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haberlei
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Wien
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Begeisterte Leserin von Krimis, Thrillern, Humorvollem, historischen (Frauen-)Romanen, Biografien

Bewertungen

Insgesamt 338 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2023
Wodka mit Grasgeschmack
Mittmann, Markus

Wodka mit Grasgeschmack


ausgezeichnet

Keine schwere Zeit ist vorbei, nur weil sie vergangen ist. (Zitat S. 233)

„Wodka mit Grasgeschmack“ von Markus Wittmann ist – was man aufgrund des Titels wohl nicht vermuten würde – ein Buch, das zum Nachdenken anregt, trotz Tiefe Humorvolles in sich trägt. Für mich entpuppte sich der Roman als das erste Lese-Highlight des Jahres.

Worum geht es?
Zwei Söhne fahren mit ihren Eltern, die nach dem Ersten Weltkrieg aus Schlesien vertrieben wurden, nach Polen, um deren Heimatorte zu besuchen. Viele schmerzhafte Erinnerungen kommen hoch, und die Söhne erfahren Erlebnisse der Eltern, von denen diese noch nie erzählt haben.

Das Cover ist ansprechend, wirkt frisch und fröhlich. Man würde nie vermuten, welche Ernsthaftigkeit sich dahinter verbirgt. Wobei der Klappentext schon mehr erahnen lässt. Das Buch erschien 2019 und spielt in der nicht näher datierten Gegenwart. Die Kapitel sind angenehm kurz gehalten, mit Überschriften versehen, nicht nur passend zum Inhalt, sondern auch den poetischen Schreibstil unterstreichend. Zwei Komponenten machen diesen Roman zu etwas ganz Besonderem: die bildhafte Erzählweise des Autors und die Thematik, die einen einfach berührt und nachdenklich stimmt.

Markus Wittmann verfügt über eine phänomenale Beobachtungsgabe, einen ausgezeichneten Blick für Details und beschreibt sehr poetisch und atmosphärisch. In einzigartiger Weise verbindet er bei dieser ungewöhnlichen Fahrt die alltäglichen Reiseeindrücke mit den nach und nach aufkommenden Erinnerungsfetzen der Eltern. Da ist einerseits die Leichtigkeit, die Banalität der Vorkommnisse, die bei einem Ausflug, einem Urlaubsaufenthalt geschehen – man sagt Belanglosigkeiten, tankt, geht essen, probiert landläufige Kost, besichtigt Sehenswürdigkeiten, erfährt so manches über die schlesische Kultur, und andererseits tauchen aus dem Unterbewusstsein des Elternpaares erschütternde, grauenhafte und beklemmende Szenen auf, die wiederum zu tiefgründigen Überlegungen führen, inwieweit das Erlebte auch die Nachkommen prägt.

Anfangs irritierten mich die Zeitsprünge ein wenig. Bis ich erkannte, wie authentisch diese Szenen sind. Auch in der Realität vermischen sich die Eindrücke der Gegenwart, wenn man z.B. während einer Autofahrt aus dem Fenster blickt, mit den Gedanken, denen man nachhängt. Nach wenigen Seiten hat man das Gefühl, mit in diesem VW Beetle zu sitzen, so lebensnah und lebendig sind die Schilderungen. Unwahrscheinlich detailreich und gefühlsstark. Als der Protagonist einen Keks kostete, meinte ich, selber zu spüren, wie zart und köstlich dieser schmeckte. Und das ist nur eine von zahlreichen Stellen in diesem Buch. Es schwingt auch stets ein wenig Tristesse mit hinein, die Trauer um Vergängliches. Das wird sichtbar an zerstörten Städten, die zwar wieder hergestellt wurden, aber deren seinerzeitige Pracht dennoch verloren ging.

Je näher die Familie dem Ziel kommt, desto fühlbarer werden die Emotionen, von denen sie gerüttelt werden. Alles fließt ineinander. Es ist nie zu traurig. Es wechseln erschütternde Szenen, die Gänsehaut verursachen, mit Szenen der Gegenwart, mit Szenen, die Hoffnung aufkeimen lassen, wo Menschlichkeit zutage tritt. Der gastfreundliche Empfang der jetzigen Bewohner des seinerzeitigen Elternhauses des Vaters gab dem Buch auch den Titel „Wodka mit Grasgeschmack“. Unzählige Sätze haben mich beeindruckt. Aber DER Kernsatz für mich war: «Es gibt keine Nationalitäten! Es gibt nur Menschen und einen Himmel über diesen Menschen».

Die Charaktere sind in ihrer Verschiedenheit sehr gut dargestellt. Vater und Mutter reagieren ganz unterschiedlich auf die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit. Der Vater wesentlich emotioneller als die Mutter, deren Überlebensstrategie es war, stets nur nach vorne zu blicken. Bei beiden kommen Erinnerungen hoch, die sie jahrzehntelang verdrängt hatten. Es ist eine schmerzhafte Reise. Verlorenes Glück der Kindheit, Grauen der Flucht, unmenschliche Behandlung, Hunger, Armut, Kälte. Wie die Eltern, so gehen auch die Söhne mit der Situation anders um. Während der eine mit schnoddrigen Bemerkungen den Coolen mimt, stellt der zweite Fragen, beobachtet die Reaktionen seiner Eltern genau und versucht, sich das Gesehene einzuprägen. Er erkennt, dass die Erlebnisse der Vorfahren sich auf die Nachkommen auswirken, dass es wichtig ist, seine Wurzeln zu kennen. Demgemäß bindet er nach der Reise auch seinen Sohn in die Recherchen über die Vergangenheit mit ein.

