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Havers
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 195 Bewertungen
Bewertung vom 22.05.2025
Die Schwarzgeherin
Denk, Regina

Die Schwarzgeherin


ausgezeichnet

Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Bergbauerndorf. Weit oben in einem abgelegenen Tal in den Tiroler Bergen. Eine verschworene Gemeinschaft, die sich ihre eigenen Regeln geschaffen hat und deren Einhaltung einfordert, Abweichungen davon nicht duldet.

Regina Denk erzählt in „Die Schwarzgeherin“ die Geschichte der Theres Lachermeyer. Eine, die schon als kleines Mädchen anders war, sich diesen ungeschriebenen Gesetzen nicht gebeugt hat. Und das ändert sich auch mit zunehmendem Alter nicht. Sie hat ihren eigenen Kopf, will ihr Leben selbst bestimmen, sich den Erwartungen der Familie nicht unterordnen. Will frei und selbstbestimmt leben, was aber für die Frauen in dieser Zeit (und speziell hier in dieser Gemeinschaft) nicht vorgesehen ist.

Das Ausbrechen von Frauen aus vorgegebenen Strukturen ist ein Motiv, das sehr oft in Verbindung mit Landschaften auftaucht, die Herausforderungen sind, in denen den Protagonistinnen alles abverlangt wird. So auch hier. Aber meist sind sie auf sich allein gestellt, haben nicht, wie in diesem Fall, noch die Verantwortung für ein Kind. Hier Theres‘ unehelich geborene Tochter Maria, mittlerweile achtzehn Jahre alt, die an diesem isolierten Leben leidet und, anders als ihre Mutter, unter allen Umständen ins Dorf zurück will.

Denk lässt uns in Kopf und Herz dieser beiden Frauen schauen, nutzt dazu nicht nur abwechselnd die verschiedenen Sichtweisen von Maria und Theres, sondern im Fall der letzteren auch die beiden alles entscheidenden Jahre 1863 und 1882. Die Sprache herausragend, die Innenansichten berührend und in Kombination mit den Beschreibungen der beklemmenden Atmosphäre, der engstirnigen Dorfbewohner sowie der unwirtlichen, rauen Bergwelt einfach nur großartig. Und das Finale? Kommt mit einem Knalleffekt daher und lässt die Düsternis der Hoffnung weichen. Für alle.

Ein Highlight. Lesen. Unbedingt!

Bewertung vom 13.05.2025
Devil's Kitchen
Fox, Candice

Devil's Kitchen


schlecht

Ich versuche es zwar immer wieder, aber die Chancen stehen schlecht, dass Candice Fox und ich unsere Freundschaft erneuern. Ihre ersten beiden ins Deutsche übersetzten Bücher der Hades-Trilogie habe ich sehr gerne gelesen, aber alles, was danach kam, konnte mich leider nicht überzeugen. Interessanterweise sieht das bei den semiprofessionellen Krimi-/Thriller-Lesern durch die Bank weg ganz anders aus, die bei jedem Buch der Autorin verzückt juchzen und Lobeshymnen von sich geben, in die ich längst nicht mehr einstimmen möchte und kann.

Warum? Hier der Versuch einer Antwort am Beispiel von Devil’s Kitchen:

Die Inhalte ihrer Thriller sind selten neu. Sei es ein Gefängnisausbruch, verschwundene Kinder und deren verzweifelte Eltern oder, wie im vorliegenden Fall, die Feuerwehrleute als Brandstifter und Diebe. Hat man alles bereits verfilmt gesehen oder bei Autorenkollegen um ein Vielfaches besser geplottet gelesen (siehe dazu z.B. „Corruption“ von Don Winslow).

Ihre Protagonisten, in diesem Fall Ben und Andy, wecken null Sympathie, was in erster Linie daran liegt, dass sie wie künstliche, holzschnittartige Konstrukte daherkommen, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Daran ändert leider auch das 9/11-Trauma des (total unsympathischen) Anführers nichts.

Die langatmigen Einschübe, die Handlungen erklären sollen/müssen, bremsen das Tempo aus und killen jeden Spannungsfunken. Das sorgt dafür, dass man ständig in Versuchung ist, große Teile zu überblättern, um endlich zum Schluss zu kommen.

