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wasserklaenge

Bewertungen

Insgesamt 28 Bewertungen
Bewertung vom 28.01.2024
Notizen zu einer Hinrichtung
Kukafka, Danya

Notizen zu einer Hinrichtung


sehr gut

Ansel Packer sitzt im Gefängnis. In wenigen Stunden soll er hingerichtet werden. Doch daran will er nicht glauben. Er hat einen Plan, er glaubt daran, dass er der Justiz mit Charme und Intelligenz irgendwie doch noch ein Schnippchen schlagen kann. Doch was hat er überhaupt getan, dass er mit dem Tode bestraft werden soll?

Danya Kukafka erzählt Packers Geschichte zu großen Teilen anhand bestimmter Frauen. Allen voran die seiner Mutter, die ein plastisches wie erschreckendes Bild von Ansels Geburt und seinen ersten Jahren zeichnet. Ansel selbst spielt dabei nie die Hauptrolle. Dafür sind die verschiedenen Frauenfiguren umso gelungener. Kukafka haucht ihnen gekonnt Leben und Persönlichkeit ein.

Auch ergeht sich Kukafka nicht im Warum und Wie der blutigen Taten Packers, sondern beschreibt vielmehr deren Auswirkungen auf andere Menschen. Sei es die Schwester eines Opfers, Verwandte des Täters oder die ermittelnde Beamtin. Auch die Zukunft, die die toten Frauen nie hatten, wird auf zarte und berührende Weise wiedergegeben. Und nebenbei wird noch ganz ohne Moralkeule die Sinnhaftigkeit der Todesstrafe in Frage gestellt. Kukafka hat sich viel vorgenommen, aber sie hat auch geliefert!

Der Roman liest sich locker weg, ist mal etwas derb, mal bedächtig und mal berührend. Gegen Ende war es mir stellenweise ein klein wenig zu sehr in die Länge gezogen aber über die größten Teile der Geschichte entwickelt sich ein regelrechter Lesesog. Wer einen Mix aus Roman und Krimi sucht der Substanz hat, tolle Figuren und Spannung ganz ohne blutige Mordszenen bietet, der sollte hier definitiv zugreifen!

Bewertung vom 04.01.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Bei Jack und Elisabeth scheint es Liebe auf den ersten Blick zu sein. Obwohl sie aus komplett unterschiedlichen Verhältnissen kommen – sie aus reichem Hause mit eingetrichtertem Perfektionismus und cholerischem Vater, er aus der bäuerlichen Abgeschiedenheit der Prärie, ohne Geld, dafür mit stets unzufriedener Mutter - scheinen sie ineinander die große Liebe gefunden zu haben. Beide sind zum studieren nach Chicago gekommen, beide vor ihrem erdrückenden Elternhaus geflohen und beide entdecken nun die aufblühende Kunstszene und Subkultur Chicagos.

Doch nun sind bald 20 Jahre vergangen, das Chicago ihrer Jugend gibt es nicht mehr und auch die Liebe scheint sich irgendwie verflüchtigt zu haben. Zwischen Kindererziehung, Herausforderungen im Job, falschen Freunden, Geldsorgen und Alltag kann man sich schon mal verlieren. Neben der mal witzigen, mal frustrierenden Analyse des Innenlebens der beiden Hauptfiguren schlägt Hill den Bogen zu psychologischen Themen von Kindererziehung bis Placebos, zum Facebook-Algorithmus und Verschwörungstheorien, zu Kunst, offenen Beziehungen und einem Loblied auf die unterschätzte amerikanische Prärie. Ich mochte diese Ausflüge gerne und fand Hills Herangehensweise sehr unterhaltsam, – zumal die Themen immer direkt mit Jacks oder Elisabeths Leben verbunden waren – wer aber wer kein Freund von dieser Art Abschweifungen ist, könnte hier mitunter etwas ungeduldig werden.

Über Jack und Elisabeth könnte man sich manchmal die Haare raufen, dann erfüllen sie einen wieder mit Mitleid und Sympathie. Besonders die Geschichten aus ihrer jeweiligen Kindheit sind bedrückend, dafür lässt sich über manche Eskapade ihres Erwachsenenlebens gut schmunzeln. Hill zeigt auf subtile Art, dass alles zwei Seiten hat und dass man sogar mit sich selbst nicht immer ganz ehrlich ist.

