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Isa.Literature.Love
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Bewertungen

Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 18.08.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


gut

»Wir gleichzeitig Lebenden sind füreinander von geheimnisvoller Bedeutung.« (S.141)

Die 15-Jährige Linda denkt täglich darüber nach, wie es wäre, ihrem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Was sie davon abhält? Ihr einziger Freund Kevin; der Demenz-erkrankte Nachbar Hubert, mit dem sie sich 2 Nachmittage in der Woche beschäftigt, um der polnischen 24/7 Pflegerin Ewa kurze Pausen zu verschaffen; Ewa, die sich nicht nur mit ihrem Apfelkuchen in Lindas Herz backt; aber auch ihre alleinerziehende Mutter, die sie doch nicht auch noch alleine lassen kann.

»Das Leben kommt einem mit voller Wucht entgegen. Man versucht zu entsprechen und scheitert, immer wieder. Seinen Frieden hat man nie. Immer muss man etwas nachweisen, man selbst ist nie genug. Traurig ist das, wirklich traurig.« (S.69)

Wir begleiten Linda durch diese schwere Teenie-Zeit, lachen mit Ihr über ihre spitzen Beobachtungen, Gedanken und die Art und Weise, wie sie spielerisch mit der Demenz von Hubert umgeht. Was bringt es uns, uns gegen alles zu sträuben? Genau — nichts, da können wir genauso gut, das Spiel mitspielen und die Regeln zu unserem Glück abändern. Und genau das gelingt Linda mit Hubert, während der Nachtfalter — Huberts Tochter genau daran scheitert.

In ihrem Debütroman »Der Bademeister ohne Himmel« schreibt die Autorin Petra Pellini über das Leben selbst: Von anstrengenden Teenager-Jahren, über das Verlieben Mitten im Leben und den Sterbeprozess eines Menschen mit Demenz. Das Buch ist wirklich ganz besonders: Zum Einen liest sich die Expertise der Autorin im Umgang mit Demenzen Menschen heraus, zum Anderen schafft sie, ein solch schweres und gesellschaftlich meist verdrängtes Thema mit einer Zartheit und einem liebevoll-melancholischen Schreibstil zu erzählen, dass es direkt ins Herz geht.

Ein wunderbares, trauriges, schönes Buch über Freundschaft, Demenz, Familie, Sterben ... — einfach das Leben selbst.

Bewertung vom 18.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

»Ich kenne meine Einzelteile nicht. Habe sie verlegt. Weiß nicht, wo oder wann. Auf der Flucht. Im Iran. In meinen Träumen, die mir vertrauter sind als mein Wachzustand. Ich träume nicht vom Iran. Ich träume im Iran.« (S.69)

Der 10-Jährige Reza landet mit seinen persischen Eltern nach der Flucht aus dem Iran ausgerechnet im Ruhrgebiet. Am Bochumer Stadtrand ist die Armut Realität. Dazwischen gibt es die kleinen süßen Momente des Glücks, wie der Fund von Kornelkirschen 🍒. In diesem Ballungsraum treffen nicht nur die verschiedensten Personen, Kulturen, Ansichten aufeinander, sondern die Gewalt ist allgegenwärtig.

»Völkerball ist so grausam, dass es aus unserem Viertel kommen könnte.« (S.78) 🏐

Während seine Eltern darüber hinwegsehen, als studierte Soziologin und Schriftsteller über Linguistik diskutieren, sich mit Arbeit über Wasser halten und dabei das bestandene Soziologie-Studium wiederholen, um in Deutschland auch anerkannt zu werden, gelangt er immer tiefer in die Gewalt und nimmt die Karriereleiter abwärts: Von einer gescheiterten Ninja-Clique über ‚Pakt schlägt sich, Pakt verträgt sich‘ bis zum Dealer und Gangster, um kein Opfer zu sein. Hier muss er seine Gefühle ausblenden, um nicht zu zerbrechen. 💔

»Alle sieben Jahre sind wir neu, sagt man. Alle Zellen erneuert. Aber die Narbenzelle erneuert sich wieder in eine Narbenzelle. Vererbt die Wunde. Vergisst nicht. Das Gedächtnis des Traumas liegt in der Wunde selbst.« (S. 175)

