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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 394 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2020
Die Krieger / Nick Marzek ermittelt Bd.1
Maurer, Martin

Die Krieger / Nick Marzek ermittelt Bd.1


sehr gut

Der Berliner Kommissar Nick Marzek ist nach dem Tod seiner Frau am Boden zerstört. Sein Freund Aki, Kommissar in München, bietet ihm an, nach München in die Mordkommission zu wechseln. Nick nimmt das Angebot an. Schon bald findet im Rotlichtbezirk Münchens ein schrecklicher Brandanschlag statt. Was zunächst wie ein Bandenkrieg um die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu aussieht, bekommt eine politische Dimension, als ein mit Hakenkreuzen und Runen versehenes italienisches Bekennerschreiben einer Gruppe Ludwig eintrifft, einer Gruppe, die sich schon zu verschiedenen Anschlägen in Europa, vornehmlich in Italien, bekannt hat. Ein Ermittler soll vor Ort in Italien recherchieren und die Wahl fällt auf Nick. Da dieser jedoch der italienischen Sprache nicht mächtig ist, wird ihm aus Mangel an Alternativen die italienische Putzfrau der Mordkommission, Graziella, zur Seite gestellt, die für ihn übersetzen soll. In Italien angekommen, stellt Nick fest, dass Graziella sich mit dem Lesen schwer tut, was aus dem Durchforsten der Aktenberge eine Mammutaufgabe macht. Trotzdem ist Graziellas Hilfe Gold wert, denn sie versteht die Mentalität der italienischen Kommissare und schafft es sogar, Nick ein Stück weit mit ihrer Lebensfreude anzustecken.
Das ungewöhnliche Duo besucht die Orte in Italien, an denen die Anschläge der Gruppe Ludwig stattgefunden haben und erhalten Amtshilfe der italienischen Polizei und eines mittlerweile pensionierten Ermittlers, den die ungelösten Fälle jedoch nie losgelassen haben.
Die Geschichte, die auf wahren Tatsachen beruht, spielt im Jahr 1984. Der Anschlag auf die Diskothek Liverpool in München hat tatsächlich stattgefunden und auch die Gruppe Ludwig ist real. Die Ermittler und die abenteuerliche Reise nach Italien sind jedoch fiktiv. Martin Maurer ist es gelungen, aus dem nach wie vor in Teilen ungelösten Fall einen spannenden Roman mit zeitgeschichtlichem Hintergrund zu machen. Das Ende habe ich als ein wenig unbefriedigend empfunden, da nicht alle Fragen geklärt werden, aber dass ein oder mehrere Mittäter der Gruppe Ludwig nie gefasst wurden, entspricht nun einmal den Tatsachen, an die sich der Autor gehalten hat. Ein gut recherchierter, spannender und gleichzeitig unterhaltsamer Krimi!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.11.2020
Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2
Horowitz, Anthony

