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Benutzername: 
Magda
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 314 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2023
Der Geschmack von Freiheit / Die Glücksfrauen Bd.1
Claire, Anna

Der Geschmack von Freiheit / Die Glücksfrauen Bd.1


ausgezeichnet

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, in der Gegenwart und in den Jahren 1936-1946.
Luise und Richard wandern 1936 als politische Flüchtlinge nach Amerika aus. Luise träumt von einem eigenen Restaurant, das sie in New York eröffnen möchte. Das Startkapital kommt nur zu einem Drittel von ihr, ihre beiden Freundinnen Anni und Maria haben ihr ebenfalls Geld gegeben, mit dem sie das Restaurant finanzieren soll.
Luises Verlobter Richard ist bereits einige Monate vor ihr in New York angekommen. Nach ihrer Ankunft muss Luise feststellen, dass Richard schwermütig und antriebslos geworden ist, er verlässt nur selten die Wohnung und überlässt ihr den Haushalt. Luise ist im Gegensatz zu Richard voller Tatendrang und findet bald eine Arbeit als Küchenhilfe. Es geht aufwärts, als sie mit anderen Emigrantinnen einen „Window Shop“ eröffnen, in dem selbst gemachte Produkte aus der Heimat verkaufen. Die Beziehung zu Richard kriselt, sein Freund George hingegen hilft Luise, wo er kann.
Über das Schicksal von Maria und Anni erfährt Luise nur wenig, nach nur wenigen Briefen reißt der Kontakt ab. Nach dem Krieg fährt Luise ins zerstörte Berlin, um sich in einem Camp für Displaced Persons zu engagieren und KZ-Überlebende über ein Leben in Amerika zu informieren. Dort begegnet sie einem früheren Freund, der sie über etwas informiert, das sie fassungslos zurücklässt.
June ist Luises Enkelin. Sie ist in New York aufgewachsen, lebt aber seit einigen Jahren in Berlin. Bei der Testamentseröffnung erfährt sie, dass sie von ihrer Großmutter deren Haus und ein Restaurant geerbt hatte. Um ihr Erbe antreten zu können, muss sie jedoch Maria und Anni oder deren Nachkommen finden, und das Erbe mit ihnen teilen. Bei ihrer Suche wird sie von Luises Anwalt Walter und Hendrik, dem Chefkoch ihres Restaurants, unterstützt. Hendrik nutzt die Chance, um Ahnenforschung zu betreiben, da seine Vorfahren aus Dänemark kommen und jüdischer Abstammung waren. Beide Männer fühlen sich zu June hingezogen.
Der Auftakt der Trilogie „Die Glücksfrauen“ hat mir sehr gut gefallen. Besonders interessant fand ich Luises und Richards Neubeginn in New York. Luise ist eine starke und mutige Frau, die es geschafft hatte, ihren Traum in einem fremden Land, weit weg von der Heimat, zu verwirklichen. Das Ende ist offen, June hat Maria und Anni trotz intensiver Recherche noch nicht gefunden. Wir erfahren auch nicht, warum Luise sich ihr Leben lang ihren Freundinnen gegenüber schuldig gefühlt hatte. Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzung der „Glücksfrauen“ und freue mich schon auf die Nachfolgebände.

