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GeSchwaetz

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2023
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


ausgezeichnet

Vom Zusammenwachsen des Schreibens mit dem Leben.
Wie viel autobiografisches der Autorin steckt in ihren Büchern? Eine der immer wiederkehrenden Fragen, die wir uns stellen. Wollen wir es wirklich wissen und wenn ja, wie befriedigend können Antworten darauf sein?
Judith Hermann hat sich für die Frankfurter Poetikvorlesungen darauf eingelassen und erzählt in einer klaren und authentischen Sprache vor allem „Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben.“
Auch Schreibende brauchen ihre privaten Schutzräume und so projizieren sie ihre Wünsche, Träume und Imaginationen auf ihre Figuren, die ein stellvertretendes, ein eigenes Leben entwickeln, in dem Wahres und Fiktives miteinander verwoben wird, so dass eine Symbiose von Leben und Schreiben entsteht, bei der man am Ende den Unterschied zwischen Erlebtem und Erdachtem nicht mehr benennen kann. Das muss man auch gar nicht, denn in der Literatur kommt es nicht auf die eine Wahrheit an, sondern auf Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit, auf das nachvollziehbare Gefühl, das vermittelt wird.
Das Geschichtenerzählen ist seit jeher in unserem Sozialleben tief verwurzelt. Welche Geschichte man wie erzählt, hat vor allem mit einem selbst, seinem Gegenüber und dem Augenblick, einem bestimmten Zeitpunkt im Leben, einem besonderen Anlass zu tun. Was man nicht direkt sagen kann, kleidet man in Geschichten, vor allem, wenn man einen der seltenen Momente verpasst hat, in denen man sich hätte alles sagen können.
Das Cover, ein Ausschnitt des Gemäldes „Squall“ des amerikanischen Malers Andrew Wyeth, vermittelt ein beruhigendes Gefühl, obwohl sich draußen über dem Meer ein Unwetter zusammenbraut. Eine wunderbare, fast poetische Metapher für das Zurückziehen an einen sicheren Ort, von dem aus man die Unbill der Natur beobachten kann, genauso wie man im stillen Zimmer ein Buch aufschlägt und sich lesend in die Welt des Schreibenden hinein begibt.
Ein anregendes, ein interessantes, ein empfehlenswertes Buch.

Bewertung vom 02.02.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


ausgezeichnet

Historische Geschichte im packenden Roman

Die Biografien vieler Menschen ähneln sich. Historische Geschichte und Familiengeschichten wiederholen sich ebenso wie Konflikte zwischen Menschen, Familien und Gesellschaften über viele Generationen immer wieder.
Sabrina Janesch erzählt in ihrem Roman „Sibir“ spannend, einfühlsam und authentisch das ereignis- und erlebnisreiche Leben des Josef Ambacher, das stellvertretend für unzählige vertriebene, verschleppte, geflüchtete Menschen, die Opfer von Kriegen und Willkür wurden, steht.
Die Autorin beschreibt die Verschleppung deutscher Zivilisten durch die Rote Armee, die diese Menschen 1945 in Viehwaggons nach Sibirien transportierte und wie diejenigen, die diese wochenlange Fahrt überlebt haben, in der Kasachischen Steppe unter Aufsicht der Sowjets versuchten weiter zu leben. Wer sich nicht an die Regeln hielt, wurde in einen Gulag (Straf- und Arbeitslager) geschickt.
Durch das Abkommen Konrad Adenauers mit Nikita Chruschtschow durften die Zivil-und Kriegsgefangenen 1955 nach Deutschland ausreisen.
Als 1990/91 nach dem Zerfall der Sowjetunion Russlanddeutsche Aussiedler im deutschen Mühlheim ankommen, in dem Josef Ambacher mit seiner Familie lebt, werden Erinnerungen wach.
Knapp 30 Jahre später wird Josef Ambacher dement und seine Tochter versucht ihm einige Erinnerungen an seine Kindheit zu entlocken, um sie aufzuschreiben und diese Zeit zu rekonstruieren. Die Zeitzeugen sterben langsam aus. Umso wichtiger ist es, so viele Details wie möglich aufzubewahren und weiter zu reichen.
Ich bin begeistert von diesem sehr guten Buch zu einem wichtigen und interessanten Thema. Leseempfehlung!
Für das Cover hätte ich mir ein Motiv der Steppe Kasachstans gewünscht, denn die hat den Protagonisten nie losgelassen.