Mord in Highgate / Hawthorne ermittelt Bd.2


sehr gut

Amüsanter klassischer Whodunnit
Der renommierte Scheidungsanwalt Richard Pryce wird erschlagen in seinem Haus in Highgate aufgefunden. Mordwaffe war eine ausgesprochen teure Flasche Wein, was seltsam ist, da Pryce keinen Alkohol trank. An die Wand hat jemand die Zahl 182 gemalt. Ein Hinweis auf den Mörder?
Der Ex-Polizist Hawthorne wird von Scotland Yard damit beauftragt, parallel zu den Ermittlungen der Polizei ebenfalls zu ermitteln, woraufhin dieser den Schriftsteller Anthony Horowitz informiert und in seine Ermittlungen einbezieht. Horowitz ist sozusagen sein persönlicher Biograph, der die genialen Ermittlungsmethoden Hawthornes für die Nachwelt festhalten soll. Kein besonders dankbarer Job, doch dummerweise hat Horowitz mit seinem Verlag einen Vertrag über eine 3-teilige Bücherreihe über Hawthorne abgeschlossen.
Trotz anfänglicher Vorbehalte weckt der Fall jedoch auch Horowitz’ kriminalistischen Ehrgeiz. Die Liste der Verdächtigen ist lang. Hängt der Mord an Pryce womöglich mit einem Jahre zurückliegenden Unglück in einer Höhle zusammen? Damals war Pryce zusammen mit zwei alten Studienfreunden unterwegs, als einer von ihnen, von plötzlichen Regenfällen überrascht, in der Höhle ertrank. Besonders mysteriös wird es, als der andere Teilnehmer der damaligen Expedition, ebenfalls zu Tode kommt. Doch auch eine feministische Autorin, deren Ex-Ehemann sich bei der Scheidung von Pryce vertreten ließ und die in aller Öffentlichkeit Pryce ein Glas Wein überkippte, kommt als Täterin infrage.
Horowitz ist ein Meister im Legen von (falschen) Fährten. Jedes Mal, wenn ich dachte, den Mörder zu kennen, nahm die Geschichte eine neue Wendung und die Geschehnisse erschienen in einem neuen Licht.
Es ist äußerst amüsant, wie Anthony Horowitz quasi über sich selbst schreibt und Reales und Fiktives miteinander vermischt. Sein Sprachwitz ist unübertroffen, ich habe mich köstlich amüsiert. Allerdings fehlte mir ein wenig die Spannung. Der eigentliche Kriminalfall hat mich nicht so gefesselt wie das Drumherum. Warum ist Hawthorne so zugeknöpft und gibt nicht Privates preis? Welches Geheimnis aus der Vergangenheit versucht er um jeden Preis zu verbergen? Eine Antwort auf diese Frage wird in diesem Band nicht gegeben, so muss sich der Leser wohl oder übel bis zum nächsten Band der Reihe gedulden.

Bewertung vom 27.10.2020
Wolfssommer / Hanna Wester Bd.1 (2 MP3-CDs)
Rosenfeldt, Hans

Wolfssommer / Hanna Wester Bd.1 (2 MP3-CDs)


ausgezeichnet

Ausnahmezustand in Haparanda
In der Nähe der schwedischen Kleinstadt Haparanda werden zwei tote Wölfe gefunden. An und für sich nichts Ungewöhnliches, immer wieder kommt es vor, dass Wölfe vergiftet werden. Doch dieses Mal finden sich menschliche Überreste im Magen der Wölfe. Die Polizisten, die sich sonst eher mit Falschparkern und Eigentumsdelikten beschäftigen, machen sich auf die Suche nach der Leiche und werden fündig. Es stellt sich heraus, dass der Tote an einem Drogendeal beteiligt war, doch die Drogen sind verschwunden. Auch der Besitzer der Drogen, ein russischer Mafiaboss, wüsste gerne, wo sein Eigentum abgeblieben ist und schickt die Profikillerin Katja in den verschlafenen Ort. Sie findet bald Hinweise und bringt auf der Suche nach den Drogen mehrere Menschen um, doch sowohl die Drogen als auch eine größere Summe Bargeld bleiben verschwunden.
Die Ermittler vor Ort haben derweil noch ganz andere Probleme. Hannah Wester spürt zum Beispiel, dass ihr Mann etwas vor ihr verheimlicht. Er weicht ihren Fragen aus, geht ihr aus dem Weg. Hat er etwa eine Geliebte? Auch im Team hat so mancher etwas zu verbergen. Zum Beispiel befindet sich ein Maulwurf unter ihnen...
„Wolfssommer“ ist ein ausgesprochen spannender Krimi mit vielen verschiedenen Handlungssträngen, was am Anfang etwas verwirrend ist, doch am Schluss wird –fast- alles aufgelöst. Allerdings bleiben auch etliche Fragen offen und es ist zu hoffen, dass eine Fortsetzung nicht allzu lang auf sich warten lässt.
Ich habe „Wolfssommer“ als Hörbuch gehört, ganz hervorragend gelesen von Vera Teltz. Spannende Unterhaltung garantiert.

Bewertung vom 14.10.2020
Kalmann
Schmidt, Joachim B.

