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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 09.08.2021
Sag mir, wer ich bin
Ward, Felicity

Sag mir, wer ich bin


weniger gut

Es hätte ein wirklich guter Roman werden können. Felicity Ward nimmt sich eines wichtigen und - leider - allgegenwärtigen Themas an: Wie kann ein Leben gelingen, das durch eine (Beinahe-)Vergewaltigung als Teenager traumatisiert wurde?

Die Geschichte ist spannend aufgebaut und erhält durch überraschende Wendungen viel Nervenkitzel. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Der Roman spielt überwiegend in Montreal, und bereits im Vorwort geht Ward auf die großen Spannungen zwischen englisch- und französischstämmigen Kanadiern ein. Noch in den 1970ern sahen sich viele Anglokanadier als die Elite des Landes und blickten auf die sozial und wirtschaftlich unter ihnen stehenden frankophonen Mitbürger herab.

Leider wird die interessante Darstellung dieser gesellschaftlichen Strukturen und der spannende Plot von einer mir unbegreiflichen Wendung überschattet: (ACHTUNG: SPOILER!)

Protagonistin Sally glaubt Jahrzehnte nach ihrer brutalen Misshandlung ihren Peiniger zu erkennen und entdeckt ausgerechnet mit diesem ihre sexuelle Leidenschaft. Überhaupt ist der Roman eine Ansammlung sehr verquerer Einstellungen zur Sexualität - auch dann, wenn man berücksichtigt, dass er vor rund 50 Jahren spielt. Ein paar Beispiele: Sallys Patenonkel und späterer Ehemann (sic!) denkt sich: "Jemand muss dieses Mädchen vögeln ..., das ist die einzige Lösung, und wenn es ohnehin jemand tun muss, dann kann ich das genauso gut selbst übernehmen." Ja, es mag Männer geben, die so denken, aber in einem reflektierten Roman sollte doch auch dargestellt werden, was dies mit "dem Mädchen" macht. Leider bietet die Autorin hier kaum Einblick in Sallys Gefühlswelt. - Philipp schließlich, der vermeintliche Täter, wirft Sally vor, er habe durch sie Geschmack an Gewalt und Brutalität gefunden. Das muss man sich mal vorstellen: Ein junges Mädchen erfährt unfassbare Gewalt, ist fortan zu keinem befriedigenden Sexualleben fähig, bis sie als Frau eine masochistische Beziehung eingeht, bei der ihr der sadistische Partner die "Schuld" an der Gewaltausübung gibt. Wie bitte ...?!

Ward möchte laut Vorwort ihren Roman als eine Allegorie über die Gefahr verstanden wissen, die Opfermentalität und Wiederholungsangst bergen. Dies ist in meinen Augen leider überhaupt nicht gelungen. Vielmehr schreibt sie den Opfern sexueller Gewalt eine Mitschuld an Wiederholungen zu, sollten sie es nicht schaffen, das erlittene Trauma zu verarbeiten.

Da hilft es auch nicht, dass die falsche Reaktion des Vaters aufgezeigt wird, der extrem wütend reagiert, als Sally als Kind von einem Exhibitionisten belästigt wird. Diese Wut des Vaters löst Schuldgefühle bei Sally aus, die auch bei dem späteren Übergriff wieder hoch kommen.

Unter dem Strich ein mehr als zweifelhafter Roman, ich hoffe nur, dass keine Opfer sexueller Gewalt sich damit auseinander setzen müssen.

Bewertung vom 20.07.2021
Willkommen beim Sommerfest!

Willkommen beim Sommerfest!


ausgezeichnet

Dieser Ratgeber für ein tolles Sommerfest ist ganz nach meinem Geschmack: Die frische, übersichtliche Optik macht sofort Lust, erste Leckereien auszuprobieren. Es finden sich 68 Rezepte, von Snacks, Salaten und Grillgut bis hin zu Desserts und Getränken ist an alles gedacht.

