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Herbstrose

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Insgesamt 210 Bewertungen
Bewertung vom 19.02.2017
Das Buch der Spiegel
Chirovici, Eugene O.

Das Buch der Spiegel


sehr gut

Der Literaturagent Peter Katz bekommt das Manuskript eines Romans zugeschickt, von dem er sofort begeistert ist. Verfasser ist ein gewisser Richard Flynn. Er berichtet über den nie aufgeklärten Mord an einem Professor für Psychologie aus dem Jahre 1987 in Princeton und verspricht neue Enthüllungen. Doch das Manuskript endet an einer entscheidenden Stelle. Als Katz sich mit Flynn in Verbindung setzen will erfährt er, dass dieser in der Zwischenzeit verstorben ist. So beauftragt er den befreundeten Reporter John Keller damit, den Rest des Manuskripts zu finden oder einen passenden Schluss zu erfinden. Keller gelingt es einige Zeitzeugen zu befragen, von denen alle ein Puzzlestück zur Lösung des Falles beitragen könnten. Doch dabei stößt er auf ein Gewirr von Widersprüchen und Ungereimtheiten, denn jeder der Beteiligten hat nach beinahe dreißig Jahren eine andere Erinnerung. So setzt er sich mit Roy Freeman, einem pensionierten Polizisten, der in dem damaligen Mordfall ermittelte, in Verbindung. Diesem gelingt es offenbar, Licht ins Dunkel zu bringen. Doch ist das wirklich die Wahrheit? Kann man den Erinnerungen trauen? …
„Das Buch der Spiegel“ ist sowohl der Arbeitstitel des Romanmanuskripts in der Geschichte, als auch der Titel des Kriminalromans des rumänischen Schriftstellers E.O. Chirovici. Das Buch wurde bereits in über 30 Länder verkauft und vom britischen „The Guardian“ gar als ‚Sensation‘ bezeichnet. Vom Verlag und auf dem Cover als Roman charakterisiert, würde ich es doch eher unter der Bezeichnung „Kriminalroman“ einordnen. Obwohl sehr viel auf das trügerische menschliche Erinnerungsvermögen, auf Einbildungskraft und Unterbewusstsein, eingegangen wird, überwiegt m.E. doch das kriminalistische, denn der Leser brennt naturgemäß darauf zu erfahren, wer seinerzeit den allseits beliebten Professor ermordet hat und was die Gründe für die Tat waren.
Vier Ich-Erzähler schildern in chronologischer Reihenfolge den Fall jeweils aus ihrer Sicht. Daraus entwickelt sich zu Beginn eine gewisse Spannung und die Frage, wie sich das alles am Ende wohl zusammen fügen wird. Viele Wendungen und immer wieder neue Erkenntnisse kommen in Umlauf, so dass sich die Sichtweise des Lesers ständig ändert. Rückblicke und aktuelle Ereignisse wechseln rasch, familiäre Probleme der Protagonisten verknüpfen sich mit dem Geschehen, neue Personen und belanglose Nebenschauplätze tauchen plötzlich auf, so dass man schon mal den Überblick verlieren kann.
Der Schreibstil ist sachlich und eher nüchtern, die Erzählweise den berichtenden Personen angepasst, insgesamt jedoch flüssig und schnell lesbar. Die Spannung ist zu Beginn sehr hoch, fällt aber bald rapide ab. Bedingt durch die unterschiedlichen Erzähler ergeben sich zwar neue Sichtweisen, jedoch bleibt die Geschichte immer dieselbe mit einigen Abwandlungen. Die Charaktere und ihr Umfeld sind sehr ausführlich und sehr detailgetreu beschrieben, so dass man sich während des Lesens ständig fragen muss, was wohl für die Geschichte relevant ist und was man getrost vergessen kann. Das Ende ist schlüssig und passend, wenn auch einige Fakten ungeklärt bleiben.
Fazit: Ein Roman mit kriminalistischem Hintergrund, der geschickt mit den Tiefen der Psyche, dem menschlichen Erinnerungsvermögen, Einbildungskraft und trügerischem Unterbewusstsein, spielt.