Tiefgründig, poetisch, ehrlich, in prägnanten Szenen und im fragmentarischen Erzählstil erzählt der Autor Behzad Karim Khani auch in seinem zweiten Roman »Als wir Schwäne waren 🦢« über das Leben nach einer Flucht aus Kriegsgebiet, das Aufwachsen in Deutschland der 90er Jahre, die eigenen Konflikte und Kriege. Er schreibt über Angst, Zorn, Wut, Zerrissenheit, Schmerz, Verlust, Leere, Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft, Erwartungen, Enttäuschungen, Gesellschaftskritik, Verwunderung, Ankommen — oder doch eher (Weiter-)Gehen?

»[…] und dann werde ich mir sagen, dass meine Eltern mir nicht die Fremdheit vererbt, sondern die Welt geschenkt haben.« (S. 186) ❤️‍🩹

He did it again: Nach seinem erfolgreichen Debüt »Hund, Wolf, Schakal« gelingt es dem Autor auch mit seinem neuen Roman die grausame, gewaltvolle Realität, die existiert, zu transportieren, ohne diese zu verurteilen.



Ganz, ganz große Leseempfehlung.

[4.5/5 ★ ]


[CN: Physische Gewalt, Drogen, Rassismus, Kriminalität]

Bewertung vom 07.08.2024
Geile Zeit
Seydack, Niclas

Geile Zeit


gut

»Mein Leben lang hieß es, ich könne alles schaffen, solange ich mich nur genug anstrenge. Oft genug hatte das gestimmt. Oft war das ein guter Antrieb. Hätten wir bloß nicht die Kehrseite genauso verinnerlicht. Wenn wir es nicht schafften, konnte das nur eines heißen: Wir hatten versagt.« (S. 200)

»GEILE ZEIT — Autobiographie einer Generation« ist das Memoir des Journalisten, Reporters und Autors Niclas Seydack. Der 1990 geborene Wahl-Münchener & Nordlicht, schreibt basierend auf seinen eigenen Erfahrungen und dem Weltgeschehen über das Aufwachsen als Gen Y / Millenials [= alle Menschen, die zwischen 1980-1999 geboren worden sind] in den 1990er / 2000er Jahren.

Dabei schreibt er darüber, welche und wie Krisen uns Millenials früh geprägt haben, wie z. B. Terroranschläge — insbesondere 9/11, Tsunami 2004, Amokläufe an bspw. Schulen weltweit, Nah-Ost-Konflikt, Kriege und Finanz- & Wirtschaftskrise bis zur Corona-Pandemie. Es werden ebenso — aus heutiger Sicht — toxische Glaubenssätze der Leistungsgesellschaft als auch der 00-Jahre (Frauen-Klischees, Pornos etc.) betrachtet.

ALL IN ALL ist ein interessantes Memoir, in dem Niclas Seydack Lesende mit durch die Jahrzehnte nimmt. Als Millenial erkenne ich die ein oder andere Situation wieder. Nichtsdestotrotz finde ich den Untertitel »Autobiographie einer Generation« unpassend, da viele Situation extrem männlich geprägt sind und nicht allgemein-gültig sind (was der Untertitel aber suggeriert) und viele Privilegien nicht reflektiert werden. Bspw. habe ich NIE mit meinen Freundinnen bestimmte Filme hin- und heugetauscht. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen, die für mich nicht zwangsläufig übertragbar und sehr männlich sind. Zudem wird mir die Grenzüberschreitung bei vielen Situationen aus der heutigen Rückschau zu wenig kritisiert und dadurch zu viel einfach reproduziert. Zwar gibt es einmal kurz Kritik zum NSU-Prozess, das hätte ich mir aber deutlich mehr gewünscht.

Insgesamt sehr passend finde ich Beobachtungen, wie die Folgende:
»Wir haben diesen Unsinn nie gefilmt. Unsere Nokia 3310 konnten das nicht. Und darin lag seine besondere Schönheit. Alles, was wir erlebten, war reine Gegenwart. Dokumentiert nur in unserer Erinnerung, wo es durch das Wieder-und-wieder-Erzählen immer größer und schöner und wichtiger wurde, als es jemals in echt gewesen sein konnte. Wir waren da, an dem Ort, in dem Moment. Und nirgends sonst.« (S. 76)

ALL IN ALL: Ein unterhaltsames, interessantes und sehr individuell emphatisches Memoir, das sicherlich seine passende Leser*innen-schaft finden wird.