Bewertung vom 01.10.2023
Die Formel der Hoffnung
Cullen, Lynn

Die Formel der Hoffnung


sehr gut

Durch das außergewöhnlich schöne Cover bin ich auf das Buch aufmerksam geworden. Es handelt sich um die Geschichte von Dorothy Horstmann, einer Epidemiologin, die das Poliovirus erforscht hatte, die jedoch kaum bekannt geworden ist.
1941: Dorothy ist für eine Frau sehr groß und kommt aus ärmlichen Verhältnissen. Ihre erste Stelle als Kinderärztin bekommt sie nur, weil dem Chefarzt nicht bewußt war, dass es sich bei D.M. Horstmann um eine Frau handelt.
Damals erkrankten weltweit sehr viele Kinder an Polio (Kinderlähmung). Virologen und Epidemiologen arbeiteten jahrzehntelang an der Erforschung des Virus. Dorothys Forschung konzentrierte sich hauptsächlich darauf herauszufinden, wie das Virus in den Körper gelangt.
Seitenlang werden Gespräche zwischen Virologen und Polio-Erforschern wiedergegeben, was etwas ermüdend war. Sehr gut gefallen haben mir hingegen die Passagen über Dorothys Kindheit, die Beziehung zu ihrem Vater und die Liebesbeziehung zu Arne, einem Dänen, der in die USA gekommen ist, um Penizillin für Häftlinge aus deutschen Konzentrationslagern zu beschaffen.
In dem Roman erfahren wir auch einiges über andere bedeutende Virologen, die sich in der Polio-Forschung verdient gemacht haben, allen voran Dr. Albert Sabin, mit dem Dorothy eine enge Freundschaft verbunden hatte. Sabin hat den Lebendimpfstoff gegen Polio entwickelt (Schluckimpfung).
Doch nicht nur Ärzte waren an der Erforschung und Bekämpfung von Polio beteiligt. Für die Tierversuche mit Affen wurden Tierpfleger beschäftigt, die Laborassistentin Barbara Johnson hat sich bei ihrer Arbeit mit dem Virus infiziert.
Der Autorin ist es gelungen, einen interessanten Roman über eine Wissenschaftlerin zu schreiben, die fast in Vergessenheit geraten ist, genau wie der lange Kampf gegen das Polio-Virus. Am Ende findet sich ein Personen-/Figurenverzeichnis, dem man entnehmen kann, welche Protagonist*Innen real und welche fiktiv sind.
Ich empfehle den Roman gerne weiter und bin froh, dass ich nicht nur viel über Dorothy Horstmann, sondern auch einiges über den langen Weg zu einem Impfstoff erfahren habe.

Bewertung vom 29.09.2023
Wer das Vergessen stört / Die Canterbury-Fälle Bd.1
Duncan, Tessa

Wer das Vergessen stört / Die Canterbury-Fälle Bd.1


ausgezeichnet

Es handelt sich um den ersten Kriminalroman der Autorin, die bisher im Genre Historische Romane tätig war. Ihre Reihe über das KaDeWe habe ich sehr gern gelesen und war gespannt, ob ihr Krimi genauso gut sein wird, und ich wurde nicht enttäuscht!
Lily Brown ist Psychologin und betreibt zusammen mit ihrem Kollegen Matt eine Praxis in Canterbury. Zu ihren Patientinnen zählen Samantha Harris und Vera Osmond, die sich beide ungefähr zu gleichen Zeit bei Lily in Behandlung begeben.
Vera arbeitet mit großem Erfolg in einer Werbeagentur, seit einigen Wochen kämpft sie jedoch mit Panikattacken. Mit Lilys Hilfe findet sie heraus, dass diese immer im Zusammenhang mit Kindern auftreten. Veras Kindheit war geprägt vom Tod ihrer kleinen Schwester.
Samantha wird regelmäßig von ihrem Ehemann, einem leitenden Bankangestellten, verprügelt. Obwohl sie mit ihren Verletzungen mehrfach ins Krankenhaus eingeliefert werden muss, schafft sie es nicht, ihren Mann zu verlassen.
Lily fand ich sehr sympathisch. Neben ihrer Arbeit als Psychologin erfahren wir einiges über ihr Privatleben. Nachdem sie ihre Beziehung zu Dan, einem Scotland-Yard-Inspektor, beendet hatte, hat sie sich als Psychologin niedergelassen und lebt allein mit ihrem Kater Mick. Emotional hängt sie noch immer an Dan und kann ihn nicht vergessen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie ihn um Hilfe bitten muss, wenn sie Zugriff auf polizeiliche Akten benötigt.
Als Lily von Veras angeblichem Selbstmord erfährt, will sie herausfinden, was diese über den Unfall ihrer Schwester erfahren hatte. Auf Veras letzten Anruf konnte sie nicht sofort reagieren, da sie zu Samantha ins Krankenhaus musste. Ihren Rückruf hat Vera nicht mehr entgegennehmen können.
Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und bildhaft, der Spannungsbogen wird konstant aufrechterhalten, die eingeschobenen Rückblenden aus den 1980er Jahren tragen erheblich zur Aufklärung des Mordfalls bei. Im Nachwort erfahren wir, dass die Geschichte an einen wahren Fall aus den 1960er Jahren angelehnt ist. Kindheitstraumata und deren Erforschung und Behandlung werden fachmännisch und doch für Laien verständlich aus psychologischer Sicht dargestellt. Ich freue mich auf weitere Fälle für Lily Brown und spreche eine große Leseempfehlung aus, Tessa Duncan steht Elisabeth George und Charlotte Link in nichts nach!

