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Havers
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Vaihingen an der Enz
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 175 Bewertungen
Bewertung vom 14.03.2025
Middletide - Was die Gezeiten verbergen
Crouch, Sarah

Middletide - Was die Gezeiten verbergen


gut

Elijah ist heimgekehrt. Der Traum von einer erfolgreichen Schriftstellerkarriere ausgeträumt. Zurück in Point Orchard im amerikanischen Nordwesten. Er muss seine Wunden lecken, muss heilen.

Anfangs lebt er isoliert, richtet die baufällige Hütte wieder her, in der er mit seinem trunksüchtigen Vater gelebt hat, schafft sich ein Heim. Streift durch die Wälder, legt Beete an, lebt von dem, was ihm die Natur schenkt. Der Heilungsprozess dauert, geht nur in kleinen Schritten vorwärts, doch mit der Hilfe eines väterlichen Freundes findet er allmählich zurück ins gemeinschaftliche Leben.

Aber die Vergangenheit holt ihn ein, als auf seinem Grundstück Erin Landry, die Ärztin des Dorfes, mit der er auch eine kurze Affäre hatte, erhängt aufgefunden wird. Anfangs geht der Sheriff von einem Selbstmord aus, wird aber hellhörig, als er feststellen muss, dass in Elijahs Roman ein ähnlicher Vorfall beschrieben wird. Ist das ein Selbstmord, der sich als Mord herausstellen wird?

Und schon wird aus dem erfolglosen Schriftsteller Elijah ein Verdächtiger in einem Mordfall, der seine Unschuld beweisen muss. Glücklicherweise findet er Rückhalt und Unterstützung bei seiner Jugendfreundin Nakita und deren Vater, die an seine Unschuld glauben und ihm helfen wollen, diese zu beweisen.

„Middletide – Was die Gezeiten verbergen“ ist das Debüt der amerikanischen Langstreckenläuferin Sarah Crouch. Geboren und aufgewachsen ist sie im Staat Washington. Zweifellos ein Pluspunkt, denn sie kennt ihre Heimat und weiß sie anschaulich zu beschreiben. Und diese Fähigkeit ist durchaus mit ihrem offensichtlichen Vorbild Delia Owens vergleichbar.

Leider verzettelt sich die Autorin im Aufbau ihrer leider vorhersehbaren Story in Einzelheiten, lässt sich seitenweise über Elijahs Nahrungszubereitung aus, über Gerüche, über die Hühner und, und, und. Lauter Dinge, die ablenken, mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben, langatmig sind und als Bremsklotz wirken. Dazu dann noch das ständige Hin und Her durch zahlreiche Zeitsprünge, die die Einordnung erschweren, das Tempo verlangsamen und den Fortgang der Geschichte unnötig in die Länge ziehen. Und warum hat Crouch fiktive Indigene erschaffen und in die Story eingearbeitet? Absolut überflüssig, da deren Herkunft absolut keine Auswirkungen auf die Handlung hatte? Wollte sie so dem Vorwurf der kulturellen Aneignung entgehen?

Wer eine spannende Lektüre sucht, die elementare Fragen nach „Liebe, Verlust und Rache“ thematisiert, wird enttäuscht sein. Zumindest war das bei mir der Fall, denn außer schönen Landschaftsbeschreibungen wurde mir hier leider nichts geboten. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass auch diese Geschichte ihre Leserinnen finden wird, denn Liebe, Verlust und Rache zieht immer.

Bewertung vom 12.03.2025
Ritter Sport - Ein Traum von Schokolade
Herold, Romy

Ritter Sport - Ein Traum von Schokolade


ausgezeichnet

Schokoladentafeln sind schon immer rechteckig. Aber es gibt eine Marke, die auf das quadratische Format setzt und sich so von der Menge abhebt, und das ist Ritter Sport. Wie kam es dazu? Dieser Frage gehen das Autorenduo Eva-Maria Bast und Jørn Precht (unter dem offenen Pseudonym Romy Herold) in ihrem historisch-fiktionalen Roman „Ritter Sport. Ein Traum von Schokolade“ nach, in dem sie sich mit der Entstehung dieser weltbekannten Schokoladenmarke auseinandersetzen, die auch gleichermaßen die Geschichte der Anna-Klara „Clara“ Göttle von der Schwäbischen Alb ist, die alles daran setzt, diesen Traum gegen alle Widrigkeiten zu realisieren.

