den Leser, sie enthält zahlreiche Zeitsprünge, es geht vor und zurück und umgekehrt. Man muss sich einlassen auf diese anspruchsvolle Lektüre, aufmerksames Lesen ist erforderlich, um den Faden nicht zu verlieren. Der Stammbaum auf den beiden ersten und letzten Buchseiten ist äußerst hilfreich, um jederzeit die Familienstruktur nachvollziehen zu können. Ohne diesen Stammbaum wäre ich verloren gewesen, zumal die Handlung zurückgeht bis in die zwanziger Jahre. Der Leser lernt nach und nach viele Personen kennen, und langsam setzen sich die vielen Puzzlestücke zu einem Ganzen zusammen.

Das Buch gab mir zu Beginn viele Rätsel auf, die Zeitsprünge irritierten mich und störten meinen Lesefluss, doch im Laufe der Handlung faszinierte es mich immer mehr und ließ mich tief eintauchen in die Geschichte einer Familie, in der viel zu oft geschwiegen wurde. Neben Raisa und Martha lernen wir auch Marthas Mutter Selma und Großmutter Dina kennen, verfolgen ihre Lebenswege und erleben dabei ihre Tragödien und ihr Leid. Eine besondere Rolle kommt Jakob zu, der unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit 25 Jahren nach Amerika ausgewandert ist und dessen Schicksal mich ganz besonders berührt hat.

Rabea Edels Sprache ist klar und eindringlich, den sehr speziellen Erzählstil fand ich nicht nur aufgrund der vielen Zeitsprünge etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht nur ihre Protagonisten, sondern auch die Nebenfiguren zeichnet die Autorin so bildhaft und authentisch, dass ich sie mir gut vorstellen konnte.
Am Ende bleibt manches offen, es bleibt Raum für eigene Gedanken. Ich habe die fesselnde Geschichte, in der es neben Liebe und Verlust, Schweigen, Lügen und Gewalt auch um traumatische Ereignisse und verdrängte Erinnerungen geht, sehr gern gelesen, sie hat mich gleichermaßen erschüttert und zutiefst berührt.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.02.2025
Die Ahoibande
Lambeck, Silke

Die Ahoibande


ausgezeichnet

Spannende Inselabenteuer mit der Ahoibande
In ihrem neuen Buch "Die Ahoibande" erzählt die bekannte Kinderbuchautorin Silke Lambeck unterhaltsame Geschichten über vier Kinder, die ständig oder zeitweise auf der kleinen fiktiven Nordseeinsel Süderhoorn leben.

Willi, der seinen Namen nicht mag und eigentlich Willibald heißt, weil sein Vater es unbedingt so wollte, lebt auf der kleinen Insel, genau wie seine Freundin Paule und ihr 6-jähriger Bruder Jojo. Auf Jojo muss Paule sehr gut aufpassen, denn er verschwindet immer mal gern. Zu der Bande gehört auch Marko, der aus Berlin kommt, während der Ferien immer bei seiner Oma auf der Insel ist und den alle Schulz nennen, weil sein Nachname Schulzendorf ist. Nach einem Erlebnis mit dem alten Hannes, einem ehemaligen Kapitän, nennen die Freunde sich Ahoibande.

Wir begleiten die sympathischen Kinder und Willis Hund Ohdschie durch die vier Jahreszeiten und erleben mit ihnen spannende Abenteuer. Sie surfen und tauchen, entdecken die Kunst, und es geht auch um giftige Quallen, ein gestohlenes Wikingeramulett, den spannenden Inselwettkampf gegen die Bewohner der Nachbarinsel und die Rettung des dicken Herrmann, einer Robbe.

Das 128 Seiten umfassende gebundene Buch ist in neun auch unabhängig voneinander zu lesende Kapitel gegliedert und richtet sich an Kinder ab etwa 8 Jahren. Die warmherzigen und abenteuerlichen Geschichten werden kleine Erstleser zum Selberlesen animieren, eignen sich aber auch ganz wunderbar zum Vorlesen für jüngere Kinder. Die Sprache ist altersgerecht, die Schrift schön groß und sehr gut lesbar. Die zauberhaften und farbenfrohen Illustrationen von Lena Hesse ergänzen die Texte.

Ich hoffe auf weitere Abenteuer der Ahoibande - absolute Lese- und Vorleseempfehlung!

Bewertung vom 18.02.2025
Bis die Sonne scheint
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


sehr gut

Berührende Familiengeschichte
In seinem neuen Roman "Bis die Sonne scheint" erzählt Christian Schünemann die persönliche Geschichte seiner Familie.  