Dabei finden sich Klassiker wie Kartoffelsalat oder Spareribs genauso wenig wie innovative Portobelllopilz-Burger oder Tofu-Mango-Spießchen mit fruchtiger Salsa. Es gibt Fleischgerichte und Vegetarisches, die Auswahl ist wirklich vielfältig. Gemeinsam ist allen Rezepten eine sehr verständliche und übersichtliche Erläuterung. Auf einen Blick sieht man, was man benötigt, wie lange es dauert und für wie viele Personen es reicht. Die Zubereitung ist einfach und schnell, nicht unwichtig, wenn man viele Gerichte für ein buntes Buffet vorbereiten möchte.

Kreative Tipps für Deko und Rezepte für Marinaden und Würzmischungen runden das farbenfrohe Buch ab.

Eine klitzekleine Kritik: Das Paperback bleib nur anhand von Beschwerung der Seiten aufgeschlagen liegen. Dafür bekommt der abgerundete Buchrücken aber wenigstens keine Knicke.

Fazit: Ein außerordentlich gelungener, moderner Ratgeber für Feiern unter freiem Himmel, eine klasse Rezeptsammlung - zur gelungenen Sommerparty fehlt nur noch gutes Wetter!

Bewertung vom 20.07.2021
Elefanten
Mumby, Hannah

Elefanten


gut

Die studierte Verhaltensbiologin Hannah Mumby hat eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere aufzuweisen: Nach Stationen in Cambrigde, Berlin und Colorado lehrt sie derzeit an die Universität in Hongkong, wo sie das Applied Behavioural Ecology and Conservation Laboratory leitet.

Untertitel und Klappentext des Hardcovers versprechen Einblicke in das Leben der Elefanten wie auch den Alltag der Erzählerin bei ihrer Feldforschung. Leider brilliert Mumby als Sachbuchautorin nicht ansatzweise so wie als Biologin. Dem Buch fehlt ein roter Faden, die Story ist so wirr, dass ich bei der Lektüre mehrfach zurückblättern musste, um überhaupt zu wissen, ob die Schilderungen sich gerade auf Erlebnisse in Kenia, Nepal oder Myanmar bezogen. Aber sei es drum, die sprunghafte Schreibe, teils an Tagebucheinträge erinnernd, hätte ich durchaus toleriert.

Mumbys Forschungsansatz hingegen ist in meinen Augen sehr fragwürdig: Sie möchte herausfinden, wie ein Elefant sich fühlt. Für einen Laien, für einen Tierliebhaber und Elefantenfreund ist dieser Wunsch verständlich - für eine Naturwissenschaftlerin finde ich eine derartige Sichtweise naiv und unprofessionell. Wie kann die Biologin Mumby glauben, dass man sich wirklich in einen Vertreter einer anderen Spezies hineinversetzen kann? Wirklich seltsam ist es in meinen Augen, wenn die Autorin erklärt, dass es ihr manchmal so vorkommt, als wäre es schwieriger, sich selbst in einem anderen Menschen wiederzuerkennen, als in einem Elefanten. Sie ist letztlich davon überzeugt, zu wissen, wie sich ein Elefant fühlt!

Außerdem überträgt Mumby immer wieder menschliche Eigenschaften auf Tiere. Dieser Anthropomorphismus ist in der Fabel durchaus charmant, hat für mich jedoch in einem Sachbuch nichts zu suchen. Negativ aufgefallen ist mir auch eine recht unkritische Betrachtung des Einsatzes von Arbeitselefanten in der Holzwirtschaft, die so gar nicht zu Artenschutz und Tierwohl passen will. Möglicherweise ist dies eine typisch britische postkoloniale Haltung.

