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Benutzername: 
Emmmbeee
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2025
Der Krabbenfischer
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer


gut

Muss es wie im Gestern bleiben?

Zwei Tage lang sind Lesende mit Thomas Flett auf Krabbenfang unterwegs. Er lebt wie in einer Traumwelt, zuckelt mit Pferd und Karren so dahin und achtet lediglich auf die gefährlichen Sandlöcher. Das alles ohne langes Nachdenken, kritisches Hinterfragen oder höhere Wünsche, in sich zurückgezogen, zufrieden und bescheiden. Von seiner Mutter lässt er sich herumscheuchen, um des Hausfriedens willen. Erst ein angereister Regisseur, der sich wegen seiner Filme für Toms Arbeit interessiert, öffnet ihm das Fenster in eine andere Welt. Wie wäre es dort draußen? Was für Möglichkeiten gäbe es dort für ihn? Muss denn wirklich alles so bleiben wie zur Zeit von Grandpa?
Ein nahegehender Roman, verfasst in schöner stimmungsvoller Sprache. Ich kann die widerstreitenden Gedanken des jungen Mannes sehr gut nachvollziehen, und die Geschichte ist so gut erzählt, dass ich mich mittendrin befand.
Dreimal begleiten wir Thomas in den sandigen Meeresstrand hinaus, und jedes Mal ist das entsprechende Kapitel mit Erstes Niedrigwasser, Zweites und dann nochmals Erstes Niedrigwasser überschrieben: eine Besonderheit.
Der Autor verzichtet auf Drive, der hätte hier nur gestört. Er lässt dem Handlungsfluß seinen Lauf, ähnlich der sanften Brandung des Meeres gegen die flache Sandküste. Vergleichbar auch der Gangart des angeschirrten Pferdes. Dass der Roman in der Gegenwart geschrieben wurde, verstärkt noch den Eindruck der Entschleunigung.
Die Story lässt dem Leser ein Open End, und das ist gut so, denn auf diese Art bleibt Raum für eigene Gedanken und selbstständiges Weiterführen eines möglichen weiteren Weges. Was aber etwas mühsam war: Über viele Strecken liest es sich etwas zäh, zudem wird mit optischen Auflockerungen sehr sparsam umgegangen.
Das Cover wirkt so, wie die Atmosphäre geschildert ist, dämmrig, verregnet, nass und kalt. Ich habe beim Lesen gefröstelt. Meine Empfehlung deshalb: Bei einer heißen großen Tasse Tee lesen! Das Werk als einen literarisch-poetischen Spaziergang betrachten, mit Pausen lesen, vielleicht abwechselnd mit einem spannenden Roman?

Bewertung vom 05.09.2025
Das Geschenk
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


gut

Belastendes Präsent

Dieses Geschenk im Titel erweist sich als das reinste Trojanische Pferd in Elefantengestalt. Es wurde gemacht, um zu demonstrieren, dass Europa sich nicht in die Politik oder Wirtschaft anderer Erdteile einzumischen oder ihnen einfach so mit Einfuhrbeschränkungen Repressalien aufs Auge zu drücken hat. Genauer: Um die von Botswana, was Elfenbein und damit Elefanten im weitesten Sinn betrifft. Zumal hierzulande kaum jemand über die Dickhäuter und ihre Lebensumstände und Bedürfnisse Bescheid weiß.
Über Nacht tummeln sich 20.000 Elefanten in Deutschland und beschwören natürlich Ratlosigkeit, Überforderung und Chaos herauf. Die Frage bleibt offen, wie sie denn nun ins Land gelangt sind. Das hätte mich schon noch interessiert. Nur „Magic“ als Erklärung reicht nicht.
Gaes Schoeters erzählt ausführlich von Regierungskrisen, ökologischen und botanischen Problemen, was sich für meinen Lesegeschmack allerdings manchmal allzu lange hinzieht, sodass ich angefangen habe, querzulesen. Da hat mir ihr Roman „Trophäe“ bedeutend besser gefallen.
Mit seiner Komplexität des Themas ist das vorliegende Werk auf alle Fälle ein Roman, der zum Nachdenken einlädt und anregt. Eigentlich naheliegend, dass die Elefantenjagd nach der vermeintlichen Lösung aufs neue losgeht und man das „Geschenk“ dem Tod ausliefert. Traurig!
Gefallen hat mir die Besonderheit beim Druck, dass in den Null-Ziffern der Mittelpunkt bezeichnet wurde. Zwar weiß ich nicht, was der Zweck sein soll, aber es lässt vielerlei Deutungen zu. Passender scheinen mir allerdings zwei Punkte nebeneinander zu sein, denn die könnten die Rüsselspitze eines Elefanten symbolisieren. Sehr gut finde ich das Cover, es zieht sofort die Blicke auf sich.