Wir schreiben das Jahr 1983, der 14-jährige Ich-Erzähler Daniel Hormann lebt mit seinen Eltern Siegfried und Marlene sowie den Geschwistern Boris, Angela und Corinna in einem Bungalow in einem kleinen Ort nahe Bremen. Das Flachdach des Hauses ist undicht, und das eindringende Regenwasser muss mit vielen Gefäßen aufgefangen werden. Das Geld für eine Dachreparatur fehlt, dennoch träumt Daniel von einem schicken Outfit für den Tag seiner Konfirmation, die bald ansteht. Es soll ein nachtblaues Samtjackett sein mit weinroter Fliege und steingrauer Flanellhose. Doch die Hormanns sind pleite, die Konten sind gesperrt, der Gerichtsvollzieher war bereits bei ihnen. Die vom Vater vertriebenen Wasserfilter verkaufen sich nicht gut, und auch das von der Mutter eröffnete Wollgeschäft erzielt nicht den erhofften Umsatz. Wie es um ihre Finanzen bestellt ist, darf niemand wissen, auch die Großmütter nicht. Die Hormanns bemühen sich, den schönen Schein zu wahren und leben trotz der angespannten finanziellen Situation weiter wie in den guten Zeiten.

Der Autor beschreibt nicht nur das Leben der sechsköpfigen Familie und ihren finanziellen Absturz, sondern blättert auch die Vergangenheit der beiden Großmütter Lydia und Henriette auf. Er geht zurück in die Zeit, als Siegfried und Marlene sich ineinander verlieben und heiraten. Siegfried, der als technischer Zeichner im Staatsdienst arbeitet, ist bald als freier Architekt tätig und gründet seine eigene Firma, die Bauherren dazu verhilft, durch Eigenleistungen kostengünstig Eigentum zu erwerben. Es geht der Familie wirtschaftlich sehr gut, und Siegfried kann seinen Traum, ein eigenes Haus zu bauen, verwirklichen. 

Die Geschichte ist in schöner Sprache, teilweise mit viel Humor erzählt und liest sich sehr flüssig. Der Zeitgeist der achtziger Jahre ist ganz wunderbar eingefangen, die Charaktere sind authentisch und bildhaft beschrieben. Meine Lieblingsfiguren waren Marlenes Mutter Lydia und Zoe, Daniels Freundin. An Siegfried und Marlene schätzte ich ihren Mut, beruflich immer wieder neue Wege zu gehen, hatte jedoch wenig Verständnis für ihren Umgang mit Geld. Gut gefallen hat mir, dass Daniel seine Geschichte in neutralem Ton erzählt, ohne seinen Eltern Vorwürfe zu machen. 

Auch wenn die Rückblenden über die Vergangenheit der Großmütter sehr viel Raum einnehmen, fand ich es spannend und berührend, die Lebenswege der Protagonisten zu verfolgen und habe mich sehr gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 13.02.2025
Nacht der Ruinen
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

Großartiger historischer Kriminalroman
"Nacht der Ruinen", der neue Kriminalroman von Cay Rademacher, spielt im März 1945 und führt den Leser in die von den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt Köln.

Der amerikanische Bomberpilot Richard Rohrer befindet sich mit seinem Flugzeug über Köln, als die Maschine angeschossen wird und abstürzt. Es ist der 31. Einsatz des 23-Jährigen und der letzte Großangriff auf Köln. Er kann sich mit seinem Fallschirm retten und landet in der Kirche Sankt Kolumba. Doch schon bald wird er Opfer eines Lynchmords.

Joe Salmon, der als Joseph Salomon in Köln aufgewachsen ist und nach der "Reichskristallnacht" im November 1938 mit seinen Eltern nach Amerika emigrieren konnte, ist Jude. Nun kommt er als amerikanischer Soldat zurück in die Domstadt und erhält im Hauptquartier der Army den Auftrag, den Mord an Rohrer aufzuklären. Der Krieg ist fast vorbei, Köln liegt in Schutt und Asche, die Amerikaner haben die Stadt besetzt. In den Ruinen leben nur noch 20.000 Menschen, von ehemals 58.000 Häusern sind nur noch 300 intakt. Nachdem die Wehrmacht die letzte Brücke gesprengt hat, bildet nun der Rhein die Front.
Gemeinsam mit dem englischen Kriegsreporter George Orwell begibt sich Joe nicht nur auf die Suche nach dem Mörder des Piloten, er will auch seinen besten Freund Jakub finden und Hilda, die junge Frau, in die Jakub und er verliebt waren ....