Bewertung vom 27.10.2022
Für euch
Sayram, Iris

Für euch


ausgezeichnet

Berührende Familiengeschichte mit Lokalkolorit

Iris Sayram, Journalistin und Rechtsanwältin, hat einige ihrer Erinnerungen über ihre Kindheit und ihr Aufwachsen in den 1980er und 90er Jahren aufgeschrieben.
Wie das Cover vermuten lässt, steht ihre Mutter im Mittelpunkt, der sie das Buch auch gewidmet hat.
Mutter Irmtraud, Jahrgang 1939, deren Vater auf Bildung keinen Wert legte, musste nach sieben Jahren in der Schule arbeiten gehen, um die Familie finanziell zu unterstützen. Das sollte sich durch ihr gesamtes Leben ziehen.
Zwei frühen Ehen scheiterten, zu ihren Kindern aus diesen Beziehungen verlor sie jeglichen Kontakt. Als sie trotz Jobs obdachlos war, lernte sie in Köln Mustafa kennen, durch den sie ein Zimmer bei dessen Vermieterin bekam. Er war einer der ersten Gastarbeiter aus der Türkei und arbeitete zunächst bei „Ford“. Später gleitet er ins Zockermilieu hinüber und hat kein regelmäßiges Einkommen mehr.
Die beiden verliebten sich ineinander und bekamen Tochter Iris. Die kleine Familie lebte in finanziell armen Verhältnissen. Die Eltern, besonders die Mutter, versuchte unermüdlich dafür zu sorgen, dass es der Tochter an nichts fehlte. „Für euch“ mache ich das, sagte die Mutter oft. Und aus Bewunderung für das Durchkämpfen durch ein so schwieriges, trauriges Leben, mit tragischen Ereignissen, und aus Dankbarkeit für ihre Eltern, schrieb Iris Sayram dieses Buch „Für euch“.
Sie erzählt in einer einfachen Alltagssprache, selbstironisch-und kritisch, ohne wehleidig zu werden, wie aus einer, die eigene Seele schützenden, Abwehrhaltung heraus. Denn, obwohl Kinder nichts dafür können, wer, was und wie ihre Eltern sind, sind sie ihr peinlich gewesen. Und es ist ein berechtigter Stolz zu spüren, dass sie, obwohl niemand ihr das zugetraut hatte, Abitur, Studium und finanzielle Selbständigkeit erreicht hat.
Ein Buch, das uns aufzeigt, auch in scheinbar ausweglosen Situationen, kann man Lösungen finden und sollte nicht zu schnell aufgeben.
Trotz all der Dramatik hat man durch den flüssigen Erzählstil eine gute Lesezeit.