Mich hat „Wellness“ insgesamt sehr gut unterhalten! Es war treffend und mitreißend, mal wunderbar absurd, mal lebensnah, einfühlsam und bedrückend. Eine lebendige Geschichte, ausschweifend aber nicht geschwätzig, bei der mir besonders die Entwicklung Jacks und Elisabeths sehr gefallen hat. Ein toller Start ins Lesejahr 2024!

Bewertung vom 22.09.2023
Zeiten der Langeweile
Becker, Jenifer

Zeiten der Langeweile


ausgezeichnet

Die meisten Menschen u40 werden das kennen: Man verbringt teilweise Stunden mit sinnlosem Scrollen durch den Instagram Feed. Ein Katzenvideo folgt aufs nächste und plötzlich hat man viel mehr Zeit am Bildschirm verdaddelt, als man eigentlich vorhatte. Oder es gehen Stunden und Tage dafür drauf, dass man auf diversen Streaming-Plattformen Staffelweise Serien binged. Wer hat da nicht auch schonmal darüber nachgedacht, sich von sämtlichen Social-Media-Plattformen abzumelden und seine Zeit endlich wieder mit etwas Sinnvollem zu füllen?!

Der Hauptfigur und Ich-Erzählerin Mila geht das ähnlich. Allerdings geht es ihr weniger um Sinnhaftigkeit, als um die diffuse Angst davor, wegen irgendetwas gecancelt zu werden, was sie irgendwann mal online veröffentlicht hat. Was genau das sein soll kann sie auch nicht sagen aber man weiß ja nie. Mila fängt klein an und löscht Facebook und Instagram. Aber dort hört sie nicht auf. Immer weiter geht sie mit ihrer Sucht danach aus der Onlinewelt zu verschwinden und wird immer manischer – und immer einsamer. Und auch ein wirklicher Mehrwert in Milas Leben will sich durch den Verzicht einfach nicht einstellen.

Mir hat der Roman von Anfang bis Ende richtig gut gefallen! Jenifer Becker beschreibt exakt, was Social Media für meine (Millenial) und die folgende Generation bedeutet, wie ihr Konsum aussieht und was für Sorgen damit einhergehen. Dazu beschreibt sie die Zeit nach 2020 so realistisch und lakonisch nebenbei, wie ich es noch in keinem anderen Roman gelesen habe: Die Sorgen, die von einem großen Thema aufs nächste sprangen - Impfungen, Krieg, Inflation – das Leben aber eigentlich nur peripher berührten.

Ebenso gelungen fand ich Milas langsame aber stetige Steigerung in ihrer Online-Paranoia. Mila ist keine Sympathieträgerin. Mila kann einen verrückt machen beim lesen. Ich war oft nicht ihrer Meinung und habe mich stetig gefragt, was sie eigentlich will. Aber trotzdem fand ich die Entwicklung, wie Becker sie beschreibt absolut realistisch und ihre Gedanken durchaus valide.

Becker gibt einem in diesem Roman viel zum Nachdenken mit. Sei es über Privatsphäre, Konsumverhalten, Sinnhaftigkeit, Freundschaft und einiges mehr. Lösungen und Antworten muss man selbst finden. Ich bin jedenfalls durch diesen Roman geflogen und finde ihn besser, je länger ich darüber nachdenke. Langweilig fand ich ihn überhaupt nicht! Es hilft aber definitiv, wenn man sich auskennt in der Onlinewelt, mit ihrer Sprache und ihren Themen.

Für mich war es ein düsteres, trotz seiner Langsamkeit mitreißendes, wirklich kluges und rundum gelungenes Leseerlebnis! Große Empfehlung!

Bewertung vom 19.07.2023
Seemann vom Siebener [Ungekürzt] (MP3-Download)
Frank, Arno

Seemann vom Siebener [Ungekürzt] (MP3-Download)


ausgezeichnet

Es wird wohl der letzte heiße Tag in diesem Sommer und dementsprechend schnell füllt sich das Freibad in Ottersweier, einem kleinen Ort in der Pfalz. Unter dem Badegästen sind zum Beispiel Josefine und Lennart, die schon als Schüler von genau diesen Türmen ins Wasser gesprungen sind, die das Leben aber in die weite Welt hinausgeführt hat – und in Josefienes Fall auch wieder zurück von der Wiener Uni auf den elterlichen Pferdehof. Nun führt eine Beerdigung die alten Freunde wieder zusammen, auf die sie beide eigentlich gar nicht gehen wollen.

