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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3580 Bewertungen
Bewertung vom 16.12.2024
Gesammelte Gedichte
Mayröcker, Friederike

Gesammelte Gedichte


ausgezeichnet

Die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker, am 20. Dezember 1924 in Wien geboren, hat von jeher in ihrer Poesie auf die Zusammenhänge von Zeit, Ort und Kausalität verzichtet. Ihre Gedichte sind virtuose Montagen von Dialogen, Assoziationen, Reflexionen, Erinnerungsfragmenten, Zitaten und Wortneuschöpfungen, womit immer wieder neue Bezüge hergestellt werden. Hauptthemen sind die Magie der Sprache und die Bildende Kunst. Friederike Mayröcker war 46 Jahre lang die Lebensgefährtin von Ernst Jandl. Sie waren "das Paar" der dichterischen Avantgarde, beide auf unverwechselbare Weise genial. Sie beeinflussten einander und gingen trotzdem jeder seinen eigenen Weg. Obwohl Mayröcker sehr zurückgezogen lebte, hat sie das Draußen stets in ihre Gedichte aufgenommen.

Zum ihrem 80. Geburtstag hatte der Suhrkamp Verlag 2004 mit dem Band „Gesammelte Gedichte“ alle Gedichte aus den 65 zurückliegenden Jahren herausgegeben. Danach hatte sich die Schriftstellerin, die 2021 verstarb, entschlossen, „in eine ganz neue Richtung aufzubrechen“. Das Ergebnis waren vor allem Prosagedichte, die danach in einigen Lyrikbänden erschienenen und die jetzt zum 100. Geburtstag in dem Band „Gesammelte Gedichte 2004-2021“ noch einmal als Würdigung herausgegeben wurden. Daneben wurden verstreut veröffentliche und unveröffentlichte Gedichte und Proëme aufgenommen, die teilweise in ihrem Nachlass aufgefunden wurden.

"Man weiß nicht, wohin man kommt - man lässt sich tagtäglich neu überraschen", hat Friederike Mayröcker ihr dichterisches Credo einmal beschrieben. Es ist die immer erneute Suche nach einer Zeile, die sie vorantreibt. „Wenn ich ein, zwei Tage nicht schreiben kann, bin ich verzweifelt.“ Eines der Wunder von Mayröckers Poesie liegt in der Kunst, der Sprache Verblüffendes zu entlocken, was beim Leser immer wieder Erstaunen hervorruft. Bei allem, was Friederike Mayröcker schrieb, war sie stets eine Grenzgängerin zwischen den literarischen Genres, vom Surrealismus über die experimentelle Poesie bis zur typischen Mayröcker-Textmontage. Im Laufe der Schaffensperioden haben sich so unterschiedliche Ausdrucksformen entwickelt.

Ein Register im Anhang der Neuerscheinung ermöglicht die Einordnung der Texte in ihren ursprünglichen Publikationszusammenhang. Ein editorisches Nachwort des Herausgebers und Dichterkollegen Marcel Beyer rundet den wirklich gelungenen Sammelband ab.

Bewertung vom 08.12.2024
Barthli der Korber
Gotthelf, Jeremias;Theisohn, Philipp

Barthli der Korber


ausgezeichnet

Im Vorjahr startete der Diogenes Verlag eine schöne und umfassende Ausgabe der Werke von Jeremias Gotthelf, die seine sämtlichen Erzählungen und Romane in 15 Bänden bringen wird. Nach dem Band „Die schwarze Spinne“ ist mit „Barthli der Korber“ ein weiterer Band mit Erzählungen des Schweizer Schriftstellers erschienen. Die Neuerscheinung versammelt weitgehend die späten Erzählungen Gotthelfs.

Die Titelgeschichte „Barthli der Korber“, erschienen 1852, erzählt von dem alten Korbmacher Barthli, der mit seiner Tochter Züseli im Emmental in einer maroden, windschiefen Hütte haust. Während der Alte ein geiziger und boshafter Zwerg ist, ist Züseli ein anmutiges und offenes Mädchen. Barthli hat alle Hände voll zu tun, die heiratslustigen Freier von seiner Tochter fernzuhalten. Der tüchtige Knecht Benz ist dabei der Aufdringlichste. Als Benz die beiden bei einem schweren Unwetter rettet, ist das für Barthli immer noch kein Grund, ihm zu danken. Erst als ein neues Häuschen notwendig ist, gibt er murrend sein Jawort. Doch seine Lebenskraft ist erschöpft und er stirbt.

