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Frankfurt

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Insgesamt 790 Bewertungen
Bewertung vom 21.09.2023
Kontur eines Lebens
Robben, Jaap

Kontur eines Lebens


ausgezeichnet

Tagtäglich passiert man alte Menschen auf der Straße, sie werden mit der Zeit unsichbar und verschwinden in Heimen. Die Geschichten, die sie in sich tragen, die eventuell bis heute schmerzen und nachklingen, nehmen wir nicht wahr. Besonders, wenn man bedenkt wie stark sich die Welt verändert hat seit den 50er und 60er Jahren im letzten Jahrhundert.
Und solch eine Geschichte erzählt uns der niederländische Autor Jaap Robben in seinem Roman „Kontur eines Lebens“. Den Titel finde ich äußerst treffend gewählt. Erzählt er die Geschichte er alten Frieda Tendeloo doch abwechselnd in der Gegenwart und in der Vergangenheit.
Über 80 Jahre ist sie nun alt, ihr Mann verstarb, sie nun im Pflegeheim mit viel Zeit zum Denken, viel Zeit für alte Wunden und Trauma wieder an die Oberfläche zu stoßen. Ihr Sohn Tobias kümmert sich rührend, selbst ein werdender Vater. Er ahnt nicht was in seiner Mutter vorgeht, die zu Beginn der 60er Jahre harte Zeiten erlebte, weil sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte und dann noch ein Kind von ihm erwartete. Unfassbar damals in den Niederlande.
Jaap Robben erzählt nicht nur exemplarisch was Frieda widerfahren ist sondern macht bewusst, dass diese Zeiten so anders waren und dann doch nicht so lange her. Die offene niederländische Gesellschaft war damals noch weit von ihrer liberalen Ader entfernt.
Diese Kombination aus gesellschaftlicher Entwicklung gebettet in einer persönlichen Geschichte macht den Roman sehr lesenswert.

Bewertung vom 21.09.2023
Die Lügnerin
Karig, Friedemann

Die Lügnerin


ausgezeichnet

Manipulierte Welt

Ich fand Friedemann Karigs Roman „Dschungel“ vor einigen Jahren grandios und somit wollte ich natürlich gleich „Die Lügnerin“ lesen!
Die Idee, dass jemand so gut lügen kann, dass alles geglaubt wird, ist für mich eine Faszination. Ich kann einfach nicht lügen, werde knallrot und man sieht es mir einfach an, dass das was ich sage nicht stimmt. Also NULL Pokerface. Daher war diese Geschichte besonders reizvoll.
Es geht um Clara, die in einer Privatklinik behandelt wird und Gespräche mit ihrer Therapeutin führt und ihr deutlich macht, dass alles was sie anderen auftischt uneingeschränkt geglaubt wird. Clara ist faszinierend und bedenklich zugleich, schafft sie sich doch eine parallele Realität, die nichts mit der Wirklichkeit gemein hat.
Ein Konstrukt aus Schein und Sein, aus Lüge und Wahrheit, Täuschung und Enttäuschung, genau wie Manipulation. Friedemann Karig schreibt es unheimlich präzise und gut diese Figur Clara zum Leben zu erwecken. Humorvoll und mit vielen unerwarteten Wendungen punktet dieser Roman.
Fazit: Raffiniert konstruiert, gut geschrieben, eine klare Leseempfehlung meinerseits!

Bewertung vom 17.09.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


sehr gut

Ich gehöre ganz klar zur Kategorie To-Do-Listenerstellerin! Und wer noch? Lars! Der Protagonist des neuen Romans von Nele Pollatschek. Eigentlich will der End-Vierziger einen Roman schreiben, kommt aber nicht so recht voran und schiebt alles auf und macht Listen.
„und ehe man es sich versieht, sieht man, wenn man jetzt tatsächlich hinsähe, dann müsste man das ganze Leben aufräumen, also sieht man besser nicht hin.“
Vor lauter Listen schreiben, hat er dann leider auch die ganzen Dinge nicht erledigt und schwups ist es Ende des Jahres und Silvester da. Ausgerechnet jetzt krempelt er seine Ärmel hoch, denn eine Sache will er gerne wieder in seinem Leben gerade rücken die er verbockt hat und legt los. Wie geht er es an? Klar! Eine Liste!!! Und die arbeitet er akribisch ab. Wird es schaffen bis Mitternacht? Lest selbst!
Der dünne Romane von knapp 200 Seiten ist herrlich leicht geschrieben, liest sich super und macht doch die großen Fragen des Lebens auf. Chaos, Aufschieberitis hin oder her, der Kern des Wesens zählt und hier hat die Autorin mir ein Highlight des Jahres 2023 gewährt mit ihrem feinsinnigen Humor und der zugleich auftreten Schwermut.
Fazit: 100% Empfehlung!