Auch die alte Trautheimer zieht gemächlich ihre Bahnen. Ihr Mann hat damals das Freibad gebaut und sie hat im Ort als Lehrerin gearbeitet. Auch Josefine und Lennart hat sie unterrichtet. Damit ist aber schon seit einigen Jahren Schluss und nun ziehen immer wieder lebendige Erinnerungen an Vergangenes an ihr vorbei und holen sie aus der Realität, in der sie nicht mehr all zu viel zu halten scheint.

Herz und Seele des Freibads ist der Bademeister Kiontke, der sich mit Ruhe und Beständigkeit um alles kümmert, was halt so anfällt. Doch seit einiger Zeit machen sich die Leute Sorgen um ihn. Denn da gab es diesen Vorfall, den man eigentlich nicht einfach so wegstecken sollte, wie es Kiontke offenbar tut. Jedenfalls ist seitdem der Siebener gesperrt. Und genau auf diesen Siebener hat es heute ein Mädchen abgesehen, die unbedingt mit etwas abschließen muss.

Ich bin ganz begeistert von dieser Geschichte, die nicht nur mit einer absolut gelungenen Freibad- und Sommerstimmung überzeugt, sondern auch noch mit ihren authentischen Figuren und den leise miteinander verflochtenen Storys der Badbesucher.

Die typischen Freibaddetails, die Arno Frank immer wieder einfließen lässt, - der heiße Beton, die Sitz-Tribühne vor den Sprungtürmen, der Bannkreis um dem Spielplatz, der „Feldherrenblick“ vom Eingang aus nach dem besten Platz, die Bienengefahr und vieles mehr - haben mich krass an die vielen Freibadbesuche meiner Kindheit erinnert. Und mir Details ins Gedächtnis gerufen, an die ich wohl jahrelang nicht mehr gedacht habe.

Die absolut stimmige Atmosphäre in Verbindung mit den Nachwirkungen zweiter tragischer Ereignisse, deren Fäden an diesem einen Tag zusammenlaufen, war absolut perfekt. Genauso, wie die Figuren, die mir in der kurzen Zeit gleich ans Herz gewachsen sind. Ein bisschen schrullig, ein bisschen eigen, ein bisschen kaputt: Wunderbar!

Bewertung vom 16.07.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


weniger gut

Alex hat Glück gehabt: Als ihr Leben gerade so richtig den Bach runterging, hat sie Simon kennengelernt. Er ist über 50, sie 22 und offenbar hat sie bei ihm die richtigen Knöpfe gedrückt. Denn nun wohnt sie mit ihm in seinem Sommerhäuschen im den Hamptons und vertrödelt ihre Tage mit baden im Meer oder baden im Pool oder damit, sich hübsch zu machen für ihren Gönner. Doch nach einem Fehltritt ist Simon ihrer plötzlich überdrüssig und setzt sie vor die Tür. Und so irrt Alex ohne Geld und ohne Plan durch die Reiche-Leute-Viertel der Insel und versucht die Tage bis zu Simons Labor Day Party herumzukriegen, in der irrationalen Hoffnung auf eine Versöhnung.

Ok. Ich glaube, ich habe selten einen Roman gelesen, in dem man die Figuren so wenig kennenlernt, wie in diesem hier. Alex Vergangenheit bleibt unscharf. An viele ihrer Bekanntschaften erinnert sie sich selbst nur vage. Dom, dem sie noch Geld schuldet, bleibt ein substanzloses Phantom. Simons reiche Freunde sind blutleere Platzhalter. Alex Bekanntschaften sind durchweg oberflächlich, ihr einziger Beweggrund mit Leuten zu interagieren ist Egoismus oder Bedürftigkeit. Sie braucht Geld, Essen, einen Schlafplatz oder Sicherheit. Diese Oberflächlichkeit spiegelt zwar Alex Leben wieder, aber über das „Warum“ schweigt sich Cline aus. Das war mir zu dünn.

Eine vage, planlose, zufällige Begegnung führt zur nächsten. Bis Alex es wieder verbockt und weiterzieht. Das fand ich relativ bald langweilig und belanglos. Es passiert einfach nichts! Niemanden kommt man nahe, alles wiederholt sich und alles ist irgendwie egal.

Mit diesem Roman habe ich mit Emma Cline abgeschlossen. Den guten Eindruck, den „The Girls“ hinterlassen hat, hat sie mit „Daddy“ und „Die Einladung“ verspielt. Auf noch eine Enttäuschung habe ich keine Lust!