Bewertung vom 28.09.2023
Tanz ins Leben
Carsta, Ellin

Tanz ins Leben


ausgezeichnet

Der dritte Band aus der Reihe „Die Kinder der Hansens“ spielt in den 1920er Jahren. Es ist hilfreich, die Vorgängerbände gelesen zu haben, aber nicht unbedingt notwendig, da im Laufe des Romans die Beziehungen und das Verhältnis der agierenden Personen untereinander erläutert werden.
Amala, Auguste, Eduard und Helene – das sind die Kinder der Hansens, um die sich die Handlung hauptsächlich dreht.
Amala, Luises Tochter, hat nach dem Tod ihrer Mutter Hawaii verlassen und lebt bei ihrem Großonkel Georg in der Villa Hansen. Amala ist Schauspielerin und Tänzerin und feiert große Erfolge in Hamburg, sie bekommt sogar die Hauptrolle in einem Film angeboten.
Auguste ist unverheiratet und schwanger. Ihre Mutter Frederike schickt sie nach Hamburg zu Georg, wo sie bis zur Geburt des Kindes leben soll.
Eduard ist erfolgreicher Spirituosenhändler, der sich mit der Unterwelt Berlins eingelassen hat. Seine Mutter Martha ist alkoholkrank und die einzige der Hansens, die ein Problem mit Amalas dunkler Hautfarbe hat.
Helene ist Witwe und hat sich wieder verliebt, leider ist Bernhard, ihr Auserwählter, noch verheiratet. Helenes Sohn Max lebt im Internat und Helene ziert sich, ihm Bernhard als seinen neuen Vater vorzustellen.
Familie Hansen reist mit Amala nach Wien, um ihr den dortigen Teil der Familie vorzustellen. Therese und Georg waren sich schon immer sympathisch, ihre Zuneigung zueinander wächst von Treffen zu Treffen und von Telefonat zu Telefonat.
Einige Kapitel behandeln auch Elsa, Luises beste Freundin, die in Philadelphia lebt und nach dem Tod ihres Mannes dessen Fabrik weiterführt. Eins der Probleme, mit denen Elsa zu kämpfen hat, ist der Rassismus in den USA.
Die recht kurzen Kapitel stellen jeweils die Perspektiven der verschiedenen Protagonist*Innen dar. Der Schreibstil ist flüssig und unterhaltsam. Sowohl die Hansen-Saga als auch die Nachfolgereihe "Die Kinder der Hansens" empfehle ich allen Leser*Innen von historischen Romanen und insbesondere denjenigen, die sich für die 1920er Jahre interessieren.

Bewertung vom 23.09.2023
Im Licht der Freiheit / Club Paradies Bd.2
Benedikt, Caren

