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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 763 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2018
Die Geschichte von Adam und Eva
Greenblatt, Stephen

Die Geschichte von Adam und Eva


ausgezeichnet

Stephan Greenblatt, Professor für Englische und Amerikanische Literatur und Sprache an der Harvard Universität, widmet sich in diesem Buch dem mächtigsten Mythos der Menschheit, der Geschichte von Adam und Eva. Es ist eine historische Betrachtung über Versuche der Interpretation in unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Der Rahmen wurde von der Kirche vorgegeben. Wer es riskierte, abweichende Interpretationen zu veröffentlichten, musste sich mit der Inquisition auseinandersetzen und um sein Leben bangen.

Der Autor unternimmt einen Ausflug in die Antike, berichtet über Volksstämme im Nahen Osten, über archäologische Funde, über frühe Städte und Herrscher sowie über Quellen der heiligen Bücher. Im Fokus stehen nicht nur die Genesiserzählungen, sondern auch Ausführungen zum Gilgamesch-Epos und zum späteren Thomas-Evangelium. Vieles bleibt im Dunkeln, weil Aufzeichnungen fehlen, Quellen vernichtet wurden und seitens der Kirche wenig Interesse an einer unabhängigen wissenschaftlichen Aufarbeitung der Historie bestand.

Dass Greenblatt sich mit Literatur und Geschichte auskennt, wird deutlich bei der Darstellung der Biografien und einzelner Werke von Adamantius Origenes (dem Unbeugsamen), Augustinus von Hippo, John Milton, Isaac La Peyrère, Pierre Bayle und Voltaire, um Beispiele zu benennen. Greenblatt stellt kritische Meinungen vor, die an der von der Kirche vertretenen dogmatischen Lehre rütteln. Der Mythos von Adam und Eva hat über Jahrhunderte die gesellschaftliche Rolle der Frau beeinflusst. Letztlich hat sich die Evolutionstheorie durchgesetzt.

Der Mythos lebt, nicht als archaischer Bericht über eine reale Begebenheit, sondern als Mythos über den Ursprung des Menschseins mit seinen die Tierwelt transzendierenden Möglichkeiten, über Unschuld, Versuchung, Moral und Tod reflektieren und bewusst Entscheidungen treffen zu können. Die Vision vom Garten Eden lebt im Menschen fort, nicht nur als Ursprung, sondern als ein Ziel, dem sich die Menschheit durch bewusste (humane) Entscheidungen nähern kann, ohne es jemals zu erreichen.

Bewertung vom 21.10.2018
Machtbeben
Müller, Dirk

Machtbeben


ausgezeichnet

Dirk Müller spricht wirtschaftliche Themen an und beleuchtet weltpolitische Zusammenhänge, die in unseren Leitmedien nicht zu finden sind. Seine Ausführungen sind verständlich und durch zahlreiche Quellen belegt. Sein Weltbild setzt sich aus vielen Puzzleteilen zusammen, die ein plausibles Gesamtbild ergeben. An diesem Gesamtbild lässt er die Leser teilhaben. Dabei erhebt er nicht den Anspruch, dass seine Sicht der Dinge hundertprozentig korrekt ist, sondern er ist offen für Fakten und Argumente, die seine Sicht korrigieren. Nur so funktioniere Erkenntnisgewinnung.

Die Leser lernen, warum die USA nicht pleitegehen können (29) und dass diejenigen [Politiker], die gewählt wurden, nichts zu entscheiden haben im Staat (52). Lobbyarbeit ist legal, aber sehr einflussreich. Die Verstrickungen zwischen Politik, Kapital und Wirtschaft sind gewaltig. Da die Medien Werbeeinnahmen benötigen, entwickeln sie sich zunehmend zum Sprachrohr der Wirtschaft, statt investigativen Journalismus zu betreiben. Die Leser werden mit unwichtigen Meldungen gefüttert. Zum Einfluss von Eliten aus Politik und Wirtschaft auf Leitmedien gibt es eine aussagekräftige Dissertation von Uwe Krüger [1].

