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Juti
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Insgesamt 744 Bewertungen
Bewertung vom 06.02.2023
Zur See
Hansen, Dörte

Zur See


ausgezeichnet

Nordseebuch

Wir lesen die Geschichte einer Seemannsfamilie über ein Jahr auf einer Nordseefamilie. Es fängt an mit einem Sohn der Familie, der alkoholabhängig auf der Fähre das Halteseil im Hafen auswirft. Die Mutter, die früher auf den zur See fahrenden Mann hätte warten müssen, unterhält unterdessen die Gäste. Mehr als ein Jahr wird beschrieben durch Rückblenden, denn wir erfahren, dass die Frau keine Gäste mehr im Haus aufnimmt, weil die Ansprüche der Touristen wuchs und sie nicht mehr mit dem einen selbstgekochten Gericht zufrieden waren.

Wir hören vom zweiten Sohn, einem Vogelfreund, der die Fremden verjagen muss und deswegen kein Menschenfreund sein kann und von der Tochter, die auf dem Festland eine Ausbildung in der Pflege gemacht und nun auf die Insel zurückgekehrt ist.

Auch den Inselpfarrer lernen wir kennen, der den Sommer nur dank eines festen Tagesrhythmus überlebt und erst im Winter zur Ruhe kommt, wenn die Gäste die Insel verlassen haben. Wir erfahren aber auch, dass es um seine Ehe nicht gut steht. Seine Frau geht in der Woche aufs Festland und kehrt nur am Wochenende zum Pfarrer zurück.


Mir gefällt an diesem Buch, dass ich mir alle Personen wirklich vorstellen kann und ja, so ist das Leben auf einer Nordseeinsel. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.01.2023
Leeres Spanien
Del Molino, Sergio

Leeres Spanien


sehr gut

Landflucht literarisch behandelt

Zunächst einmal war mir nicht bekannt, dass das Landesinnere der Iberischen Halbinsel so dünn besiedelt ist. Dass auch noch Diktator Franco daran mitgewirkt hat, obwohl er selbst von seiner ländlichen Herkunft sprach, passt ins Bild.

Zwischen 1950 und 1970 zogen großen Teile der Landbevölkerung nach Madrid, Barcelona und in die Provinzhauptstädte. Die Küstenorte waren von dieser Entwicklung nicht betroffen.
Doch was wie geografisches Buch anmutet, wird mit Texten aus dem leeren Spanien beschrieben, eine Definition folgt erst auf Seite 41.

So ist der Autor in Almazan geboren, beschreibt den Monte Universalis, der an der Grenze dreier Regionen befindet, empfiehlt den Roman „Der gelbe Regen“ von Julio Llamazares, gedenkt der Morde im Pyrinäenort Fargo bei Anso, die aus Langeweile geschahen, erwähnt, dass in der Las Hurdes in den Orten Caminorisco, Martalandran, Aceitunilla, La Fragosa und Azengur die Bewohner lange als Wilde galten. Dann empfiehlt er den 2.134 m hohen Berg Monyaco als Beispiel des leeren Spaniens für romantische Wanderungen, den Ort Puebla de Sanabria mit Blick über die Meseta, und das Dorf Pomer.
Abschließen möchte ich mit dem Zitat von 280, dass „das Letzte, was ein spanischer Schriftsteller sein möchte, ist ein spanischer Schriftsteller.“


Auch wenn mir Don Quichote immer wieder gefällt, so hätte ich mir thematisch ein eher geografischeres Buch gewünscht. Daher 4 Sterne.

Bewertung vom 16.01.2023
Nachmittage
Schirach, Ferdinand von

Nachmittage


ausgezeichnet

überraschende Wendungen

26 Kurzgeschichten, ja mitunter nur kleine Anekdoten, die bei mir für gute Stimmung gesorgt haben. Eigentlich wäre dies inhaltlich nicht gerechtfertigt. Denn kurz vor Ende der längeren Geschichten kommt immer noch eine Wendung, die die Leserin nicht erwartet hätte.