Im Licht der Freiheit / Club Paradies Bd.2


ausgezeichnet

Die von mir lang ersehnte Fortsetzung der Geschichte der Familie Borchardt ist da!
April 1977: Nach dem Selbstmord ihres Mannes steht Maria vor einem Berg Schulden, die feine Berliner Gesellschaft wendet sich von ihr ab, sie wird zur persona non grata.
„Meine Mutter hat früher immer gesagt, dass der Herrgott einem Menschen nur die Last auf die Schultern legt, die dieser auch tragen kann. Wenn dem wirklich so ist, überschätzt der Herrgott meine Kräfte gewaltig.“ –10. Kapitel.
Die einzigen Freunde, die ihr geblieben sind, sind Uschi und Klaus Schröder. Sie verkauft ihre Pelze und einige Schmuckstücke, ihren Unterhalt finanziert größtenteils ihre Tochter Hanna, die eine Ausbildung macht.
Bei der Durchsicht der Unterlagen, die Hanns hinterlassen hat, stößt Klaus Schröder auf Überweisungen für ein Pflegeheim. Er findet heraus, dass Hanns seine Mutter Gertrud dort untergebracht hatte und seiner Familie Großmutter und Schwiegermutter vorenthalten hatte.
Nach einem schlimmen Vorfall muss Hanna ihre Ausbildung abbrechen, sie konzentriert sich auf ihre Arbeit als Regisseurin von Erotikfilmen.
Holger ist das schwarze Schaf der Familie. Er verliebt sich in die RAF-Terroristin Monika, wird von dieser auf übelste Weise ausgenutzt und in einen Mordanschlag verwickelt.
Lea Stern, Hanns‘ ehemalige Geliebte, leitet weiterhin den Club „Golden Paradise“ am Kurfürstendamm. Sie gibt Maria hilfreiche Tipps, wie sie nach dem Chaos, den Hanns hinterlassen hat, weiterleben kann. Leas Herz hängt immer noch an ihrer großen Liebe Rachel, die in Tel Aviv lebt und Leas Mutter pflegt.
Ein schöner Abschluss der Club Paradies-Dilogie. Die Themen RAF und die Erotikfilmbranche werden weiter vertieft. Im Nachwort erfahren wir, dass die Protagonisten an reelle Personen angelehnt sind. So diente die deutsche Fotografin Lili Baruch als Vorlage für die Figur der Lea Stern. Durch gründliche Recherche in der Terrorismusforschung hat die Autorin Holgers Weg in die RAF nachempfunden. Hanna wiederum ist Teil der sexuellen Revolution der 1970er Jahre und regt an, Erotikfilme aus der Sicht der Frau zu drehen, und diese Paaren auf Video in ihrem Zuhause zugängig zu machen.
Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und authentisch, sehr gefallen haben mir die relativ kurzen Kapitel, die mit einem Zitat der Person überschrieben sind, aus deren Sicht das jeweilige Kapitel geschrieben ist. Caren Benedikt ließ mich tief in die 1970er Jahre eintauchen und mit Maria zittern, ob und wie sie die Krise überwinden wird, in die sie nach Hanns‘ Tod gestürzt ist.
Ich empfehle die Dilogie allen Leser*Innen von historischen Romanen und denjenigen, die an der spannenden Zeit der Umbrüche und Neuanfänge der 1970er Jahre interessiert sind.

Bewertung vom 18.09.2023
Die Lichter der Stadt / Fräulein Gold Bd.6
Stern, Anne

Die Lichter der Stadt / Fräulein Gold Bd.6


ausgezeichnet

Bei diesem historischen Roman handelt es sich bereits um den 6. Band der Reihe. Man kann problemlos mit Band 6 in die Reihe einsteigen, da man im Handlungsverlauf die wichtigsten Informationen aus Huldas bewegter Vergangenheit erfährt.
Berlin, August/September 1929: Hulda Gold arbeitet nach der Geburt ihrer mittlerweile drei Jahre alten Tochter Meta in einer Beratungsstelle für Frauen. Sie sehnt sich nach ihrer Tätigkeit als Hebamme zurück, die unregelmäßigen Arbeitszeiten sind jedoch nicht mit ihrem Leben als alleinerziehende Mutter vereinbar. Johann, Metas Vater, ist schon vor der Geburt seiner Tochter gestorben. Aufgrund ihrer hilfsbereiten und offenen Art hat Hulda ein großes Netzwerk, das sie bei der Betreuung ihrer Tochter unterstützt. Johanns Mutter und seine Schwester, Huldas Vater Benjamin und ihre Freundin Jette springen ein, wenn die Kindertagesstätte geschlossen ist, oder wenn Hulda eine Abendeinladung hat.
Hulda erzieht ihre Tochter modern und liebevoll, genauso wie es auch die Pestalozzi-Tagesstätte handhabt, in der sie glücklicherweise für Meta einen Platz ergattert hatte.
Beim Polterabend von Karl, mit dem sie früher liiert war, lernt Hulda Max kennen, einen Professor für Pädagogik. Max ist mit Leni verheiratet, die Ehe besteht jedoch nur noch auf dem Papier, beide gehen schon lange getrennte Wege.
Eine Einbruchsserie erschüttert Schöneberg. Auch die Apotheke von Huldas Freundin Jette und der Kiosk des Zeitungsverkäufers Bert werden überfallen und ausgeraubt.
In der Beratungsstelle lernt Hulda Milli Nowak kennen, eine junge alleinerziehende Schauspielerin. Hulda möchte Milli und ihrer kleinen Tochter aus dem Elend, in dem die beiden hausen, heraushelfen.
Sehr gut gefallen hat mir die Begegnung zwischen Max und Erich Kästner, dessen Gedicht „Sachliche Romanze“ kürzlich veröffentlicht wurde, und in dem Max sich und seine Ehe wiedererkannt hatte.
„Die Lichter der Stadt“ endet mit dem Tod von Gustav Stresemann am 3. Oktober 1929. Von nun an steht dem Aufstieg der Nationalsozialisten nichts mehr im Wege, die SA stiftet Unruhe und geht immer rabiater gegen Juden vor, was auch Huldas Vater Benjamin Gold zu spüren bekommt. Auch ihr neuer Freund Max ist jüdischer Abstammung.
Anne Stern hat es mit ihrem unvergleichlich schönen bildhaften, authentischen und poetischen Schreibstil geschafft, mich mitten ins Berlin der 1920er Jahre zu versetzen. Mit Hulda kann ich mich als Mutter sehr gut identifizieren, und ihre Selbstzweifel in Bezug auf Erziehung und Liebe nachvollziehen. Hulda ist eine moderne, mutige Frau, die mitten im Leben steht, und mit der ich mich sehr gern anfreunden würde.
Fräulein Gold empfehle ich allen Leser*Innen von historischen Romanen und allen, die sich für Berlin, seine Geschichte und seine Persönlichkeiten der 1920er Jahre interessieren.

