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easymarkt3
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Insgesamt 807 Bewertungen
Bewertung vom 27.12.2024
Die Flucht
Nakamura, Fuminori

Die Flucht


gut

Zu viel des Guten in diesem Roman
Der japanische Journalist Kenji Yamamine kommt durch den Besitz der legendären Trompete auf seiner Recherche und Flucht durch viele Länder. Auf den fast 600 Seiten geht es aber auch um historische, detaillierte Fakten zur Christenverfolgung in Urakami, Japan, um seine Verbindungen zu umliegenden Ländern und zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Mit der rätselhaften Geschichte um diese Trompete verknüpft ist Japans Einsatz im 2. Weltkrieg und sein verlorener Kampf gegen die USA in Vietnam. Weiterhin werden die Judenverfolgung im Nazi-Deutschland mit seinen Konzentrationslagern, die Folgen der Atombombenabwürfe der USA, Grausamkeiten wie brutalen Vergewaltigungen von Frauen in Kampfgebieten, Trostfrauen in Bordellen ausführlich thematisiert. Auch die illegalen Praktiken japanischer Vermittlungsagenturen der Gegenwart werden beschrieben: Junge Menschen wie Anh aus Vietnam und von den Philippinen werden wie Austauschstudenten zum Sprachstudium angeworben, landen jedoch oft illegal finanziell verschuldet z.B. in Hostessenclubs.
Die Gesellschaftskritik des Autors wendet sich ebenso zu Japans Vergangenheit, aber auch zu negativen Tendenzen in den sozialen Medien, in der Regierungspolitik und zum bedrückenden Einfluss religiöser Sekten. In Zeitsprüngen entwickelt sich parallel die Legende um diese wiedergefundene Trompete mit dubioser Verfolgungsjagd, die Liebesgeschichte mit Anh, das Kriegschaos gegen die Übermacht USA und die innerstaatliche politische Rechtswendung.
Berichtet wird zunächst aus der Perspektive des jungen Kenji, wechselt zu der Perspektive des Musikers und Soldaten Suzuki, auch zu der von Anh. Insgesamt sind besonders die historischen Informationen interessant, lassen aber im Gesamtrahmen mit offenem Ende den roten Faden vermissen.

Bewertung vom 24.12.2024
Das dünne Pferd
vor Schulte, Stefanie

Das dünne Pferd


gut

Rätselhafte Weltuntergangsstimmung
Das Cover enthüllt beim näheren Hinschauen eine Frau in wehender, luftiger Bekleidung an grünem Aufstieg stehend – kein Bezug zum Buchtitel, eher zur Hauptfigur erkennbar. Die Gesamtszenerie ist unwirklich, düster, dem Weltuntergang nahe mit Cowboys und sonstigen skurrilen Figuren. Thematisch wird die Dominanz der Männer angesprochen und der stille Aufwachprozess der sich solidarisierenden Frauen. Mit Aria Schulman, der jungen Krankenschwester aus dysfunktionaler, armer Familie stammend, verwandelt sich mit ihrer unendlichen Energie und Strahlkraft der Bus und auch das Badehotel in Einstadt zu einer Zufluchtsstätte, zu einer Arche für 15 Kinder und Frauen. Sie kämpft gegen Gleichgültigkeit, Gewalttätigkeit und Leere an, zeigt viel Verantwortungsbewusstsein und leidet am Helfersyndrom. Die Bedeutung des dünnen Pferdes bleibt etwas unklar in dieser Endzeitstimmung. Der Schreibstil gefällt mit viel Freiraum für Interpretation.