„Wodka mit Grasgeschmack“ hat mich von Anfang an gepackt, schon allein der Erzählstil hat mich so sehr begeistert. Je mehr ich las, desto faszinierter war ich von der Art und Weise, wie diese doch traurige Thematik mit Leichtigkeit und Humor verpackt wurde.

Eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 09.01.2023
Canaria Mortal
Verano, Daniel

Canaria Mortal


gut

Auflösung folgt ...

„Canaria Mortal“ von Daniel Verano ist der Auftakt für eine auf Gran Canaria spielende Krimireihe.

Klappentext:
Felix Faber hat genug von Deutschland. Er wandert nach Gran Canaria aus und heuert bei einer aufstrebenden Zeitung in Las Palmas an. Sein Start verläuft vielversprechend. Als kurze Zeit später auf dem Roque Nublo, einem der höchsten Berge der Insel, eine Leiche gefunden wird, stellt Faber eigene Ermittlungen an. Dabei bekommt er es nicht nur mit der taffen Ermittlerin Ana Montero zu tun, sondern lernt auch die dunklen Seiten der Touristeninsel kennen.

Der erste Eindruck ist das Cover, eine wunderschöne südliche Abendstimmung, sehr ansprechend, ein Eyecatcher. Der Schreibstil liest sich flüssig, diverse spanische Ausdrücke unterstreichen die Region. Allerdings vermisste ich ein Glossar mit jeweiliger Übersetzung; nicht alles ist für jemanden, der die Sprache nicht spricht, wirklich eindeutig verständlich. Das Buch gliedert sich in vier Teile und rund 50 angenehm kurze Kapitel. Hinsichtlich des Layouts fand ich es eigenartig, dass die Titelseiten der vier Abschnitte links, also auf der Blattrückseite gedruckt sind. Das Buch erschien 2022. Die Handlung spielt in der nicht näher bestimmten Gegenwart.

Obwohl sich der Autor zahlreicher Spannungselemente bedient – mehrere Handlungsstränge sorgen für Komplexität, Szenen- und Perspektivenwechsel und immer wieder eingesetzte Cliffhanger machen neugierig, mysteriöse Vorgänge und mehrere Verdächtige animieren zum Miträtseln – entwickelt sich die Handlung eher zäh, die Spannung steigert sich erst im letzten Drittel des Romans und selbst da prickelte es für mich nicht richtig. Mir fehlte Atmosphäre, Dramatik, die Protagonisten geraten nicht in wirklich brenzlige Situationen. Der Erzählstil ist eher nüchtern, wenig emotionell. Aber meisten irritierte mich das Ende. Denn meiner Meinung nach sollten auch bei einer Krimireihe die einzelnen Bände für sich abgeschlossen sein, der jeweilige Fall schlüssig gelöst sein. Durchwegs akzeptabel erscheint mir noch, dass die Jagd nach dem Hintermann, nach demjenigen, der die kriminellen Fäden zieht, sich auf Folgebände weiterzieht, aber ein Ende, wonach der im Zentrum der Ermittlungen stehende Mordfall nicht eindeutig gelöst und der tatsächliche Mörder nicht gefasst wird, lässt jedenfalls mich als Leserin unbefriedigt zurück.

Was die Charaktere anbelangt, so empfand ich es eher nur als ein oberflächliches Kennenlernen, ich vermisste noch Facetten und fühlbare Emotionen. Hier liegt noch reichlich Entwicklungspotential für Folgebände. Der im Mittelpunkt der Handlung stehende Journalist Felix Faber wirkte auf mich zu farblos, keineswegs wie ein tatkräftiger, wagemutiger Mensch. Sein Auftreten empfand ich vielfach als zu zaghaft, zu wenig selbstbewusst. Im krassen Gegensatz zu seinem laienhaften Gehabe stehen seine Spionageaktionen. Nervenstärke wie die eines Profis, unter Zeitdruck nach Passwörtern zu suchen und fremde PCs zu knacken, traute ich ihm einfach nicht zu. Die Kommissarin neigt wiederum zu unvorsichtigen Alleingängen und dienstlichen Überschreitungen, was mir ebenfalls nicht sehr realistisch erschien.

Am eindrucksvollsten fand ich das Urlaubsfeeling, das durch Schilderungen von Strand und Meer, Sonnenschein und kulinarische Genüsse vermittelt wird. Man bekommt richtig Reiselust.

„Canaria Mortal“ hat mich leider etwas enttäuscht, sowohl von der Spannung her als auch hinsichtlich der Protagonisten, mit denen ich nicht richtig warm wurde. Insbesondere störte mich, dass der Roman nicht in sich abgeschlossen ist, viele Fragen offen blieben.

Bewertung vom 05.01.2023
Letztes Heimspiel
Mona Frick

Letztes Heimspiel


ausgezeichnet

Tod im Fußballstadion

„Letztes Heimspiel“ von Mona Frick ist der zweite Band der Kurzkrimi-Reihe rund um Oberkommissar Schäfer.

Worum geht es?
Und wieder findet ausgerechnet das Ehepaar Bromstetter eine Leiche. Im Fußballstadion. Oberkommissar Schäfer und sein Kollege Florian stoßen bei den Ermittlungen auf Hooligans und einen Bundesliga-Skandal aus den Siebzigern.