Alle diese Punkte könnten damit zusammenhängen, dass Fox in der Schreibschule von James Patterson das Handwerk gelernt und in den Anfängen ihrer Karriere auch für ihn geschrieben hat (stand früher auch noch auf ihren Covern). Schaut man sich die Qualität seiner Bücher an, wirken sie wie am Reißbrett konstruiert, folgen immer wieder dem gleichen Aufbau. Uninspiriert und in ihrer Masse auf blanken Kommerz angelegt. Grottig und keine Empfehlung…so wie Devil’s Kitchen von Candice Fox.

Bewertung vom 13.05.2025
The Bright Sword
Grossman, Lev

The Bright Sword


ausgezeichnet

Die Artus-Sage gehört zweifellos zum kulturellen Erbe Großbritanniens, und schon deshalb ist es interessant, sich die Neuerzählung des amerikanischen Fantasy-Autors Lev Grossman, den einige vielleicht als Autor der Fillory-Romane oder Schöpfer der Fernsehserie „The Magicians“ kennen. Wer nun aber glaubt, dass sein Epos „The Bright Sword“ eine bloße Nacherzählung ist, wird schnell feststellen, dass er sich irrt.

Grossman hat sich die Legende vorgenommen, in ihre Einzelbestandteile zerlegt und die Punkte herausgefiltert und an die Oberfläche geholt, deren Bedeutung im Lauf der Jahrhunderte durch zahlreiche Bearbeitungen an den Rand gedrängt wurden. Das bedeutet aber nicht, dass er auf Rittertugenden, Magie, Excalibur, den heiligen Gral und das, was Camelot ausmacht, verzichtet. Aber er hüllt dies in ein „moderneres“ Gewand, in dem die Vergangenheit, die Innenansichten und die Suche nach Identität zentral sind.

Was diesen Roman allerdings komplett von der Vorlage unterscheidet ist der Verzicht auf die klangvollen Namen, die einem als erstes in den Sinn kommen, wenn man nach den Protagonisten der Artus-Sage gefragt wird. Diese sind alle in der Schlacht von Camlann gefallen, so dass nunmehr nur noch die zweite Garde am Leben ist, um die Aufgabe zu erfüllen. Ergänzt wird dies durch den Neuling Collum, ein Möchtegern-Ritter von niederem Stand, misstrauisch beäugt von dem kläglichen Rest der Tafelrunde, in der er gegen alle Widerstände seinen Platz noch finden muss.

„The Bright Sword“ ist die etwas andere Neuerzählung einer Mär aus längst vergangener Zeit. Grossman beherrscht sein Handwerk und hat mir damit ein außergewöhnliches Lesevergnügen voller Magie und Säbelklirren, aber mit einem ungewöhnlichen Touch beschert. Es passiert mir selten, aber einmal begonnen, wollte ich es kaum noch aus der Hand legen.

Überzeugt euch selbst davon. Unbedingt!

Bewertung vom 11.05.2025
Die Lichter über St. Pauli / Elbnächte Bd.1
Engel, Henrike

Die Lichter über St. Pauli / Elbnächte Bd.1


sehr gut

Wie bereits in der vierbändigen Reihe um „Die Hafenärztin“ nimmt uns Henrike Engel auch in „Elbnächte. Die Lichter über St. Pauli“ - der Untertitel lässt es erahnen - mit in die historische Hansestadt an der Elbe. Wir schreiben das Jahr 1913, und abseits der noblen Villenviertel kreuzen sich in der Hamburger Unterwelt die Lebenswege dreier Menschen, die verschiedener nicht sein könnten. Luise, Ella und Paul, drei Menschen, deren Lebensumstände sich anders als erwartet entwickelt haben und die sich deshalb Herausforderungen stellen müssen, an denen sie wachsen werden.

Luise, die Tochter aus gutem Haus, steht vor den Trümmern ihres Lebens, als sie die Nachricht erhält, dass ihr Ehemann bei einem Duell ums Leben gekommen ist. Die Umstände erscheinen ihr zwar fragwürdig, aber alles Jammern hilft nichts. Sie, die noch nie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen musste, steht plötzlich vor einer Situation, in der sie ihre anfängliche Verzweiflung beiseiteschieben und zupacken muss, wenn sich eine Chance bietet. Umso mehr, da sie weder Ausbildung noch besonderen Qualifikationen hat, dafür aber den Schuldenberg, den ihr der Tote hinterlassen hat. Aber da ist auch der Schuldschein eines Barbesitzers auf St. Pauli der ihr beim Sichten der Unterlagen in die Hände fällt.