Bewertung vom 29.08.2025
Aufsteiger
Huth, Peter

Aufsteiger


ausgezeichnet

Was für eine Story!

Ein ehrgeiziger Journalist hat seine Beförderung auf einen hohen Posten vor Augen, zum Greifen nah, mit ihm rechnen alle in seinem Umfeld mit dem Aufstieg. Doch dann – kommt alles ganz anders. Völlig anders, und was daraus wird, besonders gegen Schluß, damit rechnet nun wirklich kein Leser.
Im Grund eine fürchterliche Geschichte, wenn wir uns an die Stelle des Möchtegern-Aufsteigers denken, aber dadurch natürlich ein hervorragender Stoff für einen Roman. Da geht es durch menschliche Höhen und vor allem Tiefen, und zwar bei allen Beteiligten. Viel Geschirr zerbricht dabei, und teilweise habe ich mit den Beteiligten sehr gelitten. Spannend verläuft die Story besonders ab dem ersten Fünftel.
Dazwischen gewährt und der Autor in eher kurzen Sequenzen die Sicht aus anderer Perspektive, was das Werk angenehm durchlüftet und die Hergänge verständlicher macht. Äußerst überraschend der Schluss, das hätte ich so nicht erwartet. Und erst das „Outing“!
Hingegen wäre mir lieber gewesen, ich hätte den Klappentext nicht gelesen. So weiß der Leser von Anfang an, was Felix Licht im Lauf des ersten Tages geschehen wird, ein Teil der Spannung ist dahin und der Gesamteffekt bleibt aus. Schade!
Insgesamt aber eine sehr lesenswerte Story, ein angenehmer Erzählstil, spannend geschrieben. Ich werde das Buch gerne weiterempfehlen.

Bewertung vom 21.08.2025
Meine Mutter
Flitner, Bettina

Meine Mutter


gut

Schonungsloses Mutterbild

Ein erschütterndes Bild ihrer Familie wird von der Autorin Bettina Flitner gezeichnet und tut sich vor dem Leser auf. Dass sie als Tochter der verstorbenen Gisela Elfriede Helene Annemarie, kurz Gila genannt, und damit allernächste Verwandte bei der Beerdigung wenig bis nichts an Trauer empfindet, kommt nicht selten vor. Der Schmerz und die Traurigkeit warten auch bei anderen Menschen häufig bis später. Dass die Verstorbene aber gleich lapidarisch vom Großvater abgewertet wird, ist grausam, auch den Hinterbliebenen gegenüber.
Beim Lesen tut sich eine für mich ungewohnte Welt auf, denn da zieht sich die Dynastie einer Arztfamilie hin, die ja sogar eine Sanatoriumsbesitzerfamilie ist, gespickt mit Tragödien. Gleich mehrere Selbstmorde im nahen Umfeld sind keine Kleinigkeit für die Verwandtschaft. Und dann mischen klarerweise auch noch die beiden großen Kriege mit. Schonungslos wird vieles in der Vergangenheit hinterfragt und hat wohl in der näheren Umgebung viel Unmut verursacht.
Erzählt ist diese Geschichte in einem recht lebendigen Stil, voller Farbe und Drive, durchsetzt von Spannung. Die Figuren sind deutlich und lebhaft gezeichnet, besonders die Damen. Schritt für Schritt geht es dem Ende zu, und man möchte am liebsten eingreifen, damit die Geschichte nicht so furchtbar endet. Es tut zeitweise richtig weh, den Weg lesend mitzugehen. Da kann wohl niemand unberührt bleiben. Ich musste öfters eine andere Lektüre vornehmen, um mich nicht in die Tiefe ziehen zu lassen.
Empfehlen möchte ich das Buch eigentlich nur starken Persönlichkeiten. Denn in vielen Familien kommen ähnliche Dinge vor, deshalb gehen einem die Schicksale rasch näher, als man möchte. Man muss einen emotionalen Abstand einhalten.