Bewertung vom 17.09.2023
Das Licht zwischen den Schatten
Beck, Michaela

Das Licht zwischen den Schatten


gut

Über 800 Seiten einer deutschen Familiengeschichte gewidmet! Das ist mal ein dickes Brett was es da zu bohren galt und ich nehme es vorweg, es hätten auch gut 300 Seiten weniger sein können. Die verzahnte Geschichte der drei Protagonisten wäre locker mit 500 Seiten auch gut geworden und hätte dann eventuell die vielen Längen zu Beginn nicht gehabt. Eine gute Geschichte, die auch gut geschrieben ist, bloß der Biß fällt leider zu Beginn und der Spannungsbogen baut sich sehr langsam auf und dann rast er steil nach oben.
Die Geschichten, die hier erzählt und zum Ende auch verzahnt werden umspannen drei Perioden der deutschen Geschichte: Wir lernen Konrad kenne. Sein Vater kehrt als Held aus dem 1. Weltkrieg zurück und die Familie steigt wirtschaftlich auf. Er lernt seine zukünftige jüdische Frau Selma kennen und dann kommen die Nazis an die Macht. Dann ist da Brigitte, die am Ende des 2. Weltkrieg sehr jung ist und die Hirnwaschung der Nazis noch verdauen muss und erst peu a peu merkt was das für ein Terrorregime war. Auch wird sie zur Flucht in die BRD von ihren Eltern gezwungen und gelangt zur RAF. Zu guter Letzt ist da noch André, ein Hochleistungssportler des Kunstspringens in der DDR der 80er Jahren, der bei einer Adoptivfamilie wohnt. Er hat seine Eltern bei einem Autounfall verloren.
Alles drei schon alleine spannende Lebensgeschichten und empathisch gut erzählt und zum Schluss folgt natürlich die Zusammenführung der Geschichten! Schreiben kann Michaela Beck unterhaltsam gut, es gelingt ihr sehr die einzelnen Figuren auszugestalten und Beweggründe ihres Handelns und ihrer Gedanken nachzuvollziehen.
Fazit: Gelungen, aber zu lang.

Bewertung vom 17.09.2023
Der Tanz auf dem Vulkan
Vieux-Chauvet, Marie

Der Tanz auf dem Vulkan


ausgezeichnet

Historisch packend hat Marie Vieux-Chauvet bereits 1957 des letzten Jahrhunderts über die Geschichte Haitis geschrieben. Auf Französisch, nun endlich hervorragend übersetzt von Nathalie Lemmens auch für uns zu lesen. Beispielsweise bleiben kreolische Begriffe wie im Original stehen. Der Roman bringt uns das Haiti Ende des 18. Jahrhundert näher, wo es noch die französische Kolonie Saint-Domingue war. Der sprichwörtliche „Tanz auf dem Vulkan“ sind die brodelnden sozialen Unruhen, die dann 1804 in der Revolution mündete und Haiti gegründet wurden.
Die gesellschaftlichen Dynamiken werden von Marie Vieux-Chauvet gekonnt rausgearbeitet. Ist es denn nicht nur der offensichtliche Rassismus Weißen gegenüber den Schwarzen, sondern macht sie deutlich das Klasse und Stand eine Unterdrückung anderer möglich macht und es auch arme Weiße und vereinzelte schwarze Großgrundbesitzer gibt. Sehr differenziert und gut ausgeleuchtet werden diese Zerrungen und demütigenden Unterdrückungen. Das braucht viele einzelne Personen im Roman, über die man einen Überblick behalten muss, aber es gelingt.
Der „Tanz auf dem Vulkan“ handelt hauptsächlich von den Schwestern Minette und Lise, die als Mulattinnen bezeichnet werden, nicht weiß, nicht schwarz. Dieser rassistische Begriff wird hier von der Autorin bewusst eingesetzt um die gesellschaftliche Position in den damaligen Verhältnissen zu verdeutlichen. Die Töchter einer Sklavin schlagen sich durch und singen hervorragend. So gelangt die Ältere, Minette, der beiden am Theater in Port-au-Prince , wo sie sich ihren Platz, ihre Gage und dessen Auszahlung sehr hart erkämpfen muss.
Die im US-Exil schreibende Marie Vieux-Chauvet hat auch mit diesem Roman, genau wie mit „Töchter Haitis“ einen sehr lesenswerten Roman geschrieben. Unbedingt entdecken!!!

