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miss.mesmerized
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 01.08.2021
Die verschwundenen Studentinnen
Michaelides, Alex

Die verschwundenen Studentinnen


ausgezeichnet

Der Anruf ihrer verstört wirkenden Nichte Zoe bringt die Psychotherapeutin Mariana zurück an ihr ehemaliges College in Cambridge. Tara, Zoes Freundin ist bestialisch ermordet worden. Zoe musste bereits als Kind den Verlust ihrer Eltern ertragen, nur wenige Monate zuvor kam Marianas Mann bei einem Schwimmunfall ums Leben; ein Trauerfall, den beide noch nicht ganz verarbeitet hatten. Doch nun geht die Angst in der berühmten Universitätsstadt um. Ein exzentrischer Professor lenkt Marianas Aufmerksamkeit auf sich, nicht nur, weil Zoe ausgesprochen negativ auf ihn reagiert, sondern auch, weil er fast guruhaft hübsche Studentinnen um sich schart, eine davon war Tara. Als eine zweite junge Frau aus dem erlesenen Zirkel ebenfalls ermordet wird, ist für Mariana die Schuld des Dozenten offenkundig. Nur leider steht sie mit ihrer Meinung ziemlich alleine da.

Vor zwei Jahren hat Alex Michaelides mit seinem Debütroman „Die stumme Patientin“ bereits für Aufsehen gesorgt. Sein zweiter Thriller – mit bemerkenswert ähnlichem Cover ausgestattet – ist für mich sogar noch ein Stück überzeugender. Wieder steht im Zentrum die Frage danach, was einen Menschen zu einem brutalen Mörder macht. Die Erfahrungen des Autors aus seiner Arbeit als Psychiater waren sicherlich auch dieses Mal entscheidend für die Gestaltung der Figuren. Die Hauptfigur ist wieder vom Fach und nähert sich dem Täter entsprechend weniger aus polizeilicher denn aus psychoanalytischer Sicht und zeigt einmal mehr, wie anfällig der Mensch doch sein kann, für scheinbar perfekt zusammenpassende Puzzleteilchen.

Als geübter Krimi- und Thrillerleser ist man naturgemäß skeptisch, wenn einem der Täter so klar auf dem Serviertablett präsentiert wird. Zwar scheint der beliebte Professor durchaus einiges zu verbergen zu haben und die Spuren, die auf ihn hindeuten, sind überzeugend platziert, Alex Michaelides liefert jedoch auch noch einige Nebenfiguren, die schnell stutzen lassen – der aufdringliche Doktorand Fred, der junge Portier Morris, vielleicht sogar der Forensiker Julian – und denen man im Laufe der Handlung schlichtweg alles zutraut. Geschickt werden Fährten gelegt, die einem auf Abwege bringen, bevor man – ebenso wie Mariana - vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen kann und sich verrennt.

Spannend und temporeich erzählt mit einer starken Protagonistin, die die Handlung trägt und den Leser in ihrer Neugier auf den Fall schnell mitreißen kann.

Bewertung vom 31.07.2021
The Cellist (eBook, ePUB)
Silva, Daniel

The Cellist (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

A poisoned Russian dissident, an investigative journalist on the run and a non-descript German banker. Linking these three is not easy for Gabriel Allon but he will most certainly not just watch when one of his friends who once saved his life is killed with Novichok. The traces soon lead to Isabel Brenner who works at RhineBank in Zurich, the world’s dirtiest bank. Apart from calculating risks and laundering money, she also plays the cello like a professional. Deceived by her misogynist co-workers, she starts to leak information about the “Russian Laundromat”, the bank’s way of cleaning Russian oligarchs’ rubles. It does not take long for her to be convinced to work with Gabriel Allon to bring the bank and the Russians to fall. Their main target is Arkady Akimov but he himself is actually only a small figure, it is somebody much bigger and much more influential who is behind the Russian money.

In the twenty-first novel of the series about the legendary Israeli spy and art restorer turned into director-general of the world famous intelligence service, Daniel Silva focusses on another current topic: the political influence which money can buy, especially money which was acquired illegally and washed through layers of fake firms by banks which are only too willing to profit. The author also managed to incorporate the Covid restrictions as well as the challenges to the American democracy that we have witnessed in January 2021 making it highly topical.

