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Aischa

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Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2021
Weihnachten mit Christina
Bauer, Christina

Weihnachten mit Christina


ausgezeichnet

Die bekannte Bäuerin und Bloggerin Christina Bauer hat wieder ein neues Backbuch veröffentlicht, und diesmal widmet sie sich ganz der Vorweihnachtszeit.

Das Hardcover macht einen rundum hochwertigen Eindruck, mit edlem Leinenrücken, Goldprägung auf dem Titel und Lesebändchen ist es ein richtiges Schmuckstück. Doch auch der Inhalt weiß zu überzeugen: Über 70 Rezepte gilt es zu entdecken, von traditionellen Klassikern wie Zimtsternen, Spekulatius oder Vanillekipferl bis hin zu kreativen Innovationen wie Tiramisu-Sternen oder putzigen Weihnachtsmännerköpfen. Letztere entstehen kurzerhand aus auf den Kopf gestellten Herzformen. Die Plätzchen werden entsprechend dekoriert, so dass die Rundungen der Herzen zu dicken Pausbacken werden, wirklich originell! Und auch geschmacklich überzeugen die Rezepte: ein Freund attestierte den Kürbiskern-Kipferln Suchtpotenzial ...

Zusätzlich zu den Rezepten für Plätzchen, Stollen, Weihnachtsbrote und Co. erklärt die Autorin auch die Herstellung einiger Grundteige und verschiedener Füllungen. So kann man nach Herzenslust selbst kombinieren und neue Lieblingsrezepte entwickeln. Praktische Tipps zu richtiger Lagerung und Haltbarkeit wie auch Kapitel zur Grundausstattung der Vorratskammer und zu benötigten Küchenutensilien runden das Ganze ab und sind vor allem für Backneulinge wertvoll, ebenso wie die ausführlich mit Fotos bebilderten Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wenn es mal etwas anspruchsvoller wird. Nützlich sind auch die beiden Register, einmal herkömmlich alphabetisch sortiert, ein zweites nach thematischen Begriffen unterteilt.

"Weihnachten mit Christina" ist kein ausschließliches Backbuch. Zwischen den Hauptkapiteln finden sich auch Ideen für kreative Basteleien in der Vorweihnachtszeit: das Binden eines Adventskranzes, das Schnitzen von Kartoffelstempeln mit Plätzchenausstechern und einiges mehr. Eine persönliche Note erhält das Buch durch Familienfotos der Autorin und kurze Einblicke, wie sie den Advent mit Mann und Kindern auf ihrem Bauernhof gestaltet.

Für den Löwenzahnverlag schon eine Selbstverständlichkeit, für mich aber dennoch äußerst lobenswert sind die klimapositive Produktion und der cradle-to-cradle Druck, ich schätze Umweltbewusstsein und ressourcenschonende Herstellung sehr. Dazu passen auch Christinas Tipps für die Verwendung übrig gebliebener Lebensmittelreste - so geht Nachhaltigkeit in der Backstube!

Meine klitzekleinen Kritikpunkte fallen nicht sehr ins Gewicht, ich möchte sie dennoch aufführen: Für Anfänger dürfte manche Angabe etwas zu ungenau sein, etwa wenn ein Teig "dünn" ausgerollt werden soll, hier wäre eine mm-Angabe gut. Die Backzeiten und Zutaten sind sehr übersichtlich aufgeführt, die Angabe von Ruhezeiten "versteckt" sich leider oft im Text der Zubereitung.

Dennoch ist es ein rundum gelungenes Backbuch für die Adventszeit, bestens geeignet als Geschenk, ob für Freunde oder für sich selbst!

Bewertung vom 06.10.2021
Der Panzer des Hummers
Minor, Caroline Albertine

Der Panzer des Hummers


weniger gut

Wenn der großartige deutsche Humorist Heinz Erhardt bei seinen Auftritten "noch´n Gedicht" ankündigte, hing das Publikum erwartungsfroh an seinen Lippen und konnte gar nicht genug bekommen. Daran erinnerte mich der vorliegende Roman, allerdings leider mit eher gegenteiligem Erfolg: Autorin Minor versammelt in Ihrem Erstling eine derartige Fülle an Personen, dass ich mir schon nach wenigen Kapiteln dachte: "Oh nein, nicht noch ´ne Figur ...!"