Bewertung vom 29.03.2016
Ein Mann namens Ove
Backman, Fredrik

Ein Mann namens Ove


ausgezeichnet

„Ein Mann namens Ove“ ist für mich eines der schönsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Dem Autor Fredrik Backman gelingt es großartig, aus Ove, den man anfangs nur nervig und unausstehlich findet, einen absoluten Sympathieträger zu machen. Man muss ihn einfach gern haben, diesen kauzigen Mann, dessen weicher Kern nach und nach zum Vorschein kommt. Man liest nicht nur, man ist dabei, man fühlt sich dazugehörig beim Schlagabtausch mit der Nachbarin, bei den Gesprächen mit der Katze oder wenn Ove mit dem Grabstein seiner Frau redet und ihr die neuesten Vorkommnisse in der Siedlung erzählt.
Der Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen, Rückblenden auf Oves früheres Leben machen das Ganze zu einer runden Angelegenheit. Eine Geschichte die das Herz wärmt und die Seele streichelt – man kann herzhaft lachen und ist wenig später wieder zu Tränen gerührt. Am Schluss ist man nur traurig, dass das Buch schon zu Ende ist und dass es keine Fortsetzung geben wird, aber Ove und seine Weisheiten wird man noch lange in Erinnerung behalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2015
Rattenkinder / Chefinspektor Tony Braun Bd.6
Schiller, B. C.

Rattenkinder / Chefinspektor Tony Braun Bd.6


sehr gut

Chefinspektor Tony Braun wird in die Psychiatrische Klinik in Linz gerufen, ein Patient hätte der Polizei eine wichtige Mitteilung zu machen. Dort erhält er von Viktor Maly, einem Insassen der geschlossenen Abteilung, einen blutverschmierten Zettel mit geheimnisvollen Zahlen. Wie sich bald herausstellt, handelt es sich um Koordinaten, die auf einen Park an der Donau hinweisen. Dort sitzt eine junge Frau regungslos auf einer Bank, im Kinderwagen daneben schreit ein Baby. Die Frau ist tot, bestialisch ermordet, zu ihren Füßen liegt ein Rattenschädel. Das Ermittlerteam Tony Braun, Franka Morgen und Bruno Berger vermutet zunächst den Mörder im heimischen Umfeld, doch bald führt eine weitere Spur in ein Roma-Ghetto nach Tschechien. Auch Viktor Maly wird verdächtigt, doch der kann die Psychiatrie ja nicht verlassen, oder doch? Dann wird eine weitere Frau ermordet – auch hier findet sich ein Rattenschädel, der Franka in panische Angst versetzt - und Maly weiß offenbar wieder mehr als er zugeben will…
Ein brisantes Thema, das das Autorenduo B.C. Schiller hier in ihrem neuesten Thriller „Rattenkinder“ aufgegriffen und offensichtlich gut darüber recherchiert hat. Es geht dabei nicht nur um extrem brutale Morde, sondern vielmehr um die illegalen Geschäfte höher gestellter Persönlichkeiten, die damit viel Geld verdienen, und um die korrupten Machenschaften osteuropäischer Banden. Selbst die Polizei agiert manchmal unkonventionell und am Rande der Legalität.
Die Story beginnt mit einem geheimnisvollen Prolog, den man erst viel später zuordnen kann. Weiter wird in mehreren Handlungssträngen erzählt: In Linz versuchen Braun und sein Team die Morde aufzuklären, in Dogcity, einem tschechischen Ghetto, erleidet eine junge Frau namens Tara schreckliche Qualen und eine unbekannte Person erzählt in Kursivschrift von ihrer Vergangenheit. Aufgrund sehr vieler Namen und eingestreuter Nebenhandlungen ist die Geschichte, besonders am Anfang, ziemlich verwirrend. Die Ermittler machen einen Fehler nach dem anderen und scheinen dabei selbst ein Fall für die Psychiater zu sein. Trotzdem lässt sich das Buch, bedingt durch den klaren und flüssigen Schreibstil, sehr gut lesen. Es passiert sehr viel in diesem Thriller und die Spannung ist durchgehend auf hohem Niveau, der Show-Down zum Ende hin erzeugt Gänsehaut und Nervenkitzel.
Die Auflösung des Geschehens ist stimmig und nachvollziehbar, wenn auch für mein Empfinden stark konstruiert und vom Zufall abhängig. Trotz allem ist am Schluss vieles der Fantasie des Lesers überlassen. Einige Fragen bleiben offen, was wohl im Hinblick auf den nächsten Thriller mit Tony Braun so geplant ist.
Fazit: Ein Thriller mit unkonventionellem Ermittler, spannend und verwirrend, mit einem überraschendem Ende.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.01.2015
Der eiserne Sommer / Kommissär Reitmeyer Bd.1
Felenda, Angelika

