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MaWiOr
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Halle

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Insgesamt 3696 Bewertungen
Bewertung vom 17.07.2024
Tucholsky
Kühsel-Hussaini, Mariam

Tucholsky


ausgezeichnet

Die afghanisch-deutsche Schriftstellerin Mariam Kühsel-Hussaini, die 1990 nach Deutschland ins Exil kam und in Berlin lebt, hat schon einige vielbeachtete Romane veröffentlicht. Dabei sind die Handlungen ihrer Bücher nicht nur in Afghanistan sondern auch in der deutschen Geschichte angesiedelt.

In „Tucholsky. Der Roman“ greift Kühsel-Hussaini ein Geschehen aus der Weimarer Republik der 1920er Jahre auf. Am 24. Juni 1922 wird in Berlin der deutsche Außenminister Walther Rathenau in einem offenen Wagen von Attentätern erschossen. Der bekannte Journalist und Herausgeber der „Weltbühne“ Kurt Tucholsky beobachtet persönlich und in seinen Artikeln, wie es nach diesem Attentat weiter geht in Deutschland, wo poltische Morde keine Seltenheit sind. Außerdem ist das Land nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg im Würgegriff des Versailler Vertrages und der galoppierenden Inflation.

Kühsel-Hussaini verfolgt das Zeitgeschehen und die Krisen bis 1931. Notverordnungen, Erstarken des Nationalsozialismus, Weltwirtschaftskrise und der verzweifelte Kampf einiger Weniger (Ossietzky, Beckmann u.a.) gegen diese Entwicklung stehen im Mittelpunkt des Romans, der mit seinem fast dokumentarischen Erzählstil die aufgeladene Situation und schließlich den Zerfall der Weimarer Republik anschaulich schildert. Nach dem Verbot der „Weltbühne“ und der Bücherverbrennung vom Mai 1933, erkennt Tucholsky immer deutlicher, dass sein leidenschaftliches Engagement wirkungslos bleibt. Er verlässt Deutschland.

Bewertung vom 15.07.2024
Aufbau Literatur Kalender 2025

Aufbau Literatur Kalender 2025


ausgezeichnet

Seit der ersten Ausgabe 1968 ist der Aufbau-Literaturkalender mein ständiger und zuverlässiger Jahresbegleiter in Sachen Literatur, der mich stets neben Informationen auch mit Anregungen versorgt hat. Mit der 2025- Ausgabe liegt nun bereits der 58. Jahrgang des wohl dienstältesten deutschsprachigen Literaturkalenders vor. Wie seine Vorgänger ist er neben der klassischen vor allem der internationalen, zeitgenössischen Literatur verpflichtet.

Das Titelblatt des Kalenders ist der Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933-1973) gewidmet, deren Werke im Vorjahr zu ihrem 50. Todestag im Aufbau Verlag neuerschienen. Es ist längst eine gewohnte Tradition, dass der Aufbau-Kalender an literarische Jubiläen des Jahres erinnert. 2025 sind das z.B. der 100. Geburtstag des lateinamerikanischen Schriftstellers Ernesto Cardenal (20. Januar), der 150. Geburtstag des englischen Krimi-Autors Edgar Wallace (1. April), der 200. Todestag des deutschen Schriftstellers Jean Paul (14. November) oder der 125. Geburtstag von Anna Seghers (19.November.).

Der Kalender besticht durch seine abwechslungsreiche Vielfalt und macht dabei auf viele internationale SchriftstellerInnen aufmerksam, die bisher der deutschen Leserschaft eher unbekannt waren – z.B. die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor (Jg. 1968), die US-amerikanische Historikerin und Aktivistin Rebecca Solnit (Jg. 1961) oder die irische Schriftstellerin Edna O’Brien (Jg. 1930), die mit ihren Werken die frauenunterdrückenden Strukturen in ihrem Land anprangerte. Überhaupt ist der Kalender sehr weiblich ausgerichtet. Es wird aber auch an Illustratoren erinnert, z.B. Hannes Hegen oder Michael Sowa.