The cellist is a remarkable character, on the one hand, she is a highly intelligent cool mathematician who knows how to juggle with numbers and money. On the other hand, as a woman, she experiences the misogynist behaviour of her colleagues in a dominantly male business and despite her skills is prevented from unfolding her full potential. She finds solace in music, the cello she can play on her own and the impact the tone has on her own mood but also on others is amazing.

The Russians are an old but nevertheless still interesting topic in spy novels. It is not the cold war scenario of piling up destructive weapons anymore, the war between the systems is fought a lot more subtly today. Nerve agents like Novichok have become broad knowledge and the fact that money makes the world go round is also well-known. Having the financial means leads to the necessary power to rule the world, regardless of democratic systems and boundaries which only seem to exist on paper.

Silva proves again that he is a masterful storyteller. He brilliantly interweaves different plot lines to create a high paced and suspenseful novel. Still after so many instalments, one does not get exhausted by the protagonist since the author always finds a completely new story to tell.

Bewertung vom 28.07.2021
Das Nest / Kørner & Werner Bd.4
Engberg, Katrine

Das Nest / Kørner & Werner Bd.4


ausgezeichnet

Ein Teenager, der am Wochenende nicht nach Hause kommt. Grund zur Beunruhigung oder völlig normales Verhalten? Oscars Eltern sind besorgt, zwei Jahre zuvor waren die Inhaber eines erfolgreichen Auktionshauses schon einmal bedroht worden und ein mysteriöser Brief lässt sich nur schwer deuten. Jeppe Kørner und Anette Werner begeben sich auf die Suche, unsicher, was sie von den Eltern mit seltsamen Erziehungsansichten halten sollen. Als in einer Müllverbrennungsanlage eine Leiche auftaucht, befürchten sie Schlimmstes, doch der Fall ist viel komplexer als sie anfangs vermuten.

Bereits zum vierten Mal lässt Katrine Engberg ihr Ermittlerduo in Kopenhagen auf Verbrecherjagd gehen. Neben dem undurchschaubaren Fall geraten beide auch in emotionale Verwirrungen und stellen ihre Beziehungen in Frage. Mit jedem Band gewinnen Jeppe und Anette an Facetten hinzu ohne dabei in bekannte und schon abgedroschene Schemata zu passen. Menschliche Schwächen lassen sie authentisch wirken ohne dabei auf Kosten der Spannung zu gehen.

Der Fall wird ist clever konstruiert und schon zu Beginn schickt sie die Leser geschickt auf eine falsche Fährte, die sich zwar rasch auflöst, aber nur um durch weitere Fragezeichen ersetzt zu werden. Es ist nicht das eine Motiv, die eine Tat, die die Geschichte antreibt, es sind niedere menschliche Instinkte, Ursünden, denen gleich mehrere Figuren verfallen und denen sie sich ergeben, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, wer die Opfer ihrer Taten sein werden.

Es braucht keine detaillierten Beschreibungen von brutaler Gewalt, um das alltägliche Grauen, das sich hinter hübschen Fassaden versteckt, zu visualisieren. Katrine Engberg nutzt das alltägliche Grauen, das so naheliegt und von dem man sich kaum distanzieren kann, um die Spannung zu erzeugen und den Leser zu erschüttern. Dies gelingt ihr auch in diesem Band fraglos hervorragend.

Bewertung vom 28.07.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


sehr gut

Viele Jahrzehnte schon gehen Rahel und Peter gemeinsame Wege, doch nachdem die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, haben sie immer weniger gemeinsam. Rahel hofft, im Urlaub wieder zueinander zu finden. Drei Wochen werden sie auf dem Bauernhof eines befreundeten Paares verbringen und sich dort um alles kümmern, während diese in einer Reha sind. Sie schätzen und respektieren sich, aber die Liebe, die einmal da war, scheint sich verflüchtigt zu haben, in getrennten Betten liegen sie wach, sinnieren über sich, ihr Leben, ihren jeweiligen Beruf und natürlich auch darüber, was die Pandemie so verändert. Mal scheinen sie sich anzunähern, dann jedoch driften sie so weit auseinander, dass das Hand Reichen unmöglich erscheint.