Ich stieg seinerzeit bei einer Leserunde mit Band 7 in die Serie ein, habe seither alle Folgebände gelesen, und vor kurzem begonnen, die Vorgängerbände nachzulesen.

Es ist ein nur knapp 80 Seiten umfassender Kurzkrimi. Der brennende Fußball am Cover passt stimmig zum Titel. Die Geschichte ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Das Buch erschien erstmals bereits 2013, spielt in der nicht näher bestimmten Gegenwart.

Die Handlung knüpft an jene des ersten Bandes an. Dem Kriminalfall kann man selbstverständlich ohne Vorkenntnis problemlos folgen, dennoch sind einige Hinweise, die sich auf die erste Begegnung von Bromstetter und Schäfer beziehen, verständlicher, kennt man die Vorgeschichte. Zudem verfügt man dann auch über zusätzliche Informationen zu den Protagonisten.

Der Schreibstil ist flüssig, der schwäbische Dialekt des Oberkommissars bringt einen humorvollen Touch in die Handlung. Die Autorin vermag mit kurzen und prägnanten Worten nicht nur bildhafte Beschreibungen von Personen, sondern auch von Stimmungen zu vermitteln: ob es die aufgeheizte Atmosphäre der Hooligans beim Fußballmatch ist, oder das panische Tohuwabohu, das durch einen Feueralarm im Hotel entsteht. Für tiefgehende Charaktere bleibt in einem Kurzkrimi zu wenig Raum. Dennoch sind Wesenszüge und Eigenarten erkennbar bzw. auch die Motivation der Täter.

Die Szenen- und Perspektivenwechsel zwischen Ermittlungsarbeit und Tätersicht gestalten die Handlung abwechslungsreich, vermitteln Spannung und geben Einblick in die Hintergründe der Tat.

Diese Reihe ist ideal für zwischendurch, für unterwegs oder bei längerer Wartezeit. Es sind Wohlfühlkrimis mit sympathischen Protagonisten, humorvoll und spannend zugleich.

Bewertung vom 03.01.2023
Der Nordseeritzer
Summer, Drea

Der Nordseeritzer


ausgezeichnet

Gedankenwelt von Mördern

„Der Nordseeritzer“ von Drea Summer ist ein packender Krimi, der vielversprechende Auftakt zu einer neuen Sylt-Krimi-Reihe.

Worum geht es?
Kriminalkommissar Jan Graf wird Augenzeuge, wie ein Mann von einer Klippe springt, unter mysteriösen Umständen und wie es scheint, nicht freiwillig. Im Zuge der Ermittlungen stoßen er und seine Partnerin Kriminalkommissarin Stefanie Teufel auf einen Kindermörder, den Nordseeritzer, der kürzlich aus jahrzehntelanger Haft entlassen wurde. Es besteht zu befürchten, dass er weitere Kinder tötet. Aber die beiden müssen sich noch mit weiteren Vorfällen auf Sylt beschäftigen.

Bereits das Cover stimmt auf die Geschehnisse ein – ein bedrohliches Messer blitzt aus Düsternis hervor, darunter der Sandstrand von Sylt. Der Schreibstil ist flüssig, bildhaft und die Autorin versteht es meisterlich, Atmosphäre zu vermitteln. Die Kapitel sind kurz, mit Orts- und Zeitangaben übertitelt. Das Buch erschien 2022. Die Handlung spielt in der Gegenwart, vermutlich im Sommer 2021. Corona wird nicht erwähnt.

Dadurch, dass mehrere Handlungsstränge parallel laufen, durch stetige Szenen- und Perspektivenwechsel und einige Rückblenden ist die Handlung sehr abwechslungs- und temporeich. Zudem enden zahlreiche Kapitel mit einem Cliffhanger, was die Spannung noch zusätzlich befeuert. Man ist sofort mitten im Geschehen, mitten in den Ermittlungen, aber auch im Kopf der Täter. Beobachtet einen Auftragskiller bei seinen Vorbereitungen und bei der Ausführung seiner Taten, ebenso ist man bezüglich der Vorhaben des entlassenen, angeblich geheilten Kindermörders alarmiert. Die Mörderjagd gestaltet sich zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Es überstürzen sich die Ereignisse, immer wieder wird man von unerwarteten Wendungen überrascht. Und man will das Buch gar nicht mehr zur Seite legen. Pure Spannung von der ersten bis zur letzten Seite. Ein kompliziert angelegter Plot, zahlreiche anscheinend unabhängige Vorfälle, die sich ineinander verknoten und die sich letztlich schlüssig voneinander lösen. Mir gefiel generell der positive, happy-mäßige Ausklang.

Das Ermittlerpaar sowie deren Kollegen sind sehr sympathisch und gut vorstellbar gezeichnet. Es herrscht eine wohltuende positive und harmonische Atmosphäre im Team. Steffi und Jan sind ein eingespieltes Team, dienstlich. Sie können sich aufeinander verlassen, ergänzen einander und haben auch Spaß zusammen, können miteinander lachen. Ob sich darüber hinaus etwas ergeben könnte, wird wohl die Zukunft zeigen, liegt irgendwie in der Luft. Ebenso wird wohl in den Folgebänden noch etwas mehr über ihre familiären Verhältnisse und ihr Vorleben zutage kommen. Vorerst war es nur ein Kennenlernen. Den Protagonisten blieb in diesen Tagen auch kaum Zeit für ein Privatleben.