Bewertung vom 14.08.2025
Der Schlaf der Anderen
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


sehr gut

Schlaf, der sich rar macht

Ja, genau um das geht es in diesem Roman: um Schlaf, weniger um den eigenen, als um den der anderen. So gesehen ist der Titel sehr treffend, und auch das Cover sagt genau das aus: quälende, sich unendlich in die Länge dehnende Schlaflosigkeit.
Janis und Sina treffen zum ersten Mal in einem Schlaflabor aufeinander. Im Lauf dieser Nacht ereignet sich vieles, was das Leben der beiden von Grund auf ändert. Die Leben der beiden Frauen schlängeln sich von Kapitel zu Kapitel umeinander. Das zeigt sich auch daran, wie die einzelnen Abschnitte gestaltet sind, zu Beginn jeder Einheit. Der ganze Roman ist unterteilt in Nacht und Tag, in Janis und Sina. Raffiniert, dass die beiden Namen bis auf das J dieselben Buchstaben haben. Noch dazu heißt Sina, die ohne J, mit Familiennamen Jott. Ein Kunstgriff auch, dass mal in der Ich-Form (Janis), mal in der 3. Person erzählt wird.
Mir gefiel, dass diverse Lebensfragen und -themen angesprochen wurden. Das gibt etliche Denkanstöße für den Leser. Auch kann man einiges aus dem Fachwissen durchaus für sich nutzen. Liebenswert sind die Augenblicke, wenn Sinas Tochter Ida pantomimisch ein Luftkonzert aufführt, gar noch in aller Öffentlichkeit.
Gut gefiel mir auch die Szene mit Janis‘ Stiefeln beim Versuch, bei Schmittie daheim Erotik ins Spiel zu bringen. Immer wieder werden überraschende Szenen hineingestreut, bunt, vielfältig, lebensnah. Originelle Figuren sind im Spiel, die sofort vor dem inneren Auge erstehen und den Text plastisch werden lassen.
Ich muss beschämt gestehen, dass ich aufgrund des Titels ein eher langweiliges Buch erwartet habe, aber das ist es keineswegs. Nach diesem lesenswerten Roman bin ich neugierig auf Tamar Noorts anderes Werk, ihren Erstling „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“. Den muss ich unbedingt auch lesen.