Daniela Krien greift in ihrem Roman ein schwieriges Thema auf: wie geht man nach mehreren Jahrzehnten gemeinsamem Leben mit möglichen Rissen in der Beziehung um? Kann man jenseits der Mitte des Lebens nochmal neu beginnen, allein oder zu zweit, was ist wirklich wichtig, wenn plötzlich gleich von mehreren Seiten Bedrohungen aufziehen? Rahel wie auch Peter sind reflektierte Akademiker, die sich nicht von ihren Emotionen leiten lassen, im Gegenteil, diese scheinen oftmals gar nicht zugänglich, doch nicht auf alle Fragen des Lebens gibt es rationale Antworten.

Als Leser ist man bei Rahel, die als Psychoanalytikerin täglich ihren Klientel hilft klar zu sehen, Konflikte zu erkennen und zu lösen, in ihrer eigenen Beziehung, aber auch jener zu ihrer Tochter, ebenso hilflos dasteht, wie diejenigen, die bei ihr Hilfe suchen. Sie liebt Peter immer noch, ist sicher aber unsicher, ob er das genauso empfindet. Ihr Körper sendet Signale aus, doch sie kann sie nicht lesen und so auch kaum Antworten darauf finden, wo sie selbst steht.

Der Alltag auf dem Bauernhof ist konkret, die Pflanzen müssen gegossen, die Tiere versorgt werden, so ganz anders als ihr theoretisches Dasein Zuhause. Aber der idyllische, einfache Hintergrund liefert auch Ablenkung und Flucht, so dass sie kaum dazu kommen das anzusprechen, was besprochen werden muss. Es ist ein zögerlicher Tanz, keiner von beiden will verletzen oder Grenzen übertreten, doch genau das Unausgesprochene verursache gleichermaßen Schmerz.

Die Autorin fängt die widersprüchlichen Empfindungen, die feinen Wahrnehmungen und Verletzlichkeiten der Figuren überzeugend ein. Gerade die Unfähigkeit die großen Gefühle anzusprechen setzt sie so überzeugend um. Rahel wie auch Peter wirken authentisch, ebenso ihre Konflikte. Eine detailgenaue Studie menschlicher Empfindungen an einem möglichen Wendepunkt im Leben.

Bewertung vom 28.07.2021
Das Lied des Geldes / Kostas Charitos Bd.13
Markaris, Petros

Das Lied des Geldes / Kostas Charitos Bd.13


ausgezeichnet

Lambros Sissis, bester Freund von Kommissar Charitos, kann das Elend im Obdachlosenheim nicht mehr mitansehen. Seine politischen Ideale sind gestorben, es bleibt nur noch die Linke, die seiner Ansicht nach auf ganzer Breite versagt hat, zu Grabe zu tragen. Er organisiert einen Trauerzug samt Sarg durch Athen, was ihm entsprechende Aufmerksamkeit einbringt. Die Armen verbünden sich, nicht mehr nur die Obdachlosen am unteren Rand der Gesellschaft, auch die Flüchtlinge und die ehemalige Mittelschicht leiden und schließen sich der neuen Protestbewegung an. Zu Charitos‘ Schrecken sind auch seine Frau Adriani und Tochter Katerina aktiv im Kampf gegen die Kapitalisten. Und diese müssen sich auch ganz konkret fürchten, denn ein Mörder scheint es gezielt auf ausländische Investoren abgesehen haben. Erst ein saudi-arabischer Bauunternehmer, dann ein chinesischer Unternehmer werden heimtückisch in eine Falle gelockt und erstochen. Der Beginn einer Serie? Offenkundig, denn stets wird am Tatort auch ein Lied vernommen, ein Lied, das von Geld und Gier erzählt.

Immer wieder hat Petros Markaris in seiner Reihe um den Athener Kommissar Kostas Charitos gesellschaftliche Entwicklungen aufgegriffen und sich deutlich positioniert. Wurde im vorausgehenden Band die Heuchelei der griechischen Elite kritisiert, greift er nun in „Das Lied des Geldes“ sowohl die drängende Armut, die nach der Finanzkrise weite Teile der Bevölkerung erfasst hat, auf und thematisiert, wie die Not von geschäftstüchtigen, ausländischen Investoren ausgenutzt und dadurch noch weiter verschlimmert wird.

