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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 18.06.2021
Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1
Blum, Antonia

Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1


weniger gut

Da historische Krankenhausserien spätestens seit „Charité“ „in“ sind, reiht sich „Kinderklinik Weißensee“ von Antonia Blum nahtlos in die Serie ein. Auch ihre mehrteilige Reihe, von der „Zeit der Wunder“ der erste Teil ist, dreht sich um Schwesternschülerinnen in einer Kinderklinik um 1911. Gut, es ist die erste und modernste Kinderklinik Europas zu der Zeit. Und es ist eine Zeit, in der die Medizin große Fortschritte verzeichnen konnte. Aber dennoch bleibt die Autorin beim bewährten Schema: zwei eltern- und mittellose junge Schwestern beginnen eine Ausbildung zur Krankenschwester, treffen auf Standesdünkel, werden gemobbt, beweisen sich und es gibt eine (oder mehrere) Liebesgeschichten und Schicksalsschläge. Dazwischen ein bisschen Medizin und Medizingeschichte – fertig.
In diesem Buch sind es die Schwestern Marlene und Emma Lindow, die nach ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus in der Kinderklinik Weißensee ihre Ausbildung beginnen. Die Schwestern sind sehr unterschiedlich, wo die eine in der Pflege der kleinen Patient:innen ihre Erfüllung findet, hat die andere den Ehrgeiz, selbst Kinderärztin werden zu wollen.
Alles in allem fand ich das Buch nett zu lesen, das war es dann aber auch schon. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Sicht beider Schwestern, was den Roman lebendig und anschaulich macht. Die Sprache ist mehr oder weniger authentisch und das, was die Autorin über Medizin und Gesellschaft der damaligen Zeit meistens, wenn auch nicht immer, sauber dargestellt und ordentlich recherchiert. Leider kommt für mich die Medizin zugunsten des Privatlebens der Protagonisten viel zu kurz, da bleibt es bei wenigen Exkursen, die zwischen den vielen privaten Ereignissen rund um die Charaktere eher verloren wirken.
Insgesamt fand ich das Buch zu kitschig und klischeehaft, da hatte ich mir mehr Tiefe erhofft. Aber die Autorin bleibt beim bewährten Strickmuster, da gibt es noch nicht einmal bei den zahlreichen Schicksalsschlägen Überraschungen. Es ist nicht langweilig, nicht spannend, nicht gut und nicht wirklich schlecht. Es ist für mich ein reiner Unterhaltungsroman für Zeiten großer Langeweile, in denen nichts Besseres greifbar ist. Da hatte ich mehr erwartet, denn die Idee hinter dem Buch ist gut und das große vorhandene Potential wird von der Autorin nicht annähernd ausgeschöpft. Von mir daher 2 Sterne.

Bewertung vom 15.06.2021
Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau
Stephan, Björn

Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau


gut

Der 13-jährige Sascha Labude lebt im “alten Land“, er die gerade untergegangene DDR nennt. Er ist der Protagonist in Björn Stephans Debütroman „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“. 1989 ist der (fiktive) Ort Klein Krebslow mit seinem Neubaugebiet noch ein Prestige-Projekt (mit Fernwärme!). Was fünf Jahre später übrigbleibt, ist eine nicht fertiggestellte Plattenbausiedlung für Wendeverlierer und „Assis“, „die die nie das Treppenhaus wischen“. Wer kann, zieht weg, viele sind bereits gegangen und auch Saschas Familie träumt vom Umzug. Aber in der kurzen Zeit, bis es soweit ist, passiert im Leben des pubertierenden Jungen noch so einiges.
Mitten in seine Einöde zwischen dem apathischen Vater und der ehrgeizigen Mutter taucht Juri auf, eine eher wilde und unangepasste neue Mitschülerin. Sie bringt das Leben des Jungen völlig durcheinander, das sich bislang nur um Schule, seinen Freund Sonny und sein großes Hobby, das Sammeln fremder und ungewöhnlicher Wörter drehte. Denn Juri zeigt ihm, dass vieles und viele völlig anders sind, als er bislang dachte und er erfährt, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal verliebt zu sein. Sascha schreibt die Geschichte ihrer gemeinsamen Zeit bis zum Ende (einer „Monsterkatastrophe“) auf und Juri findet über 20 Jahre später sein Manuskript, als sie nach dem Tod ihrer Mutter zum ersten Mal wieder in Klein Krebslow ist.
Das Buch lässt mich etwas ratlos zurück. Einerseits ist es ein gelungener Coming-of-Age-Roman, andererseits kann ich aber nicht wirklich viel damit anfangen, obwohl ich fast zur selben Zeit aufgewachsen bin, wie Sascha. Ich stamme allerdings aus dem tiefsten Schwaben, weshalb mir seine Welt bis zuletzt eher fremd blieb. Das macht das Buch allerdings nicht zu einem schlechten Werk. Es ist ein eher ruhiger Roman ohne wirkliche Höhepunkte, den Anfang fand ich sehr gelungen und packend, nur deshalb habe ich überhaupt weitergelesen. Aber danach schleicht sich die Handlung irgendwie still und leise durch die bedrückte Atmosphäre des Sommers 1994, einer Zeit zwischen Aufbruch, Verwirrung, Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit.
Die Charaktere fand ich gut und bildhaft ausgearbeitet, wirklich begeistern konnte mich allerdings keiner. Sascha bleibt bis zum Schluss eher blass und Juri fand ich durch ihr enormes Selbstbewusstsein und ihre Intelligenz eher anstrengend als sympathisch. Saschas Eltern bleiben bis auf wenige Auftritte sehr stark im Hintergrund und die größtenteils eher pseudo-philosophischen Denk-Ansätze von Herrn Reza konnten mich auch nicht vom Hocker reißen. Sprachlich bewegt sich der Autor elegant zwischen jugendlichem Slang und gewählter Ausdrucksweise, eine Gratwanderung, die den Tenor des Buchs widerspiegelt: jugendlicher Aufbruch in Form von Sascha, Sonny und Juri trifft auf die eher komplizierte Sprache des aus dem Iran emigrierten Herrn Reza und mittendrin stehen die Eltern, die einerseits der DDR nachtrauern, andererseits aber die Möglichkeiten der „sogenannten sozialen Marktwirtschaft“ sehen und nutzen wollen.
Für mich bleibt es ein Buch, das ich auch nach zweimaligem Lesen nicht so richtig einordnen kann. Es ist nicht schlecht, aber auch nicht gut und es wird mir vermutlich nur eines im Gedächtnis bleiben: „Letztlich sind wir dem Universum egal.“ Von mir daher 3 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.06.2021
Real Life
Taylor, Brandon