Man muss den beiden Autoren ein großes Lob aussprechen, denn sie vermeiden den Fehler, der mir das Lesen vieler dieser historisch-fiktionalen Biografien verleitet hat, in denen es mehr um amouröse Verwicklungen als um die Sache an sich geht. Dieser Roman ist hervorragend recherchiert, was unter anderem durch den ausführlichen Anhang mit Nachwort, Figurenübersicht, Quellenangaben und Literaturübersicht belegt wird.

In einigen Rezensionen wurde moniert, dass man zu wenig über die Schokoladenherstellung und die Platzierung der Marke am Markt erfährt, stattdessen mit zu vielen zeitgeschichtlichen Informationen zugeschüttet wird. Untergliedert ist der Roman in drei zeitliche Blöcke, in denen jeweils besondere Herausforderungen mit Höhen und Tiefen zu bewältigen sind: 1897 – 1903, 1908 – 1919 und 1929 – 1954. In diesen Zeitraum fallen nicht zuletzt durch zwei Weltkriege einschneidende gesellschaftliche Veränderungen, deren Auswirkungen auf das tägliche Leben immens wichtig waren und deshalb nicht ignoriert werden sollten, weshalb deren Beachtung genau das bei mir den Reiz dieses Romans ausgemacht hat. Ohne diesen Kontext kann man die Entstehungsgeschichte des Traditionsunternehmens nicht verstehen.

Eine rundum gelungene Ergänzung im Bereich dieses Genres, die meinen Blick auf die seit 1932 „quadratisch, praktisch, gute“ Schokoladenmarke, die der von der Gründerin Clara Göttle geprägten Linie über diesen langen Zeitraum treu geblieben ist. Lesen!

Bewertung vom 09.03.2025
Der Polarkreis
Marklund, Liza

Der Polarkreis


ausgezeichnet

Liza Marklunds erfolgreiche Annika Bengtzon-Reihe habe ich sehr gerne gelesen, aber alles, was danach kam, konnte mich nicht mehr überzeugen. So ist es nicht verwunderlich, dass ich den „Polarkreis“ mit einer gewissen Skepsis in die Hand genommen habe. Die Zweifel lösten sich glücklicherweise bereits nach den ersten Seiten in Luft auf, denn mit diesem Kriminalroman, Teil 1 einer Trilogie, hat die schwedische Autorin einmal mehr einen Treffer gelandet.

1979, Stenträsk, eine Kleinstadt im Norden Schwedens. Fünf Teenager - Carina, Susanne, Birgitta, Agneta und Sofia – gründen einen Buchclub, den „Polarkreis“ und treffen sich erst wöchentlich, später einmal pro Monat, um sich über ihre jeweilige Lektüre mehr oder weniger intensiv auszutauschen. Ihre Zukunft scheint vorgezeichnet. Die einen geben sich mit den Aussichten auf das, was sie in ihrem Heimatort erwarten wird, zufrieden, die anderen wollen die Provinz hinter sich lassen, wollen hinaus in die Welt.

2019, Stenträsk, eine Kleinstadt im Norden Schwedens. Bei Reparaturarbeiten an einem Brückenpfeiler wird ein mumifizierter Leichnam gefunden. Der Kopf fehlt zwar, aber zweifellos handelt es sich um die vor 40 Jahren spurlos verschwundene Sofia Hellsten. Was ist damals geschehen? Und wer könnte einen Grund gehabt haben, Sofia zu töten? Diese Frage stellt sich nicht nur Wiking, mittlerweile Polizeichef in Stenträsk und ehemals Schwarm (fast) aller Teenager, sondern auch die vier ehemaligen Mitglieder des Buchclubs, die den Fund von Sofias Leiche zum Anlass für ein Treffen in ihrer alten Heimat nehmen.