Der Haupttenor lag auf den Charakterbildern der Täter. In ebenso bewundernswerter wie erschreckender Art und Weise konnte sich die Autorin in die Gedankenwelt dieser psychisch gestörten Menschen versetzen, deren mehr oder weniger vorhandenen Emotionen einfangen, so manches Gruseln und Gänsehautfeeling dem Leser vermitteln.

„Der Nordseeritzer“ ist ein Pageturner, ein Buch, das man in einem Zug auslesen möchte. Es war dies mein erstes Buch von Drea Summer und wird definitiv nicht mein letztes sein. Vor allem möchte ich unbedingt diese Reihe weiterverfolgen. Das letzte Kapitel hat ja meine Neugier auf Band 2 geweckt.
5 Sterne! Eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 31.12.2022
Leben Lieben Erben
Neukirchen, Dorothea

Leben Lieben Erben


sehr gut

Eine moderne junge Frau in den 80er-Jahren

„Leben lieben erben“ von Dorothea Neukirchen ist ein Roman, der Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in Westdeutschland spielt, im Mittelpunkt steht eine junge, strebsame, modern denkende junge Frau.

Klappentext:
1979. Alix steht kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag, als ihre Erbtante stirbt. Altes Familienmisstrauen führt zu neuen Komplikationen, während Alix im männlich dominierten Fernsehsender um ihr Überleben als Filmemacherin kämpft.
Ein Glück, dass Didi, ihre große Liebe, hinter ihr steht ..

Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Die jeweiligen Handlungsorte und Personen sind gut vorstellbar. Die Kapitel sind kurz gehalten, mit Überschriften versehen, mit einem Stichwort zum kommenden Inhalt. Die chronologischen Ereignisse werden immer wieder durch Alix‘ Erinnerungen unterbrochen, was den Handlungsablauf abwechslungsreich gestaltet und Einblick in ihre Kindheit und Jugend gibt.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Alix, die berufliche Anerkennung sucht, sich durch den Tod ihrer Tante nicht nur mit Erbschaftsangelegenheit herumschlagen muss, sondern sich auch mit ihrer Familiengeschichte und ihren Wurzeln auseinandersetzt. Und immer wieder an Grenzen stößt. An die Vorherrschaft der Männerwelt. An juristische Finessen. An Tabuthemen. Und das Jahr 1980 bietet ihr nicht nur berufliche Chancen, sondern stellt generell einen persönlichen Wendepunkt dar. Sie feiert den 30. Geburtstag und heiratet.

Die handelnden Personen sind anschaulich charakterisiert, wirken lebendig, emotionell und authentisch. Die divergierende Denkungsweise der älteren zur jüngeren Generation ist deutlich zu erkennen. Insbesondere wandelt sich das Frauenbild zusehends. Aus der während der Kriegszeit mehr oder weniger erzwungenen Berufstätigkeit der Frauen, als die Männer im Krieg waren, und dem darauf folgenden Rückzug wiederum zur Frau am Herd, als die Männer heimgekehrt waren, bildete sich zusehends der Wunsch der Frauen nach Eigenständigkeit und Berufstätigkeit, sogar Karriere. Die modernen Frauen sehen ihre Arbeit nicht mehr als bloßen Übergang bis zur Heirat und Mutterschaft. Selbst wenn sie in ihrem Beruf erfolgreich sind, werden sie vielfach aber noch immer primär als die Ehefrau von XY wahrgenommen. Vor allem auch beruflich muss Alex erkennen: „Männer steigen im Wert, wenn sie sich durchsetzen. Aber von Frauen wird erwartet, dass sie pflegeleicht sind.“

Rund um Alix‘ Leben, ihre Liebe und ihr Erbe - Erbe nicht nur als finanzielle Hinterlassenschaft gesehen, sondern auch als Erbgut, als Bedeutung, die die eigenen Wurzeln für einen haben -, steckt sehr viel Zeitgeist in den Zeilen, aus den 80er-Jahren wie auch aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Denn Alix beschäftigt sich u.a. auch mit der Geschichte ihrer Vorfahren, soweit sich die ältere Generation diesbezüglich öffnet. Über vieles wird nach wie vor der Mantel des Schweigens gebreitet, abgeblockt.

Alix, Jahrgang 1950, ist nur ein paar Jahre älter als ich, sodass die geschilderte Zeitspanne viele Erinnerungen in mir weckte, ich so manche Parallele erkannte. Damals kämpften die Frauen für ihr Recht auf Abtreibung – wie erschreckend, dass ihnen dieses Recht in etlichen Ländern im 21. Jahrhundert wieder abgesprochen wird! Wie augenscheinlich wird einem der technische Fortschritt in diesen wenigen Jahrzehnten, wenn man liest, wie verzweifelt Alix eine Telefonzelle sucht, um zu informieren, dass ihr Zug Verspätung hat, dass Überseetelefonate schwierig zu führen sind, es noch VHS-Kassetten gibt und Farbfernseher neu herauskamen.

Das Buch thematisiert zwar die Frauenrolle, Männervorherrschaft und Emanzipationsbestrebungen von vor rund 40 Jahren. Letztlich fragt man sich als LeserIn, inwieweit sich das seither weiterentwickelt bzw. wirklich verbessert hat. Da ist noch einige Luft nach oben. Es spielen einige andere Themen mit hinein in diese Lektüre. Bedingt durch Alix‘ Filmprojekt über Sokrates einiges an philosophischen Gedanken, u.v.a.m.