Bewertung vom 17.09.2023
Zeit der Schuld
Kapoor , Deepti

Zeit der Schuld


ausgezeichnet

Wie konnte dieses Buch in den Neuerscheinungen untergehen? Was ein tolles Buch, dass in keine Schublade passt, es steht Roman drauf, ist aber auch spannend, denn der Auftakt ist kriminell! Im Mittelpunkt stehen die drei Protagonisten Sunny Wadia, der Leibeigene Ajay und Sunnys Freundin Neda, die sich das barbarische Verhalten ihres Freundes nicht gutheißen kann. Sunny, der unerschöpflich Reiche Erbe eines indischen Imperiums rast in der Nacht mit seinem Mercedes über Menschen, die keine Bleibe haben und unter der Brücke hausen. Viele Tode und wer wird als Schuldiger deklariert? Sein Bediensteter Ajay. Schon hier schlägt die indischstämmige Autorin Deepti Kapoor die erste Brücke zwischen ganz unten und ganz oben. Sie zeigt uns die krasse Verteilung des Geldes über die Schichten und Kasten hinweg. Wie erbarmungslos die Oberschicht das Fußvolk behandelt. Die Autorin zeigt Missstände auf und verarbeitet spannend ihre Erfahrungen als Journalistin. Der Roman mit seinen gut 700 Seiten bezieht sich auf die Zeit von ca 1990 bis 2008.
Das Buch wurde sehr gut aus dem Englischen ins Deutsche übertrage von Astrid Finke. Für Geografie-Liebhaber ist vorne auch eine kleine Karte abgedruckt um die Orte des Romans besser einordnen zu können.
Ich kann es euch nur sehr ans Herz legen, wer sich für Indien und die sozialen Verhältnisse dort interessiert macht mit diesem Roman einen guten Fang!

Bewertung vom 15.08.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


ausgezeichnet

Oberflächlich betrachtet reitet die Protagonistin gerade auf einer Welle des Erfolgs. Leila Amari hat ihren ersten Drehbuchvertrag unterzeichnet. Aber das Schreiben dieses besagten Drehbuchs mag nicht so recht flutschen. Sie ist mehr unterwegs, drückts sich auf Partys herum, ist in Kneipen zu finden, keine Veranstaltung lässt sie aus. Hauptsache besinnungslos betrinken um das eigentliche Leben zu verdrängen. Denn Leila ist Teil einer Bubble in der sie nicht so recht Fuß fassen mag. Selbst ihr Freund, auch vom Erfolg geküsst, ist ihr fern.
Ein Roman, der die Filmindustrie durchleuchtet und die Sehnsucht nach Tiefe deutlich zum Ausdruckt bringt. Auch eine gewisse Ausgrenzung von nicht-konformität wird hier sehr gut gezeichnet.
Mir hat der Schreibstil dieser frischen Stimme von Nora Haddada gut gefallen, ein gutes Debüt. Natürlich ein sehr krasses Bild, dass hier einschneidend gezeichnet wird. Keine sympathischen Figuren, aber mit Tiefe gezeichnet.