Bewertung vom 25.07.2024
Look What She Made Us Do
Sauer, Anne

Look What She Made Us Do


ausgezeichnet

»Taylor Swift lebt mir mit ihren Eras, ihren Songs und ihren Statements vor, was ich in vielen Bereichen meines Lebens selbst sein möchte. Sie ist ehrgeizig und ambitioniert, sie scheut sich nicht, einzufordern, was ihr zusteht. Sie macht sich breit in einem Raum voller Männer, die sie kleinreden wollen.« 🔥 (S.142)

🐍

Man muss kein Swiftie sein, um anzuerkennen, was für ein hervorragende Künstlerin, brillante Mastermind & Businessperson Taylor Swift ist. Hinzukommt, dass als Swiftie ‚A Girl’s Girl‘ zu sein, unfassbar bereichernd sein kann und diese Girlhood so vielen Menschen einen Safe Space schenkt. Was macht Taylor Swift also aus und wie kommt es seit Jahren zu diesem Hype?

»Diese Frau macht, was sie will, und sie liebt alles daran.« (S.39)

Was wenn ein ✨Swiftie ✨ genau das (kritisch) analysiert und uns Insights ins Swiftversum 🪐 schenkt? I’D CALL IT A LOVELANGUAGE 💖

Genau das macht Autorin, Moderatorin, Texterin, Podcastern, Buchhändlerin & ✨Swiftie ✨ Anne Sauer mit ihrem Essayband »LOOK WHAT SHE MADE US DO«. In ihrem Debüt schreibt sie in 13 Essays über die Pop-Ikone Taylor Swift, ihre Entwicklung, Feminismus & Swiftie-Sein. Sie hinterfragt das Swiftie-Fantum kritisch und analysiert den Hype um Taytay, ihren Einfluss, Macht und (musikalische) Entwicklung aka Eras. Dies kombiniert Anne mit der sehr persönlichen, feministischen, pointierten, selbstkritischen Durchlebung ihrer eigenen Eras und genau das macht diesen Essayband umso bereichernder, reflektierter und . IT’S SIMPLY AWESOME and I just love it.

🪩

Ich höre Taylor Swift seit meiner Teenie-Zeit angefangen mit ‚Lovestory‘ 💘, habe etliche Eras mitgehört und gefühlt 🎧. Aber zeichnet mich das als Swiftie aus? Vor allem, wenn ich mich nicht in den Rabbit Holes 🕳️🐇 des Swiftversums verliere(n will)? Ich glaube, was Swiftie-Sein für sich selbst bedeutet, muss jede*r für sich selbst herausfinden. 🤝🏼 Was ich auf jeden Fall weiß: Ich fangirle jetzt erst recht für die Autorin Anne @fuxbooks 😍 und freue mich riesig auf ihren Roman, der 2025 erscheinen soll. 🔥


Egal, ob Hardcore-Swiftie oder Fan von guter Literatur: Dieser Essayband ist inspirierend, informativ und eine G R O S S E Empfehlung 🐍💖🪩

ENJOY IT 📖🐍🪩

Bewertung vom 23.07.2024
Das Pfauengemälde
Bidian, Maria

Das Pfauengemälde


sehr gut

»»Warum heißt die Bar eigentlich Déjà-vu?«, rief ich. […] »Weil es wichtig ist, seine Geschichte zu kennen, alles wiederholt sich«, antwortete Viorel und drehte sich im Kreis.« (S. 84) und damit stoßen Raluca, Viorel Nise & Ana mit ihren vier Cocktails Rumänische Revolution 1848 & 1989🍸 an.

Ana macht sich große Vorwürfe, dass sie ihren Vater Nicu bei seiner letzten Reise in dessen Heimat Rumänien nicht begleitet hat. Weil sie so nicht dabei sein konnte, als er nach einem Unfall im Krankenhaus verstarb. Seitdem versucht sie mit ihrer Trauer zu leben.