Durch einen glücklichen Zufall lernt sie Ella kennen, eine gutherzige, junge Prostituierte, die vor ihren Peinigern geflohen ist und in Hamburg ein neues Leben beginnen will. Sie kennt sich im Milieu aus und unterstützt mit ihrer praktischen Intelligenz und Tatkraft Luises Plan, auf St. Pauli eine Bar zu eröffnen.

Und dann ist da noch Paul, der nach einem Anschlag einarmige Ex-Polizist, der des Lebens zwar überdrüssig ist, aber vor seinem Abgang unbedingt denjenigen zur Verantwortung ziehen will, der für sein erbärmliches Leben verantwortlich ist. Hinter all dem steckt seiner Meinung nach der Anführer einer Bande von Straßenkindern, die in dessen Auftrag Raubzüge durchführen, die nicht immer glimpflich ablaufen.

Als einer dieser Jugendlichen die beiden Frauen um Hilfe bittet, weil er des Mordes beschuldigt wird, gewähren sie ihm Unterschlupf, weil er beteuert unschuldig zu sein. Aber schnell müssen Luise und Ella feststellen, dass es höchst gefährlich ist, wenn man die Bahnen der Unterweltgrößen kreuzt. Glücklicherweise eilt ihnen Paul zur Hilfe und gemeinsam machen sich auf die Suche nach dem skrupellosen Mörder.

„Elbnächte“ ist einmal mehr ein historischer Frauenroman, in dem die Protagonistinnen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Der Autorin scheint aber gleichzeitig auch daran gelegen zu sein, den Leserinnen einen Eindruck vom täglichen Leben und dem Tanz auf dem Vulkan ein knappes Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs zu vermitteln, aber das ist ihr leider nur in Ansätzen gelungen. Zum einen mag das daran liegen, dass sie sich auf den Mikrokosmos Kiez konzentriert, zum anderen scheint es ihr in erster Linie darum zu gehen, das Wachsen und die Veränderungen der drei Hauptfiguren zu zeigen. Ob das in der Realität zu der damaligen Zeit so funktioniert hat, sei dahingestellt. Natürlich wird mit den üblichen Zutaten und den glücklichen Zufällen gearbeitet, aber das ist in diesem Genre üblich und habe ich auch nicht anders erwartet. Es gibt Rückschläge, gefährliche und unangenehme Situationen, aber dennoch werden die beiden Frauen ihre Ziele gegen alle Widerstände erreichen. So kennt man das. Der besondere Dreh war hier das Einbetten eines Spannungsfaktors durch die Krimihandlung, was durch unerwartete Wendungen für Abwechslung gesorgt hat und durchaus gelungen ist.

Alles in allem ein netter Schmöker für zwischendurch, der unterhält, auch wenn er das Rad nicht neu erfindet.

Bewertung vom 07.05.2025
Commissario Gaetano und der lügende Fisch / Commissario Gaetano Bd.1
Nola, Fabio

Commissario Gaetano und der lügende Fisch / Commissario Gaetano Bd.1


gut

Urlaubskrimi, der Dritte. Nach Portugal und Südfrankreich geht es diesmal mit „Commissario Gaetano und der lügende Fisch“ (Auftaktband einer neuen Krimireihe) nach Neapel im Süden Italiens.

Fabio Nola (Pseudonym) ist ein deutscher Historiker, der einen Teil seiner Studienzeit dort verbrachte, die Stadt und Mentalität ihrer Bewohner also kennt. Gute Voraussetzung, da ich seit Jahrzehnten Donna Leons Brunetti in Venedig und Andrea Camilleris Commissario Montalbano auf Sizilien begleite und diese Innenansichten der Autorin und des Autors sehr schätze. Ähnliches hatte ich mir auch von dieser Lektüre erwartet, denn was weiß ich schon von Neapel? Zum einen, dass dort angeblich die Pizza erfunden wurde, und zum anderen, dass die Camorra in und um Neapel immens großen Einfluss auf sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens, Wirtschaft und Politik nimmt. Eigentlich ein gutes Setting für einen spannenden Kriminalroman.