Gefallen hat mir, dass zwischendurch auch humorvolle bis selbstironische Passagen auftauchen. Und die Beschreibung der Feldforschungsmethoden war sehr interessant, etwa die Versuche, anhand äußerlicher Merkmale wie Brust- oder Fußumfang auf das Gewicht eines Elefanten schließen zu können. Ein weiterer Pluspunkt ist eine umfangreiche Farbfotostrecke.

Unterm Strich konnte mich diese verquere Mischung aus tagebuchartigen Fragmenten und unwissenschaftlicher Liebe zu Elefanten nicht überzeugen.

Bewertung vom 16.07.2021
Mordsmäßig Münchnerisch 3

Mordsmäßig Münchnerisch 3


sehr gut

Zwanzig verschiedene AutorInnen, inklusive Herausgeberin Ingrid Werner, haben für diese Anthologie Kriminalkurzgeschichten verfasst. Alle spielen in der bayerischen Landeshauptstadt, und am Ende der Geschichte steht jeweils ein typisch bajuwarisches Rezept für ein Gericht, das in der Story eine Rolle spielt.

Das war es dann auch schon an Gemeinsamkeiten; die Krimis sind stilistisch wie inhaltlich höchst unterschiedlich. Sie spielen in der Gegenwart oder in der Nachkriegszeit, sind humorvoll oder tiefgründig, könnten genauso passiert sein oder sind mit einer Prise Mystery gewürzt. Auch ausgewiesene Münchenkenner dürften noch einiges Neues entdecken, wie etwa den Lost Place Floriansmühlbad, den früheren Straßenstrich in der Sendlinger Straße oder den alten Rangierbahnhof in Laim.

Besonders gut haben mir die hervorragenden Charakterstudien gefallen, grantelnde Hallodris, die "gschert daherreden" oder betrogene Gschpusis, die genussvoll Rache üben. Viele der Protagonisten scheinen geradezu der großartigen TV-Serie "Münchner Geschichten" aus den 1970ern entsprungen.

Die Rezepte sind leider nicht durchweg gelungen - Anfänger dürften etwa mit dem Nachkochen des Pichelsteiner Eintopfs überfordert sein, da sowohl auf Mengenangaben als auch Zubereitungszeiten verzichtet wird.

Die Optik des Paperbacks lässt hingegen keine Wünsche offen. Wer sich (noch) nicht so gut in München auskennt, kann sich auf den Umschlaginnenseiten grob orientieren. Denn dort ist je ein Stadtplan abgebildet, in dem die Tatort-Stadtteile verzeichnet sind. Besonders gut eignet sich das Taschenbuch als Unterwegslektüre, nicht nur wegen der kurzen Geschichten, die auf unterhaltsame Weise die Wartezeit auf die nächste Tram verkürzen, sondern auch, weil die Ecken des Buchs abgerundet sind und sich somit nicht so leicht abstoßen.

Mir haben - bis auf wenige Ausnahmen - alle Krimis sehr gut gefallen, und ich freue mich schon jetzt auf die nächsten spannenden Stadtteilstorys!

Bewertung vom 30.06.2021
Wiener Blut / Die Totenärztin Bd.1
Anour, René

Wiener Blut / Die Totenärztin Bd.1


sehr gut

Der Roman wird als spannende Mischung aus Medizinhistorie und Krimi angekündigt. In meinen Augen ist es ein ganz guter Krimi, nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Vor allem anfangs und im letzten Drittel sorgen zahlreiche Twists für Überraschungen und Gänsehautmomente. Die Medizinhistorie kommt für meinen Geschmack allerdings ein wenig zu kurz. Was auch nicht wundert, wenn man weiß, dass die Protagonistin zwar ein abgeschlossenes Medizinstudium vorweisen kann, jedoch am Institut für Gerichtsmedizin in Wien lediglich Handlangertätigkeiten für ihre männlichen Kollegen ausüben darf. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts wird immer wieder geschickt in den Plot eingeflochten, hier kann der Roman punkten.