„Leben lieben erben“ ist ein Buch, das nicht durch prickelnde Spannung oder erschütternde Familientragödien punktet, sondern durch das breite Spektrum an Stoff zum Nachdenken, zum Reflektieren über das eigene Leben. Es ist, wie es scheint, der Auftakt für weitere Romane über Alix und ihr Leben, das ich gerne weiterverfolgen möchte.

Bewertung vom 29.12.2022
Mordsradau in Bad Vöslau
Ruhrhofer, Norbert

Mordsradau in Bad Vöslau


sehr gut

Maklermassaker

„Mordsradau in Bad Vöslau“ von Norbert Ruhrhofer ist ein Wohlfühlkrimi mit typisch österreichischem Flair.

Worum geht es?
Zwei Makler verunglücken unter mysteriösen Umständen. Für die Polizei handelt es sich um Unfälle, was der Obmann des Immobilienverbands bezweifelt. Er ersucht das Ehepaar Pokorny um private Ermittlung. Und es bleibt nicht bei zwei Toten …

Das Buch erschien 2022 und ist der zweite Band mit den Pokornys als Ermittler-Duo. Für den Fall selbst ist es nicht erforderlich, den ersten Band gelesen zu haben. Dennoch fehlte mir der Beginn des roten Fadens, wie es überhaupt dazu kam, dass die beiden zu ermitteln begannen. Daher mein Rat, die Reihe mit Band 1 (Mord in Bad Vöslau) zu starten.

Der Schreibstil ist flüssig, sprachlich sehr authentisch durch typisch österreichische Ausdrücke. Die Kapitel sind datiert; pro Tag ein Kapitel, wobei sich die Ermittlungen über einen Zeitraum von zwölf Tagen erstrecken. Die Handlung spielt knapp vor Weihnachten im Jahr 2020, Covid19 wird nicht erwähnt. Mir persönlich gefällt es immer sehr, wenn eine Personenliste vorhanden ist, so gewinnt man auch als Neueinsteiger leichter einen Überblick über die Haupt- und Nebenfiguren. Ein Glossar wäre wohl für Nichtösterreicher hilfreich. Der kräftige Lilaton des Covers ist ein Eye-Catcher. Den Bezug der abgebildeten Lärchen- oder Kiefernadeln zum Inhalt des Buches konnte ich nicht nachvollziehen.

Der Krimi besticht durch sehr viel Lokalkolorit, nicht nur durch sehr anschauliche Beschreibungen von Bad Vöslau und diverser Orte im Umfeld, von Sehenswürdigkeiten und Landschaft, sondern insbesondere durch die in den dortigen Kaffeehäusern und Restaurants angebotenen kulinarischen Köstlichkeiten.

Die Spannung steigert sich sehr gemächlich, wird wie bei jedem typischen Whodunit-Krimi vorrangig dadurch genährt, dass man das Motiv für die Morde wissen möchte, und wer der Täter ist. Die Immobilien-Thematik ist eine etwas trockene, nicht sehr fesselnde. Die Recherchen laufen zäh, tappen alle doch lange im Dunkeln, bis so nach und nach immer mehr Machenschaften der Makler zutage kommen, mehrere Verdächtige ins Visier genommen werden. Erst gegen Ende verdichten sich die Beweise. In einem dramatischen Finale klärt sich schließlich alles schlüssig und der Täter wird mit Hilfe der Pokornys gefasst.

Im Mittelpunkt steht das doch sehr verschieden wirkende und doch harmonisch zusammen lebende Ehepaar Pokorny – die sportliche, kalorienbewusste und technisch versierte Toni und der eher bequeme, moderner Technik nicht sehr aufgeschlossene und etwas behäbige Genussmensch Willi. Deren Alltag begleitet man als stiller Beobachter, gut dosiert die privaten Stunden ebenso wie ihre Recherchen, wobei beides vielfach ineinander übergeht, beziehen sie ihre Informationen doch vielfach aus Gerüchten, Plauderei beim Kaffeetrinken und vom Hörensagen – Quellen, die der Polizei üblicherweise verschlossen bleiben. Durch die Freundschaft mit Gruppeninspektor Sprengnagl erfolgt ein stetiger inoffizieller Informationsaustausch mit der Polizei. Unterhaltsam ist immer wieder der Schlagabtausch mit der den Fall offiziell bearbeitenden Kriminalbeamtin, Chefinspektorin Wehli. Wenn die Pokornys wieder einmal die Nase vorne haben, schmunzelt man als Leser zufrieden. Wie bereits erwähnt, ich glaube, dass sich mir die Charaktere noch besser erschlossen hätten, hätte ich die Basis ihrer Beziehungen zueinander aus Band 1 gekannt.

Als Wienerin habe ich mich von der ersten Seite an richtig heimisch gefühlt, sowohl sprachlich als auch kulinarisch. Die Protagonisten sind sympathisch, teils urig ge- bzw. überzeichnet. „Mordsradau in Bad Vöslau“ ist eine gute Mixtur aus Spannung und lockerer Unterhaltung. Ich bin schon neugierig, in welche Mordfälle die Pokornys noch verwickelt werden!

Bewertung vom 23.12.2022
Moorgrab
Silber, Eva-Maria

Moorgrab


sehr gut

Mordopfer im Moor - doch kein perfektes Verbrechen

„Moorgrab“ von Eva-Maria Silber ist der Auftakt zu einer neuen Serie, der erste Fall für das Cold Case Ermittlerduo Montag und Effi Lu.