Neapel feiert seinen Stadtheiligen San Gennaro. Ganz Neapel? Nein, denn Gaetano, Commissario der hiesigen Polizei, wird zu einem Tatort im historischen Zentrum gerufen. Dort erwartet ihn der kopflose Turiner, der am Tag zuvor noch quicklebendig bei ihm in der Questura war und um Hilfe bat. Er fühle sich bedroht, berichtete von Einbrüchen in das Appartement während seiner Abwesenheit. Gaetano blieb, typisch Süditaliener, skeptisch, ging davon aus, dass der Norditaliener viel Wind um nichts machte. Aber jetzt ist er tot, und bei seiner Leiche liegt ein Fischkadaver mit brisantem Inhalt. Kein Grund weiter den Skeptiker zu geben, sondern Ärmel hochkrempeln und den Fall lösen.

Commissario Gaetano ist niemand, mit dem ich befreundet sein möchte, gerade weil mir seine sexistischen Kommentare zunehmend auf den Zeiger gegangen sind. Unsympathisch und respektlos, insbesondere gegenüber Frauen in seinem Umfeld. Und fachlich scheint er auch nicht der große Überflieger zu sein. Er ist ein uninteressanter Charakter, und das ist für eine titelgebende Hauptfigur tödlich. Sein Privatleben scheint offenbar nur aus familiären Problemen zu bestehen, die viel zu viel Raum einnehmen, aber komplett irrelevant für den Fall sind. Und leider strapaziert das nicht nur die Geduld der Leser, sondern killt zusätzlich auch noch die Spannung und das Interesse an der Auflösung.

Neapel als Hintergrund für einen Krimi ist passend, aber was ist das Besondere, was sind die Alleinstellungsmerkmale dieser Metropole? Laut und schmuddelig sind viele italienische Städte, aber leider ist es dem Autor, trotz oder wegen des Adjektiv-Gewitters, das ab der ersten Seite auf uns niederprasselt, nicht gelungen, das, was Neapel letztendlich ausmacht, zu transportieren.

Ein Reihenauftakt, bei dem noch deutlich Luft nach oben ist.

Zur Info: „Commissario Gaetano und das letzte Abendmahl“ (Band 2 der Reihe) erscheint im März 2026.

Bewertung vom 02.05.2025
Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1
Smith, Sally

Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Die Autorin ist eine Insiderin, hat als Barrister und King’s Counsel (eine Berufsbezeichnung, die nur besonders qualifizierten Anwälten verliehen wird) ihr gesamtes Berufsleben im Inner Temple verbracht d.h. ihr beruflicher Hintergrund ist mit dem ihres Protagonisten Sir Gabriel Ward KC identisch, was ihrem Kriminalroman eine ganz besondere Authentizität verleiht. Aber ob sie in ihrer beruflichen Laufbahn sich auch jemals als Privatdetektivin wider Willen betätigen musste? Wer weiß…

1901. England bereitet sich nach dem Tod Königin Victorias auf die Krönung Edward VII. vor. Auch im Inner Temple, dieser von der Außenwelt abgeschirmten Enklave des Londoner Rechtssystems, trifft sich eine ausgewählte Gruppe von Anwälten, um eine Krönungsfeiereier zu organisieren, wie sie London noch nicht gesehen hat.

Als Sir Gabriel Ward, KC am frühen Morgen auf dem Weg zu seinem Arbeitsräumen innerhalb des Temple ist, findet er auf den Stufen davor die Leiche des Lord Chief Justice, der mit einem Tranchiermesser getötet wurde. Gibt es einen Zusammenhang mit dem gestrigen Treffen? Und warum hat der Täter auch noch Schuhe und Strümpfe des Toten mitgenommen? Sehr seltsam.