»Weißt du«, sagte Raluca irgendwann, »es gibt Menschen, die kann man nicht retten. Meine Großmutter hat einmal gesagt, ›wenn ich eine Sache gelernt habe, dann ist es, dass man einen anderen Menschen nicht für immer glücklich machen kann‹.«« (S. 87)

Als der rumänische Familienteil eine zu Unrecht enteignete Villa und weitere Erbgüter zurückerhält, muss Ana in die rumänische Heimat reisen und dies gemeinsam mit ihren Tanten und Cousin*en organisieren. Dabei ist sie auf der Suche nach dem ominösen Pfauengemälde, von dem ihr Vater ihr seit ihrer Kindheit vorgeschwärmt hat und dessen Wiedererlangen sein Ziel war. 🖼️ Doch was hat es mit diesem ominösen Pfauengemälde auf sich?

»»Wir dürfen nicht dasitzen und warten«, fuhr Raluca fort, »wir müssen Entscheidungen treffen. Was wir geben, bekommen wir zurück, auch wenn es manchmal anders aussieht, als wir es uns vorgestellt haben.«« (S. 214)

Auf dieser schmerzhaften und emotionalen Suche erfährt sie viel über ihre rumänische Familie, die Geschichte Rumäniens, und damit verbunden auch über ihren Vater — den ewigen Don Quijote, den Abenteurer, den Partisanen, den Helden.

»»Wir waren alle anti-kommunistisch, wir waren Klassenfeinde und stolz darauf.« [Elise]« (S. 312)

»Das Pfauengemälde« 🦚 ist der Debütroman von Maria Bidian, die uns Lesende gemeinsam mit ihrer Protagonistin Ana Maria nach Rumänien reisen lässt. Es geht um transgenerationale Traumata, Vergeben, Trauer, Familie, Freundschaft, Freiheit und Rumänien. 🧡

Ein wirklich großartiges, fesselndes, emotionales Romandebüt, das ich sehr gerne gelesen habe. 😮‍💨 Ich habe viel über Rumänien gelernt, und konnte sehr mit Ana mitfühlen und habe mir so schöne Zitate herausgeschrieben. 🥹

Große Leseempfehlung für alle Fans von autofiktionaler Literatur. 🧡

Bewertung vom 16.07.2024
Die schönste Version
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

»Kurz das Verlangen, all das mit rosa Rouge und schimmerndem Lidschatten zu überdecken, ein bisschen Trockenhaarshampoo, und schon ein neuer Mensch. Aber ich bringe es nicht über mich, mich so herzurichten, als ob nichts wäre, als ob nicht alles aus den Fugen geraten wäre.« (S. 31f)

Jella steht an einem Wendepunkt in ihrem Leben und entscheidet sich dieses Mal dagegen, einfach weiterzumachen. Der Streit mit ihrem Partner Yannik ist krass eskaliert: Während er sie würgt, verspürt Jella Todesangst.💥 Kurze Zeit später findet sie sich auf der Polizeistation wieder, wo sie Anzeige gegen ihren Partner (kann er nach so einer Situation noch ihr Freund sein?, fragt sie sich selbst) erstattet. Was sie nicht wusste, durch die Schilderung der Notwehrsituation wird dabei ebenfalls Anzeige gegen sie selbst erstattet. Bis sie sich eine Ahnung hat, wie es für sie weitergehen kann, kehrt sie zu ihrem Papa Frank in den Plattenbau zurück und ignoriert Yannicks Anrufe und Nachrichten.

»Das Gefühl, ganz umsonst ein Drama veranstaltet zu haben, obwohl wir doch perfekt waren, Yannick und Jella, Jella und Yannick, Y&J, J&Y, und dann ist es kurz schiefgegangen.« Jella (S. 164)

Während Jella versucht ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, begleiten wir sie in ihren Gedanken durch ihre Kindheit & Teenager-Jahre. Wir lernen ihre ersten besten Freundinnen (Valentina & Shelly) kennen; wir verstehen, dass es in Jellas Leben bereits eine sehr schreckliche, prägende Situation gab, nach der sie versuchte, einfach weiterzumachen, dafür aber einen hohen Preis zahlte. 💔 Wir lernen J&Y als Paar kennen, und nach und nach wie sich dieses Drama eine Kulisse gebaut hat.