Zwar hilft das vorangestellte Personenverzeichnis bei der Orientierung, doch gelingt es Minor leider nicht, ihre Armada an Protagonisten und Nebendarstellern eine erkennbare Entwicklung durchlaufen zu lassen. Die Autorin verzettelt sich in zu vielen Schauplätzen und Einzelschicksalen, es ist kaum Struktur erkennbar. Gemeinsam ist fast allen Personen, dass sie - jede auf ihre eigene Art - unglücklich oder gescheitert sind. Minor zeichnet eine amerikanische und eine dänische Familie, deren Mitglieder nur noch lose zusammen hängen, sich irgendwie verloren zu haben scheinen. Im Verlauf des Romans entstehen Kontakte zwischen den beiden Familien, aber ein tieferer Sinn erschließt sich mir nicht. Es geht um Elternschaft, wobei die Väter meist durch Abwesenheit glänzen. Es wird viel erzählt und noch mehr verschwiegen.

Auf der literarischen Guthabenseite kann Minor genaue Beobachtungen verbuchen. Leider gelingt es ihr nur manchmal, dies auch adäquat sprachlich umzusetzen. Zu oft finden sich banale Gedanken oder schräge Bilder, etwa wenn bildende Künstler beschrieben werden als Leute, aus deren "Händen und Hirnen Dinge wuchsen". Oder jemand fühlt sich "wie eine geöffnete Tomatendose". Sorry, aber das ist mir dann doch etwas zu surreal, in meiner Welt haben Dosen keine Gefühle. Seltsam muten auch diejenigen Kapitel an, in denen ein verstorbenes Ehepaar in einer Art Zwischenreich gefangen ist, abgetrennt durch eine "zarte Membran", die auch schon mal eine "ungesunde Farbe" aufweist. Wieso? Keine Ahnung.

Caroline Albertine Minor hat für ihre Kurzgeschichten bereits viel Anerkennung erfahren. Nun hat sie sich auf den Weg zur Romanautorin gemacht, angekommen ist sie dort noch lange nicht. "Der Panzer des Hummers" wirkt eher wie eine literarische Fingerübung, höchstens ein Romanfragment.

Bewertung vom 21.09.2021
Magic Fermentation
Kruse, Marcel;Pulsinger, Geru

Magic Fermentation


ausgezeichnet

Ja, ich habe schon mal ein Sauerteigbrot gebacken und ich bestelle beim Koreaner gerne Kimchi. Aber was genau Fermentation ist, und vor allem wie vielseitig man sie in der eigenen Küche einsetzen kann, davon hatte ich keine Ahnung.

Dies hat sich durch "Magic Fermentation" grundlegend geändert. Marcel Kruse und Geru Pulsingers Leidenschaft für die Herstellung bzw. Veredelung von Lebensmittelns durch mikrobiologische Prozesse ist extrem ansteckend. Die Begeisterung des Autorenduos hat dazu geführt, dass nun auch ich seit Monaten eine eifrige "Fermentista" bin. In meinem Vorratsregal blubbern die verschiedensten Gemüse- und Obstkombinationen bunt vor sich hin, ich trinke fast täglich selbst gemachten Kefir und stelle originelle, prickelnde kulinarische Geburtstagsgeschenke her, die sehr gut ankommen.

Das Buch deckt wirklich alles rund ums Thema Fermentieren ab: Es gibt eine gut verständliche theoretische Einführung, einen sehr großen Rezeptteil, eine Pannenhilfe, falls mal etwas schief geht sowie ein Fachglossar und Bezugsquellen. Wobei ich es sehr praktisch finde, dass man nicht gleich einen Küchenschrank voller Spezialutensilien benötigt; mit einigen unterschiedlich großen Einmachgläsern und den Zutaten kann man eigentlich gleich loslegen. (Dann allerdings ist Geduld angesagt: Die Fermente brauchen mehrere Wochen, teils sogar Monate, bis sie verzehrreif sind.)

Die Optik des stabilen Hardcovers ist top: großformatige Farbfotos, übersichtliche Gestaltung der Rezepte samt hilfreichen Tipps, auch ein Lesebändchen fehlt nicht. Symbole zeigen auf einen Blick, wie lange fermentiert werden muss und wie lange der Inhalt dann haltbar ist.