Die hinzugerufenen Kollegen sind mit Wards analytischen Fähigkeiten vertraut, und so wird ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er sich um die Aufklärung des Verbrechens zu kümmern hat. Widerspruch unmöglich. Ihm zur Seite gestellt wird Constable Wright, der allerdings als Externer wenig zur Aufklärung des Mordfalls beitragen kann. Für Ward hingegen kommt diese neue Aufgabe zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, da er mitten in einem Fall von Urheberrechtsverletzung steckt, in dem es um ein populäres Kinderbuch geht, das die Abenteuer der Temple Church-Maus Millie zum Inhalt hat und sich zum Bestseller entwickelt hat.

Wie sich aber im Verlauf der Ermittlungen herausstellen wird, ist er genau die richtige Wahl für diese Aufgabe, schafft er es doch mit der ihm eigenen Beharrlichkeit den Täter schlussendlich zu entlarven.

Sally Smith hat mit „Der Tote in der Crown Row“ einen Kriminalroman um einen verzwickten Mordfall abgeliefert, der mit der Erzählweise und Sprache (wunderbar übersetzt von Sibylle Schmidt) in der Tradition der englischen Klassiker des Genres steht. In erster Linie überzeugt sie durch die Authentizität des Handlungsortes und die atmosphärischen Beschreibungen des Lebens innerhalb dieses „closed room“ Inner Temple, was natürlich ihrer beruflichen Vergangenheit geschuldet ist. Aber glücklicherweise verliert sie auch den Blick auf die Lebensumstände der einfachen Menschen außerhalb dessen Mauern nicht aus den Augen. Ganz gleich, ob Polizist, Küchenmädchen oder Obdachloser.

Aber auch ihr Protagonist Sir Gabriel ist sehr gut gewählt. Kronanwalt und Außenseiter im Heer der Temple Richter und Anwälte, nicht nur mit besonderen beruflichen Fähigkeiten, sondern auch mit den persönlichen Macken (Zwangsstörung etc.), die ihn mir sehr sympathisch gemacht haben. Und natürlich hat er das Zeug zum Serienhelden.

Die Fortsetzung der Reihe ist im englischen Original „A case of life and limb“ für Ende des Jahres angekündigt. Ich hoffe, dass die Übersetzung nicht zu lange auf sich warten lässt.

Bewertung vom 28.04.2025
Tödliches Carcassonne
Larroc, Pascal

Tödliches Carcassonne


gut

Wie man bereits dem Titel entnehmen kann, geht es diesmal ins Languedoc nach Carcassonne, frankophilen Leserinnen und Lesern durch das bestens erhaltene Wahrzeichen der Stadt, die historische Festungsanlage Cité de Carcassonne, ein Begriff.

Eine männliche Leiche hat sich in einer der zahlreichen Schleusenanlagen des Canal du Midi verfangen. Es ist kein Geheimnis, dass es Boote auf dem Canal gibt, die seit geraumer Zeit als Zwischenlager und Drogenverstecke dienen, was Benoit Tessier und Julie Saidi, die beiden für die Aufklärung des Todesfalls verantwortlichen Ermittler der Police nationale in Toulouse, auf den Plan ruft. Julie ist der Liebe wegen von Paris nach Toulouse gewechselt, fühlt sich aber noch immer nicht wirklich im Süden angekommen, was auch ihrem Kollegen Benoit geschuldet ist, der sich keine Mühe gibt, ihr den Neuanfang zu erleichtern, da er vorrangig mit privaten Problemen beschäftigt ist, die sein Engagement bei der Arbeit spürbar bremsen. Aber ganz so simpel wie eingangs vermutet, gestalten sich die Recherchen im Umfeld des Toten nicht. Erst als Julie die Mutter des Toten befragt, gibt ihr diese eine Hinweis, die die Ermittlungen dann auch voranbringen.

Kurz darauf wird die Leiche der jungen Chloé Voltaire am Fuß einer Burgruine gefunden. Die offiziellen Stellen vermuten einen tragischen Unglücksfall, aber der Vater Chloés, Stammgast im Restaurants „Chez Isabelle“ bezweifelt das und bittet Alain Olivier, Inhaber des Restaurants und ehemaliger BKA-Beamter um Hilfe, die ihm dieser auch zusichert. Recht schnell stellt Alain fest, dass die beiden Todesfälle Gemeinsamkeiten aufweisen und nur dann zu knacken sind, wenn Julie und er ihre Erkenntnisse teilen, Wissen und Erfahrung bündeln und so den Schuldigen auf die Spur kommen.