»Manchmal glaube ich, Du bringst die schlechteste Version meiner selbst aus mir hervor, Jella.« Yannick (S. 220) 💔

W A S F Ü R E I N S T A R K E R R O M A N 😮‍💨 Chapeau liebe Ruth-Maria. »Die schönste Version« ist der Debütroman (wie lernt Maus bitte so krass zu schreiben?! 🥵❤️‍🔥) von der Autorin Ruth-Maria Thomas. Im Vordergrund steht die toxische Beziehung zwischen Jella und Yannik, die von physischer und psychischer (häuslicher) Gewalt geprägt ist. Daneben geht es aber auch um so viel mehr: Reflektion der Prägungen aus unserer Kindheit, Ost-West-Unterschiede, beste Freundinnenschaft, Coping-Mechanismen, Aufwachsen & Teenager-Jahre in den 2000er / 2010er Jahren mit den uns heute sehr reflektierten Pick-Me-Girls-Vibes, die hier par excellence als das dargestellt werden, was sie damals waren: Selbstverständlich, Überlebensstrategie, einfach krass aufwändig und anstrengend. Ruth-Maria schafft es, dass alles so zu beschreiben, dass es sich niemals wie der erhobene Zeigefinger anfühlt, sondern immer wie eine schwesterliche Umarmung. 🫂🥹 Ich bin sehr beeindruckt von der Story, von dem wahnsinnig schönen Schreibstil 🩵, von den Themen, die sich trotz dieser Intensität und Vielzahl niemals überladen anfühlten, sondern so passend orchestriert.

Für mich ein absolutes Highlight 💖 mit einem sehr selbstermächtigenden Ende. ❤️‍🩹

Ich kann das Buch wirklich sehr empfehlen, mit dem Hinweis 🤏🏼 Passt gut auf Euch auf [CN], falls das Thema gerade für Euch zu belastend ist. 🫂

[CN: physische & psychische Gewalt; s3xueller Übergriff]

Bewertung vom 01.07.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


weniger gut

»Du bist immer weggelaufen, um mit diesem verdammten James zusammen zu sein. Und anscheinend hat sich überhaupt nichts verändert. Seine Meinung ist die einzige, die Dich wirklich interessiert, Rachel. Alle anderen sind nur verdammtes Beiwerk.« James Carey zu Rachel (S.312)

Rachel meets James. Bookshopgirl meets TV-Serien-Junkie. Bürgertum meets Arbeiterklasse. And they fall for each other: Into big platonic love. Die Coming-of-Age-Story wird aus der Retrospektive von Rachel erzählt und beginnt 2010 mit dem Beginn der Freundschaft zwischen James und Rachel, die sehr schnell beste Freund*innen und unzertrennlich werden. Was als Crush von Rachel auf ihren Professor Dr. Byrne beginnt, entwickelt sich zum mutigen Coming Out ihres besten Freundes, aber auch einer schicksalshaften Affäre zwischen James und eben jenem Prof. Im Laufe der Story lernt auch Rachel jemanden kennen und verliebt sich … Kann neben so closen Besties Platz für andere sein?

»Ich lernte James Carey im April 2010 kennen, und in dem Moment, als er mir seinen Namen nannte, sagte ich: Tut mir leid, so einen habe ich schon. […] Die James and Rachel Show lief weiter.« (S. 112)

Was ich an dem Roman »Die Sache mit Rachel« (OT ‚The Rachel Incident’ , übersetzt aus dem Englischen von Christian Lux) mag, ist, dass die Freundschaft zwischen James & Rachel im Vordergrund der Erzählung steht. Ich finde, es gibt viel zu wenig Romane über beste Freundschaften, in denen die Liebe das Beiwerk ist. Dennoch war mir die Story selbst zu vorhersehbar, zu oberflächlich und das dramatische ‚Thema‘ wurde erst gegen Ende sehr schnell abgehandelt und wirkte für mich dadurch fehlplatziert. Ja, die Autorin kann bissig, ironisch, humorvoll schreiben, aber das reichte für mich nicht, um zu einem Pageturner zu werden.