Bewertung vom 12.10.2022
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

Die Lebensrevue eines Mannes ummantelt von 100 Jahren Jahren historischer Geschichte.
Am Beispiel der Lebens- und Familiengeschichte des Roland Baines, eines einfachen Mannes und alleinerziehenden Vaters eines Sohnes, erzählt Ian McEwan sehr ausführlich und spannend über die großen Ereignisse eines Jahrhunderts. Er zeigt auf wie sich das persönliche Leben der Menschen und die Auswirkungen politischer Entscheidungen, Umweltkatastrophen u.a. gegenseitig beeinflussen.
Nach der Lektüre fragte ich mich: Entstand dieser Roman aus Wut, Verzweiflung und Unverständnis darüber, dass die Menschen nichts aus der historischen Vergangenheit lernen und Gesellschaften und die Umwelt immer weiter zugrunde richten? Sollte das Buch eine Bestandsaufnahme sein, eine Zwischenbilanz, um aufzuzeigen, seht her, wir wissen über alles bescheid und handeln dennoch wie ignorante Egoisten, die entweder völlig desinteressiert sind oder aus Angst vor der Zukunft die Hände in den Schoß legen, in der Hoffnung, es wird schon nicht so schlimm werden?
Ist das unsere „… ein neues Zeitalter der Unvernunft.“? Denn wir wissen, Geschichte wiederholt sich und geht uns auch heute etwas an.
Bei all dem verständlichen Pessimismus, verwehrt Ian McEwan uns dann doch nicht einen kleinen versöhnlichen Hoffnungsschimmer, wenn wir bereit sind ein paar Lektionen zu lernen und Verantwortung für uns selbst und andere zu übernehmen.
Ein Roman, den man sehr empfehlen kann.

Bewertung vom 20.07.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


ausgezeichnet

Ein Leben in der eigenen Familie wie unter Fremden.

Von den Büchern „Was fehlt dir“, „Der Freund“ und „Sempre Susan“ hat mir „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ von Sigrid Nunez am besten gefallen.

Dieser sehr poetische Titel scheint so gar nicht zum Erzählten zu passen.
Die Autorin beschreibt wie ihre Mutter sich manchmal in Situationen, in denen sie zu verzweifeln schien, fragte, wie bin ich nur hierher geraten (in diese Ehe, in dieses Land, in die jeweilige Situation), als sei sie wie eine Feder dorthin geweht worden. (Inspiriert vom Zitat: „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ von der Heiligen Hildegard von Bingen.)

Es fühlt sich gar nicht gut an, wenn man in einer disharmonischen Familie aufwächst, die Eltern sich ständig streiten, weil sie unzufrieden mit ihren Leben und dem finanziell ärmlichen Dasein in Amerika sind, diesem Land, in das sie in den 1950er Jahren eingewandert sind und das ihnen, dem Vater auch sprachlich, immer fremd bleiben sollte. Die Mutter ist Deutsche, der Vater halb Chinese, halb Panamaer. Und so flüchtet sich die Tochter, die sich in dieser Familie auch nicht heimisch fühlt, in Träume, Geschichten und in das Ballett-Tanzen.
Davon erzählt Sigrid Nunez in ihrem autobiografischen Roman sehr eindrucksvoll, in einer sehr klaren Sprache, die nichts beschönigen und nichts vertuschen will. Sie schreibt Geschichten aus ihren Erinnerungen und Recherchen und manchmal nur fragmentarisch über Erlebnisse, an die sie sich nicht mehr vollständig erinnern kann, die das Gesamtbild sehr gut ergänzen. Beim Lesen überträgt sich die Traurigkeit der Protagonistin auf ihre LeserInnen.
In einer Familie aufzuwachsen, mit sehr unterschiedlichen Eltern, in der Zuneigung und Verständnis füreinander fehlen, prägt das die Kinder auf eine nicht zuträgliche Weise.
Dies ist nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gesellschaftlich relevantes Problem.

Ich kenne das Original („A Feather On The Breath Of God“, HarperCollins, 1995) nicht, hatte aber an manchen Stellen im Text das Gefühl, dass die Übersetzung nicht besonders gut gelungen ist.

Nachdem ich mit dem Cover zunächst nichts anfangen konnte, hatte ich während des Lesens dann eine Idee, wie ich die Abbildungen darauf interpretieren könnte, was ich hier nicht erläutern werde, weil ich jedem die Freude lassen möchte, die eigenen Gedanken schweifen zu lassen.

Diese Lektüre ist sehr inspirierend, eigene Erinnerungen aufzuschreiben.