So will ich von Geschichte fünf erzählen, wo der Ich-Erzähler den Uhrenfabrikant Peter Traub aus dem schwäbischen Tautzingen (wenn es diesen Ort nicht gäbe, so könnte ich mir doch gut vorstellen, wie er am Albtrauf liegt und man weit in die Ferne schauen kann) zufällig in Marrakesch trifft. Nach Jahren der Krise blühte sein geerbtes Familienunternehmen wieder richtig auf. Traub selbst vergnügte sich aber lieber in der Berliner Schwulenszene, bis ihn der Inhaber seiner Lieblingsdiskothek daheim besuchte, um ihn zu erpressen. Und das überraschende Ende verrate ich natürlich nicht.

Andere Geschichten sind deutlich kürzer, etwa wird auf S.88 nur kurz behandelt, wie Thomas Mann mit Kritik umging.


Nicht alle dieser Anekdoten bleiben in Erinnerung. Dies ist aber nicht schlimm, weil kaum Lesezeit verbraten wurde. Deswegen gibt es für mich für die eindrucksvollen Teile volle 5 Sterne. Das daraus nichts folgt, ist für mich belanglos, der Autor will uns unterhalten und das ist gelungen.

Bewertung vom 14.01.2023
Revolusi
Reybrouck, David van

Revolusi


sehr gut

Wie Indonesien ein souveräner Stadt wurde

Meine Bewertung dieses dicken Schinkens ist problematisch. Einerseits lobe ich die Ausführlichkeit des von allen Seiten beleuchteten Weg von niederländisch Indien, von der Gewürzkolonie über die nur 34 Jahre andauernde holländische Besatzung, die dreijährige japanische Zeit bis hin zur wechselvollen Nachkriegszeit bis zur Unabhängigkeit 1950.

Andererseits war es mir – wie dem Zeitjournalisten – zu ausführlich. Wie seine Interviewpartner heute leben, wie genau die Menschen früher gefoltert wurden – einer wurde kopfüber an ein Seil gehängt und dann immer auf den Boden geschlagen, bis er Tod war – und letztlich bei den Interviews auch zu viel wörtliche Rede, das hätte ich besser im Anhang als ausführliches Interview aufgehoben gefunden.

Der Autor befasst sich nicht nur mit Indonesien, er erwähnt auch den bedeutensten niederländischsprachigen Roman des 19. Jahrhunderts: Multatulis Max Havelaar (68). Er verdeutlicht auch die japanische Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg, er lehrt uns, dass Indonesien die fünftmeisten Todesopfer hatte, nach der Sowjetunion, China, Deutschland und Polen, noch vor Japan. Dabei war der Anteil an Zivilisten mit 99,7 % deutlich höher als in anderen Ländern, selbst Polen hatten trotz Holocaust 96% (354).

Ein weiterer neuer Aspekt für mich war, dass in der britischen Armee Gurkhas aus Nepal kämpften und wohl immer noch kämpfen, die nur ihre Aufgabe erfüllen sollten und nicht über das volle Geschehen informiert wurden, ja nicht einmal Englisch sprechen konnten (406).
Die Kritik zum letzten Kapitel kann man schon in der FAZ lesen.


Für die, die sich besonders für Indonesien interessieren, ist dieses Buch ein Meisterwerk. Mir und der normalen Leserin ist es zu ausführlich und daher so anstrengend, dass ich gegen Ende großflächig lesen musste. Letzteres rechtfertigt allenfalls drei Sterne, ich erkennen aber die Mühe des Verfassers an und gebe 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.01.2023
Thronverzicht (eBook, ePUB)

Thronverzicht (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

passendes Sachbuch zum Titel

Selten ist der Titel so gelungen wie bei diesem Meisterwerk. Neben rechtlichen Fragen im ersten Teil und den Folgen für die Öffentlichkeit als kurzem Schlussteil behandelt.

Mich interessierte aber vor allem die Beispiele im zweiten Abschnitt und hier besonders der Markgraf von Baden. Der Verfasser Michael Roth ließ dort keine Frage offen.

Im Vertrauen darauf, dass auch die anderen Autoren ihr Handwerk verstehen, will ich das schöne Buch heute mit 5 Sternen ehren.

Bewertung vom 06.01.2023
Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson
Diop, David

Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson


gut

starke N-Wort Liebe

Braucht es die Rahmengeschichte wirklich? Dass die Tochter Aglaia von Michel Adanson in seinem Nachlass Hefte ihres Vaters über seine Senegalreise findet. Braucht es den Opernbesuch der Eltern von Aglaia? Braucht es das Ende, dass Aglaia zu einer Afrikanerin geht, die der Vater auf einem Bild gesehen hat und der er seinen Schmuck schenken will? Das letzte Kapitel wird demzufolge aus der Sicht von Madleine geschildert.