Auch der Sally Rooney-Vergleich (Warum? Weil beide irische Autorinnen sind, die zufällig über COA schreiben?!) , den ich in vielen Rezensionen gelesen habe, funktioniert für mich überhaupt nicht. Gerade diese Beschreibungen von menschlichen Beziehungen mit ihren Zwischentönen, die Rooney so meistert, und mich bei all ihren Romanen direkt ins Herz treffen und mich mitfühlen und leiden lassen, habe ich hier überhaupt nicht gelesen. Die Story über James & Rachel liest sich insgesamt gut, auch wenn mir Drogen- und Alkoholkonsum auch hier wieder zu sehr verherrlicht werden (und als Teil der Jugend - so ist es eben - dargestellt werden).

ALL IN ALL: Eine gute, humorvolle Coming-of-Age Story, aber mehr war es für mich nicht, und das ist auch völlig OK.

[CN: Schwangerschaftsabbruch; Drogen- & Alkoholkonsum]

[2.5/5 ★ ]

Bewertung vom 30.06.2024
Das Land, das ich dir zeigen will
Klatt, Sara

Das Land, das ich dir zeigen will


ausgezeichnet

»Mein Sommer war wild und nostalgisch in dieser Stadt, die mich beim Erwachsenwerden Vertrauen und Gelassenheit lehrte.« (S. 40)

Mit ihrem autofiktionalen Roman »Das Land, das ich dir zeigen will« lädt die Dokumentarfotografin, Journalistin und Schriftstellerin Sara Klatt Lesende ein, Tel Aviv, Jerusalem, die Kulturen und das Land Israel kennenzulernen. 🇮🇱

Sie nimmt die Lesenden mit in ihre Erinnerungen von ihrem Leben zwischen Tel Aviv und dem Nachtleben Jerusalem 🪩. Erzählt vom Trampen, wie es ihr Vater ihr bereits beigebracht hat, erzählt von all den Begegnungen, Freund- und Bekanntschaften und Gesprächen, die sie dort geführt hat. Dabei werden Themen wie die Shoah, Judentum, Jüdischsein, Einsamkeit, Trauer, Familie, Identität, Heimat, Heimattraurigkeit, die Rolle von Religion und der Nah-Ost-Konflikt verhandelt.

»Nach dem Holocaust fehlten sechs Millionen. Sechs Millionen, die sich verliebt und gestritten hatten, die ihren Kindern Geschichten erzählten, die Träume, Ziele, Wünsche hatten und die gute oder weniger gute Menschen geworden wären. Manche von ihnen waren glücklich, andere eher nicht. Die ganze Welt hätte sich anders zusammengesetzt, wäre heute anders verbunden, hätte es den Holocaust nicht gegeben.« (S. 75)

Sie webt diese Themen ganz fein in die Erzählung ein, berichtet von ihrem Leben in Israel und flechtet dabei Erinnerungen und Gedanken an ihre Familie, ihren jüdischen Großvater, der die Shoah überlebte, genauso wie von palästinensischen Freunden mit einer Leichtigkeit in die Erzählung ein, dass sie nie überfrachtet wirkt. Ich habe selten ein Buch gelesen, dass so viele Themen so passend zusammenfügen, gleichermaßen Bewusstsein für die Vielfalt und Vielseitigkeit schaffen und Kritik üben kann, ohne je den (moralischen) Zeigefinger zu erheben. Ich hätte auch noch 400 weitere Seiten gelesen und mindestens genauso sehr geliebt, gefühlt, gelacht und geschluckt. 😮‍💨 Großartige Literatur! ❤️‍🩹

Es ist ein ruhiges, ehrliches, eindrückliches, offenes Buch, das zärtlich, liebevoll, vertrauens- und hoffnungsvoll von Menschen, Schicksalen, Begegnungen, Erinnerungen und dem Leben selbst erzählt. 💙 Besonders passend fand ich immer auch die Zitate, die jedes Kapitel eröffnen. 🩵 Ich könnte noch so viel mehr zu diesem Buch schreiben, und dann fehlen wir aber auch wieder die Worte, um dieses Leseerlebnis zu fassen. Am besten: Lest es selbst. 🧿