Doch leider verliert er durch wiederholt allzu naives Verhalten der "Totenärztin" an Glaubwürdigkeit. Besser gesagt ist es nicht die Naivität an sich, solche Menschen gibt es durchaus. Was mich stört ist jedoch, dass diese Figur eigentlich permanent Glück hat, egal was sie riskiert, sie kommt immer mit heiler Haut davon. Und auch wenn in der Geschichte ein Polizist auf offener Straße die als Mann verkleidete Ärztin küsst, finde ich das reichlich seltsam. Immerhin spielt der Roman zu einer Zeit, in der Homosexualität in Österreich illegal war und mit schweren Strafen geahndet wurde.

Gefallen hat mir hingegen, wie detailliert Autor René Anour viele Szenen schildert. Ob es die Kleidung der Damen ist, die blühenden Pflanzen im Park oder (Vorsicht: nichts für Zartbesaitete!) auch die Obduktion einer Leiche samt Durchtrennung des Brustbeins: Hier braucht es seitens des Lesers wenig Fantasie, um sich mitten ins Romangeschehen hineinzuversetzen.

Wer sich also an der ein oder anderen kleinen Ungereimtheit nicht stört, bekommt einen soliden Krimi, dessen Ausgang die meisten überraschen dürfte. Die Ausstattung ist für ein Taschenbuch gut: In den Umschlaginnenseiten kann man sich auf einer Karte des historischen Wiens orientieren, im Anhang erläutert Anour was historisch verbürgt und was fiktiv ist. Ein Glossar medzinischer Fachbegriffe und eine Liste mit typisch österreichischen Ausdrücken helfen Lesern ohne entsprechende einschlägige Kenntnisse.

Die Geschichte endet mit einem großen Cliffhanger; schließlich ist "Wiener Blut" der erste Fall der Totenärztin, und die Leserschaft soll schon für den Folgeband angetriggert werden. Dies hat bei mir leider nicht ganz funktioniert, aber das ist vor allem Geschmackssache, der Roman dürfte seine Leser*innen finden.

Bewertung vom 30.06.2021
Die Sprache des Lichts
Kramer, Katharina

Die Sprache des Lichts


ausgezeichnet

Ich ziehe meinen Hut vor Katharina Kramer: Zwar bin ich davon ausgegangen, dass sie es als Journalistin und Übersetzerin versteht, mit Sprache umzugehen. Aber was sie mit ihrem Debütroman geschaffen hat, ist einfach umwerfend! Ihr ist ein großartiges Werk gelungen, eine Geschichte, die mich bezaubert hat, die aus der Flut der deutschsprachigen Historienromane heraussticht und die ihresgleichen sucht.

Der Roman versammelt eine Fülle von Themen: die Politik und Geografie Europas im ausgehenden 16. Jahrhundert, insbesondere unter dem Aspekt der Religionskriege, die Macht der Kirchen und religiöser Eiferer, die Abhängigkeit der Wissenschaften von der Förderung durch die jeweiligen Landesregenten, die Stellung der Frau und vieles mehr. Doch Kramer verzettelt sich nicht, denn wie ein roter Faden zieht sich das Leitmotiv durch die knapp 500 Seiten des Romans: die Bedeutung der Sprache für den Menschen.

Protagonist Jacob, ein armer Lateinlehrer auf der Flucht, begibt sich auf eine höchst abenteuerliche Reise durch halb Europa. Auf der Suche nach der göttlichen Sprache der Schöpfung wird er vom Jäger zum Gejagten. Jacob selbst ist nicht nur extrem sprachtalentiert und daher polyglott, sondern auch Synästhet: Jede Sprache, selbst jeder Dialekt erscheint ihm als bewegtes Muster voller farbiger geometrischer Formen vor seinem inneren Auge; er kann Sprachen folglich nicht nur hören, sondern auch sehen.