Bewertung vom 25.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


ausgezeichnet

Melbourne. Hitze. 40 Grad Celsius. Buschfeuer bedrohen die Menschen, deren Häuser, die Stadt.
Drei Frauen unterschiedlicher Generationen sitzen im klimatisierten Theater und sehen das Beckett-Stück „Glückliche Tage“. Endzeitstimmung. Die Szene spiegelt die Umwelt-und Klimakatastrophe vor der Tür. Die Frauen im Publikum lassen ihre Gedanken schweifen. Sehen die Szenen auf der Bühne, eine Frau ist eingegraben, nur ihr Oberkörper ragt aus einem Grashügel heraus, aus ihren jeweiligen Blickwinkeln ihrer Lebenserfahrungen.
„… weil sie heute vielleicht gehört wird, also wird sie stillhalten und sprechen. Sie wird unter der Erde stillhalten und gegen das Unglück anreden, das sie ereilt hat.“
Die einen reden gegen das Unglück öffentlich an, die anderen unterschreiben diverse Online-Petitionen. Sesselaktionismus.
Der ganze Themenkatalog der globalen Probleme unserer Zeit kommt im Buch zur Sprache. Klimawandel, Umweltverschmutzung, Rassismus, Feminismus, Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch …
„Der Klimawandel ist die moralische Schlüsselfrage der Epoche.“
Die Zuschauer inszenieren sich in der Pause zwischen den beiden Akten selbst, als hätten sie vergessen, was sie soeben gesehen und erlebt haben. Sie folgen einer gesellschaftlich anerkannten Dramaturgie. Man trinkt Champagner, hält Smalltalk, knüpft Verbindungen, die für die Karriere und den guten Ruf nützlich sein könnten.
Mir gefällt die Idee, das Beckett-Stück als roten Faden zu nehmen, an dem entlang die Geschichte erzählt und über die Themen philosophiert wird.
Die Autorin stellt Fragen und gibt auch Antworten, was nicht nötig gewesen wäre, weil die Leserinnen und Leser sie sich längst selbst gestellt haben. Ich hätte gerne einen eigenen Interpretationsspielraum und möchte nichts vorgeben bekommen.
Insgesamt hätte ich mir eine umfangreiche Wortwahl und eine Sprache, die literarischer ist, gewünscht.
Der unterhaltsame, der sehr heutige Roman endet wie das Beckett-Stück. Was wird aus uns? Wie wird es weitergehen? Wird es weiter gehen?
Ich leihe mir das Zitat von Bertolt Brecht, das durch Marcel Reich-Ranicki berühmt gewordene Schlusswort: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Bewertung vom 30.09.2021
Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin
Schoenfeld, Bruce

Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin


ausgezeichnet

Dieses Buch ist eine wichtige Erinnerung an Althea Gibson als Mensch
und eine wunderbare Würdigung als Sportlerin – Nicht nur für Tennisfans.

Der Reporter, Reise- und Sportjournalist Bruce Schoenfeld hat eine umfang- und detailreiche Biografie über die Tennisspielerinnen Althea Gibson Amerikanerin (1927 - 2003) und Angela Buxton Engländerin (1934 - 2020) geschrieben.
Althea Gibson gewann als erster schwarzer Mensch überhaupt Wimbledon, die French Open und die US Open.
1957 war sie die Weltranglistenerste.
Der Autor bettet die Biografie in die historische Zeit ein, in der die Tennisspielerin und ihre zeitweilige Doppelpartnerin, mit der sie ihr Leben lang befreundet blieb, lebten. Gibson als Schwarze aus dem armen Harlem/New York und ihre Freundin, eine Jüdin aus England und einer reichen Familie, wurden überall auf der Welt diskriminiert. Die stärksten Gegnerinnen standen ihnen nicht auf dem Tennisplatz gegenüber, sondern kamen aus den Ressentiments, dem Rassismus dem Antisemitismus der Gesellschaft und vielen Funktionären des Sports.
Althea Gibson wollte sich nie über ihre Hautfarbe definieren lassen und Angela Buxton nie über ihr Jüdischsein.
Bruce Schoenfeld – da kann man im wohligen Brustton nur ausrufen: Man, schreibt der gut! (Erinnert mich an den Stil von Bill Bryson.)
Ich vermisse in diesem sehr interessanten Buch nur einen Anhang mit einem chronologischen Überblick über die Lebensstationen und die sportlichen Erfolge Althea Gibsons.