Ganz ganz große Leseempfehlung für dieses großartige Buch. ❤️

Bewertung vom 24.06.2024
Malnata
Salvioni, Beatrice

Malnata


sehr gut

»»Die Leute geben ihr diesen grausamen Namen«, fuhr er fort […]. »Sie hat ihn immer wie eine Rüstung getragen. Sie ist ein stolzes, starkes Mädchen. Was andere sagen, kümmert sie nicht. Und das ist heutzutage das Einzige, worauf es ankommt.«« (S. 132) 💔

Monscia in der Lombardei, 1935. Die behütet, im gutsituierten, katholischen, strengen Elternhaus aufgewachsene Francesca soll vor allem eins sein: Ein braves Mädchen, das sich fügt, schön und still ist. Ihr Leben lang hat sie daran geglaubt, bis ihr Weltbild durch ihre neue Freundin ins Wanken gerät. Sie lernt die ein Jahr ältere Maddalena, die von allen Malnata [‚Die Unheilbringende‘] genannt wird, kennen 🍒 und mit deren beiden Gefährten Filippo & Matteo ein ganz neues Leben:

»Jetzt, wo ich mit den Malnati zusammen war, die ich früher nur aus der Ferne beobachtet hatte, schien es mir, als würde die Welt bei ihnen beginnen. Als würde mein Leben noch einmal von vorne anfangen.« (S. 87)

Sie verbringt einen ‚idyllischen‘ Sommer mit diesem Trio, und findet in Maddalena ihre erste Freundin.💘 Trotz dieser schönen Momente, passieren sehr schlimme Dinge. 🍊🦎🐈‍⬛ Dabei lernt Francesca mit Maddalena sich gegen Regeln aufzulehnen, aus dem starren Erwartungen des Patrichariats auszubrechen und zu sich selbst zu stehen. Schnell wird deutlich, wie hart das Leben zu Maddalena war und, dass die Gesellschaft diejenigen abstraft, die vermeintlich Leid und Unglück bringen — insbesondere, wenn sei weiblich, rebellisch, eigenwillig, kritisch sind, sich nicht an Regeln halten und Gerechtigkeit fordern.

»»Ich hätte es nicht für möglich gehalten.« [Francesca] — »Was?« [Maddalena] — »Dass man sich auflehnen kann«, antwortete ich. »Das habe ich von dir gelernt.«« (S. 174) 👯‍♀️

»Malnata« von Beatrice Salvioni (übersetzt aus dem Italienischen von 🇮🇹 Anja Nattefort) zeichnet sich durch den rauen Ton, Gewalt sowie das historische, faschistische Setting, aber auch die Lichtblicke durch Freundschaft & Liebe aus.💔❤️‍🔥 Der Roman hat mich gefesselt und ich habe das Buch förmlich verschlungen 🥵💔 Es ist ein absoluter Pageturner 💥, dennoch passen einige Dinge nicht ganz zusammen:

⠃Das Alter der beiden Protagonistinnen finde ich mit ca. 12-14 deutlich zu jung für die beschriebene Geschichte, Konversationen & Entwicklungen. Sicherlich muss man das Setting im faschistischen Italien im Jahre 1935 dabei berücksichtigen, und ebenso die harten Schicksalsschläge, die Maddalena sicherlich haben älter und eigenständiger werden lassen, als vergleichsweise Gleichaltrige. Dennoch war dies nicht für mich in sich nicht stimmig.

🇮🇹 Der völkerrechtswidriger Angriffs- und Eroberungskrieg des faschistischen Königreichs Italien gegen das Kaiserreich Abessinien (Äthiopien) in Ostafrika (03.10.1935-05.05.1936) hätte m.E. nach geframed und zumindest in einem Nachwort erläutert werden sollen.