Der eiserne Sommer / Kommissär Reitmeyer Bd.1


gut

Ein Stück Zeitgeschichte
Sommer 1914, zwei Ereignisse prägen das Weltgeschehen: Ende Juni das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin in Sarajewo und im August als Folge davon der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In dieser Zeitspanne ist der Roman „Der eiserne Sommer“ angesiedelt.
In München wird am Ufer der Isar die Leiche eines Mannes aufgefunden. Sebastian Reitmeyer, Kommissär bei der Münchner Kripo, wird mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt. Bald geschehen weitere Morde. Die Spuren führen zum Leibregiment des Königs und ins Homosexuellenmilieu, einer Konstellation, die eigentlich undenkbar ist. Das Militär ist unantastbar, so dass der Polizei bald von höchster Stelle nahegelegt wird, die Ermittlungen einzustellen. Doch Reitmeyer hält sich nicht an die Order …
Der Autorin Angelika Felenda ist es sehr gut gelungen, den geschichtlichen Hintergrund darzustellen und den Zeitgeist vor einhundert Jahren einzufangen. Gute Recherchen lassen die Mordmotive glaubhaft erscheinen, nichts ist überkonstruiert. Das Land steht vor dem Abgrund des 1. Weltkrieges, die Macht liegt beim Militär, es herrscht Standesdünkel und Obrigkeitsdenken, die Bevölkerung leidet unter Armut, die Polizei fährt mit dem Fahrrad zum Tatort und die Kriminaltechnik steckt noch in den Kinderschuhen.
Der Schreibstil ist klar, flüssig und gut verständlich der damaligen Zeit angepasst. Regelmäßig eingefügte Tagebucheinträge, Zeitungsnotizen und Mitteilungen lockern die Handlung auf und bieten dem Leser eine zusätzliche Sichtweise. Die Protagonisten sollten, im Hinblick auf eine Fortsetzung, noch besser ausgearbeitet werden. Reitmeyer ist seltsam langweilig, blass und ohne Struktur, seine Empfindungen kann man nicht fühlen und nachvollziehen. Auch die anderen Charaktere wirken auf mich nur oberflächlich, verschwommen und nicht greifbar. Einzig der Polizeischüler Korbinian Rattler ist sehr vielschichtig, zeigt Konturen und hat Ecken und Kanten.
Fazit: Eine durchaus interessante Mischung aus Zeitgeschichte und Kriminalfall, logisch und gut konstruiert, die beim Lesen jedoch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit fordert. Leider lassen sich die Hintergründe der Morde schon sehr früh erahnen, so dass ein Knalleffekt ausbleibt.

Bewertung vom 19.01.2015
Stirb leise, mein Engel!
Götz, Andreas

Stirb leise, mein Engel!


sehr gut

Der Tod liebt Zyankali

Drei Selbstmorde in München innerhalb kürzester Zeit – nichts Außergewöhnliches, sollte man meinen. Doch es sind drei sehr junge Mädchen, und alle haben sich mit Zyankali vergiftet. Da man immer einen Abschiedsbrief vorfand, kann die Polizei nichts unternehmen. Nur Sascha, der Sohn einer Polizeibeamtin, findet die Sache merkwürdig. Als sich dann auch noch Nathalie umbringt, ein Mädchen das er bei seinem Psychologen Dr. Androsch kennen gelernt hat, steht für ihn fest, dass es sich um Mord handeln muss. Zusammen mit Joy, seiner neuen Nachbarin, begibt er sich auf „Spurensuche“ nach einem Jungen namens Tristan, den Nathalie kurz vor ihrem Tod einmal erwähnt hatte. Lange tappen sie im Dunkeln, bis sich auch Mareike, ein weiteres Mädchen, an den „Ermittlungen“ beteiligt. Plötzlich wird es für alle sehr gefährlich …

„Stirb leise, mein Engel“ ist ein sehr gut gemachter, spannender Jugendthriller. Der Autor Andreas Götz lässt die Geschichte abwechselnd von Sascha und von dem Mörder erzählen. Bemerkenswert dabei ist, dass der Schreibstil sich jeweils überzeugend den Protagonisten anpasst. Während sich der 16jährige Sascha eher in einer etwas legeren Jugendsprache ausdrückt, berichtet der Mörder interessant und sehr spannend über seine Gefühle und Gedanken. Besonders diese Passagen überzeugen und sorgen für Gänsehautfeeling.