Warum es jetzt unbedingt Carcassonne sein muss, hat sich mir leider nicht erschlossen, denn weder hat die höchst interessante Historie der Stadt noch die Katharer-Vergangenheit der Region für die beiden Mordfälle eine Rolle gespielt. Also könnte dieser Kriminalroman überall dort verortet sein, wo eine alte Burgruine in der Landschaft steht, denn dem unter Pseudonym schreibenden Autor Pascal Larroc ist es leider nur in Ansätzen gelungen, die Atmosphäre der im Titel so prominent platzierten Stadt im Languedoc zu transportieren. Das wird jede/r bestätigen können, der/die in Carcassonne oder dem Languedoc schon einmal Urlaub gemacht hat.

Was ich leider auch vermisst habe, war die im Klappentext erwähnte französische Küche, mit der Alain angeblich seine Gäste verwöhnt. Das Nennen von zwei, drei Gerichten und einer Flasche Wein deckt dies meiner Meinung nach nicht ab d.h. diesen Hinweis könnte und sollte man sich sparen, um keine falschen Erwartungen zu wecken.

Ein routiniert geschriebener, leidlich spannender und schnell gelesener Kriminalroman, dem es aber leider an einem Alleinstellungsmerkmal mangelt, das ihn aus der Masse der Frankreich-Krimis hervorheben könnte.

Bewertung vom 26.04.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


ausgezeichnet

1994, Ardglas im County Donegal. Ein Küstenstädtchen, in dem misstrauisches Beäugen, Klatsch und Tratsch an der Tagesordnung ist, und diejenigen, die sich nicht an die ungeschriebenen Regeln halten, hinter vorgehaltener Hand zum Tagesgespräch werden. Kein gutes Pflaster für die Frauen, die in unglücklichen Ehen ausharren müssen, denn noch fehlt Mitte 1994 die Möglichkeit zur legalen Trennung. Diese wird erst ein Jahr später durch einen sehr knappen Volksentscheid geschaffen.

Murrin beschreibt mit viel Feingefühl die ungeschriebenen Gesetze und gesellschaftlichen Konventionen, die von Hoffnungslosigkeit geprägte Enge, mit der viele verheiratete Frauen in dem vom Katholizismus geprägten Irland zu kämpfen haben. Gefangen in unglücklichen Ehen, in denen Männer die Regeln festlegen, für sich selbst aber kein Problem damit haben, diese zu brechen. Freiheit und Selbstverwirklichung hingegen wird den Frauen nicht zugestanden.

Exemplarisch in „Coast Road“, dem beeindruckenden Debütroman des mehrfach für seine Kurzgeschichten ausgezeichneten Autor, zeigt Alan Murrin, drei Frauenleben: Colette, Dichterin und Freigeist, die den Ausbruch gewagt hat, aber von Sehnsucht nach ihren Kindern getrieben zurückkehrt. Ein Umstand, den Shaun, ihr Mann, für sich zu nutzen weiß. Izzy, deren ehrgeiziger Politikergatte James sie in die Depression treibt, ihr wegnimmt, was ihr am meisten bedeutet. Interessanterweise hat er zwar die Liberalisierung des Scheidungsrechts auf seiner Agenda, setzt aber alles daran, den Pfarrer, der Verständnis für die Probleme seiner Frau zeigt, aus der Gemeinde zu entfernen. Und Dolores, Mutter von vier Kindern und erneut schwanger, verheiratet mit dem notorischen Fremdgeher Donal.

Murrin beschreibt mit viel Feingefühl die ungeschriebenen Gesetze und gesellschaftlichen Konventionen, die von Hoffnungslosigkeit geprägte Enge, mit der viele verheiratete Frauen in dem vom Katholizismus geprägten Irland zu kämpfen haben. Gefangen in unglücklichen Ehen „bis dass der Tod sie scheidet“, in denen Männer die Regeln festlegen, für sich selbst aber kein Problem damit haben, diese zu brechen, was zu allem Überfluss auch noch von vielen drn weiblichen Mitgliedern der Gemeinde toleriert und nicht hinterfragt wird. Schaut man sich deren argwöhnische Kommentare über diejenigen an, die ein solches Verhalten nicht länger hinnehmen wollen, nach Veränderung streben, gewinnt man den Eindruck, dass sie ihren Alltag komplett unreflektiert leben und die Unterdrückung ihrer Bedürfnisse klaglos akzeptieren. Von Verstehen, Sympathie und Solidarität, Gott bewahre, keine Spur. Traurig.