Bewertung vom 17.10.2020
Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
Petkovic, Andrea

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht


ausgezeichnet

Man muss sich im Tennissport nicht unbedingt auskennen, um diese sehr gut und unterhaltsam erzählten, ganz persönlichen, erfrischend humorvollen und selbstironischen Erzählungen aus dem sportlichen und privaten Leben der Andrea Petković zu genießen. Nicht nur jeden Fan der Sportlerin werden sie begeistern.
Diese autobiografischen Erzählungen mit dem schönen poetischen Titel „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ sind nicht wie die üblichen Sportlerbiografieberichte, sondern erzählen auch davon, wie Familien versuchen, sich als Fremde in einer neuen Heimat zurechtzufinden.
Andrea Petković widmet dieses Buch „Dem Land, in dem ich aufgewachsen bin – Deutschland. Und dem Land, das, als ich es verließ, noch Jugoslawien hieß.“ Sie schildert auch, wie sie lernte ein kosmopolitisches Leben zu führen und mit den Höhen und Tiefen, Siegen und Niederlagen umzugehen, in privaten, wie auch in sportlichen Bereichen.
Man merkt, dass sie oft inspiriert wurde durch die Bücher, die die las, die Kunst, die Menschen, die sie kennenlernte und dass sie daraus unterschiedliche Erkenntnisse gewann und es ihr so auch gelang ihr Leben, die Kunst, die Literatur, ihren Sport in Beziehungen zueinander zu setzen und davon zu profitieren. Ja, es klingt so einfach, alles hängt mit allem zusammen – das Eine bedingt das Andere, aber das muss erst mal jeder für sich persönlich begreifen und für sich etwas daraus machen. Ich glaube, Andrea Petković ist eine Frau, mit der man sich gut gerne über Gott und die Welt unterhalten kann. Tagelang und nächtelang und so schnell nicht müde wird, weil aus ihr eine unglaublich lebendige Energie sprudelt.
Ich habe nach der Lektüre dieses Buch gut gelaunt zugeklappt und es in Griffnähe ins Regal gestellt, wie einen guten Freund, den man nicht aus den Augen lassen will.
Der KiWi Verlag schreibt vollkommen zu Recht von einem „grandiosen literarischen Debüt“.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.09.2020
Das Buch eines Sommers
Kast, Bas

Das Buch eines Sommers


weniger gut

„Was hindert uns daran, zu werden, wer wir sind?“
Das ist die Frage, um die es dem Autor geht. Er hätte sie auch in einem Sachbuch untersuchen können, hat sich aber für eine Romanhandlung entschieden, um mit Hilfe seiner Figuren unterschiedliche Meinungen und Lebensphilosophien gegeneinander zu stellen und sie Antworten suchen zu lassen.
Dieses Buch liest sich, als beschreibt hier jemand eine Geschichte, die er sich als Film für das Sommerkino vorgestellt hat.
Man findet hier ganz normale, einfache Sätze, die jeder schon gedacht, gehört und gesagt hat. Hier ist nichts literarisch ausformuliert, nichts überrascht einen.
Schreibstil und Formulierungen sind naiv, unbeholfen, steif, konservativ, öde und langweilig und auch eine kitschige Abendsonne ist dabei. Man liest immer wieder dieselben Worte und Begriffe, oft kurz hintereinander, es gibt keine Variationen. Manches wird einem mehrfach beschrieben, wie das kastanienbraune Haar der Ex-Freundin und dass die Villa des Onkels in einer Weingegend steht z.B. Die Raubtier-Metapher scheint der Autor besonders zu lieben. Gleich drei Mal verwendet er sie. Ab und zu sind seine Übergänge etwas holprig, manchmal scheinen Sätze zu fehlen.
„Er schrieb und schrieb, aber was er schrieb, hatte keine Tiefe.“ So ist es mir beim Lesen dieses Romans auch gegangen.
„Das Buch eines Sommers“, ist das Buch eines Erzählers, der uns Lesern nichts hinterlassen hat.
Vielleicht kann es ein guter Einstieg für diejenigen sein, die sich mit dem Thema der Selbstfindung zum ersten Mal beschäftigen wollen.