Marklund springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, dröselt in kleinen Schritten das Beziehungsgeflecht zwischen den Mädchen auf und nähert sich so allmählich der besonderen Dynamik an, die innerhalb der Gruppe herrscht. Recht schnell wird klar, dass der äußere Schein trügt und unter der harmonischen Schicht bei genauerem Hinsehen jede Menge Neid und Verachtung in der Gruppe zu finden sind.

Die Einbettung individueller Schicksale und Lebensumstände in einen Kosmos, in dem jeder jeden kennt, sorgfältig aufgebaute Profile der Hauptfiguren, Umgebungsbeschreibungen, die mit der Gefühlswelt der Teenager korrelieren, das ist es, was diesen gelungenen Kriminalroman auszeichnet. Auch wenn der Mittelteil die eine oder andere Länge hat, jedes Detail ist wichtig, sollte beachtet werden und führt schließlich zu der schockierende Auflösung des Mordfalls. Ein gelungener Krimi, der es zweifelsfrei mit den früheren Werken der Autorin aufnehmen kann.

Band 2 „Das kalte Moor“ erscheint 02/2026, Band 3 „Der Sturmberg“ 03/2027. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wer in diesen beiden Fortsetzungen welche Leichen im Keller vergraben hat.

Bewertung vom 03.03.2025
Nest
O'Donnell, Roisin

Nest


ausgezeichnet

Frühling in Dublin. Eine Zeit des Neubeginns, des Wachsens. Ciara, eine Frau, die täglich auf Zehenspitzen durch ihr Leben schleicht, jedes Wort kontrolliert, bevor es ihren Mund verlässt. Ryan, ihr Mann, aggressiv bis zum Anschlag, der jede ihrer Handlungen überwacht, sie kontrolliert, kritisiert, isoliert, klein hält.

Doch dann…genug ist genug…nur eine dumme Idee. Vergiss es. Es reicht. Niemand sollte so leben müssen.

Sie nimmt die Wäsche von der Leine, schnappt sich ihre beiden kleinen Töchter, steckt ihren Notgroschen ein, setzt sich ins Auto und fährt davon. Ohne Ziel, nur weg. Doch wohin? Vor zwei Jahren hat sie es schon einmal versucht. Ohne Erfolg. Ist zurückgekommen. Nicht schon wieder. Kaum Geld, keine Arbeit, keine Unterkunft. Keine Freunde, bei denen sie unterkommen könnte. Mutter und Schwester leben in England.

Eine Hilfsorganisation vermittelt ihr für den Übergang ein Zimmer im Hotel Eden, dessen 5.Stock als inoffizielles Obdachlosenheim dient. Eden. Paradies. Fast könnte man meinen, dass die Bewohner verhöhnt werden sollen, aber die Behörden nehmen das, was zu kriegen ist, denn die Wohnungsnot in Dublin ist groß, das soziale Netz hat Riesenlöcher.Aus der Notlösung wird ein Dauerzustand. Sie findet eine Teilzeit-Stelle als Englischlehrerin, schließt Freundschaften, aber dennoch gibt es Phasen, in denen sie ihre Entscheidung anzweifelt. Und dann ist da ja auch noch Ryan, der Noch-Ehemann, gegen den sie sich zur Wehr setzen muss, weil er alle Hebel in Bewegung setzt, um das Sorgerecht für die beiden Töchter zu bekommen…

Die irische Autorin Roisin O’Donnell beschreibt in ihrem ersten Roman sehr anrührend und emotional anhand eines Einzelschicksals die Schwierigkeiten, mit denen Frauen zu kämpfen haben, wenn sie aus einer toxischen Beziehung ausbrechen wollen. Vor allem dann, wenn sie in finanzieller Abhängigkeit gelebt haben. Falls sie dennoch den Absprung wagen, beginnt dann der Weg durch Institutionen und Ämter, der oft aussichtslose Kampf mit Anträgen und Formularen. Aber gerade in patriarchalischen Gesellschaften können noch weitere Hindernisse auf sie warten, wie z.B. parteiische Richter am Familiengericht.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz gibt Ciara nicht auf, bietet den Härten ihres neuen Lebens die Stirn, um sich und ihren Kindern ein behagliches Nest und ein liebevolles Familienleben zu schaffen.