Sind die Bürger wehrlos? "Die Methoden, mit denen die Massen stillgehalten wurden, änderten sich im Laufe der Jahrhunderte, doch die Mechanismen und Beweggründe waren immer die gleichen. Es ging stets darum, eine kritische Masse zu verhindern, sie früh vom Nachdenken abzuhalten und ihren stillen Gehorsam zu bewirken." (84) Gegensteuern kann nur ein kritischer engagierter Bürger. Dazu müssen Bürger unabhängig von Partei- und Religionszugehörigkeit erkennen, dass sie sich in der gleichen Situation befinden.

Autor Müller beschreibt weltweit einige Pulverfässer mit kurzer Lunte, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, da die zu erwartenden Entwicklungen uns alle betreffen. Seine Hintergrundanalysen beruhen auf der Faktenlage und sind hoch interessant. Das gilt für seine Ausführungen zum Nahen Osten, zum Ukraine-Konflikt, zu Nordkorea, zu USA, China, Japan und zu Russland. Dabei bezieht er sich u.a. auf Brzeziński [2], dessen Gedanken er weiterführt. Deutlich wird: Wer Wirtschaft verstehen will, muss die Weltpolitik verstehen. Dabei führt die Frage „Wem nützt es?“ immer wieder auf die richtige Spur.

Müller vergräbt sich nicht in Pessimismus, sondern beschreibt für die Leser nachvollziehbar Signale, die dem Crash vorausgehen und Maßnahmen, die vorab und während der Krise ergriffen werden können, um aus der Krise eine Chance zu machen. Erhellend sind auch Müllers Ausführungen zur technischen Entwicklung (Autoindustrie), zur Energieversorgung (insbesondere Öl), zur Digitalisierung und zur Arbeitssituation. Ein künftiges Grundeinkommen ist nicht ausgeschlossen. Die Überwachung der Bürger, z.B. in China, lässt Orwell [3] alt aussehen.

Es gibt zahlreiche reißerische Bücher, die sich mit Krisen- und Untergangszenarien beschäftigen. Es ist nicht leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dirk Müller geht verantwortlich mit diesem Thema um. Er scheut sich nicht, unliebsame Fakten und Folgerungen zu benennen, ist aber kein Feind der Wirtschaft. Er möchte, dass die Bürger sich einmischen mit dem Ziel eines humaneren Umgangs miteinander. Er wirkt authentisch. Das Buch zeichnet ein realistisches Bild von der Welt und ist absolut zu empfehlen.

[1] Uwe Krüger: Meinungsmacht
[2] Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht
[3] George Orwell: 1984

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.10.2018
Und Gott schuf die Angst
Hofmann, Burkhard

Und Gott schuf die Angst


ausgezeichnet

Burkhard Hofmann ist ärztlicher Psychotherapeut in Hamburg mit langjähriger Berufserfahrung. Als neugieriger, aufgeschlossener Therapeut hat er seinen Wirkungskreis geografisch erweitert bis hinunter in die Golfregion. Ein Teil seiner Patienten kommt aus der arabischen Welt und ist vom Islam geprägt. Psychische Probleme kennen weder Länder- noch Kulturgrenzen. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein in der westlichen Welt sozialisierter Therapeut in einer muslimischen Welt zurecht kommt, in der eine Trennung zwischen Kirche und Staat nicht existiert. Der Autor berichtet über seine Erfahrungen und erstellt ein Psychogramm der arabischen Psyche.

Bereits der erste Fall macht deutlich, wo die Unterschiede zur westlichen Welt liegen. Wenn sich eine Frau scheiden lassen will, steht das im krassen Gegensatz zur Verpflichtung zu ewiger Treue gegenüber der Familie und der tradierten Kultur. Die von klein auf anerzogenen strengen Regeln im Islam bewirken, dass Menschen Schuldgefühle entwickeln, wenn sie dagegen verstoßen. "Man bewegt sich eben nur in bekanntem Gelände. Es fehlt der Drang, Grenzen zu überschreiten." (25) Insofern ist es schon erstaunlich, dass Menschen mit muslimischer Prägung einen westlichen Therapeuten aufsuchen. Eine Scheidung im Islam ist möglich, aber es Bedarf vieler Verhandlungstage vor Gericht und massiver Zugeständnisse der Frau.