Die Geschichte, die einen Zeitraum von 17 Tagen umfasst, ist in klarer Sprache erzählt und liest sich sehr flüssig. Sie hat mich von Beginn an gefesselt und in ihren Bann gezogen. Es war spannend, Joe bei seiner Mördersuche und der Suche nach Jakub und Hilda zu begleiten. Dabei begegnet er auch historischen Persönlichkeiten, die in Köln gelebt haben, wie Konrad Adenauer, Hans Habe und Irmgard Keun. Der Roman ist sehr spannend, es gibt überraschende Wendungen, und mehrmals führte mich der Autor auf falsche Fährten. Neben der Krimihandlung beschreibt er sehr eindrucksvoll den Kampf der Menschen ums Überleben, ihren Hunger, die katastrophale Wohnsituation, die schlechten hygienischen Verhältnisse. Er widmet sich auch Themen wie der Verfolgung der jüdischen Bürger und den schrecklichen Machenschaften der Gestapo.

Cay Rademacher verwebt in seinem Roman gekonnt Geschichte und Fiktion. Dank gründlicher Recherchen und seiner guten Ortskenntnisse zeichnet er ein sehr genaues Bild von der zerstörten Stadt Köln. Dieses Bild ging mir unter die Haut, da ich Köln und viele der im Roman erwähnten Örtlichkeiten gut kenne.

Sehr häufig findet das Wort "dammit" Verwendung, das hat mich schnell genervt. Dennoch habe ich das Buch, in dem es neben der Mördersuche und dem Kriegsgeschehen auch um Liebe und Freundschaft geht, sehr gern gelesen. Das Ende hat mich überrascht und erschüttert. Absolute Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.02.2025
Frau Hempels Tochter. Roman
Berend, Alice

Frau Hempels Tochter. Roman


ausgezeichnet

Wunderbare Wiederentdeckung
Der Reclam Verlag hat "Frau Hempels Tochter", den Roman der deutsch-jüdischen Autorin Alice Berend, der erstmalig 1913 erschienen ist, in überarbeiteter Fassung neu veröffentlicht.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lina Hempel, die mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter Laura in einem Berliner Mietshaus lebt, in dem viele sehr unterschiedliche Menschen wohnen. Ihr Mann ist Schuster, während Lina als Portiersfrau tätig ist. Sie ist die gute Seele des Hauses, hilft jedem, der Hilfe benötigt und kümmert sich um die Wohnungen und Haustiere, wenn die Bewohner verreist sind. Hempels führen ein bescheidenes, aber zufriedenes Leben, und die fleißige Lina nimmt jede hauswirtschaftliche Arbeit an, um etwas dazuzuverdienen. Sie spart eisern, denn ihre zarte und schöne Tochter soll es einmal besser haben als ihre Eltern.

Lauras Schulzeit ist zu Ende, und sie wird von Herrn Bombach, dem Hausbesitzer, als Kindermädchen für den neugeborenen Stammhalter eingestellt. Doch schon bald, Laura ist gerade 17 Jahre alt, wechselt sie in den Haushalt des Sohns vom Bankdirektors und dessen Ehefrau und arbeitet dort als Hausangestellte und Zofe. Auch sie träumt von einem besseren Leben, aber ist der junge Graf Egon aus verarmtem Adel von gegenüber, den sie so anziehend findet, der Richtige für sie?

Die Autorin erzählt die Geschichte über die fleißige Portiersfrau in der Sprache der zwanziger Jahre. Mit viel Herz und noch mehr Humor beschreibt sie Linas Träume und den Alltag der Hempels. Das Buch hat einen ganz besonderen Erzählstil und liest sich sehr flüssig. Die Charaktere sind so wunderbar und authentisch skizziert, dass ich sie mir gut vorstellen konnte. Meine absolute Lieblingsfigur war die fleißige und strebsame Lina, die in einer dunklen Kellerwohnung lebt und von einem Haus mit zwei Zimmern, Schornstein und zwei kleinen Gärten träumt. Ich mochte ihre zupackende Art und Zielstrebigkeit, aber auch ihren Mut, vollkommen neue Wege zu gehen.

"Frau Hempels Tochter" hat mir sehr gut gefallen, ich liebte den herrlichen Humor der Autorin und ihre präzise Schilderung des Lebens in einem Berliner Mietshaus. Ich habe mich von dem Buch, das vom Kernthema her zeitlos ist, bestens unterhalten gefühlt, auch wenn ich das Ende etwas unrealistisch fand.