Bewertung vom 02.03.2025
Desolation Hill
Disher, Garry

Desolation Hill


sehr gut

3,5 (aufgerundet)

In „Desolation Hill“, dem vierten Band der Hirschhausen Reihe, sitzen wir einmal mehr auf dem Beifahrersitz des klapprigen Hilux und begleiten „Hirsch“ auf den Patrouillenfahrten durch seinen dünnbesiedelten Zuständigkeitsbereich im australischen Weizen- und Wollland. Die Fälle, um die sich der in Ungnade gefallene Senior Constable kümmern muss, sind üblicherweise auf den ersten Blick unspektakulär. Ein erschossener Schafbock, Online Mobbing, gefakte Sperrmüllsammlungen, das in den Boden gefräste Symbol der Ureinwohner, die schießwütige Frau eines Großgrundbesitzers und freilaufende Hunde. Doch dann ist da noch das verschwundene Backpackerpärchen und die Leiche mit ungeklärter Identität im Koffer. Wie wir es von Disher kennen, werden sich im Lauf der Story Zusammenhänge ergeben, Verbindungen sichtbar werden.

So weit, so gut und so erwartet. Zwei Dinge haben mich diesmal allerdings massiv gestört. Da ist der erhobene Zeigefinger, der immer wieder zwischen den Zeilen zum 1.) Thema Corona aufgetaucht ist. Desolation Hill (= Originaltitel Day’s End) ist 2023 erschienen, also zu einem Zeitpunkt, in dem das Thema Corona in aller Munde war. Und dass die Australier besonders rigide mit Lockdowns sowie Masken- und Impfpflicht waren, drang auch bis zu uns durch. Disher war wohl von den Maßnahmen überzeugt, lässt Hirsch zum Sprachrohr der offiziellen Linie werden und bezeichnet diejenigen, die den offiziellen Verlautbarungen misstrauen, als Covidioten. Zur Handlung tragen diese Bemerkung allerdings überhaupt nichts bei. 2.) Ähnlich ist es mit diesem Adlersymbol. Natürlich gilt es die Kultur der Ureinwohner zu respektieren, in diesem Punkt sind wir uns alle einig, aber muss die Thematik der kulturellen Aneignung hier auch untergebracht werden? Und 3.) war es wirklich notwendig, die Story mit diesem Showdown abzuschließen, der eher an eine amerikanische Actionserie erinnert und so überhaupt nicht zur Stimmung des Buches passt?

Der zweite Punkt ist die Übersetzung, die stark von dem abweicht, was man von Peter Torberg üblicherweise gewohnt ist. Beispiele gefällig? Was ist „ein besiegt wirkendes schmiedeisernes Tor“? Was sind „Schrumpffolienschenkel“? Und wie „installiert“ man sich auf den Rücksitz? Tut mir leid, aber das klingt noch nicht einmal wörtlich übersetzt, sondern wirkt einfach nur unpassend und schludrig.

Es kann nur besser werden, denn auch wenn das Buch mit Sicherheit auf den vorderen Plätzen der Krimibestenliste auftauchen wird, fällt es meiner Meinung nach im Vergleich mit den Vorgängern deutlich ab, wirkt zumindest im letzten Drittel lieblos zusammengeschustert, eher so, als hätte sich der Autor mangels eigenen Ideen an Schlagzeilen entlang gehangelt. Schade.