Real Life


sehr gut

Eine Geschichte über Alltagsrassismus, einen jungen Mann mit vielen ungelösten Konflikten in seinem Umfeld, aber auch in seinem Inneren und seinen Wunsch, dazuzugehören – so würde ich die Geschichte von Wallace zusammenfassen, der im Mittelpunkt von Brandon Taylors Buch „Real Life“ steht. Wallace wollte unbedingt den Ort verlassen, an dem er aufgewachsen ist. Und so landet er als erster und einziger Schwarzer Doktorand an einer Uni im Mittleren Westen der USA. Hier hofft er, Akzeptanz und einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Das klappt allerdings nicht wirklich gut, denn sein offener Umgang mit seiner Homosexualität ist in seiner Clique kein Problem, seine Hautfarbe scheinbar schon. Er ist ständig (mal sehr subtil, mal ganz offen) größeren und kleineren Sticheleien ausgesetzt, bis hin zu klaren Ausgrenzungen und Mobbing. Dabei steht er in der Gruppe immer alleine da, von ein paar seiner „Freunde“ wird er zwar getröstet, aber nur, wenn sonst niemand dabei ist, in der Gruppe steht niemand wirklich offen zu ihm.
Der Autor beschreibt in seinem Roman einen sehr kurzen Zeitraum im Leben von Wallace. Das Buch vereint psychologische, politische und gesellschaftliche Elemente zu einem sehr realistischen Ganzen, metaphorisch mehr oder weniger auch in der Versuchsreihe des Protagonisten aufgegriffen: Wallace macht Experimente in Petrischalen, die durch eine Kommilitonin sabotiert werden. Genauso werden seine Versuche, an der Uni und im Freundeskreis Fuß zu fassen, von anderen torpediert. Ebenso wie seine Nematoden, droht er zu verkümmern, obwohl er sowohl in seine Forschung, als auch in seinen Versuch, dazu zu gehören, sehr viel Arbeit und Mühe steckt. Und natürlich sucht Wallace nicht nur Freunde und Anerkennung, er sucht auch einen Partner, was sich ebenfalls als ziemlich kompliziert erweist.
Ich bin bei dem Buch etwas zwiegespalten, ebenso wie ich den Charakter von Wallace als sehr zwiegespalten, schwierig und nicht wirklich sympathisch erlebe. Einerseits ist er völlig devot und entschuldigt sich ständig und hat keinerlei Selbstwertgefühl („Meine Seele war schwarz, eine faulige Wunde“). Andererseits legt er sehr destruktive Wesenszüge an den Tag, stößt andere ebenso vor den Kopf, wie die ihn. Irgendwie scheint er in seinem eigenen Leben fremd zu sein, unbeholfen und eher unreif.
Die Geschwindigkeit, mit der der Autor die Geschichte erzählt, ist sehr hoch, denn er packt in die wenigen Tage sehr viel Inhalt, in den Zeilen, aber auch dazwischen. Wallaces Kindheit, das schwierige Verhältnis zu seinem kürzlich verstorbenen Vater, seine Probleme, in Gesellschaft und Leben einen Platz zu finden – das sind nur ein paar der Themen, die der Autor in klarer, einfacher aber enorm bildreicher und schonungsloser Sprache serviert. So viel Traurigkeit („Ich hasse es überall.“), Schuldgefühle, Versagensängste, Ausgrenzung und Einsamkeit in so schlichten Worten nahmen mich beim Lesen wirklich mit. Dazu die deutliche Beschreibung des (Alltags)Rassismusses, dem sich Wallace stellen muss – da musste ich oft schlucken, aber auch mein eigenes Handeln überdenken, denn manche Situationen, in denen er sich findet, entstehen aus Ereignissen der Kategorie „gut gemeint ist nicht gut gemacht“. So werden Wallace seine „Privilegien“ vorgehalten, ihm wird Frauenhass vorgeworfen und er solle doch froh sein, trotz seiner „Defizite“ so weit gekommen zu sein. Defizite sind sowohl sein Schwarz-Sein, aber auch seine Homosexualität und seine eher ärmliche Herkunft und die Tatsache, dass er hauptsächlich aufgrund eines Stipendiums studieren kann.
Alles in allem fand ich das Buch gut zu lesen, aufgrund der Dichte der Ereignisse und Emotionen, aber auch der angerissenen Themen, war es keine einfache, aber eine äußerst lohnenswerte Lektüre. Allerdings lässt mich der offene Schluss eher ratlos zurück. Da ich mir ein runderes Ende gewünscht hätte, vergebe ich vier Sterne.

Bewertung vom 05.06.2021
Der Himmel ist hier weiter als anderswo
Pauling, Valerie