Bewertung vom 23.12.2024
Trauriger Tiger
Sinno, Neige

Trauriger Tiger


gut

Aufarbeitung einer von sexueller Gewalt geprägten Kindheit
Das Cover zeigt ein weibliches Teenie-Gesicht, halb im Wasser lauernd wie ein Tiger, der auch gut im Element Wasser klarkommt Wird der Tiger im Buchtitel hier als Metapher für Stärke und Mut verwendet oder eher als Symbol für Angst, vielleicht für Bedrohung?
Warum es so schwer ist, in der eigenen Familie über wichtige Dinge wie Kindsmissbrauch zu sprechen, wird vielseitig beleuchtet. Ein solches Vergehen belastet und zerstört im Anklagefall die ganze Familie Sinno, das Dorf, Freundschaften etc. In zwei Kapiteln geht es zunächst um Ihr Familienleben in bescheidenen, für Neige traumatischen Umständen des sexuellen Missbrauchs. Im zweiten Kapitel dreißig Jahre später folgen Überlegungen zu ihrem Trauma als vergewaltigte Person. Als außenstehende, nicht selbst Betroffene vermag man wenig dazu zu sagen, erst recht nicht das Geschriebene hier zu bewerten. Dass man für sein ganzes Leben seelisch beschädigt sein kann/muss, ist sehr gut vorstellbar nach solchen Kindheitserfahrungen. Die Botschaft ist angekommen: Alles, was uns widerfährt, anzusprechen – denn nur das macht uns stark.
Dieser Roman mit so vielen Zitaten aus der anglophonen Literatur, mit literarischen Analysen und philosophischen Ansätzen wirkt ermüdend.

Bewertung vom 22.12.2024
Die Schattenmacherin
Gollackner, Lilly

Die Schattenmacherin


gut

Eine Welt ohne Männer, die funktioniert oder eben auch nicht.
Das Machtkampfdrama unter Frauen zwischen der jungen Nachfolgerin Ania und der einstigen Trümmerfrau Ruth, 70, jetziger Führerin einer Welt ganz ohne Männer spült tödliche Geheimnisse ihrer Amtszeit ans Tageslicht. In Rückblicken geht es um vergangene Kriegs-und Aufbauphasen unter männlicher Regentschaft, um Klimaveränderungen und um eine Seuche, nur. Männer dahin raffend. Das Jahr 2068 ist geprägt von Wasser- und Nahrungsrationierung unter sengender, tödlicher Sonneneinstrahlung. Mit derzeit 283469 nur weiblichen Personen ist das Zusammenleben durch ein starkes Reglement geprägt. Das patriarchale System wird als sehr problembehaftet voran gestellt, doch auch unter Frauen kommt es durch Ruth zu Machtmissbrauch, zur Verletzung der Regeln ohne bisherige Konsequenzen für sie. Die Nachfolgerin Ania strebt eine Neuordnung der Gesellschaft an. Inwieweit es unter einem reinen Frauenregime tatsächlich gerechter hinsichtlich Ressourcenverteilung, Bildungs- und Arbeitsmarktchancen etc. zugehen würde, kann man hier nur spekulieren, regt zum Nachdenken an. Zweifel bestehen auch, ob Machtmissbrauch, Gewalt und Unterdrückung tatsächlich nur ein männliches, anerzogenes oder angeborenes Phänomen sind. Viele Thematiken werden angeschnitten mit viel Interpretationsspielraum.

Bewertung vom 20.12.2024
Country Place
Petry, Ann

Country Place


sehr gut

Ein sehr realistisches Porträt einer fiktiven Kleinstadt in Neuengland, USA um 1947
Kleine Alltagsdramen im Leben der größenteils weißen Bevölkerung mit all ihren engstirnigen Vorurteilen nicht nur Fremden gegenüber, ihrem Klatsch, ihren moralischen, religiösen und rassistischen Einstellungen. Während den Nebenfiguren - dem portugiesischen Gärtner, der schwarzen Hausangestellten und dem Koch aus Osteuropa im Hause von Mrs. Gramby – gewisser Rassismus und ethnische Intoleranz entgegen schlägt, erzählen die Hauptpersonen von ihren Sehnsüchten, Frustrationen und Überlegungen. Besonders gilt es, die Prinzipien menschlichen Anstands und menschlicher Treue zu bewahren innerhalb dieser provinzstädtischen Gemeinschaft mit dem Kriegsveteran Johnnie Roane und seiner untreuen Frau Glory oder auch mit Mr. Mearns Gramby und ihrer ebenso untreuen, geldgierigen Mutter Lil. So wie Johnnies 2. Krieg den Weg für ihn frei gemacht hat für Wandel, so verkörpert dieser Sturm über der Stadt ebenso einen Wandel unter Aufdeckung bisheriger Geheimnisse. Sind die männlichen Romanfiguren größenteils leicht manipulierbar, ohne Moral, beklagen die Frauen wie Johnnies Mutter und mehr noch Mrs. Gramby den moralischen Wandel, was in ihrem Testament dokumentiert wird, was übrigens auch Werte wie Treue, harte Arbeit, Einsatzbereitschaft unabhängig von Reichtum und sozialem Status belohnt. Insgesamt gefallen die Figurenzeichnungen, die authentisch wirkenden Dialoge und die gelungene Kleinstadtatmosphäre.