Die Sprache ist jung und modern, ein besonderer Pluspunkt ist, dass konsequent auf Nachhaltigkeit hingewiesen wird. (Da ist es mehr als stimmig, dass das Buch - wie das gesamte Verlagssortiment bei Löwenzahn - cradle-to-cradle gedruckt wird.)

Ein klitzekleiner Kritikpunkt: Im Rezepte-Register sind fast ausschließlich die exakten Namen der Rezepte aufgeführt, es fehlt eine umfangreiche Verschlagwortung der Hauptzutaten. Dadurch muss man lange suchen, wenn man etwa nicht mehr weiß, dass das leckere Karotten-Kraut mit Kaki eben nicht unter "K" wie "Karotte", sondern unter "G" wie "gelbes Karotten-Kaki-Kraut" zu finden ist. Daher: Spickt das Buch mit Post-its! Und entdeckt ungeahnte kulinarische Genüsse, von "A" wie Apfelstrudel-Drink bis "Z" wie Zucchini-Gurken-Relish.

Bewertung vom 16.09.2021
Seht ihr es nicht?
Haderer, Georg

Seht ihr es nicht?


sehr gut

Es weht ein frischer Wind durch die österreichische Krimiszene: "Seht ihr es nicht?" ist der gelungene Auftakt zu einer Reihe um die ehemalige Polizistin Philomena Schimmer, die nach einem traumatischen Einsatz nun als Sonderermittlerin im "Kompetenzzentrum für abgängige Personen" tätig ist.

Der Kriminalroman ist in mehrfacher Hinsicht untypisch für das Genre. Zum einen steht nicht so sehr das Verbrechen und dessen Aufklärung im Mittelpunkt als vielmehr die Ermittlerin Schimmer. Haderer zeichnet ein anschauliches Bild ihrer Psyche, er versorgt den Leser mit Szenen zu ihrem Sexualleben und auch ihre Familie nimmt großen Raum ein.

Und auch sprachlich ist die Geschichte weit davon entfernt, gewöhnlich zu sein. Haderer legt ein schnelles Erzähltempo vor, das die ganze Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Der Stil ist eigenwillig, überraschend und immer wieder witzig-ironisch. Besonders haben es mir zahlreiche schlagfertige Dialoge angetan. An skurillen Figuren mangelt es nicht, manche sind etwas überzeichnet und teils tappt der Autor in die Stereotypie-Falle. Ein wenig anstrengend fand ich es, die zahlreichen Austrizismen und (zumindest Nicht-Österreichern) ungeläufigen Abkürzungen nachschlagen zu müssen, hier wäre ein erklärender Anhang schön.

Ein Pluspunkt ist für mich hingegen die Vielfalt der angerissenen Themen. Der geneigte Leser lernt über Nanobots ebenso dazu wie über die Theorie sogenannter morphischer Felder, Robert D. Hares Psychopathen-Checkliste oder den surrealistischen Fotografen Wiliam Wegman.

Der Plot selbst spart nicht an roten Heringen und überraschenden Wendungen, für mich bis zur letzten Seite spannend und unterhaltsam, ich hoffe auf baldige Fortsetzung.

Bewertung vom 16.09.2021
Stupid ways to die
Hahn, Marco

Stupid ways to die


gut

Bereits auf dem Cover verspricht Autor Marco Hahn fast Unglaubliches: "Mit drei einfachen Schritten länger leben." Meine Neugierde war schnell geweckt, sollte es wirklich so mühelos sein, sich zusätzliche Lebenszeit zu verschaffen?

Nun, schon im Vorwort wird es leider unseriös: Man soll "einfach" Zucker und Aluminium nach Möglichkeit vermeiden, außerdem viel Wasser trinken und - voilà - schon lebt man deutlich länger, verspricht Hahn. Sorry, selbst wenn all dies der Gesundheit zuträglich sein mag, ein Versprechen auf ein (noch dazu deutlich) längeres Leben kann niemand abgeben!