Bewertung vom 25.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


gut

Die Bankiersfamilie Van Laar veranstaltet jedes Jahr ein Sommercamp für Jugendliche auf ihrem Waldgelände in den Adirondacks. Aber an einem Tag im August 1975 ist plötzlich alles anders als zuvor. Barbara, die Tochter der Van Laars, ist weg, spurlos verschwunden wie schon ihr Bruder Bear vor vielen Jahren. Ein Verlust, der tiefe Wunden in der Familie hinterlassen hat und bis zu diesem Tag nicht hinreichend geklärt werden konnte. Es gab zwar Vermutungen, Erklärungen und die entsprechenden Aktionen von offizieller Stelle, aber dennoch blieben Zweifel.

Was ist mit Barbara geschen? Keine Hinweise, keine Spuren. Ist sie aus eigenem Antrieb verschwunden? Hat ihre erste Liebe sie dazu veranlasst? Wurde sie entführt? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang mit dem Ausbruch des verurteilten Mörders Jacob Sluiter aus dem Gefängnis? Wiederholen sich die Ereignisse um das Verschwinden Bears? Und wie kann die Famile den erneuten Verlust eines Kindes verkraften und damit umgehen?

Gerüchte und Vermutungen brechen sich Bahn, verändern den Blick der Außenwelt auf die Familie. Als eine groß angelegte Suchaktion kein Ergebnis bringt, muss an von dem Schlimmsten ausgehen und die Ermittlungen in die Hände der Polizei geben. Aber auch Judyta Luptack, die junge Inspektorin, verantwortlich in diesem Fall, steht vor einem Rätsel und kommt nicht weiter, was allerdings auch dem Umstand geschuldet ist, dass kein Vertrauen in sie gesetzt und sie massiv bei ihren Nachforschungen behindert wird.

Nun könnte man meinen, Liz Moore hätte einen Kriminalroman geschrieben. Weit gefehlt. Sie nutzt zwar das Verschwinden eines Teenagers als Ausgangspunkt, aber ihr eigentliches Thema ist die Milieustudie einer dysfunktionalen Familie im Allgemeinen und die verhängnisvollen Auswirkungen psychischer Misshandlung in den Beziehungen im Besonderen.

Durch den multiperspektivischen Aufbau ihres Romans führt sie uns die dunklen Abgründe, allmählich Risse und deren Auswirkungen vor Augen, die bei genauerem Hinschauen in den Beziehungen sichtbar werden. Die Geringschätzung, die Vernachlässigung, die psychische Gewalt – all das lauert um die Ecke und ist nicht nur im Familiengefüge der Van Laars zu finden.

Familiengeschichten, ein Thema, das schon oft in der Literatur beackert wurde und auch bei Moore kaum Neues zu bieten hat. Über weite Strecken habe ich mich als außenstehender, unbeteiligter Beobachter gefühlt, bar jeglicher Emotionen, die ich beim Lesen von „Long Bright River“ empfunden habe, was meiner Meinung nach an dem riesigen Personentableau lag plus den ausführlichen und sich teilweise wiederholenden Schilderungen alltäglicher Handlungen, beides für ein gleichmäßiges Dahinplätschern auf mittlerem Niveau, ohne große Höhen oder Tiefen, verantwortlich. Weit entfernt von dem Vorgänger, der mein Buch des Jahres 2021 war. Schade.

Bewertung vom 23.02.2025
Berchtesgaden
Otto, Carolin

Berchtesgaden


ausgezeichnet

Mai 1945. Der Krieg ist vorbei, aber die Wunden, die er geschlagen hat, sind noch offen. Die Amerikaner haben den Wettlauf gegen die Franzosen gewonnen und die Verwaltung übernommen. In Berchtesgaden herrscht Aufbruchstimmung. Die öffentlichen Ämter müssen neu besetzt werden, was sich als einigermaßen schwieriges Unterfangen herausstellt. Parteimitglieder, Mitläufer, Regimegegner, Kriegsheimkehrer und Überlebende, die dem Kriegsende ihre Freiheit verdanken. Alle benötigen den Persilschein, müssen sich deshalb einer Befragung unterziehen, aber nur wenige haben tatsächlich eine blütenweiße Weste.