„Hans Joggeli der Erbvetter“ und „Harzer Hans; auch ein Erbvetter“ sind zwei Dorfgeschichten, die vom Erben und der Erbschleicherei handeln. In „Michels Brautschau“ (1850) wird der kräftige Jungbauer Michel von den Dorfbewohnern verlacht, weil er immer noch bei seiner Ziehmutter Anni wohnt. Als die Einberufung ins Militär droht, entschließt er sich zu heiraten, doch die Brautsuche gestaltet sich schwieriger als gedacht. „Das Erdbeerimareili“ (1851) erzählt von einem scheuen Mädchen, das im Wald bei den Tieren und Pflanzen zu Hause ist. Als seine Mutter stirbt, tritt es in den Dienst eines Schlossfräuleins und kann später das Haus kaufen, in dem sie mit ihrer Mutter gewohnt hat.

Die Erzählungen „Kurt von Koppingen“, „Niggi Ju. Ein Lebensbild unserer Zeit“ und „Der Besenbinder von Rychiswyl“ komplettieren den Auswahlband. Die Diogenes-Ausgabe orientiert sich an den Erstdrucken von Gotthelfs Texten, die zwar in deutsche Sprache erschienen, aber viele Redewendungen und Ausdrücke des Berner Dialekts enthielten. Daher ist ein mehrseitiges Glossar mit Erläuterungen angefügt, sowie Hinweise zu Berner Währungen, Gewichte und Maße.

Der Erzählungen zeigen Gotthelfs fabulierfreudige Erzählkunst und liefern ein milieugetreues Abbild des Schweizer Dorflebens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Diesen Umstand betont auch der Schweizer Schriftsteller Christian Haller in seinem Nachwort „Ein Heilmittel gegen die Nostalgie“.

Bewertung vom 08.12.2024
Der Narr in Christo Emanuel Quint
Hauptmann, Gerhart

Der Narr in Christo Emanuel Quint


ausgezeichnet

Der Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint“ des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann entstand in den Jahren 1901-1902, der aber erst einige Jahre später veröffentlicht wurde. In dreißig Kapiteln wird die Geschichte von dem jungen Emanuel Quint erzählt, einem eigenbrötlerischem Tischlergesellen aus dem kleinen Dorf Giersdorf, der beschließt, sein Leben als Narr in Christus zu verbringen. Ohne Geld und nur mit einem Exemplar des Neuen Testaments zieht er als Bußprediger durch Schlesien. Er predigt auf öffentlichen Plätzen gegen Reiche und Herrscher. Angesichts des sozialen Elends prophezeit er das Jüngste Gericht. Nach und nach wähnt er sich als der von Gott erwählte Messias. Als Quintus‘ Agitation und Popularität immer größere Ausmaße annimmt, schreitet schließlich die Polizei ein, doch in einer adligen und pietistisch frommen Dame findet er eine Wohltäterin, die ihm zunächst auf ihren Besitzungen Asyl gewährt. Doch als sie ihre Privilegien bedroht sieht, bietet sie Quint keinen Schutz mehr. Er begibt sich in die Provinzhauptstadt Breslau, wo er nach einem Mordverdacht alle menschlichen Kontakte abbricht und durch ganz Deutschland irrt. In den verschneiten Alpen verliert sich schließlich seine Spur.

In dem modernen Messiasroman gestaltete Hauptmann auch den Lebensweg des Wanderdichters und Naturpropheten Gusto Gräser (1879-1958) nach. Der Roman ist jetzt im Quintus Verlag im Rahmen der Erkneraner Ausgabe (als sechster Band) von Gerhart Hauptmanns Werken erschienen. In seinem Nachwort gibt Stefan Rohlfs, Leiter des Gerhart-Hauptmann-Museums Erkner, einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Romans.

Bewertung vom 07.12.2024
Schönes Deutschland / Beautiful Germany

Schönes Deutschland / Beautiful Germany


ausgezeichnet

„Ja, wir lieben dieses Land“ – so Kurt Tucholsky in seinem Text „Heimat“, der dem Bild-Text-Bild „Schönes Deutschland“ („Beautiful Germany“) als Einleitung vorgestellt ist. Die zweisprachige (dt./engl.) Neuerscheinung präsentiert die bekanntesten Sehenswürdigkeiten der sechszehn Bundesländer – von den Küstenlandschaften der Nord- und Ostsee bis zu den Alpen, vom Saarland im Westen bis zur Oder im Osten.