Kalmann


ausgezeichnet

Auf Kalmann ist Verlass
Kalmann Odinsson lebt in Raufarhöfn, einer kleinen Gemeinde im menschenleeren Nordosten Islands. Früher, als es noch Heringsschwärme gab, war es ein prosperierender Ort, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Jetzt zählt Raufarhöfn nur noch 173 Einwohner. Auch Touristen verirren sich nur selten in die Gegend. Das Leben in Raufarhöfn ist beschaulich bis zu dem Tag, an dem der reichste Mann des Ortes, Robert McKenzie, spurlos verschwindet. Allerdings nicht ganz spurlos, denn Kalmann findet während der Fuchsjagd eine große Blutlache im Schnee. Wurde Robert McKenzie etwa an dieser Stelle ermordet?
Bald steht Kalmann im Mittelpunkt des Interesses von Polizei und Medien. Kalmann ist, wie sein Großvater immer sagte, „besonders“. Mit über 30 hat er das Bewusstsein eines Kindes, doch er ist mutig und ehrlich und im Dorf durchaus angesehen, nicht nur, weil er den zweitbesten Gammelhai Islands herstellt. Den besten machte Kalmanns Großvater, der inzwischen jedoch dement in einem Pflegeheim lebt.
Kalmanns Vater, ein Amerikaner, den er nur einmal als Kind zu Gesicht bekam, vererbte ihm eine Mauser, einen Sheriffstern und den dazu passenden Hut. So ausgestattet patroulliert Kalmann die Straßen von Raufarhöfn und sorgt dafür, dass alles seine Ordnung hat.
Seit sein Großvater im Pflegeheim lebt, ist Kalmann viel allein. Seine Mutter arbeitet in einer größeren Stadt, seinen einziger Freund Noi kennt er nur vom Computerbildschirm und die wenigen Frauen im Ort, die ihm gefallen, sind alle schon vergeben.
Wir begleiten Kalmann in seinem Alltag, erfahren viel von seinen Gedanken und erfahren durch seine Augen die grandiose Natur Islands. Es ist ein ruhiger und poetischer Roman, der Kriminalfall steht nicht unbedingt im Vordergrund, auch wenn manches eine überraschende Wende nimmt und sich als ganz anders herausstellt als zunächst angenommen. Ein besonderer Protagonist und ein ungewöhnliches Buch.

Bewertung vom 09.10.2020
Das Wörterbuch des Windes
Blazon, Nina

Das Wörterbuch des Windes


ausgezeichnet

Falle, um zu fliegen
Swea und Henrik sind für ihre zweite Hochzeitsreise nach Island gefahren, doch während eines Ausflugs findet Swea heraus, dass ihr Mann sie betrügt. Sie lässt Henrik am Weg stehen und braust mit dem Mietwagen davon. Dabei hat sie eine Beinahekollision mit einem Pferd und landet im Straßengraben.
Zum Glück passiert der Unfall in der Nähe von Einar Palssons Haus. Einar, der bis vor kurzem als Lehrer in Deutschland gelebt hat, nimmt Swea bei sich auf, denn eine Rückkehr ins Hotel kommt für Swea nicht in Frage. Sie beschließt, vorerst nicht nach Hause zurückzufliegen und erst einmal ihr Leben zu überdenken. Will sie wirklich nach Deutschland zurückkehren und den Rest ihres Lebens als Bankangestellte und Ehefrau des mehr oder weniger erfolgreichen Künstlers Henrik verbringen? Hat sie sich nicht die letzten Jahre selbst verleugnet, immerhin wollte sie selbst als junge Frau Malerin werden und gab ihre Ambitionen auf, damit ihr Mann die seinen ausleben kann.
Von Tag zu Tag verändert sich Swea mehr, sowohl äußerlich als auch in ihrem Denken. Sie genießt die Freiheit, sich so zu geben, wie ihr der Sinn danach steht. Schnell lernt sie Leute kennen und bekommt dank ihrer neuen Freundin Lif Zugang zur Künstlerszene in Reykjavik. Sie beginnt Isländisch zu lernen und findet einen Aushilfsjob, denn sie muss dringend Geld verdienen, da Henrik und ihr Vater die gemeinsamen Konten in Deutschland gesperrt haben, bis Swea wieder zur Vernunft kommt...
„Das Wörterbuch des Windes“ ist ein spannender und einfühlsamer Roman über verschlungene Lebenswege, Entscheidungen und die Möglichkeiten, die das Leben in jedem Lebensalter bietet. Darüber hinaus erfährt der Leser viel über Island und seine Bewohner. Nina Blazon hat es geschafft, mich mit der Handlung immer wieder zu überraschen. Den Mittelteil habe ich als etwas zäh empfunden und ich fand es wenig glaubhaft, dass Swea in solcher Rekordzeit Isländisch gelernt haben soll. Aber alles in allem hat mir das Buch wirklich gut gefallen.