Bewertung vom 03.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


gut

Chaos auf der Welt, Depression im Herzen

Wer erinnert sich noch an den Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ vor vielen Jahren? Ja, und gefallen? Ja! So, geht es einigen, wenn sie zu dem neuen Werk des Autors Paolo Giordano greifen. Dies hier ist anders und verwegen düster, daher denke ich, dass das Buch eine gespaltene Leserschaft haben wird. Die einen, die einen „Girodano“ erwarten, was auch immer das sein soll und die anderen die sich in dieses depressiv-werden Szenario eindenken können.
Ich finde den Roman auch sehr sehr flüssig und wohlklingend übersetzt von Barbara Kleiner!
Der Ausgangspunkt ist denkbar simpel, ein Journalist der den Namen des Autors trägt Paolo, wird unwiderruflich klar, dass er eines nie sein wird: Vater. Und mit dieser niederschmetternden endgültigen Wahrheit begibt er sich auf eine Suche, nach anderen Wahrheiten, nach anderen Themen über die wir – die Menschheit – glaubten Kontrolle zu haben, aber es doch nie taten. Er tritt eine Reise nach Tasmanien an, so auch der Titel des Romans. Die melancholische Erzählweise und niederschmetternden Themen, die hier angerissen werden wie die Klimakrise, Terroranschläge oder eine journalistische Arbeit über den Atombombenangriff auf Hiroshima zeigt uns mit wie vielen Dingen wir kämpfen, was es zu verarbeiten gilt und zu reflektieren.
Was ich bemerkte und noch kein Resümee gezogen habe, ob es mich sehr stört: Der Roman hat vor allem männliche Stimmen die zu Wort kommen.
Ein sehr gegenwärtiger Roman, der viel in uns aufwühlen kann, wenn wir ihn lassen!

Bewertung vom 02.08.2023
Rotwild / Berling und Pedersen Bd.2
Grund, Maria

Rotwild / Berling und Pedersen Bd.2


gut

Dorfidyll mit fatalen Ansichten


Mich hat der erste Band der Reihe in den Bann gezogen und ich konnte das „Fuchsmädchen“ nicht weglegen. Mir hat besonders der Schreibstil von Maria Grund gefallen und das tut er auch wieder in „Rotwild“. Landschaften zeichnen sich vor dem inneren Auge und der ermittelte Fall lässt die Seiten nur so fliegen. Aber dieser Krimi ist nicht so gelungen wie Band 1 aus meiner Sicht. Gut, aber nicht so herausragend. Und was hier aus meiner persönlichen Sicht auch zum Tragen kommt, ist die Abfolge der Krimis ist entscheidet um die Ermittlerin zu verstehen.
Wir treffen wieder auf Sanna Berling und ihre Partnerin Eir Pedersen, es ist einiges an Zeit ins Land gegangen seit den Ermittlungen zum Fuchsmädchen und nun trifft Sanna auf einen sterbenden jungen Mann auf einer verlassenen Farm, der mit Wunde bedeckt ist. Sie und ihre ehemalige Kollegin Eir nehmen die Ermittlungen auf.
Die Spannungskurve steigt positiv an und dann flacht sie ab und gibt dem Privatlieben der Ermittlerinnen sehr viel Raum um dann den Fall mit Pauken abzuschließen.
Ich werde trotzdem den dritten Band lesen, da ich noch Hoffnung habe, dass dieser wieder so gut wird wie das Fuchsmädchen!

Bewertung vom 01.08.2023
Das magische Fundbüro
Stein, Maike

Das magische Fundbüro


ausgezeichnet

Spannende Drachensuche – ein Fantasyabenteuer für die Grundschule

Meine Nichte heißt Finja, da muss natürlich jedes Buch her wo eine Finja vorkommt! So auch hier im „Magischen Fundbüro“ von Maike Stein. Die 10jährige Finja ist die Protagonistin in diesem sehr magischen Kinderbuch. Es startet mit Unmut und dem Beginn der Sommerferien und einem Geheimnis, dass alle in ihrer Familie kennen und nur sie wurde zuletzt eingeweiht. Denn die Familie umgibt Magie und sie haben ein Portal in eine andere Welt in dem Antiquariat der Eltern. Finja ist fassungslos und fasziniert zugleich, hier muss man dem Kinderbuch ein großes Lob aussprechen wie Figuren modelliert sind von der Autorin Maike Stein, wie Gefühle und Auseinandersetzungen dargestellt werden. Überhaupt ist es sprachlich eine feine Lektüre. Finja begibt sich nun mit ihrer Freundin Svea und deren Bruder Gil durch das Portal in die Hohe Halle und das Abenteuer nimmt seinen Lauf.
Das Buch ist geeignet in der Grundschule zu entdecken. Da die Schrift sehr klein ist, ist es kein Erstleserbuch, sondern wirklich eine Geschichte bei der man bereits gut lesen können sollte. Aber es gibt ja auch noch das großartige Vorlesen und hierfür eignet sich diese Geschichte auch besonders gut, eine Entdeckung mit jemanden zusammen, vor allem weil es einen familiären Kontext hat eignet es sich als gemeinsame Lektüre mit den Eltern, Großeltern.
Zum Glück wird es eine Fortsetzung geben mit dem fantastisch fliegendem Fundbüro!