Man merkt dem Ratgeber an, dass es dem Autor ein großes Anliegen ist, sein im Selbststudium und durch eigene Recherche erworbenes Wissen mit der Welt zu teilen. Dabei zeigt der studierte Betriebswirt durchaus profunde naturwissenschaftliche Grundkenntnisse. Allerdings wird auch deutlich, dass hier ein Laie schreibt. Das wäre auch völlig in Ordnung, wenn der Autor nicht immer wieder versucht hätte, seinen missionarischen Eifer auf möglichst breite Faktenbasis zu stellen. Mit über zwanzig Seiten Quellenangaben und Web-Links nimmt der Anhang fast ein Achtel des gesamten Buchs ein, für einen Ratgeber doch recht viel. Für eine wissenschaftliche Arbeit ist das angemessen, ja sogar nötig, in diesem Ratgeber wirkt es auf mich übertrieben. Zumal die Fakten oft nicht eindeutig zu interpretieren sind, was der Autor immerhin ehrlich zugibt, etwa wenn er Krankheiten nennt, die möglicherweise im Zusammenhang mit Aluminiumbelastung stehen.

Grundsätzlich teile ich viele Ansichten Hahns, doch ich hatte mir etwas mehr Motivation und praktische Tipps für die Umsetzung einer besseren Lebensweise erhofft. Dass Wasser zu den gesündesten Getränken zählt, dürfte inzwischen wirklich Allgemeinwissen sein, und dennoch greifen viele immer noch zu oft zu Softdrinks, Fruchtsäften und Alkohol. Wieso bietet das Buch nicht ein paar schmackhafte Rezepte für aromatisiertes Wasser, mit frischen Kräutern, Zitrone etc.?

Sehr gelungen sind die zahlreichen witzigen Farbillustrationen von Ralph Handmann, sie bringen so manchen Aspekt besser auf den Punkt als der Text.

Über einige Satzfehler habe ich mich genauso geärgert wie über despektierliche Stellen ("Senioren, die tagtäglich eine komplette Mahlzeit in Form von Tabletten einnehmen"), daher vergebe ich leider nur eine mittlere Bewertung.

Bewertung vom 08.09.2021
Sherlock Holmes Mind Palace Geniale Gedächtnisrätsel
Dedopulos, Tim

Sherlock Holmes Mind Palace Geniale Gedächtnisrätsel


sehr gut

Mit "Geniale Gedächtnisrätsel" legt Tim Dedopulos seine dritte Rätselsammlung rund um den britischen Meisterdetektiv Sherlock Holmes vor. Der Titel ist etwas irreführend, geht es doch weder ausschließlich um Gedächtnisrätsel, noch kann man die Aufgaben anhand "Sherlocks genialer Gedächtniskunst" lösen, wie die Subheadline impliziert.

Vielmehr bietet das Buch 100 Fragestellungen aus Mathematik, Naturwissenschaften und Logik, gruppiert nach vier Schwierigkeitsstufen. So manch verzwicktes Rätsel konnte ich nach einiger Zeit knacken; insbesondere die naturwissenschaftlichen Aufgaben weiß man, oder eben nicht, da kann man oftmals ohne entsprechende Vorbildung wenig ausrichten. Diese Fragen eignen sich aber gut für ein Quiz im Familien- oder Freundeskreis, zumal die Auflösung (meist) kurz und dennoch allgemein verständlich ist.

Das großformatige Paperback punktet auch durch die hervorragende Gestaltung. Die vorder- und rückseitige Umschlagklappenbroschur kann gut als Lesezeichen für Rätsel und Auflösung dienen. Und die zahlreichen farbigen Illustrationen sind eine wahre Augenweide, nicht nur für Fans des britischen Detektivs.

Erzähler ist - wie auch in den Originalgeschichten von Arthur Conan Doyle - Dr. Watson, Freund und ständiger Begleiter von Holmes. Die Rätsel sind in der fiktiven Welt des Detektivs angesiedelt; der geneigte Leser wird auch weitere Figuren des Sherlock-Universums wiederfinden, wie etwa Inspector Lestrade. Außerdem werden viele Kriminalfälle kurz zitiert.

Neu an dieser Rätselsammlung ist, dass überdies verschiedene Methoden vorgestellt werden, anhand derer man sein Gedächtnis trainieren kann. Darunter finden sich bekannte Verfahrensweisen, wie die Loci-Methode, aber auch relativ Ungewöhnliches wie die Hérigone-Methode zum Memorieren langer Zahlenreihen. Hier will das Buch meines Erachtens zu viel auf einmal. Ich denke nicht, dass man damit sein Gedächtnis wirklich verbessern kann, dazu sind die genannten Methoden zu oberflächlich erklärt. Aber vielleicht wecken sie beim ein oder anderen das Interesse, sich weitergehend zu informieren.