Bewertung vom 09.08.2025
Unsere letzten wilden Tage
Bailey, Anna

Unsere letzten wilden Tage


sehr gut

Wildheit bei Mensch und Tier

Eine junge Frau, Loyal, kehrt nach Jahren, da ihre Mutter dement zu sein scheint, nach Hause zurück, quasi von der Zivilisation zurück in die Wildnis, und das fast wörtlich. Denn mit der Jagd auf Alligatoren sind auch die Menschen in der Gegend wild und rau geworden. Ominöse Banden üben eine Schreckensherrschaft aus, Drogenhandel, Gewalt, Korruption und eine inkompetente Polizei säen Angst und Vorsicht.
Ein Mädchen stirbt im Fluss. War es wirklich Selbstmord? Ein anderes ist tagelang abgängig. Hängt das eine mit dem anderen zusammen? Die Journalistin Loyal hört nicht auf, Fragen zu stellen. Sie lässt sich nicht einschüchtern und gerät damit in Situationen, die leicht hätten tödlich enden können.
Der Titel des Romans klingt so, als würde eine unbeschwerte Zeit beschrieben, bevor der sogenannte Ernst des Lebens beginnt, Doch dem ist nicht so, denn die Hauptprotagonistin Loyal hinterlässt das Trümmerfeld einer Freundschaft, bevor sie nach Houston zieht.
Zahlreiche Blickwinkel durchleuchten die Geschichte und bewirken, dass die einzelnen Figuren gut zu verstehen sind. Der Roman erinnert mich stark an „Alligatoren“ von Deb Spera, aber nur anfangs, denn hier geht es um ein ganz anderes Thema. Immer wieder wird der Leser in eine falsche Richtung geführt, sodass sich stets neue Überraschungen auftun und die Spannung unaufhörlich am Köcheln ist. Zutiefst Menschliches schält sich heraus, gewaltige Schwierigkeiten im Zwischenmenschlichen, ein mitreißender Strudel von Gefühlen.
Die Personen sind so lebensnah gezeichnet, dass ich sie vor mir gesehen und die kommenden Ereignisse manchmal vorausgeahnt habe. Der erwartete Sturm wiederum ist derart bedrückend und drohend geschildert, dass ich bei der Vorstellung der örtlichen Schwüle ins Schwitzen kam.
So idyllisch das Cover (eine Flusslandschaft im Abendlicht) auch wirken mag: Es täuscht gewaltig! Hier lauern nicht nur die Alligatoren in den Sümpfen des Flusses, sondern auch die Menschen an Land und auf den Booten. Oft genug im Verborgenen, sodass sie dann mit einem machtvollen Überraschungseffekt über friedliche Bürger hereinbrechen. Genau wie die gejagten Alligatoren.
Ein aufwühlendes Buch, das mich immer mehr mit sich riss. Schließlich konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen.

Bewertung vom 24.07.2025
Lilianas unvergänglicher Sommer
Rivera Garza, Cristina

Lilianas unvergänglicher Sommer


sehr gut

Mord aus männlicher Eitelkeit

Nach und nach entrollt sich das Leben einer jungen, modernen, unbeschwert lebenden Frau. Sie studiert, trennt sich von ihrem Freund und wird dafür von ihm ermordet. Doch dafür wird er nie verurteilt, denn die Tat wird, obwohl es kaum Zweifel daran gibt, als Suizid deklariert. Er selbst lebt unbelastet fort. Fast 30 Jahre später kehrt Lilianas Schwester, eben die Autorin Cristina Rivera Garza, nach Mexiko zurück und fordert Gerechtigkeit. Doch diese ist beinahe unmöglich zu erhalten, denn die Bürokratie und das Patriarchat insgesamt behindern alle Bemühungen. Denn eine „Tat aus Liebe“, wenn es denn schon eine solche gewesen sein mag, wird nachsichtig beurteilt.
Und das ist das wahre Grauen einer solchen Tat, dass Männer beinahe ermutigt werden, sie ungestraft zu wiederholen. Und dass Frauen sich nirgends auf der Welt sicher fühlen können. Denn auch heute noch grassiert der Femizid, in den letzten Jahren gerade zum Beispiel in Österreich. Man spürt besonders in dieser Hinsicht, dass in Ländern wie Mexiko hauptsächlich die Männer bei der Justiz vorne dran und bestrebt sind, auf ihr eigenes Geschlecht möglichst wenig Schatten fallen zu lassen. Das muss einmal gesagt und geschrieben werden.
Das Cover führt den Betrachter in die Irre, denn wer man glaubt, einen leichten Sommerroman in Händen zu halten, täuscht sich gewaltig. Es ist harte Kost, über das zu lesen, was einem eigentlich leider nichts Neues mehr ist, das man aber aus seinem Alltag gern verdrängt.
Auch das Schriftbild macht einem die Lektüre nicht gerade leicht. Für meinen Seniorenbegriff eher klein und dicht gedruckt, sind die Absätze teils sehr lang. Streckenweise musste ich mich regelrecht durchkämpfen. Auch das kursiv Gedruckte war mühsam zu lesen. Hingegen lockerten Fotos und andere Bilder das Ganze auf. Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Aussagen verschiedener Personen geben der Person Liliana zusätzlich zu den Schilderungen durch ihre Schwester Cristina noch mehr Tiefe und Deutlichkeit, auch was über den (offensichtlichen) Mörder gesagt wird. Dass der auch noch Angel, Engel, heißt, mag wie ein Hohn erscheinen.
Aus verletzter Eitelkeit, eben wegen einer Zurückweisung, wurde Angel zum „Todesengel“ und das auch noch, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden – denn das nicht grauenhast ist! Müssen Frauen sich denn immer noch den Wünschen der Männer fügen? Ein Buch, das man nicht einfach verschlingen kann, sondern in kleineren Häppchen langsam sacken lassen sollte. So kann auch weniger übersehen oder -lesen werden.