Bewertung vom 19.12.2024
Die Horde des Windes. Band 3
Damasio, Alain;Henninot, Éric

Die Horde des Windes. Band 3


gut

Auch als Science-Fiktion-Comic in Französisch und Deutsch erhältlich
Beschrieben wird in bildreichem Wortschatz ein sturmgepeitschtes Universum mit der 34. Horde, unter Führung des neunten Golgoth. Diese Gruppe ist vor mittlerweile siebenundzwanzig Jahren in Aberlaas, Fernstromab, aufgebrochen, ohne einen Blick zurückgeworfen zu haben. Google kennt Golgoth als den alten Gott des Winters , beschrieben als schwebender Schatten mit zwei leuchtend roten Augen. Der Autor Damasio verwendet in seinen Werken häufig Neologismen und Ausdrücke, mit denen er versucht, »dichte, bewohnte Wörter zu schaffen, die es den Menschen ermöglichen, sich zusammenzuschließen«. Beispiel dafür ist für mich Äolot. In dieser Fantasie- und Science-Fiktion-Welt leben Figuren wie die Aeromeisterin oder Luftwilderer, die mit weiteren Schutzkämpfern, Flügelstürmern und Geomeistern der Horde im laufenden Text mit Glyphen oder mit Großbuchstaben der griechischen Alphabets markiert sind. Sehr die eigene Fantasie anregend!

Bewertung vom 19.12.2024
To Die For
Gray, Lisa

To Die For


sehr gut

Geld regiert die Welt - spannend
Die Szenerie spielt im hochpreisigen Immobiliensegment von Los Angeles. Wie teils kriminell diese Branche mit ihren Maklern um das Traumhaus in Malibu mit eigenem Strand agiert, wird an fünf Protagonisten reflektiert, jeder mit eigener Motivation im Kampf um die 1 Million Provision. Die langsame, gut nachvollziehbare Aufdeckung vieler Geheimnisse - auch um eine Leiche – sorgt für reichlich Spannung. Während Jimmy Aribo und sein Partner Tim Lombardi vom Los Angeles County Sheriff’s Department bei der Aufklärung des Mordes nur eine nachrangige Rolle spielen, steht die Maklerin Andi Hart im Zentrum dieses Verkaufs-Wettbewerbs und im Mittelpunkt der Mordaufklärung. Thematisiert werden häusliche Gewalt und Konkurrenzkampf ohne Freundschaft und Vertrauen, einen realistisch wirkenden Einblick in diese Branche gewährend. Die Beschreibung dieser elitären, monetären Welt mit überraschendem, finalen Twist gefällt.

Bewertung vom 18.12.2024
Die Passagierin
Friedrich, Franz

Die Passagierin


sehr gut

Zeitreisen nach Kolchis
Die Szenerien spielen in Kolchis und den verschiedenen, mittlerweile abgewrackten Gebäuden des Sanatoriums, dem Bahnhof und dem Postamt. Das Zusammenleben in dieser seltsamen Gemeinschaft einiger Evakuierter verschiedener Zeitreisen wird besonders detailliert und eindrucksvoll beschrieben. Die Nebenfiguren bilden ein buntes Rahmengeflecht. In tief gehenden Dialogen, besonders zwischen den Hauptfiguren Heather und Matthias, geht es um allzeit gültige Gedankenspiele. Während er, aus Frankenhausen als Söldner aus dem tiefsten Mittelalter kommend, schuldbewusst über den damaligen schlimmen Ausgang des Bauernkrieges in Mitteldeutschland und Thomas Müntzer sinniert im Gespräch mit Heather aus Bad Schandau an der Elbe, die mit 15 Jahren vor 52 Jahren evakuiert wurde, geht es z.B. um das Nowikow-Gesetz, um das Wissen, diese verdrehte Vorstellung, aus der Knechtschaft der einen einen Vorteil zu ziehen, anstatt den Reichtum aller für alle zu nutzen oder die Katastrophe hier des Bürgerkriegs nicht einfach so hinzunehmen. Was sind die Gefahren von Zeitreisen? Wie ist es, z.B. aus deiner altertümlichen Zeit herausgerissen in eine weit entfernte Zukunft quasi gerettet zu werden unter Zurücklassung aller Güter und menschlicher Bezugspersonen? Verzweifelt man bei dem Gedanken, dass nicht alle evakuiert, gerettet werden können? Nicht jeder kommt in dieser neuen Welt an und möchte zurück, nicht nur um Schuldgefühle zu beruhigen. Der Sprachstil und die Figuren gefallen, auch wenn die erste Hälfte etwas langatmig ist.