Es braucht nicht viel, um Lambros Sissis‘ Resignation nachvollziehen zu können. Das Leid unmittelbar vor Augen, ohne jede Hoffnung auf Besserung, kann man nur noch mit einem gewissen Zynismus reagieren, wenn man nicht vollends verzweifeln möchte. Dass er schnell aus allerlei Richtungen Unterstützer findet, ist nicht verwunderlich, sondern verstärkt eher das Gefühl von Machtlosigkeit ob der schon seit Jahren andauernden Krise. Der friedliche Protest glückt und gewinnt die Sympathien. Dass dies einigen jedoch vielleicht zu wenig ist, kann man menschlich nachvollziehen.

Geschickt wird so der Bogen zur eigentlichen Krimihandlung geschlagen, deren Opfer zu der Riege der Profiteure der Notlage gehören und die sich auf Kosten der Schwächsten bereichern. Auch wenn Charitos im Sinne der juristischen Gerechtigkeit unterwegs ist, bleibt die moralische eine gänzlich andere Frage.

Markaris erzählt nicht die nervenzerreißenden Geschichten, sondern jene zutiefst menschlich motivierten, die mit langsamerem Tempo jedoch deutlich mehr Tiefgang erreichen und die Finger in die Wunden legen, wo es weh tut. Seine authentischen Figuren sind die einfachen Menschen, die trotz mancher Widrigkeit versuchen, den Alltag zu meistern und ein rechtschaffenes Leben zu führen, bis ihnen das jedoch nicht mehr gelingt. Die Täter sind oft die eigentlichen Opfer und so zeigt auch „Das Lied des Geldes“, dass die Realität komplexer ist als nur schwarz und weiß und dass die Frage nach dem, was richtig und was falsch ist, durchaus moralisch herausfordernd werden kann.

Einmal mehr ein aufrüttelnder Roman, der Spannung mit Sozialkritik verbindet.

Bewertung vom 21.07.2021
Ciao
Adorján, Johanna

Ciao


ausgezeichnet

Viele Jahrzehnte ist es schon her, dass Henriette mit ihrem Gedichtband so etwas wie einen kleinen Erfolg feiern konnte, heute ist sie nur noch gelegentlich als Gattin von Hans Benedek in der Öffentlichkeit zu sehen, einem angesehenen Feuilletonisten und von der Kunst und Kulturszene lange umworbenen Gast auf allerlei Veranstaltungen. Umso erstaunter ist sie als Xandi Lochner, 24-jährige Feministin und Liebling aller Social-Media-Kanäle sie um ein Treffen bittet. Die Welten der beiden Frauen könnten verschiedener nicht sein und für Henriette endet der Abend in einem Desaster. Doch ihr Mann ist von der Idee, ein Portrait über die schlagfertige Jungautorin zu schreiben, begeistert, vielleicht kann er so seinen sinkenden Stern bei der Zeitung wieder etwas zum Leuchten bringen. Zwar kann er mit den modernen Ideen der Frauen wenig anfangen, er fühlt sich inzwischen geradezu verfolgt und gehasst, aber das verhindert ja keinen erfolgreichen Artikel und sein Charme wirkt doch auch immer noch gut, wie all seine Affären mit den Praktikantinnen eindrucksvoll belegen.

Johanna Adorján greift das Thema der Stunde auf: der tobende Geschlechterkampf im Kulturbetrieb. Auf der einen Seite gut situierte und etablierte ältere Herren, die jahrzehntelang gönnerhaft ihre Position ausgenutzt haben, auf der anderen junge, unerschrockene Frauen, die sich nicht mehr so einfach in die zweite Reihe schieben lassen und die Gegebenheiten hinterfragen. Die Autorin verfällt jedoch nicht dem wütenden Duktus, der häufig diese Debatte begleitet, sondern findet einen humorvollen Ton für ihre Geschichte, die auch den Protagonisten nicht gänzlich demontiert. Benedek ist kein selbstsüchtiges Monster, viel mehr ist er überfordert und blickt orientierungslos in die Welt.