Bewertung vom 05.04.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


sehr gut

Für eine junge Frau Anfang 20 hat Tilda wirklich eine Menge Probleme. Neben dem Studium jobbt sie an der Supermarktkasse. Ihren Freunden aus der Schulzeit schaut sie dabei zu, wie diese Weltreisen machen oder ans Meer fahren, nach Berlin ziehen oder ins Ausland, nächtelang feiern gehen und sich von einer Romanze in die nächste stürzen. Doch Tilda hat für all das keine Zeit, geschweige denn Geld. Sie muss sich schließlich um ihre kleine Schwester Ida kümmern, denn ihre Mutter kann das nicht. Ihre Mutter ist Alkoholkrank und hat in Summe mehr schlechte als gute Tage. Die Mädchen sind an eine Mischung aus Chaos, Gehässigkeit, Teilnahmslosigkeit, Abwesenheit und manchmal auch Gewalt gewöhnt. Doch die Situation ändert sich, als Tilda eine Promotionsstelle in Berlin angeboten bekommt. Die Stelle ist ein Traum, doch dafür müsste sie Ida allein bei ihrer Mutter zurücklassen und sie weiß nicht, ob das Mädchen dafür schon bereit ist.

Besonders hat mir in diesem Roman die Beziehung zwischen den beiden Schwestern gefallen, die so früh schon selbstständig sein mussten und mehr oder minder nur sich hatten. Über Idas Kreativität und den langsamen Weg heraus aus ihrem Schneckenhaus zu lesen, fand ich sehr schön.

Da der Roman aus Tildas Perspektive erzählt ist, und sie viele ihrer Gefühle von sich wegschiebt, wirkt er ein wenig nüchtern und sprachlich eher reduziert. Das passt natürlich ausgesprochen gut zu Tilda, die früh gelernt hat misstrauisch zu sein und sich Sorgen zu machen, lässt aber auch weniger Emotion zu. Dafür sind die Momente, in denen Tilda mal loslässt und glücklich ist umso berührender.

Ein paar Dinge fand ich aber irgendwie unlogisch, beziehungsweise nicht richtig auserzählt. Wer beispielsweise ist Ursula, auf die Tilda bei fast jedem ihrer Schwimmbadbesuche trifft? Eine Freundin, eine Bekannte, eine Mitarbeiterin des Schwimmbades? Ursula steht wie ein NPC in einem Videospiel immer im Schwimmbad für ein Pläuschchen mit Tilda bereit. Außerhalb davon taucht sie nie auf oder wird auch nur erwähnt. Auch, woher sie sich kennen ist unklar.

Dann fand ich es etwas befremdlich, dass das Alkoholproblem von Tildas Mutter ein offenes Geheimnis ist aber sowohl Tilda, als auch Ida damit vollkommen allein gelassen werden. Dabei war Tilda als Kind Dauergast bei der Familie ihrer (sogenannten) Besten Freundin Marlene. Ist es traurige Realität, dass von dort nie ein Hilfsangebot kam, obwohl Tilda offensichtlich Probleme hatte und irgendwann auch noch ein Säugling dazu kam? Hat keiner der Lehrer, Ärzte, Nachbarn oder Freunde jemals irgendetwas unternommen? Ich hoffe sehr, dass diese krasse Nachlässigkeit nicht der Realität entspricht.

22 Bahnen ist ein traurig-schöner Roman über zwei Schwestern, die sich ihre kleinen Freiheiten erkämpfen. Caroline Wahl hält den Leser durchweg bei der Stange, was die Nebenfiguren angeht, wäre meiner Meinung nach aber noch Luft nach oben. Wer Comming-of-Age Geschichten mag und nichts gegen einen etwas nüchterneren Stil hat, wird an diesem Roman sicher seine Freude haben!

3,5*

Bewertung vom 19.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


weniger gut

Luise wächst auf dem weitläufigen Anwesen ihrer reichen Großmutter auf und ist der unbestritten Liebling der Matriarchin. Auch scheint sie die einzige zu sein, die sich dort wirklich wohlfühlt. Ihre Mutter, obwohl selbst bildhübsch, passte noch nie in die Welt der Reichen und Schönen. Luises Tante und Cousine hat der Hang zum Perfektionismus der auf dem Abwesen herrscht schon in die Stadt vertrieben und ihre Schwester Leni wurde ins Internat ausgelagert. Als nun die Großmutter stirbt, treffen all diese Frauen bei der Beerdigung aufeinander und alte Animositäten und Rivalitäten brechen wieder auf.