Hofmann stellt Fälle aus seiner Praxis vor. Es handelt sich um überwiegend gut betuchte Muslime der gehobenen Mittelschicht, die seine Praxis aufsuchen bzw. die er in ihrem Heimatland besucht. Den Behandlungsmöglichkeiten eines westlichen Therapeuten sind Grenzen gesetzt, denn das Psychische wird von vielen Muslimen immer noch als die primäre Domäne des Religiösen angesehen. Abweichungen werden unter den Verdacht der Sünde gestellt. (253) Insofern verwundert es den Leser, welche Mengen an Psychopharmaka, Schlaftabletten und Beruhigungsmittel am Golf in Umlauf sind. Hier vertraut man offensichtlich der westlichen Medizin.

Psychische Probleme erwachsen aus einer religiös geprägten Kultur, die keinen Zweifel und keinen Widerspruch duldet. Das verhindert die Abnabelung von der Familie, führt zu Unsicherheiten im Umgang mit der Sexualität und zu einem mittelalterlichen Frauenbild. Positiv gesehen fühlen sich die Gläubigen in ihrem Glauben geborgen, der ihnen hilft, Krisen zu überwinden und Sinn zu sehen, wo westlich geprägte Menschen sinnloses Leid erblicken. "Der Glaube bleibt ebenso unumstößlich wie die allerorts vorhandenen autoritären Staatsstrukturen." (128) Für Zweifel bleibt kein Platz, denn Zweifel führen je nach Ventil zu Angst oder Aggression.

Angst ist das zentrale Thema in Hofmanns Fallbeschreibungen. Stockschläge, wie bei den Beduinen erfahren, sind kein wirksames Mittel gegen Depressionen. (262) Kritik am Koran ist verbotenes Terrain. Menschen aus der gehobenen arabischen Mittelschicht werden bei ihrem Studium in Paris oder London mit völlig anderen Lebensentwürfen konfrontiert, die Zweifel säen können. Hofmanns Analysen der Psyche zeichnen ein Bild, welches tiefer geht als das, was allgemein in den Medien über den Islam zu lesen oder zu hören ist. Er plausibilisiert Verhaltensweisen, die oftmals nur oberflächlichen betrachtet werden. Dennoch gilt: "Wir [im Westen] sollten nicht versuchen, uns kompatibler zu geben, als wir sein können und vielleicht auch wollen. Das Verleugnen des Trennenden hilft nicht bei der Wirklichkeitsbewältigung." (283)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.10.2018
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
Harari, Yuval Noah

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert


sehr gut

Nachdem sich Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ mit der Vergangenheit und in „Homo Deus“ mit der Zukunft auseinandergesetzt hat, liegt der Fokus in „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ auf der gegenwärtigen Situation der Menschheit. Dabei versucht er verschiedene Aspekte der globalen Gegenwart zu erfassen. Kennzeichnend sind seine verständlichen interdisziplinären Betrachtungen. Über Götter und Ideologien äußert er sich gewohnt misstrauisch.

Wenngleich das Buch in fünf Teile und einundzwanzig Kapitel untergliedert ist, gibt es thematische Überschneidungen. Die technologischen (Teil 1) und politischen (Teil 2) Herausforderungen lassen sich nicht scharf trennen. Im dritten Teil geht es um Gefahren, daraus resultierenden Ängsten und wie Menschen diesen begegnen können. In den Teilen vier und fünf diskutiert Harari philosophische Fragen. Dabei nimmt die Frage nach dem Sinn des Lebens breiten Raum ein.