Fazit: Eine wunderschön gestaltete Sammlung von Rätseln und Quizfragen, an der vor allem Sherlock-Holmes-Fans ihre wahre Freude haben dürften. Nicht unerwähnt lassen möchte ich das hervorragende Preis-Leistungs-Verhältnis.

Bewertung vom 06.09.2021
Kleine Paläste
Moster, Andreas

Kleine Paläste


ausgezeichnet

"Es ist nicht das erste Mal, dass der Hund versucht, mich zu ermorden." Schon mit diesem originellen ersten Satz hatte Andreas Moster meine volle Aufmerksamkeit, und dies sollte sich auch bis zum Endes dieses großartigen Romans nicht ändern.

"Kleine Paläste" erzählt von Missbrauch und einer kleinbürgerlichen Gesellschaft, die lieber wegsieht, als sich der Konfrontation mit dem Täter zu stellen. Eine Gesellschaft, wie es sie leider auch heute immer noch viel zu oft gibt. Ehefrauen, die sich leidenschaftlich der Renovierung des Eigenheimes widmen, statt die Beziehung zu Mann und Kind ehrlich zu reflektieren. Nachbarn, die sich hinter dem Rücken "das Maul zerreißen", aber keinen noch so großen Verdachtsmoment laut aussprechen oder gar entsprechend handeln.

Geschickt wechselt der Roman zwischen zwei Zeitebenen und mehreren Erzählperspektiven. Zwischen der Tat und der Gegenwartsebene (genau genommen das Jahr 2018) liegen 32 Jahre. Mehr als eine Generation - doch aufgearbeitet scheint nichts. Nur langsam bröckelt der Putz von den "kleinen Palästen", nur bruchstückhaft kann man durch feine Risse hinter die mühevoll aufrecht erhaltenen Fassaden blicken.

Moster sind unverhoffte Bilder gelungen, die sich mir eingeprägt haben. Etwa wenn er von den Hautfalten des an den Rollstuhl gefesselten Vaters schreibt, an die sich der pflegende Sohn nicht herantraut, weil dort verborgene Geheimnisse liegen.

Die Erzählung hat einerseits eine Grundschwere, die der Thematik angemessen ist. Andererseits überrascht der Autor auch mit Witz und Esprit, die vor allem aufblitzen, wenn die verstorbene Mutter des Protagonisten, quasi als Gespenst zum Leser spricht und das Setting kommentiert, ohne handelnd eingreifen zu können.

Große Schreibkunst, ich ziehe meinen Hut!

Bewertung vom 03.09.2021
Glüxfall
Jørgson, Til

Glüxfall


ausgezeichnet

Literatur ist immer auch Geschmackssache, und dies gilt für erotische Literatur wahrscheinlich noch etwas mehr als für andere Genres. Die sexuellen Vorlieben sind schließlich sehr individuell; was den einen anregt, findet die andere abstoßend.

Und so ist auch meine Beurteilung über diesen Roman überaus subjektiv. Bislang hat mich erotische Literatur wenig angesprochen, die Geschichten waren mir entweder zu romantisierend, zu niveaulos oder zu pornografisch. Dies hat sich mit "Glüxfall" definitiv geändert, dieses Buch trifft genau meinen Geschmack, es ist ein wahrer Schatz an sexuellen Fantasien.

Und obwohl es definitiv nicht an sexuellen Begegnungen mangelt, beschränkt sich Til Jørgson hier nicht auf eine mehr oder weniger willkürliche Aneinanderreihung von Geschlechtsakten. Nein, der Plot kann viel mehr: Die Lektüre konfrontiert einen mit unterschiedlichsten Thematiken, wie Autismus, der chinesischen Kultur, unerfülltem Kinderwunsch und auch der Verflechtung von Sex und Macht. Die Sprache ist explizit, der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund und schafft es dennoch, nicht ins Ordinäre abzugleiten. Die Charaktere sind teils extrem, ich wurde oft überrascht, ohne dass dies auf Kosten der Glaubwürdigkeit ging. Jørgsons Stil ist witzig und intelligent - zwei Eigenschaften, die ich auch an einem Liebhaber schätze. Inwieweit Protagonist Hendrik autobiografische Züge trägt, bleibt letztlich ein Geheimnis, gewisse Parallelen zur Vita des Autors mögen die Fantasie der geneigten Leserin durchaus anregen ...