Die Geschichte hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, mehr als so mancher Thriller. Ich habe mit den Figuren gebangt und gelitten, mich mit ihnen amüsiert und gefreut. Die Autorin hat Personen erschaffen, die mir nach wenigen Kapiteln vertraut wirkten. Man ist als Leser*in mittendrin - egal wie räumlich oder zeitlich weit entfernt die Szenen spielen. Besonders beeindruckt hat mich , wie Kramer die Erfindung und Entwicklung einer ersten Gebärdensprache schildert. Ich denke, genau so könnte es gewesen sein.

Im Anhang finden sich ausführliche Anmerkungen zum historischen und faktischen Hintergrund des Romans sowie eine exzellente Auswahlbibliografie. Wer ein Faible für Sprachen hat, findet hier ein Fülle von interessanten Verweisen, ob zu Pfeifsprachen, der Evidentialität des Bulgarischen oder zu Geheimcodes.

Fazit: Ein Muss für Sprachnerds, für alle anderen Liebhaber von guten Historienromanen eine absolute Empfehlung von mir! Ich hoffe sehr, dass ich bald mehr aus der Feder von Katharina Kramer genießen darf.

Bewertung vom 06.06.2021
Kretisches Schweigen / Michalis Charisteas Bd.3
Milonás, Nikos

Kretisches Schweigen / Michalis Charisteas Bd.3


sehr gut

Laut Klappentext hat sich Autor Frank D. Miller, der hier unter seinem Pseudonym Nikos Milonás veröffentlicht, bereits als Jugendlicher in Kreta verliebt. Von dieser Liebe zur größten unter den griechischen Inseln war für mich bei der Lektüre dieses Krimis wenig zu spüren, von detailreichen Beschreibungen der atemberaubenden kretischen Landschaften abgesehen. Im Gegenteil, das Bild, das Milonás von den eigenwilligen Inselbewohnern zeichnet, lässt sie nicht besonders vorteilhaft aussehen: Familienfehden erstrecken sich über Generationen, die Dorfgemeinschaften sind extrem verschlossen und misstrauisch gegenüber allen Fremden (inklusive der Polizei) und gewohnt, Konflikte untereinander zu regeln, gerne auch unter Zuhilfenahme von Schusswaffen.

Dies macht die Kreter nicht unbedingt sympathisch, aber interessant ist es allemal. Ebenso wie die Legende der Drousoulites, die eine zentrale Rolle im Roman spielt, und über die man etwas aus der bewegten Historie Kretas erfährt.

Die Geschichte hat leider im ersten Drittel einige Längen; vielleicht hätte ich dies anders empfunden, wenn ich die beiden Vorgängerbände gelesen hätte. Aber auch so hat mich der Roman schließlich gepackt. Manche Figuren wirken etwas überzeichnet, aber alles in allem ist es ein solider Krimi, der nicht zuletzt durch die uneingeschränkt logische Auflösung überzeugt. Der Autor verwendet häufig geiechische Ausdrücke, die jedoch umgehend erläutert werden. So entsteht ein hübscher Lokalkolorit.

Die Ausstattung kann sich - noch dazu für ein Softcover - sehen lassen: stabile Klappenbroschur, eine Karte mit den Orten, die in der Geschichte eine Rolle spielen, und ein umfangreiches Personenregister, das mir geholfen hat, bei den vielen ähnlich klingenden griechischen Familiennamen den Überblick zu behalten.

Bewertung vom 01.06.2021
Taiwan - Eine politische Satire
Pei, Lao

Taiwan - Eine politische Satire


sehr gut

Selbst für eingefleischte Comic-Liebhaber dürfte diese deutsch-chinesische Sammlung ausgewählter Bildgeschichten des taiwanesischen Bloggers Lao Pei abseits des Mainstreams liegen. Wobei Lao Pei ein Pseudonym ist, seine wahre Identität hält der Regimekritiker geheim.