Schleswig-Holstein punktet mit einen ehrwürdigen Leuchttürmen, der Nordseeinsel Helgoland oder einigen Seebädern. In Hamburg sind die Elbphilharmonie oder die Binnenalster die touristischen Highlights. In Brandenburg sind Schloss Sanssouci, der Spreewald und die Landeshauptstadt Potsdam die Besuchermagnete. In Rheinland-Pfalz werden die Porta Nigra in Trier, das Deutsche Eck in Koblenz oder die Burg Trifels in Wort und Bild vorgestellt. In Bayern sollte man den Münchner Marienplatz, den Chiemsee oder die Zugspitze besuchen. Jedes Bundesland wird mit zwölf Sehenswürdigkeiten (mit Farbfoto und zweisprachigen Hintergrundinformationen) vorgestellt. Und auf dem Cover grüßt das Schloss Neuschwanstein.

Fazit: Ein idealer Band mit vielen touristischen Anregungen.

Bewertung vom 07.12.2024
Ein Cappuccino ist die Welt
Rotta, Linde

Ein Cappuccino ist die Welt


ausgezeichnet

Die gebürtige österreichische Journalistin Linde Rotta, die seit 2000 in Leipzig wohnt, arbeitete jahrelang für den Westdeutschen Rundfunk, den Deutschlandfunk und die Zeitschrift "Brigitte". Sie verfasste Erzählungen, Essays, Hörspiele und Features. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Preise.
Die Neuerscheinung „Ein Cappuccino ist die Welt“ des Heidelberger Morio Verlages versammelt Texte von Rotta, die sie für Radio und Zeitschriften geschrieben hat. Die thematische Breite der Artikel reicht von Paolo Pasolini (10. Todestag), über den Aufbruch der spanischen Frauen (Rosa Montero), die Frauen in Hollywood, das Sprengstoffattentat im österreichischen Burgenland bis zu den Gründungsjahren des Institutes für Literatur in Leipzig.

An der Seite des Schriftstellers Erich Loest, dessen letzte Lebensgefährtin sie war erlebte sie die friedliche Revolution. Seinem Engagement und Werk widmete sich in verschiedenen Beiträgen. In „Die Stasi hatte mitgeschrieben“ beleuchtet die Entstehung von Loests Roman „Der Zorn des Schafes“, in dem der Schriftsteller das Leben schilderte, wie er es erlebt hat, und mit dem konfrontiert, was die Stasi daraus gemacht hat. Der Beitrag „Grenzgänger zwischen Ost und West: Erich Loest“ erschien dann im Oktober 1989, wenige Tage vor der Maueröffnung. In „Loslassen“, dem letzten Text der Auswahl, hält Rotta in Tagebuchform die letzten Tage (im August/September 2013) ihres Lebensgefährten fest. Fazit: Ein ehrliches und lesenswertes Buch.

Bewertung vom 02.12.2024
Die Käserei in der Vehfreude
Gotthelf, Jeremias;Theisohn, Philipp

Die Käserei in der Vehfreude


ausgezeichnet

Der Diogenes Verlag hat seine neue Jeremias-Gotthelf-Edition (auf 15 Bände angelegt) mit „Die Käserei in der Vehfreude“ fortgeführt. Erschienen 1850, war es der vorletzte Roman des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers. Vehfreude ist ein verschlafenes Dorf im Emmental, das plötzlich den Fortschritt entdeckt. In den Nachbarorten gibt es längst Käsereien und man verdient damit gutes Geld. Also wird eine Genossenschaft gegründet und statt eines dringend notwendigen Schulhauses eine Käserei errichtet. Doch die Geldgier der Vehfreudener kennt bald keine Grenzen mehr, sodass kaum etwas für den Eigenbedarf oder für die Gäste übrigbleibt. Vor allem die Frauen sind frustriert, weil sie jetzt auf ihr „Nidle“ verzichten müssen. So kommt der Kapitalismus ins Dorf. Als man aber sogar verdünnte Milch und Milch von kranken Kühen abliefert, fliegt der Betrug auf und mit dem erwarteten Profit ist es erst einmal vorbei. Das Gemeinschaftswerk droht zu scheitern. Nur langsam kommen die Vehfreudener zur Besinnung. Auch die Liebesgeschichte zwischen Felix, dem Sohn des Gemeindeamtmannes, und dem Verdingkind Änneli kommt zu einem guten Ende. Gotthelf, der ebenfalls aus dem Emmental stammte, nimmt in dem Roman, der auch durch die realistische Darstellung des bäuerlichen Lebens besticht, allzumenschliche Charakterzüge unter die Lupe.