Der Himmel ist hier weiter als anderswo


sehr gut

Herz-Schmerz-Tragik-Liebesgeschichten sind eigentlich nicht mein Lieblingsgenre, aber der Klappentext von Valerie Paulings Roman „Der Himmel ist hier weiter als anderswo“ hat mich trotzdem sehr stark angesprochen. Und ich muss sagen, dass das Buch mich zwar nicht 100 prozentig begeistert, aber dennoch sehr berührt und gut unterhalten hat.
Nach dem Tod ihres Mannes Jan steht Felicitas, genannt Fee, mit den vier gemeinsamen Kindern, im Alter zwischen knapp 16 und knapp sechs Jahren, alleine da. Zudem hat Jans Tod sie dahingehend traumatisiert, dass sie ihren Beruf als Geigerin und Musiklehrerin nicht mehr richtig ausüben kann: als er starb, stand sie auf der Bühne – Schuldgefühle lähmen sie und sie hat danach nie wieder Geige gespielt. Als ihr ihre Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wird und sie auch noch ihren Job verliert, kauft sie kurzerhand einen alten Gasthof im Alten Land und sie ziehen um.
Was nun folgt, ist aus unzähligen anderen Büchern bekannt und ganz sicher hat die Autorin damit das Rad nicht neu erfunden. Aber sie beschreibt das neue Leben der Familie sehr anschaulich und berührend – natürlich ist der Gasthof maroder als erwartet, natürlich haben die Kinder ihre Probleme mit dem Leben auf dem Land und ebenso natürlich gibt es in Fees Leben Männer, die sich für sie interessieren. Ein paar Ideen zur Finanzierung des Lebensunterhalts, eine Prise schwierige Kinder, ein Hauch Pubertät (oder wie die Autorin schreibt: Adoleszenz) und fertig ist der Roman. Kitschig und völlig plakativ? Ja, sicher. Romantisch? Absolut. Schön zu lesen? Selbstverständlich.
Die Sprache, derer sich die Autorin bedient, ist für mich ebenso wechselhaft, wie Fees Leben. Mal einfach und schlicht, mal eher abgehoben und kompliziert. Und ebenso mäandert sich Fee durchs Leben, vor allem in Bezug auf die Kinder hin- und hergerissen zwischen Laissez-faire und Autorität, sie eckt überall an, ist überfordert, traurig und weiß nicht so wirklich, wohin mit sich selbst. So realistisch das sicher ist, so sehr ging sie mir beim Lesen manchmal auf die Nerven. Den Neu-Anfang, um den sich das Buch dreht, erarbeitet nicht sie sich, sie verlässt sich komplett darauf, dass andere ihr helfen und sobald es schwierig wird, streicht sie die Segel und ist bereit, davonzulaufen. Ihr „es ist das Beste für die Kinder“ ist ein reines Lippenbekenntnis und sie verkommt von der eigentlichen Hauptperson zu einer Randfigur im eigenen Leben. Ganz anders die Kinder, von denen jedes ein wirklicher Charakter ist, liebevoll dargestellt und ausgearbeitet. Sie sind die wahren Helden der Geschichte für mich.
So richtig ausgearbeitet ist für mich aber die ganze Geschichte nicht, zu viele Handlungsstränge werden angefangen, halbherzig weiterverfolgt (wenn überhaupt) und dann einfach ohne Auflösung beendet. Martha, die zehnjährige Tochter, spricht manchmal mehrere Tage nicht – wird von der Mutter hingenommen, ebenso das Lispeln des sechsjährigen Golo, hingegen hat sie große Probleme damit, dass ihr ältester Sohn Rasmus nur knapp versetzt wird und die Schule abbrechen möchte. Irgendwie scheint Fee so von ihrer Trauer vereinnahmt zu sein, dass ihr völlig entgeht, dass auch die Kinder einen Verlust erlitten haben.
Insgesamt ist der Roman trotz der Tragik eher leicht und seicht. Das Ende war für mich völlig vorhersehbar, der Weg dorthin erwartungsgemäß schwierig und alles in allem war das Buch für mich etwas zu überladen und viel zu plakativ. Die Guten in der Geschichte sind gutaussehend und haben kein Geld aber gute Ideen und einen tollen Charakter, sind fleißig und kreativ. Die Fieslinge sind gutaussehend, haben viel Geld und weder Charakter noch Anstand. So bleibt für mich alles ein wenig zu oberflächlich, was ich sehr schade fand, denn die Geschichte an sich hätte sehr viel Potential gehabt. Da er sicher aber nicht den Anspruch erhebt, große Literatur zu sein, bekommt der Roman von mir für den Unterhaltungswert dennoch vier Sterne.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2021
Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit
Nguyen-Kim, Mai Thi