🗯️ Dasselbe gilt für mich für die wiedergegebenen faschischten Parolen, die zwar durch Malnatas Kommentar kritisiert werden. Insgesamt ist Malnata aber die einzige Figur, die in diesem Setting die politische Lage und Faschismus kritisiert und again ist dies für das Alter ebenfalls sehr fragwürdig, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Bildung sowie der Umstände ihrer Familie. Durch Francescas Vater wird allenfalls deutlich, dass es Mitläufer*innen gab. Das historische Setting ist für mich daher ausbaufähig, wobei ich natürlich verstehe, dass dies nicht der Fokus der Story war. Dennoch frage ich mich, warum genau dieses Setting gewählt worden ist

💎 Die im Vordergrund stehende feministische Freundschafts-Coming-of-Age Story ist — vor dem Hintergrund der genannten Kritikpunkte 🤏🏼 — wirklich sehr stark, eindringlich, fesselnd erzählt. Eine Hymne an die Freundschaft, die gemeinsam für Gerechtigkeit kämpft und das Beste aus allen zuvorbringt und wachsen lässt.

Alles in allem habe ich den Roman sehr gerne gelesen.💛 Ich kann den Roman unter Berücksichtigung der CN (*) und der genannten Kritik sehr empfehlen — er ist und bleibt ein krasser Pageturner mit starken, authentischen Figuren und großartiger Kritik am Patrichariat. 🔥🖤

Highlight waren für mich Diamanten Sätze 💎 wie: »Eine erwachsene Frau zu sein, bedeutete, einem Mann, wenn er sagte: »Du gehörst mir«, in die Augen zu sehen und ihm zu antworten: »Ich gehöre niemandem.«« (S. 250) 🔥🔥🔥

[* CN: s3xueller Missbrauch, Gewalt, Suizid, Misogynie, Tod]

Bewertung vom 18.06.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


gut

Nach ihrem vielfach ausgezeichneten und übersetzten Bestseller »Der Gesang der Berge« verdichtet die Autorin Nguyễn Phan Quế Mai auch in ihrem neuen Roman historische Ereignisse aus der Zeit des Vietnamkriegs zu einer eindrucksvollen und berührenden Geschichte.

»Wo die Asche blüht« (übersetzt aus dem US-Amerikanischen »Dust Child« von Claudia Feldmann) arbeitet mit drei Erzählsträngen auf zwei Zeitebenen und erzählt von Amerasier*innen und dem Vietnamkrieg am Beispiel der fiktiven Geschichte der beiden Schwestern Trang und Quỳnh im Vietnam 1969. Als junge Frauen gehen die beiden Schwestern nach Saigon, um als Barmädchen schnelles Geld an den Amerikanern zu verdienen und den Eltern aus den Schulden zu helfen sowie Geld für die eigene Zukunft und Bildung zu sparen. Für viele junge Frauen entpuppte sich diese Arbeit in den Bars anders, als zunächst angenommen und führte zu

Parallel zu diesem Erzähl- und Zeitstrang wird zum einen die Suche von dem Mann Phong beschrieben, der als Kind einer Vietnamesin und eines ehemaligen GIs, der in einem Waisenhaus aufwuchs, und seinen Vater sucht, um in die USA auswandern zu können. Zum anderen wird die Rückkehr eines amerikanischen Veterans nach Vietnam erzählt, der sich damit nicht nur seinen inneren Dämonen und Kriegstraumata stellen muss, sondern auch seiner Vergangenheit und Verantwortung.

Bereits mit ihrem Debütroman hat Nguyễn Phan Quế Mai gezeigt, was für eine großartige Erzählerin sie ist und wie gekonnt sie historische Ereignisse und Vergangenheit in einem fiktionalisierten Kontext einem großen Publikum zugänglich macht. Auch in ihrem zweiten Roman liest sich klar heraus, über was für ein umfangreiches Fachwissen die Autorin verfügt (sie hat hierzu ebenfalls promoviert!). Dennoch hatte dieser zweite Roman einige Längen für mich und war mir etwas zu vorhersehbar. Nichtsdestotrotz behandelt dieser Roman wichtige Themen, die viel zu wenig Beachtung finden, sehr gut und ich mag die Art des Schreibens sehr.

Insgesamt eine klare Leseempfehlung für den neuen Roman der Autorin, auch wenn mir das Debüt noch besser gefallen hat. ❤️

P.S.: Schade finde ich, dass das Cover im Original so viel schöner und passender ist, als die deutsche Version. (Dies war beim Vorgänger ebenso.)

[3.5/5 ★ ]