Bewertung vom 02.07.2025
Furye
Rubik, Kat Eryn

Furye


sehr gut

Trotz allem hoffnungsvoll

Drei Mädchen, die sich in der gemeinsam besuchten Schulklasse finden und zu Freundinnen werden. Jede von ihnen hat ihre Schwierigkeiten zu tragen, doch gemeinsam fühlen sie sich unbesiegbar. Als das Leben an Härte zunimmt, werden sie zu Furien, planen Selbstjustiz, rächen, töten. Ja, auch das. Doch der Roman endet versöhnlich und voller Hoffnung, zumindest für die einzige der drei Furien, die wirklich im Leben angekommen ist und ausschöpfen kann, was es ihr bietet.
Viele von uns dürften sich in ihnen erkennen, und besonders gegen Schluss ist es eine sehr bewegende Geschichte. Doch trotzdem hätte ich Alec manchmal am liebsten daran gehindert, das zu tun, was in der Folge geschah. Sehr viel Schmerz für so junge Leute, Verwirrung, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein, Zerrissenheit, Gewissensbisse (deshalb auch „Furien“ gemäß der griechischen Mythologie).
Die Autorin kehrt in ihren Erinnerungen immer wieder zurück in die Jugend, die Anfangsjahre der Protagonistinnen. Damit der Leser das besser nachvollziehen kann, ändert sie bei den Rückblicken die Schrift, aber da muss man schon genau hinsehen. Ich fand diesen Kniff jedenfalls gekonnt und raffiniert.
Mir gefällt der stimmige Sprachstil, der auf das jeweilige Alter der Erzählerin Alec eingeht und mal erwachsener, mal jugendlicher klingt. Die Umschlaggestaltung ist eine Wohltat fürs Auge, gerade während der jetzigen Hitzewelle. Er täuscht eine Ferienstimmung am kühlen Pool vor, aber Achtung: Der Roman ist KEINE leichte Sommerlektüre. Er geht ordentlich unter die Haut.

Bewertung vom 15.06.2025
Die Hummerfrauen (eBook, ePUB)
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen (eBook, ePUB)


