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Benutzername: 
Emmmbeee
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 15 Bewertungen
12
Bewertung vom 31.03.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


gut

Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Das Skelett der Geschichte ist rasch errichtet: Die Tochter Linn kehrt nach einem Schwächeanfall von ihrem Studienort nach Hause zurück und lebt nun erneut mit ihrer Mutter Anett im selben Haushalt. Doch in der Zwischenzeit hat sich vieles geändert, und es ist nicht leicht, einander bei jedem Tun zu tolerieren, das gegenseitige Verständnis ist beinahe verschwunden. Auch der frühe Tod des Gatten und Vaters schiebt sich immer wieder düster in das Denken der beiden. Haben sie sich denn überhaupt jemals richtig kennengelernt, die junge Frau und ihre Mutter?
Es beginnt recht ruhig, dann tauchen die ersten Unebenheiten, Stolpersteine, Schwierigkeiten auf, bis knapp vor dem Zerreißen. Psychische Probleme und extreme Verschlossenheit bei Linn machen das Zusammenleben nicht leichter.
Insgesamt wirkt die Handlung bedrückend, insbesondere da an vielen Stellen die Gefahr des Versinkens im Schlick am Meer aufgezeigt wird. Zusätzlich werden Themen angesprochen, die uns alle betreffen und auch dem Gerechtigkeitsempfinden empfindlich auf den Zahn fühlen.
Der Titel des Romans „Halbinsel“ bezeichnet nicht nur die geografische Lage des Hauses, sondern meiner Meinung nach auch das Exponierte der beiden Protagonisten samt der Personengruppe in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die persönliche Einsamkeit wird öfters angedeutet, dazu kommen Generationenkonflikte, Reibereien zwischen Mutter und Tochter, das völlig andere Denken und Empfinden der Jüngeren, die umfassende Sorge der Älteren. Vermutlich finden sich Frauen jeder Altersgruppe in einer der Personen wieder.
Als mein Lieblingsbuch kann ich den Roman nicht bezeichnen, weiterempfehlen kann ich ihn eher nicht.

Bewertung vom 27.03.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


ausgezeichnet

Liebe und Sühne eines Mannes

Was so idyllisch wirken kann, und damit meine ich das zufriedene Leben auf einer Farm, gerät durch einen Strudel von Gefühlen durcheinander, für alle Beteiligten. Erst ist es eine ungestüme Liebe zwischen Jugendlichen. Dann ein Kind, über das sich alle sehr freuen. Jedoch zerschlägt das Schicksal gnadenlos die schönen Dinge wieder. Ein Mann kehrt zum Haus seiner Eltern zurück, und mit einem Mal sind sämtliche Menschen stark gefordert, die ihn von früher kennen.
Es ist mehr als nur eine Liebesgeschichte, denn die Familie steht nicht einfach nur daneben, sie ist ja ebenso betroffen. Dreh- und Angelpunkt ein kleiner, allzu früh verstorbener Junge, geliebt von allen Personen, die vorkommen. Letzten Endes geht es um Sühne, um soziale Kompetenz, um Liebe, und das über alle Umstände hinweg.
Die fünf Teile des Romans sind übertitelt mit den Namen der tragenden Personen, die Erzählerin selbst ist Mittelpunkt dessen, was geschieht. Der Pol, um den sich alles dreht. Die Story beginnt ruhig, doch bald entwickelt sie einen gewaltigen Sog. Als sich meine Ahnung bestätigte, was geschehen war, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Eine enorme Spannung hält den Ablauf der Geschichte. Immer wieder werden Rückblicke geboten, um zu verdeutlichen, was vorher geschehen ist. In der ersten Person und in der Gegenwart geschrieben, lässt der Text den Leser richtiggehend eintreten und mit von der Partie sein.
Ich finde „Wie Risse in der Erde“ eins der besten Bücher, die ich heuer gelesen habe, und das sind immerhin bereits 55. Ein sehr empfehlenswerter Roman.

Bewertung vom 24.03.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Herzerwärmend!

Martin Suter schreibt auf der Rückklappe des Romans „Für Polina“, dass er vielleicht zum ersten Mal beim Lesen Tränen hatte, aber keine traurigen. Und ich ahne, welche Stelle er gemeint hat, denn genauso ging es mir.
Das Buch fängt bereits wunderschön an. Die Figuren sind fast durchwegs liebenswert gezeichnete Charaktere, die Lebensart im Moor eingängig beschrieben. Es ist die Geschichte einer ausdauernden, tiefen Liebe vom ersten Lebenstag an. Eine Sonate, der geliebten Polina gewidmet, erweist sich als menschen-, ja völkerverbindend. Menschen schöpfen aus der Musik des Protagonisten Hannes eine solche Fülle kostbarer Anregungen, dass ich von einer musikalischen Fundgrube sprechen möchte. Nun ja, hier gewinnt die Handlung märchenhafte Züge, auch weil Hannes‘ Karriere unwahrscheinlich scheint. Charmant, dass Polina aus einem einfachen Ja ein „Hast du Tollkraut gegessen?“ macht.
Es ist erstaunlich, was der Autor in klarer Sprache, dabei sehr berührend, mit diesem Werk auf die Beine gestellt hat. Die Spannung ließ mich das Buch kaum aus den Händen legen. Lange war mir die Rolle des Gorillas John Daniel rätselhaft. Wie schön, dass es sich löste.
Lasst es mich so beschreiben: Lange nicht mehr habe ich ein so herzerwärmendes Buch gelesen, es ist geradezu ein Wohlfühlbuch. Ich lege es vielen von euch ans Herz.