An Einzelschicksalen sehen wir die Wunden, die der Krieg im Kleinen und Großen geschlagen hat. Frank, vor Kriegsausbruch gerade noch mit seiner jüdischen Familie nach Amerika geflüchtet, ausgebildet in Verhörtechniken in Camp Richtie, der die Befragungen der Einheimischen durchführt. Sophie, die naive junge Frau, die dessen Interviews protokolliert und sich in einen schwarzen GI verliebt. Rudolf Kriss (historisch verbürgt), von einem Nachbarn denunziert, was Konzentrationslager und Todesurteil zur Folge hatte. Nach der Befreiung Berchtesgadens Bürgermeister. Max, Sophies Bruder, Angehöriger der Waffen-SS, aus Angst vor Konsequenzen in die Berge geflohen…und…und.

Carolin Otto ist Drehbuchautorin (Polizeiruf, Tatort), und auch dieser Stoff hätte eigentlich eine TV-Serie zum 80. Jahrestag des Kriegsendes werden sollen. Aber da sich das Projekt zerschlagen hat, hat sie die Rechercheergebnisse zu ihrem Roman „Berchtesgaden“ verarbeitet. Zum Glück, kann ich da nur sagen.

Sie hat sich bei ihrer Recherche intensiv mit der Nachkriegsgeschichte Berchtesgadens auseinandergesetzt, thematisiert aber nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen, die sich (nicht nur) für die Einheimischen durch die Ankunft der Amerikaner ergeben. Jede/r der Protagonisten hat eine persönliche Geschichte, eine Vergangenheit, aber auch eine Zukunft. Ist Teil einer Gemeinschaft, die sich neu orientieren muss.

Und ja, man merkt die Drehbuchautorin. Ganz gleich, ob Personen, ihre Handlungen oder die Landschaft, alles wird sehr bildhaft und eindrücklich geschildert, vermittelt das Gefühl, man sähe es direkt vor sich. Und auch die Cliffhanger am Ende der aus wechselnder Sicht erzählten Kapitel sind perfekt gesetzt, so dass man unbedingt wissen möchte, wie sich die jeweilige Geschichte entwickelt und in das große Ganze eingebettet ist.

Ein gelungener historischer Roman, in dem die Einzelschicksale eng mit dieser besonderen Zeitspanne der unmittelbaren Nachkriegszeit verknüpft sind. Sehr informativ, aber auch spannend und einfühlsam erzählt. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 22.02.2025
What I eat in a day
Franssen, Sarah

What I eat in a day


weniger gut

Ich bin grundsätzlich skeptisch, wenn mir Laien etwas von gesunder Ernährung erzählen wollen. Noch misstrauischer werde ich, wenn dies von Influencerinnen und/oder ContentCreatorinnen kommt. Tja, was soll ich sagen? Meine Vorurteile wurden wieder einmal bestätigt, denn der Fokus der Autorin liegt weniger auf gesunden Mahlzeiten als vielmehr auf solchen, die der Gewichtsreduktion dienen.

Bunte Bilder, in denen sich die Autorin mit knappen Oberteilen in Szene setzt, unzählige Seiten, die den Eindruck vermitteln sollen, dass hier ein Profi schreibt, aber unterm Strich nur Allgemeinplätze zum Thema wiederkäuen, die man schon tausendfach gehört hat. Und ein 14-Tage-Plan, bei dem man sich weitestgehend aus der Schüssel, pardon, der Bowl, ernährt. Und auch die weiteren „Mahlzeiten“ sind nichts Besonderes: Pastagerichte, Salate, Smoothies – sorry, aber dafür braucht selbst ein absoluter Kochanfänger keine Rezepte.