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit


ausgezeichnet

„Noch nie zuvor gab es so viel Wissen – und so viele Meinungen.“ - dieser Satz aus dem Vorwort von Mai Thi Nguyen-Kims Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ ist vermutlich die beste Charakterisierung des momentanen Zustands. Nicht nur Corona hat mir (und sicher sehr vielen anderen) gezeigt, dass Wissen, Verstehen und Deuten wichtiger ist, denn je. Und das Handwerkszeug, um mit dem Wissen richtig umgehen zu können, gibt die Autorin ihren Lesern in ihrem Buch an die Hand.
Die Autorin ist promovierte Chemikerin und ausgezeichnete (u.a. Grimme Preis 2021) Wissenschaftsjournalistin. Bekannt ist sie unter anderem durch TV-Formate wie Quarks oder ihren eigenen YouTube-Kanal „maiLab“, bei beiden versucht sie, Wissenschaft und schwierige Themen einfach zu erklären. Das macht sie auch in ihrem Buch, in dem sie anhand verschiedener Themen Forschung und Methodik erklärt und zeigt, wie Studien funktionieren und worauf man bei der Interpretation von Studienergebnissen achten sollte. Und sie erläutert dabei außerdem unter anderem Begriffe wie Korrelation und Kausalität, Placebo und Nocebo und Bias (sowohl Publication Bias als auch Confirmation Bias). Mai zeigt für den Laien verständlich, wie Wissenschaft und wissenschaftliche Arbeit funktioniert (oder funktionieren sollte), was wissenschaftliches Denken überhaupt ist und wie man Studienergebnisse interpretiert. Eine gewisse Skepsis gehört auch für sie dazu, sie bringt ihrer Meinung nach sogar die Wissenschaft voran („zumal Skepsis doch die DNA von Wissenschaft und Forschung ist“). Vor allem momentan, wo Impfen, Impfstoffentwicklung/-zulassung
Vieles von dem, was sie in ihrem Buch zusammengestellt hat, kannte ich so oder ähnlich schon von ihrem YouTube-Kanal, einiges war mir aber auch neu. Außerdem fand ich es auch ganz schön, Internet-Inhalte praktisch transkribiert und aufbereitet, unterfüttert mit zusätzlichen Informationen und Illustrationen, schwarz-auf weiß in der Hand zu halten. Ein Buch ist halt doch noch mal etwas anderes als ein Video. Themen des Buchs sind neben Legalisierung von Drogen und dem Gender Pay Gap auch Videospiele und Gewalt, alternative Medizin (in diesem Zusammenhang erklärt die Autorin auch Placebo und Nocebo), Intelligenz (hier schlägt sie den Bogen zu Vererbung und Genetik) und Tierversuche. Und natürlich darf auch das Thema „Wie sicher sind Impfungen“ mit einem Exkurs zu Wirkungen und Nebenwirkungen nicht fehlen.
Die Sprache, derer sich die Verfasserin bedient, ist so frech-flapsig, wie man es von ihr gewohnt ist, so liest sich das Buch vermeintlich sehr leicht, an manchen Stellen fand ich diese Lockerheit tückisch, die musste ich nämlich mehrfach lesen, um den Inhalt komplett zu verstehen und zu verinnerlichen. Denn Fakt ist, dass das Buch zwar für den interessierten Laien geschrieben ist, aber das Buch ist nichts zum „nebenher lesen“. Wie auch im Leben empfiehlt es sich bei dem Buch mit dem Verstand bei der Sache zu sein, es kritisch zu lesen, zu hinterfragen und sich gewiss zu sein, dass es keine einfachen Antworten gibt. Wissenschaftlicher Diskurs ist eine immerwährende Diskussion und er wird immer nur zur kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit führen. Mai-Thi Nguyen Kim gibt ihren Lesern praktisch eine Lupe an die Hand, um für sich selbst herauszufinden, wo die Grenze zwischen einer gesunden Skepsis und Verschwörungsmythen verläuft. Denn tatsächlich gibt es in der Naturwissenschaft nie ein völlig richtiges Modell, sondern immer nur das beste Modell, das zum aktuellen Zeitpunkt verfügbar ist. Alles in allem ein wirklich gutes Buch und ein Plädoyer für die wissenschaftliche Aufklärung. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 27.05.2021
Die Kinder hören Pink Floyd
Gorkow, Alexander