Nein, das alles braucht es nicht, aber das alles ist nicht so langweilig wie der Anfang des Buches. Wer eine wirklich starke Novelle lesen will, beginnt er auf Seite 112. Dann hört er die Geschichte wie der Wissenschaftler Adanson im Urwald im Senegal krank wurde und von der einheimischen Mara gesund gepflegt wurde. Mara erzählt ihm ihre Lebensgeschichte mit einer versuchten Vergewaltigung ihres Onkels und ihrer Flucht als Sklavin eines Franzosen, die Adason nicht kalt lässt.


Weil ich keinen Ratgeber hatte, der mich vor den Anfang warnte, habe ich das ganze Buch gelesen und mehr als 3 Sterne sind nicht drin. Wer das N-Wort nicht mag, sollte ganz die Finger weglassen. Der Übersetzer erklärt es zwar, aber es könnte heutigen Zeitgenossinnen doch stören.

Bewertung vom 31.12.2022
Trottel
Faktor, Jan

Trottel


weniger gut

die Niete des Buchpreises

Eigentlich fürchtete ich, dass De l'Horizon die Niete sei. Aber dieses Buch, auch eine Familiengeschichte ist schlechter. Es will eine Satire sein, ist aber nicht lustig. Die Fußnoten sind völlig überflüssig und wurde von mir nicht mehr gelesen. Zusätzlich gibt es noch Kommentare, die in Großbuchstaben und eckigen Klammern stehen, die man sich ebenfalls schenken kann.

Was als Substrat übrig bleibt ist die Erzählung eines Tschechen, der der Liebe wegen nach Ost-Berlin kam und dessen Sohn Selbstmord beging. Doch weder die Medikamentenaufzählung noch die Stadtbeschreibung vom alten Prag und vom alten Ost-Berlin noch die Ramsteinsongs konnten mich vom Hocker reißen.

Dennoch zeigt der Autor an winzigen Stellen: „Neulich las ich wieder mal diesen unfassbar widerlichen Satz wäre – auch mechanisch – bis zur Unkenntlichkeit heruntergenudelt und infolgedessen abgeschafft worden. […] Wenn schon, dann würde ich mich lieber ordentlich geschmacklos ausdrücken: „Er drangsalierte sie einvernehmlich moderat bis moderierend.“ Oder zartfühlig über „Liebende, sich ineinander verschiebende Menschen“ sprechen. (173)

Noch schöner ist die Frage: „Was hat man von einer schönen Stadt, wenn man sich dort beschissen fühlt?“ (193) Auch seine Sozialismuskritik kann schön sein: „man hätte in der Auslaufzeit aber wenigstens nur mäßig intensiv arbeiten müssen und hätten sich dafür viel Zeit für erotische Aktivitäten nehmen können“ (225).

Die guten Zitate retten dem Buch den zweiten Stern.

Bewertung vom 23.12.2022
Nebenan
Bilkau, Kristine

Nebenan


gut

Skizzen eines Dorfes

Ein Dorf getrennt durch den Nord-Ostseekanal. Ist das schon eine Geschichte? Es ist der Einstieg zu einem Buch, das genau solche Themen mit Hilfe zweier Frauen als Hauptfiguren anreißt.

Die eine heißt Astrid, lebt schon lange im Dorf und kennt als Ärztin fast alle Pappenheimer ihres Dorfes. Sie hat eine leicht demente Tante Elsa und wird von einem unzufriedenen Patienten oder Patientin mit Drohbriefen gepiesackt. In ihrem Beruf wurde sie zu einem Todesfall in der Badewanne gerufen, bei dem sie ein Gewaltverbrechen nicht ausschließen konnte.

Die andere heißt Julia, ist gerade mit Freund Chris aufs Land gezogen, hat einen Keramikladen, der aber nur durch den Onlineverkauf überlebt und wünscht sich vor allem ein Kind.

Beide Figuren treffen sich, weil sie beide bemerken, dass ein Haus im Dorf von einer Familie – aus welchen Gründen auch immer – plötzlich verlassen wurde. Außerdem spielen auch Kind sein und das Verhältnis zu den eigenen Kindern und in der Verwandtschaft eine Rolle.