Jedes Wochenblatt ziert eine großformatige Abbildung (schwarz/weiß oder farbig). Meist sind es historische Fotos, Gemälde, Karikaturen oder Zeichnungen, die den kurzen literarischen Text illustrieren. Dazu gibt es eine Kurzbiografie des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin. Das Kalendarium tritt mit einer kleineren Schriftgröße dezent in den Hintergrund. Trotzdem sind zu jedem Kalendertag bis zu zehn Geburts- oder Sterbejahre von Autoren der Weltliteratur angeführt.

Die 2025-Ausgabe präsentiert sich jedenfalls wieder als ein verlässlicher Jahresbegleiter, der viele Anregungen zur Lektüre und zur Beschäftigung mit der Literatur gibt. Mit seinen Illustrationen ist er ein Wandschmuck und mit seinen informativen Texten zugleich ein kleines Literaturlexikon. Aufgrund der langen Tradition ist der Kalender natürlich auch ein Sammlerobjekt.

Bewertung vom 13.07.2024
Oswald von Nell-Breuning
Russi, Florian

Oswald von Nell-Breuning


ausgezeichnet

Vor sechs Jahren startete der Mitteldeutsche Verlag die beliebte Reihe „Philosophie für unterwegs“, die im Westentaschenformat (auf jeweils 48 Seiten) mit den großen Philosoph*innen und ihren wichtigsten Werken bekannt macht. Den Auftakt machte 2018 der griechische Philosoph Epikur (341-271/270 v.Chr.), den der Reihenherausgeber Florian Russi vorstellte, der auch noch für weitere Ausgaben (u.a. Karl Popper, Jesus und Machiavelli) verantwortlich war.

Nun widmet sich Russi in Band 22 dem katholischen Theologen und Sozialphilosophen Oswald von Nell-Breuning (1890-1991), der als Erfinder des „Subsidiaritätsprinzips“ (Hilfe zur Selbshilfe) bekannt wurde. Seine Soziallehre war weiterhin geprägt von den Prinzipien Gemeinwohl und Solidarität. In seinem mehr als 100-jährigen Leben setzte sich Oswald von Nell-Breuning unermüdlich für eine gerechte Gesellschaftsordnung ein, die dem Menschen Selbstverwirklichung durch Arbeit ermöglicht.

Zunächst gibt Florian Russi einen kurzen biografischen Überblick zu Oswald von Nell-Breuning, ehe er den Denker in seinen philosophischen Grundgedanken und Grundprinzipien seiner Soziallehre vorstellt. Bei den sozialen Fragen geht er ausführlicher auf die Themen Arbeit, Lohn, Einkommen, Mitbestimmung, Gewerkschaften oder Gemeinwohl ein. Oswald von Nell-Breuning hat ein unvorstellbares Gesamtwerk (rund 1.800 selbstständige Publikationen) hinterlassen, aus denen zahlreiche Zitate die Neuerscheinung bereichern. Fazit: Ein informativer Überblick zu einem wichtigen Denker des 20. Jahrhunderts.

Bewertung vom 13.07.2024
der die DADA

der die DADA


ausgezeichnet

Der Dadaismus war eine Kunstbewegung, die während des Ersten Weltkriegs in Zürich als Reaktion auf die Schrecken und den Wahnsinn des Krieges entstand. Er war eine bewusste Rebellion gegen die etablierte Kunstwelt. Die Dadaisten sahen sich jedoch selbst nicht als Schöpfer einer neuen Kunstrichtung, schließlich lehnten sie jede Definition ab.

Zahlreiche Frauen waren an dieser progressivsten aller Kunstströmungen beteiligt, doch bis auf wenige Ausnahmen kennt kaum jemand ihre Namen, obwohl sie den Dadaismus entscheidend mitgeprägt haben. Die Ausstellung „der die DADA“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck (7. Juli 2024 bis 12. Januar 2025) in Remagen will hier Abhilfe schaffen und anhand von über 180 Exponaten aller Gattungen (Malerei, Objekt, Zeichnung, Collage, Grafik, Fotografie und Film) zeigen, dass die Künstlerinnen oft radikaler waren als ihre männlichen Kollegen.