Die Kinder hören Pink Floyd


weniger gut

Der Roman „Die Kinder hören Pink Floyd“ von Alexander Gorkow ist ein eher kurzes und autobiografisch aufgebautes Buch aus der Kindheit des Autors. Ich mag Pink Floyd nicht zuletzt, weil ein Bekannter von mir eine Pink-Floyd-Hommage inszeniert hat, daher bin ich auf das an das Album „Dark Side of the Moon“ erinnernde Cover direkt angesprungen. Und mit „Wish you were here“ in der Endlosschleife habe ich versucht, mich auf das Buch einzustimmen – vergeblich. Am Ende der nicht mal ganz 200 Seiten bleibt für mich von dem Buch nur ein großes Fragezeichen: Was will mir der Künstler damit sagen?
Alexander Gorkow ist Jahrgang 1966, seine Schwester war sechs Jahre älter. Als er etwa zehn Jahre alt war (das Buch handelt von der Zeit kurz vor dem Übertritt aufs Gymnasium), hatte sie einen großen Einfluss auf ihn, musikalisch, aber auch (pseudo) politisch und bezüglich seiner Persönlichkeitsentwicklung. Sie, die das ganze Buch über nur „die Schwester“ genannt wird, gehört der Boomer-Generation an, hat einen Contergan-bedingten Herzfehler, der sie immer wieder zu Klinikaufenthalten zwingt, und sie kennt sich aus. Eingekeilt zwischen Tagesschau, ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck und Heino, probt sie einen pseudointellektuellen Kampf gegen das Establishment. Sie weiß über Dinge Bescheid, von denen der kleine Alexander so gar keine Ahnung hat und die er in seiner kindlichen Naivität manchmal auch falsch versteht.
Die Schwester ist für mich die heimliche Protagonistin des Buchs. Sie weiß, was Sozialismus, Faschismus und Nazis sind, hat den Durchblick in der (spieß)bürgerlichen Gesellschaft der Düsseldorfer Vorstadt und natürlich kennt sie sich mit Zwischenmenschlichem und Musik aus, besonders natürlich mit Pink Floyd. Dagegen besteht Alexanders Leben aus Schule (Casala-Tischen und seinem Freund Hubi mit Trisomie 21, der lieber Demis Russos als Pink Floyd mag), seinem Qualitätsrad, der Therapie gegen sein Stottern, Tagträumen und dem, was seine Schwester ihm nahezubringen versucht: Musik und Kampf gegen das Establishment.
Manche Abschnitte erinnerten mich beim Lesen an aktuelle Verschwörungstheorien, wenn man das Wort „Establishment“ durch „Eliten“ ersetzt, dann bekommt die Aussage, dass die „Mothers of Invention“ Kinder im Einkochtopf weichkochen, um eine „Kinderbrühe“ herzustellen, einen ganz seltsamen Unterton. Das Establishment ist für den kleinen Alexander eine Ansammlung von Monstern, denn mit dem abstrakten Begriff an sich kann er nichts anfangen. Andere Passagen sind sehr skurril und erinnern eher an Loriot. „Willst du mit dem Papi sprühen“, eine Frage, bei der der Vater sich selbst in der dritten Person nennt, fühlte ich mich beispielsweise wie bei „Weihnachten bei den Hoppenstedts“.

Vielleicht bin ich mit Jahrgang 1977 zu jung für dieses Buch, aber ich kann nicht sagen, dass es mich in irgendeiner Weise begeistern konnte. Zwar mag ich die Musik von Pink Floyd, aber irgendwie kam die mir in dem Buch trotz allem zu kurz. Ich fand das Buch nicht wirklich witzig, die Sprache gewöhnungsbedürftig und manchmal las es sich für mich eher verbittert und zynisch als spaßig. Alles in allem fehlte mir auch der rote Faden. Nur die stete Wiederkehr des Films „Nacht der reitenden Leichen“ und die Tatsache, dass Alexander immer wieder auf sein Stottern angesprochen wird, sind sich konstant wiederholende Elemente. Abgesehen davon bleibt nur eine eher unzusammenhängende Aneinanderreihung von Episoden aus einer kurzen Zeit im Leben eines Zehnjährigen, ein Buch, das nicht wirklich vorankommt und mich eher ein Stillleben erinnert, als an einen Kurzfilm. Bei mir kam dabei nicht einmal ein nostalgisches Gefühl auf. Für mich ist das Buch ein ebenso zahnloser Tiger wie der Kampf der Schwester gegen das Establishment – nett und zahm, mehr aber auch nicht. Der Epilog, in dem der Autor von seinem Treffen mit Roger Waters erzählt, der Entthronung eines (ehemaligen) Helden, kann für mich das Buch auch nicht retten. Von mir zwei Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2021
Bornholmer Falle (MP3-Download)
Peters, Katharina