Worum geht es?
Ein Fußgänger entdeckt im Moor die Hand eines darin versunkenen Menschen. Offensichtlich hat er im Moor etwas gesucht, wagte sich zu weit hinein und kam um. Wusste er von jenen fünf Moorleichen am Grund des Tümpels, auf die die Polizei nun stößt? Fünf Tote in zwei Autos, die sich bereits seit Jahrzehnten dort befanden? Ein Fall für das neu gegründete Cold Case Team.

Der Schreibstil liest sich flüssig, die Kapitel sind kurz, ohne Orts- oder Zeitangaben. Die Ermittlungen erstrecken sich ungefähr über eine Woche; ich hätte es geschätzt, wenigstens eine Wochentagangabe am Kapitelbeginn zu haben, um chronologisch die Übersicht zu behalten.

Das Buch erschien 2022, die Handlung spielt im Sommer 2020, Corona bleibt unerwähnt. Die Handlung spielt in Mardorf, Region Hannover, Niedersachsen. Bereits das Cover vermittelt sehr anschaulich die düstere, etwas bedrohliche Moorlandschaft, den Fundort der Leichen – es ist ein recht gruseliges Umfeld.

Die Spannung hält sich über den gesamten Krimi auf gutem Niveau. Sowohl die Szenen- als auch Perspektivenwechsel gestalten die Handlung abwechslungs- und temporeich. Immer wieder enden die Kapitel mit einem Cliffhanger, was faktisch zum Weiterlesen zwingt. Im actionreichen, allerdings für meine Begriffe etwas unrealistischen Finale klären sich sowohl der aktuelle als auch die Jahrzehnte zurückliegenden Morde. Obwohl ich irgendwann zu ahnen begann, wer der Täter war, so barg dennoch die detaillierte Auflösung Überraschendes.

Die Thematik Moorleichen war außergewöhnlich und in punkto Beschreibung der Leichen und der Ermittlungsarbeit nicht nur schaurig, sondern sehr beeindruckend und aufschlussreich. Das ist eine der Komponenten, die ich an Cold Case Krimis so interessant finde: was man mit heutigen technischen Möglichkeiten alles – in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes - ans Tageslicht bringen kann.

Die Charaktere wirken lebendig und sind optisch gut vorstellbar. Meine Sympathie galt vor allem der bescheiden und still im Hintergrund agierenden, sehr gescheiten Effi Lu, einer Deutschen mit chinesischen Wurzeln. Sie achtet auf Kleinigkeiten und treibt im Wesentlichen die Ermittlungen voran, während Montag, ein Womanizer schlechthin, der es nur schwer erträgt, einmal selbst betrogen worden zu sein, mit allerhand privaten Problemen kämpft, nicht wirklich bei der Sache ist, und sein gekränktes Ego im Alkohol ertränkt. Beide entwickeln sich im Laufe der Handlung. Während Effi Lu zusehends selbstsicherer wird, überwindet Montag schließlich sein Selbstmitleid, und zeigt doch noch seine Ermittlerqualitäten. Obwohl in dem zarten, unscheinbaren Wesen so einiges an Mut, Zähigkeit und Kreativität steckt, so habe ich Effi Lu dennoch ihren Alleingang, diese im Finale beschriebene Superwoman-Action nicht ganz abgenommen, verletzt wie sie war. Karen, Montags Ex-Geliebte und nicht kooperative Leiterin der Mordabteilung, war zwar in ihrer Abneigung ihm gegenüber verständlich, das von ihr inszenierte generelle Mobbing fand ich übertrieben.

„Moorgrab“ hat mir spannende Lesestunden bereitet, mir hie und da ein Schmunzeln entlockt und ich habe in manch brenzliger Situation mit den Protagonisten mitgefiebert. Dieses Ermittlerduo, so ungleich es ist, verspricht genau deswegen sich hervorragend zu ergänzen. Ich bin neugierig, wie sich die beiden weiter entwickeln und welche interessanten Fälle sie noch zu lösen haben werden. Ich freue mich auf die Fortsetzungen!

Bewertung vom 19.12.2022
Alle Jahre wieder
Wagner, David

Alle Jahre wieder


gut

Weihnachtsbräuche einst und jetzt, hier und anderswo

„Alle Jahre wieder“ von David Wagner ist keine Weihnachtsgeschichte im herkömmlichen Sinn, eher ein Sammelsurium an Weihnachtsthemen, mehr informativ als stimmungsvoll. Nicht ganz das, was ich mir erwartet hatte …

Worum geht es?
Der in Berlin lebende Vater und die in Heidelberg lebende Tochter unterhalten sich per Telefon über Weihnachten einst und jetzt, wie es in der eigenen Familie traditionsgemäß gefeiert wird und anderswo auf der Welt.

Das 2022 erschienene, rund 100 Seiten umfassende Büchlein ist in Dialogform verfasst, ohne jegliche kapitelmäßige Unterteilung. Das in warmem Tannengrün gehaltene Cover, mit Christbaum und Telefonen bebildert, stimmt auf den Inhalt ein. Der Schreibstil ist flüssig, doch unterscheiden sich die beiden Gesprächspartner sprachlich kaum, sodass man manchmal im Unklaren ist, wer gerade am Wort ist.