Bewertung vom 17.09.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


sehr gut

Ich liebe skandinavische Kriminalromane und habe mich sehr auf die neue Reihe aus Schweden gefreut. „Schwarzvogel“ ist der erste Fall für Fredrika Storm und Henry Calment, die in Südschweden ermitteln.
Fredrika kehrt nach einem traumatischen Erlebnis in Stockholm in ihre Heimatstadt Harlösa zurück. Ihre Großmutter beobachtet, wie eine junge Frau aufs Eis läuft und einbricht. Die Eisschicht ist nicht dick genug, um darauf zu laufen, was den Bewohnern aus der Umgebung jedoch bewusst war. Alles deutet darauf hin, dass die junge Frau aufs Eis getrieben wurde.
Bei der Toten handelt es sich um Nomi Pedersen, die erst seit wenigen Monaten in Harlösa lebt. Sie war in der Firma von Fredrikas Cousin als Reinigungskraft angestellt. In Nomis Wohnung findet Fredrika das Foto von Tobias Falk, der die Stadt vor vielen Jahren verlassen hatte. In den 1990er Jahren hat er für eine kurze Zeit auf dem Hof von Fredrikas Vater gearbeitet. So muss Fredrika in ihrer Familie ermitteln.
Der Krimi ist in kurze Kapitel unterteilt, die meisten beschreiben die Ermittlungen aus Fredrikas Perspektive, es wird aber auch näher auf Henry Calment eingegangen. Außerdem bekommen wir einen guten Einblick in die Gedanken und Handlungen von einigen Nebencharakteren wie Fredrikas Großmutter Gun, ihrem Onkel Lasse, ihrer Großcousine Julia oder ihrer Schwägerin Linda.
Es hat etwas gedauert, bis ich durchgeblickt habe, wer in welchem Verwandtschaftsverhältnis zu Fredrika steht. Ein Familienstammbaum wäre hilfreich gewesen.
Viel Raum nehmen Fredrikas traumatische Erlebnisse ein, zum einen der nicht wiedergutzumachende Fehler bei einem Einsatz in Stockholm, und zum anderen der Verlust ihrer Mutter, die die Familie vor vielen Jahren verlassen hatte. Diese Einschübe auf Fredrikas Vergangenheit lenken von der eigentlichen Ermittlung ab.
Die Auflösung war für mich sehr überraschend, hat mich aber enttäuscht. Fredrikas Alleingänge, die sie in große Gefahr gebracht haben, zeigen, dass sie aus ihren Erfahrungen in der Vergangenheit nicht gelernt hatte. Den belesenen, aus gutem Hause stammenden Henry mag ich sehr. Hoffentlich wird er einen guten Einfluss auf die hitzköpfige Fredrika haben, die erst handelt, und dann erst denkt.
In diesem Krimi taucht man in das winterliche Schweden und die Psyche der Protagonist*Innen ein, von mir gibt es eine Leseempfehlung für alle Leser*Innen von skandinavischen Krimis.