Die gut konstruierte Handlung bedient sich bewährter Klischees und ist teilweise auch vorhersehbar, dennoch ist man von dem spektakulären Showdown am Ende überrascht. Die Figuren sind allesamt glaubwürdig und anschaulich dargestellt, ihre Gefühle dezent und dennoch authentisch beschrieben, gelegentlich ist auch etwas Liebe im Spiel. Obwohl man als Leser über den Mörder Bescheid weiß, kennt man ihn dennoch nicht und ratet und rätselt eifrig mit den Protagonisten mit.

Fazit: Ein gelungener Thriller, empfehlenswert für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.01.2015
funny girl
McCarten, Anthony

funny girl


ausgezeichnet

Azime – einfach nur Azime
Azime lebt in London, ist zwanzig Jahre alt, unverheiratet und erledigt in dem kleinen Möbelgeschäft ihres Vaters die Büroarbeiten. Eine junge moderne Frau wie jede andere? Nein, eines unterscheidet sie von anderen Londonerinnen ihres Alters, sie ist Muslima. Ihre Eltern stammen aus einem kurdischen Dorf in der Türkei und leben immer noch nach alten, überlieferten Regeln. Zwar trägt Azime kein Kopftuch und konnte sich auch erfolgreich den vielen Versuchen ihrer Mutter, sie mit einem Landsmann (meist im Alter ihres Vaters) zu verheiraten, widersetzen, doch auch für sie gilt: Der Mann hat das Sagen, die Frau muss gehorchen. Aber plötzlich will Azime mehr, sie will aufrütteln, will die starren Regeln durchbrechen. Auslöser sind ein Terroranschlag radikaler Islamisten in London und der vermeintliche Selbstmord einer Freundin, die verbotenerweise mit einem Italiener eine Beziehung hatte. Azime vermutet einen Ehrenmord der Familie und beginnt mit Nachforschungen.
Auch Azime hat ihre Heimlichkeiten, die sie vor ihrer Familie verbergen muss. Mit einem Freund besucht sie, eher zufällig, einen Kurs für angehende Comedians und ist begeistert. Auf der Bühne kann man beinahe alles sagen, was man sonst nur denken darf. Sie erkennt die Chance, gegen Intoleranz anzukämpfen und mit Humor zwischen den Kulturen zu vermitteln. Bald schon hat sie ihren ersten Auftritt zu dem sie, um nicht erkannt zu werden, eine schwarze Burka überzieht. Sofort hat sie großen Erfolg, das Publikum ist begeistert. Die erste muslimische Frau, die auf der Bühne steht und Comedy macht erregt natürlich Aufsehen, und am nächsten Tag erscheint ihr Foto im Guardian. Die Familie ist entsetzt und verstößt sie, ihr jüngerer Bruder wird handgreiflich und von muslimischen Glaubensbrüdern bekommt sie sogar Morddrohungen.
Doch Azime ist nicht mehr zu bremsen, sie kann nicht anders, sie muss ihr Talent nutzen, muss sich mitteilen, muss Witze erzählen und ihr Publikum zum Lachen bringen. Gemeinsames Lachen verbindet, ist ein Mittler zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen. Erste Erfolge zeigen sich bereits in ihrer Familie …
Mit dem Roman „funny girl“ ist es Anthony McCarten wieder einmal gelungen, ein ernsthaftes, brisantes Thema auf unterhaltsame Weise zu vermitteln. Sein unaufdringlicher, humorvoller Schreibstil ist wie geschaffen für diese Geschichte. Azime ist eine junge Muslima die zwischen den Kulturen steht, zwischen Tradition und Moderne. Schlagfertig und manchmal auch voller Selbstzweifel verfolgt sie mutig ihr Ziel, die Welt durch Humor etwas menschlicher zu machen. Kritik an der Gesellschaft und an deren Verhältnis zur Integration wechseln gekonnt mit humorigen Passagen. Ganze Bühnenauftritte Azimes werden geschildert, Witze als Waffe gegen intolerante Zeitgenossen. Klischees werden bedient, Unerwartetes geschieht, alles ist dynamisch miteinander verwoben – und zum Ende ist es dann doch anders als erwartet.
Fazit: Ein Buch das nachdenklich stimmt, zum gelegentlichen Schmunzeln verführt, gefühlvoll ist und dennoch enormen Tiefgang hat. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 19.12.2014
Der Mann im Strom / Werkausgabe in Einzelbänden Bd.3
Lenz, Siegfried