Es gibt in dem Sinn keine Handlung, sondern es ist ein sehr langes Telefonat, in dem - basierend auf die Anfangsfrage des Vaters, ob die Tochter zu Weihnachten zu ihm nach Berlin komme - sich ein ausführliches Gespräch über weihnachtliche Themen entwickelt. Die beiden geraten hierbei buchstäblich vom Hundertsten ins Tausendste. Immer wieder gibt es abrupte Themenwechsel. Auf mich wirkte der Dialog etwas zu distanziert, zu nüchtern, sehr sachlich und informativ, beinahe lehrhaft. Wikipedia lässt grüßen. Die Tochter googelt manche Begriffe tatsächlich während der Unterhaltung. Weihnachtliches Flair, Besinnliches bzw. Herzlichkeit kamen bei mir nicht ausreichend an, trotz manch scherzender Bemerkung. Wirklich realistisch empfand ich dieses Telefonat nicht. Mir hätte es besser gefallen, wären all diese Themen in kleine Kurzgeschichten verpackt gewesen. Dann wären auch die verschiedenen Familienmitglieder, über deren Weihnachtsbräuche sich die beiden unterhalten, leichter zuzuordnen gewesen.

Ich erwartete etwas Heiter-Besinnliches zum Vorlesen in der Adventzeit. Das war’s leider nicht. Weihnachtsstimmung vermittelte mir das Buch nicht. Zugegeben, manches erinnert an Weihnachtsabende in der Kindheit. Auch zum Nachdenken regte die Lektüre an. Weihnachten ist heutzutage wohl tatsächlich weniger eine gnaden- als eine geschenkbringende Zeit.

Bewertung vom 18.12.2022
Ruhe sanft im Fichtelgebirge
Lochmüller, Jacqueline

Ruhe sanft im Fichtelgebirge


sehr gut

Kommissarin zwischen Pflicht und Neigung

„Ruhe sanft im Fichtelgebirge“ von Jacqueline Lochmüller ist ein spannender Krimi, in dem aktuelle Ereignisse zur Aufklärung eines Cold Case führen.

Worum geht es?
Für die Kommissarin Kristina Herbich häufen sich die zu bearbeitenden Fälle: ein entflohener Häftling ist aufzuspüren, ihr Kollege gilt als vermisst und in einem verlassenen Bauernhof werden mumifizierte Leichen gefunden.

Das Buch erschien 2022 und ist bereits der dritte Band dieser Reihe. Auch ohne Kenntnisse der Vorgängerbände kommt man als Neueinsteiger problemlos in die Geschichte hinein und überblickt auch den Personenkreis ohne weiteres. Der Schreibstil liest sich flüssig, ist sehr bildhaft. Die detaillierten und atmosphärischen Beschreibungen vermitteln ein sehr eindrucksvolles und gut nachzuempfindendes Ambiente. Die Kapitel sind kurz gehalten, enden immer wieder mit einem Cliffhanger, der einen zum Weiterlesen drängt. Sie sind allerdings (abgesehen von den Rückblenden zum Jahr 2007) mit keinen Zeit- oder Ortsangaben versehen. Insbesondere das Fehlen von zeitlichen Anhaltspunkten hat mich einigermaßen irritiert. Ein wesentliches Spannungselement sind stetige Szenen- und Perspektivenwechsel, was ja hervorragend die Dramatik steigert, doch gleichzeitig verliert man mit der Zeit den Durchblick hinsichtlich der chronologischen Abläufe. Mich störte es, als ich nicht mehr nachvollziehen konnte, über wie viele Tage sich die Suche nach dem verschwundenen Kollegen nun eigentlich hinzog. Generell spielt die Handlung in der nicht näher beschriebenen Gegenwart, Corona bleibt unerwähnt.

Mehrere Handlungsstränge laufen parallel und sind gleichermaßen bei Kommissarin Kristina Herbich zentriert. Sie leitet die Fahndung nach dem entflohenen Häftling, soll den Verbleib ihres Kollegen Breuer und die Identität der zwei Leichen herausfinden. Durch die stetigen Wechsel der Blickwinkel, mal aus Sicht der Polizei, dann wieder aus jener des einen oder anderen Täters, und Rückblenden ins Jahr 2007, gestaltet sich der Ablauf der Ereignisse sehr abwechslungs- und temporeich. Dennoch, ab einem gewissen Zeitpunkt vermisste ich den einen oder anderen kurzen Schwenk zu Breuer. Es ist ja nicht so, dass ich mich um beklemmende Szenen aus Sicht von Opfern reiße, aber kurze Lebenszeichen hätten mich beruhigt, ohne mir die Spannung zu nehmen.

Lokalkolorit ist sehr gut in die Handlung mit einbezogen, insbesondere durch landschaftliche Beschreibungen, auch die düstere winterliche Atmosphäre kommt gut zur Geltung.