Wer „Homo Deus“ gelesen hat, ist darauf vorbereitet, dass sich Harari insbesondere mit den gesellschaftlichen Folgen der Biotechnologie und Informationstechnologie auseinandersetzt. Wenn Algorithmen den Menschen besser kennen als er sich selbst und fundierte Entscheidungen treffen können, wird die Kompetenz des Menschen und seine Freiheit in Frage gestellt. Der Mensch wird nicht nur arbeitslos, sondern bedeutungslos. Sind wir auf dem Weg in eine digitale Diktatur?

Im letzten Kapitel berichtet der Autor über sich selbst. Er bezeichnet sich als skeptischen Menschen, auf der Suche nach der Wahrheit. Als Suchender, so meine Einschätzung, wird er auch seine eigenen Thesen kritisch reflektieren. Ergänzend zur Wissenschaft versucht er es mit Meditation, um mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen. Selbstbeobachtung sei schwierig, aber notwendig, damit nicht die Algorithmen, die uns besser kennen, für uns entscheiden. (417) Damit schließt sich der Kreis seiner Ausführungen.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2018
Der große Roman der Mathematik
Launay, Mickaël

Der große Roman der Mathematik


sehr gut

Es handelt sich nicht um einen Roman im literarischen Sinne, sondern um ein populärwissenschaftliches Sachbuch über die Entwicklungsgeschichte der Mathematik. „Roman“ ist eher eine Metapher für die Geschichte dieser Wissenschaft. Der Fokus liegt auf den Urgründen. Was versteht man unter Mathematik? Warum gibt es Mathematik?

Mickaël Launay, promovierter Mathematiker, setzt sich zum Ziel, Menschen für die Mathematik zu begeistern. Er konfrontiert die Leser mit der Erkenntnis, dass die Anforderungen des Alltags sehr viel mit Mathematik zu tun haben. Das galt vor 10.000 Jahren bei der Fertigung von Tonkrügen in Mesopotamien und das gilt für die Neuzeit.

Der Autor stellt antike Zählsteine zur Ermittlung der Anzahl von Schafen vor und erläutert die Anfänge der Landvermessung in Babylon, die den Beginn der Geometrie einläutete. Mathematik war zweckgebunden, blieb es aber nicht. Die Liebe zur Mathematik im alten Griechenland führte zu Theoremen, mit denen noch heute Schüler konfrontiert werden.

Während die Mathematik der Antike plausibel dargestellt wird, gelingt das bei den Grundlagen der Triangulation nicht. Der Zusammenhang zwischen Meridian, Dreiecksvermessungen und Kartenerstellung bleibt nebulös. Zu diesen Themen finden interessierte Leser bei Mania [1] oder Murdin [2] weitergehende Erläuterungen.

Launays Schwerpunkt liegt in der Aufarbeitung der Historie. Der Mehrwert der Mathematik für Alltag, Vermessung und Naturwissenschaft lässt sich aus dieser Entwicklung heraus plausibel belegen. Aktuelle mathematische Untersuchungen dürften für eine breite Leserschaft zu abstrakt sein.

Über die Frage, warum die Mathematik so gut zur physikalischen Welt passt, spekuliert Launay nicht. (184) Er erläutert Paradoxa und benennt Grenzen der Axiomatisierung, wie sie durch Gödels Unvollständigkeitssatz zum Ausdruck kommen. Dass Mathematik schöne Gebilde produzieren kann, wird an der Darstellung der Mandelbrot-Menge deutlich.

[1] Hubert Mania: Gauß
[2] Paul Murdin: Die Kartenmacher

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2018
Faustrecht
Kirst, Hans H

Faustrecht


gut

Der Roman spielt 1945 und handelt vom Leben deutscher Kriegsgefangener in einem britischen Kriegsgefangenenlager in Ägypten. Der Umgang mit den Gefangenen ist human. Leiter Colonel Nelson erprobt demokratische Methoden. Dienstliche Belange und private Interessen werden von mehreren Protagonisten miteinander verknüpft.