Alice Berend war als Autorin von etwa 25 Romanen äußerst erfolgreich, bis die Nationalsozialisten ihre Bücher verboten und verbrannten. Sie wanderte in die Schweiz aus und lebte später in Italien, wo sie 1938 im Alter von 63 Jahren mittellos starb. Weitere Informationen finden sich im auch sehr lesenswerten 11-seitigen Nachwort der Germanistin und Publizistin Margret Greiner am Ende des Buches.

Absolute Leseempfehlung für diese wunderbare Wiederentdeckung!

Bewertung vom 09.02.2025
Fernwehland
Naumann, Kati

Fernwehland


ausgezeichnet

Mitreißende und warmherzige Geschichte
"Fernwehland", der neue Roman von Kati Naumann, ist für mich das zweite Buch der Autorin. Während sie in "Sehnsucht nach Licht" die Geschichte von Familien erzählt, die im Erzgebirge im Bergbau arbeiten, geht es in ihrem neuen Buch um die Schifffahrt, wobei das Kreuzfahrtschiff "Astoria" im Fokus steht, das 1946 unter dem Namen "Stockholm" in See stach und von 1960 bis 1985 als "Völkerfreundschaft" für die DDR fuhr.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Wir schreiben das Jahr 1919, als Henri und Simone in England eine Kreuzfahrt mit der "Astoria" antreten. Es wird für sie eine Reise in die Vergangenheit, denn die beiden haben sich vor 46 Jahren auf der "Völkerfreundschaft" kennengelernt. Henri war damals Matrose, während Simone als Stewardess arbeitete. An Bord lernen sie die Schwedin Frida kennen, die als Kind die Taufe des Schiffs erlebte, und bald gesellt sich die junge Elli, die ein Geheimnis zu haben scheint, zu ihnen.

Der zweite Erzählstrang führt uns im Jahr 1938 nach Kötzschenbroda, einem kleinen Ort nahe Dresden. Die junge Dora hat ihren Ehemann durch ein Unglück verloren und lebt nun mit ihrem kleinen Sohn Erwin bei den Schwiegereltern. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, arbeitet sie auf einem Ausflugsschiff und sieht ihr Kind nur noch selten. Der Junge begeistert sich schon früh für die Schifffahrt und lernt heimlich zu schwimmen. Nach den harten Jahren des Zweiten Weltkriegs wird er Schiffsjunge auf einem Dampfschiff. Sein großer Traum ist es jedoch, zur See zu fahren ...

Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa acht Jahrzehnten. Während wir Henri, Simone und Frida im Jahr 2019 auf ihrer Kreuzfahrt begleiten, sehen wir in Rückblicken den kleinen Erwin aufwachsen und lernen mit Henri und Karin die nächste Generation kennen. Wir begleiten Henri, Simone und Frida durch die Jahre, erleben ihre Höhen und Tiefen, ihre Schicksalsschläge und Enttäuschungen. Die Autorin lässt uns nicht nur in das Leben der Protagonisten eintauchen, sie ermöglicht uns auch intensive Einblicke in den Alltag und die damaligen Verhältnisse in der DDR, als Menschen durch die Behörden schikaniert wurden, wenn Familienmitglieder der Stasi nicht linientreu erschienen.

Die Geschichte ist in klarer Sprache erzählt und liest sich sehr flüssig. Mit viel Liebe und Empathie, dabei vollkommen authentisch, beschreibt Kati Naumann ihre Charaktere. Meine Lieblingsfigur war Dora, die ihrem Sohn eine liebevolle Mutter ist und später Erwin und Marion unterstützt und entlastet, wo sie nur kann. Dabei verzichtet sie auf die ersehnte eigene berufliche Erfüllung.

Ich habe das Buch, in dem es um Liebe und Freundschaft, Heimat, Sehnsucht und Lebensträume geht, mit sehr viel Freude gelesen. Der Zeitgeist ist ganz wunderbar eingefangen, und ich habe vieles über die Schifffahrt und die Arbeit an Bord erfahren. Sehr gut gefallen hat mir, dass die Handlung mit den damaligen historischen Ereignissen verknüpft ist. Das Buch ist gespickt mit viel Detailwissen, auf den letzten Seiten finden wir neben einem Interview mit der Autorin eine Zeittafel und technische Daten. Alle 12 Namen des Schiffes sind ebenso aufgelistet wie die Zutaten für den Spezialcocktail Völkerfreundschaft.

Absolute Leseempfehlung für den packenden und hervorragend recherchierten Roman!