Auch der Begleitkatalog, der im Hirmer Verlag erschienen ist, stellt mit seinen interessanten Essays eine gelungene Aufarbeitung des vergessenen, weiblichen Teils der Kunstgeschichte dar. Die Texte von renommierten Kunsthistorikerinnen widmen sich einzelnen Künstlerinnen der revolutionären Bewegung oder künstlerischen Arbeitsgemeinschaften. Der umfangreiche Werkteil mit den Abbildungen der Ausstellungsobjekte ist dann unterteilt in die verschiedenen DADA-„Hauptstädte“: Zürich, New York, Paris, Berlin und Köln, wobei es zu jedem Kapitel eine kompakte Einleitung gibt. Der Katalog besticht neben den Texten und Abbildungen auch durch sein farbenfrohes und modernes Design – ganz DADA-mäßig. Einfach toll. Ausstellung und Katalog beweisen zudem, dass auf diesem Gebiet noch viel Forschung notwendig ist.

Bewertung vom 13.07.2024
London auf der Spur
Schatz, Matthias

London auf der Spur


ausgezeichnet

Die englische Hauptstadt zählt zu den beliebtesten Touristenzielen in Europa. London hat mehr als hundert Sehenswürdigkeiten und Attraktionen zu bieten. Doch es geht vielen Touristen nicht darum, die Vielzahl von Museen oder Kirchen abzuklappern, sie wollen vielmehr die Atmosphäre der Metropole aufsaugen. Der kulturgeschichtliche London-Reiseführer von Matthias Schatz kann hierbei eine große Hilfe sein. Schatz, der vor ein paar Jahren schon ein Reise-Taschenbuch zu London vorgelegt hat, führt durch dreißig charakteristische Straßen und Wege und zu bekannten Plätzen.

Am Anfang und am Ende werden als Rahmen Orte in den Außenbezirken beschrieben. Danach wird mit dem Trafalgar Square das Londoner Zentrum in den Blick genommen, dann geht es spiralförmig durch die Innenstadt, bis die Route schließlich am House of Parlament und der Westminster Bridge ankommt. Jede der dreißig Routen (Kapitel) steht für sich, wobei auch Blicke in die Seiten- und Nebenstraßen geworfen werden. Auf den Spaziergängen lernt man die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Londons kennen und Schatz weiß viel über die historischen Hintergründe und die kulturelle Bedeutung zu erzählen. Dem Autor gelingt es dabei, sich auf das Charakteristische zu konzentrieren.

Ergänzt wird der London-Führer durch ganzseitige Illustrationen von Matthias Dettmann, der seine Farbfotos digital verfremdet hat, wodurch kleine interessante Kunstwerke entstanden sind. Fazit: Ein etwas anderer Reiseführer, der mehr Wert legt auf Information und Atmosphäre. Sehr empfehlenswert !

Bewertung vom 13.07.2024
Der Esel und die Flöte
Russi, Florian;Eberhardt, Carolin

Der Esel und die Flöte


ausgezeichnet

Fabeln sind eine uralte Literaturform, die auch heute noch beliebt ist. Mit Fabeln wurden moralische Werte vermittelt, aber auch, meist auf verdeckte Weise, auf Missstände aufmerksam gemacht. Neben Jean de La Fontaine (1621-1695) war Jean-Pierre Claris de Florian (1755-1794) einer der bekanntesten französischen Fabeldichtern. Seine Fabeln zeichnen sich durch Schalkhaftigkeit und treffenden Spott aus.

Florian Russi, der mit „Der verliebte Schwan“ bereits einen Band mit Nacherzählungen von Fabeln veröffentlicht hat, hat nun gemeinsam mit Carolin Eberhardt einige Fabeln von de Florian in einer modernen Sprache nacherzählt. Gleich in der ersten Fabel lesen wir von einem Fuchs, der versucht, ein Eichhörnchen auf einem Baum mit Schmeichelworten zu überlisten. In der titelgebenden Fabel „Der Esel und die Flöte“ hört ein Grautier voller Neid das Flötenspiel eines Hirten und will sich selbst einmal versuchen …In der letzten Fabel will ein Leopard an dem munteren Spiel einer Horde Äffchen teilhaben. Alle Fabeln enden mit einer Schlussbemerkung, die zum Nachdenken anregt.

Die Neuerscheinung wird durch eine Kurzbiografie von de Florian und farbenfrohe, fantasievolle Illustrationen von Petra Lefin ergänzt. Fazit: Eine unterhaltsame Lektüre.