Die 51 Cartoons erlauben einen Blick über den europäischen Tellerrand. Die Stips thematisieren zum großen Teil die Politik der Republic of China / R.O.C. (so die offizielle Bezeichnung Taiwans), die angespannte Beziehung zur Volksrepublik China sowie verschiedene Territorialkonflikte Südostasiens.

Der Zeichenstil ist einfach und plakativ, die Nationalstaaten und die beiden großen, konkurrierenden Parteien Taiwans sind durch witzige, charakteristische Figuren dargestellt, deren Entwicklung der Autor im Anhang kurz erläutert.

Übersetzer Marc Herman hat für den deutschsprachigen Leser erfreulicherweise einige hilfreiche Anmerkungen zu Politik, Geschichte und Kultur Taiwans eingefügt. Für mich waren diese leider zu wenig bzw. zu knapp, einige Comics habe ich leider erst nach eigener Recherche oder auch gar nicht verstanden.

Ein Pluspunkt für alle, die auf unterhaltsame Weise ihr Chinesisch verbessern wollen, ist eine umfangreiche online Vokabelliste, auf die im Buch verlinkt wird.

Ich habe durch kurzweilige Lektüre sehr viel über Taiwan gelernt, auch wenn die ein oder andere Geschichte unverständlich war. Ein wenig überrascht hat mich, wie "Festland-China-freundlich" der Autor ist. In Zusammenhang mit seiner geheimen Identität bleibt für mich ein leicht seltsamer Nachgeschmack ...

Bewertung vom 31.05.2021
Brot backen mit den Jahreszeiten
Loidl, Matthias

Brot backen mit den Jahreszeiten


sehr gut

Das Deutsche Brotregister verzeichnet aktuell über 3.200 unterschiedliche Brotspezialiäten. Braucht es also wirklich ein weiteres Brotbackbuch im Land der Brotweltmeister?

Nun, Matthias Loidl hätte den bekannten Brotsorten vermutlich noch einige hinzuzufügen, in jedem Fall bietet er besondere Spezialiäten zum nachbacken an. Sein Brotbackbuch enthält mehr als 80 Rezepte, die nach den Jahreszeiten gegliedert sind. Denn für die Backwaren benötigt man außer den Grundzutaten auch noch frisches Gemüse, Obst oder Kräuter, die man selbst anbauen oder in der Natur sammeln kann.

Optisch ist das Buch definitiv ein Hochgenuss. Die ganzseitigen Farbfotos, die jedes Rezept illustrieren, sind modern und ästhetisch, und man möchte beim Betrachten am liebsten sofort mit dem Backen loslegen. Weitere Pluspunkte sind die kurzen Hintergrundinfos, die jedem Rezept vorangestellt sind, sowie auf einen Blick erkennbare Variationen, Tipps und Hinweise.

Doch wenn ein Backbuch nicht als reines Coffee Table Book gekauft wird, kommt es natürlich nicht nur auf die Optik, sondern vor allem auf das Gelingen der Rezepte an. Nachdem ich mehrere Brote selbst gebacken habe, kann ich feststellen, dass dies definitiv kein Buch für Anfänger ist. Zum einen erläutert Loidl einige Fachbegriffe nicht oder nur sehr spärlich. Wie schwadet man einen Backofen ohne Dampffunktion? Wie stellt man selbst Sauerteig her? Die Antworten auf diese und weitere Fragen muss man leider selbst recherchieren.

Die Rezepte selbst sind auf den ersten Blick sehr klar und übersichtlich gegliedert, Zubereitungs-, Arbeits-, Gar- und Backzeiten sind extra ausgewiesen. Da sich die meisten Zubereitungen aber über zwei, machen sogar über drei Tage erstrecken, muss man sich jedoch selbst einen genauen Zeitplan machen, um nicht mitten in der Nacht oder werktags im Büro einen Arbeitsschritt zu verpassen.