Bewertung vom 23.04.2025
Lautlose Feinde / Leander Lost Bd.7
Ribeiro, Gil

Lautlose Feinde / Leander Lost Bd.7


gut

Wenn der Frühling erwacht, wecken die ersten Sonnenstrahlen die Lust nach einem Ortswechsel. Ziel ist vorzugsweise der europäische Süden. Das haben auch die Verlage erkannt, und so verwundert es nicht, dass jetzt wie an der Schnur die neuen Urlaubskrimis erscheinen. Eröffnet wird dieser Reigen für mich mit „Lautlose Feinde“, dem an der östlichen Algarve verorteten Band 7 der Lost in Fuseta-Krimis von Gil Ribeiro / Holger Karsten Schmidt. Eine gelungene Reihe, auf deren Fortsetzung ich mich immer wieder freue.

Ein Tag vor Leanders und Soraias Hochzeit wird das Team der Policia Judiciária zu einem Tatort gerufen. Ein Zollbeamter wurde ermordet aufgefunden, getötet, als er die Entführung seiner Enkelin verhindern wollte. Kurz darauf wird ein absurd hohes Lösegeld für deren Freilassung gefordert. Ein Betrag, den die Familie nie und nimmer aufbringen kann.

Glück im Unglück, denn vor Ort ist eine hochrangige Verwaltungsvertreterin, die in internen Angelegenheiten gegen Graciana ermittelt und diese deshalb temporär von ihrer Stelle als Teamleiterin freisetzt und dem wie immer unkollegialen Duarte kommissarisch die Leitung überträgt. Was Graciana aber nicht daran hindert, alles was nötig ist zu tun, um das kleine Mädchen wohlbehalten zu ihrer Familie zurück zu bringen und dafür zu sorgen, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Ermittlungen fördern nach und nach Erstaunliches zutage, denn offenbar sind an der idyllischen Algarve skrupellose internationale Agenten mit ihren Helfershelfern zu Gange, die für ihre Missionen über Leichen gehen. Menschenleben zählen für sie nichts, es sei denn, es handelt sich um das eigene Fleisch und Blut. Unbeteiligte Opfer werden als Kollateralschaden abgehakt, was Leander schmerzvoll erfahren muss.

Natürlich bleibt bei einer Reihe, die mich seit Band 1 begleitet, der Vergleich mit den Vorgängern nicht aus. Und diesmal ist der Funke leider nicht übergesprungen. Ich habe den gewohnten Charme vermisst, obwohl alle bekannten „Zutaten“ vorhanden waren: Die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen inklusive das Azul des Himmels, das gemütliche Beisammensein bei den Rosados, Graciana und Carlos (das nächste Traumpaar?), Leander Lost mit seinen liebenswerten Marotten und dem glasklaren Verstand und natürlich Duarte, hinterhältig wie eh und je.

Die Story war zwar komplex, mir aber viel zu „glatt“ und leider nur mit wenigen Höhepunkten, durch das vorangestellte Personenverzeichnis leider auch zu durchschaubar. Die Frage muss gestattet sein: Warum wird ein Agententhriller unbedingt in Fuseta verortet (ja, ich weiß, die Erklärung wurde im Text gegeben, hat sich für mich aber nicht stimmig angefühlt)? Wenn es schon politisch werden muss, warum dann nicht mit einen Fall, der wie in Bd. 2 die koloniale Vergangenheit thematisiert oder in Zusammenhang mit der Nelkenrevolution steht? Oder...oder...oder…

Bewertung vom 17.04.2025
Die Kolonie
Magee, Audrey

Die Kolonie


ausgezeichnet

Audrey Magee verbindet in ihrem Roman „Die Kolonie“ (2022 auf der Longlist des Booker Prize) auf ungewöhnliche Weise die nordirischen „Troubles“ mit dem Leben auf einer übersichtlichen, namenlosen Insel vor der westlichen Küste der irischen Republik. Beschreibungen des Inselalltags wechseln sich ab mit Meldungen über die Todesopfer, die die gewaltsamen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten in Nordirland fordern. Diese Einschübe sind zu Beginn kurz, meist nur wenige Zeilen, was ihnen aber nicht die Eindringlichkeit nimmt. Im Verlauf des Romans nimmt die Länge der Terrormeldungen zu und sie werden auch in den Gesprächen zwischen den Inselbewohnern thematisiert. Aber das ist nur die Klammer, die alles zusammenhält.