Für diejenigen, die sich, wenn auch nur ansatzweise schon einmal mit dem beschäftigt haben, was bei ihnen auf den Teller kommt, ist dieser „Ratgeber“ komplett überflüssig.

Bewertung vom 17.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

107 Stunden, und die Uhr tickt. Knapp fünf Tage, und dann ist die Welt Geschichte. Die Welt, die nur noch aus 122 Menschen auf einer kleinen griechischen Insel mitten im Meer besteht, und eine Geschichte, die niemand mehr hören kann…

Wissenschaftler, die nicht nur das tägliche Leben sondern auch die Gedanken kontrollieren. Ein diffiziles Abwehrsystem, das vor dem schädlichen externen Einfluss schützt, der alles Leben auslöschen wird. Ein Mord, der genau dieses Abwehrsystem außer Kraft setzt und dem tödlichen Nebel Zugang gewähren wird. Und der verzweifelte Versuch, zu retten, was zu retten ist.

Ich bin kein Fan von Sci-Fi, und auch mit Dystopien kann man mich üblicherweise nicht hinter dem Ofen vorlocken. Aber Turtons neuem Roman gelingt es, was einmal mehr dem Genre-Mix geschuldet ist, den der Autor so perfekt beherrscht. Seine Bücher werden zwar durchgängig mit dem Etikett Kriminalroman versehen, lassen sich aber durch die Komplexität, die sie auszeichnet, diesem Genre nicht eindeutig zuordnen.

Eine spannende, über weite Strecken unvorhersehbare Lektüre, die zum Nachdenken anregt. Lesen!

Bewertung vom 15.02.2025
America Fantastica
O'Brien, Tim

America Fantastica


gut

Boyd Halverson, einst Pulitzer-Kandidat, nun nur noch ein Journalist unter vielen, hadert mit dem Leben. Verantwortlich für seine missliche Lage macht er seinen Ex-Schwiegervater Jim und will sich an ihm rächen. Um das Vorhaben zu finanzieren, raubt er eine Bank aus und nimmt die Kassiererin Angie als Geisel. Gemeinsam mit ihr macht er sich zumindest anfangs relativ unbehelligt auf den Weg, um mit Jim abzurechnen. Interessanterweise sind es (aus Gründen) keine Gesetzeshüter, die die Verfolgung aufnehmen, sondern diverse zwielichtige Gestalten, angefangen bei Angies Freund und noch anderen Schlägertrupps. Während der Fahrt entspannt sich das Verhältnis zwischen Geisel und Geiselnehmer zunehmend, und so versorgt Boyd seine Mitfahrerin in einem nicht versiegenden Redestrom mit sämtlichen Informationen darüber, was wie und warum in Amerika aktuell schief läuft. Zu Beginn ist das stellenweise noch ganz interessant, aber im Verlauf nutzt es sich recht schnell ab und wird ermüdend.

Tim O’Brien hat den Kanal voll. Anders kann ich mir seinen Roman „America Fantastica“ nicht erklären, in dem er sich an der Realität (s)eines Landes während der ersten Amtszeit Trumps abarbeitet. Einer Zeit, in der Lügengespinsten die Wahrheit verdrängen, die schon längst keine Gültigkeit mehr hat. Während dieses aberwitzigen Roadtrips schildert er die gesellschaftlichen Veränderungen. Ein Versuch, die amerikanischen Mythen zu demaskieren, der mal mehr, mal weniger gut gelingt. Über weite Strecken kommt das zum einen durch die verwendeten Stereotypen leider viel zu stark überzeichnet daher und vermittelt zum anderen an vielen Stellen den Eindruck, dass hier jemand schreibt, der meint, den absoluten Durchblick zu haben und sich nach Zeiten zurück sehnt, die längst vergangen sind. So wird aus einem Roman mit Noir-Ansätzen eher eine Mischung aus Groteske, persönlichem Bekenntnis und Weltsicht, dessen Botschaft dadurch an Bedeutung verliert.

Kann man lesen, muss man aber nicht.