Bewertung vom 09.03.2025
Schwimmen im Glas
Lugbauer, Eva

Schwimmen im Glas


gut

Nöte eines jungen Mädchens

Was der jungen Lore durch den Kopf geht, sind kritische Betrachtungen ihrer Umwelt und zweifelnde Fragen: Warum werden Buben und Männer so völlig anders behandelt als Mädchen? Warum wird Frauen so oft der Mund verboten, warum müssen sie Klischees erfüllen und gehorchen, auf eigene Interessen verzichten? Auch wenn der Schauplatz ländlich ist und die Stadt offenbar mehr Freiheiten bietet, so ist es doch ein allgemein verbreitetes Gesellschaftsbild und Rollenverhalten, das sich häufig bis heute erhalten hat.
Meiner Meinung nach sollte uns die Problematik bewusst sein, um der noch längst nicht völligen Gleichberechtigung der Geschlechter zu weiterem Durchbruch zu verhelfen, auch um die Tätigkeiten von Frau und Mann in Beruf und Familie gleichwertig zu sehen.
Doch sonderlich spannend fand ich den Handlungsablauf nicht. Zeitweise wollte ich das Buch schon zuklappen, habe es aber dennoch zu Ende gelesen, vor allem, da die Seitenanzahl eher gering ist, aber zeitweise bin ich fast eingeschlafen. Doch, die Sprache ist authentisch, die Vorgänge sind nachvollziehbar und wohl den meisten Leserinnen leider nur allzu bekannt. Beim Schreibstil gefiel mir, dass mit „Gedankenstrichen“ vieles unausgesprochen bleibt und trotzdem selbst vom Kind wahrgenommen wird, ebenfalls die genaue Zeichnung der Personen und ihres Charakters. Der Tante Ursula allerdings hätte ich mehr Tatkräftigkeit und größeren Einfluss auf ihre Nichte Lore gewünscht.
Ich wüsste jedoch nicht, wem ich den Roman empfehlen sollte. Vielleicht einem jungen Menschen, der von sich aus noch nicht kritisch genug die Welt um sich herum wahrnimmt?

Bewertung vom 20.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


sehr gut

Vaterland und Muttersprache

Ein Riss geht durch die Ukraine: hie russlandfreundliche Menschen, hie unabhängig bleiben wollende Ukrainer. Ebenso geht der Riss durch die vor Jahren geflohene, ausgewanderte Familie des Autors. Mama Kapitelman steht auf Seite Putins und hält die russische Sprache hoch. Papa bevorzugt alles Ukrainische. Der Sohn will es mit seiner Mutter nicht verderben, kann aber ihre einseitigen Ansichten nicht billigen. So sitzt er zwischen zwei Stühlen, während die Handys und ihre Meldungen zur familiären Kluft noch beitragen. Die Widersprüche fangen bereits bei der Meteorologie an, die der Berichterstattung im Fernsehen deutlichst widerspricht.
Sohn Dmitrij führt den familieneigenen Laden, der allerlei russische Waren anbietet und muss auf Einkaufstour von Leipzig quer durch Polen in die Ukraine. Dort erfährt er am eigenen Leib, dass seine Mutter unrecht hat und die Kriegsmeldungen keineswegs Fake, sondern bittere Wahrheit sind. Zudem läuft er Gefahr, aufgrund seines Geburtsortes Kiew und trotz der deutschen Staatsbürgerschaft sofort zur Armee eingezogen zu werden.
Selbstverständlich ist es ein autobiographischer Roman, denn die Namen der Familienmitglieder werden verwendet. Und er offenbart, wie die Secondos mit dem Leben in dem Land, in dem sie aufgewachsen sind, und dem in der alten Heimat umgehen. Durchaus gespalten, kein Wunder, wenn der ideologische Riss mitten durch die Familie geht.
Es sind furchtbare Bilder und Schicksale, die vor dem Leser ausgebreitet werden, vermutlich ohnehin in eher schonender Form und Auslese. Dabei versteht es Dmitrij Kapitelman, auch noch Humor und Sprachwitz in die Geschichte zu flechten.
Überhaupt die Sprache spielt eine große Rolle. Allerdings wäre ein Vokabularium kein Luxus gewesen, denn manche Begriffe erklären sich erst im Lauf der Story solchen Menschen, die des Russischen nicht mächtig sind. Zudem ist vieles in kyrillischer Schrift gedruckt. Erläuterungen wären also sehr hilfreich gewesen, um sich besser ins Geschehen und die Bedeutungen hineinfinden zu können.
Der Autor spricht inzwischen längst ein fehlerfreies Deutsch, aber er versteht es, osteuropäischen Slang, slawischen Akzent ins Stück zu stricken. Sprachlich sehr gekonnt, wie schon in seinen früheren Werken zu lesen war. Und es ist eine Kunst, aktuelle politische und gesellschaftliche Zustände gleichzeitig genau aufs Korn zu nehmen, sie zu beschreiben und den Leser dennoch mit einem Lächeln auf den Lippen zu entlassen. Sehr empfehlenswert!

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