sehr gut

Verlustreiche Geschichte

Ein hartes Leben führen die Familien der Hummerfischer auf der Insel, welche jedes Jahr im Sommer zahlreiche Touristen anzieht. So auch die von Christopher und Mina. Beide haben sich mit Inselkindern angefreundet, die mit den Jahren mehr als nur Freunde geworden sind. Doch das Schicksal schlägt gnadenlos zu, auch bei den Feriengästen.
Jahre später wird Mina wie Strandgut ans Ufer gespült und wieder in den Inselalltag eingegliedert, besonders von der alten Hummerfischerin Ann und ihrer jüngeren Freundin Julie. Da ist auch wieder Sam, ihr Vertrauter aus Kindertagen.
Diese drei Generationen von Frauen leben vom Fischen, sie kennen die Härte von Klima und Meer, und jede hat tiefgreifende Verluste zu verschmerzen. Doch sie lassen sich nicht unterkriegen. Denn nicht sonniges Wetter, sondern schwere Stürme haben sie stark gemacht. Und so bewältigen sie auch gemeinsam, was im Lauf der Jahre noch daherkommt. Großartige Frauen, diese drei!
Nach und nach treten Geschehnisse ans Licht, die auch noch zu verkraften sind. Es geht ebenfalls um Neuanfänge, ob beruflich, partnerschaftlich oder was die örtliche Zugehörigkeit betrifft.
Mir hat der frische Erzählstil sehr gefallen, auch der Humor dieser schlagfertigen Frauen, die sich in der herkömmlichen Welt einer bisherigen Männerdomäne zu behaupten wissen. Spannend von A bis Z hat mich dieser Roman kaum zur Ruhe kommen lassen. Das ist kein leichter Sommerroman, um mal so an den Strand mitgenommen zu werden. Er beleuchtet auch die meist schwierige Situation zwischen Menschen, die sich nicht so leicht anderen Leuten öffnen können, auch die zwischen Müttern und Töchtern, welche sich nur schwer nähern können.
Ausgezeichnet gefiel mir die äußerliche Gestaltung des Buches. Während auf dem Schutzumschlag ein rötlicher, also gekochter Hummer abgebildet ist, schmückt auf dem Hardcover ein blauer, lebender den glatten weißen Grund. Blau ist ja auch das „Haustier“ im Aquarium, Mr. Darcy, ein Hummer, der offensichtlich freiwillig bei Ann lebt. Ein wunderbarer Roman!

Bewertung vom 07.06.2025
Sputnik
Berkel, Christian

Sputnik


gut

Wer ist er eigentlich?

Angefangen von den ersten Tagen im Mutterleib über die Geburt, die früheste Zeit der Kindheit, die ersten Jahre im Leben eines Mannes, all das schildert Christian Berkel in seinem neuesten Roman „Sputnik“. Dabei geht er ausführlich auf die einzelnen Stationen ein, teils wohl aus eigener Erfahrung, teils fiktiv. Denn wie ein Fötus oder Embryo sein Dasein wahrnimmt, weiß keiner von uns mehr.
Der Erzähler beschreibt, wie er (nach seiner Kindheit in Deutschland) in Frankreich studiert, den ersten Unterricht für eine mögliche Schauspielkarriere erhält und vor allem seine über ihn hereinbrechenden sexuellen Nöte und Verwirrungen. Dabei hat der Protagonist mir fast schon leidgetan. Immer auf der Suche nach sich selbst, zumal seit seiner Geburt nicht wirklich klar ist, ob er denn nun wirklich der Sohn seiner Eltern ist. Auch auf der Bühne bleibt es eine Suche nach der eigenen Persönlichkeit. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Nach der Lektüre von „Apfelbaum“ und „Ada“ hegte ich große Erwartungen an den Autor, denn diese beiden Bücher hatte ich mit Begeisterung gelesen. Bei „Sputnik“ wurde ich damit aber von Anfang an stark eingebremst. Mir scheint das Werk über viele Seiten hinweg zu langatmig, sodass ich angefangen habe, quer zu lesen. Der Roman hat entschieden weniger Drive und Spannung als die bisherigen Bücher von Christian Berkel. Sein Stil ist flüssig, doch habe ich mehr Stromschnellen erwartet.
Doch mir gefällt die gepflegte Sprache des Autors sehr. Auch das Coverbild ist sehr passend ausgesucht. Das Gesicht des jungen Mannes spiegelt viel von dem, was der jugendliche „Held“ durchlebt: große Unsicherheit und die Absicht, es der Gesellschaft um ihn herum recht zu machen. Und auch die Frage, die er sich schon als Kleinkind stellen musste: Wer oder was bin ich überhaupt? Tatsächlich das Kind meiner Eltern? Jude oder nicht?
Mir gefiel auch folgender Kunstgriff: Mit einer Übung vor den angesetzten Theaterproben führt er den Leser wieder zum ersten Kapitel zurück. Nur der Sinn der allerletzten Zeile hat sich mir nicht erschlossen.