Bewertung vom 28.09.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


sehr gut

Trauer und ihre Auswirkungen
Der achtjährige Prem ertrinkt im Swimmingpool der Familie, während seine ältere Schwester Karina auf ihn aufpassen sollte. Beide Eltern sind bei der Arbeit. Alle drei haben Schuldgefühle, Karina, weil sie Prem allein gelassen hat, die Eltern, weil sie nicht da waren.
Karina fängt an sich zu ritzen, die ursprünglich aus Indien stammende Mutter Jaya errichtet im Zimmer des verstorbenen Sohns einen Schrein und begeistert sich für einen Guru, während Keith, der Familienvater, nur noch für die Arbeit lebt. Die Ehe der Olanders zerbricht und Karina ist froh, als sie aus dem Familiengefüge ausbrechen und zum Studium in eine andere Stadt ziehen kann. Als sie ihre erste Liebe James kennenlernt, scheinen sich die Dinge zum Besseren zu wenden, doch die Beziehung dauert nicht an. Dann lernt sie den charismatischen Mikah kennen und zieht hoffnungsvoll zu ihm in eine Kommune. Doch auch dort sind die Dinge nicht, wie sie scheinen...
„Was uns verbindet“ ist ein Buch, das unter die Haut geht. Vor allem mit Karina habe ich große Empathie empfunden, während mir Jaya fremd blieb. Ich kann nicht verstehen, wie sich eine Mutter nur noch für das tote Kind interessieren kann und die lebende Tochter im Stich lässt. Auch Keith versagt als Vater, lässt sich von wenigen Telefonaten mit Karina beruhigen, glaubt ihren Lügen, dass alles gut ist.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht der einzelnen Familienmitglieder erzählt, wobei sogar Prem zu Wort kommt, was ich etwas seltsam finde. Er beobachtet die Entwicklung seiner Familie und kommentiert sie.
Ganz am Schluss übernimmt plötzlich ein Erzähler, ein Bruch, der mir auch nicht gefallen hat. Schöner wäre es gewesen, wenn weiterhin die einzelnen Personen zu Wort gekommen wären und ihre Entwicklung selbst beschrieben hätten. Ein Buch mit kleinen Mängeln, dennoch packend geschrieben und empfehlenswert.

Bewertung vom 20.09.2020
Unter uns das Meer
Gaige, Amity

Unter uns das Meer


sehr gut

Es gibt nur einen Ozean
Michael Partlow hat einen großen Traum: er will für ein Jahr durch die Karibik segeln. Seine Frau Juliet, die an Depressionen leidet und mit ihrer Dissertation über Literatur nicht vorankommt, ist zunächst äußerst ablehnend, nicht zuletzt, weil sie zwei kleine Kinder haben. Auch der Freundeskreis reagiert skeptisch: ist so eine Reise nicht viel zu gefährlich, zumal Michael wenig und Julie keinerlei Segelerfahrung hat? Doch trotz aller anfänglicher Bedenken lässt sich Julie umstimmen und das Abenteuer beginnt.
Von Anfang an ist klar, dass etwas Schreckliches passiert und Michael von der Reise nicht mehr nach Hause kommt. Was genau geschieht, erfährt man erst im Lauf des Buchs.
Obwohl das Leben an Bord ihnen einiges abverlangt, lieben die Partlows ihr neues Leben. Sie beobachten die Natur, die Sterne, die Gezeiten und müssen lernen, was es heißt, bei Sturm mitten auf dem Ozean zu segeln. Dabei lernen sie ständig neue Dinge hinzu. Natürlich kommt es auch zu Konflikten.
In einem Logbuch hält Michael seine Gedanken fest. Die Geschichte wechselt zwischen Michael und Julie als Erzähler hin und her, was teilweise sehr verwirrend ist. Michaels Teil ist zwar fett gedruckt, aber ich kam trotzdem öfters durcheinander und mir war nicht klar, wer gerade spricht. Um es noch zu verkomplizieren, kommt auch die Tochter Sybil manchmal zu Wort. Es wäre eine gute Idee gewesen, den einzelnen Absätzen die Namen des jeweils Erzählenden voranzustellen.
Das Buch ist stellenweise ungeheuer spannend, aber es kommen auch Passagen vor, mit denen ich rein gar nichts anfangen konnte, beispielsweise das letzte Kapitel, "Bruchstücke für ein Ganzes". Alles in allem ein gutes Buch, das ich gern gelesen habe, das mich jedoch etwas ratlos und mit unbeantworteten Fragen zurücklässt.