Bewertung vom 11.09.2023
Wellenkinder
Bahrow, Liv Marie

Wellenkinder


ausgezeichnet

Das Cover und der Klappentext haben mich direkt für das Buch eingenommen. Es ist ein gelungener Debütroman, der mir jedoch weniger als erwartet gefallen hat.
Der Roman wird aus drei Perspektiven erzählt und spielt auf drei Handlungsebenen.
1945: Margit ist als junges Mädchen per Schiff auf der Flucht aus Ostpreußen. Eine verzweifelte Mitpassagierin will mit ihrem Baby in die Fluten springen, in letzter Sekunde entreißt Margit ihr das Baby. Sie kümmert sich hingebungsvoll um den Jungen und nennt ihn Horst. Als ihr Vater nach dem Krieg heimkehrt, setzt er durch, dass Horst in ein Waisenhaus muss. Margit besucht Horst dort regelmäßig, als Erwachsene leitet sie das Heim und liebt Horst wie einen Bruder.
1970, ehemalige DDR: Oda und ihr Freund Jürgen versuchen über die Ostsee in den Westen zu schwimmen, ihr Fluchtversuch scheitert, Oda kommt ins Gefängnis, sie weiß nicht, ob Jürgen die Flucht gelungen ist. Im Gefängnis stellt sie fest, dass sie schwanger ist.
Gegenwart: Jan lebt getrennt von seiner Frau Gesa und dem 5jährigen Sohn Conny, er leidet noch immer unter dem Verlust seiner Mutter, die 30 Jahre zuvor verschwunden ist, zum Vater hat er den Kontakt abgebrochen. Als die Überreste einer Frau gefunden werden, die seine Mutter sein könnte, muss er zurück in seine Heimat auf Rügen. Sein Vater ist schwer krank, er wird ins Krankenhaus eingeliefert. Jan sieht, wie verwahrlost das Haus ist, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hat.
Der Schreibstil ist teils abgehackt mit kurzen Sätzen und teils hochemotional, insbesondere in den Passagen, in denen es um Oda und Margit geht, die Schwangerschaft, das Leben im Gefängnis, die Zeit nach der Entbindung, Odas Suche nach ihrem Kind, Margits Liebe zu ihrem Sohn. Weniger gut gefallen hat mir der Erzählstrang um Jan und seine Familie. Jans Reaktionen und Handlungen waren für mich nicht nachvollziehbar und teilweise grausam, Gesa fand ich emotionslos und unnahbar.
Es wäre besser gewesen, die Kapitel nicht nur mit Namen zu überschreiben, sondern auch mit Datums- und Ortsangaben. Da die Kapitel nicht chronologisch angeordnet sind, und es viele Rückblenden gibt, wusste ich immer erst nach einigen Passagen, in welchem Zeitraum und wo sich die Personen gerade befinden. Die Aufklärung des Mordfalls hat mich sehr überrascht, ich hätte sie mir aber anders gewünscht. Den Roman empfehle ich vor allem Leser*Innen, die sich für die Geschichte der DDR interessieren.