Ausstattung und Layout sind für ein Paperback hervorragend, eine kurze Personenübersicht und ein - oftmals humorvolles - Glossar sind willkommene Ergänzungen.

Wer Lust an der Lust hat (oder bekommen möchte), dem kann ich "Glüxfall" als Mitmachbuch für Erwachsene sehr empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2021
Das Fräulein mit dem karierten Koffer
Kaufmann, Claudia

Das Fräulein mit dem karierten Koffer


sehr gut

Claudia Kaufmann ist unter anderem als Drehbuchautorin für "Lilly Schönauer" und "Der Bergdoktor" bekannt - nicht gerade mein TV-Geschmack.

Doch der neueste Roman aus ihrer Feder hat mich durchaus positiv überrascht. Er überzeugt als glaubhaftes Sittengemälde der noch jungen Bundesrepublik in den 1960er Jahren: Schwule erfahren nicht nur gesellschaftliche Ächtung, sondern ihnen droht überdies Strafverfolgung und Gewalt, und auch als ledige Mutter wird man gegängelt und verachtet.

Auch die dargestellten Generationenkonflikte haben mich beeindruckt: Die jungen Erwachsenen haben großenteils andere Moralvorstellungen als ihre Mütter und Väter und auch die unrühmliche Nazi-Vergangenheit der Eltern- und Großelterngeneration bietet reichlich Konfliktpotenzial.

Sprache und Setting ermöglichen dem Leser eine Zeitreise rund 70 Jahre in die Vergangenheit: Kaufmann schreibt Mannequin statt Model, und Diskothek statt Club, dies wirkt authentisch.

Im letzten Drittel lässt die Geschichte leider ein wenig nach; Zeitsprünge erschließen sich oft nur mühsam, es wird ein wenig konfus. Zudem hätte ich mir ein wenig mehr Münchner Lokalkolorit gewünscht. Leider gibt es nur wenige Beschreibungen der bayerischen Landeshauptstadt; der Roman hätte genauso gut in einer anderen Metropole des Nachkriegsdeutschlands spielen können.

Davon abgesehen ist es ein unterhaltsamer Roman mit Tiefgang, der Gott sei Dank auch auf ein klassisches Happy End verzichtet.

Bewertung vom 16.08.2021
Paracelsus - Die Fragen der Toten
Schmid, Eva-Isabel

Paracelsus - Die Fragen der Toten


sehr gut

Aller guten Dinge sind drei - leider hat sich Autorin Eva-Isabel Schmid bei ihrem aktuellen Roman nicht an dieses bekannte Sprichwort gehalten: Ihre Historienroman-Reihe rund um den bekannten Arzt, Naturforscher und Philosophen Theophrastus Bombast von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, ist eine Diplogie, sprich: der zweite Band ist zugleich der letzte.

Dies ist allerdings auch fast das Einzige, das ich an diesem Werk kritisieren kann. Die spannende Melange aus akribisch recherchierten historischen Details und glaubhafter Erfindung ist extrem unterhaltsam. Dabei legt Schmid vor allem Wert auf die Entwicklung ihrer Charaktere. Ausufernde Beschreibungen von mittelalterlicher Mode oder Kulinarik á la Rebeca Gablé sucht man hier vergebens. Doch dies ist auch nicht nötig, stehen doch im Zentrum der Geschichte Medizin, Theologie und Alchemie, und hierzu zeichnet Schmid ein überzeugendes Bild des berühmten Arztes. Etwas schade fand ich, dass an keiner Stelle erwähnt wird, dass Paracelsus erwiesenermaßen Stotterer war.

Zudem habe ich eine Personenliste vermisst. So habe ich mich, obwohl ich den ersten Band kenne, anfangs etwas schwer getan, mich wieder in der Geschichte zurechtzufinden. (Tipp an dieser Stelle: Unbedingt Band 1 lesen, sonst dürfte dieser Roman nur schwer verständlich sein, da auf eine kurze Zusammenfassung des vorausgehenden Plots leider verzichtet wurde.)

Doch all dies sind Kleinigkeiten. Ich kann Schmids Paracelsus-Dilogie allen Liebhabern spannender Historienromane wirklich ans Herz legen, vor allem denjenigen LeserInnen, die sich für Medizinhistorie und starke Charaktere interessieren. Ich hätte liebend gerne weitere Bände "verschlungen".