Der Mann im Strom / Werkausgabe in Einzelbänden Bd.3


ausgezeichnet

Recht oder Unrecht?
Hinrichs ist Taucher, ein guter, erfahrener Taucher. Beinahe zwanzig Jahre ist er hinabgestiegen in das trübe Hafenwasser und hat dort seine gefährliche Arbeit verrichtet. Jetzt ist er arbeitslos, angeblich zu alt um noch zu tauchen. Doch Arbeit ist genug da, im Hafenbecken müssen die Wracks beseitigt werden. Und Hinrichs will arbeiten, ignoriert den Druck auf dem Herzen und will die Beklemmung, die er in der Tiefe verspürt, nicht wahrhaben. Außerdem braucht er das Geld, hat er doch seine schwangere Tochter und seinen Jungen zu ernähren. So sieht er nur einen Ausweg, eine letzte Chance. Er fälscht seine Papiere, macht sich jünger. Zunächst mit Erfolg, er bekommt die ersehnte Arbeit. Doch als er dann als Vorarbeiter bei einer Bergung in Schweden eingesetzt werden soll, eskaliert die Situation …
Ein zeitkritisches, und auch heute noch brandaktuelles Thema, das Siegfried Lenz in seinem dritten Roman „Der Mann im Strom“ bereits 1957 behandelt: Das Altwerden im Beruf, die Probleme, als älterer Mensch noch eine Arbeit zu finden. Alte werden trotz Erfahrung ausgemustert, Junge unerfahrene werden bevorzugt. Zitat: „Ja, Junge, es war wieder nichts“. (lässt Lenz den Taucher zu seinem Sohn sagen) „Sie brauchen überall Leute heutzutage, sie können nicht genug bekommen, aber sie wollen alle nur jüngere haben. Den Jüngeren brauchen sie weniger zu zahlen, das ist das Entscheidende. Wenn sie einen Alten einstellen, dann müssen sie ihm mehr geben, dann können sie ihm weniger sagen, und vor allem wissen sie nicht, wie lange ein Alter noch bei ihnen bleibt. Bei einem Alten ist zuviel Risiko, der rentiert sich nicht genug.“ --- "Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen geworfen wird.“
Der Roman spielt in den Nachkriegsjahren in Hamburg. Der Wiederaufbau ist allgegenwärtig, aber auf dem Grund des Hafenbeckens und im Strom liegen noch die Wracks vergangener Bombardierungen. Vorherrschend ist eine bedrückende Grundstimmung, von Aufschwung und Wirtschaftswunder ist noch nicht viel zu spüren. Der Schreibstil ist nüchtern und sachlich und lässt sich, obwohl nicht mehr ganz zeitgemäß, nach einigen Seiten recht gut lesen. Erfreulich wenige Figuren bevölkern den Roman, doch diese sind sehr gut heraus gearbeitet, sie leben. Lenz spielt mit gegensätzlichen Charakteren: Manfred, der verschlagene und kriminelle Freund der Tochter, Kuddl, der hilfsbereite und freundliche Arbeitskollege, dann der verständnisvolle und korrekte Chef und nicht zuletzt unser Protagonist Hinrichs, der zwischen allen Fronten steht. Der Leser fühlt förmlich die Zwangslage und die Ausweglosigkeit, in der er steckt. Er würde gerne ehrlich und rechtschaffen bleiben, doch er braucht die Arbeit um seine Kinder zu ernähren. Er sieht den einzigen Ausweg und seine letzte Chance darin, seine Papiere zu fälschen und sich deswegen strafbar zu machen. Dadurch entwickelt die Geschichte eine unheimliche Spannung, die durch die beklemmenden Unterwasserszenen im trüben Hafenbecken noch gesteigert wird. Man hofft für Hinrichs, dass alles gut geht, ahnt aber bereits, dass das wohl nicht der Fall sein wird.
Fazit: Ein lesenswerter Roman, sozialkritisch mit einem immer noch aktuellen Thema, bei dem der Leser sich am Schluss die Frage stellt, wie er selbst wohl gehandelt hätte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.12.2014
Kommst du ans Meer
Steppe, Lisa