Bornholmer Falle (MP3-Download)


gut

Da ich „Bornholmer Falle“ von Katharina Peters als bereits als Buch gelesen hatte, habe ich mich sehr auf das Hörbuch gefreut. Vor allem, da mich das Buch sehr begeistert und mit seiner Spannung in seinen Bann gezogen hatte. Leider konnte das Hörbuch mich weniger begeistern als das Buch, was aber hauptsächlich daran lag, dass ich mit der Art, in der Elke Appelt liest, nicht warm wurde. Sie liest mir zu emotionslos und schafft es für mich zu selten, die Charaktere stimmlich unterscheidbar zu machen.
Das Buch an sich fand ich hervorragend. Zwar brauchte die Geschichte für mich ein wenig Zeit, um in Fahrt zu kommen, dann packte sie mich aber und der Schluss, ein mega Cliffhanger, ließ die Spannung fast ins Unermessliche steigen. Jetzt heißt es auf den nächsten Teil der Reihe warten. Im Zentrum des Krimis steht Sarah Pirohl, die seit dem Vorgängerband „Bornholmer Schatten“ zwischen Rostock und Bornholm pendelt und dort als Verbindungsbeamtin des BKA tätig ist. Sie ermittelt im Fall eines verschwundenen 18-Jährigen, der zuletzt gesehen wurde, als er die Fähre von Bornholm nach Sassnitz bestieg. Und als dann auch noch ein Freund des Verschwundenen getötet wird und sein Stiefvater sich mit undurchsichtigen Handlungen verdächtig macht, befinden sich Sarah und ihre Kollegen samt ihrem Freund Frederik mitten im Verbrechens-Sumpf. Und Sarah findet sich auch wieder mit den Geistern ihrer Vergangenheit und den Problemen ihrer Herkunftsfamilie konfrontiert. Ihr im Vorgängerband wegen seiner rechtsradikalen Umtriebe verhafteter Vater macht Sarah auch noch vom Gefängnis aus zu schaffen, denn er verfolgt weiterhin seine Ideen. Um jeden Preis. Obwohl Sarah versucht, sich von der Familie fernzuhalten (Kontakt hat sie nur noch zu ihrer Großmutter und ihrer Mutter), hat sie früh das Gefühl, dass ihr Vater auch mit ihren aktuellen Ermittlungen zu tun haben könnte. Mehr möchte ich zum Inhalt gar nicht ausführen.
Es ist der zweite Teil der Reihe um Sarah Pirohl und die Autorin gibt sich große Mühe, „Wissenslücken“ zu füllen. Aber ich denke, um die komplizierten familiären Verhältnisse der Kommissarin wirklich verstehen zu können, sollte man den Vorgänger ebenfalls lesen/hören. Er ist es auf jeden Fall wert, denn die Krimis sind beide hervorragend konzipiert, bodenständig, spannend und flott geschrieben. Katharina Peters flicht auch ein paar Sätze auf Dänisch ein, die die Sprecherin des Hörbuchs auch ganz passabel ausspricht. Die Hörbuch-Umsetzung fand ich allerdings eher schwierig, denn mir lag weder die Art noch die Stimme der Sprecherin. Für mich liest sie zu emotionslos, manchmal fast uninteressiert und monoton. Mich konnte sie nicht fesseln, manchmal machte ihr fast leiernder Tonfall mir die von der Autorin aufgebaute Spannung sogar eher kaputt. Ich höre sehr viele Hörbücher und eine so gewöhnungsbedürftige Umsetzung habe ich selten erlebt. Daher von mir für das Buch an sich fünf Sterne, für das Hörbuch allerdings nur einen – in der Summe also drei Sterne von mir.