Es sind nicht nur die Frauen, die Benedek Kopfzerbrechen bereiten. Auch die Tatsache, dass sich seine Zeitung weg vom Papier hin zum online Journalismus verlagert, irritiert ihn. Dort kann ja auch jeder schreiben, was er will, nicht mehr er ist als Feuilletonist plötzlich der Königsmacher, der mit wohlwollenden Kritiken Karrieren befördert und eine entsprechende Behandlung erwartet. Dass sich die Zeiten geändert haben, spürt er an seinem Arbeitsplatz deutlich, insbesondere die Einsparungen, unter denen die ganze Branche leidet, treffen ihn hart.

Seine Tochter versteht er schon lange nicht mehr und mit Henriette hat er auch kaum mehr was zu teilen, dafür hat er ja Niki, aktuelle Praktikantin und Geliebte, die er ärgerlicherweise zu seinem Treffen mit Xandi Lochner nehmen muss und mit der er absurderweise gemeinsam den Artikel verfassen soll. Obwohl er beobachtet, wie Xandi eine Größe des Showgeschäfts vor seinen Augen vom Thron stößt, ist er nicht gewarnt und wähnt sich mit seinem erprobten Charme in Sicherheit. Mit dem Twitter Shitstorm, der dem Abend folgt, ist er restlos überfordert, er hat doch gar nichts falsch gemacht, er war doch nur nett und zuvorkommend?

Das Drama um den gealterten Journalisten nimmt unterhaltsam die ganze Medienbrache in den Fokus, nicht nur die Geschlechterfrage, sondern auch inhaltsleere Social-Media-Kanäle und Kunstveranstaltungen, bei denen es nicht um Kunst, sondern nur um das Sehen und Gesehenwerden geht, werden pointiert zugespitzt. Die oft etwas verbissene Diskussion um den „alten weißen Mann“ bereichert Adorján um Benedeks Perspektive, er will ja eigentlich modern sein, aber die Welt überfordert ihn und dass er am Ende nicht mehr über eine junge Frau schreiben darf, führt die Frage, wer überhaupt wen übersetzen darf, noch ein Stück weiter ad absurdum.

Eine bissige Gesellschaftssatire, die als Sommerroman funktioniert, obwohl sie eine nicht zu verachtende Tiefe hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2021
Intimacies
Kitamura, Katie

Intimacies


ausgezeichnet

The narrator leaves busy New York after her father’s death for The Hague where she is to work as an interpreter at the International Court of Justice. She befriends Jana whom she had already met in London and who has moved to the Netherlands only a short time before her and who has already made the city her home. She cannot talk about her job outside the Court, not even with Adriaan, her kind of boyfriend who is still married to another woman. Unexpectedly, two major events come together, Adriaan needs to leave for a couple of days which soon turn into weeks and the interpreter is required in a high profile case: a former president of an unnamed African state is accused of crimes against humanity and she is to become the first interpreter. She does not only meet him in court but also when he confines with his lawyers where she sits close to him and can feel the impact and power the charismatic man can have on people. As the weeks go by, she struggles more and more, not only with her absent partner but also with how close she gets to a man who can only be considered a monster.

Katie Kitamura’s novel “Intimacies” invites the reader into the thoughts of an interpreter who knows that the slightest mistake in her translation can have severe consequences. It also highlights the position of a job which is often overlooked but crucial in many ways and where people are forced to retreat behind words which is easier said than done. At times she feels depersonalised, like an instrument, but for the accused, she is the first person of communication.

Many questions are raised throughout the plot, first, the question about belonging. The narrator does not have a place she can really call home. A cosmopolite speaking several languages and having lived in diverse countries, she does not know which place she could actually associate with a feeling of home. Her apartment in The Hague perfectly reflects this: she has rented a furnished place which she never managed to give a personal note.

More importantly, however, is the place of the interpreter. Nobody prepares them for what they are going to hear at the court. The lawyers remain cool when being confronted with atrocious crimes, the interpreters react in much more humane way which can be heard in their voice immediately but which is considered unprofessional. Being often close to the accused over months, they form a very peculiar bond which makes them separate the deeds from the defendants.

A wonderfully written homage to language and its force, even though there are a lot of things which remain unsaid in the novel.