Kommst du ans Meer


ausgezeichnet

„Kreuzfahrt der Gedanken durch den Kopf“ (S. 127)
Es ist der 11. Mai 2009, als Lisa Steppe die endgültige Diagnose erhält: Drüsenkrebs, unheilbar. Was macht man, wenn man soeben sein Todesurteil erhalten hat? Lisa tut, was sie auch schon früher tat, sie schreibt, führt Tagebuch über ihre Gedanken und Gefühle. Ruhelos fährt sie kreuz und quer durch ihre Wahlheimat Irland, wandert, steigt auf Berge. Und immer wieder zieht es sie ans Meer, das sie so sehr liebt, sucht die Stille, steht an den Klippen und überlegt. Dazwischen erzählt sie von verlassenen Orten, die sie früher einmal aufgesucht hatte, von Sitten und Gebräuchen der Inselbewohner und weiß auch einiges über deren Vorfahren, die Druiden, zu berichten. Manchmal schweifen ihre Gedanken ab, erinnern an fünfundzwanzig glückliche Jahre und frühere unbeschwerte Urlaubstage mit A., an Wanderungen in nahezu allen Ländern Europas mit ihm, an eine gefahrvolle Rucksacktour in Algerien, die sie gemeinsam überstanden hatten und an 1976, als sie beide erstmals Irland kennen lernten und sich in dieses Land verliebten.
In ihrem Buch „Kommst du ans Meer“ verarbeitet Lisa Steppe ihre Gefühle. Ihren Schreibstil habe ich als etwas wirr, aber trotzdem sehr angenehm empfunden. Der Leser bekommt dadurch ein tiefes Gefühl für ihre Empfindungen und Stimmungen, für die wunderbare irische Landschaft und für das Meer, das für sie von innen leuchtet wie eine zweite Sonne. Sie verschweigt auch nicht ihre Schmerzen und die schlechte ärztliche Versorgung in irischen Krankenhäusern. Sie schreibt über den tödlich-giftigen Blauen Eisenhut, der ganz in der Nähe ihres Hauses am Waldrand wächst. Und immer wieder zieht es sie zu den Klippen …
Fazit: Kein Roman, keine Erzählung, nur Gedanken und Gefühle, die die Autorin manchmal sogar in Kunstwörter verpackt. Wer dafür kein Verständnis aufbringt, sollte die Finger davon lassen, für alle anderen ein anrührendes und eindringliches Buch über die Endlichkeit des Lebens.

Bewertung vom 15.04.2014
Ostseesühne / Pia Korittki Bd.9
Almstädt, Eva

Ostseesühne / Pia Korittki Bd.9


ausgezeichnet

Im Feuerlöschteich des Röperhofes liegt eine Leiche. Der Briefträger von Groß Tensin an der Ostsee entdeckt sie bei der morgendlichen Postzustellung als erster. Die Bewohner des alten, heruntergekommenen Bauernhofes, Armin und Elsa Fuhrmann und ihr 16-jähriger zurückgebliebener Sohn Thilo, sind spurlos verschwunden. Mit den Ermittlungen werden Kriminaloberkommissarin Pia Korittki aus Lübeck und ihr Kollege Heinz Broders betraut. Bald wird auf dem Gelände eine weitere Leiche entdeckt …
„Ostseesühne“ ist nicht der erste Fall, in dem Pia Korittki ermittelt. Man muss die anderen Fälle nicht gelesen haben, um sofort in das Geschehen einsteigen zu können. Nach und nach erfährt man ausreichend Einzelheiten aus Pias Leben, ihrem Umfeld und dem ihrer Kollegen. Die Autorin Eva Almstädt hat hier einen überraschend angenehmen Krimi geschrieben, der sehr gut ohne die sonst üblichen, bis ins kleinste Detail gehenden, ekelhaften Beschreibungen auskommt.
Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der vielschichtigen Ermittlungsarbeit, die logisch und gut nachvollziehbar beschrieben ist. Vermutungen und Spekulationen ziehen den Leser in den Bann und laden zum Miträtseln förmlich ein. Spannung ist von Anfang an gegeben und steigert sich geschickt bis zum furiosen, actionreichen Schluss. Alles fügt sich dann schlüssig zusammen.
Aber auch das Privatleben der Protagonisten kommt nicht zu kurz. Als alleinerziehende Mutter eines 2-jährigen Sohnes gibt es auch hier genügend Probleme, die bewältigt werden müssen. Sehr einfühlsam geht die Autorin auch darauf ein und Pia gewinnt im Laufe der Geschichte immer mehr an Sympathie. Der flüssige klare Schreibstil und die insgesamt gut heraus gearbeiteten Charaktere machen das Lesen zu einem Vergnügen.
Fazit: Ein gut gemachter, logisch aufgebauter und stimmig gelöster Krimi, der gut unterhält und Lust auf weitere Fälle der Lübecker Kriminaloberkommissarin Pia Korittki macht.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.