Mir hat besonders die Stimmung zu Beginn des Romans gefallen: Ein heißer Sommer, Luises Kindheit, eine Familie die offenbar viel Geld hat aber diverse Probleme totschweigt, eine Selbstmörderin im See. Vielversprechend. Doch leider konnte der Roman für mich die zu Beginn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.

Ich habe letztlich nicht verstanden, was nun das Problem dieser Familie war. Warum war Luises Großmutter so herrisch und in der Verteilung ihrer Gunst so selektiv? Was war mit den Männern beziehungsweise wo waren sie denn nun? Warum redet niemand in dieser Familie offen miteinander? Und was soll der Aufhänger mit den toten Frauen im See, wenn diese nicht mehr als eine makabere aber folgenlose Kindheitserinnerung Luises waren?!

Auch die fehlende Entwickling der Figuren, die ich schon in Reichs Vorgängerroman "34 Meter über dem Meer" kritisiert habe, hat mich hier wieder gestört. Jede bleibt, wie sie war. Selbst Luise ist von dem Mädchen vom Beginn nicht weit entfernt. Und das obwohl weit mehr als 10 Jahre vergangen sind! Ohne Entwicklung und mit spärlichen, meist unkonkreten Einblicken in die Vergangenheit wirkte die Geschichte belanglos.

Gut fand ich allerdings die Beschreibung der Diskrepanz von Erinnerung. Wie Luise sich beispielsweise an Dinge aus ihrer Kindheit anders erinnert als ihre Mutter oder ihre Cousine. Oder wie sie selbst bemerkt, dass die eine oder andere ihrer Erinnerungen so nicht ganz stimmen kann, obwohl sie sich der Dinge so sicher war.

"Männer sterben bei uns nicht" hat mich trotz guter Ansätze und wunderbarer Aufmachung letztendlich nicht erreicht. Zu starr und zu schwammig war mir die Geschichte. Etwas mehr Substanz, mehr Handlung und weniger Andeutungen hätten dem Roman gut getan. So war es recht enttäuschend.

2,5*

Bewertung vom 17.07.2021
In diesen Sommern
Hecht, Janina

In diesen Sommern


sehr gut

In Janina Hechts Debütroman begleiten wir die Ich-Erzählerin Teresa in kurzen Kapitel von ihrer Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter. Stimmungsvolle Erinnerungsbruchstücke aus den Sommern ihrer Kindheit fügen sich zu einem groben Portrait ihres zunehmend alkoholkranken Vaters.

Besonders am Anfang des Romans schafft es Janina Hecht mit vielen kleinen Details Erinnerungen an die eigene Kindheit heraufzubeschwören. Spaghettieis, der Chlorgeruch des Schwimmbads oder Besuche bei den Großeltern. Überschattet ist diese sommerliche Nostalgie aber immer auch mit düsteren Erinnerungen an den Vater. Um ihn schleicht die ganze Familie sprichwörtlich auf Zehenspitzen herum. Ist er heute gut drauf? Wird es Streit geben oder bleibt er ruhig? Hat er wieder zu viel getrunken?

"Dieses eigenartige Befremden, das sich bis heute in mir ausbreitet, wenn ich eine Familie besuche, die sich so verhält. Wenn niemand im Zentrum steht und alle mit sich selbst beschäftigt sein dürfen." Seite 90

Es ist beklemmend, was die junge Teresa erleben muss. Wie sie versucht zumindest den kleinen Bruder zu beschützen, bis sie irgendwann das stille Ertragen der Mutter nicht mehr aushält und flüchtet.

Da Teresa im Laufe des Romans älter wird, verliert sich leider irgendwann zwangsläufig der Kindheitssommerton. Das fand ich schade, denn ich mochte ihn gerne und bin mit dem eher nüchternen Erzählton der jungen Teresa besser zurecht gekommen, als mit dem der älteren.

Mit "in diesen Sommern" ist Hecht ein stimmungsvoller wie trauriger Roman über das Erwachsenwerden gelungen. Mit Liebe und Wut lässt sie Teresa von ihrer Kindheit erzählen und zu der Erkenntnis kommen, dass man letztlich niemanden wirklich so genau kennt, wie man dachte. Trotz schwerem Thema ein schöner kleiner Roman mit Nostalgiefaktor, der mit seine besonderen Beobachtungsgabe besticht.