Bewertung vom 15.12.2024
Brennende Felder
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Brennende Felder


gut

Eine etwas verwirrende, anfangs langatmige Lektüre.
Die Szenerie spielt größenteils in Rosental, einem Dorf in Oberösterreich. Im Zentrum steht Luisa Fischer mit ihrem unsteten Leben auch im Ausland. ihren Gedanken, ihrem Handeln, ihrem Empfindens auf die Außenwelt. Bauer und Landrat Ferdinand Goldberger und sein halbwüchsiger Sohn Anton mit autistischen Zügen bilden im zweiten Romanteil den soliden Sockel gegenüber Luisas dysfunktionaler Bauernfamilie im Nachbarort. In dieser ländlichen Idylle mit farbig beschriebenen Jahreszeiten, mit deftiger Jägerschaft und Überlebensproblemen der Landwirte als passender Rahmen entwickelt sich Luisas Kosmos zu einer extrem schwierigen Persönlichkeit. Ihrem Lebensschema der großen anfänglichen Anziehung zu einigen Männern folgt Alltag und Routine, Entfremdung und schließlich Abscheu und Hass – beschrieben mit überzeugenden erzählerischen Qualitäten.
In feinsten Nuancen und Verschiebungen in ihrem Gefühls- und Stimmungsleben ergeben sich aber auch nur vage beschriebene Schlüsselszenen wie z.B. Luisas Idee im Gespräch mit Katja, deren Scheidung von Jacob und Geldteilung oder im Keller zusammen mit Anton und auch den Twist im letzten Kapitel, die der Fantasie zwar freien Lauf lassen, aber den Leser vielleicht etwas ratlos zurücklassen.

Bewertung vom 13.12.2024
Die Projektoren
Meyer, Clemens

Die Projektoren


weniger gut

Eine Hommage an die ehemalige Filmindustrie in osteuropäischen Kriegsgebieten
Das in zwei Segmente unterteilte Cover zeigt im Schriftbild Perspektiven, farblich vor dem mehrschichtigen Hintergrund gut platziert – kreativ.
Mit 1056 Seiten ist dieser Roman sehr umfangreich. Beginnend in Annaberg-Buch im Erzgebirge geht die Zeitreise ins heutige Kroatien, nach Serbien etc., in Orte wie Novi Sad, Split, Belgrad oder ins Velebitgebirge. Stets spielen Projektoren, Filmvorführgeräte in Bioskopen, den Kinos vergangener Zeiten, eine wichtige Rolle neben der historischen Rückbesinnung auf endlose, verwirrende Kampfhandlungen der Partisanen zwischen deutschen, serbischen, kroatischen, russischen Soldaten etc. Auch auf die Helden der Projektoren wird Bezug genommen: Tarzan, Winnetou oder Old Shatterhand neben vielen Stummfilmkomikern. Auf den Autor Karl May, sein Leben und seine Erzählungen wird häufig zurückgegriffen. Wie das Leben eines jungen Meldegängers, Cowboy, in diesen Breiten durch den 2. Weltkrieg ausgesehen hat, wird mittels vieler Albträume bruchstückhaft unsortiert beschrieben. Der Inhalt folgt leider keiner linearen Abfolge, keinem roten Faden. Der Schreibstil, durchsetzt mit kroatischen Begriffen, teils mit langer Satzkonstruktion, ist anstrengend, auch stellenweise wirr. Man braucht robustes Durchhaltevermögen beim Lesen.