Im Fokus steht der gewitzte Gefangene Faust, der einige Ausbruchsversuche unternimmt und das Lager in Aufruhr versetzt. Aufgrund seiner Kenntnis der arabischen Sprache unterstützt er Sergeant Sid Silvers bei seinen Geschäftsbeziehungen zu arabischen Handelspartnern. Dummerweise entwickeln sie Interessen für die gleichen Frauen.

Bei dem Roman handelt es sich nicht um eine ernste Geschichte wie „Fabrik der Offiziere“ oder „Die Nächte der langen Messer“, sondern um eine Komödie. Humor und Ironie erinnern an die 08/15-Trilogie, wirken aber auch vergleichbar klischeehaft. Das gilt für die Beschreibung der Charaktere der Soldaten einschließlich der Darstellung der Frauen.

Bewertung vom 21.09.2018
Das Feld
Seethaler, Robert

Das Feld


gut

Ein alter Mann schlendert fast jeden Tag über den Paulstädter Friedhof, auf dem zahlreiche Bürger der Stadt begraben liegen. Er ist überzeugt davon, Stimmen zu hören und zwar Stimmen der Toten. Auch wenn er diese nicht verstehen kann, reicht seine Fantasie aus, sich auszumalen, was diese zu sagen hätten.

Robert Seethaler hat einen Roman geschrieben mit einer ungewöhnlichen Perspektive. Er handelt davon, was die Toten über ihr Leben zu sagen hätten, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen würden. Herausgekommen sind keine nüchternen Bilanzen, sondern Erinnerungsfetzen, Erfahrungen und Beziehungsgeschichten.

Auch wenn die Geschichten selbst nicht melancholisch sind, schwingt Melancholie mit, da dem Leser stets die besondere Perspektive bewusst ist. Die Beziehungen zwischen den Menschen stehen im Fokus. Dabei geht es nicht um Belehrung, Reue, Rechtfertigung oder Anklage, sondern um leicht verdauliche Erzählungen.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2018
Warum wir tun, was wir tun
Förster, Jens

Warum wir tun, was wir tun


sehr gut

Der Autor beschreibt die Psychologie als empirische Wissenschaft. (43) Experimente mit Probanden und Versuchsleitern, die über die Zielsetzung nicht im Bilde sind, führen zu statistischen Aussagen über das Verhalten von Menschen. So wie in der Physik nicht der Zerfall eines konkreten Teilchens vorhergesagt werden kann, kann in der Psychologie nicht das Verhalten eines konkreten Menschen prognostiziert werden.

Förster macht deutlich, wo Freud heute noch Bedeutung hat und welche Thesen als widerlegt gelten. Hinsichtlich der Frage, wofür wir ein Bewusstsein haben, z.B. um Entscheidungsalternativen abzuwägen (123), gibt es Berührungspunkte mit der Hirnforschung. So betrachtet Gerhard Roth das Bewusstsein als Eigensignal des Gehirns zur Bewältigung neuer Probleme.

Entscheidungen werden weder rational noch wirtschaftlich getroffen. Das gilt selbst für Berufsgruppen, die von Berufs wegen objektiv entscheiden müssen. Jeder Mensch ist beeinflussbar und manipulierbar. Vorurteile, letztlich evolutionär bedingt, bestimmen unsere Wahrnehmung. Förster erläutert Schwächen der menschlichen Urteilsfähigkeit (Halo-Effekt (167), Akteur-Beobachter-Effekt (179)).

Der Autor widmet sich ausführlich dem Thema Vorurteile und benennt Möglichkeiten, aktiv gegen diese anzugehen. Bedauerlich, dass er ausgerechnet die extrem vorurteilsbehaftete A. Schwarzer als sein Idol bezeichnet. (214) Försters Fokus liegt auf der Psychologie. Auf die Hintergründe aus evolutionärer Sicht geht er nicht ein. Letztere liefert Erklärungen für unsere Vorsicht gegenüber fremden Gruppen.