Bewertung vom 09.09.2023
Das Licht zwischen den Schatten
Beck, Michaela

Das Licht zwischen den Schatten


ausgezeichnet

In ihrem 840 Seiten starken Familienepos erzählt Michaela Beck die Geschichte von Konrad, Brigitte und André. Erst im Verlauf des Romans wird die Verbindung der drei ersichtlich. Das Epos besteht aus fünf Teilen, die Kapitel sind mit Jahreszahlen und dem Namen des bzw. der Protagonistin überschrieben.
Konrads Geschichte fängt 1919 an. Sein Vater ist gefallen, und seine Mutter wird Haushälterin in einer Arztfamilie. Die Familie hat zwei Zwillingstöchter, Selma und Alma, die unzertrennlich sind. Selma kümmert sich hingebungsvoll um ihre Schwester, die geistig zurückgeblieben ist.
Konrad verliebt sich auf den ersten Blick in die schöne Selma. Um Alma zu heilen, verspricht er Selma, Arzt zu werden. In der Tat studiert er Medizin und bekommt seine erste Arbeitsstelle in der Städtischen Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten, wo Alma regelmäßig behandelt wird. Als die Nazis die Macht ergreifen, geraten die beiden Zwillingsschwestern in Gefahr, zum einen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung, zum anderen aufgrund von Almas geistiger Behinderung. Konrad versucht alles, um die beiden zu beschützen, besonders nachdem er und Selma Eltern eines kleinen Mädchens werden. Nach dem Krieg verschlägt es Konrad nach Brasilien, wo er als Arzt unter anderem in einem Waisenhaus arbeitet.
Brigitte wächst als Pfarrerstochter in der ehemaligen DDR auf. Als ihr Bruder Johann als Regimekritiker beinahe von der Stasi verhaftet wird, flieht die Familie in den Westen. Brigitte ist leicht beeinflussbar und gerät als junge Mutter durch einen blöden Zufall in die Fänge der RAF. Ulrike Meinhof ist ihr großes Vorbild, zumal diese auch alleinerziehende Mutter ist. Als Brigitte mit Janis nach Jordanien reist, nimmt ihr Leben eine Wendung, die ihr Dasein von nun an bestimmt.
André ist talentierter Kunstspringer in der DDR. Er ist adoptiert, seine Eltern seien während ihrer Flucht in den Westen umgekommen. In seinen Träumen suchen ihn Erinnerungen an die Wüste und seine Mutter auf. Als junger Mann meint er, seine Mutter in einer Buchhändlerin in Rostock zu erkennen.
Der Roman hört mit der Silvesterfeier 1989 am Brandenburger Tor auf.
Was für ein grandioser Roman! Ein unglaubliches Lesehighlight, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Mit der Geschichte von Konrad, Brigitte und André wurde die Geschichte Deutschlands in der Zeit von 1919 bis 1989 mit allen wichtigen Ereignissen wiedergegeben, packend, fesselnd und gänzlich ohne Längen oder unnötige Ausschweifungen. Ich empfehle den Roman allen geschichtsinteressierten und allen Leser*Innen von historischen Romanen.

Bewertung vom 08.09.2023
Verlogen / Mörderisches Island Bd.2
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlogen / Mörderisches Island Bd.2


ausgezeichnet

Bei dem Island-Krimi handelt es sich um den zweiten Fall für die Polizistin Elma aus der kleinen westisländischen Stadt Akranes. Man kann den Krimi problemlos lesen, ohne den ersten Band zu kennen.
Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen, in der Vergangenheit erfahren wir von den Gedanken und Erlebnissen einer alleinerziehenden Mutter, in der Gegenwart ermittelt Elma im Fall Maríanna.
Die Überreste der alleinerziehenden Maríanna werden in einem Lavafeld gefunden, sieben Monate zuvor ist sie von ihrer 15jährigen Tochter Hekla als vermisst gemeldet worden. Elma und ihr Team ermitteln in Mariánnas und Heklas Umfeld. Elma fällt auf, dass sich Hekla bei ihren Pflegeeltern sehr wohl fühlt, und der Tod der Mutter sie nicht in tiefe Trauer stürzt.
Parallel wird die Perspektive einer unglücklichen Mutter geschildert, die nicht imstande ist, ihr Kind zu lieben. Sie schafft es nicht, eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen, ein Kind, das anders ist, keine Freunde hat und am liebsten für sich alleine mit Zinnsoldaten spielt.
Elma hat sich auf ihrer neuen Dienststelle in Akranes gut eingelebt, sie versteht sich gut mit ihren Kolleg*Innen und ihrem Chef, mit Saevar ist sie sehr gut befreundet. Allerdings hat sie noch immer Schwierigkeiten, sich mit dem Tod ihres Ehemannes abzufinden.
Auch den 2. Band von Eva Björg Aegisdottir habe ich sehr gern gelesen. Sie versteht es, eine leicht düstere, geheimnisvolle Atmosphäre zu schaffen, und die Leser*Innen nach Island zu versetzen. Mir gefällt die Mischung aus Privatleben der Ermittlerin und tiefen Einblicken in die Psyche und die Vergangenheit der Charaktere. Eine Wendung mittendrin hat mich sehr überrascht, die Auflösung war nicht vorhersehbar.
Der Schreibstil ist flüssig und dialogreich, mit Elma und Saevar hat die Autorin zwei sympathische und authentische Figuren geschaffen, die ich gern auch bei weiteren Fällen in Island begleiten möchte. Ich empfehle den Krimi allen, die gerne skandinavische Krimis lesen und denjenigen die, wenn auch nur in Gedanken, nach Island reisen möchten.