Die Diogenes-Ausgabe orientiert sich an dem Erstdruck von 1850, die zwar in deutsche Sprache erschien, aber viele Redewendungen und Ausdrücke des Berner Dialekts enthielt. Daher ist ein mehrseitiges Glossar mit Erläuterungen angefügt, sowie Hinweise zu Berner Währungen, Gewichte und Maße. In ihrem Nachwort beleuchtet die Schweizer Schriftstellerin Zora del Buono u.a. die Geschichte der Schweizer Dorfkäsereien.

Der Roman zeigt Gotthelf als großartigen Erzähler, der mit seinen Romanen und Erzählung ein milieugetreues Abbild des wirklichen Lebens und keine romantisch geschönte Darstellung des Dorflebens im 18. Jahrhundert bietet.

Bewertung vom 30.11.2024
Aus vollen Gläsern quillt die Zeit
Sokolowski, Lilia; Sokolowski, Leonid

Aus vollen Gläsern quillt die Zeit


ausgezeichnet

Die vielseitige Künstlerin Anja Sokolowski wurde 1971 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft entwickelte sie eine Vorliebe für das Chanson und trat als Straßenmusikerin in Paris auf. Danach war sie Regieassistentin in Leipzig und Stuttgart. Anschließend diverse Kleinkunstprogramme und Mitglied des TangOperaProjects. 2019 Gründung der musikalischen Performancegruppe „SCHMULT“. Daneben Ausbildung zur Logopädin. 2022 dann der frühe Tod.

Soweit die biografischen Stationen von Anja Sokolowski. Im halleschen Verlag ist nun eine Auswahl ihrer Lieder und Gedicht erschienen, ergänzt durch Prosa und Skizzen. Ihre französischen Vorbilder offenbart sie gleich im ersten Gedicht: „Ich bin eine Braut mit Rimbaud unterm Arm“. Dabei wär sie gern „eine Lilie, ganz zart und androgyn“. In ihrer „Hymne“ heißt es dann „Ich bin ein Gast auf dieser Welt“. Ihre Prosatexte sind phantasie-voll und märchenhaft. Und am Ende die wunderbare Zeile „Wenn du nicht da bist, les ich in Lyrikbänden meine Sehnsucht nach“.

Neben den sehr persönlichen Gedanken ist die gediegene Neuerscheinung mit einigen Porträts und Kopien von Originalmanuskripten ausgeschmückt. Ein Gedichtband für eine stille Stunde.

Bewertung vom 29.11.2024
Rembrandts Amsterdam

Rembrandts Amsterdam


ausgezeichnet

Im 17. Jahrhundert war Amsterdam die Metropole Europas. Die Geschicke der Stadt wurden von einer einflussreichen Bürgerschaft geprägt, die sich in großartigen Gemälden von den bedeutendsten niederländischen Malern porträtieren ließ.

Die Ausstellung „Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?“ im Frankfurter Städel Museum präsentiert die herausragende Bildniskunst Rembrandts und seiner Zeitgenossen (27.11.2024 bis 23. März 2025). Gezeigt werden rund 100 Gemälde, Skulpturen und Druckgrafiken sowie kulturhistorische Gebrauchsgegenstände aus führenden niederländischen und internationalen Museen. Der überwiegende Teil stammt aus dem Amsterdam Museum und wird nur äußerst selten verliehen. Weil das niederländische Museum jedoch derzeit aufwendig saniert wird, dürfen sie ausnahmsweise in Frankfurt gezeigt werden. In diesem Umfang waren die Kunstwerke in Deutschland noch nie zu sehen.

Im Hirmer Verlag ist der reich illustrierte Katalog zu dieser einmaligen Ausstellung erschienen. In rund einem Dutzend Essays von renommierten Kunstwissenschaftler*innen werden die Gruppenporträts als Spiegel einer mächtigen Amsterdamer Bürgerelite vorgestellt und historisch eingeordnet. Die Texte gehen jedoch auch auf die Schattenseiten dieser Blütezeit, u.a. die kolonialistische Handelspolitik, ausführlich ein. Außerdem zeigen die Gruppenporträts die soziale Hierarchie in der Stadt – bis hin zu den Amsterdamer Zuchthäusern als Orte der Sozialdisziplinierung. So stehen Rembrandts Radierungen von Bettlern, Bedürftigen und Vagabunden exemplarisch für Menschen am Rande der Gesellschaft.