Die klassische Frage nach dem Selbst „Wer bin ich?“, klingt trivial und kann dennoch nicht beantwortet werden. Das Selbst agiert nicht widerspruchsfrei und so spricht Förster von einem multiplen Selbst. (244) Selbstkonzept und Selbstwert sind veränderbare Konstrukte, abhängig von inneren und äußeren Einflüssen. Förster erläutert Persönlichkeitsmerkmale und Persönlichkeitstest sowie Persönlichkeit im Verhältnis zur Kultur.

Die Frage der Steuerung des Menschen kann nicht abschließend beantwortet werden. Förster erläutert Selbstkontrolle, Gedankenkontrolle und emotionale Einflussgrößen. Das für Philosophen und Hirnforscher so wichtige Thema Willensfreiheit klammert er aus. So wirken die umfangreichen Ausführungen irgendwie unvollständig. Wenn die Frage nach dem Selbst schon schwierig ist, wie sieht es dann mit der Suche nach dem Glück aus?

Zum Thema hat Stefan Klein ein beachtenswertes Buch geschrieben, in dem er das Thema ganzheitlich unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der Hirnforschung, Psychologie, Philosophie und Evolutionstheorie behandelt. Förster bezieht sich primär auf Erich Fromm und sein Werk „Haben und Sein“, dem er die modernere Theorie HABST gegenüberstellt, in der Haben und Sein weniger polarisierend dargestellt werden.

Försters Ausführungen zu Beziehungen entsprechen dem Zeitgeist. In seinen Ausführungen reflektiert er Gedanken aus der Evolutionspsychologie mit dem Hinweis, dass Kritiker die sozialen Einflüsse höher gewichten als die Einflüsse aus Genetik und Biologie. Hier wäre die Frage interessant, wer denn die Kritiker sind. Haben spezielle Berufsgruppen signifikant abweichende Meinungen zum gleichen Thema?

Das Buch ist zu umfangreich als das man auf alle Themen eingehen könnte. Der Autor hat ein gutes Gespür dafür, was Psychologie leisten kann und was nicht. Er benennt Möglichkeiten und zeigt auch Grenzen auf. Als Therapeut priorisiert er Umwelteinflüsse. Seine Ausführungen sind nicht gesellschaftspolitisch neutral. Ich hätte mehr Bezüge zur Evolution erwartet,

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2018
Apollo
Scott, Zack

Apollo


sehr gut

Am 21. Juli 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Im Hinblick auf scheiternde Großprojekte verschiedenster Art, mag man fünfzig Jahre danach kaum Glauben, zu welchen Spitzenleistungen die Menschheit Ende der 1960er Jahre fähig gewesen ist. Eine derart stringente Fokussierung auf ein Projekt kennt man sonst nur vom Bau ägyptischer Pyramiden oder der Konstruktion imposanter Kathedralen. Über 400.000 Mitarbeiter der NASA verfolgen ein Ziel.

Autor Zack Scott ist Flugzeugtechniker und Grafik Designer. In seinem Buch über das Apollo-Programm nutzt er sein Fachwissen als Techniker und seine Fähigkeiten als Gestalter mit dem Ziel, den Lesern Maschinerie, Missionen und Menschen im Zusammenhang mit dem Raumfahrtprogramm der NASA unterhaltsam näher zu bringen. Entstanden ist ein Buch mit übersichtlichen Grafiken, anschaulichen Vergleichen und verständlichen Texten.

Für Technik-Freaks sind die vielen Prinzipskizzen eine Fundgrube. Wer verstehen will, wie die Raumanzüge, Raketen und Mondautos aufgebaut sind, findet hier Antworten. Selbst der Speiseplan der Astronauten ist abgedruckt. Das Buch ist wohl strukturiert, informativ und sachlich. Vermisst habe ich ein paar Anekdoten über das, was in Cape Canaveral und Houston am Rande passiert ist. In diesem Sinne ist der Lebenslauf des "für Langzeitflüge ungeeigneten" rebellierenden Charles Conrad Jr. eine Ausnahme.