Bewertung vom 17.07.2021
Der Mann, der vor Lachen weinte (eBook, ePUB)
Beigbeder, Frédéric

Der Mann, der vor Lachen weinte (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Octave Parango gehört zu den ganz Großen seines Faches, als Kolumnist fasst er jeden Donnerstagmorgen im Radio scharfzüngig bis zynisch die Lage der Nation zusammen. Pünktlich um 8 Uhr 55 wird der größte nationale Radiosender seit zwei Jahrzehnten von ihm zum zentralen Ort der Abrechnung. Doch nach Jahren des ausgelassenen Feierns und engen Austauschs zwischen Kultur und Politik ist ihm nun das Lachen vergangen. Was in den 90ern mal komisch war, bleibt ihm jetzt im Hals stecken. Er hat noch eine Nacht, um sein Programm für den folgenden Morgen vorzubereiten. Sinnierend flaniert er durch Paris auf der Suche nach Inspiration, aber er hat sich schon so entfremdet, dass er kaum mehr Bezug zu seiner Umwelt finden kann.

„Dieses Buch ist der Bericht einer Selbstversenkung, aber nicht nur meiner eigenen, es handelt sich eher um ein Kollektivopfer.“

Beigbeder greift in seinem aktuellen Roman den Protagonisten Octave Parango auf, der bereits zentrale Figur in „99F“/“Neununddreißigneunzig“ und „Au secours pardon“ war. Stand in ersterem die Abrechnung mit der Werbebranche und dem maßlosen Konsum im Vordergrund, war es in zweitem die Welt der Mode mit ihren ausschweifenden, drogengetränkten Partys. An beides erinnert sich Parango bei seinem Streifzug, doch die Stadt ist nicht mehr die, die er einmal kannte. Es ist eine Satire, die sich zwischen urkomisch und tiefverzweifelt bewegt und so die Gegenwart ungeschönt einfängt.

„In einer Vergnügungsdemokratie hat der Staatspräsident nicht so viel Gewicht wie der Narr, denn er muss die tägliche Karikatur ertragen, während der Narr nicht anfechtbar ist – und damit ein Tyrann.“

Wie auch die vorhergehenden Romane der Trilogie ist „Der Mann, der vor Lachen weinte“ autobiografisch geprägt, Beigbeder verlor seine morgendliche Kolumne bei France Inter, nachdem er den Bogen überspannt und sich der „Vergnügungsdemokratie“ entsagt hatte. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo genießen die Karikaturisten Narrenfreiheit; waren sie vorher diejenigen, die Staat und Gesellschaft den hässlichen Spiegel vorgehalten haben, sind sie nun unantastbar.

„Jedes Jahr gedenkt man am 14. Juli, Frankreichs Nationalfeiertag, einer von der Polizei verbotenen Demonstration. Deshalb gelten Aufstände in Frankreich als heilig. Das Recht auf Wut ist hierzulande unantastbar. Die Revolution ist unsere DNA, unsere Republik ist aus einem gewalttätigen Chaos hervorgegangen, (...)“

Doch sie, ebenso wie die politische Elite, die schon immer aus den Grandes Écoles hervorgegangen ist, deren Zugang mehr mit Beziehungen denn mit Qualifikation zu tun hat, haben den Bezug zum Volk verloren. Täglich erlebt er Demonstrationen der Gelbwesten (in der Übersetzung etwas irritieren „Neonwesten“ genannt), die in zerstörerischen Ausschreitungen enden und doch mit ihrer Message nicht ankommen.

Der Komiker hat nichts erreicht, die Satire hat nicht zum Nachdenken angeregt, hat keine Veränderung provoziert. Mehr als oberflächliche Lustigkeit ist nicht geblieben. Und so greift die abgehängt Klasse notgedrungen zu jenem Mittel, das auch schon Jahrhunderte zuvor gewirkt hat und erobert sich mit den Champs-Élysées jene Straße zurück, die sich die reiche Oberschicht als ihr Quartier eingerichtet hatte.

Beigbeders Roman ist inhaltlich eher ein Essay zur Lage der Nation, eine Abrechnung mit der politischen wie kulturellen Elite, zu der er selbst jedoch auch gehört. Eindrücklich und zugleich sehr unterhaltsam warnt er vor den Folgen der Entfremdung, man hat schon einmal gesehen, wo diese hinführt. Das kollektive Augenverschließen – nicht nur vor der Not weiter Teile der Bevölkerung, sondern in Frankreich zudem noch vor den inzwischen publik gewordenen Pädophilie-Skandalen – kann und darf nicht mehr toleriert werden.