Bewertung vom 31.08.2020
Gipskind
Kögl, Gabriele

Gipskind


ausgezeichnet

Mit dem Glauben an sich selbst sein Leben verändern

In den 60er Jahren wächst ein Mädchen auf dem Land in einer Bauernfamilie auf. Sie kann lange nicht laufen und muss in ihren ersten Lebensjahren, so genau erfährt man nicht, wie lange, mit eingegipsten Beinen zurechtkommen.
Nur die Oma hat Verständnis für das kleine, kranke Kind, das für keine Arbeit zu gebrauchen und somit nur eine Last für die Familie ist.
Als das Mädchen von der Dorfschule endlich in eine Schule in der Stadt wechseln kann, wo sich für sie eine völlig neue Welt eröffnet und sich ihr ganz andere Möglichkeiten offenbaren, begreift sie endgültig, dass sie mehr will als ein Leben auf dem Land, in dieser spießigen und kleingeistigen Enge der Dorfgemeinschaft und des vorbestimmten Lebens von Heirat, Familie und Hof.
In den 70er Jahren wird für Jugendliche endlich alles freier. Reisen, Kleidung, Frisuren, Musik (nicht mehr nur deutsche Schlager, sondern Popmusik aus England und Amerika). Frischer Wind. Aufbruchstimmung.
Das „Gipskind“ wird immer nur „die Kleine“ genannt, auf Seite 131 bekommt sie endlich einen Namen, bei dem sie dann im letzten Drittel Buches auch kontinuierlich genannt wird, weil sie im Laufe der Zeit eine eigene Persönlichkeit und einen starken Willen entwickelt hat ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Obwohl ihr Leben so düster beginnt, wie es das Cover erahnen lässt, verliert sie sich nicht ins Wehklagen, sondern bleibt inspiriert von dem, was sie in der Zukunft erwarten könnte und möchte. Und so löst sie sich auch von all denen, die sie in alten kleingeistigen Traditionen halten wollen.
Gabriele Kögl beschreibt das karge Leben und die schlechten Wohnverhältnisse auf dem Land, die überforderten Eltern, die Sprache der Menschen, die Musik, die im Radio gehört wurde, eingängige Schlagertexte, Fernsehsendungen, die Familien gemeinsam geguckt haben und schafft so eine gut nachvollziehbare Atmosphäre der damaligen Zeit. Am Beispiel unterschiedlicher Familien zeigt sie verschiedene gesellschaftliche Vorurteile und Konflikte auf, wie sie nicht nur für die 60er Jahre typisch waren. Frei davon sind wir heute immer noch nicht.
Ein wenig nervte mich, dass alles immer aus einer latenten Naivität heraus erzählt wurde, so, als hätte die Erzählerin über sich als sich-fremd-Gewordene geschrieben, aus dem Abstand der Lebenserfahrung heraus, die sie inzwischen gemacht hatte und als würde sie heute noch immer darüber staunen, dass sie dieser Enge entkommen ist.
Eine coming of Age Story, die ich gerne gelesen habe.