Bewertung vom 18.05.2021
Zwischen Mundstück und Mikrofon
Wallendorf, Klaus

Zwischen Mundstück und Mikrofon


weniger gut

Ich gebe zu, dass Hornisten mir im Leben noch nicht sehr oft begegnet sind. Tatsächlich nur ein einziges Mal, was aber kein Grund für mich ist, nicht tiefer in die Horn-Materie einzutauchen. „Zwischen Mundstück und Mikrofon“ von Klaus Wallendorf schien mir da ein probates Mittel zu sein. Denn das Buch versprach sowohl einen Einblick in das Leben eines philharmonischen Waldhornisten, als auch einige amüsante Erzählungen.
Ersteres stimmte – über das Leben und Wirken des Musikers habe ich sehr viel erfahren und über die Kantinen seiner unterschiedlichen Wirkungsstätten weiß ich nach der Lektüre definitiv mehr, als ich jemals wissen wollte.
Ob die Erzählungen nun wirklich amüsant sind, darüber kann man sich streiten. Ich fand sie in der Hauptsache eher kompliziert und manche eher dröge. Einige der Sätze sind so Proust-artig verschachtelt formuliert und ziehen sich über fast einen kompletten Abschnitt (und damit fast über eine halbe Buchseite), dass ich sie mehrmals lesen musste, um sie zu verstehen, da ich am Satzende den Anfang schon wieder vergessen hatte. Tatsächlich steht aber in den Sätzen auch gar nicht so viel Erinnerungswertes drin, denn sie bestehen aus sehr vielen (vermutlich für den Autor und nur für ihn) schönen Worthülsen ohne viel Aussage.
Schade, denn eigentlich könnte das Leben eines Waldhornisten sicher außer den vielen Trinkgelagen auch sonst noch Interessantes bieten. Ich vermisste die „zwerchfellanregende Weise“ der „Berichte aus dem Orchestergraben, Gedichte und Sprechpolkas, Ein-, Über- und Unterleitungen, eine verwegene Instrumentenkunde, verschmitzte Stückebeschreibungen und humoristische Beobachtungen aus dem Alltag seiner Musikerkollegen“ völlig, denn der Verfasser beschränkt sich für mich zu sehr darauf, sich selbst ausgiebig auf die Schulter zu klopfen. Herausgekommen ist ein mittelmäßiges Buch mit viel heißer Luft, viel Luft nach oben und für mich viel zu wenig Aussage. Daher von mir eher enttäuschte zwei Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.05.2021
#DerApotheker. Die Wahrheit über unsere Medikamente
#DerApotheker

#DerApotheker. Die Wahrheit über unsere Medikamente


ausgezeichnet

Da ich den Apotheker aus den sozialen Medien „kenne“ (so, wie man sich aus dem Internet halt so kennt), habe ich mich auf sein Buch „Die Wahrheit über unsere Medikamente“ sehr gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn es ist eine umfassende Zusammenstellung seiner Artikel, die ich schon länger als informativ, gut recherchiert und sauber ausgearbeitet zu schätzen gelernt habe.
„Warum man ausreichend über Arzneimittel Bescheid wissen sollte und warum ich anfing, darüber aufzuklären“ – mit fast jeder Seite des Buchs wird der Leserschaft klar, wieso das Wissen über Arzneimittel so wichtig ist und dass die Aufklärung deshalb wichtig ist, weil zum Teil viel zu wenig Wissen vorhanden ist. Selbst bei Menschen, die Medikamente seit Jahren nehmen, stellt sich manchmal heraus, dass sie nie über die richtige Einnahme aufgeklärt wurden und deshalb Fehler machen. Erschreckend. Und beruhigend, wenn man weiß, dass gewissenhafte Apotheker aufklären, nachfragen, nachhaken und immer wieder aufs Neue aufklären.
Manche Themen sind natürlich altbekannt, aber selbstverständlich schadet es nicht, wenn man zum –zigsten Mal darüber liest, wieso man abschwellendes Nasenspray nicht länger als eine Woche benutzen sollte, dass man Tabletten ganz sicher nicht einfach absetzen soll, warum man nicht jede Tablette teilen darf, warum die anthroposophische Medizin Geldverschwendung ist und dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt. Anderes ist dem Publikum vielleicht auch neu. Ich war beispielsweise überrascht, wie lange (oder wie kurz) Rezepte gültig sind und auch die Rabattverträge der Krankenkassen waren Neuland für mich. Aktuell jetzt sicher für einige interessant, sind die Kapitel über Allergien und was dagegen hilft, warum Hände desinfizieren besser für die Haut ist, als sie zu waschen und warum man nicht in die Hand husten oder niesen sollte.
Verpackt hat der Apotheker seine Informationen in einen fiktiven Arbeitstag, in dem er die Themen seinen (ebenso fiktiven) Kunden erklärt. Für mich ein schlüssiger roter Faden, mit dem er sein Wissen zu einer runden Sache verschnürt. Nebenher gibt er einen kleinen Einblick in den Alltag hinter dem Handverkaufstisch, samt Erfahrungen mit netten, wissbegierigen, dankbaren, aber auch beratungsresistenten und sogar unverschämten Kunden. Herausgekommen ist für mich ein ausführlicher, informativer und leserfreundlicher Ratgeber über Medikamente und Heilmittel und Mittel, die gerne welche gerne wären. Von mir eine ganz klare Lese-Empfehlung und fünf Sterne.