Sicher nur begrenzt auf Deutschland übertragbar da sehr spezifisch auf die französische Situation bezogen, dennoch sehr lesenswert, denn Beigbeder gelingt die Mischung zwischen Unterhaltung und Sozialkritik überzeugend.

Bewertung vom 13.07.2021
The Final Girl Support Group
Hendrix, Grady

The Final Girl Support Group


ausgezeichnet

For years, Lynnette Tarkington has done everything to keep a low profile, not to be found and to be absolutely secure in her apartment which is equipped according to her needs: security cameras outside, several locks, a cage to hinder any intruder from getting close to her. She has a reason to be careful, she is a final girl, the only person surviving a massacre. She is not alone, there are more girls who share this fate and for more than a decade, they have been meeting regularly in a self-help group led by Dr Carol. But now, somebody seems to try to finish what hadn’t been completed before: killing the final girls. After the first of them has died and Lynnette is attacked in her apartment, she is sure: all the others are in danger and she needs to warn them. Yet, one question remains: who is the killer?

Grady Hendrix’ novel is a roller coaster ride though a kind of teenage horror and splatter movie, just like the ones that were highly popular during the 1990s. Lynnette, the first person narrator, does not seem to be totally reliable, quite obviously, the events she had to go through did leave some scars, not only on the outside, but much more importantly on her psyche. She is a bit strange, to put it nicely, or crazy when judging her behaviour from the outside. Yet, she could be right, somebody might try to kill them, but maybe this also only happens in her head. As a reader, it takes some time to decide which perspective to take.

I absolutely enjoyed the novel, it is just like the movies, fast paced, a bit over the top, some quite scary moments which make it highly entertaining. However, it is not only a shallow novel, there some depths when it comes to what such an experience does to a victim and also how people react to a single survivor who becomes a popular figure due to such an horrendous cruelty.

There are some cruel horror scenes with a lot of violence, so the novel surely isn’t for everybody, me, personally, I had great fun reading it.

Bewertung vom 13.07.2021
Magma
Hjörleifsdóttir, Thora

Magma


ausgezeichnet

After some time in Denmark and a long trip to South America, Lilja returns to her home town Reykjavik where she falls for a well-read student. She only works in a café and thus always feels a bit inferior to the intelligent young man. Nevertheless, she quickly moves in with him, knowing that she is not really his girlfriend but rather the person he shares the bed with. She calls him very private as he does not invite her to his family or friends and accepts his conditions in return for his love. Yet, this toxic relationship leaves its scars on her - figuratively on her soul, feeling not good enough for him and therefore accepting other women besides her, and very visibly on her skin when she discovers that cutting can release some stress.

Told by a first person narrator, the reader is quite close to Lilja and her thoughts. At first, she seems to be quite some tough and modern young woman who lives her life according to her own ideals and standards. Gradually, however, the downwards spiral is set in motion turning her into a vulnerable and dependent woman who is caught in the negative view of herself. Thora Hjorleifsdottir’s novel “Magma” tackles a complex and difficult issue but makes it easy to understand how some women end up in unhealthy relationships and do not find – or even want - a way out.

Lilja, on the one hand, can clearly name how she is being treated. How recklessly he chats with other women online while she is in the same room or even meets them the same day they have a date. She falls for him and accepts being treated like some second rate being, listens to him praising his ex-girlfriends in front of her and even gives in when he asks for things which clearly transgress her boundaries.

She believes she deserves being treated like this, she is not pretty enough, not good enough, not clever enough, too sensitive, behaving horribly - simply crazy, a failure. If only she could be the girl he expects her to be, then he could also love her. The narrator does not sound foolish or naive at all, even though it is obvious that this thinking isn’t healthy, we all know these kinds of toxic thoughts which are hard to get rid of even if you are standing with both feet on the ground and having a healthy self-image.

At the end of the day, it is simply how women end up being abused and ill-treated by men they believe - despite everything they go through - love them. It starts with small signs until the chain of events once set in motion cannot be stopped anymore and ultimately heads towards a complete disaster.

Wonderfully written in a reduced, direct style which makes it easy to follow the line of thoughts and go down with the narrator. More than once, you want to shout at her or take her in your arms, so heart-wrenching it is to see what’s happening without any possibility of interfering.