Alle Ausstellungswerke sind in großformatigen Abbildungen dargestellt. Der Katalog wird zudem mit einem Glossar und einer umfangreichen Bibliographie ergänzt.

Bewertung vom 28.11.2024
Augenblicke

Augenblicke


ausgezeichnet

Der 1937 in Chemnitz geborene und heute in Kleinmachnow bei Berlin lebende Fotograf Thomas Billhardt war in der DDR vor allem als Reisefotograf bekannt, der fast fünfzig Länder bereiste und die dort entstandenen Bilder weltweit publizieren konnte. Weltberühmt wurden seine Fotos, mit denen er die Schrecken des Vietnam-Krieges dokumentierte.

Ein Schwerpunkt seiner fotografischen Tätigkeit war die Dokumentation des DDR-Alltags über fast vierzig Jahrzehnte hinweg. Der mdv-Bildband versammelt nun eine Auswahl aus dem reichen Fundus seiner „Menschenbilder“, denn Billhardt interessierte sich ständig für das Menschliche in dieser nicht immer einfachen Zeit. In einem vorangestellten Interview, in dem er auch einen Einblick in seinen beruflichen Werdegang als Fotograf gibt, betont Billhardt, dass er als Zeitzeuge immer eine Verantwortung dafür hatte, dass man in hundert Jahren in meinen Bildern mehr entdecken kann als im gestellten Augenblick.

Die Fotoauswahl ist in zahlreiche thematische Kapitel unterteilt – von „Neue Zeit“ über „Alltag Arbeit“, „Junge Leute“ oder „Lebenswirklichkeiten“. Aber auch politischen Themen wie „Mauerbau“, „Staatsapparat“ oder „Volksarmee“ widmete sich Billhardt. Die letzten Aufnahmen entstanden im Sommer 1990 von der offenen Grenze in Berlin.

Fazit: Die Fotos von Thomas Billhardt zeigen eine Welt, die heute so nicht mehr existiert. Dennoch erlaubt der Bildband ein intensives Eintauchen in die damalige Zeit.

Bewertung vom 28.11.2024
Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig

Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig


ausgezeichnet

Die Frührenaissance begann im 14. Jahrhundert in Italien. Sie war geprägt von einer Rückbesinnung auf die Antike und einer Hinwendung zu klassischer Schönheit, Harmonie und Vernunft. Zentren waren vor allem Florenz und Venedig.

Die Staatsgalerie Stuttgart präsentiert vom 15. November 2024 bis zum 2. März 2025 die Große Sonderausstellung „Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig“. Vittore Carpaccio (um 1460/65–1525/26) zählte zu den bedeutendsten Maler der Frührenaissance in Venedig. Mit fünfzig Werken ist er in der Ausstellung vertreten, die durch Werke seines berühmten venezianischen Konkurrenten Giovanni Bellini (1430-1516) ergänzt wird.

Im Hirmer Verlag ist der Begleitkatalog zu dieser bemerkenswerten Ausstellung erschienen, die anlässlich des 500. Todestages von Carpaccio zusammengestellt wurde. In zehn informativen Essays beleuchten renommierte Kunstwissenschaftler*innen die Venezianische Malerei im Zeitalter von Giovanni Bellini und Vittore Carpaccio oder widmen sich der Gegenüberstellung beider Künstler, die zeigt, wie sich Carpaccio trotz aller Eigenständigkeit von Bellini inspirieren ließ. Auch einzelne Werke wie Carpaccios „Geburt Mariens“ oder „Martyrium des heiligen Stephanus“ und ihre Restaurierung werden näher betrachtet.

Alle ausgestellten Werke werden mit ganzseitigen Abbildungen (teilweise mit Detailaufnahmen) präsentiert. Auch der Katalogteil wird durch ausführliche Texte ergänzt. Im Anhang findet man schließlich eine umfangreiche Bibliographie zu dem Thema. Fazit: Ausstellung und Katalog werfen einen erhellenden Blick auf die Frührenaissance in Venedig.