Wir schreiben 1979, die Bevölkerung auf der kleinen Insel ist mittlerweile stark geschrumpft, nur noch zweistellig. Wer der englischen Sprache mächtig ist, verlässt das Eiland und versucht, sich in England eine Existenz aufzubauen, während die Zurückgebliebenen ihrem traditionellen Tagwerk nachgehen. Die Männer fahren zum Fischen aufs Meer, die Frauen kümmern sich um Haus, Hof und die Kinder. So, wie es schon immer war. Im Sommer 1979 treffen dort zwei Besucher ein, die diese beiden Pole verkörpern und zwischen denen ein Kampf der Kulturen entfacht wird.

Mr Lloyd, ein erfolgloser, mittelmäßig talentierter englischer Maler, der sich von der ursprünglichen, rauen Natur und dem Inselleben neue Inspirationen erhofft, ist zum ersten Mal vor Ort. Egoistisch beharrt er auf seinem Bedürfnis nach Einsamkeit, ist er doch zahlender Gast, und sucht den Kontakt zu den Bewohnern nur dann, wenn sie ihm von Nutzen sind. Er bewohnt ein isoliertes Cottage und empfängt dort Mairéad, deren Mann, Vater und Bruder dem Meer zum Opfer gefallen sind. Dass sie ihm heimlich Modell sitzt, muss ihr Geheimnis bleiben. Und auch James, ihr 15-jähriger Sohn, ist von dem Maler fasziniert und freundet sich mit ihm an. Lloyd zeigt ihm die Basics und ermuntert ihn, es auch einmal zu versuchen. Es dauert nicht lange, bis er erkennt, dass der Junge sehr talentiert und viel besser als er selbst ist. Und nicht ohne Eigennutz schildert Lloyd James die Möglichkeiten, die James Umzug nach England und die Vermarktung seiner außergewöhnlichen Gemälde dort mit sich bringen könnte. Gleichzeitig ermuntert er ihn, eigene Wege zu gehen, die Insel und deren kulturelles Erbe hinter sich zu lassen.

Jean-Pierre Masson, ein französischer Linguist mit einer algerischen Mutter, hat quasi Heimrecht, war er doch im Zuge seiner Habilitation über die gälische Sprache schon öfter auf der Insel. Er ist fast schon besessen davon, diese zu bewahren, weshalb er sich auch über die Anwesenheit des Engländers ärgert, der des Gälischen nicht mächtig ist und deshalb in seiner englischen Muttersprache kommuniziert. Und deshalb muss sich Lloyd immer wieder mit der Anschuldigung Massons auseinandersetzen, dass er die Reinheit des Experiments gefährde und auch nicht besser als die britischen Kolonialisten sei. Masson ist ihm gegenüber ruppig und übergriffig, gleichzeitig aber im Umgang mit James‘ Großmutter mitfühlend und empathisch. Jemand, dessen Verhalten man erst dann einordnen kann, wenn man mehr über seinen persönlichen Hintergrund erfährt.

Es ist eine Vielzahl von Themen, die in diesem Roman ihren Platz finden. Es geht um Leben und Zusammenleben, um Identität und Selbstverwirklichung, um das Bewahren von Traditionen und Neuanfänge, um Sprache und künstlerischen Ausdruck und um die leidvolle Geschichte eines zerissenen Landes. Last but not least ist „Die Kolonie“ vor allem wegen der sprachlichen Qualität ein Juwel, wie man es nur selten findet. Deshalb geht ein dickes Dankeschön auch an Nicole Seifert, die eine großartige Übersetzung abgeliefert hat.

Ein Highlight, das man nicht verpassen sollte. Lesen. Unbedingt!