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Snowbird

Bewertungen

Insgesamt 12 Bewertungen
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Bewertung vom 25.08.2024
Beale Street Blues
Baldwin, James

Beale Street Blues


ausgezeichnet

James Baldwin wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat der dtv-Verlag seine Romane und Essay-Bände neu aufgelegt. Miriam Mandelkow hat sie neu übersetzt.

„Beale Street Blues“ erzählt die Geschichte von Vonny und Tish, einem jungen Liebespaar im New York der 70er Jahre. Die beiden kennen sich von Kindheit an, und plötzlich war sie da, die Liebe. Alles könnte so schön sein, denn gerade haben sie einen Speicher in Harlem bezogen, in dem der bildende Künstler Vonny auch arbeiten kann, und sie wollen heiraten, denn Tish ist schwanger. Doch bevor es dazu kommt, wird Vonny von einem rassistischen Polizisten verhaftet und für eine Straftat angeklagt, die er nicht begangen hat.

Tish ist die Erzählerin dieser Geschichte, die so ausweglos erscheint und dennoch voller Hoffnung ist und voller Liebe. Die Freude auf das erwartete Baby zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, dieses kleine Wesen ist der Hoffnungsschimmer am Horizont und der Motor, der die Familie kämpfen lässt. Baldwin wirft uns mitten hinein in die Handlung. Es gibt eine Erzählzeit und eine erzählte Zeit. Schicht um Schicht wird freigelegt, was zu Vonnys Verhaftung führte. Dabei hatte ich das Gefühl, immer bereits ein wenig mehr zu wissen, als er Tish berichten lässt. Es ist die immer gleiche Gesichte von weißer Überlegenheit, die Baldwin uns hier erzählt, sie könnte 1950 spielen oder 1910 oder heute. Beim Lesen hatte ich „I can’t breathe!“ im Ohr. Ein bisschen anders läuft es hier ab, der Polizist legt nicht selbst Hand an, aber er weiß, an welchen Schrauben er drehen muss.

Die Geschichte eines Freundes diente Baldwin als Inspiration für diesen Roman, zu dem Daniel Schreiber ein sehr schönes Nachwort geschrieben hat. Ich habe zum ersten Mal Baldwin gelesen und freue mich sehr, mit diesem wunderbaren Buch den Einstieg in sein Werk gefunden zu haben. Hiermit lege ich es euch dringend ans Herz.

Bewertung vom 16.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Reza ist 9 Jahre alt, als er in den 80er Jahren mit seinen Eltern aus dem Iran nach Deutschland flieht, wo er fortan in einer Plattenbausiedlung in Bochum lebt. Reza ist ein äußerst sensibler, kluger Junge und später junger Mann, dem Khani eine wunderbare, poetische, bildhafte und fein ziselierte Sprache in den Mund legt. Rezas Leben wird geprägt durch Erfahrungen, Herkunft, Erziehung und Umfeld. Seine akademisch gebildeten Eltern, die alles dafür tun, Land und Leute zu verstehen, ahnen wenig davon, wie vollkommen konträr zu ihrer inneren Haltung die Zustände draußen in ihrem Wohnviertel sind.

Khani lässt Reza und seine Eltern viele Beobachtungen über Deutsche machen, die sehr vielsagend und aufschlussreich, ja teilweise erschütternd sind, für die uns selbst aber die Feinfühligkeit fehlt. Es gibt eine Szene, in der Reza und seine Eltern Kornelkirschen pflücken, die sie aus dem Iran kennen, die in Deutschland nicht so verbreitet sind. Eine Menge Leute beobachten das und schauen seltsam, sagen aber nichts, bis eine Frau anmerkt, dass die Kirschen giftig seien. Später sagt Rezas Vater: „Warum haben die anderen (…) nichts gesagt? Sie glauben, dass die Kirschen giftig sind, sehen, dass wir sie (…) essen und sagen nichts.“ ( S. 59) Ja, warum? Ist das symptomatisch für Deutsche? Falls ja, dann lässt es tief blicken. Ich kenne Kornelkirschen nicht, aber an dieser Stelle schäme ich mich stellvertretend für alle, die geschwiegen haben. Die besondere Weisheit des Vaters, seine Sicht auf Dinge und die Art, wie Khani ihn diese in Worte fassen lässt, beeindruckt mich sehr.

Das einleitende Kapitel beginnt mit dem Satz „Du warst fünf.“ Ich denke, dass es an seinen Sohn gerichtet sein soll, denn Khanis Biografie lässt vermuten, dass er Reza seine eigenen, persönlichen Erfahrungen andichtet. Auf knappen 200 Seiten erschafft er einen Lebenslauf von der Kindheit bis ins Erwachsenalter. Da fehlt kein Satz, er bleibt keinerlei Erklärung schuldig. Kein Wort ist zu viel.

Behzad Karim Khani hat kein schönes, aber ein sehr gutes Buch geschrieben, an dem man sich abarbeiten kann, abarbeiten muss. Ein Buch, das sehr viel Stoff zum Nachdenken, Hinterfragen und zur Selbstreflexion liefert, und das ist nicht immer angenehm. Wer sich gerne mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Migration und Fremdsein beschäftigt wird diesen Roman sehr gerne lesen.

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