Bewertung vom 13.09.2020
Ozelot und Friesennerz (eBook, ePUB)
Matthiessen, Susanne

Ozelot und Friesennerz (eBook, ePUB)


gut

Vom Ozelot, der sein Leben für einen Bikini lassen musste

Als ich das Buch entdeckte, dachte ich, endlich einmal ein Sylt-Buch ohne Sommer-Sonne-Strandkorb-Liebe. Auch die Leseprobe hat mich angesprochen, wenngleich ich die Aussage, dass man „als echte Sylterin qua Geburt automatisch etwas Besonderes“ und „automatisch einem Adelsgeschlecht angehört“ doch etwas fragwürdig finde.
In ihrem Buch (das übrigens für mein Empfinden kein Roman, sondern eine Sammlung von Anekdoten und Ereignissen ist) beschreibt Sabine Matthiessen ihre Kindheit und Jugend auf Sylt, einem Sylt, das man – Gottseidank – so heute nicht mehr vorfindet. Der Mief der Sechziger und Siebzigerjahre kroch einem während der Lektüre praktisch in die Knochen.
Die Familien vermieteten die eigenen Schlafzimmer und campierten während der Saison zusammengepfercht im Wohnzimmer. Für die Kinder war keine Zeit, die mussten sich selbst beschäftigen und gut benehmen. Abends gingen die Eltern dann auch gerne noch aus und gaben den Kindern Schlaftabletten, damit sie nicht aufwachten, während die Eltern außer Haus waren. Äußerst befremdlich fand ich, dass die Autorin als Baby im Schlafzimmer mit im Ehebett der Feriengäste schlief und nach deren Syltaufenthalt sogar mit ihnen „in Urlaub“ fuhr.
Die Autorin entstammt einer bekannten Kürschnerfamilie, damals gehörte es wohl dazu, dass die reichen Urlauber mit einem Pelz nach Hause fuhren. Es war eine andere Zeit, Pelz zu tragen war noch nicht verpönt. Trotzdem finde ich es sehr bedenklich, wie unreflektiert Frau Matthiessen gewissen Anekdoten erzählt. Zum Beispiel die Geschichte, in der ein namentlich genannter Bankier für seine junge Gespielin einen Bikini aus Ozelot anfertigen lässt und die Autorin das Fell dieses vom Aussterben bedrohten Tieres als „Wildware“ bezeichnet. Sicher ist dies der Fachbegriff, aber ich empfinde ihn in der heutigen Zeit doch als ausgesprochen zynisch.
Überhaupt erzählt Susanne Matthiessen gerne Klatschgeschichten über bekannte Personen. Will ich wirklich wissen, wie Willy Brandt betrunken vom Balkon fiel oder ein bekannter Verleger ungepflegt mit fettigem Haar im Laden saß? Nein! Wenn ich solche Geschichten lesen will, kaufe ich mir die Zeitung mit den großen Buchstaben.
Es gab Passagen, die ich interessant fand, aber im Großen und Ganzen hat mich das Buch eher gelangweilt. Mir fällt nicht eine Person im gesamten Buch ein, die mir sympathisch war, und der Schreibstil kommt sehr abgehackt und holprig daher. Für mich war es eine ziemlich enttäuschende Lektüre.