Die Autorin hat sowohl die Hauptakteure als auch Nebenfiguren ausgezeichnet charakterisiert. Alle wirken durchaus lebendig und gut vorstellbar. Im Mittelpunkt steht natürlich die Kommissarin, die sich in einer besonders schwierigen Situation befindet. Kristina ist gezwungen, sich auf eine Gradwanderung zwischen privaten Interessen und beruflicher Pflicht zu begeben. Sie wirkt überlastet, nervlich angespannt und keineswegs wie eine souveräne Führungskraft und Ermittlerin. Ihr fehlt der verlässliche, ruhige Kollege an ihrer Seite. Sie macht sich Sorgen um ihn und wirkt trotzdem nicht 100% engagiert, weil ihr Freund zu wenig Verständnis für ihre Stresssituation aufbringt und Aufmerksamkeit einfordert. Es ist einmal mehr offensichtlich, wie schwierig es in diesem Beruf ist, harmonische Beziehungen zu führen. Auch Breuer hatte vor seinem Verschwinden Probleme mit seinem Partner, weil der Beruf eben immer wieder das Privatleben torpedierte. Im Übrigen würde ich empfehlen, die vorhergehenden Bände zu lesen, um die Entwicklung der Protagonisten, deren Handlungsweisen und Reaktionen besser nachzuvollziehen zu können. Ich glaube, ich hätte Kristinas zwiespältiges Wesen besser verstanden. Dass der Fall letztlich gelöst bzw. Breuer gerade noch rechtzeitig gefunden wird, verdankt Kristina nicht wirklich ihrer besonderen Leistung, sondern eher Kommissar Zufall.

Nichtsdestotrotz war „Ruhe sanft im Fichtelgebirge“ eine fesselnde Lektüre mit einem ungewöhnlichen Plot. Ich bin durchaus neugierig auf weitere Fälle, insbesondere auch, wie sich das Privatleben der Ermittler weiterhin gestalten wird.

Bewertung vom 13.12.2022
Wer hat Heidi getötet?
Voltenauer, Marc

Wer hat Heidi getötet?


ausgezeichnet

Mordfälle erschüttern ein Schweizer Bergdorf

Wer hat Heidi getötet“ von Marc Voltenauer, ist ein faszinierendes Konglomerat Schweizer Beschaulichkeit, tiefgründiger Charaktere und verbrecherischer Machenschaften.

Inhalt laut Klappentext:
Das beschauliche Bergdorf Gryon wird von einer Serie verstörender Ereignisse erschüttert. Ein Auftragskiller, der kurz zuvor einen Mord an einem Politiker begangen hat, zieht in ein Luxus-Chalet in der Nachbarschaft. Die Kuh eines Dorfbauern wird regelrecht hingerichtet. Eine Frau aus der Region verschwindet, kurz darauf wird eine weitere tot aufgefunden. Und mittendrin Kommissar Andreas Auer, der versucht, die Fäden zu entwirren – und dabei riskiert, alles zu verlieren.

Die Originalausgabe erschien bereits 2017 unter dem Titel „Qui a tué Heidi?“, die deutsche Fassung 2022. Die kurz gehaltenen Kapitel sind mit Datumsangaben versehen, jedoch ohne Jahreszahl. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Monate, meines Erachtens im Frühjahr 2013 - jedenfalls fiel der 23. Februar, der Tag, an dem alles begann, in diesem Jahr (wie angegeben) an einen Samstag.

Der Schreibstil ist flüssig, sehr bildhaft. Ohne langatmig zu werden beschreibt der Autor sehr anschaulich und detailliert die verschiedenen Orte der Handlung, ob in der Schweiz oder im Ausland. Insbesondere wird das Schweizer Ambiente gut vermittelt - die Schweizer Landschaft, die Atmosphäre des kleinen Bergdorfes, das bäuerliche Leben und Brauchtum. Dadurch kommt man sehr gut in die Geschichte hinein und kann sich das Umfeld ausgezeichnet vorstellen.

Es handelt sich bereits um den zweiten Band der Reihe, der grundsätzlich, jedenfalls was den Kriminalfall anbelangt, ohne Vorkenntnisse problemlos verständlich ist. Möchte man allerdings, wie ich, die Entwicklung der Protagonisten ganz genau nachvollziehen können, dann sollte man mit Band 1 beginnen. Ich werde ihn nun eben nachlesen.

Der Spannungsbogen steigert sich kontinuierlich, in dem man zunächst die diversen handelnden Personen kennenlernt, sich die verschiedenen Handlungsstränge zunächst immer mehr ineinander verknoten, um sich letztlich in einem dramatischen Showdown wieder schlüssig zu lösen. Die Zusammenhänge der einzelnen Fälle erschließen sich erst so nach und nach, der Kreis der Verdächtigen sowie ihre mysteriösen Handlungsweisen geben reichlich Stoff für eigene Vermutungen. Die Szenen- und Perspektivenwechsel gestalten die Handlung abwechslungs- und temporeich.

Was diesen Krimi auszeichnet, ist die psychologisch ausgefeilte Charakterisierung der agierenden Personen. Insbesondere durch die Szenen aus dem Blickwinkel der Täter und Opfer, natürlich auch aus Sicht des Kommissars, erhält man tiefe Einblicke in deren Gedanken, psychische Probleme, Ängste, Wünsche, Intentionen. Hinter der Fassade der Normalität verbirgt sich vieles, was zutage kommt – vom im Unterbewusstsein begrabenen Trauma, über Schuldgefühle, Ängste bis zu psychopathischen Verhalten. Durchwegs Menschen mit vielen Ecken und Kanten. Was mir generell fehlte, war etwas mehr Leichtigkeit des Seins. Es gab nur wenige Momente des Glücks und der Fröhlichkeit. In diesem Krimi dominiert nicht nur das Verbrechen, sondern sehr viel Tragisches, viel seelisch Belastendes, sogar bei Kommissar Auer.

„Wer hat Heidi getötet?“ war für mich ein Pageturner mit faszinierenden facettenreichen Charakteren, tiefgründig und mitreißend. Sicher lese ich Band 1 noch und natürlich fiebere ich der Fortsetzung entgegen!