Auch hätte ich mir genauere Angaben zu den erforderlichen Gerätschaften gewünscht. Offenbar geht der Autor davon aus, dass jeder Hobbybäcker eine Teigknetmaschine hat oder zumindest eine hochwertige Küchenmaschine. Mangels beidem kam mein Handrührgerät schnell an seine Leistungsgrenze und ich beim Kneten der schweren, zähen Teige mit der Hand gehörig ins Schwitzen.

Matthias Loidl ist eigentlich Antiquar, als Bäcker also Quereinsteiger. Durch seine jahrelange Brotbackleidenschaft hat er es jedoch als einer von wenigen Autodidakten zum Bäckermeister geschafft. Diese Leidenschaft äußert sich auch in den wirklich kreativen Brotkreationen. Hier finden sich sehr originelle, eigenständige Rezepte, die ich in dieser Form noch nicht kannte: Rhabarberbrötchen, Holunder- oder Lindenblütenbrot, Maiwipferl- oder Topinamburbrot. Die Rubrik "Fingerfood" bietet kulinarische Leckereien für Buffet oder Grillparty, z.B. gefüllte Kartoffelbrotrollen, Spargelknusperstangen oder Dachziegelbrot. Sehr schön sind auch Brote, die außergewöhnlich verziert werden, durch Blüten oder feine Reliefs, und die sich dadurch besonders als Geschenk eignen.

Loidl beschreibt auch, wie man die (teils ungewöhnlichen) Zutaten selbst herstellen kann. Ob dies jedoch den manchmal immensen Aufwand rechtfertigt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Interessant ist es allemal, wie man selbst Birkensaft abzapft, Löwenzahnsud herstellt oder wie aus grünen Walnüssen nach sechs Monaten Reifung "schwarze Nüsse" werden.

Fazit: Ein Potpourri kreativer Backrezepte, die mit saisonalen und (weitgehend) regionalen Zutaten hergestellt werden können. Meine Empfehlung für Brotliebhaber und erfahrene Hobbybäcker, die auch einen größeren Aufwand nicht scheuen.

Bewertung vom 19.05.2021
Die Farbe des Vergessens
Resch, Ina

Die Farbe des Vergessens


ausgezeichnet

Bereits die erste Szene macht es deutlich: Dieser Thriller ist definitiv nichts für Zartbesaitete. Schonungslos detailliert schildert Autorin Ina Resch die medizinische Sektion einer Leiche. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, den erwartet ein großartiger Thriller, bei dem der Spannungsbogen bis zum Ende extrem hoch bleibt. Auf blutrünstige Schilderungen wird dabei - vom Anfang abgesehen - verzichtet. Der Suspense entsteht vielmehr dadurch, dass der Leser lange Zeit nicht weiß, was an den fragmentarischen Erinnerungen der Protagonistin real und was eingebildet ist. Zahlreiche überraschende Wendungen im Fortgang der Handlung tun ihr Übriges - ich konnte den Roman im wahrsten Sinn des Wortes kaum zur Seite legen.

Hervorragend gelungen sind auch sämtliche Figuren. Egal ob sie eine tragende Rolle in der Geschichte spielen oder nur in wenigen Szenen vorkommen, alle sind so geschickt geschildert, dass sie glaubhaft agieren. Auch beim Setting stimmt einfach alles, ob Münchner Straßenzüge und markante Gebäude oder die lokale Drogenszene, hier wurde bestens recherchiert, und ich mag den Lokalkolorit, der durch solche Details entsteht. Apropos "Lokalkolorit": Dieser ist keineswegs auf Münchnerisches beschränkt, denn die Autorin lässt eine Nebenfigur authentisch berlinern, und auch in die Kultur einer türkischen Einwandererfamilie gewährt die Geschichte Einblick.

Ina Resch ist ein Roman über menschliche Abgründe gelungen, über Schicksale, an denen viele zerbrechen. Aber eben nicht alle, und so ist es auch eine Geschichte, die hoffen lässt. Schwere Kost, die lange nachhallt, eine wirklich empfehlenswerte Lektüre.