Mich stört nicht, dass viele Themen nur skizziert werden. Dafür werden auch aktuelle Themen wie Klimawandel und Leerstand im Dorf behandelt. Mich stört, dass die Figuren in dem halben Jahr keine Entwicklung durchlaufen und so auch keine Spannung entsteht. Deswegen „nur“ 3 Sterne für ein Buch, das so gut angefangen hat.

Bewertung vom 18.12.2022
Susanna
Capus, Alex

Susanna


sehr gut

Historische Biografie

Die große Stärke von Capus ist, dass er große Erfindungen aus der Sicht der kleinen Leute darstellen kann. Die Eröffnung der Brooklyn-Bridge und die ersten Glühbirne gehören dazu, genauso wie die Ausbreitung der Elektrizität von den wichtigen Häusern zu den Normalbürgern.

Weiter hat mir sehr gefallen, dass er das Erbe von Susannas Mutter als „Rettungsseil“ bezeichnet hat und dass er das Verharren im Arbeitsleben in einer mittleren Stadt „Treibsand“ nennt.

Auch wenn dieser Treibsand erst gegen Ende des Buches auftaucht, so wird er schon bei Susannas Vaters ein Thema, der als Kaufmann seine Heimatstadt Basel nicht mehr verlassen will, während sein Freund Valentiny seinen Arztberuf in Dortmund aufgibt und nach New York auswandert, auch weil er als Anhänger der Revolution zu den politisch Verfolgten gehört. Susannas Mutter wird ihm mit der Tochter einige Jahre später folgen.

Gerade der erste Teil hat Längen. Zwei Kapitel widmen sich nämlich der Kutschfahrten, die die kleine Susanna mit Alex macht, dem wilden Mann der Fasnacht, dem sie als Kind ein Auge ausgestochen hat. Mir erschließt sich der Sinn dieser Kapitel nicht.

Im zweiten Teil – der nicht markiert wird, aber ab Seite 117 spielt die Handlung in Amerika, die Reise wird nur im Rückblick erzählt – wird das Personal auf das Notwendigste reduziert. Nur das Theaterstück über die Indianer gerät zu lang.


Sprachlich wäre wohl noch mehr möglich gewesen, wenn Capus in Amerika Susanna aus der Ich-Perspektive hätte erzählen lassen. So hat der Roman selbst in den Gefühlen einen zu dokumentarischen Charakter. Dennoch ein spannendes Thema, ich werde mehr vom Autor lesen. 4 Sterne.

Bewertung vom 11.12.2022
Kummer aller Art
Leky, Mariana

Kummer aller Art


ausgezeichnet

Unterhaltsame „Psychologie Heute“-Kolumnen

Lang ist es her, dass ich Lekys Roman gelesen habe. So war die Freude über ihr neues Buch groß. Auch wenn es „nur“ Kolumnen sind, so möge man sagen, wundere ich mich schon welche Mühe sich die Psychologin für ihr Fach macht.

Wie bei Kolumnen wohl üblich habe die Kapitel immer die gleiche Länge, 4 Seiten. Da war ich schon überrascht, dass kurz vor Schluss zwei Texte Überlänge haben und kurz die fünfte Seite anfangen. Ob die Autorin fürs Buch nachträglich etwas ergänzt hat?

Wächst einen nicht Nachbarin Frau Wiese ans Herz, als sie über ihren neuen, lauten Nachbarn lästert, ihm das aber nicht ins Gesicht sagen will? Und muss das Buch nicht enden, als Frau Wiese wegzieht? (War das ein Spoiler?)
Und auch der Vater, der als Psychiater mal einen Patienten vergessen hat, kommt immer wieder sympathisch rüber.


Ein ideales Buch für die Adventszeit mit kleinen, unabhängigen Geschichten, die das Herz erwärmen. 4 Sterne von mir, weil 5 Sterne der großen Literatur vorbehalten sind. Na gut, wenn ich nach jeder Geschichte hätte schmunzeln können, hätte es auch 5 Sterne gegeben, aber manchmal war der Mehrwert der Anekdote doch begrenzt.

Habe es mir doch anders überlegt. Ich schenke noch einen Stern, weil 1. bald Weihnachten ist und 2. die Leserin dieses Buches ohnehin keine große Literatur erwartet.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.