Bewertung vom 07.09.2020
Zugvögel
McConaghy, Charlotte

Zugvögel


ausgezeichnet

Auf den Spuren der Küstenseeschwalben
In ihrem Debütroman führt uns Charlotte McConaghy in eine dystopische Welt der nahen Zukunft, in der es so gut wie keine wildlebenden Tiere mehr gibt. Nicht nur Elefanten und Tiger sind ausgestorben, auch Insekten, Fische, Füchse usw. Nur Nutztiere werden noch gezüchtet.
Die junge Franny ist sehr naturverbunden und das Artensterben nimmt sie sehr mit. An der Universität, wo sie als Putzfrau arbeitet, lernt sie den Dozenten Niall kennen, der das Verhalten von Zugvögeln erforscht. Die beiden heiraten aus einer Augenblickslaune heraus, bereuen ihre Heirat jedoch nie.
Franny verspürt schon seit jeher eine Unruhe in sich, sie hält es nie lange an einem Ort aus. Ständig ist sie auf der Suche. Niall kann sich nie sicher sein, ob sie zu ihm zurückkehrt. Doch dann ist er es, der eines Tages geht...
Zu Beginn des Buchs sucht Franny ein Schiff, das sie mitnimmt, um dem Zug der letzten Küstenseeschwalben zu folgen. Frannys Theorie ist, dass die drei von ihr beringten Seeschwalben ein Fischerboot zu den wenigen verbleibenden Fischvorkommen führen werden. Ihre letzte Hoffnung ist ein Schiff namens Saghani, und tatsächlich lässt sich deren Kapitän Ennis darauf ein, Franny mit an Bord zu nehmen. Zuerst misstrauisch beäugt vom Rest der Besatzung, gewinnt Franny ihre Anerkennung, denn sie arbeitet so hart wie der Rest. In Rückblicken erfahren wir, dass Franny in Irland im Gefängnis saß, was genau passierte, bleibt lange im Dunkeln. Eigentlich dürfte sie nicht an Bord des Schiffes sein, denn damit verstößt sie gegen ihre Bewährungsauflagen. Die Reise an Bord der Saghani ist ein einziges gefährliches Abenteuer, mehr als einmal befinden sie sich alle in Lebensgefahr.
„Zugvögel“ ist ein sehr poetisches und traurig machendes Buch, das einem vor Augen führt, wohin unser Lebenswandel und die grassierende Umweltverschmutzung führen könnten. Die Geschichte um Franny ist spannend erzählt, wenngleich manches ein wenig unlogisch erscheint. Mir hat das Buch gut gefallen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2020
Das Haus in der Claremont Street
Carolsfeld, Wiebke von

Das Haus in der Claremont Street


ausgezeichnet

Familien sind wie Nougat – vorwiegend süß mit ein paar tauben Nüssen

Tom ist neun Jahre alt, als sein gewalttätiger Vater Toms Mutter Mona erschlägt und sich anschließend erschießt. Tom zieht sich vollkommen in sich selbst zurück und spricht nicht mehr. Das Leben erscheint ihm sinnlos und er gibt sich eine Mitschuld am Tod der Mutter.
Zunächst lebt Tom bei der ältesten Schwester seiner Mutter, Sonya, und deren Mann Alex. Die beiden versuchen seit Jahren ein Kind zu bekommen und freuen sich zunächst über die Aufgabe, doch das Leben mit einem schwer traumatisierten Neunjährigen, der nicht spricht und Nacht für Nacht ins Bett macht, überfordert ihre Fähigkeiten und Tom zieht zu Sonyas jüngerer Schwester Rose in die Claremont Street. Das Leben dort könnte nicht unterschiedlicher sein zu dem, was Tom bei Sonya erlebte. Während dort Perfektionismus herrschte, lebt Rose im absoluten Chaos. Mit im Haus leben Nick, Roses 14jähriger Sohn, sowie Sonyas und Roses Bruder Will. Obwohl Tom sich in dieser Umgebung weitaus wohler fühlt, bleibt er stumm und beginnt sich selbst zu ritzen. Nach einer Reihe von Vorkommnissen beschließt das Jugendamt, dass es das Beste für Tom ist, in einer Pflegefamilie zu leben. Wieder wird der Junge aus seiner gewohnten Umgebung gerissen, doch nun erwacht der Kampfgeist der Schwestern. Sie beschließen, ihre eigenen Probleme und Differenzen beiseite zu legen und dafür zu kämpfen, dass Tom in ihre Familie zurückkehrt.
Wiebke von Carolsfeld zeichnet in diesem Roman das Bild einer Familie, die alles andere als perfekt ist. Nicht nur Tom ist traumatisiert, auch Monas Geschwister machen sich die größten Vorwürfe. Sie alle hatten bemerkt, dass Monas Ehe nicht glücklich war, doch beschlossen wegzuschauen. So unterschiedlich die Geschwister sind, so versucht doch jeder auf seine Art, Tom zu helfen und mit dem Verlust weiterzuleben. „Das Haus in der Claremont Street“ ist ein sehr berührender und eindringlicher Roman. Er schockiert und macht traurig, doch gibt auch Hoffnung. Ein Buch, das aus der Masse hervorsticht.